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Kakophonien

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Sie haben mir die Geschichte von der Gabriele erzählt. Zwar taten Sie das in einem schnodderigen Ton, mit dem Bemühen, die Sache möglichst abzuwerten, dennoch habe ich bemerkt, wie nahe Ihnen das ging. Vor allem, als Sie Ihr Unverständnis über die eigene Reaktion mit dem Kopfschütteln zum Ausdruck brachten. Da erschienen Sie mir für einen Moment ganz anders. Ich meine, nicht so steif, wie sonst, sondern so, wie Sie wirklich sind. Und wenn es nur ein winziger Moment war, so zeigte er mir doch, dass sie auch anders können, sich nur nicht trauen. Aber genau das sollten Sie.

Nächste Woche habe ich einen Termin beim Direktionsleiter. Er wird mich über Sie befragen, wird wissen wollen, wie viel, oder besser, wie wenig Sie mir gegeben haben. Ich weiß, dass er Sie nicht leiden kann und wird die Frage deshalb auch so formulieren. Aber glauben Sie mir, selbst wenn mir manche Kollegen so etwas zutrauten, ich werde es nicht ausnutzen, selbst auf die Gefahr, ihn damit zu verärgern. Ich werde ihm nämlich genau das sagen, was er nicht hören will, dass Sie ein zuvorkommender, hilfsbereiter und vor allem gutherziger Kollege waren, mit dem ich gern zusammen gearbeitet habe. Ich werde ihm sagen, wie sehr ich Sie schätze und hoffe und wünsche, dass Sie künftig eine bessere und sicher auch dankbarere Praktikantin bekommen als mich. Für Sie selbst wünsche ich mir, dass Sie künftig auch weiterhin erhobenen Hauptes allen Anfeindungen trotzen, wie sie es in meiner Gegenwart immer getan haben und dabei immer ein gesundes Augenmaß bewahren. Ich selber werde Sie in bleibender Erinnerung behalten als das, was Sie für mich waren, ein warmherziger und zuvorkommender Mensch, der trotz aller Fehler, immer noch seinen Idealen treu geblieben ist.

Mit besten Wünschen, Ihre Praktikantin S.

P.S.

etwas ganz und gar Unromantisches

Übrigens, was ich noch sagen wollte – es ist vorbei. Ich weiß, was du jetzt denkst, doch spar dir deinen Kommentar, so ist es nicht, war es nie! Woher ich das weiß? So was weiß man eben, oder besser, fühlt man. Vorhin erst habe ich ihr Bild zerrissen und kurz darauf wieder zusammengefügt. Ist das etwa gefühllos? Und als ich gestern ihren Brief las, diesen kurzen, abgerissenen Zettel, kamen mir fast die Tränen. Reagiert so ein Eisblock? Wirst mir schon was erzählen, du mit deiner Weitsicht. Von wegen gefühllos. Was weißt du schon. Selbst als ich zum ersten Mal dorthin ging – verdammt noch mal! - geschah das aus einem Gefühl heraus, wenn auch aus einem schlechten, das gebe ich zu. Ich wollte Spaß ohne tiefere Gedanken. Daran ist doch nichts Schlimmes? Wie hätte ich es also verhindern können, und selbst wenn, woher sollte ich wissen, ob ich es überhaupt verhindern wollte? Wenn man erst einmal dort ist, wo ich war - und ich war dort, das sage ich dir und das mit ganzem Herzen - kann man nicht mehr zurück.

Wie es angefangen hat, weiß ich nicht. Alles kam so unerwartet, dass ich es selbst nicht recht verstand. Ich fuhr nach Mitte, obwohl ich Mitte eigentlich hasse, nicht nur wegen des Lärms und der bedrückenden Enge. Ich wollte zur Museumsinsel und mich kulturell bilden - das tue ich öfter, wenn ich mich sammeln will -, landete jedoch, weiß der Teufel warum, in der Oranienburger. Na, du weißt schon. Dort war dieser Schuppen, dieses ’Vis-à-vis’, verräuchert, schmierig, unromantisch. Was ich dort suchte, kann ich nicht sagen. Vielleicht erhoffte ich mir ein Stück Illusion, eine Art Aufwertung und Selbstbestätigung meiner Virilität – nichts ist schlimmer als ein Mangel daran, vor allem, wenn man sich innerlich sammeln will und es nicht kann.

Was heißt hier Unmoral? Hältst du dein braves Händchenhalten und laues Süßholzraspeln in deiner doch reichlich in die Jahre gekommenen Beziehung etwa für Moral? Den einzigen Vorwurf, den ich gelten lasse, ist jenen der Leichtfertigkeit gegenüber dem eigenen Stolz. Es ist nämlich quälend, etwas zu tun, was man eigentlich nicht nötig hat und doch nicht anders kann. Natürlich bleibt es paranoid, das tiefste Gefühl erst herauszufordern, um dann vor ihm zurückzuschrecken, zumal man einen Teil von sich – leider den besten – dafür aufgibt. Und doch kann es nur so funktionieren, anderenfalls sähe es so aus, als habe man tatsächlich etwas nötig, und wer gäbe das schon gerne zu.

Es begann damit, dass sie mir auf Anhieb gefiel. Es war ihre Schweigsamkeit, die stille Bescheidenheit, dieses sanfte Lächeln, gleichviel, welche Wünsche und Abartigkeiten ich auch vortrug. Dabei hasse ich schweigende Frauen. Sie haben etwas Unangenehmes, was mich verstört und verschreckt. Doch bei ihr war das anders, fühlte ich eine unbestimmte Wärme, beinahe Vertraulichkeit, die mich ängstigte, trotz ihrer Schweigsamkeit. Selbst mein gewohntes Zittern, das sich infolge lustvoller Erregung bei jedem Erstkontakt einstellt, blieb aus. Gleich beim ersten Mal fiel mir das auf, als wir in diesem muffigen Zimmer zusammen kamen. Doch seltsam, obgleich ich von ihrer strahlenden Jugend entzückt war und ihre zärtlichen Liebkosungen durchaus genoss, fühlte ich mich nicht besonders wohl. Du musst wissen, dass sich die meisten dieser Frauen dabei überstürzen, um es rasch hinter sich zu bringen. Normalerweise amüsiert mich das, und ich sträube mich absichtlich, um es ihnen zu erschweren. Damit irritiere ich sie und will das auch. Denn bleibt man erst ein Rätsel, wird man respektiert. Respekt wiederum verhindert Oberflächlichkeit, und wer will schon oberflächlich verwöhnt werden, wenn er dafür bezahlt?

Doch wie sollte ich ihr ein Rätsel bleiben, da sie mir doch selber eines war. Allein ihr Lächeln irritierte mich. Es war eine Mischung aus Höflichkeit und Pein und doch nicht frei von Ironie, als habe sie mich bis zum Grunde durchschaut. Das beschämte mich entsetzlich und wollte es ihr schon verbieten. Was fiel ihr ein, mich so anzusehen? Dazu hatte sie kein Recht, zumal sie mich doch gar nicht kannte. Doch sie tat es dennoch, ungeachtet meines Unwillens und meiner Erregung, und es gelang mir nicht, ihren Blicken auszuweichen. Am Ende musste ich ebenfalls lächeln, obwohl ich es gar nicht wollte. Du weißt, wie sehr mich ein Lächeln entstellt. Es steht mir einfach nicht.

Da dauerte es mich plötzlich, all das Gute und Edle sinnlos zu verschwenden, nur weil mich mein Egoismus dazu trieb. Zweifellos bereitete es ihr kein Vergnügen; womöglich ekelte sie sich sogar, so dass ich allein aus Zartgefühl auf manches verzichtete, obgleich ich darauf hätte bestehen können. Ich verkniff mir jede Bemerkung dazu, was bei mir schon etwas heißen will. Aber nie zuvor kamen mir solche Gedanken. Sie verwirrten mich, und ich verstand mich selbst nicht mehr. Das ist ein sehr dummes Gefühl, zumal man es nicht abstellen kann. Zuerst hielt ich ihr Schweigen für Berechnung, zeigte mich hoffärtig und geriet in Rage. Schon wollte ich ihr eine kleben, dieser Schlampe! Doch je mehr ich mich erregte, je ärger meine Scham. Am meisten jedoch beschämte mich, dass sie mir alles verzieh, selbst meine Unbeherrschtheit, so dass ich am Ende – wirst es nicht glauben - wie ein Kater in ihren Armen schnurrte und an nichts anders mehr denken konnte als das nächste Mal. Alles um mich her begann zu verschwimmen; selbst der Groll in meinem Herzen hörte auf zu brennen, beinahe so, als wäre er niemals da gewesen. Dabei tat sie gar nichts, außer mich schweigend zu anzusehen.

Zurück blieb eine sanfte Schlaffheit, die mich unglaublich beglückte und friedlich stimmte, dass ich mich plötzlich alle meiner schlechten Gedanken schämte, obwohl sie die ganze Zeit nicht ein einziges Wort gesagt hatte. Wie war das möglich?

Auf dem Heimweg war ich wie benommen und konnte ihr Gesicht nicht aus meinem Herzen reißen. Ständig verglich ich sie mit anderen Frauen mit dem Ergebnis, dass ihr niemand gleichkam. Selbst zu Hause fand ich keine Ruhe, weil mir der Gedanke an die eigene Verworfenheit niemals deutlicher vor Augen trat. Was war ich doch für ein Scheißkerl. Warum war ich so? Ich hatte doch alles - ein ordentliches Elternhaus mit einer ebenso ordentlichen Erziehung; eine tadellose berufliche Karriere und einen bescheidenen Wohlstand. Alles fügte sich nach meinen Wünschen, meine Pläne folgen immer einer fast mathematischen Logik. Dennoch musste ich so sein. Das verstand ich nicht. Ich nahm mir vor, besser zu werden.

Da kam mir diese Idee, diese dreimal verfluchte, wodurch ich mit einem Schlag alles zurückgewänne und meine Ehre und mein Selbstverständnis wieder hergestellt wären. Zudem käme mein ganzer Edelmut und meine Hochherzigkeit in einer Weise zum Tragen, dass sie gar nicht anders könnte, als mich dafür zu lieben. Diese Vorstellung begeisterte mich.

Ich war wie in Trance und scheute kein Risiko. Wiederholt suchte ich dieses Etablissement auf, wo ich mich wie ein Krösus aufführte, mit Geld um mich warf und die mir zu teil werdende Aufmerksamkeit genoss. Ich wollte etwas sein, was ich nicht war und hatte doch nur eines im Sinn. Schließlich tat ich es und bestach diesen widerlichen Albaner, einen glatzköpfigen Typen mit Zahnlücke und Narbe am Hals, dessen Porsche öfter am Kotti parkt und welcher in der Szene für seine Skrupellosigkeit berüchtigt ist. So ein Kerl geht über Leichen, sage ich dir. Ich hatte bereits einige Erkundigungen über ihn eingeholt und wusste, dass er ist nicht zimperlich ist, schon gar nicht gegenüber seinen Frauen, und wenn mal eine nicht spurt, hat er ganz eigene Methoden. Ich sagte ihm das und noch einiges mehr. Vor allem aber erklärte ich ihm, dass ich fortan nicht wünsche, sie mit weiteren Kunden zu teilen. Er guckte mich daraufhin ganz verdutzt an. Wie ich mir das vorstelle, wollte er wissen. „Ganz einfach, sie ist fortan für mich reserviert“, erwiderte ich. Wenn ich also käme, habe sie frei zu sein, die übrige Zeit könne er nach Belieben über sie verfügen, aber ich hätte in jedem Fall Vorrang.

 

Das kostete mich 2.000 €. Schlag mich tot, aber ich habe das bezahlt. Damit nicht genug. Ich konnte mir plötzlich nicht mehr vorstellen, sie dort zu belassen. Nicht nur einmal habe ich erlebt, welch verkommene Subjekte dort verkehren und wie abscheulich sie sich benehmen. (Du kannst dir keine Vorstellung davon machen, was diese Mädchen ertragen müssen). Also bot ich ihm die gleiche Summe noch mal mit der Maßgabe, sie mir dauerhaft ’auszuleihen’. Anfangs sträubte er sich, brüllte mich an und begann mir zu drohen. Als ich ihm jedoch bedeutete, genug über sein Etablissement zu wissen, um in meiner Eigenschaft als Bediensteter eines öffentlichen Amtes durchaus über geeigneten Möglichkeiten zu verfügen, ihm Schwierigkeiten zu machen, begriff er. Und jetzt sag, - bin ich verrückt?

Vielleicht verstehst du jetzt. Schämte ich mich doch meines Edelmutes, weil ihn niemand verstanden hätte, am wenigsten du. Wie hätte ich es auch erklären sollen? Weiß der Teufel, aber ich wollte plötzlich mehr, einen Freund, der zu mir aufschaut und mich respektiert. Und wer wäre dafür geeigneter als jemand, den man sozusagen aus dem Dunkel empor reißt und das nicht nur im allegorischen Sinne. Ihr bliebe gar keine Wahl, als mir dankbar zu sein - der Rest ergäbe sich von selbst. Der Gedanke, sie durch meine Kompromisslosigkeit zu verschrecken, kam mir nicht. Ist doch unbestritten, dass Frauen des Reglements bedürfen, besonders solche aus dem Osten. Das ist ein Axiom. Nur so fügen sie sich, nur so funktionieren sie. Wie sollte sie mich sonst respektieren, wenn nicht durch Strenge und ständige Erinnerungen daran, woher sie kam und was ich für sie getan hatte. Ich denke, sie verstand das auch, denn nicht nur einmal war sie nach meinen Vorhaltungen den Tränen nahe. Versteh mich bitte richtig, nicht dass es mir Freude machte, aber es war nötig.

Und dabei begann es durchaus verheißungsvoll, beinahe romantisch. So erinnere ich mich unseres ersten gemeinsamen Spazierganges durch den Park, übrigens unserem einzigen. Ich hatte gerade dem Leierkastenmann 10 Cent auf den Teller gelegt, als wir, umgeben von einer blühenden Natur, den kleinen Weg entlang schritten. Da brach sie plötzlich ihr Schweigen und erzählte mir von ihrer Heimat. Richtig lustig hörte sich das an, sie mit ihrem Akzent. Das hatte sie noch nie getan, umso größer mein Erstaunen. Doch dann – ich weiß nicht, warum – überkam mich das unbestimmte Gefühl, dass sie mir etwas ganz anderes sagen wollte, etwas, das gar nicht dazu gehörte, für sie aber offenbar von größter Wichtigkeit schien. Und als sie innehielt, meine Hände nahm und mir in die Augen schaute, wurde es mir klar.

Es war die gleiche Masche, worauf viele Männer hereinfallen, weil sie etwas zu fühlen meinen oder an etwas glauben oder was weiß ich. Nicht, dass ich abgeneigt gewesen wäre, jetzt auch an etwas zu glauben, vielleicht fühlte ich sogar etwas. Da es aber überstürzt kam, mir jedoch an Kontinuität gelegen war, wehrte ich ab. Soweit ich mich erinnere, war ich dabei durchaus nicht unhöflich, wenngleich sehr deutlich, indem ich die Dinge beim Namen nannte. Ich sagte mir nämlich: du bist groß und charmant, lebst in geordneten Verhältnissen und hättest sie weiß Gott nicht nötig. Weshalb soll sie das nicht fühlen? Es würde dich nur noch mehr erhöhen, und an Höhe kann man bekanntlich nie genug gewinnen, wenn man geliebt werden will - und nichts anderes wollte ich.

Natürlich besaß ich Takt genug, diese Offenheit als Wesenszug meines Charakters zu verteufeln, was für einen Realisten wie mich typisch sei, ließ aber auch meine Vorzüge nicht aus, die in meinem Einkommen, meiner Bildung und meinem Auto zu finden seien. Immerhin hatte ich es zu etwas gebracht und brauchte mich nicht zu verstecken. Alles in allem redete ich ziemlich flott, also ohne Unterbrechung und Blickkontakt und bemerkte mit Genugtuung, wie sie immer stiller wurde. Zweifellos erdrückte ich sie mit meiner Offenheit, und genau das wollte ich. Aber nur so konnte ich Tatsachen schaffen und vor allem mich künftiger Angriffe erwehren. Zeigt man erst Gefühl, wird man schwach und es ist mit der Harmonie schnell vorbei. Soll hingegen etwas Dauerhaftes entstehen, bedarf es der Besonnenheit, was wiederum Maßhaltung erfordert.

Ihren Wunsch nach Heirat lehnte ich freilich ab. Sie wollte nur Deutsche werden, das sah ich klar. Folglich sagte ich ihr, dass ich es für billigen Idealismus hielte, etwas zu werden, was man nicht ist. Wie alles im Leben müsse auch das erarbeitet und vor allem verdient werden, und da jede dauerhafte Beziehung einer behutsamen Annäherung bedürfe, weil sie sonst an ihren Widersprüchen zerbräche, könne das kein Thema sein. Vielmehr wünsche ich Vertrauen durch Verständnis, soweit ihr die Korrelation dieser Begriffe begreiflich sei, denn nichts wäre in einer Anfangsphase schädlicher, als Spontaneität. Und da ich einmal dabei war, erläuterte ich ihr gleich weitere Notwendigkeiten, die ich für ein gesundes Miteinander für unabdingbar hielt, so auch meine Abscheu für Übermaß und Verschwendung. Immerhin habe sie Kost und Logis bei mir frei, bekäme aber kein Geld, wozu auch, zumal sie das Haus nur in meinem Beisein verlassen dürfe. Wenn ich sie also die übrige Zeit einschlösse, dann allein zu ihrer Sicherheit.

Freilich war das nicht durchzuhalten, sollte es auch nicht. Vielmehr setzte ich absichtlich höher an, um mir Raum für Toleranz zu lassen. Bald lockerte ich das Ausgehverbot und gab ihr zuweilen ein wenig Geld. Einmal schenkte ich ihr sogar ein Fläschchen Parfüm, das ich günstig erstanden hatte. Du magst das kleinlich nennen, ich hingegen verhältnismäßig und somit für uns beide vorteilhaft. So war auch die Hilfe im Haus zu verstehen, da ich sie ja anderweitig nicht vermitteln konnte. Ob sie das alles verstand, weiß ich nicht, war mir auch nicht wichtig. Jedenfalls zierte sie sich mächtig, als sie das erste Mal den Hausflur wischen musste. Erst als ich ihr erklärte, dass wir dafür 20 € Euro bekämen und ich das Recht hätte, für mein Entgegenkommen eine Gegenleistung zu fordern, gab sie nach.

Zunächst schien sie auch damit zufrieden, jedenfalls sagte sie nichts. Natürlich wusste ich um ihre Ungeduld und war um Fairness bemüht. Aber da sie nun mal aus einem solchen Loch kam, durfte ich sie nicht mit allen Vorzügen des neuen Lebens überfordern. Dazu bedurfte es der Gewöhnung. Zudem hoffte ich, sie noch zu formen. Aber was heißt formen. Das ist natürlich Unsinn, vielmehr wollte ich ihr Herz durch kleinere Zugeständnisse gewinnen. Natürlich weiß ich, dass Liebe aus Dankbarkeit einen geringeren Wert besitzt, hoffte ihn aber durch weitere Zeichen meiner Großmut zu erhöhen. Käme sie erst dahinter, wovor ich sie bewahrte hatte (und ich wurde nicht müde, ihr das zu erklären), würde sie das ganz von selbst erkennen und irgendwann die Größe meiner Tat begreifen. Davon war ich überzeugt. Es war also nur eine Frage der Zeit.

Doch ich hatte zu früh begonnen. Anstatt damit zu haushalten, nahm sie diese Freiheiten zu gierig auf. Folglich war sie überfordert und hatte immer größere Mühe, damit zurecht zu kommen. Es kam zu Missverständnissen, die im Streit endeten, wobei sie mir manche Hässlichkeit an den Kopf warf, die ich in meiner Großmut widerspruchslos hinnahm. Doch als sie bald darauf einen unanständigen Vergleich zu anderen Männern anstellte (was sie dabei anführte, lasse ich weg), verlor ich die Geduld und verwies sie des Zimmers.