Reglose Jagd

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Marzipanblätter

Nackt gegen die Fensterfront gelehnt,

weiß ich von den Damen unter mir,

die Marzipanblätter von ihren Torten heben.

Sie streichen von Zetteln die Namen

berühmter Kaffeehaus-Städte, sie sind so alt

wie die Legende von der Sachertorte.

Klar und klebrig muss ihre Sicht

durch Gelatine gleiten. Auf der Straße

jaulen Hunde. Zu Pfingsten noch

war auf meiner Scheibe der Abdruck

eines Flügelpaars.

Kelchüber

Das Mädchen am Museumsausgang

verteilt an Rentnergruppen Rosen in rosa

und gelb. Ihre Finger umspannen Dornen

Hecken, hundert Jahre. Die Alten tragen

die Blüten kelchüber, holpern

ihre Schritte über den Asphalt.

Gegen einen Knöchel weht ein Blatt.

Vom Ahorn schält sich Rinde.

Mittag. Das Mädchen nagt ihr Brötchen

so knisternd langsam. Es zerfällt ein Stern

im Blick eines Greisen.

Namen

Da war Wasser vielleicht, Hänge, Hänge, da war

der Moment eines Frühlings. Zierkirschen. Statuen.

Waldwege, zusammengestürzt im Märzsturm,

waren wieder begehbar, die Flächen steigend.

Kein Gebirgskamm, kein Obelisk: Ein Stein

mit Namen. Steigen, steigen, da war das Licht

eines Lastkahns im Abend, da waren die letzten

Passanten, auf Parkbänken hielten sie Flussschau.

Der letzte Regen im Mai, dünne Frische, hing

in den Kronen. Es verwuchs sich ein Frühling,

nicht tief, im Hang und nannte nichts.

Besprechungen

So war es bereitet: der kleinste Tisch im Raum

und um uns ein Sprechen wie von Sperlingen,

die mit uns nichts gemein hatten als einen Wunsch

nach Nahrung. Wir sprachen in einer anderen Sprache,

bilanzierten einem Vertragspartner

unser letztes Quartal. Du erzähltest

von Haftungsbeschränkung,

neuen Fusionen. Mein Name

fiel nicht. Ich hielt mich aufrecht.

Ein Klang plötzlich

ließ mich aufhorchen, die Sperlinge schwiegen

in einer anderen Sprache; das war

das Löffelschlagen gegen den Tassenrand, das war

der alte Ton und von neuem sehnte ich mich

fortzukommen. Doch wer zum Fliegen nur Arme hat,

breitet keine Flügel aus.

Träge Touristen

Auf den Fluten den Stillstand zu üben

ist mir ein Leichtes, wie leicht

bleiben die Zeiten am Ufer und die Sicht

hat kein Treiben, auch die Möwen

liegen reglos auf anderen Tagen, was heißt mir

ein Drehen des Kopfes, wenn doch nur

die See sich wendet. Wirst schon sehen

ruft der Mann hinter meinem Blick,

der zeichnet mit einer Laubharke den Sand.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?