Der Zirkel

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„Carina? Ich bin Nathalie Vandenberg. Hat man Sie belästigt?“

„Was ist hier los?“ sie sieht mich mit großen Augen an. Unverkennbar ist sie Roberts Tochter.

„Mein Mann ist verrückt geworden. Er wollte einmal ganz groß in den Medien erscheinen.“ sage ich freundlich. „Kommen Sie, ich bringe Sie zu ihrem Vater.“ zögernd schließt sie sich mir an. „Er wohnt nicht im großen Haus. Waren Sie schon einmal hier?“

„Nein. Wir haben selbst ein Haus.“ sagt sie böse. Sie ist also nicht damit einverstanden, dass Robert hier lebt. Das kann man ihr auch nicht verdenken. Sie ist neunzehn. Er wohnt seit vier Jahren hier. Das war keine so gute Idee, denke ich für mich. Sie sieht mich von der Seite an. Wahrscheinlich ahnt sie, was Robert und mich verbindet. Ich klingele höflich an Roberts Tür. Er öffnet, völlig korrekt bekleidet. Er hat mir also geglaubt. Ich muss grinsen, als er seine Tochter überrascht anstarrt.

„Ich bin im Haus, falls mich jemand sucht, Herr Zorn.“ sage ich und drehte mich um, bevor Robert reagieren kann. Ich habe nichts dort verloren, wenn sie da ist, finde ich. Ich muss an meiner eigenen Haustür klingeln, weil ich meinen Schlüssel bei Robert gelassen habe. Die Sicherheitszentrale öffnet mir die Tür. Es ist so still im Haus. Meine Schritte hallen durch das Foyer. Ich gehe in die Küche und bereite mir eine Tasse Tee. Dann hole ich mir Käse und Trauben aus dem Kühlschrank und setze mich an den Tisch. Frau Römer hat alle Zeitungen hier legen, die über Gregor berichten. Es ist erstaunlich, wer alles aus seinem Loch gekrochen ist, wenn es darum geht, ein Interview zu geben. Sogar die Nutte, die ihn einmal pro Woche verprügelt. Mit Erstaunen lese ich, dass sie nicht sagen will, was sie mit ihm macht, aber sie schildert Gregor als einen äußerst höflichen, liebenswerten und sympathischen Menschen, dem sie so etwas nicht zutraut. Diese Joy ist übrigens blond, nicht rothaarig, wie ich es erwartet habe. Als ich alle Artikel durchhabe, kann ich eines mit Sicherheit sagen: So sehr die Presse auch über Gregor herfällt, niemand redet schlecht über ihn. Alle die ein Interview gegeben haben, sind sich einig. Gregor hat das nicht getan.

Ich gehe in Roberts verlassenes Büro. Hier türmt sich die Post. Hunderte Interview-Anfragen an Frau Vandenberg. Robert hat mir nichts davon gesagt. Auch nicht, dass er sie alle in meinem Namen abgesagt hat. Neben dem Laptop liegt ein Stapel Briefe von Gregor an mich, alle ungeöffnet. Roberts Jackett hängt über dem Stuhl. Voller Sehnsucht streiche ich darüber. Wie lieb er ist, das alles von mir fern zu halten. Ich greife nach seinem Terminkalender, der mit seiner schönen Schrift gefüllt ist. Ich habe mir nie Gedanken darüber gemacht, wie viel er zu tun hat. Er war immer so ruhig und entspannt und ich dachte, mit der morgendlichen Tasse Tee, dem gelegentlichen Zurechtweisen des Personals wäre es das schon fast mit seinen Aufgaben. Ich lege den Kalender wieder fort und ziehe meine Füße auf den Stuhl. Dann nehme ich das Jackett in die Hand und stecke mein Gesicht hinein. Ich liebe diesen Duft. Ein glückliches Gefühl macht sich in mir breit, als ich an vorhin denke, an die Art, wie er mich geliebt hat.

„Hier bist du. Ich habe dich gesucht, Schatz.“ sagt er. Er hat mich beobachtet, wie ich mein Gesicht an seinem Jackett gerieben habe. Robert hat die Hände in den Hosentaschen und sieht mich an.

„Ich habe es meiner Tochter gesagt. Begeistert war sie nicht. Aber nicht aus dem Grund, den du jetzt vermutest.“

„Sie will nicht, dass du hier bist.“

„Das auch. Sie kennt mich gut. Wir haben uns immer gut verstanden. Auch, wenn ich meine Frau unglücklich gemacht habe. Sie sagt, ich soll dir sagen, warum das so war. Es wäre fair, meint sie.“

„Womit hast du sie denn unglücklich gemacht?“

„Ich war ein begabter Fremdgänger.“

„Dazu braucht man eine Begabung? Ich dachte, das kann jeder?“

„Sie hat es jahrelang nicht gemerkt. Dazu braucht man Begabung. Ich habe erst aufgehört, als sie krank wurde. Als wir wussten, sie würde sterben, da erst habe ich realisiert, was ich ihr angetan habe.“

„Und du machst das weiter. Das sollst du mir sagen.“

„Nein. Jetzt muss ich mir nichts mehr beweisen.“

„Genau. Ich hatte bereits einen Fremdgänger. Tu mir das nicht an. Nicht schon wieder.“

„Du meinst aber nicht Gregor.“

„Nein. Ich meine Harry Kemper.“

„Was? Der geniale Anwalt? Das ist ein Scherz, oder? Der sieht aus wie ein Sack Bohnen.“

„Ja. Tut er. Aber wenn er dich eingewickelt hat, hältst du ihn für den begehrenswertesten Mann der ganzen Welt. Der würde sogar dich einwickeln.“ ich muss lächeln. „Aber der interessante Teil kommt dann im Schlafzimmer.“ sage ich und erröte.

„Der hat im Bett was zu bieten? Was könnte das sein?“

„Ja. Was könnte da wohl sein? Aber es ist vorbei mit Harry. Lange schon.“

„Bist du sicher?“ fragt er eifersüchtig.

„Absolut, mein kleiner Fremdgänger.“ sage ich spitz.

„Ich… ach, du glaubst es ja doch nicht.“

„So ist es. Meinst du, wir könnten uns was zu essen bestellen? Raus können wir ja nicht.“

„Ich habe gekocht. Deshalb habe ich dich gesucht.“

„Ist Carina wieder weg?“

„Ja. Sie hat sich Sorgen gemacht, weil mein Telefon ausgeschaltet war.“

„Du hattest eine Menge zu tun. Warum sagst du mir das nicht, Robert?“

„Ich werde nicht fürs Rumsitzen bezahlt.“ grinst er.

Stimmt. Er hat sogar sein Telefon wieder eingeschaltet, das nun auch brav läutet.

„Ja. Durchlassen.“ sagt er.

„Dein toller Harry kommt. Soll ich schon mal das Bett aufschlagen?“ sagt er böse.

„Nein. Er kann es auch gut auf dem Teppich.“ sage ich scherzhaft. „Du.“ sagt er drohend und zeigt mir dem Finger auf mich. Dann besinnt er sich und führt Harry herein, bevor er die Tür unsanft hinter uns schließt, damit ich mit Harry den Teppich ausprobieren kann.

„Na, mein Engel. Du wirst staunen, was Onkel Harry für dich hat.“ Hoffentlich nicht in seiner Hose, denke ich. Robert ist imstande und schneit hier eifersüchtig herein. Harry küsst mich rechts und links und legt dabei in alter Gewohnheit die Hand auf eine meiner Brüste. Ich schlage seine Hand weg.

„Was hast du? Außer einer Erektion?“

„Die habe ich heute zuhause gelassen. Wir sind ja bei feinen Leuten.“ grinst er breit und setzt sich. „Ich habe seinen Sohn. Was sagst du dazu?“

„Habe ich doch Recht gehabt.“ sage ich triumphierend.

„Ludwig Vandenberg. Gerade zwanzig.“

„Dann kann er nur von Yvette sein. Sie heißt auch Vandenberg.“

„Genau.“ er fixiert meinen Ausschnitt. „Wenn du einen Knopf öffnest, sage ich dir auch, warum er es nicht gewesen sein kann.“

Gegen Harry habe ich sowieso keine Chance. Er wird es mir nicht sagen, wenn ich nicht tue, was er verlangt. Seufzend öffne ich einen Knopf.

„Du trägst keinen BH? Ah. Du hast was mit diesem großen Adonis, habe ich Recht?“

„Das geht dich nichts an. Warum kann er es nicht gewesen sein, Harry?“

„Er ist schwerstbehindert. Ein Pflegefall. Und zwar immer schon. Er hat einen Gendefekt. Und beide Vandenberg-Brüder sind Träger. Schmink dir also alle Kinderpläne ab. Lass dir von mir eins machen.“

„Woher weißt du das? Wen hast du dafür flachgelegt?“

„Das halbe Pflegeheim. Also das Personal. Nicht die Insassen.“

„Und wo ist dieser Bruder?“

„Den habe ich noch nicht. Er ist wie vom Erdboden verschluckt. Ach, noch was. Gregor gilt offiziell als Vater, ist es aber nicht. Vater ist sein Bruder. Ich habe mir überlegt, ob wir überhaupt Gregor vor uns haben. Vielleicht ist es der Bruder.“

„Da kann ich dir leider nicht helfen. Ich kann dir aber versichern, dass der Mann, den ich geheiratet habe, jetzt im Knast sitzt. Er ist es eindeutig.“

„Das meine ich nicht. Vielleicht haben sie irgendwann die Rollen getauscht.“

„Ist das überhaupt von Belang, ob es Gregor oder Frank ist? Was macht den Unterschied. Er ist der Mann, den ich geheiratet habe. Was machst du dir für verquere Gedanken? Wirst du alt?“ Harry wird bald 55. Ein ganz heikles Thema. Dann ist nämlich sein Leben fast vorbei und er hat noch nicht einmal einen bedeutenden Teil der weiblichen Weltbevölkerung zum Orgasmus gebracht.

„Du verklemmte Ziege. Wie hast du Gregor herumbekommen? Macht ihr etwas anderes außer Sex?“

„Ja. Wir spielen Schach, du Genie.“

„Und was machst du mit diesem Adonis?“

„Wilden, hemmungslosen Sex.“ grinse ich.

„Hemmungslos? Du?“

„Ja. So ist es. Du bist nicht der einzige, der gut bestückt ist. Und wenn du es Gregor erzählst, beiße ich ihn dir ab.“

„Nein. Den brauche ich noch.“

„Hast du diese Poppy aufgetrieben?“

„Oh, ja. Die hat Spinnweben an ihrem Schlüpfer. Was meinst du, wie dankbar die war. Gregor hat sie zurück in den Pferdestall geschickt, weil sie Kinder haben wollte.“

 

„Jetzt wissen wir ja auch, warum. Wir müssen diesen Frank auftreiben.“

„Ja. Was bekomme ich dafür?“ er steht auf und kommt auf mich zu. Dann umarmt er mich.

„Du weißt ja gar nicht, was du verpasst, Nathalie.“ flüstert er sinnlich. Meine Nackenhärchen stellen sich auf bei diesem Ton. „Ich liebe deinen Arsch. Was meinst du, wie schön es ist, dort einzudringen. Ganz tief. Du wirst es lieben, mich so tief in dir zu fühlen. Ruf mich an, wenn du soweit bist.“ er greift mir in den Ausschnitt und drückt meine Brust. „Bei dir mache ich es ohne Gummi, damit du fühlen kannst, wie ich in dir komme. Es wird wundervoll werden, ganz tief in dir abzuspritzen.“

„Du bist ekelhaft, Harry. Widerlich. Wie konnte ich dich nur lieben.“

„Du tust es noch.“ sagt er und küsst mich auf den Mund. Aber ohne Zunge. So vorsichtig ist er dann doch.

„Ich rufe dich zwischendurch an. Vielleicht willst du dich mal berühren, wenn es dir langweilig ist.“ sagt er heiser. Er ist erregt.

„Ich kann dich mal berühren, wenn es mir langweilig ist, du Arschloch. Raus mit dir.“

„Du meinst das jetzt nicht so. Ich kenne dich.“

„Ja. Manchmal fehlst du mir.“ sage ich ehrlich.

„Du mir auch.“ er streichelt mir sanft über die Wange. Dann schließt er den Knopf an meinem Kleid. „Ich rufe dich an, mein Engel.“

„Ja. Mach das. Ich bringe dich raus.“

Robert steht in der Küche und hat die Fingerknöchel an den Mund gepresst. Er sieht mich äußerst eifersüchtig an.

„Du hast ihn geliebt und tust es noch.“ sagt er.

„Ja. Aber nicht in der Art, wie ich dich liebe. Es ist eine Vertrautheit zwischen uns. Etwas, das nicht mehr weggeht. Das ist einfach so.“

„Eine Vertrautheit, die nicht mehr weggeht?“

„Ja. Ich habe ihn einmal sehr geliebt. Das kann man nicht einfach ungeschehen machen. Was ist jetzt mit dem Essen?“ ich lächele ihn an. Darüber will ich jetzt nicht diskutieren.

„Wie kann man den lieben? Hast du was an den Augen?“

„Darauf kommt es nicht an. Er hat Qualitäten, die das optische weit überwiegen. Kannst du jetzt bitte damit aufhören? Ich habe ihn nicht engagiert. Das war Meisler.“

„Was für Qualitäten?“

„Er ist sehr sinnlich. Können wir jetzt gehen?“

„Sinnlich. Ein Könner, ja?“

„Ja. So ist es. Er ist eine Offenbarung im Bett. Robert, lass uns jetzt gehen, ja, bitte.“

„Und warum hast du dich dann von der Offenbarung getrennt?“

„Weil er alle Welt beglücken will. Er denkt es ist eine Berufung. Ich glaube nicht, dass du deine Abenteuer so betrachtet hast.“

„Nein. Ich wollte beweisen, wie toll ich bin.“

„Ja. Du kannst es mir gleich beweisen, wenn ich bis dahin nicht verhungert bin.“

„Hat er dich angefasst?“

„Nein. Er wollte mich bequatschen. Und wenn du mir was zu essen gibst, verrate ich auch, was er gesagt hat.“ sage ich lockend. Mit Robert kann ich darüber reden.

„Ja. Das klingt fair. Dann komm. Bevor du mir hier noch zusammenbrichst.“

Robert serviert mir an einem perfekt gedeckten Tisch eine Hühnersuppe mit so federleichten Klößchen, dass ich sie fasziniert von allen Seiten betrachte. Sie schmelzen auf der Zunge.

Dieses Essen wäre eines Sternerestaurants würdig. „Wie macht man die?“ frage ich interessiert.

„Du bist zuerst dran. Vielleicht verrate ich es dir dann.“ grinst er.

„Also schön. Er möchte mit mir etwas machen, was ich noch nie gemacht habe. Er will es ohne Kondom tun, damit ich fühlen kann, wie er in mir kommt.“

„Das ist nichts besonderes.“ sagt er misstrauisch. „Das tun wir auch.“

„Nein. Das tun wir nicht.“

Er sieht mich an. „Das tun wir nicht?“

„Nein. Ich muss mich dabei nicht hinknien.“

Ich kann es einfach nicht aussprechen. Harry hat Recht. Ich bin verklemmt.

„Ach. Ich weiß, was du meinst.“ er lacht. „Hat etwas länger gedauert. Du hast das noch nie gemacht?“

„Nein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Spaß macht.“

„Doch macht es. Es ist völlig anders.“

„Das tut nicht weh?“

„Nein. Wenn man es liebevoll tut, ist es schön.“

„Für wen? Für dich wahrscheinlich.“

„Nein. Auch für dich. Willst du es einmal ausprobieren?“

Ich werde rot. Wenn Robert sagt, es ist schön, glaube ich ihm das.

„Vielleicht.“

Er lehnt sich zurück und spielt mit seinem Löffel. „Mit mir würdest du das tun. Mit ihm nicht?“

„Es hörte sich so vulgär an, wie er darüber sprach. Er fing immer wieder damit an.“

„Heute auch.“

„Ja.“

„Hättest du jetzt nicht nein sagen können?“

„Ich war schon immer für Ehrlichkeit. Ich weiß nicht, warum ich dir das verschweigen soll. Er hat es mir nur zugeflüstert.“

„Vergleichst du mich manchmal mit Gregor?“

„Entschuldige, Robert, aber das kann man wirklich nicht vergleichen. Er liebt nicht so göttlich, wie er aussieht.“

„Nein?“ fragt er erstaunt.

„Nein.“

„Aber Harry tut das.“

„Fängt das schon wieder an? Wenn mir soviel daran liegen würde, hätte ich mich ja kaum von ihm getrennt.“

„Stimmt auch wieder.“ Er steht auf und trägt die Teller zurück in die Küche.

„Willst du nicht wissen, was er für Neuigkeiten hatte?“ Ich gehe hinter ihm her.

„Ja. Erzähl mal. Ich bin ganz in meiner Eifersucht gefangen.“

„Gregor hat einen Sohn. Unglaublich.“ sagt er, als wir auf der Couch sitzen, ein Glas Wein vor uns. Also sitzen ist vielleicht der falsche Ausdruck. Er sitzt, ich liege und habe meine Beine über seine gelegt, so dass er mich streicheln kann. Ja. Genau dort. Ich liebe es, wenn er das tut. Gregor wäre nie auf diese Idee gekommen. Sex nur im Bett. Und nach festem Ablaufplan. Küssen, Busen streicheln, fühlen, ob ich feucht genug bin und dann eindringen. Gut, Harry hatte die Messlatte ziemlich hoch gehängt. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass noch andere so wundervolle Liebhaber sein könnten. Und es hat mir mit Gregor ja auch gefallen. Er flüsterte mir zärtliche Dinge ins Ohr dabei. Das hatte mir gereicht. Es war mir auch nicht so besonders wichtig gewesen. Viel wichtiger war mir seine zärtliche Art, sein zurückhaltendes Wesen und die Fürsorglichkeit, die er an den Tag legte. Meine liebste Erinnerung ist die, als er mir die Blätter aus den Haaren klaubte, als ich gegen ihn rannte.

„Magst du mir von Harry erzählen?“ fragt Robert.

„Was willst du hören? Dass wir zwei uns in unserer Unordnung prima ergänzten? Wenn Harry keine Putzfrau gehabt hätte, hätte er noch nicht einmal seine Akten wieder gefunden. Einmal wollten wir in Urlaub fliegen. Das ging aber leider nicht, weil wir die Tickets nicht fanden. Auf die Idee, im Koffer nachzusehen, sind wir beide nicht gekommen. Harry lebt nicht in unserer Dimension. Er ist in Gedanken ständig woanders. Manchmal ist er aus dem Bett gesprungen, weil ihm etwas zur Verteidigungsstrategie einfiel, das er sich notieren musste.“ Ich muss lachen. „Der ist verrückt. Auf eine eigene, geniale Art. Und er hat ein gutes Herz. Er forscht nach, was es in Gregors Leben so wichtiges gibt, weil er mir damit einen Gefallen tut. Eigentlich müsste er böse auf mich sein. Ist er aber nicht. Er ist einfach nur nett.“

„Warum ist es so wichtig für dich, zu wissen, warum Gregor das tut?“

„Das schlimmste für mich ist, dass ich die Gründe nicht weiß. Wenn ich es wüsste, wäre ich vielleicht nicht so verletzt.“

„Wirst du ihn verlassen?“

„Auf jeden Fall. Aber ich glaube, wenn ich ihn verlasse, verliere ich auch dich.“

„Wieso?“

„Da sind wir wieder beim alten Thema. Du siehst das nur auf Zeit. Ich nicht. Ich muss abwarten, wie es sich entwickelt. Aufgeben werde ich auf jeden Fall nicht.“

„Eine Entscheidung wird dir leichter fallen, wenn du weißt, warum ich hier bin.“

„Ich habe mich bereits entschieden. Aber du bist noch nicht soweit.“

„Deswegen solltest du dir meine Geschichte anhören, Nathalie.“

„Nicht heute.“

Ich denke gerade, dass es schöner sein wird, wenn wir ins Schlafzimmer gehen, da klingelt mein Telefon. „Was willst du Harry?“ Robert hat mir das Telefon gegeben und ich bin liegen geblieben.

„Ich hoffe, du sitzt, Nathalie.“

„Eigentlich liege ich.“

„Noch besser. Das Verfahren wird eingestellt. Dein Schnuckel kommt nach Hause. Da freust du dich aber, was?“ sagt er hämisch.

„Das ist hoffentlich ein Scherz, Harry.“ Ich schalte den Lautsprecher ein.

„Nein. Keine Schmauchspuren an den Händen, keine DNA an ihrer Leiche, nachgewiesenes Alibi. Es gibt nicht den kleinsten Zweifel, dass er es NICHT gewesen ist. Hört dein Adonis zu?“

„Nein. Ich habe den Lautsprecher an, weil ich gerade beschäftigt bin.“

„Ich könnte das für dich tun.“ sagt er anzüglich.

„Ja. Ich weiß. Und du machst das richtig gut. Leg dir mal eine scharfe Sekretärin zu.“

„Die ist scharf. Die sieht nur nicht so aus.“

„Dann passt ihr ja gut zusammen.“

„Höre ich da Eifersucht? Ich habe es dir angeboten. Ich höre deine kleinen, verzückten Schreie schon, wenn ich in dir bin.“ sagt er in diesem unwiderstehlich sinnlichen Ton. Robert nimmt seine Hand weg.

„Ich höre mich verzückt schreien, wenn du mir die Rechnung schickst. Leb wohl, Harry.“

„Und? Wo bleibt deine Eifersucht?“ sage ich, als ich das Handy auf den Tisch geworfen habe.

„Gregor kommt zurück.“ sagt er tonlos. So schnell haben wir nicht damit gerechnet. Ja. Gregor kommt zurück. Vielleicht heute schon. Was machen wir jetzt?

„Ich muss weg. Ich gehe zurück in meine alte Wohnung. Ich kann doch nicht mit ihm – nein. Das kann ich nicht. Mit dir oder gar nicht.“ sage ich entschlossen.

„Du wirst dich mit ihm zeigen müssen.“

„Ich muss gar nichts. Er ist verrückt.“

„Nein. Er hat einen Grund, das getan zu haben. Er ist nicht verrückt. Ich glaube nicht, dass er herkommt.“

„Warum sollte er nicht? Er sagte, er sehnt sich nach mir.“

Ich ziehe mein Höschen wieder an. „Ich muss weg, Robert. Nur in meiner Wohnung können wir uns sehen. Du willst mich doch sehen?“

Er sieht mich lange an. Ich befürchte schon, dass er jetzt nein sagt und halte die Luft an.

„Was für eine Frage, Nathalie.“

Ich atme auf. „Erschreck mich doch nicht so.“

„Also los. Kofferpacken ist unnötig.“

„Unnötig? Ich soll das alles hier lassen?“

„Nein. Es ist schon weg. Ich muss allerdings zugeben, das war Frau Römers Idee, nicht meine.“

„Es ist schon weg? In meiner Wohnung?“

„Ja. Aber nicht alles. Einen Schrank brauche ich auch.“

„Wie meinst du das?“

„So, wie ich es sage.“

Er nimmt meinen Schmuckkoffer aus der Kommode im Wohnzimmer. „Den willst du bestimmt selbst nehmen, oder?“

„Du hast das alles schon geplant?“

„Nein. Ich sagte doch, Frau Römer war das.“

„Das glaube ich nicht.“

„Du kannst sie morgen anrufen.“ sagt er knapp und holt mein Beautycase aus dem Bad.

„Halt, warte. Willst du ohne deine Fotos gehen?“

„Nimm sie mit.“ sagt er und ich greife mir die 2 Bilderrahmen im Schlafzimmer.

 

„Robert? Du fühlst dich doch nicht dazu gezwungen, oder?“

„Doch. Irgendwie schon. Hier.“ Er legt die Hand auf die Brust. „Hier sagt mir etwas, dass es richtig ist.“

Ein paar unermüdliche Reporter sind noch da. Aber sie lassen uns durch, nachdem sie ein paar Fotos gemacht haben. Ich habe mir eine Sonnenbrille auf die Nase gesetzt und blicke stur nach unten auf meine Knie. Robert hat Thomas mitgeteilt, dass ich in meine alte Wohnung fahre. Er nimmt das zur Kenntnis. Er denkt sich nichts dabei. Es ist gegen Mitternacht, als wir an meiner Wohnung ankommen. Wir haben nicht gesprochen auf der Fahrt. Auf dem Weg in mein neues Leben, denke ich. Zum zweiten Mal. Was Robert wohl denkt? Seinem Gesichtsausdruck ist nichts zu entnehmen. Robert nimmt den Schlüssel aus der Tasche und reicht ihn mir. „Den hätte ich glatt vergessen.“ sage ich und öffne die Tür. Er trägt Kosmetik- und Schmuckkoffer, ich habe mir seine Fotos vor die Brust gedrückt. Es ist ganz merkwürdig, als wie die Haustür hinter uns schließen. Als hätten wir etwas Verbotenes, Unglaubliches getan. Ich mache überall Licht. Die Fotos stelle ich im Schlafzimmer auf, weil sie auch bei Robert da gestanden haben. „Das nicht.“ sagt er und nimmt das Foto, das ihn mit Frau und Tochter zeigt, weg und legt es in eine Schublade.

„Das ist schwer für dich, Robert. Ich weiß das. Hoffentlich bereust du es nicht.“ sage ich und fange an zu weinen. Ich lege den Brillantring und den Ehering in den Nachttisch. Damit ist die Sache in meinem Herzen für mich abgeschlossen. Nur ist sie das nicht. Und wir beide wissen dass ganz genau. Es war erst der Anfang.

Wir haben aneinander geklammert geschlafen. Nicht besonders gut. Wir beide nicht. Ich bin früh wach und betrachte ihn, wie er schlafend neben mir liegt. Er hat seinen ganzen Schutz für mich aufgegeben. Ich weiß nicht, was passiert ist, dass er sich so versteckte. Aber er hat es aufgegeben. Für mich. Ich nehme mir ein Kleid aus dem Schrank, werfe es über und gehe in die Küche. Er hat sogar eingekauft. Er wusste, dass es bald soweit sein würde. Ich befülle die Kaffeemaschine und gehe ins Wohnzimmer, um die Balkontür zu öffnen. Wie mir dieser Blick gefehlt hat. Die Geräusche, wenn die Stadt erwacht. Da draußen war ich von der Welt abgeschnitten. Hier bin ich mittendrin. Ich nehme meinen Geldbeutel und laufe schnell hinüber zur Bäckerei, wo mich die Verkäuferin freudig begrüßt. Sie kennt mich als Frau Brenke, die gegenüber wohnt. Schöne Frisur, sagt sie. Dann packt sie mir verschiedene Brötchen und Croissants ein. Ich nehme noch die Tageszeitung mit. Robert ist gerade aufgewacht und kommt nackt in die Küche. Er umarmt mich von hinten. Sein Körper ist so warm und es fühlt sich so gut an, wie er mich im Arm hat. „Frühstück auf dem Balkon? Dann muss ich mir ja was anziehen.“ sagt er.

Ich decke draußen, während er sich duscht und anzieht. Ich kann mal etwas für ihn tun. Wie schön das ist. Aber ich habe das Gefühl, der Frieden hält nicht lange an. Ich nippe an meine Kaffee und blättere die Zeitung durch. Von Gregor steht noch nichts drin. Morgen sind die Blätter bestimmt wieder voll davon.

Robert küsst mich und nimmt Platz. „Neuigkeiten?“

„Nein.“

„Kommt noch.“ sagt er. Er nimmt sich ein Croissant, beißt hinein und sieht mich nachdenklich an.

„Nathalie, ich muss es dir jetzt sagen. Ich stand auch einmal in der Zeitung. Vor fünf Jahren.“

„Hast du auch einen Mord gestanden?“

„So ähnlich. Man nennt es Töten auf Verlangen. Und ich habe es wirklich getan.“

„Bei deiner Frau.“

„Ja.“

„Und wie?“

„Ich habe sie erschossen.“

„Mein Gott.“ ich starre ihn an.

„Ja. Es war ein Riesenpresserummel. Dass du das nicht mitbekommen hast.“

„Vor fünf Jahren? Da war ich wahrscheinlich gerade mit Harry beschäftigt.“ sage ich beschämt.

„Bist du verurteilt worden?“

„Ja. Freispruch. Die Presse hat geschäumt.“

„Und dann? Was war dann?“

„Ich wollte nicht mehr leben. Als ich aus dem Gericht kam, als freier Mann, schien mir alles so sinnlos. Ich musste es tun. Sie hat geschrieen vor Schmerzen. Und dann war es vorbei und mein Leben war sinnlos. Ich wollte mich auch erschießen, aber ich konnte es nicht. Ich dachte, Carina wäre besser ohne mich dran. Ihr Vater, ein Mörder in meinen Augen. Dann bin ich samstags ins Werk gefahren und bin auf das Hallendach geklettert. Ich dachte, wenn mich einer der Arbeiter findet, wird er das schon verkraften. Sie sind Männer aus dem Leben, keine so verweichlichen Typen wie ich. Also bin ich da rauf geklettert. Ich saß da oben und unter mir der Mordskrach. Ich konnte nicht ahnen, dass meine Sekretärin auf den Balkon meines Büros stand und eine Zigarette rauchte. Sie hat mich gesehen und den Notruf gewählt. Dann kam ein Psychologe hochgeklettert, der mich zusülzte. Ich war derart betrunken, dass ich ihn richtig nett fand. Und als er dann dachte, er hätte mich soweit, ging ich rückwärts an das Hallendach und ließ mich einfach hinunterfallen. Das war der schönste Moment meines Lebens. Ich war einmal frei.“

„Aber du bist hier.“ sage ich atemlos.

„Ja. Wie gesagt, es war furchtbar laut auf dem Hallendach. Und der Psychologe wollte mich gar nicht davon abhalten, zu springen. Er wollte mich einfach nur davon abhalten, nach unten zu sehen, wo sie ein riesiges Kissen aufgeblasen hatten, auf das ich dann fiel.“ er lächelt.

„Dann ging ich in die Klinik, in der ich Gregor kennen lernte. Es ist übrigens nicht wahr, dass Gregor, als er das Grab für Otto grub, zum ersten Mal etwas selbst tat. Er hat hunderte Blumen gepflanzt.“ grinst er. „Wir dachten, es sei eine gute Idee, wenn wir beide Freunde blieben. Und er bot mir den Job an.“

„Was hast du mit der Firma gemacht?“

„Zuerst wollte ich sie schließen. Und dann verschenken. Aber ich habe an Carina gedacht und habe einen Geschäftsführer eingestellt. Und siehe da, er macht das genau so gut wie ich.“

„Aber du willst nicht in dein altes Leben zurück?“

„Eventuell. Mit dir. Wenn du das kannst, nachdem, was du gerade gehört hast.“

„Das wird die Presse freuen. Ich wechsle von Gregor, der nur sagt, er hätte jemanden getötet, zu jemandem, der es getan hat. Mann. Die werden begeistert sein. Mir macht das nichts aus. Aber dir.“

„Mir? Du ahnst ja nicht, wie sie sich über mich schon ausgelassen haben. Du musst entscheiden, ob du das kannst.“

„Ich will dich nicht dazu zwingen. Du kannst auch den Hausmann spielen und ich arbeite als Anwältin. Oder du arbeitest weiter bei Gregor. Vielleicht hast du Glück und er ist so vornehm, dass er die Schlampe Nathalie nicht mehr erwähnt. Oder du schreibst Bücher über merkwürdige Dinge, die sich nur einem Buchhalter erschließen. Ich brauche kein Haus, in dem man ein Hotel unterbringen könnte. Ich brauche auch keinen Privatjet.

Ich brauche nur einen Mann, der mich nachts in den Armen hält, mich tagsüber zum Lachen bringt, der mal mit mir tanzen geht und den ich lieben kann.“

„Du hast dich also entschieden, ja?“

„Das hatte ich doch bereits, bevor du mir das gesagt hast. Nur diese eine Sache macht mir zu schaffen. Wer sagt mir, dass dir Nathalie nicht langweilig wird?“

„Oder dir Robert und du willst lieber zum aufregenden Harry?“

Wir verbringen eine wundervolle, verkuschelte Woche miteinander. Robert weiht mich in die Geheimnisse der guten Küche ein. Es ist einfach perfekt. Nur, dass ich nichts, nicht ein Wort, über Gregor in der Zeitung lese. Die Presse müsste es doch mitbekommen haben, wenn er draußen wäre. Als Robert zum Supermarkt geht, rufe ich Harry an.

„Nathalie.“ sagt er reserviert.

„Harry, wo ist Gregor?“

„Im Knast.“ sagt er böse.

„Hat er es doch getan?“

„Nein. Er hat die Staatsanwältin gewürgt.“

„Was hat er getan?“

„Ja. Er hat sie gewürgt. Aber diesmal hat er nicht verraten, warum er das getan hat.“

„Weil sie seine Geschichte nicht glaubt.“

„Das klingt aber sehr unwahrscheinlich, oder? Wo bist du? Immer noch in diesem Haus?“

„Nein. In meiner alten Wohnung. Mit Robert.“

„Der ist ja auch eine Nummer. Weißt du, wen du dir da geangelt hast?“

„Ja. Weiß ich.“

„Mann, muss der gut im Bett sein. Ist seiner größer?“

„Beim letzten Mal hast du mir noch vorgeworfen, verklemmt zu sein.“

„Mein Angebot steht noch. Du wirst es nicht bereuen.“ sein Ton wird wieder sinnlich. „Schatz, willst du mir ein bisschen zuhören?“

„Hast du nicht Sex genug? Musst du auch noch im Büro an dir herumfummeln?“

„Ich denke daran, was ich mit dir machen würde, Nathalie. Warum kommst du nicht her und ich verwöhne deine Muschi ein bisschen mit der Zunge? Du weißt doch, wie gut das tut.“