Der Zirkel

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„Aber du?“



„Ich weiß wenigstens, warum er sich schlagen lässt.“



„Weil es ihm scheinbar Freude macht.“



„Nein. Es macht ihm keine Freude. Das Schlagen jedenfalls nicht. Das, was danach kommt.“



„Was danach kommt? Er treibt es dann mit dieser Frau?“



„Nein. Er masturbiert. Wichtig ist, warum er das tut.“



„Es ist wichtig, warum er masturbiert?“



„Warum das ganze.“



„Ich will es heute nicht wissen.“



„Doch. Ich sage es dir. Es ist wichtig.“



Und dann sitzt er auf dem Bett, hat den Fernseher stumm geschaltet und den Blick darauf geheftet. Er erzählt von Yvette, Gregors Stiefmutter.



„Er hat was mit seiner Stiefmutter. Und dafür hat er jetzt jemanden umgebracht?“



„Ich denke, dass er sie umgebracht hat.“



So weit habe ich noch gar nicht gedacht. Er macht sie verantwortlich für sein Elend. Aber warum hat er damit 30 Jahre gewartet? Es ist bestimmt nicht Yvette.



Doch. Es ist Yvette. Und jetzt, nachdem ich das Foto gesehen habe, das veröffentlicht wurde, kann ich auch Gregors Faszination für diese wunderschöne Frau nachvollziehen. Es zeigt sie scheinbar in dem Alter, als Gregor 15 Jahre alt war. Ich habe mich hinter Robert gehockt und die Arme fest um ihn geschlungen. So verfolgen wir beide atemlos und ungläubig die Nachrichtensendung.



Wir sitzen bis tief in die Nacht so auf dem Bett, den Blick auf das Foto gerichtet, das Gregor sympathisch lächelnd zeigt. Es ist das Foto aus der Imagebroschüre von Vandenberg Automotive. Robert hält fest meine verschwitzen Hände. Die Härchen in seinem Nacken kräuseln sich, weil es so warm ist. Aber um nichts in der Welt würde ich ihn jetzt loslassen. Er ist mein einziger Halt in diesem Alptraum.



„Robert? Bei der Geschichte mit Yvette hast du einen jüngeren Bruder erwähnt. Frank. Wo ist der? Gregor hat nie von ihm gesprochen. Warum gehört ihm die Firma alleine? Müsste Frank nicht auch Anteile haben?“



„Ich habe ihn nie gesehen. Tut mir leid. Nur als er mir von Yvette erzählte, kam er zur Sprache.“



Ich küsse ihn auf die feuchten Härchen. „Sag mal, Yvette war ungefähr 10 Jahre älter als Gregor. Mitte Zwanzig. Vielleicht hat er sie wieder getroffen? Es gibt vielleicht ein Kind.“



„Möglich. Es kann auch sein, dass seine Geschichte nicht so ganz stimmt. Er könnte mit ihr geschlafen haben, als er 15 war. Dann könnte das Kind jetzt Ende Zwanzig sein.“ überlegt er.



„Und für mein Kind, das Kind der über alles geliebten, wundervollen Yvette – würde ich dafür einen Mord gestehen, den ich nicht begangen habe? Bestimmt. Ich bin zwar keine Mutter, aber ich kann mir das vorstellen. Was meinst du? Du hast ein Kind.“



„Menschen tun die merkwürdigsten Dinge aus allen möglichen Gründen. Ich würde für meine Tochter sterben. Aber würde er das für sein Kind tun? Ist er zu solchen Gefühlen fähig? Wenn er es so liebt – warum kennt es niemand? Er wäre doch stolz auf dieses einmalige Kind.“



„Vielleicht stimmt etwas nicht mit ihm? Gregor ist ein Ästhet. Eine optische Anomalie vielleicht?“



„Nein. So ist er nicht. Deine Vorgängerin, Poppy, hättest du zwischen Pferden verstecken können und niemand hätte sie erkannt.“ grinst er amüsiert.



„Poppy?“



„Eine Engländerin. Blond, Börsenmaklerin aus London Tweedkostüm und flache Schuhe.“



„Und was hat er an ihr gefunden?“



„Sie hatte etwas Mütterliches an sich. Etwas Bodenständiges.“



„Ah, im Dekollete.“



„Nein. Da ausgerechnet nicht.“ er lacht.



„Bist du nicht müde, Robert?“



„Doch. Aber du wirst drüben schlafen. Und darauf habe ich gar keine Lust.“



„Was? Ich schlafe doch nicht drüben. Ganz alleine. Kommt nicht in Frage. Du bist für mein persönliches Wohlbefinden zuständig. Und das finde ich heute leider nur hier. Keine Widerrede, sonst arbeitest du ab morgen nur noch halbtags.“



„Erpresserin. Also los. Ab ins Bett.“ er schaltet den Fernseher aus und klettert zu mir ins Bett. Ich kuschele mich in seinen Arm. So geborgen wie bei ihm habe ich mich im Leben noch nie gefühlt.



„Wir müssen abwarten, was Meisler sagt. Und wir müssen damit rechnen, dass wir befragt werden.“



„Ich habe nichts zu verbergen. Wann stehst du normalerweise auf?“



„Um sechs.“



„Dann haben wir noch drei Stunden.“



„Du kannst länger schlafen. Immerhin bist du gestern schreiend zu mir gekommen, als du im Fernsehen gesehen hast, wie man deinen Mann verhaftet hat. Dafür wird jeder Verständnis haben.“



Ich schlinge mein Bein über seinen Oberschenkel und ich kann die Hitze in seinem Schoß fühlen. Und er die meines Schoßes.



„Das habe ich mir so lange gewünscht, Nathalie.“ seufzt er glücklich.



„Du hättest ja vorher mal was sagen können. Ich hätte dich vor Gregor kennen lernen sollen.“



„Jetzt kennst du mich ja. Und ich überlege, ob ich dich überhaupt noch einmal herausrücken soll.“



„So etwas hat Gregor nie zu mir gesagt.“ murmele ich schläfrig.



„Ich dachte, er sei so charmant.“



„Floskeln. Alles angelesen. Jetzt will ich herausfinden, ob du schnarchst. Schlaf gut, Robert.“



„Du auch.“



Ich schlafe wie ein Stein. Als der Wecker uns mit Musik weckt, habe ich mich noch nicht einmal bewegt. Meine Hand liegt noch immer auf Roberts Brust.



„Ich gehe jetzt rüber, bevor Frau Römer kommt. Du schläfst noch ein bisschen. Ich hole dich falls die Polizei hereinschneit.“ er gibt mir einen zärtlichen Kuss und beschmust noch ein wenig meine Brüste, bevor er unter die Dusche geht. Wie wundervoll es hier im Bett nach ihm riecht. Ich erwache erneut gegen neun Uhr. Alleine in Roberts Bett. Ich streichle zärtlich über sein Kopfkissen. Hier bin ich wie in einem samtigen Kokon und Gregor und seine furchtbare Tat sind ganz weit weg. Ich schwinge die Beine aus dem Bett. Hier lebt er also, der diskrete Robert, dessen Aufgabe es ist, Gregors Vertrauter zu sein und ihm den Rücken frei zu halten. Und er ist so loyal, dass er die Nachtschicht auch noch gleich übernimmt. Ich kann mich in Ruhe umsehen. Ein Foto seiner Tochter steht auf der Kommode. Es zeigt sie mit ihrem Cello. Und ein Foto, das Robert mit ihr und seiner Frau zeigt. Wie schön sie war und wie glücklich sie auf dem Bild aussieht. Was für eine nette Familie. Wie aus dem Bilderbuch.



Ein Windlicht steht daneben und ein paar Bücher sind aufgestapelt. Neugierig nehme ich sie in die Hand. Der Jagdhund. Rebecca von Daphne du Maurier (er liest so etwas? Wie ungewöhnlich). Personalführung im Kleinbetrieb (Das Vandenberg-Haus wahrscheinlich) und ein paar rätselhafte Bücher über Buchhaltungs- und Bilanzierungstechniken. Ich will sie schon wieder weglegen, da fällt mir der Autor auf. Dr. Robert Zorn. Er schreibt Fachbücher? Was hat er dann hier verloren? Ich sehe mir einen Klappentext an. „Geschäftsführer der Zorn und Söhne Textilmaschinen…“ lese ich. Ich sehe mir das Erscheinungsdatum an. Vor fünf Jahren. Und danach muss etwas geschehen sein, sonst würde er sich nicht hier vergraben. Sorgfältig lege ich die Bücher zurück und beschließe, kein Wort darüber zu verlieren. Es geht mich nichts an. Er hätte die Bücher leicht vor mir verbergen können, aber er hat es nicht getan. Wenn er darüber reden möchte, wird er es tun, davon bin ich überzeugt. Aber bis dahin werde ich schweigen. Ich ziehe mich an. Duschen werde ich in meinem eigenen Bad. Ich bringe das Bett in Ordnung und öffne das Fenster, bevor ich gehe.



Es wird wieder heiß werden heute. Der Garten riecht betäubend nach Blütenduft. Der Rasensprenger ist noch an, weil der Rasen zu dieser Zeit noch im Schatten liegt. Erst wenn die Sonne gegen Mittag gewandert ist, wird er von der Sonne beschienen. Als ich das Haus über die offene Terrassentür betrete, höre ich Roberts Stimme aus dem Foyer. Wie wohltönend sie ist. Er ist daran gewöhnt, vor Menschen zu reden, genau wie Gregor. In einfühlsamen Worten weist er darauf hin, wie schwierig die Situation ist und wie sie sich bitte Frau Vandenberg gegenüber verhalten. Man möge sie nicht auf das ansprechen, was geschehen ist. Er erinnert das Personal an die Verschwiegenheitsklausel in ihrem Arbeitsvertrag, deren Nichteinhaltung mit einer hohen Strafe belegt ist. Er würde dafür Sorge tragen, dass sie nicht übermäßig durch die Presse belästigt würden. Sollte es doch dazu kommen, wäre es kein Problem, wenn sie zuhause bleiben würden, natürlich bei vollem Lohnausgleich.



Ich denke, ich höre nicht Recht, als Frau Römer anbietet, hier zu übernachten, damit auch nachts jemand hier sei, an den sich Frau Vandenberg wenden könnte. Ich will mich nur an Robert wenden, und auch nur, wenn er mich im Arm hält. Wahrscheinlich wartet sie darauf, mich dabei zu erwischen, die alte Kuh. Sie ist ungefähr in Roberts Alter und nicht ganz unattraktiv. Sie hat mit Sicherheit ein Auge auf ihn geworfen. Dann sieht sie mich und schweigt betreten. Alle sehen mich an, wie ich in meinem verknitterten Kleid mit wirren Haaren und ohne Schuhe angeschlichen komme.



„Guten Morgen. Guten Morgen, Herr Zorn. Danke für ihre mitfühlenden Worte. Ich komme zurecht. Bitte lassen Sie sich durch mich bei ihren täglichen Aufgaben nicht ablenken. Ich bin sicher, Herr Zorn wird Sie auf dem Laufenden halten, sobald es etwas neues gibt.“ sage ich würdig. Dann gehe ich nach oben. Ich habe Stärke demonstriert und die Absicht hier zu bleiben. Wahrscheinlich haben sie damit gerechnet, dass ich sofort meine Koffer packen werde. Aber das würde so aussehen, als glaubte ich an Gregors Schuld. Er glaubt ja scheinbar selbst daran.

 



Ich stelle mich unter die Dusche und wasche mir schweren Herzens Roberts Duft von meiner Haut. Ich kleide mich äußerst korrekt in ein Business-Kostüm und weiße Bluse, ich krame sogar eine Perlenkette heraus, die ich dazu trage. Als ich fertig bin, sehe ich doch sehr seriös aus, trotz meines interessanten Haarschnitts. Robert klopft an die Tür. „Frau Vandenberg? Ich habe das Frühstück im kleinen Esszimmer richten lassen.“ teilt er mir mit. Genauso unbewegt wie immer.



„Ja. Ich komme. Danke, Herr Zorn.“ ich schlüpfe in meine Pumps. Auf Strümpfe habe ich verzichtet, immerhin möchte ich keinen Hitzschlag bekommen. Als ich mir den Rock glatt streiche, sieht er mich intensiv an und sein Blick ist ein einziges Versprechen. Ich bekomme eine Gänsehaut. Ich gehe stumm neben ihm hinunter ins Erdgeschoss. Der Tisch im kleinen Raum ist für zwei gedeckt und er schließt die Tür hinter uns.



„Du siehst wundervoll aus.“ flüstert er und küsst mich.



„Und du kannst wundervoll reden. Frau Römer war ganz gerührt.“ er rückt mir den Stuhl zurecht und ich nehme Platz.



Robert sieht mich die ganze Zeit über an. Ich kann kaum meinen Toast mit Marmelade bestreichen, so nervös macht mich das. Dann ziehe ich meinen Schuh aus und lege ihm den Fuß in den Schoß.



„Tu das nicht, Nathalie. Kannst du nicht bis heute Abend warten?“ stöhnt er erregt.



„Nein. Kann ich nicht.“



„Bitte. Ich kann doch nicht den ganzen Tag so herumlaufen.“ er zeigt in seinen Schoß.



„Brauchst du nicht.“



Ich schließe die Tür ab. Die Vorhänge sind sowieso wegen der Sonne zugezogen. Niemand wird uns sehen.



„Bleib einfach sitzen.“ flüstere ich und knie mich vor ihn. Dann öffne ich seinen Reißverschluss. „Du bist verrückt.“ sagt er, tut aber nichts, um sich dagegen zu wehren.



„Ja. Nach dir.“ sage ich und nehme das, was ich so begehre, in den Mund. Robert stöhnt leise und verhalten. Er hat eine Hand auf meinem Nacken liegen und mit einer Hand klammert er sich an die Stuhllehne. Diesmal mache ich es langsamer als gestern. Ich liebkose ihn mit der Zunge, was ihn zum Zittern bringt. Er ist groß und prall und es dauert wieder nicht lange, bis er kommt. Aber diesmal schafft er es, außerhalb meines Mundes zu ejakulieren. In eine Serviette. Roberts Atem geht stoßweise. Ich erhebe mich. Er zieht mein Gesicht zu sich herunter und küsst mich. „Ich liebe dich, Nathalie.“ sagt er.



„Ich weiß.“ ich greife nach der Serviette und stecke sie in die Tasche meines Jäckchens.



„Was willst du damit?“



„Meins.“



Er schließt sich seine Hose. „Das habe ich ja noch nicht erlebt.“ grinst er. „Meins.“





Er sieht zum Anbeißen aus, wenn sein akkurates Haar durcheinander ist. Ich bin gerade mit der Hand dadurch gefahren. Seine Augen leuchten. Heute hat er auf sein Jackett verzichtet und trägt zu seinem blütenweißen Hemd eine silbergraue Krawatte. Kein Wunder, dass die Römer scharf auf ihn ist.



„Willst du Gregor besuchen? Er hat ein Geständnis abgelegt. Du kannst zu ihm, wenn du willst. Meisler hat das arrangiert. Er hat jetzt einen Strafverteidiger. Er heißt Kemper, glaube ich.“



Ich sitze auf Roberts Schoß und er streichelt die Innenseite meiner Oberschenkel.



„Harry Kemper?“ frage ich aufgeregt.



„Ja. Kann sein. Kennst du ihn?“



Ich erröte, was ihm nicht entgeht. „Er ist ein Genie. Er ist geradezu begnadet.“



„Du hast also mit ihm geschlafen. Aha. Dann hat Gregor ja nichts zu befürchten. Eine saubere Akte, schwerste Depressionen…“



„Meisler sagt, er hat keine saubere Akte. Drogen.“



„Drogen? Gregor? Das ist lächerlich. Hat er das erzählt? Unsinn.“



„Warum sollte er mich belügen?“



„Ja. Das ist eigenartig. In welchem Zusammenhang hat er das denn erwähnt?“



„Ich fragte ihn, warum Gregor so anders war, als wir uns kennen lernten. Er sagte, er hätte zu diesem Zeitpunkt mit Drogen experimentiert.“



„So ein Quatsch.“ sagt er aufgebracht. „Er hat zu der Zeit brav seine Medikamente genommen. Es war keine gute Idee, sie abzusetzen, weil es ihm so gut ging. Er war geradezu euphorisch. Dann hat er vor zwei Wochen wieder angefangen, sie zu nehmen. Leider brauchen sie Wochen, um ihre volle Wirkung zu entfalten. Warum erzählt Meisler so einen Mist?“



„Harry wird es herausfinden.“



„Man kann wirklich niemandem trauen. So ein Arschloch.“ sagt er böse.



Trotz unseres unerfreulichen Gespräches hat er seine Finger unter mein Höschen gesteckt und streichelt mich dort. Er sieht mir dabei in die Augen und ich muss mit die Finger in den Mund stecken, um nicht laut zu stöhnen. Wie lustvoll er das tut. Er hat ein kleines Lächeln auf dem Gesicht, als er meine Erregung sieht. Die andere Hand hat er in meinen Büstenhalter geschoben und reibt eine Brustwarze. Es ist wie eine Explosion, als ich zum Höhepunkt komme. Ich würde am liebsten laut schreien.



„Ich werde jetzt zu Gregor fahren. Ich nehme Charly und jemandem vom Personenschutz mit.“



„Die Presse wird über dich herfallen.“



„Ich weiß. Das werde ich aushalten.“



„Bekomme ich noch einen Kuss?“ fragt er zärtlich.



„Du bekommst alles, was du haben willst.“



Die Reporter stehen schon vor dem Untersuchungsgefängnis, als ich dort ankomme. Von der Meute vor dem Tor unseres Hauses will ich gar nicht reden. Ich muss mir vor dem Gefängnis einen Weg bahnen, flankiert von Charly und dem Personenschützer. Das schlimmste ist, dass sie mich anfassen und an meiner Kleidung zerren. Wie eine Horde hungriger Straßenköter, denke ich. Und alle scheinen nach Schweiß zu stinken. Es ist abartig. Ich bin froh, als ich hinter diesen dicken Mauern verschwunden bin. Ich sitze in einem kahlen Raum, in dem sich nur ein Tisch und zwei Stühle befinden, als sie Gregor hereinführen. Man nimmt ihm die Handschellen ab und es bleibt ein Beamter im Raum. Sie haben mich komplett durchsucht, ich musste alles abgeben, was ich bei mir trug. Aber ich darf ihn anfassen. Ich darf diesen schönen Mann anfassen, der meiner ist.



Gregor sieht so umwerfend aus wie immer. Er trägt auch seine normale Kleidung, nur Gürtel und Krawatte fehlen. „Nathalie.“ sagt er zärtlich und sehnsüchtig. Er greift nach meinen Händen und drückt sie.



„Wie geht es dir, Gregor?“ frage ich zitternd. Dass er so ein unglaubliches Geständnis abgelegt hat, wird mir erst jetzt so richtig bewusst. Wir setzen uns an den Tisch und er hält weiterhin meine Hände.



„Du hast mir so gefehlt, Schatz.“ sagt er.



„Du mir auch, Gregor.“ Irgendwie. Irgendwann, vor Robert.



„Es tut mir leid. Wie das alles so gekommen ist, meine ich.“ sagt er mit seiner schönen Stimme.



„Yvette tut dir nicht leid?“



„Nein.“ Er weiß, dass wir abgehört werden. Und trotzdem erzählt er einen solchen Mist.



„Gregor. Ich weiß, dass du es nicht gewesen bist. Warum tust du das? Für wen tust du das?“



„Ich wollte frei sein. Es war alles ihre Schuld.“ sagt er fest.



„Natürlich. Wir haben gerade geheiratet und du bringst sie um. Klingt wirklich logisch.“



„Ich habe sie erschossen, weil sie es verdient hat.“



„Fehlt nur noch, dass du es für mich getan hast. Ich werde herausfinden, was geschehen ist. Ich werde beweisen, dass du es nicht warst.“



„Ich habe sie erschossen, weil sie es verdient hat.“ wiederholt er störrisch.



„Nein. Hast du nicht. Warum belügst du mich? Ich liebe dich, Gregor.“



„Sag Robert, sie sollen nach dem Notfallplan vorgehen. Meisler wird dir helfen.“



„Meisler ist ein Arschloch. Warum hat er mir gesagt, du seiest vorbestraft?“



„Ich? Wie kommt er darauf? Habt ihr das erledigt mit den Firmenanteilen?“



„Meisler sagt, ich muss sie behalten. Es geht gar nicht anders.“



„Natürlich geht das. Ruf den Prokuristen an, er soll einen anderen Anwalt engagieren. An deiner Stelle würde ich die Anteile behalten. Ich bitte dich.“



„Ich zähle für dich nicht, oder? Überhaupt nicht.“ sagte ich bitter. „Warum tust du das? Du befindest dich im gesellschaftlichen Aus. Du verlierst deinen Ruf. Dein Leben und deine Frau, Gregor. Wer bedeutet dir soviel? Tust du es für dein Kind? Für denen Bruder vielleicht? Wer hat es wirklich getan, Gregor? Sag es mir und ich bleibe bei dir.“



„Ich war es, Nathalie.“



„Gut. Ich finde es selbst heraus. Wie kannst du nur. Ich verachte dich.“



„Ich bin es gewesen.“ sagt er mit traurigem Blick.



„Fahr doch einfach zur Hölle.“ ich nicke dem Beamten zu, der mit im Raum ist.



Er klopft an die Stahltür und lässt mich hinaus. Harry Kemper erwartet mich.



„Hast du das gehört? Mein Mann will unbedingt als Mörder gelten. Wie kann er mir das nur antun.“ sage ich empört und breche in Tränen aus.



Harry sieht mich unbewegt an. Klein, moppelig und fast haarlos, strahlt er immer noch die Faszination des Genies aus. Ich habe ihn einmal sehr geliebt. Komisch, dass die Detektei das nicht herausgefunden hat. Ich war fast 2 Jahre mit ihm zusammen.



„Er deckt jemanden.“ sagt er mit seiner heiseren Stimme, die sich in gewissen Momenten so sinnlich anhört, dass man fast zerfließt. „Den Eindruck habe ich. Aber ich muss nicht wissen, wer es ist. Ich brauche nur nachzuweisen, dass er es nicht gewesen sein kann.“



„Deswegen haben wir nicht zusammen gepasst, mein Dicker.“ sage ich in einer nostalgischen Anwandlung. Ich war sehr glücklich mit ihm, bis ich herausfand, dass er nicht nur mich beglückte. Er hatte so ein großes Herz für die Damenwelt, dass er sie alle beglücken wollte. Und war davon überzeugt, ein gutes Werk zu tun. Jede sollte einmal keuchend in seinen Armen liegen, nachdem er sie befriedigt hatte.



„Also schön. Nur für dich. ich finde es heraus.“ sagt er seufzend. Er mag mich noch immer, wird mir klar.



„Ich habe dich sehr geliebt, Harry.“ sage ich leise. Ich habe ihm das noch nie gesagt. Noch nicht einmal, als wir zusammen waren. Es ist mir ein Bedürfnis, dass er das erfährt. Am liebsten hätte ich es vor Gregor gesagt.



„Ich weiß, Nathalie.“ er gibt mir einen Kuss auf den Mund. „Ich weiß das.“



Ich weine den ganzen Weg nach Hause. Charly wirft mir hilflos eine Packung Cleenex nach hinten. Ich kann nicht fassen, was Gregor da tut. Als wäre er erleichtert, wenn er alles verliert. Und er legt es darauf an, mit nichts da zu stehen. Ich bin so unglaublich wütend und verletzt.Blind vor Tränen gehe ich an Robert und Frau Römer vorbei, die an der Tür stehen und mich in Empfang nehmen wollen. Ich gehe um das Haus herum in den Garten. Frau Römer will mir nach, aber Robert hält sie zurück. Ich will alleine sein. Ich setze mich unter einen Baum. Wie kann Gott das zulassen, dass jemand so überzeugt in die falsche Richtung läuft? Was ist bloß in ihn gefahren? Warum hat er sich nicht gleich selbst erschossen? Das wäre viel einfacher gewesen. Der Rosenduft bereitet mir Übelkeit. Wenn es Robert nicht gäbe, würde ich sofort gehen. Ich lege den Kopf auf die Knie und döse vor mich hin. Ich bin absolut nutzlos und überflüssig. Wenn ich so nachdenke, habe ich eigentlich nie viel Gutes erfahren. Im Heim aufgewachsen, studiert, gearbeitet. Wie war ich glücklich, als ich Harry kennen lernte. Und wie unglücklich, als ich mich von ihm trennte.



Dann fand ich Gregor und ich beging den größten Fehler meines Lebens, als ich ihn heiratete. Denn der Mann, den ich eigentlich haben wollte, den auf dem weißen Pferd, das ist Robert.

 



„Ist nicht so gut gelaufen, sehe ich.“ sagt Robert und kniet sich neben mich. Er hat ein Tablett abgestellt, auf dem ein Glas Saft steht. „Komm, zieht die Jacke aus. Es ist viel zu warm, Schatz.“ sagt er.



Wie tröstlich das, klingt. Schatz.



„Er ist total verrückt. Er macht sich alles kaputt.“ sage ich verzweifelt. Er nimmt mir das Jäckchen ab und reicht mir das Glas Orangensaft.



„Wir werden sehen.“ sagt er vage.



„Robert? Kann ich bei dir bleiben? In dem Haus, meine ich.“



„Natürlich.“



„Ich soll dir etwas sagen.“ fällt mir ein. Aber nicht mehr, was es war. „Irgend etwas mit der Firma.“



„Habe ich schon veranlasst. Die Geschäftsführung meinst du. Läuft alles nach Plan.“



Zwei Wochen passiert gar nichts. Also, zwischen Robert und mir passiert schon etwas. Ich habe ihm gesagt, was ich für ihn empfinde und es war ganz einfach. Weil mein Herz überquoll. Es gibt Momente, da kann ich ihn komplett genießen. Mich einfach fallen lassen in seine Zuneigung. Nur manchmal, wenn ich nachts erwache, ist das Grauen wieder da, das Gregor in mein Leben gebracht hat. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wie soll das weitergehen? Wenn Gregor gar wieder da ist? Was wird dann sein? Niemand außer ihm bekommt mich zu Gesicht. Frau Vandenberg lässt sich einfach nicht blicken und die Reporter sind sich nicht mehr sicher, ob ich überhaupt noch hier bin. Ich habe mich in Roberts Haus vergraben. Ich lese das Buch über Hunde, dann Rebecca und mache mich dann an eines der Bücher über die besondere Art der Bilanzierung. Es ist nicht so trocken, wie ich es mir vorgestellt habe. Robert hat einen flüssigen und lockeren Stil und die Beispiele sind recht humorvoll beschrieben. Ich liege faul auf Roberts Bett. Es regnet in Strömen, es ist ziemlich abgekühlt und ich habe mir einen Tee gemacht.



Es ist später Nachmittag, als er herein kommt. „Na? Was liest du heute?“ fragt er und gibt mir einen Kuss. Ich zeige ihm das Buch.



Er lächelt. „Bereitest du dich auf die Übernahme der Firma vor? Das da“, er zeigt auf das Buch. “das funktioniert aber nur bei Aktiengesellschaften. Vandenberg ist keine AG.“



„Es ist interessanter, als ich dachte, Herr Dr. Zorn.“ er reagiert gar nicht darauf. Wahrscheinlich ist ihm die Anrede noch so geläufig, dass es ihm gar nicht auffällt.



„Ich habe dir ein seltsames Fax mitgebracht.“ sagt er und zieht es aus der Tasche.



Er geht ins Bad und trocknet sich das Haar, während ich es lese. Es trägt den Absender von Harrys Kanzlei. Dr. Meisler leistet eine eidesstattliche Erklärung. Er hat in Bezug auf die Firmenanteile und Gregors Vorstrafe gelogen. Er hoffte, damit eine Trennung des Ehepaares Vandenberg zu bewirken. Er entschuldigt sich dafür ausdrücklich.



„Hast du das gelesen? Sind die denn alle verrückt? Ich frage mich, wie Harry das gemacht hat.“



„Die Hauptsache ist, es entspricht der Wahrheit.“ Robert hat sich Jackett und Hemd ausgezogen und nimmt mir mit einem sinnlichen Lächeln das Fax aus der Hand. „Komm, Mrs. de Winter, Maxim ist da.“ flüstert er und legt sich zu mir auf das Bett. „Max wird drüben nicht mehr gebraucht auf Manderley.“



„Aber hier. Ich brauche dich.“



„Na, das hoffe ich doch.“ er küsst mich zärtlich.



„Nathalie? Willst du wissen, wer Max den Winter ist? Willst du Manderley sehen?“



„Nein. Ich will Robert, der hier im Gästehaus wohnt.“



„Du bist nicht neugierig?“



„Wenn du Robert mit der Pommesbude von der Ecke wärest, dann schon.“



„Gregor hast du zum Vorwurf gemacht, ihn nicht zu kennen. Ich biete dir an, Robert kennen zu lernen und das willst du nicht. Warum?“



„Es reicht, wenn du es mir anbietest, verstehst du? Er hat es sorgfältig vor mir verborgen. Du hast die Bücher hier liegen gelassen. Du willst es nicht verstecken. Das ist der Unterschied.“



Ich lege meinen Kopf an seine Brust. „Ich will einfach nur hier hingehören. Nicht in irgendein Haus. Ob Gregors Vandenberg-Haus oder Roberts Manderley. Manderley ist abgebrannt, erinnerst du dich? Sie reisten danach durch die Welt, weil sie ihr Zuhause beim anderen gefunden haben.“



„Deshalb gefällt dir das Buch so gut.“ sagt er verständnisvoll.



„Ja. Es ist schön hier zu liegen, wenn es regnet. Robert? Es war so dumm von mir, Gregor zu heiraten. Ich wäre lieber frei.“



„Für mich. Du kennst mich doch gar nicht.“



„Warum habe ich jetzt das Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben?“



„Nein. Hast du nicht. Ich fühle mich sehr geschmeichelt.“



„Du nimmst mich nicht ernst. Für dich ist es nur auf Zeit, habe ich Recht?“



Er antwortet nicht. Er genießt nur die Zeit, die er mit mir verbringen kann, bis Gregor wieder da ist. Gerade habe ich mich noch so geborgen geführt, und jetzt würde ich am liebsten heulen. Ich setze mich auf. Ich bin nicht in der Lage, einen Mann auf Dauer für mich zu begeistern.



„Ich war heute bei Gregor.“ sagt er.



„Du hast es ihm gesagt. Wie konntest du nur.“



„Er ist dein Mann, Nathalie.“ er sieht mich traurig an. Er hat den Kopf in die Hand gestützt und beobachtet mich.



„Nein. Er ist gar nichts.“ sage ich wütend. Wir tragen nur durch meine Dummheit den gleichen Namen. Ich glaube langsam, du betrachtest das, was du hier tust, als loyales Verhalten deinem Arbeitgeber gegenüber. Weißt du, was? Wenn ich hier nicht willkommen bin, gehe ich doch einfach.“



„Wo willst du denn hin?“



„In meine kleine, armselige Welt, die ihr alle nicht kennt.“



„Nathalie, bitte.“



„Ich dachte, dir liegt etwas an mir.“ jetzt weine ich. Ich suche meine Sachen zusammen, die ich in meiner unordentlichen Art im Zimmer verteilt habe. „Wenn ich gehe, ist es für alle leichter.“



„Sag mal, was hast du denn? Was heißt, es wird für mich leichter. Wie kann es leichter sein, wenn die Frau, für die ich solch große Gefühle habe, einfach weggeht? Ich dachte nicht, dass ich noch einmal lieben könnte. Und jetzt willst du gehen? Einfach so, ohne Grund? Warum tust du mir das an?“ er spricht so leise, dass ich ihn kaum verstehe. Er steht jetzt am Bett und sieht aus, als würde er gleich zusammen brechen. „Ich habe es Gregor nicht gesagt. Ich konnte es nicht. Ich bin hingefahren, um es zu tun, aber ich konnte nicht. Ich weiß nicht, was ich tun soll, Nathalie. Am liebsten würde ich mir dir weglaufen. Du denkst ich habe für alles eine Lösung in der Schublade. Aber diesmal habe ich keine, Schatz. Komm her zu mir.“



Er breitet die Arme aus und ich nehme sein Angebot wahr. Es tut so gut, wenn er mich umarmt. Er ist sehr zärtlich zu mir, bis wir uns beide wieder beruhigt haben. Dann fängt er an, mich fordernd zu küssen. Es dauert nicht lange, bis er mich geschickt ausgezogen hat, mich auf das Bett drückt und in mich eindringt, als sei es das letzte Mal. Wie verzweifelt umklammert er mich, als er immer wieder stöhnend tief in mich dringt und sich an meinem Mund geradezu festsaugt. Etwas Derartiges habe ich noch nie erlebt. Es ist nicht nur erregend, es ist viel mehr. Es ist wie ein Versprechen einer tiefen, alles umfassenden Zuneigung, die von Robert Besitz ergriffen hat und die er mir beweisen will. Als wir schwer atmend auf dem Bett liegen und mein Handy klingelt, muss ich mich erst einmal aus seiner Umarmung befreien. Wer ruft mich jetzt an? Seit zwei Wochen ist es stumm geblieben.



Es ist Thomas vom Wachtdienst. „Frau Vandenberg, Verzeihung, ich kann Herrn Zorn nicht erreichen. Hier ist eine junge Dame, die sagt, sie sei seine Tochter.“



„Ich hole sie ab. Danke.“



„Wen holst du ab?“



„Deinen Besuch. Du hast dein Handy ausgeschaltet.“ Ich schlüpfe in meinen Slip und ziehe mir das Kleid über den Kopf.



„Meinen Besuch?“



„Eine Frau.“ sage ich geheimnisvoll.



„Du machst einen Scherz.