Der Zirkel

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Nach drei Monaten befinde ich mich nicht mehr im Wolkenkuckuckheim. Wenn mir das Personal nicht unverschämt begegnet, ignoriert es mich. Der einzige, der auf meiner Seite ist, ist Charly. Er ist Frau Römer über den Mund gefahren, als ich mitbekam, wie sie sich darüber beschwerte, dass jetzt hier eine rothaarige Schlampe eingezogen ist, die den ganzen Verkehr aufhält. Ja. Es war auch sehr bequem die letzten Monate, als Gregor nicht hier war. So eine Frechheit, denke ich. Robert hat es auch gehört, es war eigentlich nicht zu überhören, so wie sie in der Küche gekeift hat. Robert hat sich nichts anmerken lassen. Aber ein paar Tage später beschwert sich Frau Römer über die Abmahnung, die sie von Robert bekommen hat bei Gregor. Es war nämlich nicht das erste Mal.

Gregor ist empört darüber, dass sie ihn mit so etwas belästigt. Er ist viel zu vornehm und zu beschäftigt, um sich mit solchen Dingen abzugeben. Ich gebe mich mit wohltätigen Dingen ab. Ich habe mir die Liste angesehen und arbeite für den örtlichen Tierschutzverein. Meine Ausbildung als Anwältin kommt mir dabei sehr zugute. Gregor hat mir ein Budget für solche Aufgaben zur Verfügung gestellt. Als erstes lasse ich das örtliche Tierheim renovieren und ein nach neuesten Erkenntnissen gebautes Katzenhaus anfügen. Und ich habe einen alten Hund adoptiert. Eine riesige Dogge, die eigentlich nur noch faul herumschleicht. Frau Römer ist fast in Ohnmacht gefallen, als sie realisierte, wie viel ein so großer Hund fressen kann. Und dann hat das Vieh auch noch sein Herz für Robert Zorn entdeckt und verbringt viel Zeit mit ihm in seinem Büro. Ich habe Zorn zum ersten Mal lächeln gesehen, als der Hund sich zu seinen Füßen niederließ. Sie sind sich sympathisch, Otto und Herr Zorn. Er nimmt ihn sogar abends mit in seine Wohnung, weil Otto keine Treppen steigen kann. Erst war ich erbost darüber, bis ich mitbekommen habe, wie sich Herr Zorn liebevoll mit dem Hund unterhielt. Ich glaube, ich habe beiden einen Gefallen getan. Otto wollte niemand haben, weil er schon so alt ist. Aber hier ist er wieder ein bisschen aufgeblüht und trägt stolz den Ball herum, den ihm Herr Zorn gekauft hat. Ich brauche auch nicht mit ihm Gassi zu gehen. Das dauert lange, weil er so langsam schleicht. Aber Herr Zorn scheint froh zu sein, abends eine Runde mit ihm zu drehen. Manchmal gehe ich mit. Hinter unserem Haus beginnt gleich der Wald. Otto braucht noch nicht einmal ein Halsband. Der kann nicht weglaufen und hält sich immer dicht an seinem neuen Beschützer. Wir schweigen auf diesen Spaziergängen alle drei.

Gregor hat sich verändert. Er arbeitet jetzt wieder soviel, wie er es getan hat, als er mich noch nicht kannte. Zweimal pro Woche übernachtet er in dem Appartement. ich bin dann ganz alleine im Haus. Ich und die Sicherheitsleute. Ich darf die Schlafzimmertür abschließen, Zorn und der Wachdienst haben einen Schlüssel. Wenn Gregor nicht da ist, bekomme ich trotzdem den Morgentee und die Zeitung. Erst kam es mir seltsam vor, mich in meinem Schlafzimmer von einem fremden Mann bedienen zu lassen. Aber dann habe ich gemerkt, dass Robert zuerst die Decke korrekt über mir ausbreitet, bevor er die Vorhänge aufzieht. Sein Benehmen mir gegenüber ist makellos. Sogar Frau Römer ist jetzt etwas freundlicher. Wahrscheinlich hat ihr Robert den Kopf gewaschen. In aller Diskretion natürlich. Robert würde so etwas nie vor mir tun. Oder gar vor dem vornehmen Gregor. Dessen Verliebtheit scheint so plötzlich verschwunden, wie sie angeflogen gekommen war. Ich bin enttäuscht und verletzt. Er hört auf, mich tagsüber anzurufen. Unsere zärtlichen Liebesnächte beschränken sich im Sommer auf eine zärtliche Samstagnacht pro Woche und so schön wie früher ist es auch nicht mehr. Ich habe das Gefühl, er betrachtet es als eine Pflicht und nicht als ein Vergnügen.

Irgendetwas an ihm hat sich verändert. Und ich habe mich verändert. Ich empfinde mich als überflüssig, mein Leben als recht sinnlos. Ich vermisse eine Arbeit. Aber Gregor kann nicht zulassen, dass Frau Vandenberg arbeitet. Zum Glück und zu meinem großen Erstaunen finden sich keine Damen der Gesellschaft bei mir ein. Ich stehe nicht hoch in ihrer Achtung. Eine zehn Jahre jüngere Frau, rothaarig und vollbusig, da hat man sich schon etwas anderes für diesen begehrten Junggesellen vorgestellt. Zumindest eine Prominente und nicht ein Niemand wie ich. Noch nicht einmal Geld habe ich. Alles, was ich habe, ist von Gregor. Wenn sie wüssten, dass mir die Hälfte von Gregors Unternehmen gehört, würden sie vor Neid platzen. Dabei lege ich gar keinen Wert darauf. Und ich bin sicher, wenn ich mir etwas zu Schulden kommen lasse, kann er mir das auch leicht wieder wegnehmen. Ich frage mich, was ich hier verloren habe. Falls er Kinder haben will, sollte er sich etwas mehr um mich bemühen. Das kann es also nicht sein. Wir haben noch nicht einmal darüber geredet. Gesellschaft kann es auch nicht sein, er kommt nämlich immer so spät nach Hause, dass wir uns kaum unterhalten und er ist schon eingeschlafen.

Robert versucht, mich etwas zu beschäftigen. Ich kümmere mich um die Post, manchmal fahre ich mit ihm in die Stadt. Während er seine Erledigungen macht, kaufe ich mir all die nutzlosen Dinge, die eine Frau in meiner Position so braucht. Ich hasse das. Ich habe einen riesigen Schrank voller Kleider, einen Haufen Schmuck, bekomme all das, was ich mir wünsche. Die neuesten Bücher, die mir Robert mitbringt. Aber ich habe keine einzige Freundin. Niemand aus Gregors Freundeskreis will etwas mit mir zu tun haben. Ich frage mich, woran das liegen mag. Vielleicht hat er auch keinen. Ich finde leicht neue Freunde. Aber in dieser Gesellschaft nicht. Bis ich eines Tages, im August, glaube ich, ein Gespräch zwischen Frau Römer und der Vorarbeiterin der Putzfrauen mitbekomme. Ich bin ganz gut darin geworden, zu lauschen.

„Wenn die Schlampe wüsste, wen sie sich da geangelt hat.“ sagt Frau Römer abfällig und stellt der Vorarbeiterin eine Tasse Kaffee hin. „Er hat es aber mit ihr noch nicht gemacht, oder?“„Es sieht nicht so aus. Ich frage mich, warum jeder das weiß, aber sie nicht. Scheint ein bisschen naiv zu sein, die Gute.“

„Die ist nicht naiv. Sie ist Anwältin.“

„Ob sie ihn verklagt, wenn er das zum ersten Mal mit ihr macht?“ lacht Frau Römer.

„Sie küsst den Boden, auf dem er geht. Wahrscheinlich nicht mehr lange. Dann kann sie den Boden aufwischen, auf den ihr Blut getropft ist.“ Die Vorarbeiterin kriegt sich vor Lachen nicht mehr ein. „Ich werde es jedenfalls nicht tun.“

„Du bist ja auch nicht sein Typ.“ sagt Frau Römer.

„Carolin war auch sein Typ und mit ihr hat er es auch nicht gemacht.“

„Die war ja auch zu blöd, sich alleine auszuziehen.“

„Das kann die Rote aber ganz gut. Ich wette, Robert findet es sehr schön, ihr den Kaffee zu bringen, wenn sie im Pool ist. Robert steht auf Titten.“

Ich höre ein Geräusch hinter mir. Als ich mich herumdrehe, steht da Robert, leichenblass. Er hat seinen Zeigefinger auf die Lippen gelegt. Ich soll nichts sagen.

„Immer noch besser als auf blutende Striemen am Arsch.“ lacht Frau Römer.

Robert verdreht die Augen und winkt mir, ihm zu folgen. Ich kann kaum gehen, so zittere ich. Er schiebt mich in sein Büro und schließt die Tür hinter uns. Otto öffnet ein verschlafenes Auge, um es sofort wieder zu schließen.

„Was war das?“ frage ich scharf.

„Für was halten Sie es denn?“ frage Robert zurück. Er ist immer noch blass. Und ärgerlich. Zum ersten Mal sehe ich eine solche Regung in seinem Gesicht.

„Das war ein Exkurs über die sexuellen Vorlieben meines Mannes, nehme ich an.“

Ich lasse mich auf den Besucherstuhl fallen, in dem ich in letzter Zeit oft gesessen habe und Briefe frankierte. Meine Hände sind eiskalt, obwohl es so furchtbar heiß draußen ist.

„Was werden Sie nun tun?“

„Wahrscheinlich werde ich nicht das Personal auswechseln, oder?“

„Das wäre unklug.“ nickt er.

„Mein Mann ist also dominant, ja? Ein Sadist, nehme ich an.“

„Nein. Er ist nicht dominant.“ Robert wird rot. Er ist so diskret und jetzt muss er vorsichtig abwägen, was er mir sagen darf.

„Sie sprachen über Blut.“ erinnere ich ihn.

„Nicht über das Ihre, Frau Vandenberg.“

„Über seins etwa?“

„Frau Vandenberg. Ich kann Ihnen nicht mehr sagen. Ich habe schon zuviel gesagt.“ er windet sich. In dem er mir sagte, mein Mann sei nicht dominant, ist er bereits aus der Rolle gefallen und hat nach seinem Verständnis sogar schon Geheimnisse ausgeplaudert.

„Ich verstehe, Robert. Ich weiß es nicht von Ihnen. Wenn ich noch einmal lausche, erfahre ich vielleicht, worum es geht. Dabei wollte ich mir nur einen Kaffee holen.“

„Warum überlassen Sie das nicht mir? Es gehört zu meinen Aufgaben.“

„Ich habe selbst Füße.“

„Leider haben Sie auch Ohren.“ grinst er.

„Ja. Und Brüste. Die Ihnen ja scheinbar gut gefallen.“ sage ich unverschämt.

„Ich verhalte mich Ihnen gegenüber absolut korrekt.“ sagt er und kling eingeschnappt. Robert klingt eingeschnappt. Dass ich das noch erleben darf.

„Ich habe keinen Grund zur Klage. Ich wüsste auch gar nicht, wo ich mich beklagen sollte. Mein Mann ist ja nie da.“

„Frau Vandenberg? Ihnen sind die Regeln dieser Gesellschaft nicht so besonders geläufig, oder? Die Damen akzeptieren es, wenn ihre Gatten ihre Bedürfnisse, sagen wir, woanders befriedigt bekommen. Verstehen Sie, was ich sagen will?“

 

„Nutten sind in Ordnung. Darüber regt sich niemand auf. Sie sagen also, mein Mann geht zu Prostituierten? Wollen Sie das sagen?“ es rauscht in meinen Ohren.

„Nein. Ich erklärte Ihnen nur die Regeln dieser Gesellschaft.“

„Ich könnte dann meine Bedürfnisse auch anderweitig…?“

„Er sollte gesellschaftlich schon unter Ihnen stehen. Und Sie sollten diskret sein.“

„Dann haben Sie ja nichts zu befürchten, Robert. Ich betrachte Sie als gleichwertig.“

Er lacht ein angenehmes Lachen. „Ich sprach nicht von mir. Das ist indiskutabel.“

„Nein. Indiskutabel ist es, dass ich Prostituierte akzeptieren soll. Und als Ausgleich treibe ich es dann mit dem Gärtnergehilfen im Schuppen zwischen Rasenmäher und Gartenschlauch? Ist das wirklich Ihr Ernst?“

„Ich habe die Regeln nicht gemacht.“ sagt er steif.

„Was ist es denn, was sie ihm geben können? Warum kann ich das nicht?“

„Es würde bestimmt nicht Ihren Neigungen entsprechen.“

„Warum sind hier alle so verdammt vornehm? Alle Frauen können die Beine breit machen. Dafür muss man nicht intelligent sein. Wenn Sie es mir nicht sagen, werde ich mich im Rahmen eines sozialen Projektes für Prostituierte einsetzen. Ich finde, das ist eine hübsche Idee. Damit könnten sich auch die Gattinnen von Gregors Freunden identifizieren.“

„Weil sie sich selbst wie Prostituierte verhalten? Ja. In der Tat.“ er grinst wieder. Er ist jetzt völlig offen. „Sie nehmen es hin, weil es sich finanziell auszahlt. Aus keinem anderen Grund. Sie sind wirklich die einzige, die in ihren Mann verliebt ist.“

„Und Sie können es mir nicht sagen? Ein kleiner Hinweis?“ ich sehe ihn an, wie Otto das immer tut und dann ein Leckerchen einheimst. Robert wirft einen Blick auf den Hund.

„Also schön. Hol das Stöckchen.“ sagt er. Ich sehe ihn verwirrt an.

„Er spielt einen Hund?“

„Nein. Er spielt keinen Hund.“

„Ich bin der Hund. Er will mich an einer Leine führen.“

„Es hat nichts mit dem Hund zu tun.“

„Mit dem Stöckchen.“

Robert stöhnt unwillig. „Frau Vandenberg. Bitte.“

„Ich weiß, dass Sie nicht verklemmt sind. Ich habe Augen im Kopf. Und ich wette, diese Position hatten Sie nicht immer. Wenn Sie es mir nicht sagen, werde ich nachforschen.“

„Das bringt Ihnen nichts, Herrn Vandenberg ist mein Vorleben bekannt.“

„Schön. Was möchten Sie haben, damit Sie es mir erzählen? Oder soll ich ihn fragen?“

„Das wird er Ihnen nicht sagen.“

„Sie lassen mich also dumm sterben? Danke sehr.“ ich rausche beleidigt aus seinem Büro.

Gregor kommt heute Abend nicht. Er übernachtet wieder in der Stadt. Als Frau Römer mir das Essen serviert, bekommt sie von mir einen kalten Blick. Ich reiße ihr den Teller aus der Hand, schnappe mir die Weinflasche, die Robert in der Hand hält und marschiere damit nach oben. Die können mich doch alle mal. Ich bin Frau Vandenberg. Ich esse im Bett und kann dann nicht einschlafen. Ich sehe ein wenig fern und beschließe, mich mit der Flasche Wein in den Garten zu verziehen, wo es kühler ist. Im Haus ist nur die kleine Beleuchtung an. Es ist ruhig. Frau Römer ist fort und Robert ist auch nicht mehr da. Es ist gegen elf, als ich dem Wachdienst Bescheid gebe. Ich bin dann doch so stilvoll und hole mir ein Glas für den Rotwein. Mit diesem Glas in der einen Hand und der Flasche in der anderen wandele ich an den Rosenbeeten vorbei, die einen betörenden Duft verströmen. Wie schade, dass ich ihn alleine genießen muss. Ich gehe hinaus zum Pool. Der ist riesig und mit einer Hecke umsäumt. Eine Runde Schwimmen wäre keine schlechte Idee, denke ich. Das hat Robert wahrscheinlich auch gefunden, denn er befindet sich bereits drin.

„Entschuldigung. Ich wollte sie nicht stören, Robert.“ sage ich betreten.

„Wie könnten Sie mich stören.“ sagt er in einer charmanten Anwandlung. Er hat getrunken. Er lallt ein wenig. Wie sympathisch. Den gleichen Gedanken habe ich auch, Alkohol kann unter Umständen recht hilfreich sein.

„Was trinken Sie denn?“

„Rotwein.“

„Das passt. Trinken wir ein Glas zusammen?“ ich setze mich auf den Poolrand.

„Sie werden sich bald daran gewöhnt haben.“ sagt er und kommt zu mir herüber geschwommen. Sein Glas steht neben mir und er nimmt einen kräftigen Schluck.

„Woran? An den Alkohol? Bestimmt nicht.“

„An die Gepflogenheiten.“

Ich lache auf. Daran werde ich mich nie gewöhnen.

„Frau Vandenberg? Heute ist Dienstag. Warum besuchen Sie ihren Mann nicht morgen in seinem Büro?“

„Was sollte das für einen Sinn haben?“

Er stützt sich mit den Armen auf den Poolrand und sieht mich mitleidig an.

„Frischen Sie ein paar Erinnerungen auf. In Ihrer Wohnung.“ sagt er eindringlich.

„In meiner Wohnung?“

„Sie können es sehen, was er sich bei diesen Frauen holt.“ flüstert er vertraulich. Er hat schon ganz schön getankt. Er sieht richtig niedlich aus.

„Ich kann es sehen?“

„Ja. Verdammt, es hinterlässt Spuren.“ sagt er und taucht ab.

Es hinterlässt Spuren. Irgendetwas Perverses. Etwas, das nicht in mein Sexualleben passt. Großer Gott. Ich kenne meinen Mann gar nicht.

„He. Hauen Sie nicht ab. Was heißt das, es hinterlässt Spuren?“ Ich ziehe meinen Frotteemantel aus und springe in das Wasser. Ziemlich kalt, wenn man nicht darauf vorbereitet ist.

„Frau Vandenberg. Das ist äußerst unpassend.“ ruft er.

„Ach ja? Sag es mir sonst hinterlasse ich Spuren auf dir.“ ich bin ihm schon ziemlich nahe.

„Wirklich? Das will ich sehen.“ sagt er übermütig und unterbricht seine Flucht.

„Kannst du haben.“ ich drücke seinen Kopf nach unten und tauche ihn. Ich stütze mich mit meinem ganzen Gewicht auf ihn. Prustend taucht er wieder auf. „Das war es schon? Schwach.“ grinst er. Dann wird er ernst. „Sie sind so süß, Frau Vandenberg. Wirklich. Also schön. Sie schlagen ihn.“

„Sie schlagen ihn?“ ich gehe fast unter.

„Ja. Mit einem Rohrstock. Und wenn Sie sagen dass, sie das von mir wissen, bin ich meinen Job los.“

„Ich weiß es nicht von Ihnen. Ich werde es selbst feststellen. Heute Abend noch. Seien Sie so gut und bestellen mir ein Taxi, ja?“

„Nein. Warten Sie bis morgen.“

Das tue ich natürlich nicht. Ich bestelle mir selbst ein Taxi. In einem leichten Sommerkleid mit flachen Schuhen fahre ich zu Gregors Appartement. Ich drücke mit klopfendem Herzen auf die Klingel.

„Ja bitte?“

„Vandenberg Betriebskontrolle. Ich will sehen, ob Sie auch arbeiten.“

„Nathalie.“ er drückt auf. Grinsend steht er an der Tür. „Was machst du hier?“ er gibt mir einen Kuss. Er sieht so völlig entspannt aus, als hätte er gerade Sex gehabt. Aber nicht mit mir. Ein Blick ins Schlafzimmer sagt mir, aber auch nicht mit einer anderen Frau.

„Du hast mir gefehlt, Gregor.“ sage ich und drücke mein Gesicht an seine Brust. Sein Hemd ist offen. Wie gut mir das immer gefallen hat.

„Du hast getrunken?“

„Ja. Mit Robert im Pool.“ sage ich wahrheitsgemäß.

„Natürlich.“ lächelt er. Er glaubt mir kein Wort.

„Und? Was machst du?“

„Ich brüte über einem Vertrag. Das ist eine ganz große Sache.“ er geht mit mir in sein Arbeitszimmer. Der Vertrag hat bestimmt 200 Seiten. Also arbeitet er wirklich. Er hat ihn mit gelben Zettelchen versehen und sich Notizen gemacht. Ich schmiege mich in seine Arme.

„Ich bin so einsam in dem großen Haus.“ sage ich kläglich. Dann lege ich meine Hände auf seinen Hintern und er zuckt zusammen. Robert hat die Wahrheit gesagt. Deshalb schläft Gregor nur samstags mit mir. Weil bis dahin die Spuren nicht mehr zu sehen sind.

„Ich bin ja morgen wieder da, Schatz.“ er küsst mich auf das Haar. Eigentlich hätte er mir anbieten sollen, hier zu übernachten. Das wäre selbstverständlich.

„Gregor? Warum kann ich nicht hier übernachten?“ „Weil ich noch arbeiten muss, meine Süße.“ sagt er bedauernd.

„Gregor? Erwartest du noch jemanden?“

„Nein. Wenn soll ich denn erwarten?“

„Die Frau, die das getan hat?“ ich kneife ihn in eine Pobacke und er schreit gequält auf.

„Das wirst du bereuen, Gregor. Das schwöre ich dir.“ ich rausche an ihm vorbei und schlage die Wohnungstür hinter mir zu. „Nathalie.“ brüllt er durch das Treppenhaus.

„Scheiß auf Nathalie. Die fährt nach Hause. Dahin, wo es einsam ist.“ brülle ich undamenhaft zurück. Dann stehe ich auf der Straße. Natürlich ist weit und breit kein Taxi zu sehen. Aber Gregors Limousine. Die fährt gerade vor. Robert hat also Charly aus dem Bett geklingelt. Der arme Kerl. Zögernd bleibe ich stehen. Charly steigt aus. „Frau Vandenberg.“ sagt er und tippt an seine Kappe. Er hält mir die Tür zum Fond auf.

„Sie sind nicht erstaunt?“

„Nicht im Geringsten. Würden Sie bitte einsteigen?“

„Steigen Sie schon ein.“ sagt ein ziemlich betrunkener Robert vom Rücksitz. Er hat noch nasses Haar und ist nachlässig gekleidet. „Das war ein Fehler, Frau Vandenberg.“

„Es steht Ihnen nicht zu, mich auf meine Fehler hinzuweisen.“ sage ich würdig und nehme neben im Platz. Dann, als Charly die Tür geschlossen hat, fange ich an zu weinen.

Robert reicht mir ein feuchtes Taschentuch. „Niemand sonst tut es.“

„Richtig. Weil ich niemanden habe.“

Ich höre Charly unwillig stöhnen. „Nein. Natürlich nicht. Deswegen sind wir ja auch hier. Weil wir Sie nicht mögen.“ sagt er ironisch.

„Wo bin ich hier hingeraten?“ schluchze ich. „Warum hat mir das niemand gesagt?“

„Weil er sie von allen ferngehalten hat, die es hätten tun können.“ sagt Robert.

„Die Leute, die es wissen, die kennen Sie gar nicht.“

„Und was soll ich jetzt tun?“

„Nichts.“ sagt Robert. „Sie tun nichts. Er wird morgen nach Hause kommen und es mit keinem Ton erwähnen. Er ist so beschissen vornehm, wie Sie es nennen. Und soll ich Ihnen was sagen? Da haben Sie vollkommen Recht. Er wird Ihnen etwas Hübsches, Nutzloses mitbringen und sie werden lächeln. Das ist alles. Gewöhnen Sie sich daran.“

Ich habe mich in den Schlaf geweint und wache am nächsten Morgen auf, als Robert die Vorhänge aufzieht. Mir geht es schlecht. Böse blinzele ich ihn an und ziehe mir wieder die Decke über den Kopf. „Frau Vandenberg. Es ist 6.30 Uhr.“

„Mein Leben ist vorbei.“ nuschele ich unter der Decke.

„Geht es Ihnen nicht gut? Brauchen Sie einen Arzt?“

„Ich brauche ein Sexualleben.“ brumme ich.

„Damit kann ich leider nicht dienen. Wie wäre es mit einem Tee?“

„Das ist nicht witzig, Robert.“ fauche ich und nehme die Decke von meinem Gesicht.

„Nein. Das Leben ist leider kein Wunschkonzert. Kann ich sonst etwas für Sie tun?“

„Damit können Sie ja nicht dienen.“

„Das könnte ich schon. Aber Sie würden es bereuen.“

„Sind Sie ein so mieser Liebhaber?“ ich blinzele ihn an.

„Es hat sich noch niemand beschwert. Sie würden es bereuen, wenn Sie es tun würden. Sie sind wütend und verletzt. Das ist keine gute Grundlage.“

„Was wäre denn eine gute Grundlage?“

„Ich lasse Sie jetzt alleine. Sonst bereuen Sie nachher noch das Gespräch.“

Ich beschäftige mich nach dem Frühstück den ganzen Tag mit Otto. Er schläft fast nur noch. Ich denke, seine Zeit ist gekommen. Ich hocke neben seiner Decke und kraule seine Ohren, bis Robert von seinen Besorgungen zurück ist. Otto wird bald sterben, vielleicht schon heute.

„Robert?“ ich ziehe Ottos Kopf auf meinen Schoß.

 

„Er hat ein paar schöne Monate hier gehabt.“ sagt Robert und kniet sich daneben. Wir schweigen beide, betroffen und traurig.

„Was macht ihr denn da?“ höre ich Gregors Stimme.

„Er wird bald sterben.“ sage ich erstickt.

„Ich kaufe dir einen neuen Hund.“ sagt er doch tatsächlich. Wie gefühllos er ist.

„Wenn du stirbst, kaufe mich mir auch sofort einen neuen Mann. Hau ab. Lass uns alleine.“ sage ich böse.

„Was hast du gesagt?“

„Du bist so was von gefühllos. Ich weiß nicht, was mich bewogen hat, dich zu heiraten.“

„Das weißt du nicht? Eine kleine Firmenbeteiligung vielleicht?“

„Schieb sie dir doch gepflegt in deinen vornehmen Arsch, Schatz. Ich will sie nicht.“

„Du willst sie nicht?“

„Gregor. Dieses Tier stirbt jetzt gleich. Hast du nur dein beschissenes Geld im Kopf?“

„Mache ich auch mal etwas richtig?“ er stapft wütend davon.

„Nehmen sie ihn, Robert.“ ich ziehe mein Knie weg und er schiebt seins unter den Hundekopf. Ich kraule weiter Ottos Ohren. Dann schnauft Otto vernehmlich und sein Körper erschlafft. Es ist vorbei. Ich stehe auf und lege Robert meine Hand auf die Schulter.

„Wir begraben Ihn nachher.“ sage ich und muss mir erst einmal ein Taschentuch holen.

Dann gehe ich in die Küche. „Frau Römer? Holen Sie mir einen der Gärtner. Sofort, wenn ich bitten darf.“

„Einen der Gärtner?“

„Ja. Den knackigsten, den wir haben.“ sage ich anzüglich. Sie soll wissen, dass ich das Gespräch mitbekommen habe. „Worauf warten Sie?“

„Ich gehe ja schon.“ murmelt sie. Nach einer Weile kommt sie zurück mit dem Meister im Schlepptau. Ein alter Mann, der die Mütze abnimmt, als er herein kommt.

„Frau Vandenberg?“

„Suchen Sie einen schönen Platz für ein Grab und machen Sie ein Loch. Groß genug für Otto.“ sage ich.

„Der Hund ist tot?“

„Ja. Gerade gestorben. Wie wäre es in der Nähe des Rosenbeetes?“

„Das sollten wir vielleicht mit Herrn Vandenberg…“

„Ich bin Frau Vandenberg. Graben Sie dieses verdammte Loch.“ schreie ich unbeherrscht.

„Ich kann doch nicht einfach…“

„Schon gut. Bringen Sie mir den Spaten. Ich mache das selbst.“

„Sie?“

„Ja. Und wenn Sie jetzt noch weiter diskutieren, grabe ich für sie ein Loch. Hopp, her mit dem Spaten.“

Das tut er auch. Er bringt mir den Spaten und geht ungläubig hinter mir her, als ich eine schöne Stelle für Otto aussuche. Frau Römer bleibt an der Tür stehen. Ich fange an, den Rasen abzustechen und ihn vom Grund abzuheben. Es ist bestimmt 30 Grad im Schatten. Mit läuft der Schweiß in die Augen. Dann kommt Robert und nimmt mir den Spaten aus der Hand. Er reicht mir sein Jackett und krempelt sich die Ärmel hoch.

„Was zum Teufel macht ihr da?“ sagt Gregor ungläubig, als er die Versammlung sieht.

„Wir beerdigen Otto. Du würdest ihn ja einfach mit dem Restmüll entsorgen.“ erkläre ich und wische mir mit dem Saum meines Kleides den Schweiß aus dem Gesicht.

„Geben Sie mir den Spaten, Robert. Es ist der Wunsch meiner Frau. Es ist ihr Hund. Es ist meine Aufgabe.“ er zieht sich nicht nur sein Jackett aus, sondern auch noch sein Hemd. Frau Römer fallen fast die Augen heraus. Ich erlebe gerade etwas sehr wichtiges. Mein Mann ist für mich da. Er hat verstanden, dass mir das hier viel bedeutet. Er hat es verstanden. Robert reicht ihm ungläubig den Spaten und Gregor fängt an zu graben. Ich stehe dabei und sehe, wie er vor Schmerz das Gesicht verzieht. Hätte er sich am Montag nicht schlagen lassen, wäre das jetzt nicht so, denke ich schadenfroh. Frau Römer geht zögernd zurück ins Haus. Als sie wieder heraus kommt, hat sie mit der Vorarbeiterin den Hund samt Kissen auf die Transportkarre gewuchtet, mit der sie sonst die Getränkekisten transportiert. Sie hat ihn mit einer alten Decke zugedeckt. Jetzt weint sie sogar, die falsche Kuh. Die Hälfte hat Gregor schon geschafft. Aber es ist noch nicht tief genug. Ihm tropft der Schweiß auf die Schuhe. Also übernimmt Robert wieder und buddelt den Rest. Dann legen sie beide, Gregor und Robert, den Hund vorsichtig hinein. Der Gärtner, der ungläubig dabei gestanden hat, schaufelt das Loch wieder zu. Es hat bestimmt 2 Stunden gedauert, bis der Rasen darüber wieder festgetreten ist. Ich gehe langsam hinein. Ich stelle mich oben unter die Dusche, um meine dreckigen Füße von der Gartenerde zu befreien. Ich sehe aus wie ein Ferkel. Ich habe sogar Erde im Gesicht, stelle ich auf dem Weg ins Bad fest, als ich an dem großen Spiegel im Schlafzimmer vorbei komme.

„Es tut mir leid, das mit dem Hund.“ sagt Gregor, als ich wieder hinaus komme. Ich habe mich in ein großes Handtuch gewickelt. Er sieht mich bittend an.

„Schon gut, Gregor.“

„Ich wusste nicht, dass er dir soviel bedeutet. Ich weiß überhaupt nicht viel von dir.“

„Nein. Du dachtest, wir haben einen Deal. Ich spiele deine Frau für eine Firmenbeteiligung. Dass du dich nicht schämst.“

„Aber so läuft es, Nathalie.“ sagt er hilflos.

„So läuft es, ja? Wo? In deiner Welt, in meiner nicht. In meiner kleinen Welt heiratet man, weil man sich liebt. Du hast bestimmt schon davon gehört. In Filmen sieht man das manchmal.“ sage ich müde. Er hat es doch nicht verstanden. Er steht noch so da, wie er im Garten gegraben hat. Seine Hose ist mit Erde bedeckt und seine Schuhe hat er unten ausgezogen.

„Du liebst mich also?“

„Ich hätte den Spaten mitnehmen sollen. Ich hätte wirklich Lust, ihn dir über den Schädel zu ziehen.“ murmele ich und ziehe mir frische Unterwäsche an. „Ich dachte, du liebtest mich. Tut mir leid. Kommt nicht wieder vor.“

„Aber das tue ich, Nathalie.“

„Ja. Genau. Und deswegen gehst du zu Nutten.“

„Wie hätte ich dir das sagen können?“

„Indem du den Mund aufmachst, Gregor.“

„Und du hättest das für mich getan?“

„Vielleicht. Jetzt nicht mehr. Geh, fahr wieder in deine Wohnung. Ich bin ja hier nur schmückendes Beiwerk. So wie Robert. Inventar.“

Ich ziehe mir ein neues Kleid über dem Kopf. „Warum hast du mich gewählt? Wegen meiner Haarfarbe?“

„Auch. Und wegen deines Blickes. Und deiner Stimme und deiner Art, wie du mich zum Lachen bringst.“ sagt er unsicher.

„ Das ist nicht besonders viel, Gregor.“

„Was liebst du denn an mir?“

„Im Moment äußerst wenig.“

„Ich habe das Loch für deinen Hund geschaufelt.“

„Toll. Wahrscheinlich hast du zum ersten Mal in deinem Leben etwas selbst getan.“

„Du machst mir meinen Reichtum zum Vorwurf, ja?“

„Nein. Deine Ignoranz. Du ignorierst mich. Du weißt überhaupt nicht, was in mir vorgeht. Interessiert es dich, wer das weiß? Robert und Charly. Alle anderen halten mich für eine Nutte. Woher das wohl kommt, Gregor?“

„Ich habe dich völlig falsch eingeschätzt, Nathalie.“ sagt er niedergeschlagen.

„Ich dich auch, Gregor. Da haben wir doch einmal eine Gemeinsamkeit. Ich gehe jetzt essen.“

Ich hole mir meinen Teller in der Küche und bekomme von Frau Römer zum ersten Mal etwas wie ein Lächeln. Dann setzte ich mich auf den Rasen, neben die Stelle, unter der jetzt Otto liegt. Er war der einzige, der hier glücklich war. Vielleicht sollte ich noch mehr Hunden diese Chance geben. Dann hätte mein Leben wenigstens ansatzweise einen Sinn.

„Wollen wir mal ins Tierheim fahren?“ sagt Gregor und nimmt mir den leeren Teller vom Schoß.

„Das ist noch zu früh. Man kann ihn nicht einfach ersetzen, Gregor. Es war Roberts und mein Hund.“

„Roberts und dein Hund. So. Ich bin quasi gar nicht vorhanden.“

„Doch, Schatz. Auf jeder Filmpremiere oder Preisverleihung. Du machst dich gut an meinem Arm.“

„Ich kenne dich gar nicht, Nathalie.“

„Das ist auch nicht nötig. Robert betrachtet mich als deine persönliche Angelegenheit und kümmert sich um meine Belange.“

„Was erwartest du von mir, Nathalie?“

„Dass du so bist, wie ich dich kenne. Du bist mir so fremd. Du bist so abweisend. Gleichgültig und kalt. Warum bist du so zu mir? Habe ich etwas falsch gemacht?“

„Es liegt nicht an dir.“

„Woran liegt es dann?“

„An den Medikamenten gegen meine Depressionen, Nathalie. Es tut mir leid.“

Er hat die Hände in den Hosentaschen vergraben und sieht mich an wie ein Dackel.