Red Dirt Heart: Lodernde Erde

Text
Aus der Reihe: Red Dirt Heart #2
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Ich zog kräftig am rechten Zügel und Shelby änderte die Richtung. »Ja, ja. Klaro. Schon unterwegs.«

Möglich, dass ich fast den ganzen Rückweg vor mich hingrummelte.

Ich ritt Shelby im Schritttempo zurück und war gerade dabei, sie abzusatteln, als Ma mich fand.

Und damit meine ich: sie fand mich wie ein zorniger Piranha einen blutenden Schwimmer findet.

Ich konnte ihr am Gesicht ablesen, dass sie stocksauer war. »Hey, was gibt's?«, sagte ich lahm.

Ma drohte mir mit dem Zeigefinger. »Du bist ohne Wasser und Telefon losgeritten. Das war dumm, Charlie. Du weißt es verdammt noch mal besser. Du weißt es besser, seit du vier Jahre alt warst. Wenn du dich den ganzen verdammten Tag in der Wüste verstecken willst, dann mach das, aber du sagst jemandem Bescheid, wohin du gehst, und du nimmst die notwendigen Sachen mit.«

Mann, sie war stocksauer. Ihr Zorn war ein wenig überraschend, dann fiel mir ein, dass sie sich nicht gut gefühlt hatte. »Es tut mir leid«, sagte ich zu ihr. »Und ich wollte mich nicht verstecken…«

Sie hob eine Augenbraue. »Strafst du ihn mit Schweigen?«, fragte sie.

»Er hat angefangen.«

Japp, das sagte ich. Ich war offiziell wieder acht Jahre alt.

Ma machte sich nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten. Stattdessen schnaubte sie. »Charlie, ich liebe dich von Herzen.« Sie machte eine Pause und sah mich an. »Aber du musst endlich mal erwachsen werden.«

Ich bin sicher, dass mir die Überraschung ins Gesicht geschrieben stand, denn sie seufzte schicksalsergeben. »Er hat sich Sorgen um dich gemacht.«

»Ich brauchte etwas Zeit zum Nachdenken.«

»Das habe ich ihm auch gesagt.«

»Ich wollte nicht, dass sich jemand Sorgen macht. Ich hätte Bescheid sagen sollen, wohin ich reite. Du hast recht. Ich weiß es besser, als einfach so zu verschwinden. Tut mir leid.«

Ma schwieg eine Weile. »Streite dich nicht über Kleinigkeiten, Liebes«, sagte sie schließlich sanfter. »Aber ich schlage vor, du gehst zu ihm, bevor eine große Sache daraus wird.«

Ich nickte und wusste, was ich zu tun hatte. Ich nahm den Sattel vom Zaun herunter. »Ich bringe das eben weg, dann suche ich ihn.«

Ich musste nicht weit gehen. Ich brachte Shelbys Sattel weg, dann trieb ich Travis im Haus auf. Er hängte gerade einen meiner alten Pullover an die Klinke der Wohnzimmertür. Als ich näher hinsah, guckte ein recht verdächtiger Känguruschwanz daraus hervor. Ach Mann, er benutzte einen Pullover als Beutel für das verdammte Kängurubaby und hängte ihn an der verfluchten Tür auf.

Er ließ mich mit einer Art Schulterzucken stehen und als er an mir vorbeiging, murmelte er: »Ich muss mir die Hände waschen.« Ich folgte ihm den Korridor hinunter zum Badezimmer. Dann stand ich im Türrahmen, während er am Waschbecken zugange war.

Als er fertig war, drehte er sich um, lehnte sich gegen den Waschtisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Haltung war genauso defensiv wie sein Tonfall. »Sag es einfach, Charlie.«

Ich öffnete den Mund und… schloss ihn wieder. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. »Ich will nicht, dass du sauer auf mich bist.«

»Aber ich kann sie trotzdem nicht behalten?«

Ich wollte mich nicht schon wieder über ein Känguru streiten. Aber ich fand keine Worte. Ich schüttelte den Kopf. »Travis…«

»Ist das jetzt Charlie, mein fester Freund, oder Charlie, mein Boss, mit dem ich gerade rede?«

»Das ist nicht fair.«

Er stieß sich vom Waschtisch ab und richtete sich auf. »Tja, ich frage dich nicht. Ich sage es dir. Ich gebe sie nicht weg. Sie ist vollkommen hilflos. Wenn ich sie einfach irgendwo aussetze, dann stirbt sie auf jeden Fall, und ich kann – ich werde – das nicht tun.«

Ich hob die Hände und drückte sie gegen seine Brust, um ihn zu stoppen, als er versuchte, an mir vorbeizugehen. »Es geht nicht um das Känguru.«

Er sah mich prüfend an. »Nicht? Warum bist du dann sauer auf mich? Du hast mich heute Morgen abblitzen lassen und bist einfach weggeritten, ohne jemandem zu sagen, wohin. George sagte, du wärst nicht zur Lagune unterwegs, weil du nach Norden geritten bist, nicht nach Osten.«

Ich zuckte die Achseln. »Na ja, zuerst ging es um das Känguru, aber dann nicht mehr. Ich weiß nicht, warum. Ich brauchte nur etwas Zeit oder so.« Ich hatte nun meine Hände in sein Hemd gekrallt, damit er nicht wegkonnte. Oder ich. Ich war mir nicht sicher. »Aber ich bin zurückgekommen…«

»Du bist zurückgekommen…«, wiederholte Travis auffordernd meinen unvollendeten Satz.

»Shelby dachte, es wäre eine gute Idee.« Ich hätte mir am liebsten gegen die Stirn geschlagen, weil ich das laut ausgesprochen hatte, entschied mich aber, auf cool zu machen.

»Tatsächlich?«

»Ja, sie meinte, ich hätte wahrscheinlich überreagiert.« Ich ließ sein Hemd los, aber keiner von uns bewegte sich.

»Sie ist ein kluges Pferd.«

»Sie meinte, du hättest ebenfalls überreagiert.«

Travis versuchte nun, nicht zu grinsen. »Meinte sie?«

»Jepp. Aber sie meinte auch, dass der Ritt durch den Arthur Creek helfen würde, meinen Kopf klar zu kriegen, und dass ich wohl besser zurückkommen und mich entschuldigen sollte.«

»Sie ist wirklich ein kluges Pferd.«

Ich nickte und atmete tief ein. Dann sah ich zwischen uns auf den Boden. »Sie wollte wissen, warum du letzte Nacht nicht ins Bett gekommen bist…«

Und da war er. Der wahre Grund.

Travis strich mit seiner Hand über meine Brust zu meinem Hals, bevor er mein Kinn anhob, sodass ich ihn ansehen musste. »Ich hatte zu Abend gegessen und als ich dann Matilda fütterte, muss ich eingeschlafen sein. Charlie, es war keine Absicht. Es tut mir leid.«

»Matilda?«

»Das Junge.«

»Du hast ihr einen Namen gegeben?«

»Aber natürlich.«

»Matilda?«

»Ja. Kennst du den australischen Song Waltzing Matilda?«

»Ich kenne ihn«, antwortete ich. »Ich frage mich nur, wieso du ihn kennst.«

»Google.«

»Natürlich.«

»Warst du wirklich sauer, weil ich nicht ins Bett gekommen bin?« Es schien ihn zu amüsieren. »Ich dachte, es wäre wegen Matilda.«

»War jetzt kein Riesending. Tat nur weh, das ist alles«, gab ich zu. »Und ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte, falls du nicht mit mir sprechen wolltest, deshalb bin ich abgehauen, bevor du mir sagen konntest, dass du nicht mit mir sprechen willst, weil, es zu denken, ist eine Sache, aber es zu hören, ist was ganz anderes…«

Travis beugte sich vor und küsste mich. Wahrscheinlich, damit ich die Klappe hielt, aber das war mir egal. Es war, glaube ich, der wärmste Ich bin zu Hause-Kuss, den wir je geteilt hatten.

Travis beendete langsam den Kuss, dann rieb er seine Nase an meiner, um mich zum Lächeln zu bringen. »Und du bist heute Morgen gegangen, ohne mit mir zu reden«, flüsterte er. »Und du hast heute Morgen deinen Fuß unter dem Tisch weggezogen.«

»Tut mir leid, dass ich das gemacht habe. Dein Füßeln ist eines meiner liebsten Dinge«, sagte ich leise.

»Füßeln?«

Ich nickte. »Füßeln und Naserubbeln. Das machst du.«

Travis lachte und küsste mich noch einmal.

Ich lehnte mich etwas zurück, sodass ich sein Gesicht sehen konnte. »Ich, äh… ich bin nicht so gut in dieser Über Dinge reden-Sache.«

»Ich bin auch kein Experte«, sagte er. Dann lächelte er, als wäre er ebenso erleichtert wie ich. »Aber können wir uns darauf einigen, dass keiner von uns allein in die Wüste reitet?«

Ich verdrehte die Augen. »Ich reite schon seit zwanzig Jahren allein in die Wüste.«

Er ignorierte mich. »Und keiner von uns geht allein ins Bett. Das sollte eine feste Regel werden. Keiner schläft auf der Couch.«

»Das gefällt mir schon besser.«

»Nicht, dass du mir gefehlt hast. Die Couch ist nur wirklich nicht besonders bequem.«

Ich lächelte und atmete seine Wärme ein, seinen Geruch. »Ich mag es nicht, mit dir zu streiten.«

»Hast du gerade an mir gerochen?«

»Ich kann nichts dafür. Das hat mir gefehlt… dein Geruch. Du. Du hast mir gefehlt.«

Travis lächelte sein besonderes Lächeln, bei dem sich nur ein Mundwinkel hob. »Ich mag es auch nicht, mit dir zu streiten.«

Ich sah einen für eine lange Weile an. Sein hellbraunes Haar war länger und strubbelig, seine blauen Augen passten zu seinem Hemd. Na ja, es war mein Hemd, aber ich hatte schon lange aufgegeben, gegen seinen Was dein ist, ist auch mein-Grundsatz zu protestieren, was meine Garderobe anging. »Ich kann nicht glauben, dass du das verdammte Känguru Matilda genannt hast.«

»Du hast mein Pferd Texas genannt.« Er zuckte die Achseln. »Jedenfalls passt es zu ihr. Sie ist süß. Willst du sie sehen?«

Ich hatte eine viel bessere Idee. »Später vielleicht.« Ich zog ihn an seinem Hemd zu mir heran und schob ihn rückwärts ins Badezimmer. »Ich glaube, wir haben noch zehn Minuten, bevor –«

»Charlie?«, unterbrach mich Mas Stimme.

»Bevor das passiert?«, fragte Travis lachend.

Ich seufzte und rückte die Dinge in meinem Schritt zurecht. »Ich komme, Ma.«

Travis prustete. »Aber nicht so wie geplant.«

Widerwillig machte ich mich mit Travis im Schlepptau auf zur Küche. Ma stand an der Spüle. »Hey, Ma, was gibt's?«

Sie drehte sich um und lächelte, als sie uns sah. »Ich bin froh, dass ihr Jungs wieder miteinander… redet«, sagte sie und ließ den Blick vielsagend zwischen uns hin und her wandern.

»Brauchst du irgendetwas?«, fragte ich. Sie sah besser aus, aber es kam nicht oft vor, dass sie mich bat, etwas für sie zu tun.

»Kannst du für mich in den Garten gehen?«, fragte sie. »Ich brauche Eier, Spinat und Karotten.« Dann drehte sie sich wieder zur Spüle. »Ich würde selbst gehen, aber ich hinke ein bisschen in der Zeit hinterher. Ich habe den ganzen Morgen damit zugebracht, mir Gedanken darum zu machen, wo in der Wüste ein sechsundzwanzigjähriger, unreifer Kerl abgeblieben war.«

 

Ich ging zu ihr hinüber und küsste sie auf die Wange. »Es tut mir leid, Ma.«

Sie versuchte, nicht zu lächeln, kriegte das aber irgendwie nicht hin. »Raus mit euch, alle beide.« Sie scheuchte uns aus der Tür. »Und bringt auch mehr Feuerholz mit rein.«

Travis und ich gingen über die hintere Veranda zum rückwärtigen Teil des Gehöfts. Zwischen den Scheunen und den Wassertanks hielten wir einige Hühner in einem Drahtverschlag. Und dort hatte Ma auch ihre Gemüsebeete.

Außerdem hielten wir dort auch unsere vier Kelpies. Jeder hatte seinen eigenen Zwinger, und wenn sie nicht bei der Arbeit waren, dann waren sie angekettet oder angeleint. Würden wir sie einfach frei herumlaufen lassen, dann würden sie naturgemäß Vieh zusammentreiben wollen. Und wenn wir das Vieh gerade nicht zusammengetrieben haben wollten, dann nahm das für gewöhnlich kein gutes Ende. Die Hunde waren außerdem eine gute Abschreckung gegen Dingos, die sonst vielleicht auf der Suche nach einer freien Mahlzeit aus lebenden Hühnchen vorbeikommen würden.

Ich öffnete die Tür zum Hühnerverschlag, ging hinein und sammelte in einem Eimer die Eier ein, die scheinbar über mehrere Tage hinweg gelegt worden waren. Travis war fürs Gemüse zuständig, und als ich fertig war, ging ich zu den Hochbeeten mit Gemüse hinüber. Er hatte noch nichts geerntet. Stattdessen grub er in der ersten Reihe.

»Was machst du da, Trav?«

Er sah zu mir auf. »Wie zum Henker nennst du das hier?«

Nun ja, für mich sah das ziemlich offensichtlich aus. Ich betrachtete die Reihen von Spinat, Karotten, Kartoffeln und Mais. »Ich bin nicht sicher, wie man das bei dir zu Hause nennt, aber hier nennt man so etwas einen Ge-mü-se-gar-ten. Ist mit dir alles in Ordnung?«

Anscheinend mochte er es nicht, wenn ich Worte so langsam aussprach, als wäre er dumm. Er funkelte mich an. »Charlie, wir müssen das hier in Ordnung bringen. Das ist wirklich übel.« Er ließ etwas von der Erde durch seine Finger rieseln, um seine Worte zu unterstreichen.

Ich stellte den Eimer mit den Eiern neben mir ab und ließ meinen Blick über die Beete schweifen. Um ehrlich zu sein, hatte ich mir sie nie so genau angesehen. Ma pflanzte hier Saisongemüse an und wir versuchten, uns so weit wie möglich selbst zu versorgen. Aber er hatte recht. Der Garten war in ziemlich armseliger Verfassung.

»Tja, ja. Ist ziemlich übel«, stimmte ich zu.

»Wir können den ganzen Bereich hier erneuern. Wir brauchen neue Beete, neue Erde«, sagte er und umfasste mit einer Geste alles, was bereits da war. »Wir werden alles verwenden, was man noch gebrauchen kann. Diese alten Bahnschwellen sehen noch gut aus.« Er trat gegen die hölzerne Umrandung des Gartens. »Wir könnten in die Stadt fahren und alles besorgen.«

»Könnten wir«, sagte ich ausweichend. Obwohl ich es eher fragend meinte, bin ich ziemlich sicher, dass Travis es für bare Münze nahm, denn er grinste. »Trav«, begann ich, was ein Protest oder zumindest eine Art Ablehnung werden sollte, aber er ignorierte mich.

»Hier«, sagte er und lud mir die Arme mit Spinat voll. »Halt das.«

»Trav«, sagte ich erneut, wobei ich den Spinat beinahe fallen ließ. »Moment… kannst du… warte doch mal… Trav.« Der Spinat rutschte weiter aus meinem Griff, dann warf ich auch noch beinahe den Eimer mit den Eiern um, und er stapelte noch Karotten oben auf den Spinat.

»Ich nehme die Eier«, sagte er strahlend, hob sie auf und hüpfte den Eimer schwingend ins Haus wie das verdammte Rotkäppchen. Während ich hingegen den ganzen Weg bis in die Küche mit Spinat und Karotten jonglierte und mehrfach beinahe alles fallen ließ. Aber ich schaffte es in die Küche und warf das Gemüse dort in die Spüle. Travis stand an der offenen Kühlschranktür und trank aus einer Wasserflasche. Ma war am Herd und sah nicht einmal, wie ich mich, dem abmühte, womit Travis mich beladen hatte. »Ist schon gut, Trav«, sagte ich sarkastisch. »Nicht nötig, dass du mir hilfst.«

Er grinste hinter der Wasserflasche. »Ich habe die Eier getragen.«

»Danke, Jungs«, sagte Ma, was wahrscheinlich eher ein Haltet die Klappe als ein Danke ausdrücken sollte. »Travis hat mir gerade erzählt, dass ihr zwei am Wochenende zusammen nach Alice fahrt.«

Ich sah Travis an. »Oh, tun wir das?«

Er trank den Rest seines Wassers aus, schloss den Kühlschrank und grinste einfach weiter sein Megawattgrinsen. »Japp. Morgen Früh geht's los.«

Kapitel 4

Ein gemeinsames Wochenende. Was könnte da schon schiefgehen?

Ich ließ die Reisetasche in der Diele neben der Vordertür fallen und ging in die Küche. Es war noch vor dem Frühstück und Ma sah in der Tat aus, als wäre sie noch nicht lange auf. Aber es war Travis' Anblick, der mir den Atem raubte.

Er saß am Küchentisch wie schon zweihundert Male zuvor. Aber dieses Mal hielt er das Känguru im Arm, als wäre es ein Baby, und gab ihm die Flasche. Travis hob den Kopf und schaute mich an, und ich konnte sehen, wie er – da er wusste, dass ich kein Fan des verdammten neuen Mitbewohners war – sich dagegen wappnete, dass ich etwas nicht sonderlich Freundliches sagen würde.

Ich blickte von Travis' Augen zu den großen, braunen Augen des Kängurus, das die längsten Wimpern hatte, die ich jemals gesehen hatte, und sogar seine kleinen Hände an das Fläschchen gelegt hatte, das Travis hielt. Ich seufzte und jede Gegenwehr, die ich bezüglich des Kängurujungen in mir gehabt hatte, wich aus meinem Körper. »Musst du so niedlich sein? Ich versuche, sauer auf dich zu sein.«

Travis lächelte schließlich, langsam und breit. »Sie ist niedlich, nicht wahr?«

Ich ging hinüber und küsste ihn auf den Kopf. »Ich hab nicht von ihr gesprochen.«

Travis lachte und Ma lächelte uns an. »Ich hab ihm gesagt, er kann eine von den Flaschen für verwaiste Kälber nehmen. Ist ein bisschen groß für die Kleine, aber besser als nichts«, sagte Ma. »Soll ich dir einen Becher Tee machen, mein Lieber?«

»Wie wäre es, wenn du dich hinsetzt und ich uns beiden Tee koche?«, sagte ich. Draußen war es immer noch total dunkel und kalt, und als ich Ma ihre Tasse reichte, legte sie automatisch die Hände darum. Ich hatte gelernt, dass es besser war, sie nicht geradeheraus zu fragen, wie es ihr ging, denn normalerweise antwortete sie darauf, indem sie mir den Kopf abriss. Stattdessen schlich ich um den heißen Brei. »Ich leg noch was aufs Feuer, bevor ich gehe«, sagte ich. »Und neben dem Kamin ist jede Menge Holz. Ich habe Bacon gesagt, er soll ein Auge drauf haben. Wenn es zur Neige geht, dann bringt er dir neues Holz.«

»Charlie, ich brauche keinen Babysitter«, fing sie an.

»Und Trudy wird aufpassen, dass du nichts Schweres heben musst«, sagte ich. »Ich habe ihr gesagt, dass du zu stur dafür bist, um Hilfe zu bitten, und dass du behaupten würdest, sie wäre dir nur im Weg. Ich habe ihr gesagt, dass sie dir so viel im Weg sein soll wie möglich – wenn du also jemanden deswegen anbrüllen willst, dann brüll mich an, nicht sie.«

Ma seufzte. »Charlie.«

»Und ich habe Nara aufgetragen, sich um Matilda zu kümmern, während ich weg bin«, fügte Travis hinzu. »Sie kann sie tagsüber hier im Haus lassen und einfach alle paar Stunden zum Füttern herkommen. Aber nachts kann sie sie mit zu sich nehmen, dann ist das mit dem nächtlichen Füttern einfacher.«

Ma sah uns beide an und begriff wahrscheinlich, dass es zwecklos war, mit uns beiden gleichzeitig zu streiten. Ich wusste aber auch verdammt genau, dass sie eine Sekunde, nachdem wir aus der Tür spazierten, sowieso machen würde, was sie wollte. Und sie sah an diesem Morgen schon besser aus. Aber wenigstens wusste sie, dass wir uns um sie kümmerten, und die anderen wussten, dass sie sie im Auge behalten sollten.

»Ich fühle mich besser«, sagte sie und betrachtete ihre unberührte Tasse Tee.

»Gut«, sagte ich. »Dann übertreib es nicht, und es wird dir auch besser gehen.«

Sie lächelte, aber es war ein Reicht es nun bald?-Lächeln. Dann wechselte sie das Thema. »Also… Trudy und Bacon, hm?«

»Tja.« Ich nickte. Dann fiel mir etwas ein. Ich warf Travis einen scharfen Blick zu. »Und du wusstest es und hast mir nichts gesagt?«

Travis wollte gerade antworten, als zu seinem Glück Matilda anfing, mit ihrem Fläschchen herumzumachen. »Na, sieh einer an«, sagte er, hielt die Flasche hoch und ignorierte mich komplett. »Du warst aber ein hungriges Mädchen heute Morgen«, sagte er zu Matilda in so einem Baby-Singsang.

Er stand auf, wobei er das Känguru immer noch wie ein Baby im Arm hielt, trug die Flasche zur Spüle und murmelte dann etwas über ihren Beutel, der hergerichtet werden müsste, als er zur Tür hinausging.

Ich starrte die nun leere Türöffnung an, dann blickte ich zurück zu Ma. »Gebt ihr euch gegenseitig Tipps, wie man es vermeidet, auf Fragen zu antworten? Das habt ihr nämlich beide wirklich drauf.«

Ma lachte und stand auf. »Du machst dich jetzt besser fertig, damit ihr losfahren könnt.«

»Du hast es schon wieder getan.«

Ma klopfte mir auf die Schulter. »Macht euch ein schönes Wochenende, Charlie. Entspann dich mal ein bisschen und hab Spaß.« Sie nahm meine nicht ganz geleerte Teetasse. »Oh, Charlie«, sagte sie, als wäre ihr soeben etwas eingefallen. Sie öffnete den Kühlschrank und reichte mir eine Tüte. »Die sind für unterwegs zum Frühstück.«

Ich sah in die Tüte und fand einige meiner Lieblingspasteten mit Eiern und Schinken aus Mas Frühstückssortiment. »Oh, lecker!« Ich küsste ihre Wange. »Danke, Ma.«

»Und auf dem Tresen steht eine Thermoskanne mit Kaffee für Travis.« Sie gab mir die Isolierkanne. »Du weißt ja, wie gern er das Zeug zum Frühstück trinkt.«

Ich lächelte sie an. »Ja, weiß ich.« Ich stand da, ein wenig unsicher darüber, ein ganzes Wochenende wegzufahren. »Du hast meine Handynummer und ich hab George gesagt, er soll anrufen, wenn ich gebraucht werde. Egal aus welchem Grund, okay? Es macht mir nichts aus.«

Sie ignorierte mich schon wieder und zog Behälter mit Speck aus dem Kühlschrank. »Jetzt mach, dass du aus meiner Küche kommst. Ich muss mich ums Frühstück kümmern.«

* * *

»Ich kann nicht glauben, dass ich das mache«, sagte ich und sah zu Travis hinüber. Ich saß am Steuer und wir fuhren auf dem Highway Richtung Alice. Die Sonne ging gerade auf und wir waren bereits seit einer Stunde unterwegs.

Trav lehnte sich in der Sitzbank des alten Pick-ups zurück und streckte seine Beine, so gut es ging. »Dir steht mal ein freies Wochenende zu.«

»Ich hätte genauso gut alles online oder über das Telefon bestellen können«, fügte ich hinzu.

»Ja, hättest du«, entgegnete er schlicht. »Und ich weiß, dass du vollauf zufrieden damit wärst, für den Rest deines Lebens jeden einzelnen Tag auf Sutton Station zu verbringen, aber ich brauch mal für ein Wochenende Tapetenwechsel.«

»Was?« Ich drehte mich ruckartig zu ihm um. »Warum hast du nicht schon früher etwas gesagt? Wenn du es leid bist, auf der Farm zu sein, dann hättest du mir das sagen sollen.«

Travis schnaubte und lächelte sein Das ist nicht der Punkt-Lächeln. Er schüttelte den Kopf über mich. »Ich bin es nicht leid, auf der Farm zu sein. Aber ein Wochenende alle sechs Monate ist ja wohl nicht zu viel verlangt.«

»Oh.«

»Ich will ausgehen und etwas trinken – mit dir. Und essen gehen – mit dir. Und ich will was von Micky-Dee essen –«

Ich unterbrach ihn: »Du willst was essen?«

»Micky-Dee«, erklärte er. »Du weißt schon, McDonald's.«

»Macca?« Ich starrte ihn an. »Wirklich?«

»Ja, McDonald's.« Er schüttelte den Kopf. »Nennt ihr das hier wirklich Macca?«

»Nennt ihr das bei euch wirklich Micky-Dee?«

»Ja, tun wir. Und um ehrlich zu sein, hab ich da nie oft gegessen, aber weil ich es nun sechs Monate lang nicht haben konnte, will ich es jetzt. Ich werd's wahrscheinlich zwanzig Minuten nach dem Essen schon bereuen, es auch nur in Erwägung gezogen zu haben, aber ja, ich will jetzt Micky-Dee.«

»Macca.«

»Ich hab zwar einiges an Slang von dir übernommen, aber bei Macca ist für mich Schluss.«

Ich lachte darüber. »Wir kürzen nicht alles ab.«

»Du bist der einzige Mensch auf dem Planeten, der mich Trav nennt.«

 

Ich lächelte ihn an und ließ meine Augen zwischen der Straße und ihm hin und her wandern, während ich fuhr. »Trav passt zu dir.«

»Wie auch immer«, fuhr er fort und ignorierte mich völlig, »wie ich bereits sagte, können wir ausgehen und etwas trinken und tanzen.«

»Tanzen?«, sagte ich so ziemlich eine Oktave höher als normal. »Ich tanze nicht.«

»Wirst du aber.«

»Nein, werde ich nicht.«

»Du wirst mit mir tanzen«, sagte er leichthin in diesem Widerspruch ist zwecklos-Ton, den ich hasste. Und liebte.

»Weißt du, was ich am meisten möchte?«, fragte er, während er aus dem Fenster sah. »Ich möchte irgendwo übernachten, wo es Duschen gibt, in die wir beide zusammen reinpassen und mit genug Wasser, dass wir eine halbe Stunde unter der Dusche verbringen können, und ich möchte Samstag und Sonntag den ganzen Vormittag mit dir im Bett verbringen.«

»Also, das kriege ich hin.«

Dann schwieg er und lächelte die vorbeiziehende Landschaft an. Es wurde langsam heller und der violette Himmel färbte sich am Horizont blau, als die Sonne aufging. »Hey, willst du vielleicht fahren?«, fragte ich.

»Ich hab dir schon mal gesagt,« antwortete er schlicht, «ihr sitzt im Auto auf der falschen Seite und fahrt auch auf der falschen Seite der Straße. Nein, ich will nicht fahren.« Trav streckte sich aus, sodass er fast quer über seinem Sitz lag, sein Kopf an meiner Schulter und die Füße am Beifahrerfenster. Er zog seinen Hut – meinen alten Hut – über seine Augen und lächelte. »Und jetzt halt die Klappe und lass mich schlafen.«

* * *

Ich buchte uns ein Zimmer in einem der besseren Hotels der Stadt, und als die Dame am Empfang Travis draußen bei dem alten Truck sah, schien sie sich nichts dabei zu denken. Ich scherzte sogar mit ihr darüber, dass ich das Doppelbett nehmen würde und er das kleine Beistellbett nehmen könnte.

Da war immer diese beißende Angst, dass jemand es herausfinden würde. Dass sie irgendwie wissen würden, dass wir zusammen waren. Ich wusste, Travis war es scheißegal, ob die Leute es wussten…

Aber mir nicht.

Ich war dafür noch nicht bereit. Ich war nicht bereit, Sutton Station den homophoben Tod sterben zu lassen, weil andere Farmer mit einem schwulen Farmer keine Geschäfte machen würden, nichts von ihm kaufen, ihm nichts verkaufen, ja nicht einmal mit ihm reden würden.

Travis sagte, dass er das verstand. Und zu Hause, wenn wir allein waren, sogar in Mas und Georges Gegenwart, mussten wir uns nicht verstecken. Wir konnten einfach wir selbst sein. Wir beschränkten unser Privatleben auf das Haus und verhielten uns bei der Arbeit vollkommen professionell. Die letzten sechs Monate waren verdammt großartig gewesen.

Aber dies war nun unser erstes Wochenende, das wir gemeinsam – als Paar – woanders verbrachten. Und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht ein bisschen Angst hatte.

»Alles in Ordnung?«, fragte Travis. Er sah mich ein wenig seltsam an. »Du machst dein typisches Ich denke zu viel nach-Gesicht.«

Ich konnte nicht anders, als ihn anzulächeln. »Ja, es ist alles bestens.« Ich warf ihm den Zimmerschlüssel zu und holte unsere Taschen hinten aus dem Pick-up. »Wir können unser Zeug hierlassen und uns direkt zum Co-Op aufmachen.«

Travis schloss das Hotelzimmer auf und ging als Erster hinein. Ich folgte ihm mit unseren Taschen und sah ihn da stehen und das Bett anstarren. »Oder wir können auch erst eine Weile hierbleiben.«

Ich warf unser Gepäck in die Mitte des großen, weißen, weich aussehenden Doppelbetts. »Genau deshalb müssen wir zuerst zum Co-Op«, sagte ich zu ihm. »Ich weiß, wenn wir hierbleiben, dann schaffen wir es niemals zum Laden, bevor er zumacht.«

Travis seufzte und seine Stimme wurde tiefer. Rauchiger. »Ich bin sicher, dass wir alles, was wir brauchen, auch noch morgen besorgen können.«

Ich war mit dem, was diese Veränderung seiner Tonlage zu bedeuten hatte, nur allzu vertraut. »Und ich bin sicher, dass du morgen Früh auch nicht aus dem Bett wollen wirst«, sagte ich.

»Du meinst, ich darf allen Ernstes morgen ausschlafen?«, fragte er. »Länger als bis sechs Uhr? Keine Hunde zu füttern, keine Pferde zu tränken, bevor die Sonne aufgeht? Und Ma wird nicht nach uns brüllen, dass wir unsere faulen Knochen aus den Federn heben sollen? Wahnsinn, das ist ja wie Ferien machen!«

Ich wusste, er meinte es nicht so, aber seine Worte waren irgendwie verletzend. Ich lächelte ihn an, aber es fiel mir schwer. »Sieht ganz so aus.«

Er legte seine Hände auf meine Hüften. »Hey, ich meine es nicht böse«, sagte er. Ich hab nur einen Witz gemacht.«

»Ich weiß«, antwortete ich, immer noch bemüht zu lächeln. Ich wusste, dass es ein Witz sein sollte, aber die Wahrheit war, dass er jeden Morgen meines ganzen Lebens so beschrieben hatte, als wäre es etwas Schlechtes. Ich musste das Thema wechseln. »Komm, lass uns gehen und beim Co-Op mein Bankkonto plündern.«

Und das taten wir dann auch beinahe. Na ja, nicht ganz, aber ich musste all den Zaundraht ersetzen, den wir letzte Woche verbraucht hatten, und mehr als zwei Kilometer Draht war nicht gerade billig. Der arme Junge hinter der Theke dachte, wir würden Witze machen, als wir unsere Bestellung aufgaben. Und dann dachte Travis, dass der Junge hinter der Theke Witze machte, als er den Preis hörte.

Der Geschäftsführer – ein älterer Kerl namens Brian, den ich schon als Kind gekannt hatte – kam herüber, als er mich sah, nannte mich beim Namen und schüttelte mir die Hand. Ich stellte Travis als einen meiner Farmarbeiter vor, und wir unterhielten uns eine Weile – über die Farm, über meinen alten Herrn, den Brian sein ganzes Leben lang gekannt hatte, dann übers Wetter und was es in der Stadt Neues gab.

Schließlich kamen wir dazu zu bestellen, was wir so brauchten. Ich unterschrieb auf unserem Kundenkonto und organisierte es so, dass alles am Montag geliefert werden würde, und dann waren wir fertig.

Als wir wieder in den Pick-up stiegen, war Travis sehr schweigsam. »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich.

»Sicher«, sagte er schnell. Nach einer Weile muss es ihn dann übermannt haben. Ich dachte, er wäre vielleicht sauer, weil ich ihn als meinen Angestellten vorgestellt hatte, aber das war es gar nicht. »Das war eine Menge Geld. Und ich weiß, es geht mich nichts an, aber ich muss dich fragen. Kannst du dir das wirklich leisten?«

Ich legte den Rückwärtsgang ein und setzte den Pick-up lachend aus der Parklücke. »Du machst dir Sorgen, dass das Konto nicht gedeckt ist?«

»Nein, nein«, sagte er kopfschüttelnd. »Mir war klar, dass das viel kosten würde, aber lieber Himmel, das waren dreißig Riesen! Wenn ich gewusst hätte, dass es so viel wird, hätte ich nicht auch noch das ganze Gartenzeugs für Ma obendrauf gepackt.«

»Ein paar Säcke Gartenerde, einige Leitungsrohre und alte Eisenbahnschwellen machen bei der Menge Geld wirklich nicht viel aus«, sagte ich zu ihm. »Außerdem wird Ma es lieben. Du hast recht, weißt du. Ich hätte das schon vor Jahren machen sollen.«

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und schüttelte den Kopf. Während ich durch die Stadt fuhr, schwieg er, aber als ich in die Hotelauffahrt einbog, sah er mich an. »Charlie, du musst mir darauf nicht antworten, und du kannst mir sagen, dass ich mich um meinen eigenen Kram kümmern soll, aber läuft Sutton Station gut? Ich weiß nicht, warum ich bisher überhaupt nicht über den finanziellen Aspekt dessen, was wir tun, nachgedacht habe. Du kümmerst dich um diese Sachen oder schickst sie deinem Buchhalter oder was auch immer. Ich hab überhaupt keine Ahnung und es geht mich nichts an« – er wand sich – »aber du würdest es mir doch sagen, wenn es Probleme gäbe, oder?«

Ich parkte den Pick-up und stellte den Motor ab. »Trav, es gibt keine Probleme. Wir hatten eine ziemlich gute Saison.«

»Ich hätte ein paar Ideen zur Diversifikation«, sagte er hastig. »Wir könnten ein paar kleinere Bereiche des Hofs abteilen…«

»Trav«, unterbrach ich ihn. »Du musst dir keine Sorgen machen. Es ist alles bestens. Wir arbeiten mit einem Vier-Jahres-Polster, so wie die meisten Farmer hier. Das Geld, das wir heute ausgegeben haben, haben wir vor vier Jahren verdient. Wir können vier Jahre Dürre oder schlechte Zeiten überstehen. Natürlich achten wir trotzdem darauf, was wir ausgeben, und wir arbeiten mit einem Haushaltsplan. Nur so können wir hier draußen überleben.«