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Max Havelaar oder Die Kaffee-Versteigerungen der NiederländischenHandels-Gesellschaft

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Dieser Sjaalman schreibt eine gute Hand, dachte ich, er sah armselig aus, er wußte nicht, wie spät es ist  wie wäre es, dachte ich, wenn ich ihm Bastiaans' Stelle gäbe? Ich würde ihm in dem Falle sagen, daß er zu mir »Mijnheer« sagen müßte: das würde er wohl einsehen; ein Buchhalter kann doch seinen Chef nicht mit Namen anreden, und ihm wäre vielleicht fürs Leben geholfen. Er könnte mit vier- oder fünfhundert Gulden anfangen; Bastiaans hat auch lange gearbeitet, bis er zu siebenhundert aufstieg  und ich hätte eine gute That gethan. Ja, mit dreihundert Gulden hätte er wohl anfangen können; denn da er nie im Geschäft gewesen ist, könnte er die ersten Jahre als Lehrzeit ansehen, was ja auch billig ist, denn er kann sich nicht mit Leuten vergleichen, die schon viel gearbeitet haben. Ich bin sicher, er würde mit zweihundert Gulden zufrieden sein …

Aber ich war nicht beruhigt über seine Lebensführung … er hatte einen Shawl um; und schließlich wußte ich auch nicht, wo er wohnte.

Ein paar Tage darauf waren der junge Stern und Frits zusammen auf einer Bücherauktion im »Wappen von Bern« gewesen. Ich hatte Frits verboten, etwas zu kaufen; aber Stern, der reichlich Taschengeld hat, kam mit einigen Fetzen nach Haus, das ist seine Sache. Aber sieh da, Frits erzählte, daß er Sjaalman gesehen hätte, der bei dem Bücherverkauf angestellt schien. Er hatte die Bücher aus den Kisten genommen und sie auf der langen Tafel zu dem Auktionator hingeschoben. Frits sagte, er sah sehr bleich aus, und ein Herr, der die Aufsicht zu führen schien, hatte ihn gescholten, weil er ein paar Jahrgänge der »Aglaja« hatte fallen lassen. Ich finde das auch sehr ungeschickt, denn es ist eine allerliebste Sammlung von Damen-Handarbeiten; Marie hält es zusammen mit den Rosemeyers, die in Zucker machen; sie häkelt daraus, aus der »Aglaja« meine ich. Aber bei dem Schelten hatte Frits gehört, daß er fünfzehn Stüber täglich verdiente. »Denken Sie, daß ich Lust habe, fünfzehn Stüber täglich an Sie wegzuwerfen?« hatte der Herr gesagt. Ich rechnete aus, daß fünfzehn Stüber täglich  Sonn- und Festtage werden wohl nicht zählen, sonst hätte er ein Monats- oder Jahresgehalt genannt  zweihundertfünfundzwanzig Gulden aufs Jahr machen. Ich bin schnell in meinen Beschlüssen  wer so lange im Geschäft ist, weiß sofort, was er zu thun hat  und am folgenden Morgen fragte ich bei Gaafzuiger an  das ist der Buchhändler, der den Verkauf abgehalten hatte; ich fragte nach dem Mann, der die »Aglaja« hatte fallen lassen.

»Der hat seine Entlassung«, sagte Gaafzuiger, »er war träge, schwerfällig und kränklich.«

Ich kaufte eine Schachtel Mundoblaten und beschloß sofort, es mit Bastiaans noch etwas anzusehen; ich konnte mich nicht dazu entschließen, einen alten Mann so auf die Straße zu setzen. Streng, aber, wo es sein kann, sanft  ist immer mein Prinzip gewesen.

Ich versäume indessen nie, mich nach etwas zu erkundigen, was in den Geschäften zu paß kommen kann, und fragte deshalb Gaafzuiger, wo der Sjaalman wohnte. Er gab mir die Adresse, und ich schrieb sie auf.

Ich dachte fortwährend an mein Buch, aber da ich die Wahrheit liebe, muß ich geradeweg sagen, daß ich nicht wußte, wie ich damit zustande kommen sollte. Ein Ding stand fest: die Baustoffe, die ich in Sjaalmans Paket gefunden hatte, waren für Makler in Kaffee von Interesse. Die Frage war indessen, wie ich handeln mußte, um die Baustoffe ordentlich zu schichten und zusammenzubringen. Jeder Makler weiß, wie wesentlich eine gute Sortierung der Haufen ist.

Aber schreiben, abgesehen von der Korrespondenz mit den Prinzipalen, liegt nicht in meiner Thätigkeit, und doch fühlte ich, daß ich schreiben mußte, weil vielleicht die Zukunft der Branche davon abhängt.

Die Aufklärungen, die ich in Sjaalmans Bündel fand, sind nicht von der Art, daß sie Last & Co. für sich allein behalten könnten; wenn das so wäre, begreift jeder, sollte ich wohl nicht ein Buch drucken lassen, das Busselinck & Waterman auch zu lesen bekommen; denn wer einem Konkurrenten vorwärts hilft, ist ein Narr, das ist ein festes Prinzip von mir. Nein, ich sah ein, daß da eine Gefahr droht, die den ganzen Kaffeemarkt verderben kann; eine Gefahr, die nur durch die vereinten Kräfte aller Makler abgewehrt werden kann. Und es ist sogar möglich, daß diese Kräfte dazu noch gar nicht ausreichen, und daß auch die Zuckerraffinadeure (Frits sagt Raffineure, aber ich schreibe »nadeure«, das thun die Rosemeyers auch, und die machen in Zucker,  ich weiß wohl, daß man sagt: »ein raffinierter Schurke«, und nicht »ein raffinadierter«, aber das kommt davon, daß man sich bei Schurken, wenn man schon mit ihnen zu thun hat, so wenig wie möglich aufhält)  daß also auch die Raffinadeure und die Indigohändler dabei nötig sein werden.

Wie ich so beim Schreiben nachdenke, kommt es mir so an, daß sogar die Schiffsreedereien einigermaßen davon betroffen werden, und die Kauffahrteiflotte … gewiß, das ist wahr. Und die Segelmacher auch, und der Finanzminister, und die Armenverwaltung, und die anderen Minister, und die Pastetenbäcker, und die Kurzwarenhändler, und die Frauen, und die Schiffsbaumeister, und die Großhändler, und die im Kleinen verkaufen, und die Hausbewahrer, und die Gärtner.

Und  sonderbar, wie einem so beim Schreiben die Gedanken kommen  mein Buch geht auch die Müller an, und die Geistlichen, und die, die Hollowaypillen verkaufen, und die Schnapsbrenner, und die Ziegelbrenner, und die von der Staatsschuld leben, und die Pumpenmacher, und die Seiler, und die Weber, und die Schlächter, und die Schreiber auf einem Maklerkontor, und die Teilhaber der Niederländischen Handelsgesellschaft, und eigentlich, genau genommen, alle anderen auch …

Und den König auch … ja, den König erst recht

Mein Buch muß in die Welt. Daran ist nichts zu ändern  mögen dann Busselinck & Waterman es auch zu lesen bekommen … Mißgunst ist meine Sache nicht; aber Pfuscher und Schleicher sind sie, das sage ich. Ich habe es noch heute dem jungen Stern gesagt, als ich ihn in »Artis« einführte; er kann's seinem Vater schreiben.

So saß ich vor ein paar Tagen wieder da und brütete über meinem Buche, und sieh, Frits hat mich auf den Weg gebracht. Ich habe es ihm selbst nicht gesagt, denn man muß keinen merken lassen, daß man Verpflichtungen gegen ihn hat, das ist ein Prinzip von mir, aber wahr ist es. Er sagte, daß Stern so ein heller Bursche wäre, daß er so schnelle Fortschritte im Holländischen mache, und daß er deutsche Verse von Sjaalman ins Holländische übersetzt habe. Ihr seht, es war verkehrte Welt in meinem Hause: der Holländer hatte deutsch geschrieben, und der Deutsche übersetzt es ins Holländische; hätte sich jeder bei seiner Sprache gehalten, wäre Arbeit gespart worden. Aber, dachte ich, wenn ich nun mein Buch durch diesen Stern schreiben ließe  wenn ich etwas hinzuzufügen habe, schreibe ich selber von Zeit zu Zeit ein Kapitel. Frits kann auch helfen; er hat eine Liste von Wörtern, die mit zwei e geschrieben werden, und Marie kann es ins Reine schreiben. Da hat der Leser gleich eine Gewähr gegen alle Unsittlichkeit, denn das versteht sich doch, daß ein anständiger Makler seiner Tochter nichts in die Hände geben wird, was nicht mit Sitte und Anstand zusammenstimmt.

Ich habe dann mit den beiden Jungen über meinen Plan gesprochen, und sie fanden ihn gut. Nur schien Stern, der, wie alle Deutschen, einen Stich ins Litterarische an sich hat, in der Art und Weise der Ausführung eine Stimme zu verlangen. Das gefiel mir nun nicht, aber weil die Frühjahrsversteigerung noch bevorsteht und ich von Ludwig Stern noch keine Aufträge habe, wollte ich im nicht zu stark widersprechen. Er sagte: »wenn die Brust ihm glühe für das Wahre und Schöne, solle keine Macht der Welt ihn hindern, die Töne anzuschlagen, die mit solch einem Gefühl übereinstimmten, und er wolle lieber schweigen, als seine Worte umklammert zu sehen von den entehrenden Fesseln der Alltäglichkeit.« Ich fand das ganz verrückt von Stern, aber mein Fach geht mir über alles, und der Alte ist ein gutes Haus.

Wir setzten also fest:

1. daß er alle Woche ein paar Kapitel für mein Buch liefern sollte;

2. daß ich in seinem Geschreibe nichts ändern sollte;

3. daß Frits die Sprachfehler verbessern sollte;

4. daß ich das Recht haben sollte, von Zeit zu Zeit ein Kapitel zu schreiben, um dem Buche einen soliden Charakter zu geben;

5. daß der Titel sein sollte: Die Kaffeeversteigerungen der Niederländischen Handelsgesellschaft;

6. daß Marie eine saubere Abschrift machen sollte vor der Drucklegung; daß man aber mit ihr Geduld haben sollte, wenn die Wäsche käme;

7. daß die fertiggearbeiteten Kapitel alle Woche in der Gesellschaft vorgelesen werden sollten;

8. daß alle Unsittlichkeit vermieden werden sollte;

9. daß mein Name nicht auf dem Titel stehen sollte, weil ich Makler bin;

10. daß Stern eine deutsche, eine französische und eine englische Übersetzung sollte herausgeben dürfen, weil man, wie er behauptet, sich im Auslande auf solche Werke besser verstände als bei uns;

11. daß ich (darauf drang Stern sehr stark) Sjaalman ein Ries Papier, ein Groß Federn und eine Kruke Tinte schicken sollte.

Ich ließ mir alles gefallen, denn es war Eile nötig Stern hatte den folgenden Tag sein erstes Kapitel fertig,  und so kommt es, lieber Leser, daß ein Makler in Kaffee (Lauriergracht Nr. 37) ein Buch schreibt, das wie ein Roman aussieht.

Kaum aber hatte Stern seine Arbeiten angefangen, da stieß er auch schon auf Schwierigkeiten. Außer der Schwierigkeit, aus so vielen Baustoffen das Nötige auszusuchen und zu ordnen, kamen fortgesetzt in den Manuskripten Wörter und Ausdrücke vor, die er nicht verstand, und die auch mir fremd waren. Meist war es javanisch oder malayisch; auch waren hie und da Abkürzungen angebracht, die schwer zu entziffern waren. Ich sah ein, daß wir Sjaalman brauchten, und da ich es nicht gut finde, wenn ein junger Mensch verkehrte Beziehungen anknüpft, wollte ich weder Stern noch Frits hinschicken. Ich nahm etwas Zuckerzeug mit, was vom letzten Gesellschaftsabend übrig geblieben war, denn ich denke immer an alles, und suchte ihn auf. Blendend war seine Behausung nicht; aber die Gleichheit aller Menschen, was auch ihre Wohnung angeht, ist ein Hirngespinst. Er hat das selbst gesagt in seiner Abhandlung über das Recht auf Glück. Übrigens, ich liebe Menschen nicht, die immer unzufrieden sind.

 

Es war in einem Hinterzimmer in der Lange-Leidschen Querstraße. Im unteren Stock wohnte ein Trödler, der allerlei Dinge verkaufte, Tassen, Schüsseln, Möbel, alte Bücher, Glassachen, Bilder von van Speyk und dergleichen. Ich hatte Furcht, etwas zu zerbrechen, denn in solchem Falle fordern die Menschen immer mehr Geld für das Zeug, als es wert ist. Ein kleines Mädchen saß auf der Schwelle und kleidete ihre Puppe an. Ich fragte, ob Herr Sjaalman da wohne; sie lief davon, und die Mutter kam hervor.

»Ja, der wohnt hier, M'neer. Gehn Se man die Treppe ruf nach's erste Portal, un denn die Treppe nach's zweete Portal, un denn noch 'ne Treppe, denn sin Se da. Mijntje, geh, sag', es ist 'n Herr da. Wer soll se sagen, daß da is?«

Ich sagte, daß ich Mijnheer Droogstoppel wäre, Makler in Kaffee, von der Lauriergracht, aber ich wollte mich schon selbst anmelden. Ich kletterte so hoch, als sie gesagt hatte, und hörte auf dem dritten Flur eine Kinderstimme singen: »Bald kommt der Vater, der süße Papa.« Ich klopfte, und die Thür wurde geöffnet durch eine Frau oder Dame  ich wußte selbst nicht recht, was ich aus ihr machen sollte. Sie sah sehr bleich aus, und ihre Züge trugen Spuren von Übermüdung: ich mußte an meine Frau denken, wenn sie die Wäsche hinter sich hat. Sie hatte ein weißes langes Hemd oder Jacke ohne Schoß an, die ihr bis an die Knie reichte und vorn mit einer schwarzen Nadel festgemacht war. Anstatt eines anständigen Rocks oder Kleides trug sie darunter ein Stück dunkler geblümter Leinwand, das einigemal um den Leib gewickelt schien und ihre Hüften und Knie ziemlich eng umschloß. Da war keine Spur von Falten, Weite oder Umfang, wie sich das bei einer Frau doch gehört. Ich war froh, daß ich Frits nicht geschickt hatte; denn ihre Kleidung kam mir sehr ungeziemend vor, und ihre Fremdartigkeit wurde noch erhöht durch die Ungezwungenheit, mit der sie sich bewegte, als fühlte sie sich so ganz in Ordnung. Sie schien durchaus nicht zu wissen, daß sie anders aussah als andere Frauen;  auch hatte ich das Gefühl, als wäre sie durch mein Kommen gar nicht in Verlegenheit gesetzt; sie versteckte nichts unter dem Tisch, schob nicht mit den Stühlen, kurz, sie that nichts, was doch die Sitte ist, wenn ein Fremder von einem würdigen Aussehen kommt.

Sie hatte das Haar wie eine Chinesin nach hinten gekämmt und dort in einer Art von Schleife oder Knoten zusammengebunden. Später habe ich erfahren, daß ihre Kleidung eine Art von »indischer Tracht« war, die sie da zu Lande Sarong und Kabai nennen, aber ich fand es sehr häßlich.

»Sind Sie Juffrouw Sjaalman?« fragte ich.

»Wen habe ich die Ehre zu sprechen?« sagte sie, und zwar mit einem Ton, als ob ich wohl auch etwas von »Ehre« in meine Frage hätte bringen können.

Nun, ich bin kein Freund von Komplimenten. Mit einem Prinzipal ist das etwas anderes, und ich bin schon zu lange beim Geschäft, um meine Welt nicht zu kennen, aber da viel Umstände zu machen im dritten Stockwerk, fand ich nicht nötig. Ich sagte also kurzweg, »daß ich Mijnheer Droogstoppel wäre, Makler in Kaffee, Lauriergracht Nr. 37, und daß ich ihren Mann sprechen wollte.«

Sie wies auf einen Mattenstuhl und nahm ein kleines Mädchen, das auf dem Fußboden spielte, zu sich auf den Schoß. Der kleine Junge, den ich hatte singen hören, sah mich an und beguckte mich von Kopf zu Fuß. Der schien auch nicht verlegen. Es war ein Knäbchen von etwa sechs Jahren, auch ziemlich auffallend gekleidet; sein weites Höschen reichte mit knapper Not bis zur Hälfte des Schenkels, und von da waren die Beinchen nackt bis an die Knöchel. Sehr indecent, finde ich.

»Kommst du, um Papa zu sprechen?« fragte er mich plötzlich, und ich merkte sofort, daß die Erziehung des Bürschchens zu wünschen übrig ließ, sonst hätte er »Kommen Sie« gesagt. Aber weil ich mit meiner Haltung etwas verlegen war, und gern etwas sagen wollte, antwortete ich:

»Ja, Kerlchen, ich komme, um deinen Papa zu sprechen; was meinst du? wird er bald kommen?«

»Das weiß ich nicht. Er ist ausgegangen, um Geld zu suchen und mir einen Tuschkasten zu kaufen.«

»Still, mein Junge«, sagte die Frau, »spiel mit deinen Bildern oder mit der chinesischen Spieldose.«

»Du weißt doch, daß der Herr gestern alles mitgenommen hat.«

Auch seine Mutter nannte er »du«, und es war ein Herr dagewesen, der alles mitgenommen hatte, ein fröhlicher Besuch Die Frau schien auch nicht aufgeräumt, sie wischte sich verstohlen über die Augen, als sie das kleine Mädchen zu ihrem Brüderchen brachte.

»Da«, sagte sie, »spiel ein bißchen mit Nonnie.«

Ein komischer Name. Und das that er denn.

»Nun, Juffrouw«, fragte ich, »erwarten Sie Ihren Mann bald?«

»Ich kann nichts Bestimmtes sagen«, antwortete sie.

Da ließ mit einem Male der kleine Junge, der mit seinem Schwesterchen »Kahnfahren« gespielt hatte, diese im Stich und fragte mich:

»Mijnheer, warum sagst du zu Mama Juffrouw?«

»Wie soll ich denn sagen, Kerlchen?« fragte ich.

»Nun  so wie andere Menschen sagen  Juffrouw ist die Frau unten, die Schüsseln verkauft.«

Nun bin ich Makler in Kaffee, Last & Co., Lauriergracht Nr. 37. Wir sind im ganzen dreizehn auf dem Kontor, und wenn ihr Stern, der kein Gehalt bezieht, mitrechnet, sind es gar vierzehn. Nun also, meine Frau ist »Juffrouw«, und sollte ich nun zu diesem Weibe »Mevrouw« sagen? Das ging doch nicht. Jeder muß in seinem Stand bleiben … und was noch mehr ist, gestern hatten ihr die Gerichtsvollzieher den ganzen Kram abgeholt … ich fand »Juffrouw« daher ganz am Platze, und ich blieb dabei.

Ich fragte, warum Sjaalman sich bei mir nicht gemeldet hätte, um sein Paket zu holen? Sie schien davon zu wissen, und sagte, »sie wären auf der Reise gewesen, in Brüssel, und dort habe er für die ›Indépendance‹ gearbeitet, aber er habe nicht da bleiben gekonnt, weil seine Artikel die Ursache waren, daß das Blatt so oft an der französischen Grenze zurückgewiesen wurde; seit einigen Tagen wären sie wieder in Amsterdam, weil Sjaalman hier eine Beschäftigung bekommen sollte …«

»Das war gewiß bei Gaafzuiger?« fragte ich.

»Ja, das war es; aber das ist mißglückt«, sagte sie.

Ich wußte davon mehr als sie. Er hatte die Aglaja fallen lassen, und er war außerdem träge, schwerfällig und kränklich … deshalb war er weggejagt.

»Und«, fuhr sie fort, »er würde sicher dieser Tage zu mir kommen, vielleicht wäre er schon zu mir unterwegs, um sich die Antwort auf sein Anliegen zu holen.«

Ich sagte, Sjaalman möge nur kommen; aber er solle nicht klingeln, weil das für das Mädchen lästig ist; wenn er wartete, sagte ich, würde sich die Thür wohl einmal öffnen, wenn jemand heraus müßte.

Und dann ging ich hin und nahm mein Zuckerbrot wieder mit; denn kurz gesprochen, es gefiel mir da nicht. Ich fühlte mich nicht gemütlich. Ein Makler ist doch kein Arbeitsmann, und ich denke, daß ich anständig aussehe; ich hatte meine Jacke mit Pelzwerk an, und doch saß sie so gleichgültig da und schwatzte so ruhig mit ihren Kindern, als ob sie allein wäre. Auch schien sie geweint zu haben, und unzufriedene Menschen kann ich nicht vertragen. Dann war es kalt und unfreundlich, natürlich, weil die ganze Wirtschaft weggeholt war, und ich bin für freundliches Aussehen in der Wohnung.

Unterwegs beschloß ich, es mit Bastiaans noch etwas anzusehen, denn ich mag nicht gern jemand auf die Straße setzen.

Jetzt folgt die erste Woche von Stern. Es versteht sich von selber, daß viel drin vorkommt, was mir nicht gefällt; aber ich muß mich an Artikel zwei halten, und die Rosemeyers haben es gut gefunden,  aber ich glaube, daß sie nach Stern angeln, weil er in Hamburg einen Onkel hat, der in Zucker macht.

Sjaalman war in der That dagewesen; er hatte Stern gesprochen und diesem einige Worte und Dinge ausgelegt, die er nicht verstand  die Stern nicht verstand, meine ich. Ich lade nun die Leser ein, sich durch die folgenden Kapitel durchzubeißen; dann verspreche ich später wieder etwas soliderer Natur von mir, Batavus Droogstoppel, Makler in Kaffee (Firma Last & Co., Lauriergracht Nr. 37).

Fünftes Kapitel

Stern beginnt seine Erzählung. Von Türmen, vom Adel, von Residenten, Adsistent-Residenten, Regenten und Regierten auf Java.

Eines Morgens um zehn Uhr herrschte auf dem großen Weg, der den Bezirk Pandeglang mit Lebak verbindet, eine ungewöhnliche Bewegung.

»Großer Weg« ist ein bißchen viel gesagt für den breiten Fußpfad, den man aus Höflichkeit und in Ermangelung eines besseren den »Weg« nannte; aber wenn man mit einem vierspännigen Wagen von Serang, dem Hauptorte von Bantam, wegfuhr, mit der Absicht, sich nach Rangkas-Betoeng, dem neuen Hauptort des Lebakschen, zu begeben, konnte man einigermaßen darauf rechnen, nach einiger Zeit dort anzukommen. Es war also ein Weg. Man blieb zwar fortwährend in dem Sumpfboden stecken, der in den Bantamschen Tiefländereien schwer, lehmig und kleberig ist, man sah sich zwar öfters genötigt, die Bewohner der in der Nähe gelegenen Dörfer zu Hilfe zu rufen  auch waren sie oftmals nicht in der Nähe, denn die Dörfer sind in der Gegend nicht sehr zahlreich  aber wenn man es dann geschafft hatte, so zwanzig Landbewohner aus der Umgegend zusammen zu bringen, dauerte es gewöhnlich nicht mehr lange, bis man Pferde und Wagen wieder auf festen Grund gebracht hatte. Der Kutscher klatschte mit der Peitsche, die Läufer  in Europa würde man sie, glaube ich, Palefreniers nennen, oder besser gesagt, in Europa giebt es nichts, was sich mit diesen Läufern vergleichen ließe  diese unvergleichlichen Läufer also, mit ihren kurzen dicken Peitschen, sprangen wieder an der Seite des Viergespanns einher, kreischten wieder unbeschreibliche Töne und schlugen den Pferden zur Ermutigung unter den Bauch. So ratterte man denn einige Zeit weiter, bis der ärgerliche Augenblick wieder da war, daß man bis über die Achsen in den Modder versank. Dann begann das Hilferufen aufs neue  man wartete, bis die Hilfe kam, man jockelte weiter.

Oftmals, wenn ich diesen Weg entlang ging, war mir, als müßte ich da einen Wagen mit Reisenden aus dem vorigen Jahrhundert finden, der in den Sumpf gesunken und vergessen worden war. Aber das ist mir doch niemals passiert. Ich nehme daher an, daß alle, die diesen Weg jemals gefahren sind, endlich dahin gelangt sein müssen, wohin sie wollten.

Man würde sich sehr täuschen, wenn man sich von dem ganzen großen Weg auf Java nach dem Maßstabe dieses Weges ins Lebaksche eine Vorstellung machen würde. Die eigentliche Heerstraße mit ihren vielen Seitenzweigen, die der Marschall Daendels mit großer Aufopferung von Menschen herstellen ließ, ist in der That ein prächtiges Stück Arbeit, und man staunt über die Geisteskraft dieses Mannes, der, ungeachtet aller Schwierigkeiten, die seine Neider und Widersacher im Mutterlande ihm in den Weg legten, dem Unwillen der Bevölkerung und dem Mißvergnügen der Stammeshäupter zu trotzen wagte, um etwas zustande zu bringen, was heute noch die Bewunderung jedes Besuchers hervorruft und verdient.

Keine Pferdepost in Europa, auch nicht in England, Rußland oder Ungarn, kann mit der auf Java in Vergleich gestellt werden. Über hohe Bergrücken, an Abgründen, die dich grausen machen, fliegt der schwerbepackte Reisewagen in einem Galopp dahin. Der Kutscher sitzt auf dem Bock wie angenagelt, Stunden, ja ganze Tage hintereinander, und schwingt die schwere Peitsche mit eisernem Arm. Er weiß genau zu berechnen, wie stark er die scheuenden Pferde halten muß, um nach fliegender Thalfahrt, von einem Bergesabhang herab, dort an jener Ecke …

»Mein Gott, der Weg ist … wir stürzen in den Abgrund«, schreit der unerfahrene Reisende, »da ist kein Weg … da ist die Tiefe«

Ja, so scheint es. Der Weg biegt sich, und gerade, wie ein Galoppsprung mehr das Vorspann den festen Grund und Boten soll verlieren lassen, wenden sich die Pferde und schleudern den Wagen um die Kante herum. Sie fliegen die Höhe hinauf, die du einen Augenblick zuvor nicht gesehen hast, … und der Abgrund liegt hinter dir.

Es kommt vor, daß der Wagen allein auf den Rädern der Innenseite des Bogens ruht, den du beschreibst: die Centrifugalkraft hat die äußeren Räder vom Grunde emporgehoben. Es gehört Kaltblütigkeit dazu, die Augen nicht zu schließen,  und wer zum erstenmal auf Java reist, schreibt gewöhnlich an seine Familie, daß er in Lebensgefahr geschwebt hat: aber wer daheim davon hört, lacht darüber.

 

Leser, ich beabsichtige nicht, vor allem nicht zu Anfang meiner Erzählung, dich lange mit Beschreibungen von Orten, Landschaften und Gebäuden aufzuhalten. Ich würde fürchten müssen, dich durch etwas abzuschrecken, was nach Langeweile schmeckt: und erst später, wenn ich merke, daß du für mich gewonnen bist, wenn ich in Blick und Haltung sehe, das Los der Heldin, die irgendwo aus dem vierten Stockwerk springt, hat deine Teilnahme,  dann lasse ich sie, mit stolzer Verachtung aller Gesetze der Schwerkraft, zwischen Himmel und Erde schweben, bis ich meinem Herzen Luft gemacht habe durch genaue Schilderung der Schönheiten der Landschaft oder des Gebäudes, das da eigens hingestellt zu sein scheint, um zu einer vielseitenlangen Abschweifung über mittelalterliche Baukunst Anlaß zu geben. Alle diese Burgen gleichen einander. Unabänderlich sind sie von verschiedenartiger Bauordnung; das Hauptgebäude datiert stets um einige Generationen früher als die Seitenflügel, die unter diesem oder jenem späteren König angeklebt sind. Die Türme sind in verfallenem Zustand …

Leser, es giebt keine Türme. Ein Turm ist eine Phantasie, ein Traum, ein Ideal. Es giebt »halbe Türme«, und »Türmchen.«

Die Schwärmerei, die da meinte, Türme auf die Gebäude setzen zu müssen, die zur Ehre dieses oder jenes Heiligen errichtet wurden, dauerte nicht lange genug, um sie zu vollenden, und die Spitze, die die Gläubigen gen Himmel weisen soll, ruht gewöhnlich, ein paar Stockwerk zu tief, auf der massiven Basis, was an den »Mann ohne Schenkel« auf der Kirmeß erinnert. Nur Türmchen, kleine Nadelchen auf den Dorfkirchen, sind fertig geworden.

Es ist für die westliche Kultur nicht schmeichelhaft, daß die Phantasie, ein großes Werk zustande zu bringen, selten standhalten konnte, um das Werk vollendet zu sehen. Ich spreche nicht von Unternehmungen, deren Fertigstellung nötig war, um die Kosten zu decken. Wer genau wissen will, was ich meine, sehe sich den Dom zu Köln an. Er gebe sich Rechenschaft von der großartigsten Idee in der Seele des Baumeisters,  von dem Glauben im Herzen des Volkes, das ihn instandsetzte, das Werk anzufangen und fortzusetzen,  von der Gewalt der Gedanken, die solch einen Koloß nötig hatten, um als sichtbarer Ausdruck des unsichtbaren religiösen Gefühls zu dienen,  und er vergleiche diese Schwärmerei mit der Richtung, die einige Jahrhunderte später den Augenblick gebar, da man das Werk unterbrach.

Eine tiefe Kluft liegt zwischen Erwin von Steinbach und unseren Baumeistern. Ich weiß, daß man seit Jahren bemüht ist, den Spalt auszufüllen;  auch zu Köln baut man wieder an dem Dom. Aber wird man den abgerissenen Draht weiter führen können? Wird man in unseren Tagen wieder finden, was damals die Stärke von Kirchenvogt und Bauherrn ausmachte? Ich glaube nicht. Geld kann man geben; dafür ist Stein und Kalk feil; man kann den Künstler bezahlen, der einen Plan entwirft, den Steinmetzen, der den Stein legt … aber nicht für Geld feil ist das wunderliche und doch ehrwürdige Gefühl, das in einem Bauentwurf ein Gedicht sah: ein Gedicht von Granit, das laut zum Volke sprach, ein Gedicht von Marmor, das dastand als ein unbeweglich, dauernd, ewig Gebet.

* * *

Auf der Grenze also zwischen Lebak und Pandeglang war an jenem Morgen eine ungewöhnliche Bewegung. Hunderte von gesattelten Pferden bedeckten den Weg, und mindestens tausend Menschen, was für diesen Fleck viel war, liefen in betriebsamer Erwartung hin und her. Da sah man die Dorfhäupter und die Distriktsoberhäupter aus dem Lebakschen alle mit ihrem Gefolge, und nach dem schönen Araber-Bastard zu urteilen, der in seinem reichen Geschirr auf der silbernen Trense nagte, war auch ein Haupt von höherem Range anwesend. So war es wirklich. Der Regent von Lebak, Raden Adipati Karta Natta Negara, hatte mit großem Gefolge Rangkas-Betoeng verlassen, um trotz seines hohen Alters die zwölf oder vierzehn Palen zurückzulegen, die seinen Wohnort von dem Nachbargebiet Pandeglang trennten.

Es wurde ein neuer Adsistent-Resident erwartet; und das Herkommen, das in Indien mehr denn irgendwo Gesetzeskraft hat, verlangt, daß der Beamte, der mit der Verwaltung eines Bezirkes beauftragt ist, bei seiner Ankunft festlich eingeholt wird. Auch der Kontroleur, ein Mann von mittleren Jahren, der seit einigen Monaten, seit dem Tode des vorigen Adsistent-Residenten, die Verwaltung als Stellvertreter wahrgenommen hatte, war anwesend.

Sobald die Ankunft des neuen Adsistent-Residenten bekannt wurde, hatte man in aller Eile eine »Pendoppo« aufgerichtet, ein Tisch und einige Stühle waren da hingebracht, einige Erfrischungen bereitgestellt, und in der Pendoppo erwartete der Regent mit dem Kontroleur die Ankunft des neuen Vorgesetzten.

Nächst einem Hut mit breitem Rand, einem Regenschirm oder einem hohlen Baum, ist eine »Pendoppo« sicher der einfachste Ausdruck des Gedankens »Dach.« Denkt euch vier oder sechs Bambusstangen in den Erdboden geschlagen, die an ihrem oberen Ende durch andere Bambusstangen miteinander verbunden sind, worauf eine Decke aus den langen Blättern der Wasserpalme, dort »Atap« genannt, befestigt ist, und ihr werdet euch sothane, »Pendoppo« vorstellen können Es ist, wie ihr seht, so einfach wie möglich, und es soll auch lediglich als kurzer Aufenthalt für die europäischen und inländischen Beamten dienen, die da ihr neues Oberhaupt an der Grenze bewillkommnen wollen.

Ich habe nicht ganz richtig den Adsistent-Residenten das Oberhaupt auch des Regenten genannt. Eine Abschweifung über den Mechanismus der Verwaltung in diesen Landstrichen ist unentbehrlich.

Das sogenannte »Niederländisch Indien«– ich finde die Bezeichnung sprachlich nicht richtig, aber sie ist offiziell angenommen  ist, was die Beziehungen des Mutterlandes zu der Bevölkerung betrifft, zu trennen in zwei sehr verschiedene Hauptteile. Ein Teil besteht aus Stämmen, deren Fürsten oder Häuptlinge die Oberherrschaft der Nederlanden als Souverän anerkannt haben; doch ist noch immer die eigentliche Regierung in größerem oder geringerem Maße in den Händen der eingeborenen Häupter selbst geblieben. Ein anderer Teil, zu dem Java gehört, mit einer sehr kleinen vielleicht bloß scheinbaren Ausnahme, ist ganz und geradezu Nederlanden unterworfen. Von Tribut oder Schatzung oder Bundesgenossenschaft ist hier keine Rede. Der Javane ist niederländischer Unterthan. Der König von Nederlanden ist sein König. Die Nachkommen seiner einstmaligen Fürsten und Herren sind niederländische Beamte; sie werden angestellt, versetzt und befördert, abgesetzt durch den General-Gouverneur, der im Namen des Königs regiert. Der Missethäter wird verurteilt und bestraft nach einem Gesetz, das von 's Gravenhage ausgegangen ist. Die Steuer, die der Javane aufbringt, fließt in die Schatzkammer Nederlandens.

Von diesem Teil der niederländischen Besitzungen, das demnach einen wirklichen Teil des Königreichs ausmacht, soll in diesen Blättern hauptsächlich die Rede sein.

Dem General-Gouverneur steht ein »Rat« zur Seite, welcher indessen keine beschließende Stimme hat. Zu Batavia sind die verschiedenen Regierungszweige in Departements verteilt, an deren Spitze Direktoren stehen, welche das Bindeglied zwischen der Oberleitung des General-Gouverneurs und den Residenten in den Provinzen bilden. Bei Behandlung von Dingen politischer Natur indessen wenden sich diese Beamten direkt an den General-Gouverneur.

Die Bezeichnung »Resident« kommt noch von der Zeit her, da die Nederlanden bloß mittelbar Herr der Bevölkerung war, als Lehnsherr, und sich an den Höfen der noch regierenden Fürsten durch Residenten vertreten ließ. Die Fürsten sind nicht mehr; die Residenten sind die Verwalter der Landschaften geworden; sie sind distriktweise Gouverneure, Präfekten. Ihr Wirkungskreis ist verändert, aber der Name ist geblieben.

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