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Max Havelaar oder Die Kaffee-Versteigerungen der NiederländischenHandels-Gesellschaft

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Ich stehe erstaunt über Wawelaars Einsicht in die Geschäfte. Denn das ist die Wahrheit, daß ich, der fest in der Religion ist, meine Geschäfte sehe vorwärts gehen von Jahr zu Jahr, und Busselinck & Waterman, die sich weder um Gott noch seine Gebote kümmern, werden Pfuscher bleiben ihr lebelang. Auch die Rosemeyers, die in Zucker machen und ein katholisches Dienstmädchen haben, mußten neulich wieder 27 Prozent annehmen aus der Konkursmasse eines Juden, der pleite war. Je mehr ich nachdenke, desto weiter komme ich in der Erkenntnis von Gottes unerforschten Wegen. Kürzlich ist es herausgekommen, daß wieder dreißig Millionen reichlich gewonnen sind bei dem Verkauf von Produkten, die die Heiden geliefert haben, und dabei ist nicht mitgerechnet, was ich noch darauf verdient habe, und die anderen, die von diesen Geschäften leben. Ist das nun nicht, als ob der Herr sagte: »Siehst du, dreißig Millionen zur Belohnung für euren Glauben« Ist das nicht der Finger Gottes, der den Bösen arbeiten läßt, um den Rechtschaffenen zu erhalten? Ist das nicht ein Wink, um weiter zu gehen auf dem guten Wege, und da drüben viel wegbringen zu lassen, und hier festzustehen im wahren Glauben? Heißt es nicht »bete und arbeite«, damit wir beten sollen, und die Arbeit verrichten lassen durch das Volk, das kein Vaterunser kennt?

O, wie hat Wawelaar recht, wenn er Gottes Joch sanft nennt Wie leicht wird die Last jedem gemacht, der glaubt Ich bin eben in den Vierzigen, und wenn ich wollte, könnte ich ausscheiden und nach Driebergen gehen, und nun sieh, wie es mit den anderen geht, die den Herrn verließen. Gestern habe ich Sjaalman mit seiner Frau und seinem Jungchen gesehen: sie sahen aus wie Gespenster. Er ist blaß wie der Tod, seine Augen stehen heraus, und seine Wangen sind hohl. Seine Haltung ist gebogen, und dabei ist er jünger als ich. Auch sie war sehr armselig angezogen, und sie schien wieder sehr geweint zu haben. Ich habe ja gleich gemerkt, daß sie von Natur unzufrieden ist: ich brauche jemand bloß einmal zu sehen, um ihn zu beurteilen, das kommt von der Erfahrung. Sie hatte ein dünnes Mäntelchen von schwarzer Seide, und es war doch recht kalt. Von Krinoline keine Spur, ihr leichtes Röckchen hing schlaff um die Knie, und am Rande war es ausgefranst. Er hatte selbst seinen Shawl nicht mehr um, er sah aus, als ob es Sommer wäre. Aber er scheint noch eine Sorte von Dünkel zu besitzen, denn er gab der armen Frau etwas, die auf der Schleuse saß (Frits sagt: Brücke, aber was von Stein ist, ohne Aufzug, nenne ich Schleuse), und wer selber so wenig hat thut Sünde, wenn er noch an andere etwas verschenkt. Überhaupt, ich gebe nie auf der Straße, das ist ein Prinzip von mir, denn ich sage stets, wenn ich so arme Leute sehe: wer weiß, ob es nicht ihre eigene Schuld ist, und ich mag sie nicht fördern in ihrer Verkehrtheit. Sonntags gebe ich zweimal: einmal für die Armen, einmal für die Kirche. So gehört sich's. Ich weiß nicht, ob Sjaalman mich gesehen hat, aber ich ging schnell vorbei und sah nach oben und dachte an Gottes Gerechtigkeit, die ihn doch nicht so laufen ließe, ohne Winterjacke, wenn er besser aufgepaßt hätte, und nicht faul, schwerfällig und kränklich wäre.

Was nun mein Buch betrifft, so muß ich wirklich den Leser um Entschuldigung bitten wegen der unverzeihlichen Art und Weise, wie Stern unseren Kontrakt mißbraucht. Ich muß bekennen, mir graut schon vor dem nächsten Gesellschaftsabend und der Liebesgeschichte von diesem Saïdjah. Der Leser weiß schon, welche gesunden Begriffe ich über Liebe habe; man denke nur an mein Urteil über die Landpartie nach dem Ganges. Daß junge Mädchen so etwas nett finden, verstehe ich, aber daß Männer von Jahren solche Dummheiten ohne Ekel anhören, ist mir unerklärlich. Ich bin sicher, daß ich am nächsten Gesellschaftsabend den »Triolett« von meinem Einsiedlerspiel finde.

Ich will versuchen, von diesem Saïdjah nichts zu hören, und ich hoffe, daß er sich bald verheiraten wird, wenn er der Held der Liebesgeschichte ist. Es ist wenigstens noch brav von Stern, daß er gleich gewarnt hat, weil es eine eintönige Geschichte ist. Wenn er nachher wieder etwas anderes anfängt, will ich wieder zuhören. Aber diese Angriffe auf die Regierung ärgern mich beinahe ebenso sehr wie die Liebesgeschichte. Man sieht aus allem, daß Stern jung ist und keine Erfahrung hat. Um die Geschäfte gut zu beurteilen, muß man alles aus der Nähe sehen. Als ich heiratete, bin ich selbst im Haag gewesen und habe das Mauritshuis besucht mit meiner Frau. Ich bin mit allen Ständen der Gesellschaft in Berührung gekommen, denn ich habe den Finanzminister vorbeifahren gesehen, und wir haben zusammen Flanell gekauft in der Veenestraat  ich und meine Frau, meine ich  und nirgends habe ich das geringste Zeichen gespürt von Unzufriedenheit mit der Regierung. Die Juffrouw in dem Laden sah zufrieden und wohlsituiert aus, und als dann achtzehnhundertsoundso einige uns weismachen wollten, daß im Haag nicht alles so wäre, wie es sollte, habe ich auf dem Theeabend das Meine über die Unzufriedenheit gesagt, und sie gaben mir recht; denn jeder wußte, ich sprach aus Erfahrung. Auch auf der Rückreise mit der Post hat der Postillon »Freut euch des Lebens« geblasen, und das hätte er wohl nicht gethan, wenn da so viel Verkehrtes wäre. So habe ich auf alles aufgepaßt, und wußte also, was ich zu denken hatte über das Murren im Jahre achtzehnhundertsoundso.

Und gegenüber wohnt eine Juffrouw, deren Neffe einen Toko im Osten hat, wie sie da einen Laden nennen. Wenn da alles so schlecht ginge, wie Stern sagt, wüßte sie doch wohl auch etwas davon, und sie muß doch sehr zufrieden sein mit den Geschäften, denn ich höre sie nie klagen. Im Gegenteil, sie sagt, daß ihr Neffe auf einem Landsitz wohnt und daß er Mitglied des Kirchenrats ist, und daß er ihr eine Cigarrenkiste mit Pfauenfedern geschickt hat, die er selbst aus Bambus gemacht hat. Das zeigt doch alles deutlich, wie grundlos das Geklage über schlechte Regierung ist. Auch sieht man, daß für jemand, der aufpassen will, in dem Lande noch etwas zu verdienen ist, und daß der Sjaalman auch da schon faul, schwerfällig und kränklich gewesen ist, sonst wäre er wohl nicht so arm heimgekommen und müßte nicht ohne Winterjacke herumlaufen. Und der Neffe von der Juffrouw ist der einzige nicht, der drüben sein Glück gemacht hat. In »Polen« sehe ich so viele, die dagewesen sind, und die ganz hübsch in Kleidern stecken. Aber das versteht sich, aufpassen muß man auf die Geschäfte da so gut wie hier. Auf Java werden die gebratenen Tauben keinem in den Mund fliegen … es muß gearbeitet werden, und wer das nicht will, der ist arm und bleibt arm, das spricht von selbst.

Siebzehntes Kapitel

Stern fährt fort. Saïdjah und Adinda.

Saïdjahs Vater hatte einen Büffel, mit dem er sein Feld bearbeitete. Als ihm dieser Büffel durch das Distriktshaupt von Parang-Koedjang abgenommen wurde, war er sehr betrübt und sprach viele Tage lang kein Wort. Denn die Zeit des Pflügens war nahe, und es war zu fürchten, wenn man die Sawah nicht zeitig bearbeitete, würde auch die Zeit des Säens vorübergehen, und endlich würde keine Padi zu schneiden sein, um in dem Lombong des Hauses geborgen zu werden.

Ich muß hierbei für Leser, die wohl Java, aber nicht Bantam kennen, bemerken, daß in dieser Residentschaft persönliches Grundeigentum besteht, was anderswo nicht der Fall ist.

Saïdjahs Vater war nun sehr bekümmert. Er fürchtete, daß seine Frau Reis nötig haben würde, und auch Saïdjah, der noch ein Kind war, und seine Brüderchen und Schwesterchen.

Auch würde das Distriktshaupt ihn beim Adsistent-Residenten verklagen, wenn er mit der Bezahlung seiner Landrenten im Rückstande bleiben würde, und darauf stand gesetzliche Strafe.

Da nahm Saïdjahs Vater einen Kris, der ein Pusaka von seinem Vater war. Der Kris war nicht sehr schön, aber es waren silberne Bänder um die Scheide und auch die Spitze der Scheide hatte ein Plättchen Silber. Er verkaufte diesen Dolch an einen Chinesen, der am Hauptorte wohnte, und kam mit vierundzwanzig Gulden nach Hause, für welches Geld er einen anderen Büffel kaufte.

Saïdjah, der damals etwa sieben Jahre alt war, hatte bald mit diesem neuen Büffel Freundschaft geschlossen. Ich sage nicht ohne Absicht: Freundschaft; denn es ist rührend zu sehen, wie der javanische Karbo dem kleinen Jungen, der ihn hütet und versorgt, anhängt. Von dieser Anhänglichkeit werde ich bald ein Beispiel geben, das nicht erdichtet ist. Das große, starke Tier beugt den schweren Kopf rechts oder links oder nach unten, nach dem Fingerdruck des Kindes, das er kennt, das er versteht, mit dem er aufgewachsen ist.

Solche Freundschaft hatte denn auch der kleine Saïdjah bald dem neuen Gast eingeflößt, und Saïdjah ermutigende Kinderstimme schien dem kraftvollen Nacken des starken Tieres noch mehr Kraft zu geben, wenn es den schweren Lehmgrund pflügte und seinen Weg in tiefen, scharfen Furchen zeichnete. Der Büffel kehrte willig um, wenn er am Ende des Feldes angelangt war, und ließ keine Daumbreite Erdbodens aus, wenn er die neue Furche zurückpflügte, die stets dicht neben der alten lag, als wäre die Sawah ein von einem Riesen geharkter Garten.

Daneben lagen die Sawahs von Adindas Vater, dem Vater des Kindes, das Saïdjah einstmals heiraten sollte. Und wenn Adindas Brüderchen an der dazwischenliegenden Grenze ankamen, gerade wenn auch Saïdjah mit seinem Pfluge da war, dann riefen sie einander fröhlich zu, und rühmten um die Wette die Kraft und die Bravheit ihrer Büffel. Aber ich glaube, Saïdjahs war der beste, vielleicht weil dieser ihm besser zuzureden wußte als die anderen, und Büffel sind für gute Worte sehr empfänglich.

Saïdjah war neun Jahre alt geworden und Adinda bereits sechs, als dieser Büffel Saïdjahs Vater durch das Distriktshaupt von Parang-Koedjang abgenommen wurde.

Saïdjahs, der sehr arm war, verkaufte nun einem Chinesen zwei silberne Klambuhaken  Pusaka von den Eltern seiner Frau  für achtzehn Gulden, und für das Geld kaufte er einen neuen Büffel.

 

Aber Saïdjah war sehr betrübt. Denn er wußte von Adindas Brüderchen, daß der vorige Büffel nach dem Hauptorte getrieben worden war, und er hatte seinen Vater gefragt, ob dieser das Tier da nicht gesehen habe, als er dort war, um die Klambuhaken zu verkaufen. Auf diese Frage hatte Saïdjahs Vater nicht antworten wollen. Darum fürchtete er, daß sein Büffel geschlachtet war, wie die übrigen Büffel, die das Distriktshaupt der Bevölkerung abnahm.

Und Saïdjah weinte viel, wenn er an diesen armen Büffel dachte, mit dem er zwei Jahre so zusammen gelebt hatte, und er konnte lange Zeit nichts essen, denn seine Kehle war zu eng, wenn er schluckte.

Man bedenke, daß Saïdjah ein Kind war.

Der neue Büffel lernte Saïdjah kennen und nahm in dessen Zuneigung sehr bald den Platz seines Vorgängers ein  viel zu schnell eigentlich; denn, ach die Wachs-Eindrücke unseres Herzens werden so leicht glattgestrichen, um für spätere Schrift Platz zu machen …

Der neue Büffel war nun nicht so stark wie der vorige, und das alte Joch zu groß für seinen Nacken, aber das arme Tier war willig wie sein Vorgänger, der geschlachtet war, und wenn Saïdjah auch an der Grenze zu Adindas Brüderchen nicht mehr die Kraft seines Büffels rühmen konnte, so behauptete er wenigstens, daß kein anderer den seinen an gutem Willen übertraf. Und wenn die Furche nicht so schnurgerade lief wie früher, und wenn Erdklumpen undurchschnitten liegen geblieben waren, so half er gern mit seinem Patjol nach, so viel er konnte. Außerdem hatte kein Büffel einen User-useran wie der seine. Der Penghulu selbst hatte gesagt, daß Ontong war in den Linien der Haarwirbel auf den Schulterblättern.

Einmal rief Saïdjah im Felde vergebens seinem Büffel zu, schnell zu machen. Das Tier stand wie angenagelt. Saïdjah, ärgerlich über so große und noch dazu so ungewöhnliche Widerspenstigkeit, konnte sich nicht enthalten, ein Schimpfwort auszustoßen. Er sagte: Jeder, der in Indien gewesen ist, wird mich verstehen, und wer mich nicht versteht, gewinnt nur, wenn ich ihm die Erklärung eines groben Ausdrucks erspare.

Saïdjah dachte sich auch nichts Böses dabei. Er sagte das bloß, weil er es oft von anderen gehört hatte, wenn sie mit ihren Büffeln unzufrieden waren. Aber er hätte es nicht zu sagen brauchen, denn es half nichts, sein Büffel that keinen Schritt vorwärts. Er schüttelte den Kopf, als wollte er das Joch abwerfen, man sah den Atem aus seinen Nasenlöchern; er blies, zitterte, es war Angst in seinem blauen Auge, und die Oberlippe war hochgezogen, sodaß das Zahnfleisch bloß lag …

»Flieh, flieh«, riefen Adindas Brüderchen, »Saïdjah, fliehe, da ist ein Tiger«

Und alle nahmen ihren Büffeln die Joche ab und schwangen sich auf die breiten Rücken, und stürmten davon durch Sawahs, über Galangans, durch Sumpf und Gestrüpp und Buschwerk und Allang-allang, an Feldern und Wegen vorbei; und als sie keuchend und schwitzend in dem Dorfe Badoer einritten, war Saïdjah nicht unter ihnen.

Denn als dieser seinem Büffel, wie die anderen, das Joch abgenommen hatte, um wie sie zu flüchten, hatte ein unerwarteter Sprung ihm das Gleichgewicht genommen und ihn zur Erde geworfen. Der Tiger war sehr nahe …

Saïdjahs Büffel schoß in seinem Laufe einige Sprünge an dem Fleck vorbei, wo sein kleiner Herr den Tod erwartete. Aber nicht mit Willen war das Tier weiter gestürmt als Saïdjah, denn kaum hatte er die Kraft überwunden, die auf alle Stoffe nachwirkt, wenn auch die Ursache aufgehört hat  da kehrte es auch schon zurück, stellte auf seine dicken Füße seinen dicken Leib wie ein Dach über das Kind, und kehrte seine gehörnte Stirn dem Tiger zu. Dieser sprang … aber er sprang zum letztenmal. Der Büffel fing ihn auf seinen Hörnern auf und verlor nur etwas Fleisch, das der Tiger ihm vom Halse riß. Der Tiger lag mit aufgerissenem Bauche da, und Saïdjah war gerettet. Es war wirklich Ontong gewesen in den User-Useran dieses Büffels

Als dieser Büffel Saïdjahs Vater abgenommen und geschlachtet wurde …

Ich habe gesagt, Leser, daß meine Erzählung eintönig ist.

Als dieser Büffel geschlachtet war, zählte Saïdjah schon zwölf Jahre, und Adinda webte schon Sarongs und batikte sie mit zierlicher Kapalas. Sie hatte schon Gedanken in den Lauf ihres Farbschiffchens zu legen, und sie zeichnete Traurigkeit auf ihr Gewebe, denn sie hatte Saïdjah traurig gesehen.

Und auch Saïdjahs Vater war traurig; seine Mutter aber am meisten. Sie hatte ja die Wunde am Halse des treuen Tieres gepflegt, das ihr Kind unversehrt heim gebracht hatte, als sie auf die Nachricht von Adindas Brüderchen schon geglaubt hatte, der Tiger habe es weggeschleppt. Sie hatte die Wunde so oft betrachtet, mit dem Gedanken, wie tief die Klaue, die so tief in das dicke Fell des Büffels eindrang, in den weichen Leib des Kindes geschlagen hätte; und jedesmal, wenn sie frische Kräuter auf die Wunde legte, streichelte sie den Büffel und sprach ihm freundliche Worte zu, daß das gute treue Tier doch wohl wissen mußte, wie dankbar eine Mutter ist. Sie hoffte später, daß der Büffel sie verstanden habe, denn dann hätte er wohl auch ihr Weinen verstanden, als er weggeführt wurde, um geschlachtet zu werden, und er hätte dann gewußt, daß es nicht Saïdjahs Mutter war, die ihn schlachten ließ.

Einige Zeit später floh Saïdjahs Vater aus dem Lande; denn er hatte große Furcht vor der Strafe, wenn er seine Landrente nicht bezahlte, und er hatte keine Pusaka mehr, um einen neuen Büffel zu kaufen. Seine Vorfahren hatten stets in Parang-Koedjang gewohnt und ihm deshalb wenig hinterlassen. Auch die Eltern seiner Frau wohnten immer in demselben Distrikt. Nach dem Verlust des letzten Büffels hielt er sich wohl noch einige Jahre, indem er mit gemieteten Pflugtieren arbeitete; aber das ist eine sehr undankbare Arbeit und noch dazu kummervoll für jemand, der eigene Büffel gehabt hat. Saïdjahs Mutter starb vor Gram, und damals war es, daß sein Vater in einem verzweifelten Augenblick aus Bantam fortmachte, um im Buitenzorgschen Arbeit zu suchen. Aber er wurde mit Stockschlägen gestraft, weil er das Lebaksche ohne Paß verlassen hatte, und von der Polizei nach Badoer zurückgebracht. Hier wurde er eingesperrt, weil man ihn für irrsinnig hielt, was ich wohl glauben will, und weil man fürchtete, daß er in einem Augenblick von Mataglap Amok machen könnte oder sonst eine Unsinnigkeit begehen würde. Er war jedoch nicht lange gefangen, denn er starb bald darauf.

Was aus den Brüderchen und Schwesterchen Saïdjahs geworden ist, weiß ich nicht. Das Häuschen, das sie zu Badoer bewohnten, stand einige Zeit leer und fiel dann bald zusammen. Es war ja nur von Bambus gebaut und mit Atap gedeckt. Ein wenig Schutt und Schmutz deckte den Fleck, wo viel gelitten worden war. Es giebt viel solche Flecken in Lebak.

Saïdjah war schon fünfzehn Jahre, als sein Vater nach Buitenzorg flüchtete. Er hatte ihn dahin nicht begleitet, er hatte größere Pläne. Man hatte ihm gesagt, daß in Batavia viele Herren wären, die in Bendis führen, und daß es für ihn leicht sein würde, eine Stelle als Bendijunge zu finden, wozu man gern jemand nimmt, der noch jung und noch nicht ausgewachsen ist, um nicht durch zu große Schwere hinten auf dem zweiräderigen Wagen das Gleichgewicht zu stören. In solchem Dienst, hatte man ihm gesagt, wäre viel zu verdienen; vielleicht würde er auf die Art in drei Jahren genug Geld sparen können, um zwei Büffel zu kaufen. Diese Aussicht lockte ihn. Mit selbstbewußtem Schritt, wie einer, der Großes im Sinne hat, trat er nach der Abreise seines Vaters bei Adinda ein, und teilte ihr seinen Plan mit.

»Denke dir«, sagte er, »wenn ich wiederkomme, werden wir alt genug sein, um zu heiraten, und wir werden zwei Büffel haben.«

»Sehr gut, Saïdjah. Ich will gern mit dir Hochzeit machen, wenn du wiederkommst. Ich will spinnen und Sarongs und Slendangs weben und batikken, und die ganze Zeit sehr fleißig sein.«

»O, ich glaube dir, Adinda, aber … wenn du denn schon verheiratet bist?«

»Saïdjah, du weißt wohl, ich werde niemand heiraten. Mein Vater hat mich deinem Vater versprochen.«

»Und du selber?«

»Ich werde dich heiraten, sei gewiß.«

»Wenn ich wiederkomme, werde ich in der Ferne rufen.«

»Wer wird es hören, wenn wir im Dorfe Reis stampfen?«

»Ja, … aber, Adinda … o ja, so ist es besser … erwarte mich bei dem Djatibusch, unter dem Ketapan, wo du mir die Melatti gegeben hast.«

»Aber, Saïdjah, wie kann ich wissen, wann ich hingehen muß, um bei dem Ketapan zu warten?«

Saïdjah dachte nach und sagte:

»Zähle die Monde. Ich werde dreimal zwölf Monde ausbleiben  Dieser Mond rechnet nicht mit. Sieh, Adinda, mache bei jedem neuen Mond eine Kerbe in deinen Reisblock. Wenn du dreimal zwölf Kerben geschnitten hast, komme ich den Tag, der dann folgt, unter dem Ketapan an … willst du da sein?«

»Ja, Saïdjah, ich werde unter dem Ketapan sein bei dem Djatibusch, wenn du zurückkommst.«

Da riß Saïdjah einen Fetzen von seinem blauen Kopftuch, das schon sehr zerrissen war, und gab Adinda das Stückchen Leinwand, als ein Pfand, und dann verließ er Badoer.

Er lief viele Tage. Er ging an Rangkas-Betoeng vorbei, das damals noch nicht der Hauptort von Lebak war, und Warong-Gunung, wo damals der Adsistent-Resident wohnte, und am folgenden Tage sah er Pandeglang, das daliegt wie in einem Garten. Wieder einen Tag später kam er in Serang an und stand erstaunt über die Pracht eines so großen Ortes mit vielen Häusern, von Stein gebaut und gedeckt mit roten Ziegeln. Saïdjah hatte so etwas nie gesehen. Er blieb einen Tag da, weil er müde war, aber des Nachts in der Kühle ging er weiter und kam nach Tangerang, noch ehe die Sonne so hoch stand, daß der Schatten auf seine Lippen fiel, obwohl er den großen Tudung trug, den sein Vater für ihn gelassen hatte.

Zu Tangerang badete er in dem Fluß nahe bei der Überfahrt, und er ruhte aus in dem Hause eines Bekannten seines Vaters, der ihm zeigte, wie man Strohhüte flicht, genau wie die, die aus Manila kommen. Er blieb einen Tag da, um das zu lernen, denn er meinte, damit vielleicht etwas verdienen zu können, wenn er in Batavia kein Glück hätte. Am folgenden Tage gegen Abend, da es kühl wurde, dankte er seinem Gastgeber sehr und ging weiter. Sobald es ganz dunkel war, daß niemand es sah, holte er das Blatt hervor, in dem er die Melatti aufbewahrte, die ihm Adinda gegeben hatte unter dem Ketapanbaum; denn er war traurig geworden, daß er sie so lange Zeit nicht sehen sollte. Den ersten Tag, und auch den zweiten hatte er weniger stark gefühlt, wie allein er war. Seine Gedanken hingen sich alle an die große Idee, Geld zu verdienen, um zwei Büffel zu kaufen; sein Vater hatte immer bloß einen gehabt. Und seine Gedanken waren zu sehr auf das Wiedersehen mit Adinda gerichtet, um der Trauer über die Trennung Raum zu geben. Er hatte den Abschied in hochgespannter Hoffnung genommen und ihn in seinen Gedanken fest verknüpft mit dem Wiedersehen unter dem Ketapan. Eine so große Rolle spielte die Aussicht auf das Wiedersehen in seinem Herzen, daß er beim Verlassen Badoers, als er an diesem Baum vorbeiging, eine gewisse Freude fühlte, als wären sie schon vorbei, die sechsunddreißig Monate, die ihn von jenem Augenblick trennten. Es kam ihm so vor, als hätte er bloß umzukehren, als ob er schon von der Reise zurückkäme, und er würde dann Adinda erblicken, wie sie seiner wartete unter diesem Baum.

Je mehr er sich jedoch von Badoer entfernte, desto mehr achtete er auf die Länge eines einzigen Tages, und desto mehr begann er die sechsunddreißig Monate, die vor ihm lagen, lang zu finden. Es war etwas in seiner Seele, was ihn weniger schnell ausschreiten ließ,  er fühlte Trauer in seinen Knien, und war es auch keine Mutlosigkeit, die ihn befiel, so war es doch Wehmut, und die ist nicht weit ab von Mutlosigkeit. Er dachte schon daran umzukehren, aber was sollte Adinda denken von so wenig Mut?

Also lief er weiter, ging es auch weniger schnell als am ersten Tage. Er hatte die Melatti in der Hand, und er drückte sie oftmals an die Brust. Er war seit drei Tagen viel älter geworden, und er wunderte sich, wie er früher so ruhig gelebt hatte, da doch Adinda ihm so nahe war und er sie sehen konnte, so oft er wollte. Denn jetzt würde er nicht ruhig sein, wenn er erwarten könnte, daß sie bald vor ihm stehen sollte. Und darüber wunderte er sich auch, daß er nach dem Abschied nicht noch einmal umgekehrt war, um sie noch einmal zu sehen. Und selbst das fiel ihm ein, wie sie sich kurz vorher wegen der Schnur gestritten hatten, die sie spann für den Lalayang ihrer Brüderchen, und die gerissen war, weil in dem Gespinst ein Fehler war; dadurch war eine Wette gegen die Kinder von Tjipurut verloren gegangen. »Wie konnte ich bloß«, dachte er, »deswegen Adinda böse werden? Wenn nun wirklich ein Fehler in ihrem Gespinst war und wenn dadurch die Wette zwischen Badoer und Tjipurut verloren ging, und nicht durch die Glasscherbe, die der kleine Djamin aus seinem Versteck hinter dem Pagger warf, hätte ich selbst dann so hart gegen sie sein sollen und sie mit ungehörigen Namen nennen dürfen? Was soll werden, wenn ich in Batavia sterbe, ohne sie um Vergebung gebeten zu haben für so große Grobheit? Wird es nicht sein, als ob ich ein schlechter Mensch wäre, der mit Schimpfworten um sich wirft gegen ein Mädchen? Und wenn man hört, daß ich in einem fremden Lande gestorben bin, wird nicht jeder zu Badoer sagen: es ist ganz gut, daß Saïdjah gestorben ist; denn er hat gegen Adinda einen großen Mund gehabt.«

 

So nahmen seine Gedanken einen Gang, der sich sehr von der vorigen großen Erwartung unterschied, und unwillkürlich äußerten sie sich erst in halben Worten, in sich hinein gesprochen, bald aber in einem Selbstgespräch, und zuletzt in dem wehmütigen Sang, dessen Übersetzung ich hier folgen lasse. Meine Absicht war erst, etwas Maß und Reim in die Übersetzung zu bringen, aber ich fand es doch besser, wie Havelaar auch, das »Schnürleibchen« beiseite zu lassen.

 
Ich weiß nicht, wo ich sterben werde.
Ich sah die große See an der Seeküste,
als ich da war mit meinem Vater,
Salz zu machen
Wenn ich sterbe auf der See
und sie werfen meine Leiche in das tiefe Wasser,
werden Haie kommen
Sie werden um meine Leiche schwimmen und fragen:
Wer soll von uns die Leiche verschlingen,
die da sinkt im Wasser?
Ich werde es nicht hören.
 
 
Ich weiß nicht, wo ich sterben werde.
Ich sah das Haus Pa-ansu's brennen,
er selbst setzte es in Brand,
er war von Sinnen -
Wenn ich sterbe in einem Brande,
werden glühende Scheite fallen
auf meine Leiche
Und draußen wird ein großes Rufen sein
von Menschen, die Wasser werfen,
das Feuer zu töten
Ich werde es nicht hören.
 
 
Ich weiß nicht, wo ich sterben werde.
Ich sah den kleinen Si-unah fallen von der Kokospalme,
er pflückte eine Nuß des Baumes
für seine Mutter
Wenn ich von einer Kokospalme falle,
lieg' ich tot an ihrem Fuß, im Gesträuch,
wie Si-unah,
Meine Mutter wird nicht weinen, sie ist tot;
andere werden mit harter Stimme rufen:
sieh, da liegt Saïdjah
Ich werde es nicht hören.
 
 
Ich weiß nicht, wo ich sterben werde.
Ich sah die Leiche Pa-lisus,
er starb von hohem Alter,
sein Haar war weiß-
Wenn ich vom Alter sterbe, mit weißem Haar,
werden die Klageweiber stehen
um meine Leiche
Sie werden klagen wie die Klageweiber
an Pa-lisus Leiche, auch die Enkel
werden weinen, sehr laut:
Ich werde es nicht hören.
 
 
Ich weiß nicht, wo ich sterben werde.
Ich sah viele, die zu Badoer starben;
sie legten sie in weiße Kleider
und senkten sie in den Grund
Wenn ich zu Badoer sterbe, und sie begraben mich
draußen vorm Dorfe, oftwärts am Hügel,
wo das Gras hoch ist
Dann wird Adinda kommen, und ihres Kleides Saum
wird leise, leise streifen
Das Gras entlang …
Ich werde es hören.
 

Saïdjah kam zu Batavia an. Er bat einen Herrn, ihn in Dienst zu nehmen, was dieser Herr gern that, weil er Saïdjah nicht verstand. Man hat zu Batavia gern Diener, die noch kein Malayisch sprechen und daher noch nicht so verdorben sind wie die anderen, die länger mit Europäern in Berührung kamen. Saïdjah lernte schnell malayisch, aber er paßte auch brav auf, denn er dachte immer an die zwei Büffel, die er kaufen wollte, und an Adinda. Er wurde groß und stark, weil er alle Tage aß, was es zu Badoer nicht gab. Er war beliebt im Stall, und hätte er die Tochter des Kutschers zur Ehe verlangt, er wäre gewiß nicht abgewiesen worden. Sein Herr sogar hatte ihn so gern, daß er bald zum Hausbediensteten erhoben wurde. Man erhöhte seinen Lohn und gab ihm noch fortwährend Geschenke, weil man mit seinem Dienst so zufrieden war. Mevrouw hatte den Roman von Sue gelesen, der so viel Aufsehen machte: sie dachte stets an den Prinzen Djalma, wenn sie Saïdjah sah, und auch die jungen Damen verstanden besser als früher, wie der javanische Maler Raden Saleh so viel Anklang in Paris gefunden hatte.

Man fand aber Saïdjah undankbar, als er, nach beinahe drei Jahren Dienst, um seine Entlassung und um ein Zeugnis bat, daß er sich immer gut betragen habe. Indes man konnte es ihm nicht verweigern, und Saïdjah ging mit frohem Herzen auf die Reise.

Er ging an Pising vorbei, wo lange vorher Havelaar gewohnt hatte. Aber das wußte Saïdjah nicht; … und hätte er es auch gewußt, er hatte etwas anderes im Herzen, was ihn beschäftigte … Er zählte die Schätze, die er heimbrachte. In einer Bambusrolle hatte er seinen Paß und sein Dienstzeugnis. In einem Schächtelchen, das an einem ledernen Riemen hing, schien fortwährend etwas Schweres gegen seine Schulter zu schlagen, aber er fühlte es gern … ich glaub's wohl  darin waren dreißig spanische Dollars, genug, um drei Büffel zu kaufen Was würde Adinda sagen Und das war noch nicht alles. Auf seinem Rücken sah man die silberbeschlagene Scheide zu dem Kris, den er im Gürtel trug. Der Griff war gewiß aus feingeschnittenem Kamuning, denn er hatte ihn sorgfältig in eine seidene Hülle gewickelt. Und er hatte noch mehr Schätze Im Saum des Kahin um seine Lenden, da bewahrte er einen Gürtel von silbernen Gliedern, mit goldenem Ikat-pending. Es ist wahr, der Gürtel war kurz, aber sie war ja so schlank  Adinda

Und an einem Schnürchen am Halse, unter seinem Badju, trug er ein seidenes Beutelchen, darin steckten ein paar vertrocknete Melatti-Blumen.

War es ein Wunder, daß er sich zu Tangerang nicht länger aufhielt, als er mußte, um den Freund seines Vaters zu besuchen, der so schöne Strohhüte flocht? War es ein Wunder, daß er den Mädchen, die ihn »wohin? woher?« fragten, wie es der Gruß in der Gegend ist, wenig sagte? War es ein Wunder, daß er Serang nicht mehr so schön fand, er, der Batavia gesehen hatte? Daß er sich nicht mehr, wie vor drei Jahren, im Pagger verkroch, als er den Residenten fahren sah, er, der den viel größeren Herrn gesehen hatte, der zu Buitenzorg wohnt und der Großvater ist des Susuhunan von Solo? War es ein Wunder, daß er wenig auf die Reden derer hörte, die ein Stück Weges mit ihm gingen und Neues aus Banten-Kidoel erzählten: wie der Kaffeebau ganz aufgegeben sei, nach so viel unbelohnter Mühe  wie das Distriktshaupt von Parang-Koedjang wegen Straßenraubs zu vierzehn Tagen Arrest im Hause seines Schwiegervaters verurteilt worden war  wie der Sitz der Verwaltung nach Rangkas-Betoeng verlegt worden war  und daß ein neuer Adsistent-Resident da wäre, weil der vorige ein paar Monaten gestorben war  wie dieser neue Beamte in der ersten Sebah-Versammlung gesprochen hatte, und wie seit einiger Zeit keiner mehr wegen Klagen bestraft worden war  wie man im Volke hoffte, daß all das gestohlene Gut wiedergegeben oder bezahlt werden würde?

Nein, er hatte schönere Bilder vor dem Auge seiner Seele. Er suchte den Ketapanbaum in den Wolken, als er noch zu fern war, um ihn bei Badoer zu suchen. Er griff in die Luft, die ihn umgab, als wollte er die Gestalt umfassen, die ihn unter diesem Baum erwarten sollte. Er malte sich Adindas Antlitz, ihr Haupt, ihre Schulter: er sah den schweren Kondeh, so glänzend schwarz, gefangen im eigenen Strick, herabhängend auf ihren Hals: er sah ihr großes Auge blitzen im dunklen Wetterschein, er sah die Nasenflügel, die sie als Kind so stolz hochzog, wenn er sie  war es möglich?  ärgerte, den Mundwinkel, in dem sie ein Lächeln bewahrte; er sah ihre Brust, die nun wohl schwellen würde unter der Kabai; er sah, wie der Sarong, den sie selbst webte, ihre Hüften eng umschloß, und dem Schenkel folgend in gebogener Linie, vom Knie in herrlicher Falte auf den kleinen Fuß niederfiel.

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