Kostenlos

Max Havelaar oder Die Kaffee-Versteigerungen der NiederländischenHandels-Gesellschaft

Text
Autor:
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Diesen Platz hatte man rechts vor sich, wenn man in der Außengalerie, den Rücken dem Hause zugekehrt, stand. Links davon lag das Gebäude mit den Bureaus, der Kasse und dem Versammlungssaal, in dem Havelaar diesen Morgen zu den Häuptern gesprochen hatte, und dahinter erstreckte sich die Schlucht, die man übersah bis an den Tjioedjoeng. Gerade gegenüber von den Bureaus war die alte Adsistent-Residenten-Wohnung, die jetzt einstweilen durch Mevrouw Slotering bewohnt wurde. Und da der Zugang von dem großen Wege auf das Grundstück durch zwei Wege erfolgen konnte, die an beiden Seiten des Grasplatzes dahin liefen, folgt hieraus von selbst, daß jeder, der das Grundstück betrat, um sich nach der hinter dem Hauptgebäude gelegenen Küche oder den Ställen zu begeben, entweder an den Bureaus oder an der Wohnung von Mevrouw Slotering vorbei mußte. Zur Seite des Hauptgebäudes und dahinter lag der ziemlich große Garten, der die Freude Tines durch die vielen Blumen, die sie da fand, erweckt hatte, und vor allem, weil da der kleine Max so oft spielen konnte.

Havelaar hatte sich bei Mevrouw Slotering entschuldigen lassen, daß er ihr noch keinen Besuch abgestattet hatte. Er wollte am folgenden Tage hinüber gehen. Aber Tine war schon dagewesen und hatte Bekanntschaft geschlossen. Ich habe schon gesagt, daß die Dame ein sogenanntes »inländisches Kind« war, die keine andere Sprache als malayisch sprach. Sie hatte den Wunsch geäußert, ihre eigene Haushaltung für sich weiter zu führen, womit Tine gern einverstanden war. Und zwar kam diese Zustimmung nicht aus Ungastlichkeit, sondern vornehmlich aus der Furcht heraus, daß sie, die eben erst zu Lebak angekommen war, Mevrouw Slotering nicht so gut würde aufnehmen können, wie es durch die besonderen Umstände wünschenswert wurde. Die Dame, die kein Holländisch verstand, wäre zwar nicht mit Max' Erzählungen »gekränkt« worden, wie Tine sagte, aber sie begriff, daß es mehr brauchte, als die Familie Slotering bloß nicht zu »kränken.« Und die schmale Küche mit der beabsichtigten Sparsamkeit brachte es mit sich, daß sie wirklich die Absichten der Mevrouw Slotering sehr verständig fand. Ob nun übrigens, wenn die Umstände andere gewesen wären, der Umgang mit jemand, der nur eine Sprache sprach, in der nichts gedruckt ist, was den Geist bildet, zu gegenseitigem Wohlgefallen geführt hätte, steht zu bezweifeln. Tine hätte ihr so gut wie möglich Gesellschaft geleistet und viel mit ihr über Kochen und Backen gesprochen; aber so etwas bleibt doch stets eine Aufopferung, und man fand es daher besser, daß die Sache durch Mevrouw Sloterings freiwillige Absonderung auf eine Weise geordnet war, die jedem seine vollkommene Freiheit ließ. Sonderbar indes war es, daß die Dame sich nicht allein geweigert hatte, an den gemeinschaftlichen Mahlzeiten teilzunehmen, sondern daß sie selbst von dem Anerbieten keinen Gebrauch machte, ihre Speisen in der Küche von Havelaars Haus bereiten zu lassen, und diese Bescheidenheit, sagte Tine, ginge zu weit, denn die Küche wäre groß genug.

Vierzehntes Kapitel

Stern fährt fort. Schluß der Erlebnisse auf Sumatra. Havelaars Haus und Grundstück zu Rangkas-Betoeng. Beiträge zur javanischen Kolonialgeschichte.

»Sie wissen«, begann Havelaar, »daß die niederländischen Besitzungen auf der Westküste von Sumatra an die unabhängigen Reiche in der Nordecke grenzen, von denen Atjeh das ansehnlichste ist. Man sagt, daß ein geheimer Artikel in dem Vertrage von 1824 uns gegen die Engländer die Verpflichtung auferlegt, den Singkel-Fluß nicht zu überschreiten. Der General Vandamme, der mit einem Napoleonischen Anstrich sein Gouvernement gern so weit wie möglich ausbreitete, stieß daher in dieser Richtung auf einen unüberwindlichen Widerstand. Ich muß wohl an das Bestehen des Geheimartikels glauben, weil es mich sonst befremden würde, daß die Radjahs von Troemon und Analaboe, deren Provinzen infolge des Pfefferhandels, der dort getrieben wird, nicht ohne Wert sind, nicht längst unter die niederländische Oberhoheit gebracht sind. Sie wissen, wie leicht man einen Vorwand findet, um mit solchen Ländchen Krieg anzufangen und sich zum Herrn davon zu machen. Eine Landschaft zu stehlen, ist immer leichter als eine Mühle zu stehlen. Ich glaube von dem General Vandamme, daß er selbst eine Mühle weggenommen hätte, wenn er Lust dazu gehabt hätte, und begreife deshalb nicht, daß er die Landschaften im Norden verschont haben sollte, wenn es da nicht festere Gründe gegeben hätte als Recht und Billigkeit.

Wie dem auch sei, er richtete seine Erobererblicke nicht nord-, sondern ostwärts. Die Landstriche Mandheling und Ankola  das war der Name der Adsistent-Residentschaft, die aus den eben erst zur Ruhe gebrachten Batakländern gebildet war,  waren noch nicht von Atjehschem Einfluß gereinigt;  denn wo der Fanatismus einmal Wurzel faßt, da ist er schwer auszurotten  zwar die Atjehesen waren nicht mehr da, aber das war dem Gouverneur nicht genug. Er breitete seine Macht bis an die Ostküste aus, und es wurden niederländische Beamte und niederländische Besatzungen nach Bila und Pertibi geschickt, welche Posten indessen, wie Sie wissen, später wieder geräumt sind.

Als nun auf Sumatra ein Regierungskommissar ankam, der diese Ausbreitung zwecklos fand und sie darum mißbilligte, vor allem auch, weil sie sich mit den Sparsamkeits-Grundsätzen, auf die vom Mutterlande aus so gehalten wurde, nicht vertrugen, behauptete der General Vandamme, daß die Ausbreitung keinen den Staatshaushalt beschwerenden Einfluß ausübte; denn die neuen Garnisonen beständen aus Truppen, für die die Gelder schon bewilligt wären, sodaß er einen großen Landstrich unter niederländische Verwaltung gebracht hätte, ohne daß damit pekuniäre Ausgaben verbunden gewesen wären. Und was weiter das teilweise Entblößen anderer Plätze, besonders im Mandhelingschen beträfe, so meinte er genügend auf die Treue Jang di Pertoeans rechnen zu können, welcher das vornehmste der Häupter in den Bataklanden war, und es wäre keine Gefahr.

Mit Widerstreben gab der Regierungskommissar nach, und wohl auf die wiederholten Versicherungen des Generals hin, daß er sich persönlich für Jang di Pertoeans Treue verbürge.

Nun war der Kontroleur, der vor mir den Bezirk Natal verwaltete, der Schwiegersohn des Adsistent- Residenten in den Batakländern, welch letzterer mit Jang di Pertoean nicht im Einklang stand. Später habe ich viel von allerlei Klagen gehört, die gegen diesen Adsistent-Residenten vorgebracht wurden, aber man muß vorsichtig sein, ehe man diese Beschuldigungen glaubt, weil sie aus dem Munde Jang di Pertoeans kamen, und zwar zu einem Zeitpunkte, da dieser ganz anderer Dinge angeklagt war, was ihn vielleicht veranlaßte, seine Verteidigung in den Fehlern seines Anklägers zu suchen. Wie dies sei, der Machthaber von Natal ergriff die Partei seines Schwiegervaters gegen Jang di Pertoean, und dies um so mehr als dieser Kontroleur mit einem gewissen Soetan Salim, einem Natalschen Haupte, sehr befreundet war, welcher auch als ein Gegner des Batakfürsten auftrat. Es bestand eine Fehde zwischen den Familien der beiden Häupter, Heiratsanträge waren zurückgewiesen worden, Eifersucht wegen des Einflusses war im Spiele, und Trotz von seiten Jang di Pertoeans, der von höherer Geburt war, und andere Ursachen trugen das Ihre bei, um Natal und Mandheling gegeneinander in böser Stimmung zu erhalten.

Auf einmal verbreitete sich das Gerücht, daß in Mandheling ein Komplott entdeckt war, an dem Jang di Pertoean beteiligt sein sollte, und das den Zweck hatte, die heilige Fahne des Aufstandes zu entrollen, und alle Europäer zu ermorden. Die erste Entdeckung hatte in Natal stattgefunden, was natürlich ist; denn man wird in benachbarten Provinzen stets besser über den Stand der Dinge unterrichtet als am Platze selber, weil viele, die sich zu Hause von der Offenbarung einer ihnen bekannten Thatsachen durch Furcht vor einem betroffenen Haupte zurückhalten lassen, die Vorsicht, einigermaßen außer acht lassen, wenn sie sich auf einem Gebiete befinden, wo dieses Haupt keinen Einfluß hat.

Das ist auch der Grund, Verbrugge, daß ich kein Fremdling in den Verhältnissen Lebaks bin. Ich wußte schon ziemlich viel von dem, was hier vorgeht, ehe ich daran dachte, jemals hierher zu kommen. Ich war im Jahre 1845 im Krawangschen und bin viel in Preanger herumgereist, wo ich bereits 1846 viele Lebaksche Flüchtlinge antraf. Auch bin ich bekannt mit vielen Besitzern von Privatländereien im Buitenzorgschen und in der Umgegend von Batavia, und ich weiß, wie von altersher die Grundbesitzer über den schlechten Zustand dieses Bezirks erfreut sind, weil das ihre Ländereien bevölkert …

Auf solche Weise wird auch zu Natal die Verschwörung bekannt geworden sein, die  wenn sie bestanden hat, was ich nicht weiß- Jang di Pertoean als einen Verräter kennzeichnet. Nach Zeugenaussagen, die durch den Kontroleur von Natal aufgenommen wurden, sollte er mit seinem Bruder Soetan Adam viele Häupter in einem heiligen Busch versammelt haben, und dort sollten sie geschworen haben, nicht zu ruhen, bis die Macht der Christenhunde in Mandheling vernichtet wäre. Es spricht von selbst, daß er dazu eine Eingebung des Himmels empfangen hatte; Sie wissen, daß so etwas bei derartigen Gelegenheiten nie ausbleibt.

Ob nun der Plan bei Jang di Pertoean bestanden hat, kann ich nicht versichern. Ich habe die Erklärungen der Zeugen gelesen; aber Sie werden sehen, warum man denen nicht so ohne Vorbehalt Glauben schenken kann. Sicher ist, daß er, was seine Islam-Schwärmerei angeht, wohl zu so etwas imstande gewesen sein kann. Er war, mit der ganzen Batakschen Bevölkerung erst kurz zuvor durch die Paderies zu dem wahren Glauben bekehrt worden, und Neubekehrte sind gewöhnlich fanatisch.

Die Folge der wahren oder vermeinten Entdeckung war, daß Jang di Pertoean gefangen genommen wurde. Man führte ihn nach Natal, wo der Kontroleur ihn in das Fort setzen ließ, und von wo er mit der ersten Schiffsgelegenheit zu dem Gouverneur von Sumatras Westküste nach Padang übergeführt wurde. Man überreichte diesem alle Akten, in denen die so gravierenden Zeugnisse aufgezeichnet waren, und welche die Strenge der getroffenen Maßregeln rechtfertigten. Jang di Pertoean war also von Mandheling als ein Gefangener abgereist, zu Natal war er ein Gefangener, an Bord des Kriegsschiffes, das ihn überführte, war er natürlich auch ein Gefangener; er erwartete daher  unschuldig oder nicht, thut nichts zur Sache, da er in rechtlicher Form des Hochverrats beschuldigt war  auch zu Padang als Gefangener anzukommen, und er muß gewiß recht verwundert gewesen sein, bei der Landung zu vernehmen, daß er nicht allein frei wäre, sondern daß der General, dessen Wagen ihn erwartete, als er das Ufer betrat, es sich zur Ehre rechnen würde, ihn in seinem Hause zu empfangen und zu beherbergen. Sicher ist nie ein des Hochverrats Angeklagter angenehmer überrascht worden. Kurz darauf wurde der Adsistent-Resident von Mandheling in seinem Amte suspendiert, wegen allerlei Versehen, die ich hier nicht kritisieren will. Jang di Pertoean aber, nachdem er einige Zeit im Hause des Generals verweilt hatte und von diesem mit der größten Auszeichnung behandelt worden war, kehrte über Natal zurück nach Mandheling, nicht mit dem Selbstgefühl eines für unschuldig Erklärten, sondern mit dem Stolze jemandes, der so hoch steht, daß er keine Unschuldserklärung braucht. Immerhin, untersucht war die Sache nicht, und angenommen, daß man die gegen ihn vorgebrachten Anklagen für falsch hielt, so hätte schon diese Vermutung eine Untersuchung verlangt, um die falschen Zeugen zu strafen, und den, der zu solcher Falschheit verführt haben könnte. Es schien als ob der General Ursache hatte, dieser Untersuchung nicht Raum zu geben. Die gegen Jang di Pertoean eingebrachte Anklage wurde als, ›nicht eingelaufen‹ betrachtet, und ich halte für sicher, daß die darauf bezüglichen Akten niemals der Regierung zu Batavia zu Gesicht gekommen sind.

 

Kurz nach der Rückkehr Jang di Pertoeans kam ich zu Natal an, um die Verwaltung dieses Bezirks zu übernehmen. Mein Vorgänger berichtete mir natürlich, was kurz zuvor im Mandhelingschen vorgefallen war, und gab mir die nötigen Erklärungen über die politischen Beziehungen dieses Landstrichs zu meinem Bezirk. Es war ihm nicht übel zu deuten, daß er sich über die seiner Ansicht nach unrechte Behandlung, die seinem Schwiegervater zu teil wurde, sehr beklagte, sowie über den unbegreiflichen Schutz, den Jang di Pertoean beim General zu genießen schien. Weder er noch ich wußten in diesem Augenblick, daß die Verschickung Jang di Pertoeans nach Batavia ein Faustschlag ins Gesicht des Generals gewesen wäre, und daß dieser gute Gründe hatte, was es auch kosten möge, dieses Haupt vor einer Hochverratsanklage zu bewahren. Das war für den General desto wichtiger, als inzwischen der vorher erwähnte Regierungskommissar General-Gouverneur geworden war, und dieser ihn höchst wahrscheinlich aus seinem Gouvernement abgerufen hätte, aus Ärger über das unbegründete Vertrauen auf Jang di Pertoean und die daraus folgende Hartnäckigkeit, mit der der General sich gegen die Räumung der Ostküste gewehrt hatte.

›Doch‹, sagte mein Vorgänger, ›was auch den General bewegen möge, alle die Beschuldigungen gegen meinen Schwiegervater anzunehmen und die viel schwereren Anklagen gegen Jang di Pertoean nicht einmal der Untersuchung wert zu achten, … die Sache ist nicht aus Und wenn man zu Padang, wie ich vermute, die abgegebenen Zeugnisse vernichtet hat, so ist hier etwas anderes, was nicht vernichtet werden kann

Und er zeigte mir ein Urteil des ›Rapat-raad‹ zu Natal, dessen Vorsitzender er war, eine Verurteilung eines gewissen Si Pamaga, zur Strafe der Auspeitschung, Brandmarkung und, ich glaube, zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit, wegen Mordversuchs gegen den Toeankoe von Natal.

›Lesen Sie den Verhandlungsbericht dieser Gerichtssitzung‹, sagte mein Vorgänger, ›und urteilen Sie dann, ob mein Schwiegervater zu Batavia belobt werden wird, wenn er da Jang di Pertoean des Hochverrats anklagt‹

Ich las die Akten. Nach Erklärungen von Zeugen und dem Bekenntnis des Angeklagten war dieser, Si Pamaga, erkauft, um zu Natal den Toeankoe, dessen Vorgesetzten Soetan Salim, und den ausführenden Kontroleur zu ermorden. Er hatte sich, um den Plan auszuführen, nach der Wohnung des Toeankoe begeben, und da mit den Bedienten, die auf der Treppe saßen, ein Gespräch über ein Sewah angeknüpft, mit der Absicht, seine Anwesenheit so lange hinzuziehen, bis er des Tuanka ansichtig werden würde, der sich denn auch bald umgeben von einigen Verwandten und Bedienten, sehen ließ. Pamaga war mit seinem Sewah auf den Toeankoe zugegangen, hatte aber, aus unbekannten Ursachen, seine mordlustige Absicht nicht ausführen können. Der Toeankoe war vor Schreck aus dem Fenster gesprungen, und Pamaga ergriff die Flucht. Er versteckte sich im Busch und wurde einige Tage später von der Natalschen Polizei aufgegriffen.

Der Angeklagte wurde befragt; was ihn zu dem Mordanschlag gegen Soetan Salim und den Kontroleur von Natal veranlaßt habe,  und er antwortete, er sei dazu von Soetan Adam, im Namen von dessen Bruder Jang di Pertoean, gekauft worden.

›Ist das deutlich oder nicht?‹ fragte mein Vorgänger. ›Das Urteil ist nun von dem Residenten bestätigt und, was die Auspeitschung und die Brandmarkung betrifft, ausgeführt worden. Si Pamaga befindet sich jetzt auf dem Wege nach Padang, um von da als Kettengänger nach Java geschickt zu werden. Gleichzeitig mit ihm kommen die Prozeßakten der Sache nach Batavia, und dann kann man da sehen, wer der Mann ist, auf dessen Anklage mein Schwiegervater suspendiert ist. Das Urteil kann der General nicht vernichten, wenn er auch wollte.‹

Ich übernahm die Verwaltung des Bezirks Natal, und mein Vorgänger ging ab. Nach einiger Zeit wurde mir gemeldet, daß der General mit einem Kriegsdampfer nach dem Norden komme und auch Natal besuchen werde. Er stieg mit viel Gefolge in meinem Hause ab, und verlangte die ursprünglichen Prozeßakten ›des armen Mannes, den man so gräßlich mißhandelt hatte.‹

›Jene selber hatten die Auspeitschung und Brandmarkung verdient‹, fügte er hinzu.

Ich begriff nicht davon. Denn die Ursachen des Streits über Jang di Pertoean waren mir damals unbekannt, und ich konnte deshalb nicht auf den Gedanken kommen, weder daß mein Vorgänger mit Wissen und Willen einen Unschuldigen zu so schwerer Strafe verurteilt haben könnte, noch daß der General einen Bösewicht gegen ein rechtmäßiges Urteil in Schutz nehmen sollte. Ich empfing den Auftrag, Soetan Salim und den Toeankoe gefangen zu nehmen. Da der junge Toeankoe bei der Bevölkerung sehr beliebt war und wir nur wenig Besatzung im Fort hatten, bat ich um die Erlaubnis, ihn auf freiem Fuße zu lassen, was mir auch gestattet wurde. Für Soetan Salim dagegen, den Feind Jang di Pertoeans, gab es keine Gnade. Die Bevölkerung war in großer Aufregung. Die Nataler vermuteten, daß der General sich zu einem Werkzeuge des Mandhelingschen Hasses erniedrigte, und es lag in diesen Verhältnissen, daß ich von Zeit zu Zeit etwas thun konnte, was er ›beherzt‹ fand, besonders da er die wenigen Truppen, die man im Fort entbehren konnte, und die Abteilung Seesoldaten, die er von Bord mitgebracht hatte, nicht mir mitgab, wenn ich nach den Flecken ritt, wo man sich zusammenrottete. Ich habe bei dieser Gelegenheit gesehen, daß der General Vandamme sehr gut für seine eigene Sicherheit sorgte, und darum unterschreibe ich seinen Tapferkeitsruhm nicht.

Er berief einen Rat eigens für diesen Fall. Mitglieder waren: ein paar Adjutanten, andere Offiziere, der Justiz-Offizier, wir sagten damals noch ›Fiskal‹, den er von Padang mitgebracht hatte, und ich. Dieser Rat sollte eine Untersuchung über die Art und Weise anstellen, wie unter meinem Vorgänger der Prozeß gegen Si Pamaga geführt worden war. Ich mußte eine Zahl Zeugen aufrufen lassen, deren Aussagen dazu nötig waren. Der General, der natürlich den Vorsitz führte, verhörte, und der Fiskal führte das Protokoll. Da dieser aber wenig Malayisch verstand, und das Malayische, das im Norden von Sumatra gesprochen wird, überhaupt nicht, war es oftmals nötig, ihm die Aussagen der Zeugen zu übersetzen, was meistens der General selbst that. Aus den Sitzungen dieses Rats sind Akten herausgekommen, die auf das deutlichste bewiesen: daß Si Pamaga nie den Plan gehegt hatte, irgend jemand, wer es auch sei, zu ermorden, daß er niemals Soetan Adam noch Jang di Pertoean gesehen oder gekannt hatte, daß er nicht auf den Toeankoe von Natal zugesprungen und daß dieser nicht aus dem Fenster geflüchtet war, und so fort. Ferner: daß das Urteil gegen den unglücklichen Si Pamaga zustande gekommen war unter dem Druck des Vorsitzenden, meines Vorgängers, und des Mitglieds jenes Rats Soetan Salim, welche Personen die angebliche Missethat Si Pamagas erdichtet hatten, um dem suspendierten Adsistent-Residenten von Mandheling eine Waffe zu seiner Verteidigung in die Hand zu geben, und um ihrem Hasse gegen Jang di Pertoean Luft zu machen.

Die Art und Weise nun, wie der General verhörte, erinnerte an die Whistpartie, ich weiß nicht welches Kaisers von Marokko, der seinem Partner zuflüsterte: Spiel Herzen, oder ich schneide dir den Hals ab Auch die Übersetzungen, die er dem Fiskal in die Feder diktierte, ließen viel zu wünschen übrig.

Ob mein Vorgänger und Soetan Salim einen Druck auf den Rat ausgeübt haben, um Si Pamaga schuldig zu erklären, ist mir unbekannt. Aber das weiß ich, daß der General Vandamme einen Druck auf die Zeugenaussagen, die seine Unschuld beweisen sollten, ausgeübt hat. Ohne noch die Tragweite davon zu kennen, habe ich mich dagegen gewehrt, und ich mußte so weit gehen, meine Unterschrift unter einige Protokolle zu verweigern; darin hatte ich den General so ›kontrariiert‹.

Sie begreifen nun auch, worauf die Worte sich bezogen, mit denen ich die Beantwortung der Ausstellungen, die man an meinen Rechnungen gemacht hatte, schloß, und in denen ich bat, mit allen ›wohlwollenden Rücksichten‹ verschont zu bleiben.«-

»Es war sehr stark von jemand in Ihren Jahren«, sagte Duclari.

»Ich fand es natürlich, aber sicher ist, daß der General Vandamme so etwas nicht gewohnt war. Ich habe denn auch unter den Folgen der Sache viel gelitten. O nein, Verbrugge, ich sehe, was Sie sagen wollen, bereut habe ich es nie. Ich muß sogar hinzufügen, daß ich mich nicht auf den Protest gegen die Zeugenverhöre des Generals und auf die Verweigerung meiner Unterschrift beschränkt haben würde, hätte ich damals vermuten können, was ich erst später erfuhr, daß das alles aus einer vorher festgestellten Verabredung hervorging, um meinen Vorgänger zu belasten. Ich dachte, daß der General, überzeugt von Si Pamagas Unschuld, sich von dem achtenswerten Bestreben fortreißen ließ, ein unschuldiges Opfer vor den Folgen eines Rechtsirrtums zu schützen, so weit das nach der Auspeitschung und der Brandmarkung noch möglich war. Diese Ansicht brachte es mit sich, daß ich mich zwar gegen die Fälschungen auflehnte, aber ich war darüber nicht entrüstet, wie ich es gewesen wäre, wenn ich gewußt hätte, daß es sich hier keinesfalls darum handelte, einen Unschuldigen zu retten, sondern daß die Fälschung den Zweck hatte, auf Kosten der Ehre und des Wohlergehens meines Vorgängers die Beweise zu vernichten, die dem General im Wege waren.«

»Und wie ging es mit Ihrem Vorgänger?« fragte Verbrugge.

»Zu seinem Glücke war er bereits nach Java abgereist, bevor der General nach Padang zurückkehrte. Er scheint sich bei der Regierung zu Batavia mit Erfolg verteidigt zu haben, wenigstens ist er im Dienst geblieben. Der Resident von Ajer-Bangie, der das Urteil bestätigt hatte, wurde …«

»Suspendiert?«

»Selbstverständlich. Sie sehen, daß ich nicht so unrecht hatte, in meinem Spottgedicht zu sagen, daß er ›uns suspendierend regierte‹.«

»Und was ist aus den suspendierten Beamten geworden?«

»O, deren waren noch viel mehr. Alle sind, die einen früher, die anderen später, wieder in ihre Ämter eingesetzt worden. Einzelne haben später sehr hohe Posten bekleidet.«

»Und Soetan Salim?«

»Der General führte ihn gefangen mit nach Padang, und von da wurde er als Verbannter nach Java geschickt. Er ist jetzt noch in Tjiandjoer in den Preanger-Regentschaften. Im Jahre 1846 befand ich mich da und habe ihn besucht. Weißt du noch, was ich in Tjiandjoer wollte, Tine?«

»Nein, Max, das habe ich ganz vergessen.«

»Wer kann auch alles behalten … ich habe mich da verheiratet, meine Herren«

»Aber«, fragte Duclari, »da Sie nun doch einmal beim Erzählen sind, ist es wahr, daß Sie sich zu Padang so oft duelliert haben?«

 

»Ja, sehr oft. Dazu war viel Anlaß. Ich habe bereits gesagt, daß die Gunst des Gouverneurs auf solchem Außenposten der Maßstab ist, nach dem viele ihre Liebenswürdigkeit messen. Die meisten waren zu mir sehr unliebenswürdig, und das ging oft bis zur Grobheit. Ich für mein Teil war empfindlich. Ein nicht beantworteter Gruß, eine spöttische Redensart auf die ›Thorheit eines Menschen, der es mit dem General aufnehmen wollte‹, eine Anspielung auf meine Armut, auf mein Hungerleiden, auf die ›schlechte Nahrung, die in der sittlichen Abhängigkeit zu liegen schien‹  das alles, begreifen Sie, erbitterte mich. Viele, besonders unter den Offizieren, wußten, daß der General es nicht ungern sah, wenn duelliert wurde, und besonders mit jemand, der so in Ungnade war wie ich. Vielleicht reizte man meine Empfindlichkeit mit Vorbedacht … Auch schlug ich mich wohl einmal für einen anderen, den ich für beleidigt hielt … wie gesagt, das Duell war an der Tagesordnung, und manchmal hatte ich zwei an einem Morgen … es ist viel Anziehendes im Duell, besonders mit dem Säbel, oder ›auf Säbel‹, wie man sagt, ich weiß nicht, weshalb. Sie begreifen indessen, daß ich jetzt so etwas nicht mehr thun würde, auch wenn dazu ebenso viel Anlaß wäre wie damals. Komm einmal her, Max … nein, fang das Tierchen nicht, komm her. Höre, du mußt nie Schmetterlinge fangen. Das Tierchen ist erst lange Zeit als Raupe auf einem Baum herumgekrochen, das ist kein frohes Leben. Nun hat es eben erst Flügelchen bekommen und will ein wenig herumfliegen, um sich in der Luft zu erfreuen, und es sucht Nahrung in den Blumen und thut niemand ein Leid: sieh, ist es nicht viel hübscher, es herumflattern zu sehen?«

So kam das Gespräch von den Duellen auf die Schmetterlinge, auf das Erbarmen des Gerechten mit seinem Vieh, auf die Tierplagen, auf das Grammontsche Gesetz, auf die Nationalversammlung zu Paris, die das Gesetz angenommen hatte, auf die Republik, und was nicht alles

Endlich stand Havelaar auf. Er entschuldigte sich bei seinen Gästen, daß er Geschäfte habe. Als der Kontroleur ihn am nächsten Morgen auf dem Kontor aufsuchte, wußte er nicht, daß der neue Adsistent-Resident am vorigen Tage, nach den Gesprächen in der Vorgalerie, nach Parang-Koedjang ausgeritten und erst am Morgen früh von da zurückgekommen war.

* * *

Ich bitte den Leser, zu glauben, daß Havelaar zu gebildet war, um, besonders an seinem Tische, so viel zu sprechen, wie ich in den letzten Kapiteln angegeben habe, und wodurch ich auf ihn den Schein lade, als ob er sich zum Meister des Gesprächs gemacht habe, mit Hintansetzung der Pflichten des Gastgebers, seinen Gästen Gelegenheit zu bieten, »aus sich herauszukommen«. Ich habe aus den vielen Baustoffen, die vor mir liegen, ein paar Hände voll herausgeholt, und ich hätte die Tischgespräche mit weniger Mühe noch fortsetzen können, als mir das Abbrechen gemacht hat. Ich hoffe, daß das Mitgeteilte genügen wird, um einigermaßen die Beschreibung zu rechtfertigen, die ich von Havelaars Naturell und Eigenschaften gegeben habe, und daß der Leser nicht ganz ohne Interesse die Schicksale verfolgen wird, die ihn und die Seinen zu Rangkas-Betoeng erwarteten.

Die kleine Familie lebte still vor sich hin. Havelaar war oft tagsüber fort und brachte halbe Nächte auf seinem Bureau zu. Das Verhältnis zwischen ihm und dem Kommandanten der Garnison war das allerangenehmste, und auch im häuslichen Verkehr mit dem Kontroleur war keine Spur von dem Rangunterschiede zu entdecken, der sonst in Indien den Verkehr steif und langweilig macht. Havelaars Neigung, überall, wo er konnte, hilfreich einzuspringen, kam auch oftmals dem Regenten zu statten, der infolgedessen von seinem älteren Bruder sehr eingenommen war. Und schließlich trug die Liebenswürdigkeit von Mevrouw Havelaar viel bei, um den Verkehr der wenigen Europäer und der inländischen Häupter angenehm zu gestalten. Die dienstliche Korrespondenz mit dem Residenten in Serang trug Zeichen von gegenseitigem Wohlwollen; die Befehle des Residenten wurden mit Höflichkeit gegeben und mit Promptheit ausgeführt.

Tines Hauswirtschaft war bald in Ordnung. Nach längerem Warten waren die Möbel aus Batavia eingetroffen, es waren »Ketimons« in Salz gelegt, und wenn Max bei Tische etwas erzählte, geschah das nicht aus Mangel an Eiern für die Omelette, wenn auch die Lebensweise der kleinen Familie stets deutlich bewies, daß die beabsichtigte Sparsamkeit sehr befolgt wurde.

Mevrouw Slotering verließ selten ihr Haus und nahm nur einige Male bei der Familie Havelaar in der Vorgalerie den Thee. Sie sprach wenig und blieb dabei, ein wachsames Auge auf jedermann zu haben, der sich ihrer oder Havelaars Wohnung näherte; man hatte sich an diese ihre »Monomanie« inzwischen gewöhnt und achtete nicht mehr darauf.

Alles schien Ruhe und Frieden zu atmen; denn für Max und Tine war es beispielsweise eine Kleinigkeit, sich in Entbehrungen zu schicken, die unvermeidlich sind, wenn man auf einem nicht am großen Wege gelegenen Binnenplatz wohnt. Da auf diesem Platz kein Brot gebacken wurde, aß man kein Brot. Man hätte es aus Serang besorgen können; aber die Transportkosten waren zu hoch. Man wußte so gut wie andere, daß es viele Mittel gab, um ohne Bezahlung Brot nach Rangkas-Betoeng zu bekommen, aber unbezahlte Arbeit, das indische Krebsgeschwür, war ihm ein Greuel. So gab es auch viel zu Lebak, was wohl zu haben war, für nichts, durch Gewalt, aber nicht für billigen Preis zu kaufen, und in solchem Falle schickten sich Havelaar und seine Frau gern in die Entbehrung. Sie hatten ja schon ganz andere Entbehrungen erlebt. Hatte nicht die arme Frau Monate auf einem arabischen Schiffe zugebracht, ohne eine andere Lagerstätte als das Deck, ohne anderen Schutz gegen Sonnenhitze und Sturm als ein Tischchen, zwischen dessen Beinen sie sich festklammern mußte? Hatte sie sich auf dem Schiffe nicht mit einer dürftigen Portion Reis und fauligem Wasser begnügen müssen? Und war sie nicht in den vielen anderen Fällen immer zufrieden gewesen, wenn sie nur mit ihrem Max zusammen sein konnte?

Ein Umstand aber machte ihr Verdruß in Lebak: der kleine Max konnte nicht im Garten spielen, weil dort so viele Schlangen waren. Als sie dies bemerkte und sich bei Havelaar beklagte, setzte dieser einen Preis aus für die Bedienten auf jede Schlange, die sie fangen würden; aber schon am ersten Tage mußte er so viel an Prämien bezahlen, daß er seine Preisaussetzung für die Zukunft zurückziehen mußte; denn auch unter gewöhnlichen Umständen, und ohne die ihm so notwendige Sparsamkeit hätte die Bezahlung bald seine Mittel überschritten. Es wurde festgestellt, daß der kleine Max fortan das Haus nicht mehr verlassen sollte, und daß er, um frische Luft zu schöpfen, sich mit dem Spielen in der Vorgalerie begnügen müsse. Trotz dieser Fürsorge war Tine noch sehr ängstlich, und besonders des Abends, da man weiß, daß Schlangen öfters in die Häuser kriechen, und der Wärme wegen sich in den Schlafzimmern verbergen.

Schlangen und dergleichen Tierzeug findet man allerdings in Indien überall; aber an größeren Orten, wo die Bevölkerung dichter bei einander wohnt, kommen sie natürlich seltener vor als in den noch mehr wilden Gebieten, wie zu Rangkas-Betoeng. Wenn indessen Havelaar sich hätte entschließen können, sein Grundstück bis an den Rand der Schlucht von Unkraut reinigen zu lassen, so würden zwar die Schlangen sich von Zeit zu Zeit doch wieder im Garten gezeigt haben, aber gewiß nicht so zahlreich wie jetzt. Diese Tiere ziehen von Natur Dunkelheit und Verstecke dem Licht offener Plätze vor, sodaß, wenn Havelaars Grundstück rein gehalten worden wäre, die Schlangen höchstens einmal, wenn sie sich verirrten, das Gestrüpp in der Schlucht verlassen haben würden. Aber das Grundstück Havelaars war nicht sauber, und ich werde den Grund davon mitteilen, da er einen Blick auf die Mißbräuche gestattet, die beinahe überall in den niederländisch-indischen Besitzungen herrschen.

Weitere Bücher von diesem Autor