Wenn die Idylle trügt

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5.

Als sie das Lokal betraten, saßen Adrian und Caroline Burwieck bereits am reservierten Tisch. Adrian erhob sich sofort. Mit strahlendem Lächeln ging er auf die Freunde zu.

»Ihr seid spät. Aber nicht zu spät.«

Herzlich umarmte er Felia und erwiderte Svens festen Händedruck. Caroline war sitzen geblieben. Sven beugte sich über sie. Flüchtig küsste er ihre Wange.

»Ich befürchtete schon … Himmel, Felia, bist du chic. Du stichst mich aus. Und das an meinem Hochzeitstag!«

»Nicht so laut, Caroline«, dämpfte Adrian ihren Ausbruch. »Außerdem ist es unser Hochzeitstag, nicht nur deiner. In der Tat Felia, das Kleid ist eine Wucht.«

»Gefällt es dir wirklich? Mein lieber Mann hat es gar nicht wahrgenommen.«

Betroffen starrte Sven seine Frau an. Tatsächlich. Er hatte ihr vorhin in den Mantel geholfen und nicht darauf geachtet, was sie anhatte. Nun nahm er das schmale schwarze Kleid, das bunte Seidentuch über ihrer linken Schulter bewusst wahr. Den Ausschnitt fand er gewagt. Betont langsam wandte er den Blick zu Caroline, die die Szene offensichtlich genoss.

»Na, dein Kleid finde ich mindestens ebenso schick. Bei der Figur.«

Lachend winkte die Freundin ab.

»Die kostet mich eine Menge Geld, diese Figur. Letzte Woche erst bin ich aus Lisas Wellness-Tempel zurückgekommen …« Caroline war in ihrem Element. Felia heuchelte Interesse, während ihre Gedanken spazieren gingen. Sven ignorierte sie.

Die beiden Männer sahen sich mit spöttischem Grinsen an. Dann vertieften sie sich in die Speisekarten. Beide entschieden sich für Fisch und einen leichten Grauen Burgunder. Gesprächsfetzen flogen an ihm vorbei, während Sven an seinem Aperitif nippte. Carolines helles und Felias dunkles Lachen vermischten sich. Er schwieg beharrlich.

»Was ist mit dir, Sven, du wirkst so abwesend?«

»Nichts ist mit mir, Adrian. Entschuldige, ich war mit meinen Gedanken bei einer Sache im Büro. Ich bin schon wieder voll hier. Wie geht es mit deiner Praxis?«, lenkte er von sich ab.

»Stress. Stress wie immer. Aber der Rubel rollt. Seit dem Ersten habe ich eine neue Sekretärin. Sieht gut aus, die Kleine. Und tüchtig scheint sie auch zu sein.«

»Hoffentlich nur am PC«, warf Caroline ein.

»Schätzchen, du weißt doch, dass mein Personal für mich tabu ist.«

Adrian küsste seine Frau auf die Wange. Sie lächelten sich an. Sven registrierte aus den Augenwinkeln, dass ihm Felia einen schnellen Blick zuwarf. Er wollte sie jetzt nicht anschauen. Während des Essens flirteten Adrian und Caroline wie jung Verliebte. Sven konzentrierte sich auf seinen Zander, als könne der ihm plötzlich davonschwimmen. Den Wein trank er viel zu hastig. An der Unterhaltung der drei beteiligte er sich kaum. Felia wurde Svens Schweigen peinlich. Immer wieder versuchte sie, ihn mit kurzen Bemerkungen in die Gespräche einzubeziehen. Es gelang ihr nicht. Fast atmete sie auf, als sie bei Espresso angelangt waren und Caroline vorschlug:

»Ich würde jetzt gern noch irgendwo anders hingehen. Kennt ihr schon die Bar, die vor vier Wochen in der Altstadt neu eröffnet hat? Schummriges Licht, leise Musik, einen exotischen Drink.«

Adrian, der seiner Frau keinen Wunsch abschlagen mochte, stimmte der Idee sofort zu. Sven winkte ab.

»Ohne uns. Mir reicht es für heute. Feiert ihr zwei Turteltauben nur allein weiter.«

Trotz stieg in Felia hoch. Plötzlich wollte sie sich amüsieren.

»Warum nicht. Kurz können wir noch mitkommen. Ich war noch nicht da«, ging sie einfach über die Absage ihres Mannes hinweg.

Sven versuchte gar nicht, seine Irritation zu verbergen.

»Wir haben heute keinen Hochzeitstag«, erklärte er bissig.

Felia sah ihn an, sagte nichts weiter. In ihrem Blick lag eine solche Entschiedenheit, dass ihr Mann endlich seufzend erklärte:

»Von mir aus.« Begeistert klang er nicht.

Als Adrian die Rechnung unterzeichnete, wurde ihm bewusst, dass sie alle reichlich getrunken hatten und eigentlich keiner mehr fahren sollte. Es wird schon nichts passieren, beruhigte er sich selbst. Als er und Caroline zu ihrem Auto gingen, hörte er Felias Stimme. Leise, aber in schneidendem Ton:

»Ich fahre! Du hast wieder zu viel getrunken. Du musstest ja schon zu Hause anfangen.«

Wortlos ging Sven zur Beifahrertür.

»Sie hat recht«, flüsterte Caroline ihrem Mann zu. »Er hatte schon eine Fahne als er hier ankam. In letzter Zeit trinkt er wirklich reichlich.«

»Das geht uns nichts an. Halte du dich da raus«, warnte Adrian.

Die neue, angesagte Bar war gut besucht. Dennoch fanden sie Platz.

»Champagner!«, verlangte Caroline. Ihre Stimme war zu laut und zu schrill.

»Den hätten wir auch im Knechthausen trinken können«, murmelte Sven.

»Was du willst, mein Schatz«, stimmte Adrian zu.

Als der Barpianist einen leisen, langsamen Song anstimmte, sprang Caroline auf.

»Komm, Schatz, ich möchte tanzen.«

»Das ist nur Unterhaltungsmusik, keine Tanzmusik, Liebling.«

Caroline ließ sich nicht abweisen. Seufzend folgte ihr Mann in den schmalen Durchgang Richtung sanitäre Anlagen. Der einzige Platz, um auf der Stelle zu tanzen.

Schweigend blieben Felia und Sven zurück. Der Kellner servierte den Champagner. Aufmerksam beobachte Sven jede seiner Bewegungen. Als der Ober den Tisch verlassen hatte, fuhr Felia ihren Mann an:

»Du bist unmöglich heute Abend. Wenn dir unsere Gesellschaft nicht passt, hättest du wirklich besser zu Hause bleiben sollen. Was haben wir dir nur getan?«

Er konnte ihre Frage nicht beantworten. Also schwieg er. Felia wurde noch wütender.

»Ich habe es satt. Herr Ober, bitte rufen Sie mir ein Taxi.« Der Angesprochene reagierte nicht, hatte ihre Bitte offenbar nicht gehört.

»Was soll der Quatsch?« Svens Tonfall klang schroff und wütend. »Du wolltest hier her. Nun bleiben wir auch.«

Als er ihren zornigen Blick sah, lenkte er endlich ein.

»Entschuldige, ich hatte einen harten Tag heute.«

»Ganz was Neues«, murmelte Felia. Eng umschlungen kehrten Caroline und Adrian zum Tisch zurück.

»Ist was?«

Caroline blickte stirnrunzelnd auf ihre Freunde.

»Ich fahre heim. Adrian, ruf mir bitte ein Taxi.«

»Felia! Nun sei kein Spielverderber.«

Sven lachte gezwungen.

»Wir gehen alle in Kürze. Gleich nach dieser Flasche«, versprach Adrian. Felia ließ sich auf keine Diskussionen mehr ein. Sven, der die Wirkung des Alkohols allmählich spürte, reagierte mit stoischem Schweigen. Felia schnappte sich ihre Tasche und verließ grußlos den Tisch. Ihr Glas hatte sie nicht angerührt. Adrian folgte ihr zum Ausgang, holte ihren Mantel und versuchte gleichzeitig, sie zum Bleiben zu bewegen. Felia blieb stur.

Als sie auf der Straße stand, überlegte sie nicht lange. Thorsten. Sie dachte an die eine Nacht. Nein, nicht zu Thorsten. Mit schnellen Schritten lief sie zum Taxistand am Pferdemarkt und nannte kurz darauf dem Fahrer die Anschrift ihres Hauses.

Als Adrian und Felia außer Hörweite waren, stellte Caroline Sven zur Rede.

»Also weißt du, du benimmst dich unmöglich. Was ist nur los mit dir?«

»Lass mich einfach in Ruhe, ja?«, motzte er zurück. Sie sprachen kein weiteres Wort, bis Adrian zurückkehrte.

»Na, das war ja ein schöner Abend. Wirklich Sven, deine Launen hat Felia nicht verdient.«

»Scher dich zum Teufel, Adrian. Ihr kotzt mich heute alle an.«

»Nicht so, mein Freund. Ich lasse mich nicht von dir beleidigen.«

»Ich hatte mich so auf den Abend gefreut.«

Carolines Stimme klang weinerlich. »Felia hat recht. Du benimmst dich manchmal wirklich unmöglich.«

»So. Hat sie sich bei dir ausgeweint? Ich muss ja ein schrecklicher Ehemann sein.«

Adrian warf seiner Frau einen warnenden Blick zu. Caroline tat, als bemerke sie es nicht.

»Manchmal ja«, warf sie Sven vor. An den Nebentischen wurden andere Gäste aufmerksam. Plötzlich stand Sven auf. Er verneigte sich und verabschiedete sich mit spöttischem Lächeln.

»Danke für den schönen Abend. Ich empfehle mich.«

»Ich dich nicht«, dachte Adrian und blieb sitzen.

Sven stolzierte kerzengerade mit hoch erhobenem Kopf zwischen den Tischen hindurch Richtung Ausgang. Fremde merkten nicht, dass er ganz leicht schwankte. Adrian und Caroline registrierten es genau.

6.

Vor der Tür blieb Sven unschlüssig stehen. Nach Hause würde er jetzt auf keinen Fall gehen. Es gab noch eine Bar nahe dem Pferdemarkt. Betont langsam schlenderte er dorthin. Aus der harten Helligkeit des Vorraumes tauchte er in rotes Schummerlicht. Es herrschte eine unruhige Stille. Keine weiteren Gäste. Er steuerte die Theke an, hinter der eine rothaarige, sehr schlanke Frau Gläser polierte. Ihr Alter vermochte er bei diesen Lichtverhältnissen nicht zu schätzen. Er suchte keine Frau. Er brauchte etwas zu trinken. Schwerfällig ließ er sich auf einem Barhocker nieder.

»Einen Whisky bitte«, bestellte er.

Scheinbar flüchtig sah Svenja hoch. Trotzdem taxierte sie ihn genau. Berufserfahrung.

Das kann ja heiter werden, dachte sie. Sie hatte gehofft, bald schließen zu können und nun kam dieser angeheiterte Typ, dessen Blick keine gute Laune signalisierte. Gut sah er aus. Dunkler Anzug, modische Krawatte, teure Uhr.

»Bitte, der Herr.« Sie schob ihm das Glas zu. Sven war sich bewusst, dass er nichts mehr vertrug. Er umklammerte das Glas, als wollte er sich daran festhalten, hob es der jungen Frau entgegen, setze es wieder ab.

 

»Trinken Sie ein Glas mit mir? In Gesellschaft schmeckt es besser.«

Sie nickte und goss sich aus ihrer Geheimflasche Tee ein.

»Ich trinke auf Ihr Wohl. Wie heißen Sie?«

»Svenja. Und Sie?«

»Sven.«

»Wie witzig. Prost Sven.«

»Prost Svenja«, und nach kurzer Pause: »Mein Gott, sind Sie schön.«

Svenja lächelte sparsam und nur mit den Lippen. Ihre Augen blieben unbeteiligt. Sie dachte an die Falten, die sie heute Abend wieder mühsam weggetuscht hatte.

»Sie sehen auch gut aus, Sven. So ein Mann wie Sie läuft doch gewiss nicht allein durch die Welt.«

Sven winkte ab.

»Sehen Sie noch jemanden? Natürlich bin ich verheiratet. Meine Frau geht nicht in solche Lokale. Sie versteht mich nicht.«

Der meist gesprochene Satz in allen Bars der Welt. Svenja kannte das. Sie setzte die Sanftes-Lächeln-Variante ein und lehnte sich über den Tresen. Gebannt starrte er auf ihre vollen Brüste. Felia war so flach gebaut. Verdammt, warum war sie in letzter Zeit oft so kühl? Eine Frau wie Svenja, die brauchte er heute. Zum Zuhören, nur zum Zuhören. Auf einmal konnte er reden. Svenja war eine gute Zuhörerin. Als er endlich bereit war, ein Taxi zu bestellen, war er stockbetrunken. Beim Abschied versprach er, bald wiederzukommen. Svenja behauptete, sich darauf zu freuen.

2. Kapitel
1.

Bruno Meiser war zufrieden. Er hatte einen erfolgreichen Tag hinter sich gebracht. Als Manuela gegen Abend sein Atelier betrat, hörte sie ihn laut und falsch pfeifen.

»Der Künstler ist gut aufgelegt. Sag nur, du hast das Bild verkauft?«

Bruno warf die Pinsel beiseite, die er zwischen zwei Fingern balancierte und breitete seine Arme aus. Mit schnellen, katzenhaften Bewegungen lief sie auf ihn zu und warf sich mit einem kleinen Jauchzer an seine Brust. Er presste sie an sich.

»Au, du tust mir weh!«

Bruno lockerte sofort den Griff. Er vergaß immer wieder, wie schmal und zart sie war.

»Schätzchen, ich habe den ´Wintermarkt` verkauft.«

Die gute Nachricht! Sie küsste ihn überschwänglich. Seine schmalen Künstlerhände glitten über ihren Rücken. Erneut zog er sie an sich.

»Nicht jetzt, Bruno.«

Sie löste sich rasch aus seinen Armen.

»Erzähle!«

Sie übersah seine begehrlichen Blicke, registrierte die flüchtige Enttäuschung. Er setzte sich auf den einzigen freien Stuhl im Zimmer. Manuela glitt mit geschmeidigen Bewegungen auf seine Knie.

»Die Galerie in Rotenburg hat den ´Wintermarkt` gekauft.«

Er fischte einen Scheck aus dem Papierwust auf seinem Schreibtisch und wedelte damit vor ihrer Nase hin und her. Mit beiden Händen hielt sie seinen Arm fest, um die Summe lesen zu können.

»Eintausendzweihundert Euro!«

Entrüstet sprang sie auf. »Das Bild ist viel mehr wert!«, behauptete sie theatralisch, obwohl sie genau wusste, dass das nicht stimmte.

»Aber Schätzchen, die müssen doch ihre Handelsspanne dazu rechnen.«

Mit einem Schlag war seine gute Laune verschwunden. Hatte er nicht am Morgen genau so reagiert? Und genau mit diesem Argument war er abgespeist worden. Natürlich erzählte er ihr das nicht. Die junge Frau spürte den Stimmungswechsel sofort. Nur das nicht! Sie schmiegte sich wieder in seine Arme.

»Ach Bruno, ich finde, es ist ein schöner Erfolg, dass du das Bild so schnell verkauft hast. Ich freue mich mit dir.« Ihr Kuss war Lockung. »Das müssen wir feiern. Ist Sekt da?«

»Aber klar. Steht im Kühlschrank.«

Sie holte Gläser von einem Wandbord. Einen Schrank gab es in diesem Riesenraum nicht.

Bruno Meiser konnte Möbel nicht ausstehen. Er brauchte Platz für seine Werke und Luft für seine Gedanken. Freiräume! Besonders, da sein Atelier im Souterrain eines kleinen Fabrikgebäudes lag. Ein flüchtiger Bekannter, der in Ottenbeck einen Handwerksbetrieb führte, hatte ihm den ungenutzten unteren Teil des Hauses zur Verfügung gestellt.

Ein kleiner Schreibtisch aus billigen Hartfaserplatten, überwuchert mit Zeitungsausschnitten, unbezahlten Rechnungen, Notizzetteln mit Telefonnummern, deren Inhaber er oft nicht mehr zuordnen konnte. Ein heller Korbstuhl. Dahinter ein zusammengeklappter Tapeziertisch, der bei Bedarf Ess- oder Arbeitsplatte darstellen konnte. Ein paar Schritte weiter und mitten im Raum ein silberglänzender Bistrotisch mit drei Stahlstühlen. Eine nüchterne Insel. An der langen, weißgetünchten Wand stapelweise teils gerahmte, teils ungerahmte Bilder unter einer schmalen Fensterfront – Oberlichter wäre der richtigere Ausdruck. Gegenüber eine breite Schlafcouch mit einem wackeligen Teakholzhocker, lange schmale Wandborde, zwei Meter Kleiderstange mit ein paar unordentlich aufgehängten Kleidungsstücken und mehreren leeren Bügeln. Und ein alter, überdimensionierter Kühlschrank. Das alles war auf einer Fläche von ca. fünfzig Quadratmetern verteilt. Raum für Kunst, nicht für unwichtigen Alltagskram.

Die Staffelei stand an dem gardinenlosen Lichtband an der Schmalseite des Zimmers, vis-a-vis der Tür. Sie war umgeben von Scheinwerfern verschiedener Intensität. Es wirkte eher wie der Arbeitsplatz eines Fotografen, denn eines Malers, wäre da nicht diese Ansammlung von gemalten Bildern. Bilder, Bilder, wohin man schaute.

Manuela stieg über ein paar Farbtöpfe und öffnete den Kühlschrank. Der Anblick war – wie so oft – deprimierend. Eine Flasche billiger Sekt, der unvermeidliche Rotwein, ein Stück alter Käse. Mehr gab es nicht. Als sie sich bückte, stand Bruno schon wieder hinter ihr.

»Komm ins Bett«, flüsterte er mit rauer Stimme.

»Wüstling«, lachte sie. »Was willst du nun, trinken, oder …«

»Beides.«

Als sei sie eine Feder, hob er die junge Frau hoch und trug sie zur Couch.

Später lag sie entspannt an seiner Seite. Die Augen geschlossen, versuchte sie, den Dämmerzustand zwischen Wachen und Schlafen noch ein Weilchen festzuhalten. Bruno beobachtete sie. Er konnte sich nicht satt sehen an ihrer bronzefarbenen Haut, den Linien ihrer schmalen Glieder. Bruno Meiser war siebenundfünfzig Jahre alt, dreißig Jahre älter als seine Geliebte.

Vor drei Jahren im Urlaub waren sie sich begegnet. In Spanien an einem FKK-Strand hatte er sie eines Morgens zum ersten Mal gesehen. Sie saß mit ein paar Freundinnen plaudernd und lachend im feinen, weißen Sand. Sein Künstlerauge hatte sie entdeckt. Damals war es Liebe auf den ersten Blick. Heute würde er den Ausdruck Liebe nicht mehr verwenden. Begehren, ja. Was Manuela für ihn empfand, hatte er nie genau ergründen können und er fand, das hatte seinen Reiz. Sie war eine zärtliche und wilde Geliebte, launisch, unberechenbar. Immerhin war sie ihm nach Deutschland gefolgt. Und, obwohl sie Stade vom ersten Tag an spießbürgerlich fand, war sie geblieben. Ob aus Liebe oder anderen Beweggründen, war ihm nach drei Jahren Zweisamkeit nicht mehr wichtig. Sie lebte mit ihm zusammen, aber sie wohnte nicht bei ihm. Manuela hatte eine eigene kleine Wohnung gemietet und beharrte auf ihrer Selbständigkeit. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie als Friseuse und Kosmetikerin in einem Salon in der Innenstadt.

Svenja Olufsson war ihre engste Vertraute. Die Schwedin und die Spanierin. Ein spannender Kontrast, der Brunos Künstlerauge immer wieder anregte. Außer Sport verbanden die beiden Frauen viele gemeinsame Interessen. Sie hatten sich in der Volkshochschule bei einem Nähkurs kennengelernt, hatten in der Tanzschule Hillmann einen Tangokurs besucht, und trafen sich oft und gern zum Shoppen, Bummeln oder einfach nur zum Quatschen.

Sanft strich er über ihre Schenkel. Manuela öffnete die Augen.

»Ich habe Hunger.«

»Ich auch. Nach dir.«

»Nein, auf Steaks und Salat. Du bist doch heute reich. Lädst du mich zum Essen ein?«

»Die Bank hat schon zu. Ich kann den Scheck jetzt nicht mehr einlösen. Darüber hinaus bin ich völlig blank. Mein letztes Geld liegt im Kühlschrank. Oder jedenfalls das, was man dafür bekommen kann.«

»Ich lade dich ein.«

»Ich habe noch Käse.«

»Den essen wir, wenn wir nach Hause kommen. Als Dessert.«

Sie wand sich aus seinem forderndem Griff, las die im Raum verteilte Unterwäsche zusammen und verschwand im angrenzenden Bad.

Seufzend stieg Bruno aus den Kissen. Er brauchte nichts zu essen. Sein chronischer Geldmangel hatte ihn zum Hungerkünstler werden lassen. Gerade als Manuela die Dusche aufdrehte, kam auch er ins Bad, dem einzigen abgeschlossenen Teil in diesem unteren Keller-Wohnbereich. Außer der Miniküche natürlich. Übermütig hielt sie den Wasserstrahl auf seinen erhitzten, sehnigen Körper. Mit schnellem Griff entwendete er ihr die Brause und ließ den warmen Strahl über ihren Körper gleiten. Sie griff nach der Seife. Ihre Hände machten sich selbständig, strichen über seine festen Lenden, hinterließen eine weiße sahnige Spur. Seine Bewegungen wurden fordernd. Noch einmal liebten sie sich.

2.

Als sie endlich das Atelier im Stadtteil Ottenbeck verließen, war es draußen schon dunkel.

Zuerst gingen sie in ihr Lieblingslokal, mehr Kneipe als Restaurant. Gern hätten sie andere Lokale als ihr Lieblingsrestaurant bezeichnet, wären sie nicht so teuer. Und dann schauten sie noch in der Bar vorbei, in der Manuelas Freundin arbeitete. Heute Abend war die Bar gut besucht. Svenja hatte wenig Zeit. Sie begrüßte Manuela mit einer flüchtigen Umarmung. Bruno nickte sie freundlich zu.

»Nehmt hier in der Ecke Platz. Ich komme gleich zu euch.«

Routiniert mixte sie die Getränke, lächelte geschäftsmäßig ihren Gästen zu. Die beiden Japaner wirkten auf den Barhockern größer, als sie tatsächlich waren. Und irgendwie erwachsener. Sie unterhielten sich in einer Sprache, die Svenja nicht verstand. Sie kümmerte sich nicht länger um die beiden. Ihre Gläser waren noch gut gefüllt. Daneben saß eine auffallend große Blondine. Sie redete lebhaft auf einen etwa gleichaltrigen Mann ein, der halb hinter ihr stand, ein Bierglas in der Hand.

»Du darfst den Gören eben nicht jeden Wunsch erfüllen«, zischte sie ihn an. »Du zahlst genug Unterhalt für deine Familie. Das muss doch reichen.«

Das unerschöpfliche Thema Geld und Liebe. Svenja wandte sich dem nächsten Gast zu.

»Noch einen Whisky?«

»Bitte, ja.« Dieser Sven war wieder da. Sie war sicher, dass er den Namen erfunden hatte, als sie ihren genannt hatte.

Lächelnd stellte sie das Glas vor ihn hin. Als er danach griff, berührten sich ihre Finger. Schnell zog sie ihre Hand zurück. Sie fing seinen Blick auf.

»Schon wieder Kummer?«, fragte sie leise.

Er schüttelte den Kopf.

»So würde ich es nicht nennen. Mein Katzenjammer von letzter Woche ist vorbei. Ich denke gerade darüber nach, was ich meiner Frau zum Geburtstag schenke. Das ist das Problem. Haben Sie nicht eine Idee?«

Svenja sah ihn überrascht an.

»Ich kenne Ihre Frau doch gar nicht. Wie kann ich da einen Rat geben, Herr …«

»Sven, haben Sie das vergessen?«

»Nein, natürlich nicht.«

Sie nannte ihre Gäste ungern beim Vornamen.

Neben Sven saßen zwei Herren, die sich nicht kannten und einträchtig miteinander schwiegen.

Was mache ich hier eigentlich?, fragte sich Svenja nicht zum ersten Mal. Geld verdienen. Ja klar. Das Paar stritt noch immer wegen irgendwelcher Kinder. Dieser Sven sprach von seiner Frau. Und ich? Schlage mich allein durchs Leben. Überzeugter Single war sie nicht. Vielmehr sehnte sie sich nach einer intakten Partnerschaft, hätte gern Kinder gehabt. Doch der Richtige war nicht in Sicht.

Vor mehr als einem Jahr hatte sie Karlshamn und ihr Elternhaus verlassen, war vor ihren Gefühlen geflüchtet und in Stade, der deutschen Partnerstadt gelandet. Das erste Mal war sie mit dem Lucia-Chor in die Hansestadt gekommen, hatte auf dem Weihnachtsmarkt gesungen und sich sogleich in die heimelige Atmosphäre der Stadt verliebt. Später hatte sie an mehreren kulturellen Austauschprogrammen teilgenommen und Freundschaften mit jungen Leuten aus Stade geschlossen. Die große Liebe war nicht dabei. Trotzdem fühlte sie sich inzwischen hier wohl. Im Gegensatz zu ihrer spanischen Freundin Manuela Gonzales, die sich gern über die Kleinstadtatmosphäre mokierte.

 

Endlich wandte sich Svenja ihrer Freundin zu.

»Na ihr zwei, wie geht es?«

»Prächtig, Bruno hat heute ein Bild verkauft.«

»Gratuliere! Was trinkt ihr? Darauf gebe ich einen aus.«

»Schampus«, reagierte Manuela prompt. Bruno hatte den Arm um ihre Taille gelegt und nickte bekräftigend. Svenja holte zwei langstielige Gläser und schenkte die Hausmarke ein. Sekt natürlich. Sie mochte die beiden. Manuela war lebhaft, liebenswürdig und Brunos Charme war mitreißend. Jedenfalls so lange er nicht zu viel getrunken hatte, was in letzter Zeit leider immer wieder vorkam. Ihm stand seine weiße Künstlermähne zu dem dunklen, fast südländisch wirkenden Teint. Auch wenn der nicht naturgebräunt sondern sportstudio-erworben war. Und seine strahlenden hellen Augen mit den vielen Lachfalten drumherum. Und sein weißes Löwengebiss. Und seine schmalen Künstlerhände, und, und … Alles an dem Mann sah einfach gut aus, wenn auch nicht alles echt war.

Svenja hatte eine Idee und fragte Bruno:

»Malst du auch Portraits?«

»Wenn´s genug einbringt, alles. Dann porträtiere ich auch des Teufels Großmutter.«

»Kennst du die denn?«

Verblüfft über ihre Schlagfertigkeit lachte er auf.

Svenja ging zu Sven zurück, der noch immer trübsinnig in sein nun schon wieder fast leeres Glas schaute.

»Was darf es denn kosten, Ihr Geburtstagsgeschenk?«, nahm sie den Faden wieder auf.

»Egal, Hauptsache, die Idee ist gut. Schmuck wäre keine.

Felia hat einen sogenannten runden Geburtstag und außerdem habe ich einiges gut zu machen.«

Das scheint mir auch so, dachte Svenja. Laut setzte sie hinzu:

»Was halten Sie von einem Portrait? Da drüben sitzt ein Freund von mir. Der ist ein begabter Künstler. Er malt auch nach Fotos.«

»Svenja, Sie sind ein Schatz. Die Idee ist gut!«

Über den Preis machte er sich keine Gedanken.

»Soll ich Sie miteinander bekannt machen?«

Gemeinsam gingen sie zu Bruno und Manuela. Svenja stellte Sven vor und erklärte, dass dieser eventuell an einem Bild von Bruno interessiert sei. Dann ließ sie die drei allein, und ging zu ihrem Tresen zurück, denn sie hatte zu tun. Aus dem Augenwinkel beobachtete sie, wie die Unterhaltung lebhafter wurde, sah, wie Sven ein Foto aus seiner Brieftasche fischte. Allerdings registrierte sie auch Manuelas flackernden Blick. Sie kannte dieses Anzeichen, sah, wie sie die Wattzahl ihres Lächelns immer stärker erhöhte.

„Svenja, bringen Sie mir bitte auch ein Glas und eine Flasche Sekt«, rief Sven ihr zu. Sie tat, wie geheißen, schenkte die drei Gläser ein. Dabei warf sie einen Blick auf das Foto, das auf dem Tisch lag. Schwarzes, halblanges glattes Haar umspielte ein schmales Gesicht, intelligente Augen blickten ernst. Das Kinn war selbstbewusst vorgeschoben, die Lippen geschlossen.

»Sie können sich gern in meinem Atelier umsehen«, bot Bruno gerade an.

»Das interessiert mich wirklich«, erwiderte Sven. »Wann würde es Ihnen passen? Abends könnte ich mich eine Stunde frei machen. Am Tag bin ich zu beschäftigt.«

Bruno, dem klar war, dass er den Auftrag nur erhielt, wenn er diesen Fremden von seinen Fähigkeiten überzeugen konnte, stimmte dem Vorschlag sofort zu. Sie einigten sich auf den nächsten Abend. Er überreichte Sven eine Visitenkarte.

Kunstmaler und Projektkünstler – Sven musste schmunzeln. Eine Adresse in Ottenbeck. Die Straße kannte er.

»Gut, dann bis morgen Abend gegen acht Uhr. Ich bin sehr gespannt.« Mit einem kurzen Blick auf seine Armbanduhr erklärte er, es sei höchste Zeit für ihn, zahlte und verschwand.

»Mann, wenn das klappt, Bruno, dann war das heute wirklich dein Glückstag.« Manuela strahlte. »Morgen komme ich aufräumen.«

»Untersteh´ dich. Ich bin Künstler und kein Bilderverkäufer. Ein Genie braucht sein Chaos.«

Sie tranken die Flasche leer.

»Komm, der Käse wartet.«

In bester Stimmung verließen sie das Lokal. Am nächsten Morgen wachte jeder in seinem eigenen Bett auf.

Anders im Hause Lewandowski. Felia, die lesend auf der Couch saß, freute sich, als Sven nach Hause kam und sagte es ihm auch. Kurz darauf gingen sie gemeinsam schlafen. Frieden, wie schön, dachte Sven. Nur, wie lange würde er diesmal anhalten?