Don Quijote

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2. Kapitel
Welches von der ersten Ausfahrt handelt, die der sinnreiche Don Quijote aus seiner Heimat tat

Nachdem er alle diese Vorkehrungen getroffen, wollte er nicht länger warten, sein Vorhaben ins Werk zu setzen; es drängte ihn dazu der Gedanke an die Entbehrung, die die Welt durch sein Zögern erleide, derart waren die Unbilden, denen er zu steuern, die Ungerechtigkeiten, die er zurechtzubringen, die Ungebühr, der er abzuhelfen, die Mißbräuche, die er wiedergutzumachen, kurz, die Pflichten, denen er zu genügen gedachte. Und so, ohne irgendeinem von seiner Absicht Kunde zu geben und ohne daß jemand ihn sah, bewehrte er sich eines Morgens vor Anbruch des Tages – es war einer der heißen Julitage – mit seiner ganzen Rüstung, stieg auf den Rosinante, nachdem er seinen zusammengeflickten Turnierhelm aufgesetzt, faßte seine Tartsche in den Arm, nahm seinen Speer und zog durch die Hinterpforte seines Hofes hinaus aufs Feld, mit gewaltiger Befriedigung und Herzensfreude darob, mit wie großer Leichtigkeit er sein löbliches Vorhaben auszuführen begonnen.

Aber kaum sah er sich in freiem Feld, als ihn ein schrecklicher Gedanke anfiel, und zwar ein solcher, der ihn beinahe dahin gebracht hätte, das angefangene Unternehmen wieder aufzugeben: nämlich der Gedanke, daß er nicht zum Ritter geschlagen sei und daß gemäß dem Gesetze des Rittertums er gegen keinen Ritter die Waffen führen könne noch dürfe; und wenn er es sogar schon wäre, so müßte er doch eine weiße Rüstung tragen, ohne ein Abzeichen auf dem Schild, bis er sich eines durch seine Tapferkeit gewänne. Diese Erwägungen machten ihn in seinem Vorsatze wankend; aber da seine Torheit mehr vermochte als jeglicher Vernunftgrund, nahm er sich vor, sich von dem ersten besten, auf den er stieße, zum Ritter schlagen zu lassen, in Nachahmung vieler andern, die so getan, wie er in den Büchern gelesen hatte, die ihn in solche Geistesrichtung versetzt hatten. Was die weiße Rüstung betraf, so dachte er die seine, wenn er Gelegenheit habe, dergestalt zu putzen, daß sie weißer werde als ein Hermelin. Und damit beruhigte er sich und setzte seinen Weg fort, ohne einen andern einzuschlagen, als den sein Pferd wollte; denn er meinte, gerade darin bestünde das rechte Wesen der Abenteuer.

Wie nun unser funkelnagelneuer Abenteurer des Weges hinzog, pflog er ernsten Gespräches mit sich selbst und sagte: Wer zweifelt, daß in kommenden Zeiten, wann die wahrhafte Geschichte meiner ruhmvollen Taten dereinst ans Licht tritt, der weise Zauberer, der sie verfassen wird, wenn er an die Erzählung gelangt dieser meiner ersten Ausfahrt so frühmorgens, folgendermaßen hinschreibt: Kaum hatte der rotwangige Apollo über das Antlitz der großen weithingedehnten Erde die goldnen Fäden seiner schönen Haupthaare ausgebreitet und kaum hatten die kleinen buntfarbigen Vögelein mit ihren spitzigen Zungen und mit sanfter honigsüßer Harmonie das Kommen der rosigen Aurora begrüßt, welche, das weiche Lager des eifersüchtigen Gemahls verlassend, sich aus den Pforten und Erkern des Manchaner Horizontes hervor den Sterblichen zeigte, als der berühmte Ritter Don Quijote von der Mancha, die müßigen Daunen verlassend, auf seinen berühmten Hengst Rosinante stieg und des Weges zu ziehen begann über das alte weitbekannte Gefilde von Montiel. – Und in der Tat ritt er eben darüber hin.

Und er sagte weiter: Glücklich das Zeitalter und glücklich das Jahrhundert, wo dereinst ans Licht treten die ruhmvollen Taten mein, würdig, in Erz gegraben, in Marmor gemeißelt, auf Tafeln gemalt zu werden zum Angedenken in aller Zukunft! O du weiser Zauberer, wer auch immer du seiest, dem es zuteil werden soll, der Chronist dieser merkwürdigen Geschichte zu sein, ich bitte dich, meines guten Rosinante nicht zu vergessen, meines ewigen Gefährten auf all meinen Wegen und Bahnen.

Dann sagte er wieder, als wäre er wirklich verliebt: O Prinzessin Dulcinea, Herrin dieses mit Gefangenschaft bestrickten Herzens! Große Unbill habt Ihr mir getan, mich abzuweisen und wegzustoßen mit der grausamen Strenge des Gebotes, daß ich vor Euer Huldseligkeit mich nicht mehr zeigen soll. Es beliebe Euch, Herrin, dieses Euch untertänigen Herzens zu gedenken, das so viele Nöten um Eurer Liebe willen erduldet.

An diese Ungereimtheiten reihte er noch vielfach andre an, alle in der Art jener, die seine Bücher ihn gelehrt, indem er ihre Sprache, soviel es ihm möglich war, nachahmte; und dabei ritt er so langsam fürbaß, und die Sonne stieg so eilig und mit solcher Glut herauf, daß es hingereicht hätte, ihm das Hirn breiweich zu schmelzen, wenn er welches gehabt hätte.

Beinahe diesen ganzen Tag zog er dahin, ohne daß ihm etwas begegnete, was zum Erzählen wäre, und darüber wollte er schier verzweifeln; denn gern hätte er gleich zur Stelle auf jemand treffen mögen, an dem er die Tapferkeit seines starken Armes erproben könnte.

Es gibt Schriftsteller, die da sagen, das erste Abenteuer, das ihm zustieß, sei das im Bergpaß Lápice gewesen; andre sagen, das mit den Windmühlen. Was ich jedoch über diesen Kasus ermitteln konnte und was ich in den Jahrbüchern der Mancha geschrieben fand, ist, daß er den ganzen Tag seines Weges zog und beim Herannahen des Abends er und sein Gaul erschöpft und bis zum Tode hungrig waren; und daß, nach allen Seiten hin spähend, ob er irgendeine Burg oder einen Hirtenpferch entdeckte, wo er eine Zuflucht finden und seinem großen Notstand abhelfen könnte, er nicht weit von dem Weg, den er ritt, eine Schenke erblickte. Da war ihm, als sähe er einen Stern, der ihn zur Pforte – wenn auch nicht in den Palast – seiner Erlösung leitete. Er beschleunigte seinen Ritt und langte eben zur Zeit an, wo es Abend wurde.

Hier standen von ungefähr an der Tür zwei junge Frauenzimmer, aus der Zahl jener, welche man Die von der leichten Zunft benennt; sie waren auf der Reise nach Sevilla mit Maultiertreibern, die zufällig diese Nacht in der Schenke Rast hielten. Und da es unsern Abenteurer bedünkte, alles, was er auch immer dachte, sah oder sich einbildete, sei so beschaffen und trage sich so zu wie die Dinge, die er gelesen hatte, so kam es ihm sogleich vor, da er die Schenke sah, sie sei eine Burg mit ihren vier Türmen und Turmhauben von glänzendem Silber, ohne daß ihr ihre Zugbrücke und ihr tiefer Graben fehlte, nebst allen jenen Zubehörungen, womit man dergleichen Burgen malt. Er ritt näher an die Schenke heran – die ihm eine Burg schien –, und eine kurze Strecke von ihr hielt er seinem Rosinante die Zügel an und wartete, daß irgendein Zwerg sich zwischen den Zinnen zeige, um mit einer Drommete oder dergleichen das Zeichen zu geben, daß ein Ritter der Burg nahe. Da er aber sah, daß man zögerte, und Rosinante nach dem Stall Eile hatte, ritt er vor die Tür der Schenke und erblickte die beiden liederlichen Dirnen, die dort standen und die ihm als zwei schöne Fräulein oder anmutvolle Edelfrauen erschienen, die vor der Burgpforte sich erlusten mochten.

Im selben Augenblicke geschah es zufällig, daß ein Schweinehirt, der eine Herde Schweine – denn es ist nicht zu ändern, so heißen sie einmal – von den Stoppelfeldern heimtrieb, in sein Horn stieß, auf welches Zeichen sie heimwärts ziehen; und augenblicklich stellte sich unserm Don Quijote alles dar, was er wünschte, nämlich daß ein Zwerg das Zeichen seiner Ankunft gebe. Und so, mit außerordentlicher Befriedigung, nahte er der Schenke und den Damen; diese aber, als sie einen in solcher Weise gerüsteten Mann, mit Speer und Tartsche, heranreiten sahen, wollten voller Angst in die Schenke hinein. Jedoch Don Quijote, der aus ihrer Flucht auf ihre Ängstlichkeit schloß, hob das Pappdeckelvisier empor, und sein dürres, bestäubtes Gesicht halb aufdeckend, sprach er zu ihnen mit freundlicher Gebärde und sachter Stimme: »Euer Gnaden wollen nicht zur Flucht sich wenden noch irgendeine Ungebühr befürchten, sintemal es dem Orden der Ritterschaft, der mein Beruf ist, nicht zukommt noch geziemend ist, solche irgendwem anzutun; wieviel weniger so hohen Jungfrauen, wie Euer edles Aussehen verkündigt.«

Die Dirnen schauten ihn an und suchten mit den Augen hin und her nach seinem Gesicht, das das schlechte Visier zum Teil verdeckte; aber da sie sich Jungfrauen nennen hörten, ein so ganz außerhalb ihres Berufs liegendes Wort, konnten sie das Lachen nicht zurückhalten, und es war so arg, daß Don Quijote in Zorn geriet und ihnen sagte: »Gut steht Höflichkeit den Schönen, und zudem ist zu große Einfalt das Lachen, so aus unerheblicher Ursache entspringt. Indessen sage ich Euch das nicht, auf daß Ihr Euch etwa kränktet oder unfreundlichen Mut zeigtet; denn der meine steht auf andres nicht, als Euch zu Diensten zu sein.«

Diese von den Damen nicht verstandene Sprache und die übel aussehende Gestalt unsres Ritters vermehrten bei ihnen das Lachen und dies Lachen bei ihm den Ärger, und er wäre vielleicht sehr weit gegangen, wenn im nämlichen Augenblick nicht der Wirt gekommen wäre, ein Mann, der, weil sehr wohlbeleibt, sehr friedfertig war. Als dieser die seltsam entstellte Figur sah, bewehrt mit so schlecht zusammenpassenden Rüstungsstücken wie Zügel und Speer, Tartsche und Koller, war er ganz nahe daran, den Fräulein in den Äußerungen ihrer Heiterkeit Gesellschaft zu leisten; doch da er diese ganze Kriegsmaschinerie in der Tat fürchtete, entschied er sich dafür, ihn mit Höflichkeit anzureden, und somit sprach er zu ihm: »Wenn Euer Gnaden, Herr Ritter, Herberge sucht, so wird, mit Ausnahme des Bettes – denn in dieser Schenke gibt es keines –, alles andre sich hier im größten Überflusse finden.«

Als Don Quijote das demütige Benehmen des Befehlshabers der Feste sah – denn dafür hielt er den Wirt und die Schenke –, antwortete er: »Für mich, Herr Kastellan, genügt jegliches, was es auch immer sei, denn

Meine Zierat sind die Waffen,

 

Und mein Ausruhn ist der Kampf,

und so weiter.«

Der Wirt vermeinte, daß er ihn Kastellan geheißen, sei darum geschehen, weil er ihm einer von den ehrlichen Kastilianern, das ist Gaunern, geschienen, wiewohl er doch ein Andalusier war, freilich einer vom Strande von Sanlúcar, nicht weniger diebisch als Cacus und kein geringerer Schalk als ein Student oder ein Page. Und somit entgegnete er ihm: »Hiernach ist ohne Zweifel Euer Bette harter Felsen, Euer Schlaf ein stetes Wachen; und da dem so ist, so könnt Ihr getrost hier absteigen mit der Gewißheit, daß Ihr in dieser Hütte Gelegenheit und Gelegenheiten findet, um in einem ganzen Jahre, wieviel mehr in einer Nacht, nicht in Schlaf zu kommen.«

Und so redend, hielt er Don Quijote den Steigbügel; der stieg mit vieler Schwierigkeit und Mühe ab, da er den ganzen Tag noch nichts über die Lippen gebracht hatte. Alsbald sagte er dem Wirt, er möchte ihm für sein Pferd besondre Fürsorge tragen, denn es sei das allerbeste Tier, das auf Erden sein Futter fresse. Der Wirt beschaute es, und es dünkte ihm lange nicht so preisenswürdig, als Don Quijote sagte, ja nicht einmal halb so gut, und nachdem er es im Stall untergebracht, kam er wieder, um zu sehen, was sein Gast begehre. Diesem waren die Fräulein – die sich bereits mit ihm ausgesöhnt – im Begriffe, die Rüstung abzunehmen; doch obwohl sie ihm bereits das Koller von der Brust und das Schulterblech gelöst, verstanden und vermochten sie nimmer, ihm die Halsberge aus dem Verschluß zu bringen, noch ihm das nachgemachte Visier abzunehmen, welches er mit grünen Schnüren festgebunden trug; es wäre erforderlich gewesen, diese zu zerschneiden, weil man die Knoten nicht lösen konnte, aber er wollte unter keiner Bedingung dareinwilligen. Und so blieb er diesen ganzen Abend mit seinem Turnierhelm auf dem Kopfe, was die komischste und seltsamste Figur abgab, die zu erdenken war. Beim Abnehmen der Rüstung, da er sich einbildete, die Landstreicherinnen, die ihn entwehrten, seien vornehme Frauen, Damen aus dieser Burg, sprach er zu ihnen mit höchst anmutigem Gebaren:

»Niemals ward annoch ein Ritter

So wie jetzo Don Quijote

Wohl bedient von holden Damen,

Da er kam aus seinem Dorfe;

Edle Fräulein pflagen sein,

Und Prinzessen seines Rosses,

oder seines Rosinante; denn dies, meine Damen, ist der Name meines Pferdes und Don Quijote von der Mancha der meinige. Denn obschon ich mich nicht zu erkennen geben wollte, bis meine zu Eurem Dienst und Frommen vollführten Taten mich kundbar gemacht hätten, so ist doch der Drang, diese alte Romanze dem gegenwärtigen Zwecke anzupassen, Veranlassung geworden, daß Ihr meinen Namen lang vor der rechten Zeit erfahret. Allein der Tag wird kommen, wo Euer Erlaucht mir gebieten mögen und ich gehorchen und die Tapferkeit meines Armes den Wunsch offenbaren kann, den ich Euch zu dienen hege.«

Die Mädchen, an solcherlei Redensarten nicht gewöhnt, erwiderten kein Wort; sie fragten ihn nur, ob er etwas zu essen wünsche. »Wohl möchte ich einen Imbiß nehmen, was es auch sei«, antwortete Don Quijote; »denn wie ich merke, würde es mir sehr zustatten kommen.«

Zufälligerweise war es gerade Freitag, und in der ganzen Schenke gab es nichts als geringen Vorrat von einem Fische, den man in Kastilien Stockfisch, in Andalusien Kabeljau, in andern Gegenden Laberdan, in wieder andern Forellchen nennt. Man fragte ihn, ob vielleicht Seine Gnaden Forellchen genießen möchten, da kein andrer Fisch ihm vorzusetzen da sei. »Wenn nur viele Forellchen da sind«, erwiderte Don Quijote, »so können sie zusammen für eine Forelle dienen; denn es ist ganz dasselbe, wenn man mir acht Realen in Einzelstücken, wie wenn man mir ein Achtrealenstück gibt, um so mehr, da es doch sein könnte, daß es sich mit diesen Forellchen verhielte wie mit dem Kalbfleisch, das besser ist als Kuhfleisch, und mit dem Zicklein, das besser als der Geißbock. Aber sei es, wie es sei, es soll nur gleich kommen, denn die Mühsal und das Gewicht der Rüstung läßt sich nicht tragen ohne den Unterhalt des Magens.«

Man stellte ihm den Tisch vor die Tür der Schenke, um der Kühle willen, und es brachte ihm der Wirt eine Portion des schlecht gewässerten und noch schlechter gekochten Stockfisches und ein Brot, so schwarz und schmierig wie seine Rüstung. Aber es war gar sehr zum Lachen, ihn essen zu sehen, denn da er den Helm auf dem Kopfe hatte und das Visier in die Höhe hielt, so konnte er nichts mit seinen eigenen Händen in den Mund stecken, wenn nicht ein andrer es ihm gab und hineinsteckte; und so pflag eine jener Damen dieses Dienstes. Jedoch ihm zu trinken zu geben war unmöglich und würde unmöglich geblieben sein, wenn der Wirt nicht ein Schilfrohr ausgehöhlt und ihm das eine Ende in den Mund gehalten und zum andern ihm den Wein eingegossen hätte. Und alles dies nahm er mit Geduld auf, damit er nur nicht die Schnüre seines Visiers zu zerschneiden brauchte.

Wie man so weit war, kam zufällig ein Schweinschneider vor die Schenke, und wie er anlangte, blies er vier- oder fünfmal auf seiner Rohrpfeife. Das bestärkte Don Quijote vollends darin, daß er in irgendeiner berühmten Burg sei und daß man ihn mit Tafelmusik bediene und daß der Stockfisch eine Forelle, das Brot Weizenbrot, die Dirnen edle Damen und der Wirt Burgvogt dieser Feste sei; und somit fand er seinen Entschluß und seine Ausfahrt wohlgelungen. Was ihn jedoch hierbei noch sehr quälte, war, sich noch nicht zum Ritter geschlagen zu sehen, weil es ihn bedünkte, er könne sich nicht rechtmäßig in irgendwelches Abenteuer einlassen, ohne vorher den Ritterorden zu empfangen.

3. Kapitel
Wo die anmutige Art und Weise erzählt wird, wie Don Quijote zum Ritter geschlagen wurde

Von diesem Gedanken gequält, kürzte er sein kneipenhaft mageres und kärgliches Mahl ab, und kaum war es beendet, rief er den Wirt, schloß sich mit ihm im Pferdestall ein, fiel vor ihm auf die Knie und sprach: »Nie werde ich von der Stelle aufstehen, wo ich liege, tapferer Ritter; bis Eure edle Sitte mir eine Gunst gewährt, die ich von Euch erbitten will und die zu Eurem Preise und zum Frommen des Menschengeschlechtes gereichen wird.«

Der Wirt, der seinen Gast zu seinen Füßen sah und solcherlei Reden hörte, ward ganz betroffen, betrachtete ihn und wußte nicht, was tun oder sagen, und drang in ihn, sich zu erheben; aber er wollte durchaus nicht, bis der Wirt sich genötigt sah, ihm zu erklären, er gewähre ihm die Gunst, die er von ihm erbitte.

»Nichts Geringeres erwarte ich von Eurer hohen Großmut«, antwortete Don Quijote, »und so sag ich Euch denn, daß die Gunst, die ich von Euch erbeten und die mir von Eurem Edelmute gewährt worden, darin besteht, daß Ihr morgen am Tage mich zum Ritter schlagen sollt. Diese Nacht werde ich in der Kapelle dieser Eurer Burg die Waffenwacht halten; und morgen, wie ich gesagt habe, wird erfüllt werden, was ich so sehr ersehne, damit ich, wie es sich gebührt, durch alle vier Weltteile ziehen kann, Abenteuer aufsuchend zum Frommen der Hilfsbedürftigen, wie es auferlegt ist dem Rittertum und den fahrenden Rittern, wie ich einer bin, deren Verlangen auf solcherlei Großtaten gerichtet ist.«

Der Wirt, der, wie gesagt, etwas vom verschmitzten Schalk in sich trug und schon einigen Argwohn hatte, daß es seinem Gast am Verstand fehle, war, sobald er solche Reden von ihm gehört, auch sogleich völlig davon überzeugt; und damit er diesen Abend etwas zu lachen hätte, entschloß er sich, auf des Ritters Grillen einzugehen. Und so sagte er ihm, er treffe durchaus das Richtige mit seinem Begehr, und ein solches Vorhaben sei so vornehmen Rittern, wie er einer scheine und wie sein stattliches Aussehen verkünde, eigentümlich und naturgemäß. Er selbst habe ebenso in den Jahren seiner Jugend sich diesem ehrenvollen Berufe hingegeben und verschiedene Weltgegenden durchzogen, um auf seine Abenteuer auszugehen, ohne daß er die Fischervorstadt von Málaga und das Riaránsche Häuserviertel daselbst, den Kirchenplatz zu Sevilla, den Krämermarkt zu Segovia, den Olivenplatz zu Valencia, den kleinen Zwinger von Granada, den Strand von Sanlúcar, den Pferdebrunnenplatz zu Córdoba und die Kneipen von Toledo vernachlässigt hätte, nebst verschiedenen andren Gegenden, wo er die Leichtigkeit seiner Füße und Fertigkeit seiner Finger geübt, viel Unrechtes getan, viele Witwen in Versuchung geführt, manche Jungfrauen zu Fall gebracht, manche Unmündige hintergangen; endlich, er habe sich fast bei allen höheren und unteren Gerichten, die es in Spanien gibt, bekannt gemacht, und schließlich sei er zu dem Entschluß gekommen, sich in diese seine Burg zurückzuziehen, wo er von seinem Vermögen lebe und auch von fremden, und in selbiger nehme er alle fahrenden Ritter auf, von was Art und Stande sie auch immer seien, lediglich aus großer Zuneigung, die er zu ihnen hege, und damit sie zur Vergeltung seiner guten Absicht ihre Habe mit ihm teilten. Er sagte ihm ferner, in dieser seiner Burg gebe es keine Kapelle, die Waffenwacht zu halten, denn sie sei niedergerissen worden, um sie neu aufzubauen; aber im Notfalle, das wisse er, könne man die Wacht halten, wo man wolle, und diese Nacht könne er sie in einem Hofe der Burg halten; am Morgen, so es Gott beliebe, würden die gebührenden Feierlichkeiten in solcher Weise stattfinden, daß er des Ritterschlags teilhaftig werde und bleibe, und zwar als ein so echter Ritter, daß in der Welt nichts echter sein könne.

Dann befragte er ihn, ob er Geld bei sich führe. Don Quijote entgegnete, er habe keinen Pfennig in der Tasche, denn er habe nie in den Geschichten der fahrenden Ritter gelesen, daß irgendeiner Geld mitgenommen hätte.

Darauf versetzte der Wirt, er sei im Irrtum; denn zugegeben, daß es in den Geschichten nicht geschrieben stehe, weil deren Verfasser gemeint, es sei unnötig, so selbstverständliche Dinge, die bei sich zu haben so unerläßlich sei, wie Geld und reine Hemden, ausdrücklich zu erwähnen, so müsse man darum nicht glauben, daß sie dieselben nicht bei sich führten. Und also möge er für gewiß und erwiesen halten, daß alle fahrenden Ritter – von denen so viele Bücher angefüllt und vollgepfropft sind – wohlbeschlagene Börsen mit hinausnahmen, um allerhand Zufälligkeiten begegnen zu können, und daß sie imgleichen Hemden bei sich führten, auch ein klein Kästchen voll Salben, um die Wunden zu pflegen, die sie empfingen. Denn nicht in jedem Falle habe es in den Gefilden und Einöden, wo sie kämpften und wundgeschlagen wurden, jemanden gegeben, der ihrer pflegte; wenn es nicht etwa der Fall war, daß sie irgendeinen weisen Zauberer zum Freunde hatten, der ihnen gleich zu Hilfe kam und in den Lüften auf einer Wolke eine Jungfrau oder einen Zwerg herbeibrachte, mit einer Flasche Wassers von solcher Kraft, daß sie, wenn sie einen Tropfen davon kosteten, gleich auf der Stelle von allen Hieben und Wunden geheilt waren, als wäre ihnen nie ein Leid geschehen. Aber stets, wenn das nicht zur Hand war, hielten die früheren Ritter es für das Richtige, daß ihre Schildknappen mit Geld versehen sein sollten, so auch mit andern notwendigen Dingen, wie Scharpie und Salben, um sich die Wunden zu verbinden. Und wenn es geschah, daß die besagten Ritter keine Knappen hatten – was wenige und seltene Fälle waren –, so führten sie selbst dies alles in einem sehr schmächtigen Mantelsäckchen, das beinahe gar nicht wie ein solches aussah, auf der Kruppe des Pferdes, so als ob es etwas andres von besonderer Wichtigkeit wäre; denn wenn nicht um solchen Behufes willen, war dies Mitnehmen von Mantelsäcken unter den fahrenden Rittern in der Regel nicht zulässig. Deshalb gebe er ihm den Rat – da er es ihm sogar befehlen könne als seinem Patenkind im Rittertum, was er ja so bald sein würde –, von jetzt hinfür nie ohne Geld und ohne die herkömmlichen Vorräte auszuziehen, und er würde, wenn er sich’s am wenigsten versehe, finden, wie gut er damit fahre.

Don Quijote versprach ihm, mit aller Pünktlichkeit zu tun, was ihm angeraten worden. Und alsbald wurde Anordnung getroffen, daß er die Waffenwacht in einem zur Seite der Schenke befindlichen großen Hofe halten sollte. Er nahm all seine Rüstungsstücke zusammen, legte sie auf einen Trog, der vor einem Brunnen stand, und seine Tartsche an den Arm nehmend, ergriff er seinen Speer und begann mit edlem Anstand vor dem Troge auf und ab zu wandeln. Und, gerade wie er dies Wandeln begann, da begann auch die Nacht hereinzubrechen.

Der Wirt erzählte allen, die in der Schenke waren, von der Narrheit seines Gastes, der Waffenwacht und dem Ritterschlag, den er erwarte. Verwundert über eine so seltsame Art von Verrücktheit, gingen sie hin, um ihn von ferne zu beobachten, und sahen, wie er mit gelassener Haltung bald auf und ab ging, bald, an seinen Speer gelehnt, die Blicke auf die Rüstungsstücke richtete und sie eine geraume Zeit nicht aus den Augen ließ. Die Nacht war indessen vollends hereingebrochen, und der Mond war von solcher Helle, daß er mit dem Gestirn, das sie ihm lieh, wetteifern konnte, so daß, was immer der angehende Ritter tat, von allen deutlich gesehen wurde.

 

Nun aber gelüstete es einen der Maultiertreiber, die sich in der Schenke aufhielten, seiner Koppel Tiere Wasser zu geben, und dazu war erforderlich, die Waffen Don Quijotes wegzunehmen, die auf dem Brunnentrog lagen. Der, als er jenen herankommen sah, sprach zu ihm mit lauter Stimme: »O du, wer auch immer du seiest, verwegener Ritter, der du herannahest, um die Waffen des tapfersten Abenteurers zu berühren, der da je sich mit einem Schwert umgürtet, siehe wohl zu, was du tust, und berühre sie nicht, wenn du nicht das Leben lassen willst zur Buße für deine Verwegenheit.«

Der Treiber sorgte sich nicht um diese Worte – und es wäre besser gewesen, er hätte sich gesorgt, denn dann hätte er für sich gesorgt, ehe er in Sorge geriet –; vielmehr faßte er die Riemen und schleuderte die Rüstungsstücke eine weite Strecke von sich hinweg. Sowie Don Quijote dies gesehen, erhob er die Augen gen Himmel, und seine Gedanken – wie es sich kundgab – zu seiner Herrin Dulcinea wendend, sprach er: »Seid mir gegenwärtig, meine Herrin, bei diesem ersten Kampfe, der sich dieser Euch lehenspflichtigen Brust darbietet; es gebreche mir nicht in dieser ersten Gefährde Eure Gunst und Euer Schutz.«

Diese und andre dergleichen Reden führend, ließ er die Tartsche los, hub den Speer mit beiden Händen und versetzte damit dem Maultiertreiber einen so gewaltigen Schlag auf den Kopf, daß er ihn zu Boden stürzte, so übel zugerichtet, daß, wenn er mit einem zweiten nachgefolgt wäre, der Mann keines kundigen Meisters zu seiner Heilung bedurft hätte. Dies getan, las er seine Rüstungsstücke zusammen und fing wieder an, mit derselben Ruhe wie vorher auf und ab zu wandeln.

Kurze Zeit darauf kam, ohne zu wissen, was vorgegangen – denn der Maultiertreiber lag noch betäubt da –, ein andrer mit derselben Absicht, seinen Mauleseln Wasser zu geben, und wie er hinging, die Waffen wegzunehmen, um den Brunnentrog abzuräumen, da, ohne daß Don Quijote diesmal ein Wort sprach oder Gunst und Schutz von jemand verlangte, ließ er abermals die Tartsche los, hub abermals den Speer, und wenn er diesen nicht in Stücke brach, so brach er doch den Kopf des Treibers in mehr als drei Stücke, denn er schlug ihn in vier auseinander. Bei dem Lärm kamen alle Insassen der Schenke herzu, und unter ihnen der Wirt. Als Don Quijote dieses sah, faßte er die Tartsche in den Arm, nahm das Schwert zu Händen und rief: »O Herrin der Schönheit, Mut und Stärke dieses meines entkräfteten Herzens! Nun zur Stunde ist es Zeit, daß du die Augen deiner Hoheit auf diesen Ritter, deinen Gefangenen, richtest, der eines so großen Abenteuers in Erwartung steht.«

Damit gewann er nach seiner Meinung so mächtigen Mut, daß er, wenn auch alle Eseltreiber der Welt ihn angegriffen, den Fuß nicht rückwärts gewendet hätte.

Die Reisegefährten der Verwundeten, die diese in solchem Zustand sahen, begannen von fern Steine auf Don Quijote regnen zu lassen; der aber deckte sich, so gut er konnte, mit seiner Tartsche und wagte sich nicht von dem Troge zu entfernen, weil die Waffen nicht unbewacht bleiben durften. Der Wirt schrie, sie sollten ihn gehen lassen, denn er habe ihnen bereits gesagt, daß der Mann verrückt sei, und als Verrückter würde er freigesprochen werden, selbst wenn er sie samt und sonders totschlüge. Auch Don Quijote schrie, aber viel lauter, schalt sie Meuchler und Verräter; der Burgherr sei ein feiger Wicht und von schlechter Art, da er zugebe, daß die fahrenden Ritter solchermaßen behandelt würden, und wenn er den Ritterorden schon empfangen hätte, so würde er ihm seinen Frevel zu Gemüte führen. »Aber ihr schmähliches, gemeines Gesindel, euer achte ich nicht im geringsten; werfet, nahet euch, kommt heran und greift mich feindlich an, soviel ihr es vermöget; ihr sollt die Zahlung sehen, die ihr für eure Torheit und Frechheit davontragt.«

Das sagte er mit so viel Feuer und Entschlossenheit, daß er seinen Angreifern eine entsetzliche Furcht einflößte; und sowohl deshalb als auch auf das Zureden des Wirtes ließen sie endlich ab, auf ihn zu werfen, und er ließ es zu, die Verwundeten wegzuschaffen, und kehrte wieder zu seiner Waffenwacht mit derselben Ruhe und Gelassenheit wie zuvor.

Dem Wirt gefielen die Späße seines Gastes durchaus nicht, und er beschloß, es kurz zu machen und ihm den verwünschten Ritterschlag sogleich zu erteilen, ehe ein neues Unglück dazwischenkomme. Er trat also zu ihm heran und entschuldigte sich ob der Frechheit, welche dies niedrige Gesindel gegen ihn verübt habe, ohne daß er selbst irgend etwas davon gewußt; aber sie seien für ihr Unterfangen gehörig gezüchtigt. Er sagte ihm ferner, er habe ihm bereits mitgeteilt, daß in dieser Burg keine Kapelle sei; für das, was noch zu tun bleibe, sei sie auch nicht nötig. Der wesentliche Punkt, um die Ritterwürde zu empfangen, bestehe lediglich im Schlag auf den Nacken und auf die Schulter, nach dem, was er von den Ordensbräuchen in Erfahrung gebracht, und dies könne mitten auf freiem Felde vorgenommen werden; auch habe Don Quijote schon seine Schuldigkeit getan in betreff der Waffenwacht, die mit nur zwei Stunden abgetan werde; um so mehr, da er über vier dabei zugebracht habe.

All dieses glaubte ihm Don Quijote und erklärte, er stehe hier bereit, um ihm zu gehorsamen, er möge nur mit tunlichster Beschleunigung ein Ende machen; denn wenn er noch einmal angegriffen werde und sich dann schon zum Ritter geschlagen sehe, so gedenke er keinen Menschen in der Burg lebend zu lassen, ausgenommen die, so er, der Burgherr, ihm gebieten würde; die würde er aus Rücksicht auf ihn leben lassen.

So gewarnt und in Besorgnis vor solchen Taten, holte der Kastellan sofort ein Buch herbei, wo er die Streu und die Gerste eintrug, die er den Maultiertreibern verabreichte, und mit einem Endchen Licht, das ein Junge ihm hielt, und mit den beiden besagten Fräulein kam er zum Standort Don Quijotes, befahl ihm niederzuknien, las in seinem Schuldregister, als ob er ein fromm Gebet hersage, erhob mitten im Lesen die Hand und gab ihm einen kräftigen Streich auf den Nacken und danach einen sanften Schlag auf die Schulter mit seinem eignen Schwerte, wobei er immer zwischen den Zähnen murmelte, als ob er ein Gebet spräche. Dies vollbracht, gebot er einer der Damen, sie solle ihm das Schwert umgürten; sie tat es mit leichter Unbefangenheit und großer Zurückhaltung; denn deren bedurfte es nicht wenig, um nicht bei jedem Punkte der Feierlichkeiten vor Lachen zu platzen; allein die mannhaften Taten, die sie schon von dem angehenden Ritter gesehen, hielten ihre Lachlust in Schranken.

Beim Umgürten des Schwertes sagte ihm die gutherzige Dame: »Gott mache Euer Gnaden zu einem recht glücklichen Ritter und gebe Euch Glück in den Kämpfen.«

Don Quijote fragte sie, wie sie heiße, damit er fürderhin wisse, wem er für diese empfangene Gnade verpflichtet sei; denn er gedenke ihr teil an der Ehre zu geben, die er durch seines Armes Kraft erringen würde.

Sie antwortete mit vieler Demut, sie heiße die Tolosa und sei die Tochter eines Flickschneiders, der aus Toledo gebürtig sei und unter den Buden von Sancho-Bienaya wohne; und wo auch immer sie sich aufhielte, würde sie ihm zu Diensten sein und ihn immer für ihren Herrn erachten.