Karl Barth

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Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. III.2

6.Dialektische Theologie

These

Indem die Theologie als menschliche Anstrengung ein prinzipiell vorbehaltliches Unterfangen bleibt, kann sie ihrem Wesen nach nur eine dialektische Theologie sein. Bei aller Entschlossenheit zu klaren und verlässlichen Einsichten gehört auch eine eigens zu pflegende Umsicht zur Wahrnehmung ihrer Aufgabe, sich immer wieder auch selbst ins Wort zu fallen, ebenso wie die fundamentale Offenheit, sich immer wieder von neuen biblisch begründeten Einsichten infrage stellen zu lassen.

Im Horizont der von Barth zeitlebens hervorgehobenen prinzipiellen Vorbehaltlichkeit der Theologie liegt auch der Grund für den dialektischen Charakter des theologischen Denkens und Argumentierens, wie es sich bei Barth durchgängig finden lässt. Auch wenn die Bezeichnung „dialektische Theologie“ insbesondere den Herausgebern der Zeitschrift „Zwischen den Zeiten“ und ihren Sympathisanten bereits im Herbst 1922 „von irgendeinem Zuschauer angehängt worden“ war8, so hat Barth doch das spezifische Wahrheitsmoment dieser Bezeichnung ausdrücklich gewürdigt.9 Als solche trifft der Begriff „dialektische Theologie“ zunächst einerseits eine vor allem von Barth angestoßene theologische Richtung und andererseits eine für Barths eigenes Denken begrenzte Entwicklungsphase seiner Theologie in den 1920er Jahren.

Heute wird darüber hinaus zudem davon ausgegangen, dass Barth auch später in modifizierter Weise eine grundlegende dialektische Dimension in seiner Theologie bewahrt hat. Damit bleibt anerkannt, dass sich durchaus deutliche Änderungen in der Perspektive und auch im Blick auf den Begründungshorizont seiner Theologie im Laufe der Zeit ausmachen lassen, und zugleich wird unterstrichen, dass Barths Theologie bis in ihre späte Gestalt eine Theologie geblieben ist, die um ihren prinzipiell vorläufigen und vorbehaltlichen Charakter wusste. So kann bestenfalls zwischen zwei Phasen im Umgang mit der Dialektik der Theologie unterschieden werden, aber genau genommen nicht zwischen einer dialektischen und einer an der Analogie orientierten Phase.10 Ausdrücklich heißt es: „‚Analogie‘ bedeutet im Unterschied zu Gleichheit und Ungleichheit: Ähnlichkeit d. h. teilweise und darum die Gleichheit und Ungleichheit begrenzende Entsprechung und Übereinstimmung zwischen zwei oder mehreren verschiedenen Größen.“ (KD II/1, 254) Der Begriff der Analogie im Sinne Barths wäre also zutiefst missverstanden, wenn nicht auch das in ihm liegende dialektische Moment essentiell gewürdigt wird, weil bei aller erreichbaren Entsprechung niemals die auch bleibende Differenz aus dem Blickfeld verschwinden darf.

Entgegen aller Entschiedenheit, die seine Theologie gewiss ausstrahlen mag, ist Barth ein Theologe geblieben, der sich auch immer wieder selbst ins Wort fallen konnte. Barth wusste um die mit der Theologie auf der einen Seite unausweichlich verbundene Überforderung, die mit dem auf der anderen Seite nicht zu vermeidenden Anspruch verbunden bleibt, in der Theologie die Angemessenheit unseres menschlichen Redens von Gott am Maßstab des biblischen Zeugnisses einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Zwar wird Gott auch im biblischen Zeugnis nicht greifbar, aber es steht unter der Verheißung, ihn doch immerhin so distinkt erkennbar machen zu können, dass dem Orientierungsbedürfnis des Glaubens ausreichend Genüge getan werden kann.

Für Barth steht die Anerkennung der Selbstmitteilung Gottes im Zentrum. Sie erschließt sich in seinem in Jesus Christus Mensch gewordenen Wort, d. h. in seinem sich im Christusgeschehen vollziehenden Handeln. Sie ermöglicht es dem Menschen, in bestimmter Weise von Gott zu reden. Auch wenn diese Ermöglichung über sein Fassungsvermögen und somit auch über seine Sprach- und Verstehensmöglichkeiten hinausgeht, wie sich besonders an dem entscheidenden Schlüssel des Geschehens, nämlich der Auferweckung Jesu zeigt, ist damit eine unerschöpfliche Ermöglichung menschlicher Gottesrede gegeben. Es ist also nach Barth die Offenbarung selbst, die aus der Unmöglichkeit menschlicher Gottesrede eine mögliche macht, ohne dass sie irgendwann zu einem Gegenstand seiner Möglichkeiten werden könnte.

In diesem Gefälle wird die Theologie zu einer von Gott ermöglichten Möglichkeit, die als solche immer wieder auf die Ermöglichung durch Gott angewiesen bleibt. Wenn Gott keine Möglichkeit des Menschen ist, kann es nur Gott selbst sein, der ein Reden über ihn ermöglichen und diesem Reden dann auch die nötige Erschließungskraft verleihen kann. Von den Möglichkeiten des Menschen aus gesehen bleibt dies eine Unmöglichkeit. Indem aber dem Menschen genau das ermöglicht wird, was ihm von sich aus unmöglich bleibt, soll hier im Blick auf Barths Verständnis der Theologie als von einer möglichen Unmöglichkeit gesprochen werden. Wenn Barth in seiner Dogmatik dann von der Sünde als einer unmöglichen Möglichkeit sprechen wird, kommt exakt die eigenwillige Nichtentsprechung zu der von Gott eröffneten Möglichkeit zur Sprache (vgl. Kap. IV.5.4).

Es kommt entscheidend darauf an, das dialektische Moment der Theologie zu bewahren. Ihre Ermöglichung bleibt auf Gott verwiesen, um dann aber tatsächlich zu einer allerdings nicht auf Dauer zu stellenden menschlichen Möglichkeit zu werden. Und zugleich stößt sie als diese dem Menschen ermöglichte Möglichkeit stets auch an die Grenzen seiner Möglichkeiten und erinnert ihn damit daran, dass sie als ermöglichte Möglichkeit niemals zu einer seiner Möglichkeiten werden kann und insofern eine Unmöglichkeit bleibt – Theologie ist eine mögliche Unmöglichkeit und muss deshalb grundsätzlich eine vorbehaltliche und vorläufige und in diesem Sinne dialektische Theologie bleiben.

Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. III.

7.Der Horizont des einen Bundes

These

Die von der Theologie zu bedenkende Geschichte Gottes mit dem Menschen wird durch den Bund Gottes mit Israel und seiner menschheitlichen Erfüllung in Christus orientiert. Er ist verankert in der ewigen Gnadenwahl Gottes, in der sich Gott in seiner Freiheit dazu bestimmt, des Menschen Gott zu sein. Als solcher ist der Bund bereits Gegenstand der Gotteslehre und damit zugleich ein fundamentales Element im Bedenken ihrer materialtheologischen Distinktionen in Schöpfungs-, Versöhnungs- und Erlösungslehre.

Die gesamte Theologie Barths bewegt sich in dem Horizont der Geschichte, die sich in dem Bund Gottes mit den Menschen vollzieht. Der Bund ist der Rahmen und die Bühne aller theologischen Einlassungen, auch wenn er nicht in jedem einzelnen Aspekt ausdrücklich hervorgehoben wird. Er ist ebenso Ausdruck des Wesens Gottes wie der Ökonomie seines Handelns. Im Begriff des Bundes „vollendet sich der Begriff Gottes selbst“ (KD II/2, 564). Er intoniert das zentrale Thema der Theologie Barths, indem er einerseits der besondere Ausdruck der freien Selbstbindung Gottes ist, die im ewigen Entschluss seiner Gnadenwahl wurzelt, und andererseits den freien Lebensraum bezeichnet, in dem der Mensch seine besondere Bestimmung als Beziehungspartner Gottes leben kann. Es gehört zu dem besonderen Profil der Theologie Barths, dass sie sich unter Berufung auf das biblische Zeugnis durchgängig auf den Leitfaden des Bundes bezieht.

Schon in seinen Frühschriften greift Barth gern den Gottesnamen ‚Immanuel‘ auf: ‚Gott mit uns‘. Wie kein anderer annonciert dieser Name das besondere Verhältnis Gottes zum Menschen. Es ist dieser ‚Immanuel‘, der in besonderer Weise für Gottes freie Selbstbestimmung zum Stifter, Begleiter und Vollender des mit dem Bund bezeichneten spezifischen Beziehungsverhältnisses zum Menschen steht. In diesem Namen versammelt sich gleichsam das ganze Verheißungspotential, das grundsätzlich mit jedem Inerscheinungtreten Gottes verbunden ist. Die Vorrangigkeit des Bundes zeigt sich in der Bestimmung der Schöpfung als Ermöglichungsgrund des Bundes ebenso wie in dem Verständnis der Versöhnung als die Erfüllung des Bundes. Sowohl noetisch als auch ontisch ist er ein zentrales inhaltliches Regulativ für die Beschreibung der Entdeckungszusammenhänge theologischer Fragestellungen, die in ihm ihr spezifisches Stehvermögen im Gesamtzusammenhang der Theologie bekommen. Das ‚Gott mit uns‘ gilt für Barth „als Kern der christlichen Botschaft“ (KD IV/1, 3). Die Selbstcharakterisierung Gottes wird nicht durch einen Begriff angezeigt, sondern durch seinen Namen. Er steht sowohl für die Erkennbarkeit als auch für die Unverfügbarkeit Gottes, der auch in seiner Offenbarung verborgen bleibt.

So gewiss die Bibel unterschiedliche Bünde bezeugt und die Unterscheidung von einem alten und einem neuen Bund kennt, so werden doch alle Unterscheidungen von dem einen Bundeswillen Gottes umfasst, dessen Wurzeln in der ewigen Erwählung zu suchen sind. Barth spricht pointiert vom „Bogen des einen Bundes“ (KD II/2, 220). Von der Bundestreue Gottes bleibt auch die Erwählung Israels umfasst, so dass Barth in symbolträchtiger Weise anlässlich seines Papstbesuches 1966 die Beziehung zum Judentum als die eigentlich zentrale ökumenische Herausforderung hervorgehoben hat – eine Herausforderung, deren Reichweite bisher nur von wenigen in Ansätzen geahnt wird.

 

Die geheimnisvolle Namensoffenbarung Gottes am brennenden Dornbusch (Ex 3) erschließt sich in ihrer Tiefe in dieser gesamtbiblischen bundestheologischen Perspektive, in der Gott nicht durch seine absolute Macht, sondern durch seinen konsequenten Beziehungswillen charakterisiert wird. Barth schreibt Gott keine abstrakte Allmacht zu, die sich in irgendwelchen Demonstrationen ihrer prinzipiellen Überlegenheit ergeht. Das Streben nach einer solchen Allmacht, die vor allem sich selbst will, ist vielmehr ein Attribut des Teufels, von dem Barth als einer Personifizierung des Bösen allerdings nur sehr vorbehaltlich Gebrauch macht. Es ist die potentia, die willkürlich jeden Weg nutzt, sich in Szene zu setzen, und deshalb nur zu fürchten ist. Die Allmacht Gottes benennt Barth dagegen mit potestas. Es ist die Macht, die Gott dazu befähigt, das, was er will – und Gott will etwas Bestimmtes und nicht einen abstrakten Machtbeweis –, auch zu verwirklichen und durchzusetzen (KD II/1, 591 f). Gott will entschieden nicht unerreichbare Macht sein, der gegenüber dem Menschen nichts anderes bliebe, als sich zu fürchten, sondern sein freier Wille weist auf den Bund und den erwählten Partner des Bundes, auf die Beziehung zu dem von ihm darin ihm selbst ähnlich geschaffenen Menschen (Gen 1,26 f), dass er beziehungsfähig ist und nun seinerseits auf die Zuwendung Gottes eine eigene freie Antwort geben kann. Es ist diese gewiss asymmetrische und dennoch ganz und gar gegenseitige Beziehung, auf die der Wille Gottes zielt und für die Gott dann auch alles macht (Allmacht), die sowohl die Bestimmung als auch die Geschichte des Bundes ausmacht.

Damit ist die prägende Perspektive benannt, in der sich die Geschichte vollzieht. Auf Grund der permanenten Nichtentsprechung des Menschen zu der ihm von Gott verliehenen herausgehobenen Würde ist diese Geschichte allerdings de facto von einer Dramatik gekennzeichnet, in der unentwegt die Orientierungen durcheinandergehen. Diese Geschichte des Bundes und das sich in ihm vollziehende Geschehen, in dem sich der Mensch immer bereits so oder so befindet, ist der Horizont, der von der Theologie in den Blick zu nehmen ist. Eine unbeteiligte Betrachtung kann hier nicht in Frage kommen, sondern sie wird sich stets dazu herausgefordert sehen, sich in diesem Geschehen zu positionieren. Auch dort, wo sie dies in Verkennung ihrer Aufgabe unterlässt, positioniert sie sich unwillkürlich, dann allerdings in problematischer Weise.

Als durchlaufendes Thema kommt der Bund in allen inhaltlichen Perspektiven immer wieder vor; vgl. Kap. IV.3, IV.4 und IV.5.11

8.Die Menschlichkeit Gottes

These

So wie die freie Selbstbestimmung Gottes zu seiner unverbrüchlichen Menschlichkeit in seiner ewigen Gnadenwahl als die Summe des Evangeliums zu betrachten ist, so steht in der Mitte des Evangeliums die Versöhnung des Menschen mit Gott und damit die Wiederherstellung der ein erfülltes Leben ausmachenden Beziehung des Menschen zu Gott und zu seinen Mitmenschen.

Wenn Barth bisweilen vorgeworfen wird, er habe sich in seiner Theologie vor allem um Gott gekümmert und dabei den Menschen vergessen, wird vor allem anderen, was es dazu noch zu sagen gäbe, übersehen, dass er wie kein anderer die unerschütterliche Menschlichkeit Gottes im Zentrum des christlichen Gottesverständnisses verankert sieht. Es gibt keine Wahrnehmung Gottes ohne die Wahrnehmung seiner Menschlichkeit und damit seiner auf Antwort ausgerichteten Beziehung zum Menschen. Der von Gott aus betrachtete Mensch erscheint dabei nicht nur als Adressat der Zuwendung Gottes, sondern als das freie Gegenüber Gottes, durch das die von Gott angestrebte und ermöglichte Beziehung erst tatsächlich zustande kommen kann. Barth kann pointiert vom Menschen als Partner Gottes sprechen (KD III/2, 207 u. ö.). Die Entschlossenheit und Konsequenz des Eintretens Gottes für den Menschen wird nicht nur als die Mitte der Geschichte seiner Beziehung zum Menschen thematisiert, sondern insofern auch als die „Summe des Evangeliums“ (KD II/2,1) bezeichnet, als diese Mitte auch ganz und gar der freien Selbstbestimmung Gottes in seiner ewigen Gnadenwahl entspricht. Man geht kaum zu weit, wenn man sagt, dass Gott sich selbst gleichsam durch seine Menschlichkeit definiert wissen will.

Barth distanziert sich mit diesem Akzent allerdings deutlich von allen theologischen Konzepten, die mehr oder weniger vollständig von der Frage geprägt sind, welchen Nutzen der Mensch aus der Wahrnehmung Gottes für sich verbuchen kann. Natürlich wird niemand diese Frage so direkt stellen, aber es ist doch überaus verbreitet, dass die Theologie und auch die Kirche vorrangig damit beschäftigt sind, den Gewinn herauszustreichen, der dem Menschen aus der Wahrnehmung Gottes für sich verbuchen kann. Bis hinein in die neueren Kirchenlieder wird Gott ständig und einigermaßen hemmungslos von den unterstellten Bedürfnisprofilen des mehr oder weniger um seine Frömmigkeit kreisenden Menschen aus in den Blick genommen. Und so erscheint Gott in der kirchlichen Spiritualität unentwegt als eine nach allen Seiten offenstehende Ressource für die Aufrichtung und Stärkung des ansonsten im Grunde recht selbstgewissen Menschen, der um dieser göttlichen Unterstützung willen bereit ist, seine Bedürftigkeit einzuräumen.

Natürlich kann die Luther zugeschriebene Frage „Wie bekomme ich einen gnädigen Gott?“ eine berechtigte Frage sein, aber da, wo sie den Ausgangspunkt und dann auch noch den ganzen Orientierungshorizont der Theologie beansprucht, wird wohl von einer problematischen Reduktion der Theologie auf die Soteriologie zu reden sein, die nicht nur der Religionskritik eine kaum abzuweisende Einladung anbietet, sondern auch auf kaum mehr als einen heilsegoistisch gerupften Gott verweisen kann. Wenn Barth diese utilitaristisch-anthropologische Dressur Gottes nicht mitmacht, heißt dies noch lange nicht, dass es in seiner Theologie nichts Bedenkenswertes über den Menschen zu lesen gäbe. Eher ist das Gegenteil der Fall, denn Barth verlässt konsequent die wehleidige oder stolze Ebene der permanenten Selbstthematisierung des Menschen, in dem dann auch Gott hier und da eine entsprechende Betätigungsmöglichkeit eingeräumt wird. Stattdessen konzentriert er sich auf die freie Zuwendung Gottes zum Menschen, die für diesen vor allem als eine Befreiung aus der Gefangenschaft in den stets nur wenig belastbaren und de facto flatterhaften Selbstdefinitionen zu verstehen ist.

Die Radikalität, in der Barth über die Soteriologie hinaus die Menschlichkeit Gottes und von da aus dann auch die Menschlichkeit des Menschen betrachtet, zeigt sich in nichts deutlicher als darin, dass er sie in dem ewigen Gnadenratschluss Gottes verankert sieht. Seine Neufassung der Prädestinationslehre bzw. der Erwählungslehre betritt gegenüber der bisherigen Tradition vollkommen neues Gelände. Er schert aus der Linie aus, nach welcher der Erwählung eines Teils der Menschen die Verwerfung des anderen entspricht, und hebt die ausnahmslose Erwählung des Menschen hervor, deren Risiko Gott ganz und gar auf seine Seite übernommen hat. Es ist Gott selbst, der in seiner barmherzigen Gerechtigkeit die Verwerfung, die seiner Erwählung entspricht, ganz und gar seinem eigenen trinitarischen Leben anlastet. Im Blick auf den Menschen ist konsequent allein von seiner Erwählung zu sprechen. Damit steht die Soteriologie bei Barth zwar nicht einfach in einer zwingenden Konsequenz zu den erwählungstheologischen Pointen seiner Gotteslehre, wohl aber in einem sachlichen Orientierungshorizont, der ihr auch den letzten Rest eines kontingent schicksalshaften Beigeschmacks nimmt. Bei Barth ist die Menschlichkeit Gottes so sehr mit seinem Wesen verknüpft, dass sie nur durch die Verleugnung Gottes in Abrede gestellt werden kann. Und umgekehrt heißt das: wo von Gott die Rede ist, wird die Angemessenheit dieser Rede daran zu bemessen sein, in welcher Weise sie von der Menschlichkeit geprägt ist, in der es Gott gefallen hat, sich in seiner Beziehung zum Menschen vorzustellen.

Gott ist so wesenhaft mit seiner Menschlichkeit verbunden, dass sie für Barth eine Absage an einen „Deus absconditus“ – an einen „verborgenen Gott“ mit einer möglicherweise dunklen Seite Gottes – insofern überflüssig macht, als eine solche Absage, wie sie etwa von Luther ausgesprochen wird (vgl. dazu KD II/1, 608 ff), nur dann sinnvoll ist, wenn mit einer solchen anderen Seite des verborgenen Gott irgendwie gerechnet wird. Aber hinter der Offenbarung Gottes bleibt „kein verborgener Gott, kein Deus absconditus […] zurück, mit dessen Existenz und Wirksamkeit wir dann über sein Wort und seinen Geist hinaus gelegentlich auch noch zu rechnen, den wir hinter seiner Offenbarung auch noch zu fürchten und zu verehren hätten.“ (236 f)

Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in vgl. Kap. IV.3.2 u. IV.4.3.

9.Das Nichtige und die Sünde

These

Wenn in gebotener Weise eine dualistische Weltwahrnehmung vermieden werden soll, kann das Übel ebensowenig wie die Sünde als eine Gegenmacht Gottes verstanden werden. Zugleich muss ausgeschlossen bleiben, dass sie unmittelbar als Ausdruck des Willens Gottes verstanden werden. Sie bleiben in ihrem Ursprung unableitbar und führen hinsichtlich des Willens Gottes das vor Augen, was Gott nicht will, so dass sie nur mit ihrer Überwindung zu rechnen haben.

Die soeben betonte Abweisung eines Deus absconditus bleibt auch dann zu betonen, wenn theologisch einzuräumen bleibt, dass wir nicht darum herumkommen, selbst das Böse in irgendeiner Beziehung zu Gott zu verstehen, wenn anders es unvermeidlich in ein Gegenüber zu Gott gerät, wo es dann als eine Art Gegenspieler anzuerkennen wäre. Auch wenn sich hier und da versprengte dualistische Motive in der biblischen Tradition ausmachen lassen, kann es keinem Zweifel unterstehen, dass es gerade ein Kennzeichen der überlegenen Souveränität des hier bezeugten Gottes ist, dass er keiner Bewährung in einem antagonistischen Dualismus von Gut und Böse ausgesetzt ist. Er ist darin der Souverän, dass es keinen wirklich zu befürchtenden Gegenspieler zu erwarten gibt, so wie er sich darin als der Schöpfer erweist, dass er die Welt aus dem Chaos der Urflut hervorruft und damit die von ihm ausgehende Bedrohung zurückdrängt, um dem Leben den benötigten verlässlichen Entfaltungsraum zu bereiten (Gen 1). Und es ist genau diese von Gott zu bekennende Souveränität, die unweigerlich seinem Verstehen das Problem einträgt, dass es nun außer Gott selbst keine haftpflichtige Zuschreibungsmöglichkeit mehr gibt, der nun die Übel und das Böse zugewiesen werden könnten. Auch als das Zurückgewiesene, das nicht zum Werk der Schöpfung gehört, bleiben sie mit einem nicht ableitbaren Bedrohungspotenzial präsent, so dass unweigerlich auf die Souveränität Gottes ein Schatten zu fallen scheint.

In der Neuzeit ist aus diesem Umstand die sogenannte Theodizeefrage erwachsen, die sich nicht mehr mit der (Gottes-)Antwort des Hiobbuches zufriedengibt (Hi 38–40) und für die Rechtfertigung Gottes eine stringent nachvollziehbare Antwort einfordert. Alle philosophischen Versuche, eine plausible Lösung für dieses Dilemma zu finden, können als gescheitert gelten.12 Die Theologie sollte nicht versuchen, mit den philosophischen Konzepten konkurrieren zu wollen. Für Barth kann nur eine Perspektive in Frage kommen, die einerseits dem Konflikt nicht seine Ernsthaftigkeit nimmt und sich andererseits von dem Problem auch nicht übermäßig beeindrucken lässt, weil damit dann zugleich auch demjenigen das Wort abgeschnitten würde, der als Einziger den hier nötigen Widerspruch einlegen könnte. Wenn Barth damit argumentiert, dass durch das von Gott nicht Gewollte noch einmal ein besonderes Licht auf das von ihm Gewollte fällt, so darf dies nicht als eine intellektuelle Notlösung missverstanden werden. Vielmehr will Barth mit dieser Zuspitzung einmal mehr unterstreichen, dass es theologisch nicht aussichtsreich sein kann, jenseits des Bekenntnisses zu der Unerschütterlichkeit der Menschlichkeit Gottes nach einer Lösung Ausschau zu halten, weil sich das Böse einer rationalen Erklärung entzieht. Er spricht hier von dem Nichtigen, das gleichsam die unbegreifliche Seinsform (!) des Nichtseins in das Sein einträgt – ein durchaus mehrschichtiges Konzept.13 Damit soll keineswegs – wie ihm immer wieder unterstellt wird – die Brisanz der Herausforderung ermäßigt, wohl aber das Gewicht des im Glauben zu sprechenden Bekenntnisses noch einmal klar unterstrichen werden.

 

Es ist ein eigenes Thema, wenn es in diesem Zusammenhang auch von der Sünde zu sprechen gilt. Während die Neuzeit dem Bösen eine bis dahin beispiellose Reverenz erweist und sich durchaus einigermaßen leichtsinnig bereit zeigt, ihm gleichsam Gott zu opfern, spielt sie auf der anderen Seite die Bedeutung der Sünde des Menschen zu dem Eingeständnis seiner – zumindest vorläufig noch – einzuräumenden Unvollkommenheit herunter. Der neuzeitliche Mensch verlässt sich zunehmend rückhaltlos auf die ihm vermeintlich schöpfungsmäßig garantierte Gottebenbildlichkeit,14 in der er zwar überaus selbstbewusst meint, Gott mehr oder weniger alle Arbeit abnehmen zu können, ohne aber auch noch bemerken zu wollen, dass er ihm gerade damit – im Grunde immer schon – ganz besonders zu schaffen macht. Der sich mit seinen vermeintlichen Stärken Gott gegenüber behauptende Mensch, der sich der Welt nun seinerseits als Schöpfer zu präsentieren bemüht, präsentiert in nichts anderem unverschämter sein Sündersein als genau in seiner Leugnung der Sünde und der Zurückweisung der Gnade Gottes, in der er eine unnötige göttliche Überversorgung unterstellt. Die Sündenvergessenheit verhindert die Wahrnehmung der tatsächlichen Heillosigkeit sowohl der vom Menschen in seine Regie genommenen Welt als auch der eigenen Situation und lässt damit den hoffnungslosen circulus vitiosus unentdeckt, in den sich der Mensch immer tiefer verstrickt.

Die Sünde bezeichnet kein moralisches Versagen, sondern den Unglauben bzw. das Misstrauen Gott gegenüber. Besonders hinter dem Pathos der Moral kann sich eine resistente Erscheinungsweise der Sünde verbergen, gerade dann, wenn sich die Einhaltung der Moral als gottgefällig und hoffnungsvoll präsentiert. Barth unterscheidet drei Gestalten der Sünde, die er genau als die Gegenbewegungen zu den Bewegungen versteht, welche die heilsame Zuwendung Gottes zum Menschen ausmachen. Zum einen ist dies der Hochmut, in dem sich der Mensch gegen die Selbsterniedrigung Gottes in seiner bis in die Tiefe des Leidens und Sterbens reichende Menschwerdung stemmt. Der hochmütige Mensch zelebriert den ebenso unermüdlichen wie tatsächlich erfolglosen Beweis, mit dem er vorgibt, sich dadurch rechtfertigen zu können, dass er alles für sich Notwendige und für die Welt Erforderliche aus eigener Kraft zu bewerkstelligen vermag. Er versucht zu demonstrieren, dass es ausreicht, wenn er selbst für sich eintritt. Und so ist er tatsächlich für sich selbst, ohne aber zu realisieren, dass dies nur funktionieren kann, wenn er auch für die Anderen ist. Obwohl die Folgen davon offensichtlich sind, beklagt er vor allem die Uneinsichtigkeit der Anderen, ohne zu bemerken, dass die zerstörerische Dynamik des aufgeführten Risikospiels in der zum Prinzip erhobenen Vorrangigkeit der Selbstsorge seine Wurzeln hat. Zum zweiten hat die Sünde die Gestalt der Trägheit, mit der sich der Mensch gegen seine mit dem Kreuz Christi vollzogene Aufrichtung stellt. Er duckt sich immer genau dann weg, wenn es darum geht, aufgrund des erkannten Elends das Ruder in eine bessere Richtung auszurichten. Und so taumelt das unheilvolle Geschehen beinahe an allen sich anbietenden Auswegen achtlos vorbei, weil der Mensch sich ausgerechnet da und dann auf seine Ohnmacht besinnt, wo und wenn er gefragt wird, die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten wirksam zum Einsatz kommen zu lassen. Schließlich ist die dritte Gestalt der Sünde die Unaufrichtigkeit, in der sich der Mensch seine Lage schönredet und für jede neue Schandtat rationale Legitimationen erdenkt, mit denen er möglichst unbehelligt seiner Eigenwilligkeit den Weg weiterhin freizuhalten versucht. Die perfekte Lüge verkleidet sich immer mit dem Anschein einer Wahrheit, so dass sie auf ihren kurzen Beinen in der Regel doch recht weit zu kommen scheint, wenn auch nicht tatsächlich. Barth nennt diese dritte Gestalt der Sünde die spezifisch christliche Gestalt der Sünde, weil ihr Skandal nur da in die Augen sticht, wo sich bereits die Wahrheit der Rettung und der Hoffnung vernehmbar gemacht hat und macht, wie es eben in der christlichen Gemeinde der Fall ist. Indem die Kirche aber, anstatt die lebendige Selbstbezeugung Jesu zu verkünden, dieses Zeugnis nach ihren eigenen Bedarfslagen oder den unterstellten Bedarfslagen der von ihr zu adressierenden Welt domestiziert, kehrt sie ihrer Berufung und damit auch sich selbst den Rücken zu.

Weitere Entfaltung und Vertiefung dieses Aspektes in Kap. IV.4.4.4 u. IV.5.4.

10. Theologie der Freiheit

These

So wie der Mensch durch die Abkehr von Gott wie der Zauberlehrling nicht aus der Gefangenschaft der von ihm nun gerufenen Geister entkommen kann, wird ihm durch Kreuz und Auferstehung Christi genau die Freiheit restituiert, die er durch die Hybris seiner Selbsterhebung verspielt hat, nämlich die Freiheit, sein Leben aus dem Vertrauen zu Gott zu empfangen und als Antwort auf seine Zuwendung gestalten zu können. In diesem Sinne ist Freiheit der Begründungshorizont christlicher Existenz.

Auch wenn sich Barth dagegen gewehrt hat, die Freiheit zum einzigen Leitbegriff des christlichen Lebens zu erheben,15 bleibt sie doch die entscheidende Bestimmung zu seiner Begründung. Auch wenn es für die konkrete Gestaltung des christlichen Lebens nicht ausreicht, sich unablässig auf seine Freiheit zu berufen, bleibt sie doch die Grundbestimmung, aus der dann auch weitere Bestimmungen zu seiner Gestaltung erwachsen können, die sich dann immer auch als Ausdruckformen der grundlegenden Freiheit verstehen lassen. Es wird allerdings entscheidend darauf ankommen, was unter dieser Freiheit verstanden wird.

Eine Möglichkeit des Verstehens kann von vornherein ausgeschlossen werden. Die Freiheit würde sich unversehens gegen sich selbst kehren, wollte man sie als Beliebigkeit oder gar als Willkür verstehen. Wenn sie nicht zu einer wirklichkeitsfremden Illusion verkümmern will, gilt es ein Augenmaß dafür zu entwickeln, in welche Richtung sie gedeihen kann und aus welcher Richtung ihr Gefahren oder gar ihre Stilllegung erwachsen können. Indem sie im Bund Gottes mit dem Menschen begründet ist, wird der Raum dieses Bundes als ihr Betätigungshorizont zu erkennen sein, in dem ihrer Ermöglichung auch eine Bestimmung zugewiesen wird. Der Bund steht für den Wirklichkeitshorizont, in dem sich das Leben durch die Freiheit beflügeln lassen darf und somit lebendig halten kann. Es lässt sich auch so ausdrücken: Die Beziehungen, in denen das Leben zu seiner Bedeutung durchfindet, müssen nicht erst gefunden und zum Leben erweckt oder gar überhaupt erst erfunden werden, sondern sie sind bereits vital, sprechen uns immer schon an und müssen nur wahrgenommen und aufgegriffen werden, damit sie auch in unserem Leben ihre lebendige Bedeutung entfalten können. Das gilt ebenso für die Beziehung zu Gott als auch für diejenige zu den Mitmenschen, denen der Mensch in seiner Freiheit, in der er vor allem von der Sorge um sich selbst befreit, tatsächlich Mitmensch sein kann. Freiheit kann sich hier konsequent als selbständiges Antworten, als eigenständige Reaktion und kreative Mitgestaltung verstehen. Das Entscheidende ist, dass weder Gott noch der Mitmensch als Begrenzung meiner Freiheit verstanden werden, weil sich meine Freiheit nicht als die Freiheit der Selbstverwirklichung in Konkurrenz zu ihrer Freiheit versteht, sondern Gott und Mitmensch geben ihr eine Bestimmung, durch die sie erst recht zum Leben erweckt wird und die ihr damit eine eigene Erfüllung verheißen.

Barth spricht von dem „Geschenk der Freiheit“16 und stellt sie damit jeder Vorstellung von Freiheit gegenüber, zu der erst durch einen Akt der Selbstbefreiung zu gelangen ist. In theologischem Verständnis ist Freiheit weder das Resultat einer bestimmten Aktion des Menschen oder eine in Aussicht gestellte Möglichkeit, die ganze bestimmte Bedingungen formuliert, wie zu ihr zu gelangen ist. Schon gar nicht ist sie ein Postulat der praktischen Vernunft, das zwingend erforderlich ist, um den ethischen Charakter der moralischen Pflicht nicht preisgeben zu müssen,17 sondern eine essenzielle Bestimmung des Menschen, der als Geschöpf Gottes zu einer lebendigen Beziehung mit seinem Schöpfer und seinem Mitmenschen erschaffen ist. Streng genommen kann nur eine geschenkte Freiheit tatsächlich Freiheit sein, weil sich jede andere durch die Nötigung, zu ihrer Ermöglichung erst bestimmte Bedingungen erfüllen zu müssen, von vornherein in einem nicht auflösbaren Widerspruch zu sich selbst befindet. Nur eine geschenkte Freiheit befreit von den Zwängen der Selbstbefreiung und entlässt aus der Nötigung unablässiger Selbstverteidigung.18 Sie konstituiert sich bereits in der Wahrnehmung ihrer Zueignung und wird bewahrt im Vollzug der mit ihr einhergehenden Ermöglichungen, so wie sie in der Abkehr von der sie aufrichtenden Quelle unversehens zum Erliegen kommt, weil sie in den Horizont eines Zwecks gezwängt wird, der nicht mehr sie selbst ist. Ein wenig paradox gewendet kann im Sinne Barths gesagt werden, dass die Freiheit nur da der Knechtschaft irgendwelcher Gesetze entnommen ist, wo das Evangelium das Gesetz der Freiheit ist.