Karl Barth

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Was die Wahrnehmung und die Rezeption der KD anlangt, so hatte Barth den Eindruck, dass sie insbesondere von Pfarrern, aber auch von Nicht-Theologen und dann bemerkenswerter Weise auch von Katholiken, weniger allerdings von der Zunft der systematischen Theologen insbesondere in Deutschland gelesen werde, was er bisweilen mit einem gewissen Unmut registrierte. Im Blick auf die von ihm vertretenen Akzentsetzungen hielt er es weiterhin so, wie schon in der ersten Fassung seines Römerbriefs, dass seine Bücher warten könnten und die Zeit ihrer Beachtung möglicherweise erst noch kommen werde. Zu dem eher ungewöhnlichen Umstand, dass seine Theologie schon zu seinen Lebzeiten zu einem Gegenstand zahlreicher theologischer Untersuchungen und entsprechender Diagnosen geworden ist, bemerkte Barth in gelassener Distanz 1963 im Vorwort zum Wiedererscheinen seines ersten Römerbriefs von 1919:

Gelegentlich kommt es mir auch vor, als läge ich als Träger einer besonders interessanten Krankheit, umgeben von zahlreichen älteren und jüngeren Feierlichen in Weiß, auf dem Operationstisch und habe nun mitanzuhören, was jetzt Dieser, jetzt Jener nach dem Maß seiner Sachverständigkeit über die Beschaffenheit und Zustände meiner verschiedenen Organe und deren Ursprünge in meiner früheren Geschichte entdeckt und mitzuteilen hat.167

Wie bereits erwähnt (vgl. Kap. I.6), wird verbreitet die Ansicht vertreten, Barth habe sich im Zuge der Ausarbeitung seiner KD immer weiter von der für seine dialektische Theologie charakteristischen Betonung der Andersartigkeit und Fremdheit Gottes distanziert und betone nun zunehmend die wesentliche Menschlichkeit Gottes, wie sie sich in aller Konsequenz in Jesus Christus gezeigt habe. Es handele sich um eine Abkehr von der Dialektik ohne Synthese, von der Diastase zwischen Gott und Mensch, und um eine Hinwendung zur Analogie, freilich nicht einer analogia entis, die Barth als der entscheidende Grund galt, nicht katholisch sein zu können (KD I/1, VIII f), wohl aber zu einer analogia fidei, zu deren Wahrnehmung Barth sich insbesondere durch Anselm von Canterbury animiert gesehen habe.168 Diese Diagnose kann durchaus viele Indizien für sich reklamieren bis hin zu diversen Selbstzeugnissen von Barth. Sie trifft aber nur einen hinzugewonnenen fundamentalen Aspekt, der nun der weiterhin mit Respekt zu wahrenden Dialektik zu einer Balance verhilft, in der es auch ausreichend Raum für die Entfaltung der vom Glauben bezeugten Selbsterschließung Gottes gibt (vgl. Kap. IV.5.3, S. 369 f).

Es sind insbesondere zwei Vorträge, an denen gern die Differenz des späteren Barth gegenüber dem dialektischen etwa des Tambacher Vortrages verdeutlicht wird, und die zugleich auch als eine Leseanleitung zum rechten Verständnis der KD gelten können. Es handelt um den 1953 vor 1000 Hörerinnen und Hörern in Bielefeld gehaltenen Vortrag „Das Geschenk der Freiheit“, in dem er den für ihn charakteristischen unauflöslichen Zusammenhang von Dogmatik und Ethik am Zentralbegriff der Freiheit herausstellt. Die Essenz dieses Vortrags versammelt sich in dem so schlicht daherkommenden und zugleich überaus voraussetzungsreichen Leitsatz zum zweiten Teil seines Vortrags: „Die dem Menschen geschenkte Freiheit ist die Freudigkeit, in der er Gottes Erwählung nachvollziehen und also als Mensch Gottes sein Geschöpf, sein Bundesgenosse, sein Kind sein darf.“169 Die Freiheit als Geschenk Gottes kann ihrem Wesen nach mit der Freiheit Gottes nicht in einem Widerspruch stehen (10). Sie entspricht dem Wesen der Freiheit Gottes als einer Freiheit für sein Gegenüber, die nur als solche auch eine Freiheit von etwas, eben von allen Behinderungen dieses Für-Seins ist.

Gott sagt Ja. Nur in und mit diesem Ja verneint er dann auch, erklärt und erweist er sich also auch „frei von“ allem ihm Fremden und Feindseligen. Und wieder nur in und mit seinem Ja ist er dann auch frei für sich selbst, zu seiner eigenen Ehre. Die dem Menschen geschenkte Freiheit ist Freiheit in dem so, in dem durch Gottes eigene Freiheit abgesteckten Raum, nicht anders. (10 f)

Der andere ebenfalls sehr beachtete Vortrag trägt den Titel „Die Menschlichkeit Gottes“ und wurde 1956 in Aarau vor dem Schweizerischen Pfarrverein gehalten. Er galt insbesondere als das Dokument des von Barth vollzogenen Wandels, das dann auch auf die KD noch einmal ein neues Licht geworfen hat. „Für mich war das nur ein Rückblick, aber für viele ist das eine Entdeckung gewesen.“170 Barth stellt den Menschen in das Licht Gottes, dessen Göttlichkeit sich nicht deutlicher erkennen lässt als eben in seiner Menschlichkeit. Und so gerät auch der Mensch ganz und gar in die Aufmerksamkeit, wie es Barth in seiner Anthropologie (KD III/2) bereits eingehend dargelegt und damit den immer wieder vernehmenden Vorwurf entkräftet hatte, dass seine Theologie Gott auf Kosten des Menschen groß mache – ein bei genauerem Hinsehen in jeder Hinsicht nur als abwegig zu bezeichnender Vorwurf (vgl. Kap. I.8), der aber bis heute nicht verstummt ist.171 Es ist der Blick auf Jesus Christus, der uns das wahre Verhältnis Gottes zu uns und zugleich auch das wahre Verhältnis des Menschen zu Gott erschließt.

In Jesus Christus ist wie keine Verschlossenheit vom Menschen her nach oben so auch keine von Gott her nach unten. Eben in ihm handelt es sich vielmehr um die Geschichte, um den Dialog, in welchem Gott und der Mensch zusammentreffen und zusammen sind, um die Wirklichkeit des von ihnen beiderseitig geschlossenen, gehaltenen und vollendeten Bundes.172

Barth nimmt durchaus offensiv den Begriff des Humanismus auf, nicht ohne darauf zu verweisen, damit auch einem limitierten Wahrheitsmoment der anthropologisch orientierten Theologie des 19. Jahrhunderts die Gültigkeit zu erhalten (10). Aber die Theologie hat sich an den Humanismus Gottes zu orientieren, der nicht einfach als eine Spielart der vom Menschen aus möglichen Humanismen betrachtet werden kann (23). Die Humanität wird ganz und gar in die sich zwischen Gott und Mensch ereignende Beziehungswirklichkeit gestellt, in der sich die spezifische Herausgehobenheit des Menschen und damit die spezifische Menschlichkeit in der Blickrichtung des biblischen Zeugnisses erkennen lässt.

Sie hat sich, da Gott in seiner Göttlichkeit menschlich ist, weder mit Gott an sich, noch mit dem Menschen an sich, sondern mit dem dem Menschen begegnenden Gott und mit dem Gott begegnenden Menschen zu beschäftigen: mit ihrer Zwiesprache und Geschichte, in der ihre Gemeinschaft Ereignis wird und zu ihrem Ziele kommt. Eben darum kann sie nur im Blick auf Jesus Christus und von ihm her denken und reden. (18)

Die von Barth ausdrücklich als Selbstpräzisierung charakterisierte theologische Veränderung hat durchaus eine tiefgreifende Dimension. Aber sie wäre zutiefst missverstanden – wozu es ebenfalls zahlreiche Selbstzeugnisse Barths gibt –, wenn von zwei in Spannung zueinanderstehenden Schaffensphasen Barths gesprochen würde, in deren Abfolge die spätere die vorauslaufende überwindet und somit gleichsam nachträglich reklamiert. Barth zitiert vielmehr den Vers aus dem bekannten Abendlied „Siehst du den Mond dort stehen? Er ist nur halb zu sehen“ (7) und erläutert die Veränderung mit dem hinzugekommenen Versuch, nun auch die zweite Hälfte in den Blick zu bekommen, allerdings ausdrücklich ohne den Anspruch zu erheben, damit nun das Ganze vor Augen zu haben und übersehen zu können. Es ist vor allem das Wahrnehmungsgefälle, dem Barth treu bleibt. Es geht ja auch in der KD nicht darum, dass wir in Jesus unsere Menschlichkeit wiedererkennen oder Gott als einen besonderen Exponenten unserer Menschlichkeit betrachten, so als könnte der Mensch bereits von sich aus ein allgemein evidentes Verständnis seiner selbst erlangen, das dann auch auf das Handeln Gottes in irgendeiner Steigerungsform in Anwendung gebracht werden könnte. Vielmehr wird uns in Jesus überhaupt erst ein rechtes Verständnis unserer Menschlichkeit vor Augen gestellt, denn es gibt sonst keinen Menschen, an dem die von Gott gemeinte Menschlichkeit ohne fundamentale Trübungen erkannt werden könnte – das ist der Grund, weshalb Jesus der „wahre Mensch“ genannt wird. Und zudem wäre auch der Begriff der Analogie nicht im Sinne Barths verwendet, wollte man in seinem Verständnis den Ton auf die Gleichheit und eben nicht auf die Entsprechung legen, die immer auch von ebenso zu bedenkenden Unterschieden geprägt bleibt, was im Verständnis eines Begriffs wie dem der Gottebenbildlichkeit in aller Deutlichkeit evident wird.

Anstatt von zwei unterschiedlichen Schaffensperioden ist besser von einem weiteren Voranschreiten zu sprechen, das dann gewiss auch mit Akzentverschiebungen und Kehrtwendungen verbunden ist, im Ganzen aber als eine Präzisierung und weiterführende Klärung zu verstehen ist, die ihren Aufbruch von der Entdeckung der radikalen Andersartigkeit Gottes keineswegs vergessen machen will.

War das, was wir damals entdeckt zu haben meinten und vorbrachten, kein letztes, sondern ein retraktionsbedürftiges, so war es doch ein wahres Wort, das als solches stehenbleiben muß, an dem es noch heute kein Vorbeikommen gibt, das vielmehr die Voraussetzung bildet, was heute weiter zu bedenken ist. Wer jene frühe Wendung nicht mitgemacht haben, wem es etwa noch immer nicht eindrücklich geworden sein sollte, daß Gott Gott ist, der würde, was nun als wahres Wort seiner Menschlichkeit weiter zu sagen ist, sicher auch nicht in Sicht bekommen. (7)

 

Keine Revision, sondern ein Weiterschreiten ist gemeint, das als solches nicht einfach schnurgeradeaus, sondern immer auch – wie Barth es formuliert – mit Wendungen verbunden ist.173 In Barths Zurückhaltung gegenüber dem Begriff ‚Systematische Theologie‘ kommt seine grundsätzliche Abneigung gegenüber theologischen Systembildungen und methodologischen Fixierungen zum Ausdruck (vgl. Kap. III.3). Auch die Architektur der KD folgt keiner systematischen Konzeption, sondern schlicht aus den Gegenständen, die durch die Frage nach einer angemessenen theologischen Erkenntnis unweigerlich in den Blick kommen, denn die Erkenntnis fragt nach dem Subjekt, dem Objekt und dem Prädikat des Wortes Gottes, folgt also konsequent der Anerkenntnis des Umstands, dass Gott in bestimmter Weise geredet hat und als solcher auch heute redet (vgl. Kap. IV.1). Über die trinitarische Grundstruktur hinaus sollte sich die Theologie vor systematisierenden Regulierungen weitgehend hüten, um nicht zu einer abstrakten Lehre zu erstarren. Auch wenn es – insbesondere für die Versöhnungslehre – gewiss ein wenig überpointiert tönt, bleibt das Selbstzeugnis Barths zu beachten:

Es gab nach meiner Erinnerung kein Stadium meines theologischen Weges, auf dem ich mehr als die allernächsten Schritte nach vorwärts im Auge gehabt und geplant hätte. Sie ergaben sich jeweils von selber aus denen, die ich schon hinter mir hatte, und unter den Eindrücken meines Bildes von den sich mir an einem neuen Tag und [in] einer neuen Lage darbietenden Notwendigkeiten und Möglichkeiten. […] Ich habe kaum je so etwas wie ein Programm gehabt und dann ausgeführt, sondern meine Arbeit verlief in meinen Begegnungen mit den auf mich zukommenden Menschen, Dingen, Ereignissen, Fragen, Rätseln. […] So geht es mir […] auch gerade bei der Ausarbeitung der Kirchlichen Dogmatik: von einem Semester zum anderen, von einer Woche in die andere hinein. […] Es waren lauter kleine und große Bäume, die gewissermaßen vor mir aufschossen, wuchsen, sich ausbreiteten, deren Leben nicht von mir abhing, das ich vielmehr nur mit gesammelter Aufmerksamkeit zu begleiten hatte.174

In diesem Zusammenhang soll auf eine Begebenheit hingewiesen werden, die gewiss nicht überschätzt werden sollte, die aber doch ein bezeichnendes Licht auf Barths Umgang mit der Dogmatik wirft. Ein ehemaliger Bonner Student von Barth aus Schottland, George L.B. Sloan, mit dem Barth seinerzeit regelmäßig seine Englischkenntnisse vertiefte und der darum wusste, dass Barth besonders den Kriminalromanen von Dorothy L. Sayers zugetan war, die ihn nicht nur sprachlich erfreuten, schickte ihm 1938 einen Essay eben dieser Autorin „The Greatest Drama Ever Staged“, in dem sich diese in ebenso unbefangener wie ernsthafter Weise theologisch zu Worte meldete. Sie schrieb:

Die offizielle kirchliche Verkündigung hat seit einiger Zeit eine „schlechte Presse“. Man versichert uns dauernd, die Kirchen seien darum so leer, weil die Prediger zu viel Gewicht auf die Lehre legten: auf das „langweilige Dogma“, wie man zu sagen pflegt. Man lasse mich einmal sagen, daß genau das Gegenteil wahr ist; es ist die Vernachlässigung des Dogmas, die die Predigten so langweilig macht. Der christliche Glaube ist das aufregendste Drama, das der menschlichen Einbildungskraft je geboten wurde. Und gerade im Dogma ist er als dieses Drama verstanden und dargestellt!175

Barth wäre es kaum in den Sinn gekommen, einen theologischen Text eines englischsprachigen Kollegen zu übersetzen, in diesem Fall aber gefiel es ihm, in seinem Urlaub schlicht in die Rolle des Übersetzers zu schlüpfen, um den Essay auch mit all seinen wohl wahrgenommenen Stolpersteinen zu übersetzen, um ihn dann auch für das deutschsprachige Publikum zu veröffentlichen (es ist dem dann ausbrechenden Krieg geschuldet, dass dies dann erst 1959 zusammen mit dem Essay „Der Triumph von Ostern“ geschah). In dem dieser Publikation vorangestellten Vorwort Barths heißt es:

Einige flotte Saloppheiten der Sprache und auch einen gewissen dem Einfluß des Erasmus auf die englische Christenheit entsprechende[n] Semipelagianismus […] werden ihr verständige Leser nicht übel nehmen. Daß sie sich die Aussage des Evangeliums in atemlosen Erstaunen über ihren zentralen Gehalt schwungvoll zu eigen gemacht und daß sie weltoffen, aber unerschrocken und ohne alles apologetische Gerüchlein schlagfertig – vor allem aber: freudig und zur Freude anregend wiedergegeben hat, dafür darf man ihr, wie man sich auch im einzelnen zu ihren Darlegungen stellen möge, dankbar sein. (14 f)

Barth verweist hier auf die Blickrichtung der Dogmatik, die wichtiger ist als die ohnehin nicht ganz kontrollierbare Sorge um die rechte Lehre.

Barths theologischer Neuaufbruch ging grosso modo seit 1914 in die dann auch von der KD weiter festgehaltene Richtung, indem auch bereits in der Zeit der sogenannten dialektischen Theologie – einige Beispiele wurden genannt – jedes auszusprechende Nein allein von dem ihm überlegenen Ja legitimiert war. Die grundsätzliche Kritik am Neuprotestantismus wurde – auch wenn die Freiheit wächst, den einen oder anderen Aspekt positiv zu würdigen – ebenso wenig zurückgenommen wie das vitale Wissen um die prinzipielle Vorbehaltlichkeit aller theologischen Einsichten. Letztere verschafft sich in der KD immer wieder darin Ausdruck, dass Barth sich am Ende einer entschlossen vorangetriebenen Argumentation selbst ins Wort fällt und andere Beleuchtungsweisen oder Fragestellungen in Bezug auf den gerade verhandelten Aspekt als eine gleichberechtigte Wahrnehmungsweise in Erwägung zieht, die dann auch damit rechnen lassen, am Ende möglicherweise an einer durchaus anderen Stelle herauszukommen. Bereits im ersten Band der Prolegomena äußert er für das eigene Unternehmen die Befürchtung, in der theologischen Rückgewinnung der großen Begriffe „Gott, Wort, Geist, Offenbarung, Glaube, Kirche, Sakrament usw. […] viel zu positiv zu werden.“ (I/1, 168) Es hängt gewiss mit der lebendigen Diskutierfreudigkeit seiner eifrigen Bonner Studierenden zusammen, die er durchaus erfreut in dem von ihm erschlossenen Raum sich tummeln sieht, wenn er eine gerade in die eigene Richtung blickende Warnung ausspricht:

Ich denke an eine gewisse Sicherheit der Stimmung, Sprache und Haltung, mit der wir, wie es scheint, auf dem neuen bzw. alten Feld meinen arbeiten zu können, an eine gewisse Getrostheit, mit der wir jene großen Begriffe meinen in den Mund […] nehmen zu können […], als redeten wir darum von ihnen, weil wir relativ so hemmungslos über sie zu reden wissen. Eine Sicherheit, Getrostheit und Munterkeit, die vielleicht nur noch größer wird, indem wir auch noch das Moment der Unsicherheit oder gar der „getrosten Verzweiflung“ oder gar eine „Todeslinie“ oder dgl. in unsere mehr oder weniger geistreichen Rechnungen einzubeziehen verstehen. Ist unserem Geschlecht auch lebensmäßig (nicht nur gedanklich) klar, daß das „Ernsthafte“ ernsthafter theologischer Arbeit darin begründet ist, daß ihrer Gegenstand nie und in keinem Sinn uns zu Gebote steht […] Inwiefern ist unser theologisches Gespräch kein Gerede? (I/1, 168 f.)

Damit ist nun freilich in der kritischen Selbstreflexion eine unüberschreitbare Grenze der Argumentation erreicht, die nicht selbst zum Habitus werden darf. Und zugleich wird auch für den theologischen Streit festgehalten, dass es grundsätzlich nicht um die Fixierung von alternativlosen Optionen gehen kann, auch wenn jede ins Auge gefasste Option unter durchaus hoch gesteckten Erwartungen und Ansprüchen steht, denen nicht zuletzt durch die konsultierte theologische Tradition ein nicht zu unterschreitendes Niveau vorgegeben wird.

8.Der unbequeme Zeitgenosse

Barths ausgeprägtes historisches Interesse, das ihm zu einem umfänglichen Wissen über geschichtliche Zusammenhänge und politische Entwicklungen verholfen hat, brachte es mit sich, dass er sich zeitlebens sorgfältig politisch informiert und engagiert hat. Immer wieder hat er sich deutlich und pointiert zu Worte gemeldet, wobei er seine jeweiligen politischen Optionen in einen engen Zusammenhang mit seinen theologischen Einsichten sah. Mehrfach betonte er, dass, wer ihm politisch grundsätzlich widerspreche, ihn auch theologisch nicht angemessenen verstanden haben könne. Um auf diesem mit Stolpersteinen übersäten Feld nicht zu Fall zu kommen, bietet es sich an, grundsätzlich zwei Aspekte zu unterscheiden und zugleich im Auge zu halten: Einerseits ist mit Günther van Norden festzustellen, dass es besonders provozierende geschichtlich Umstände waren, die Barth theologisch herausgefordert und zu einer Neujustierung seiner Theologie gebracht haben.176 Andererseits ist Barth – und hier können wir Michael Beintker folgen177 – in seinem Umgang mit den jeweiligen Herausforderungen weder einfach den jeweiligen politischen Dynamiken gefolgt noch hat er sich irgendwelchen gesellschaftspolitischen Zielperspektiven verschrieben, sondern er sah sich als ein Theologe gefordert, der – wie er es später formulierte – ‚in erster Linie Zeitgenosse Christi‘ (KD IV/3, 419), d. h. Zeitgenosse des auferstandenen und zur Rechten Gottes sitzenden Versöhners ist und nur als solcher auch ein Zeitgenosse der aktuellen geschichtlichen Umstände. Barth hatte – jedenfalls nach 1914 – sehr genau die Versuchung vor Augen gehabt, in der sich die Theologie den jeweils gerade wirksamen geschichtsphilosophischen oder auch nur zeitgeistigen Prämissen unterwarf, um ihnen dann willfährig mit einer zusätzlichen religiösen Weihe so oder so unterstützend zur Seite zu springen. Um dieser Versuchung, die im Wesentlichen das ausmacht, was Barth die „natürliche Theologie“ genannt hat, nicht zu erliegen, kam es entscheidend darauf an, die jeweiligen geschichtlichen Umstände in den Horizont des je neu zu vernehmenden Wortes Gottes zu stellen, der sich nicht unmittelbar in diesen Umständen zeigt, sondern in Auseinandersetzung mit dem biblischen Zeugnis immer wieder neu zu suchen ist. So sehr also die „Zeitung“ oder auch das von Barth gern benutzte Radio die aktuelle Tagesordnung bestimmen vermag, so wenig kann es ihnen überlassen bleiben, wie sie zu beurteilen und dann zu bearbeiten ist. Man muss wohl sogar noch einen Schritt weiter gehen: So sehr die jeweilige Lage auch die Tagesordnung der Theologie beeinflussen und diese auch entscheidend verändern kann, so wenig enthält sie zugleich auch schon die Kriterien dafür, wie mit den jeweiligen Konstellationen angemessen umzugehen ist.

Barths sozialpolitisches Engagement in seiner Gemeinde in Safenwil, seine differenzierte Stellung zu den religiösen Sozialisten und dann – nach einer später von ihm selbst als zu lang bewerteten bewussten Zurückhaltung – besonders seine Stellungnahme gegenüber dem Nationalsozialismus sowie dessen verharmlosende und abwartende Wahrnehmung auch durch die Deutschland umgebende Welt sind bereits zur Sprache gekommen. Jetzt soll der Blick auf die Zeit nach 1945 geworfen werden, in der Barth den seit 1938 eingeschlagenen Weg fortsetzte, den Charlotte von Kirschbaum mit der durchaus treffenden Bemerkung kommentiert hatte, dass Barth jetzt in sein „prophetisches Stadium“ gewechselt habe.178 Bevor am Ende dieses Absatzes nach den besonderen Bestimmungen des Prophetischen bei Barth gefragt wird, sollen zunächst einige exemplarische Begebenheiten und Überlegungen skizziert werden, in denen Barth mit teilweise sehr zugespitzten Voten die kirchliche und auch die öffentliche Diskussion beschäftigte.

Barth lag entschieden an einem möglichst gründlichen, aber keineswegs utopischen Neuanfang, der wenigstens in ein paar entschlossenen Schritten erkennbar macht, dass aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt wurde.179 Es ging – wie er am 8. Juli 1945 in einem Brief an die deutschen Theologen in der Kriegsgefangenschaft unterstrich – um die „Theologische Existenz 1945“, die nicht bei der „Theologischen Existenz heute“ von 1933 stehen bleibt, sondern sich entschlossen auf die Höhe der Zeit mit ihren heutigen Herausforderungen vorwagt.180 Darin galt es nun Deutschland und eben auch die Kirchen nach Kräften zu unterstützen, witterte er doch vor allem in den Kirchen die Macht der Beharrungskräfte, denen nur an einer Restauration der alten Verhältnisse gelegen war. In der Schweiz, aber auch den Siegermächten gegenüber betonte er, dass nun der im Zuge der scharfen Bekämpfung des nationalsozialistischen Deutschland gewachsenen allgemeinen Verbitterung und dem angestauten Hass entschlossen entgegenzutreten sei, um die Deutschen nicht zu isolieren, sondern sie ebenso fürsorglich wie kritisch in ihrem Neuanfang zu ermutigen. Mit diesem Plädoyer stand Barth wiederum nicht auf der Seite der Mehrheit. Schon vor dem Kriegsende betonte Barth in einem Vortrag:

 

Wir mußten uns an unserem Ort verwahren und wehren gegen die Übergriffe, die im Namen dieses Volkes und nicht ohne seine Zustimmung und Mitwirkung begangen wurden. Aber wenn wir das recht getan haben, dann haben wir es doch nicht gegen, sondern auch für dieses Volk, zu seinem eigenen wohlverstandenen Besten getan. Und wenn diese Abwehr nun in absehbarer Zeit überflüssig werden, wenn der deutsche Kriegerstaat unschädlich gemacht am Boden liegen wird, dann wird es unsere Sache nicht sein können, wo Gott gerichtet hat, nochmals zu richten.181

Auch die Deutschen stieß er auf ihre eigene Verantwortung und wehrte sich gegen die auf eine Selbstentschuldigung hinauslaufende Ansicht, dass sich Deutschland in den Händen von Dämonen befunden habe. Da diese vermeintlichen Dämonen nun erledigt seien, stand zu befürchten – und das wurde ja auch ganz offen so gesagt –, dass es heißen werde, wieder da anzuknüpfen, wo es diese Fremdbestimmung noch nicht gegeben habe. Barths Hinweise darauf, dass doch die Kirche selbst dieser Fremdbestimmung hinterhergelaufen sei und sie nach Kräften ihrerseits ermächtigt habe, stieß weithin auf einen unbußfertigen Selbstbehauptungswillen, der kaum von ferne erkennen ließ, dass auch nur ansatzweise die größeren Zusammenhänge der deutschen Geschichte wahrgenommen wurden, die Barth bis zurück zu Friedrich dem Großen für ausdrücklich bedenkenswert hielt.182

Schon kurz nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands konnte Barth als einer der ersten Ausländer mit amerikanischer Genehmigung nach Deutschland reisen, wo er in Frankfurt am Main an einer Versammlung der Bruderräte der Bekennenden Kirche teilnahm. Dort traf er nach mehr als zehn Jahren wieder mit Martin Niemöller zusammen, der zum Kriegsende aus dem KZ in Dachau befreit worden war. Es ging um eine Vorbereitung auf die gleich anschließend tagende Kirchenführerkonferenz in Treysa, an der eine zehnköpfige Delegation der Bruderräte mit Barth und Niemöller an der Spitze teilnahm. Wie Barth vermutete bzw. mehr befürchtete, war die große Frage, ob eine Neuordnung der Kirche nach den theologischen Vorstellungen der BK oder lediglich eine Normalisierung im Sinne einer Wiederherstellung der Verhältnisse von vor 1933 angestrebt werden solle. Eindeutig dominierte die Neigung, auf einer theologisch eher neutralen Linie möglichst schnell die alten Strukturen wiederherzustellen. Auch unter den Vertretern der BK gab es hinsichtlich einer bruderrätlichen Verfassung vor allem von denjenigen Bedenken, die nun gerade erst in kirchleitende Positionen aufgerückt waren, die von Deutschen Christen nach Kriegsende geräumt werden mussten, so dass der Eindruck entstand, dass die „zerstörten“ Kirchen bereits wieder auf dem Wege waren, zu „intakten“ Kirchen zu werden. Der entschlossene Wille, an der Volkskirche festzuhalten, stellte mehr oder weniger alle Weichenstellungen in Richtung Restauration, die zudem auch alle pragmatischen Argumente auf ihrer Seite hatte. Nicht zuletzt konnte sich diese Lösung auch auf die Praxis in den meisten anderen europäischen Ländern berufen. Barth beklagte vor allem die Zähigkeit und Behäbigkeit der Vertreter der Kirchenleitungen, „einen verstärkten Konfessionalismus und Klerikalismus vor allem, und daneben […] einen in allen Spielarten florierenden Liturgismus.“ (195) Er sah genau das konservative Luthertum den Ton angeben, welches er auch für die katastrophale Unterwürfigkeit der Kirche unter den Nationalsozialismus verantwortlich sah. Unversehens zog er sich mit Äußerungen solchen Inhalts wieder den Unmut vieler Kirchenrepräsentanten zu, so dass er erneut mit dem ihm bereits bekannten Vorwurf konfrontiert wurde, als Schweizer die deutsche Situation nicht verstehen zu können, um es einmal bei der mildesten Form der Ablehnung zu belassen. Es war für Barth schnell absehbar, dass seine Option für eine „Grundsätzliche Neubesinnung über die von der Schrift und vom Glauben her gebotene Gestalt der christlichen Gemeinden und ihres gesamtkirchlichen Zusammenschlusses (Aufbau von unten!)“183 keine wirkliche Chance auf Verwirklichung hatte.

Zwar folgte er nicht dem ihm von verschiedenen Seiten angetragenen Wunsch, wieder an seine alte Wirkungsstätte in Bonn zurückzukehren und dort gar das Amt des Rektors zu übernehmen, aber er übernahm dort mit erwartungsvollem Elan und zugleich einer abwartenden Neugier im Sommersemester 1946 und 1947 eine Gastprofessur, zu welcher er von Basel unter Weiterzahlung seiner Bezüge beurlaubt wurde. Er stieß dort nach einer eindrucksvollen Reise auf einem Rheinfrachter wieder auf eine große Resonanz, ebenso wie bei den zahlreichen Vorträgen, die er im ganzen Land während dieser Zeit hielt. Durch die Vermittlung eines kulturbeauftragten sowjetrussischen Offiziers, Oberst Tulpanow, gab es auch in Berlin Gelegenheit, mit den Verantwortlichen der Sozialistischen Einheitspartei in einen mehrstündigen Austausch zu treten. Damit ist die von Barth erzählte schöne Anekdote verbunden, dass Wilhelm Pieck Barth gesagt habe: „‚Herr Professor, was wir in Deutschland nötig haben, das sind die Zehn Gebote!‘ Da habe ich gesagt: ‚Ja, Herr Präsident, insbesondere auch das erste!‘“184 Es gab auch Gelegenheit, vertraulich die Engländer zu bitten, sich ausdrücklicher der Förderung der den Deutschen so fremden Demokratie zu widmen, was durchaus aufmerksam gehört wurde.

Einerseits war Barth zutiefst berührt von all den auf ihn gerichteten Erwartungen und der Offenheit, in der er von verschiedenen Seiten empfangen wurde, und andererseits spürte er eine latente, als solche aber durchaus lähmende Unbußfertigkeit, durch welche er all die Zustimmung konterkariert sah, die seinen theologischen Beiträgen erwiesen wurde. Am 24. Mai 1946 schreibt er während seines Semesters in Bonn an seinen Freund Arthur Frey, Leiter des späteren TVZ Verlages und Herausgeber des Schweizerischen Evangelischen Pressedienstes:

[Es] sind noch viel Nebel über Szene. Man muß hierzulande immer wieder an den Blocksberg denken, wo einst Goethe ebenfalls viel Nebel und darin alle möglichen geistigen und geistlichen Spukgeister wahrgenommen hat.185

Nur zu gut hatte Barth aus eigener Erfahrung die Dominanz der demokratiefeindlichen Einstellungen der durch und durch nationalistisch geprägten Kollegenschaft an den deutschen Universität in Erinnerung, so dass nicht damit zu rechnen war, dass es nun ohne eine entschiedene Abkehr von der Vergangenheit und einen bewusst vollzogenen Neuanfang zu der erwarteten Demokratisierung der Gesellschaft kommen könne. Er wies ausdrücklich auf die Gefahr hin, die dieser Neuanfang durch die ältere Generation ausgesetzt sei:

Es gibt auch unter dieser älteren Generation ehrenvolle Ausnahmen. Und es ist klar, daß die Wenigen, die hier zu nennen wären, viele Andere aufwiegen. Aber es sind zu viel dieser Anderen, die viel zu wenig gelernt und viel zu wenig vergessen haben, als daß sie der akademischen Jugend gerade bei der für ihre Zukunft so dringend nötigen Klärung des Verhältnisses von deutscher Vergangenheit und Gegenwart und zu einer wirklichen Aufgeschlossenheit für neue Fragestellungen hilfreich sein könnten: keine Bösewichte, keine Nazis, nur unverbesserliche Nationalisten in der Art derer, die das zum ersten Mail frei gewordene Deutschland 1918–1933 dem neuen Verderben entgegengeführt, es schließlich ans Schlachtmesser geliefert, dann sich als „anständige Leute“ aufs Grollen und wohl auch aufs Komplottieren gegen Hitler verlegt haben und nun längst wieder zu mehr oder weniger vernehmlichem Grollen gegen die letztlich nicht ohne ihre ganz besondere Mitschuld entstandene Lage übergegangen sind. Es ist fatal, daß so viele deutsche Studenten dem Unterricht, der Erziehung, dem Vorbild gerade dieses Professorentypus ausgeliefert sind. In dieser Schule werden sie keine freien Menschen werden. (122)

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