Siebenreich - Die letzten Scherben

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Aus der Reihe: Siebenreich #1
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Siebenreich - Die letzten Scherben
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Michael Kothe

»Siebenreich – Die letzten Scherben«

Band 1 der Fantasy-Reihe

»SIEBENREICH«

Siebenreich,

eine »Idylle des Dreißigjährigen Krieges«

Drogan´t´Har, der Sohn des Drachen, sonnt sich in der Legende seiner Unsterblichkeit. Unerschöpfliche Heere von Orks wirft er nach Siebenreich in einen Krieg, den er dank seiner erstarkenden Magie und einer Geheimwaffe endlich zu gewinnen hofft. Doch nun stellt sich ihm ein geheimnisvoller Waldläufer entgegen, ein Orkläger nicht aus dieser Welt. Immer wieder entkommt er seinen Schergen und nähert sich ihm stetig. Kann Drogan´t´Har ihm die magische Waffe entreißen und mit der seinen vereinen? Oder ist am Ende der Fremde siegreich?

Julia gerät zwischen die Fronten. In ihrem eigenen Interesse muss sie sich auf das Abenteuer einlassen. Sollte sie aber ihr Ziel je erreichen, wohin führt dann ihr Weg?

Siebenreich – Die letzten Scherben

von Michael Kothe

https://das-buch-siebenreich.jimdosite.com

Auch als Taschenbuch erhältlich.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Impressum

© 2020

Verantwortlich: Michael Kothe

Copyright: Inhalt, Text, Lektorat, Layout, Fotos,

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Autor Michael Kothe

Inhalt

Impressum

Kapitel 1. Der Sohn des Drachen

Kapitel 2. Julia

Kapitel 3. Nach Königstein

Kapitel 4. Königstein

Kapitel 5. Nach Ebersberg

Kapitel 6. Ebersberg

Kapitel 7. Im Namen Drogan´t´Hars!

Kapitel 8. Viel zu tun

Kapitel 9. Erinnerung

Kapitel 10. Belagerung

Kapitel 11. Die andere Seite

Kapitel 12. Zum Langewald

Kapitel 13. Die Prinzessin

Kapitel 14. Hinterhalt

Kapitel 15. Orkland

Kapitel 16. Silbersee

Kapitel 17. Die Burg von Drogan´t´Har

Kapitel 18. Angekommen

Über den Autor

Vom selben Autor: Schmunzelmord

Vom selben Autor: Quer Beet …


Kapitel 1. Der Sohn des Drachen

1.

Nekromantie und Beherrschung der Elemente seine Mittel,

Unterwerfung und Vernichtung seine Ziele,

Rache und Macht sein Antrieb.

»Wie soll ich einer Bedrohung begegnen, wenn ich nicht erkenne, wogegen sie sich richtet?«

Dürre Finger umklammerten die Tischkante. So, als suchten sie Halt, damit seine lange, hagere Gestalt nicht in sich zusammensinke. Solche Bedenken war er nicht gewohnt.

Der Blick aus dem Turmzimmer über die Balustrade des Balkons beruhigte Drogan´t´Har, den Sohn des Drachen, nur für einige Augenblicke. Vom Ende der steinernen Brücke, die von seiner uralten Festung über den Abgrund führte, erstreckte sich eine grenzenlos scheinende Steinwüste. So weit sein Auge reichte, störten kein Wald und keine Vegetation die Landschaft. Unter einem fahlen Himmel lag sie in Grau und Ocker gekleidet. So gefiel ihm das Land. Sein Land! Bar fast jeden Lebens trug es seine Lieblingsfarben.

»Allemal erfüllt diese Ödnis ihren Zweck«, resümierte er halblaut. »Noch nie ist ein Feind bis hierher vorgedrungen. Müsste er doch alles, was er für einen Angriff oder eine Belagerung benötigt, im Tross mitführen!« Seine eigenen Truppen waren genügsamer, er hatte für ihre regelmäßige Versorgung auf festgelegten Wegen gesorgt. Auch er selbst, seine Leibwache und seine Diener bekamen alles gebracht, was er forderte.

Hätte die Wand in seinem Rücken Fenster gehabt, hätte er den See betrachten können, der seine Festung von Norden her schützte. Auf ihre Uneinnehmbarkeit durfte er vertrauen.

Der Dunkle Herrscher, wie er sich auch gern nennen ließ, stand vornübergebeugt an der Mitte seines großen Kartentisches. Mit durchgestreckten Armen und auf die Knöchel beider Fäuste gestützt konzentrierte er sich auf seine Schlachtpläne. Seine Truppen aus Orks und Goblins führte er meistens durch Magie aus der Ferne in den Krieg, den er im Niemandsland nordwestlich von seinem Reich den Menschen und Zwergen aufgezwungen hatte. Er hatte erreicht, seit mehreren Jahren alle nennenswerten militärischen Kräfte der Menschen im Norden ihrer Heimat Siebenreich zu binden.

»Dass die Zwerge sich in die Schlacht geworfen haben, ist mir nicht hinderlich. Damit war zu rechnen.«

Seine Zufriedenheit erstarb jäh. Die neue Gefahr stahl sich zurück in seine Sinne. Vage war sie, verschwommen. Für ihn war sie real. Wogegen aber richtete sie sich? Gegen seine konkreten Pläne, gegen seine Macht oder gegen ihn selbst? Sicher war er sich nur in einem: »Sie kommt mir näher!«

Wieder einmal kam er zu keinem befriedigenden Schluss. Er stieß sich von der Kante ab, schüttelte sich und straffte die Schultern. Seine Hände vollführten rasch eine wedelnde Bewegung, wischten die Emotionen fort. Sein Verstand gewann die Oberhand.

Die Pläne hatte er schon ungezählte Male hinterfragt und stets für gut und notwendig befunden. Sie beruhten auf dem Streben nach Macht und Rache. Sein Machtstreben forderte die Unterwerfung des gesamten Kontinents, seine Rache die Vernichtung oder Versklavung der Menschen, Zwerge und Elben. Der Rachegedanke war so alt wie das Ende des so genannten »Großen Krieges«.

Wenige Tage vor Drogan’t’Hars damaliger Niederlage hatte ein menschlicher Edler, dem in Gefangenschaft ein qualvoller Tod bevorstand, vor ihm ausgespien und ihn verächtlich einen »Echsenmann« genannt. Unwillkürlich ballte er die Hände zur Faust. Zorn packte ihn noch jetzt wie jedes Mal, wenn dieser Vorfall nach Jahrhunderten aus seiner ererbten Erinnerung ihm ins Bewusstsein kroch. Der Gefangene hatte für diese Beleidigung noch grausamere Qualen verdient gehabt, stattdessen hatte ihm ein einziger von Wut geleiteter Schwerthieb schmerzlos den Kopf vom Rumpf getrennt. Für die Schmach sollten die drei Völker nun büßen.

Der Kartentisch hatte enorme Ausmaße. Ein breiter Rand mit großzügiger Stellfläche umfasste eine reliefartige und maßstabsgetreue Landschaft. Vom Osten ausgehend war das ehemalige Reich der Orks und Goblins, nun seines, detailliert nachgebildet. Im Westen schloss sich hinter den Morgenbergen Siebenreich an. Wie das Land der Zwerge nördlich davon und wie das Elbenreich noch weiter westlich war es mit flachen, ungefärbten Flächen durchsetzt. Dies waren Gebiete, die der Dunkle Herrscher bisher nicht hatte auskundschaften lassen. Im Süden wiederum war Seeland lückenlos ausgestaltet. Der Grund war die Nähe zur Heimat der Goblins und zur Piratenstadt, aus der er bevorzugt seine menschlichen Späher und Meuchler rekrutierte. Aus Onyx und anderem Stein geschnitzte Kriegerfiguren warteten auf dem Rand auf ihren Einsatz. In weiteren Gruppen standen einfache Klötze bereit, allesamt in dunklen Farben. Diejenigen, die in der Miniaturlandschaft ihren Platz gefunden hatten, stellten Kampfeinheiten Drogan´t´Hars und seiner Gegner dar. Magie bewirkte, dass die Symbole dem Weg der Einheiten folgten und im Falle von deren Niederlage zu Staub zerfielen. So zeigte der Kartentisch stets die neueste Lage.

 

Grimmig lenkte der Dunkle Herrscher seinen Blick auf Siebenreich. Hier würde er zuerst seine Fähigkeiten einsetzen, die Beherrschung der Elemente und die Nekromantie. Die Beherrschung von Luft und Erde sollten die Menschen mit Stürmen erschüttern. In der sich öffnenden Erde würden sie untergehen! Durch die Totenbeschwörung ließe er die Gefallenen des Großen Krieges auferstehen und verstärkte mit ihnen seine Truppen.

»Das wird ihr Grauen steigern!«

Grimm und Hass ließen ihn diese Worte wie zu seiner eigenen Befriedigung laut hervorstoßen. Von der Nekromantie ausgehend wanderten seine Gedanken zu den Forschungen, deren bevorstehende Ergebnisse er gespannt erwartete. Er senkte die Stimme und beendete in beinah verschwörerischem Tonfall seine Vorstellung vom Kampf gegen Siebenreich.

»Auch wenn ich ihnen schon vorher unvorstellbares Entsetzen bringe.«

Ein zynisches Lächeln zog seine schmalen Lippen zurück. Die fliehende Stirn und die beinahe seitlich liegenden Nasenlöcher ließen sein Echsenmaul noch markanter und weiter vorgeschoben erscheinen. Seine Mimik entblößte zwei Reihen kleiner, aber spitzer und scharfer Zähne. Obwohl er von beinahe menschlicher Gestalt war, bezeugte ein einziger Blick auf sein Gesicht und seine schuppige Haut eine sicherlich lang zurückliegende, aber nicht zu leugnende Anwesenheit von Drachen in seinem Stammbaum.

Derzeit beherrschte er die Elemente nur ansatzweise. Der Schaffung neuen Lebens war er sich noch nicht vollkommen sicher. Dafür benötigte er ein mächtiges Werkzeug. Es erfüllte ihn mit Genugtuung, einige Fragmente davon bereits im Besitz zu haben. Und weitere, dessen war er sich sicher, befanden sich auf dem Weg in sein Reich. Er lachte auf, denn ausgerechnet seine Feinde hatten dieses Artefakt geschaffen! Zwar war es gegen ihn gerichtet, aber als ihm das erste Bruchstück in die Hände gefallen war, hatte er das Blatt zu seinen Gunsten gewendet. Seit langem schon übte er, jetzt wähnte er sich kurz vor einem ersten großen Erfolg. Es war ein mühsames Unterfangen und langwierig, aber er hatte Zeit. Er hatte ein langes Leben.

2.

»Herr!«

Der junge Ork übte sich in unendlich vielen Bücklingen.

»Alles ist bereit, wie ihr es befohlen habt, Herr.«

Das Turmzimmer hatte er schräg hinter dem Dunklen Herrscher betreten.

Der nahm ihn erst wahr, als er seine Stimme hörte. Er drehte sich zu ihm um und hob die Hand.

»Schweig!«

Er beugte sich wieder über seinen Kartentisch. Schließlich nickte er, löste Blick und Gedanken vom Kriegsgeschehen und wandte sich seinem Boten zu.

»Geh voraus!«

Der Junge kam der knappen Aufforderung sofort nach. Er war das jüngste Mitglied der Leibwache, von einem altgedienten Anführer empfohlen wegen seiner Tapferkeit und seines Geschicks.

»Der Rat scheint gerechtfertigt«, sagte sich der Dunkle Herrscher, »oft genug habe ich sein Können während der Waffenausbildung im Burghof beobachtet.« Nun folgte er ihm in einigem Abstand die Wendeltreppe hinab, sie schien endlos. Sie hatten den Turm verlassen und unterwegs einen Blick durch den offenen Zugang in den großen Saal geworfen. Hier hinein befahl der Herrscher ab und zu seine Anführer zu Lageberichten. Weiter unten ließen sie ein bewachtes Gittertor aufschließen und stiegen dahinter ungezählte Windungen hinab. Aus den Verliesen unterirdischer Kerkergeschosse hallten ihnen das Stöhnen und die Schreie der Gefangenen entgegen, die auf ihre Läuterung oder auf ihren Tod warteten. Ungerührt gingen sie weiter.

Unentwegt berichtete der junge Ork darüber, was seinen Herrn erwartete. Mehrmals blieb er dabei stehen.

»Herr, die Formen haben wir abgenommen, wie ihr befohlen hattet. Genau zum angewiesenen Zeitpunkt. Es ist alles fest, nichts ist abgebrochen, wir haben …«

»Schweig!« donnerte der Sohn des Drachen noch einmal. Er war ungehalten. Nicht nur, weil die Erklärungen des Rekruten unnütz waren, er wusste schließlich, was er zu sehen bekäme, sondern wegen dessen Ungeduld. Er überlegte, ob er ihn aus seiner Leibwache entfernen lassen sollte. Sie erreichten einen Gang, der geradeaus leicht ansteigend wieder nach oben führte. Als sie an dessen Ende in den großen Raum traten, hatte er den Entschluss gefasst, den jungen Ork mit Strenge zu Geduld und Beharrlichkeit erziehen zu lassen.

Der Raum war riesig. Licht fiel durch Gitter weit oben in der Decke. Die Kommandos und das Waffenklirren, die von dort hereindrangen, machten klar, dass sie sich unter dem Burghof befanden, auf dem die Leibwache übte. Dort hinauf führte eine steile Rampe in einem Tunnel, der so hoch war wie der Raum selbst, und dessen Ende ein schweres, hohes Tor versperrte.

Drogan’t’Har trat zu einem der hüfthoch gemauerten Sockel, die die Wände säumten. Zufrieden betrachtete er das mehrfach mannsgroße Objekt, das darauf ruhte. Zwei, drei Wesen – Goblins, kleiner als Orks, aber geschickter – rutschten auf Knien über den Sockel, beugten sich über das Objekt. Sie entfernten letzte Reste der Form, in der es entstanden war, und raspelten die Ränder glatt, dort, wo die Teile der Form vereinigt gewesen waren. Zwei andere waren dabei, die Oberfläche zu verfeinern. Der Anblick seines Werkes erfüllte den Dunklen Herrscher mit Stolz. Vor seinem geistigen Auge sah er es in den Krieg ziehen, ein Wegbereiter für seine Orks und Goblins. Aber noch war es nicht vollendet! Eines seiner Fragmente hatte ihm ermöglicht zu schaffen, was er sah. Zeit und schier unendliche geistige Kraft hatte es ihn gekostet, zahlreiche Rückschläge hatte er erleiden müssen. Nun sollte ein anderes Bruchstück ihm helfen, sein Werk zu vervollkommnen. Er hatte alle mitgebracht, nun legte er sie in einer bestimmten Anordnung auf ein Pult vor dem Sockel.

Seit seinem Eintritt hatten die Goblins sich noch mehr beeilt, ihre Tätigkeit zum Abschluss zu bringen. Mit gesenkten Häuptern vermieden sie, ihrem Herrn in die Augen zu sehen. Er wartete stumm und reglos, bis ihre Arbeit getan war. Als sie vom Sockel rutschten, verwies er diejenigen, die nicht eilends von selbst den Ausgang suchten, mit einem harschen Kommando des Raumes.

Als er sich allein wusste, schob er die Ärmel seiner mit Goldfäden bestickten Robe über die Ellbogen hoch, um die Arme besser bewegen zu können. Das Ritual konnte beginnen.

Kapitel 2. Julia

1.

Auf der anderen Seite der Morgenberge schleppte sich Julia vorwärts. Das Gebirge und den Wald hatte sie vor zwei Tagen verlassen. Sie fühlte sich schmutzig, war hungrig, ausgelaugt. Einfach fertig. Dazu kam, was sie von dieser Welt mitbekommen hatte, war der reinste Horror. Surreal, chaotisch. Zuletzt an diesem Vormittag. Auch jetzt, als die Abenddämmerung sich beruhigend über das Land legte, hatte die Angst sie immer noch im Griff. Die letzten Tage hatten einfach ihr Vorstellungsvermögen überstiegen.

Noch hatte sie gar nicht wahrgenommen, dass sie das Brachland längst hinter sich gelassen hatte und sich nun zwischen Stoppelfeldern dahin mühte. Ein paar Grillen zirpten, als wollten sie dem Sommer ein Abschiedsständchen geben. Als sie den Kopf hob, sah sie das Dorf. Ein paar Häuser nur, eine Mauer außen herum, ein hölzerner Wachtturm am Tor, aber immerhin ein Dorf. Sie riss sich zusammen, verfiel in Trab und eilte erleichtert dem Tor entgegen. Unwillkürlich musste sie über sich selbst lachen, als ihr auffiel, wie sie sogar in ihrer jetzigen Situation brav einen Fuß vor den anderen setzte, die Fußspitzen unbewusst gerade nach vorn gerichtet. Als Kind hatte man ihr eingetrichtert, sie solle auf einen ordentlichen Gang achten. Wenn schon diese Welt nicht funktionierte, wie sie sollte, wollte sie wenigstens ihr eigenes bisschen Ordnung aufrechterhalten!

Die Kerle waren zu viert.

»Seht mal dort! Jetzt rennt sie auch noch. Hat wohl unser Dorf entdeckt.«

»Die Frau ist nicht von hier. Schon auf die große Entfernung sieht sie anders aus.«

»Du hast Recht. Ihr Gang ist unsicher, aber doch anmutiger. Sehr erschöpft scheint sie mir.«

»Und sie ist besser angezogen. Wie die edlen Frauen in den Städten. Feinerer Stoff. Schaut, wie ihr Kleid im Wind flattert!«

Der Größte wandte sein Gesicht dem letzten Sprecher zu.

»Was weißt du schon von den Städten? Du bist doch nie dort gewesen.«

Dann sah er wieder nach draußen, verfolgte die Frau mit seinen Blicken.

»Ja, sie scheint wirklich anders als die Mägde, die sich uns hingeben oder sich zumindest nicht widersetzen. Ich habe Lust auf etwas Frisches, etwas Besonderes. Los jetzt, dann erwischen wir sie noch bei den Büschen vor dem Tor!«

Eilig kletterten die vier die Leitern des Wachtturms hinab und rannten nach draußen. Vor der Mauer schwenkten sie nach links und huschten gebückt zwischen den Büschen der Frau entgegen.

Julia lief ihnen direkt in die Arme. Matt und in einem viel zu dünnen Sommerkleid, dessen Risse ihren Betrachtern nun aus der Nähe reichlich bleiche Haut zeigten, schien sie ihnen das geborene Opfer. Sie hatte ihre Lage noch nicht durchschaut, als sie sie schon an sich drückten, sie begrapschten und sie unvermittelt die Hand des ältesten, des Anführers, zwischen ihren Schenkeln spürte. Ihr Herz raste, sie spürte einen Kloß im Hals und bekam ihn einfach nicht hinunter. Schützend presste sie die Hände über ihren Schoß.

Ihr Peiniger befahl dem jüngsten, oben wieder seinen Posten zu beziehen. Mit dem Zeigefinger auf den Lippen gebot er ihm Schweigen. Andernfalls ..., er fuhr mit ausgestreckten Fingern unterm Kinn von einer Seite zur anderen. Der Junge trollte sich. Die übrigen wussten, was zu tun war. Es war nicht das erste Mal. Zwei standen Schmiere, der dritte machte sich über das Opfer her. Abwechselnd, nacheinander. Nie hatte eine Frau oder ein Mädchen auch nur einen Ton über die Schmach verloren.

Der Anführer war nun mit ihr allein, sah, wie ihr Körper bebte. Mit dem Handrücken streichelte er ihre Wange. Er nahm sich Zeit, ihr das Kleid von der Schulter zu streifen. Der feine Stoff gefiel ihm, wie alle hier trug er selbst nur grob gewirktes Zeug. Ihre Blicke trafen sich und blieben aneinander hängen. Die Furcht in ihren Augen erregte ihn noch mehr, sie gab ihm das köstliche Gefühl von Überlegenheit. Nur ein Augenblick jedoch blieb ihm, seine Vorfreude auszukosten. Flammender Schmerz durchfuhr ihn und presste ihm die Luft aus der Lunge. Er krümmte sich, fiel auf die Knie. Beide Hände fuhren instinktiv in den Schritt, um einen weiteren Angriff ihres Knies abzuwehren, und in der falschen Hoffnung, den Schmerz wegdrücken zu können. Mit offenem Mund sah er überrascht zu ihr auf. Sein Unterbewusstsein weigerte sich zuzugeben, dass sie ihn angegriffen hatte. Immer noch unfähig, Luft zu holen, sah er ihr nach, wie sie flüchtete, schon hundert Schritte von ihm entfernt das Tor durcheilte. Eben noch hatte sie so erschöpft ausgesehen! Sie musste wohl ihre letzten Kräfte eingesetzt haben.

Ihr Angriff hatte sie noch begehrlicher gemacht. Als er wieder atmen konnte, ignorierte er den Schmerz und hastete ihr hinterher. Eilig rief er seine Kumpane zu sich. Sie holten auf, je weiter sie ins Dorf rannten, und weideten sich an ihrer Angst. Die paar Knechte und Mägde, an denen sie vorbeiliefen, hoben die Köpfe und sahen ihnen stumm nach. Niemand wollte sich mit ihnen anlegen. Die drei warfen sich gegenseitig aufmunternde Blicke zu, ihres Erfolges waren sie sich sicher: Gerade war die Frau in eine Koppel gerannt. Eine Sackgasse.

»So ein …«, fluchte der Anführer. Jäh sahen sie sich ihres Vergnügens beraubt, als ein lauter Befehl über den Dorfplatz hallte. Keiner hatte mehr daran gedacht, dass der Bauer penibel auf das Ende der Wachschicht achtete. Wenn er schon seine Knechte zum Wachdienst abstellen musste, gab es Feierabend für sie nach der Wache erst, wenn er sie entlassen hatte. Wutschnaubend und mit geballten Fäusten kehrten die drei um und trotteten ihrem Herrn entgegen.

 

Julia achtete nicht darauf, dass sie sich schon mehrere Fingernägel abgebrochen hatte. Sie beeilte sich, das Brett in der Wand des Unterstandes am Ende der Koppel ganz lose zu rütteln und zwängte sich durch die geschaffene Lücke. Auf der anderen Seite umrundete sie das Haus und überwand hastig den offenen Platz dahinter. Zwar erblickte sie einige Dorfbewohner, wagte aber nicht, sich ihnen anzuvertrauen, sie wollte sich nur verstecken. Für einen Augenblick verlor sie die Orientierung, und nachdem sie den Überblick wiedergewonnen hatte, wandte sie sich zwischen zwei der Häuser. Den Menschen, die sie sah und hörte, ging sie aus dem Weg. Ohne es bemerkt zu haben, gelangte sie zurück in die Nähe des Tores. Daneben entdeckte sie nun ein mögliches Versteck. Sie sah sich nach allen Seiten um, erspähte niemanden und rannte hin. Verfolgte man sie, hatte man sie laufen sehen, ihre Richtung erkannt? Wo waren ihre Peiniger von eben?

Ihr Herz raste, und ihr Atem ging stoßweise. Gern hätte ihre Brust mehr Platz gehabt, sich zu heben und zu senken, aber Julia klemmte zwischen der Mauer und dem Trog fest. Sie saß auf der Erde, die Knie ans Kinn gequetscht, sie hatte sich in die Lücke hineinrutschen lassen. Ihre Schulter brannte. Sie hatte sie sich aufgeschrammt, aber das war jetzt nebensächlich. Ab und zu reckte sie den Hals zur Seite und äugte durch den Spalt, sorgsam war sie darauf bedacht, den Kopf nicht über die Kante zu heben, obwohl ihr Sichtfeld stark eingeschränkt war. Sie musste sich zusammenreißen, ihrem Drang nach mehr Übersicht nicht nachzugeben.

Wenigstens ließen die Tiere sie in Ruhe! Als sie über das niedrige Gatter geklettert war, hatte sie ein paar Ziegen, Schweine und Geflügel verscheucht, die wie sie selbst langsam wieder zu Atem kamen. Sie war froh, dass sich offenbar niemand die Mühe machte, der Unruhe auf den Grund zu gehen. Nun nahm sie sich Zeit, das Umfeld ihrer Zuflucht in Augenschein zu nehmen, soweit es ihre Sicht erlaubte.

2.

Das Fachwerkhaus duckte sich hinter die Mauer aus gebrannten Ziegeln. Scherben aus Glas und die scharfen Bruchstücke zahlreicher Tonkrüge waren in die Mauerkrone eingelassen und machten ein einfaches Überklettern unmöglich. Auch ein Ork hätte ohne Hilfsmittel die Oberkante nicht erreichen und sich hinüberziehen können. Zumal Orks gewöhnlich ihr Schwert in der Hand hielten und ihre restliche Habe in einem über die Schulter geworfenen Beutel trugen. Zudem fügte sich das Anwesen, selbst rundum von jener Mauer geschützt, in die Umfriedung des Wehrdorfes ein und bildete einen Teil des Schutzwalls. Früher waren die Dorfbewohner ohne Furcht ihrem Gewerke nachgegangen, auch wenn sie dafür das Dorf verlassen mussten. In diesem und im letzten Jahr jedoch hatten sie ihre Ernte zitternd eingefahren. Solche Wehrdörfer gab es zuhauf im Land zwischen den Morgenbergen und dem Lafer, dessen Quelle irgendwo nördlich der von Menschen bewohnten Lande lag.

Das Haus selbst war alt und L-förmig. Eine Längsseite nahm der Gastraum ein, das verbleibende Innere war die von dort einsehbare Küche mit gemauerten Kochstellen und einer Feuergrube. Über der hielt ein Küchenjunge einen Bratspieß in Bewegung. Der Platz neben dem Gebäude war zum Dorf hin durch ein Gatter aus roh behauenen Fichtenstämmen begrenzt, an den Hauswänden reihten sich Tröge mit Wasser, Gras und Essenresten aus dem Wirtsraum aneinander. Es roch nach Heu und Dung. Hier war das Kleinvieh untergebracht, das demnächst am Spieß oder in den großen Töpfen zubereitet werden sollte.

Eigentlich hieß das Gasthaus Zur gebratenen Wildsau. Jedermann, der regelmäßig hierher kam, hatte jedoch selten mehr Worte übrig als mitzuteilen, er ginge »zur Sau«. Die Sprache in diesem Land war derb, nicht selten zotig. Der Innenraum des Wirtshauses war zum Dachstuhl hin offen. An den vom Alter gekrümmten Balken und Sparren fanden sich vereinzelt Nester, vor allem Spatzen versuchten, mit ihrem Gezwitscher die Erzählungen und das Lachen unter sich zu übertönen. In Nischen standen große Tische. Die Bänke darum füllten sich nun zur Zeit der Abenddämmerung. Bauern und Handwerker hatten ihr Tagwerk verrichtet und gaben sich dem Wenigen an Vergnügen hin, das ihr Land und ihre Epoche ihnen ließen: dem säuerlichen Apfelwein, der nach einigen Krügen doch lustig machte, und ihren Gesprächen. Oder der Wiederholung von Erzählungen, die reisende Händler aus anderen Ecken des Reiches hierher gebracht hatten. Geraucht wurde nicht, Tabak war unbekannt. Das war gut, denn die Luft war ohnehin zum Schneiden dick.

In der Küche hatten die Mägde alle Hände voll zu tun. Beaufsichtigt und angewiesen wurden sie von der resoluten Frau des Wirts. Die hatte beide Fäuste in die breiten Hüften gestemmt und scheuchte ihr Personal mit lauter Stimme hin und her. In diesem Haus hatte sie die Hosen an. Am Ende des Gastraumes lehnte selbstgefällig der Wirt an einem Pfeiler, da, wo der Raum sich zur Küche hin öffnete. So konnte er beide gut überblicken und hatte auch noch ein Auge auf die Eingangstür. Zufrieden beobachtete er den Zustrom neuer Gäste, die sich ohne Zögern auf die Bänke verteilten oder in Gruppen stehenblieben. Die Mehrzahl waren Männer. Ihre laut erzählten Witze und Geschichten waren derb, die Gesänge schräg und einfältig. Musikinstrumente gab es nicht. Hierher, wo getrunken und geschwitzt wurde, fanden nur sehr wenige Frauen. Und die machten einen robusten, fast männlichen Eindruck. Sie passten hierher.

Der Fremde saß allein in der hintersten Nische, in der Nähe des Pfeilers, an dem der strahlende Wirt lehnte. Er saß am Kreuzungspunkt der Räume und war dort einem Potpourri aus Gerüchen ausgesetzt. Der Wind von der Tür her hatte unterwegs seine Frische verloren, er trug den Geruch der Zecher nach Erde, Schweiß und Alkohol. Von der anderen Seite drängte sich ihm die Küche auf mit ihrem Fett, aufgebrühten Kräutern und säuerlich gewordenen Abfällen.

Obwohl sich an allen Tischen die Gäste drängten, fragte keiner, ob er sich zu ihm setzen dürfe. Ihm war es recht, er gehörte nicht hierher. Er war anders, was sich auch in seiner Kleidung ausdrückte. Er trug nicht die derbe Tracht der Dorfbewohner. Auch nicht die Gewänder aus feinen Stoffen und in bunten Farben, in denen sich die Händler in der benachbarten Nische offenbar wohl fühlten. Die genossen es sichtlich, von den Dörflern bewundert und beneidet zu werden. Er trug Waldläuferkleidung. Seine Schuhe hatten keine Absätze, sondern eine durchgehende derbe Sohle und knöchelhohe Schäfte. Die Hose war aus Leder, die Hosenbeine vorn fester als hinten, am Gesäß ebenfalls. Bestens geeignet für ein Leben draußen, wo die Wildnis sich mühte zu schneiden, zu reißen und zu kratzen. Darüber eine lederne Weste mit aufgesetzten Taschen. Ursprünglich war das Material Wildleder gewesen, die samtige Oberfläche war mit der Zeit durch Fett, Wasser und Erde abgenutzt, glatt und glänzend geworden. Ihn störte das nicht. Im Gegenteil, er freute sich über die Gebrauchsspuren. Sie machten sein Aussehen robuster, weshalb er glaubte, weniger oft angepöbelt zu werden. Vielleicht lag der Grund dafür, dass kaum jemand mit ihm Streit suchte, aber auch darin, dass er die meisten Bewohner Siebenreichs um einen halben Kopf überragte. Unter der Weste trug er ein Hemd aus Leinen. Er hatte es mittags angezogen, als er nur noch eine halbe Meile vom Dorf entfernt war. Sein wärmeres Lederhemd, das er bis dahin getragen hatte, lag zusammengerollt zuoberst in seinem ledernen Tornister neben ihm. Auch durch seine Waffen unterschied er sich. Auf dem Rücken trug er über Kreuz zwei Schwerter in trichterförmigen Scheiden. Die Klingen mit den gebogenen Spitzen Orkschwertern gleich, die Griffe jedoch beinahe eine Elle lang. So waren sie perfekt ausbalanciert. Die Waffen wiesen einen hierzulande unbekannten Handschutz auf, einen einfachen, vom unteren Viertel des Griffs zur Klinge hin breiter werdenden Bügel, der in einer kurzen Parierstange auslief. War er unterwegs, steckten sie in Scheiden rechts und links am Tornister.

Der barg seine gesamte Habe, von der Beute abgesehen, die er vergraben hatte, als das Dorf ins Blickfeld rückte. Die Beute bestand aus Helmen, Brustpanzern und Orkschwertern. In der Stadt oder auch beim Dorfschmied würde er dafür einen guten Preis erzielen, aber er wollte das alles nicht mitschleppen, ohne sich vorher erkundigt zu haben. Eisen war knapp, und man hätte es ihm leicht abnehmen wollen.

»Mein Mann ist im Krieg, die Landsknechte des Königs haben ihn an den Nordwall verschleppt.«

Mit dieser Erklärung hatte die Frau des Schmieds ihm jäh die Aussicht auf ein einträgliches Geschäft genommen.

Mehr Beute hatte er nicht gemacht. Orks und Goblins trugen keine Schätze bei sich, außer gelegentlich die Schamanen ihre manchmal magischen Ringe und Amulette. Aber meist traf man eben auf gemeine Mannschaftsdienstgrade.

Er stocherte mehr in seinem Essen herum, als dass er aß. Er hatte bekommen, was alle aßen: ein Stück Braten, dunkles Brot und zwei fingerdicke Scheiben von dem kräftigen Käse, der nach Ziegenmilch schmeckte. Er war aufgestanden und hatte sich an der protestierenden Wirtin vorbei in die Küche gedrängt und mit einem Becher den Saft vom Spießbraten aufgefangen und über sein Essen gegossen. Sein Fleisch blieb trotzdem kalt. Wenigstens war das Brot nicht mehr so trocken. Er hatte sich den hier üblichen Apfelwein kommen lassen. Der dritte Krug stand vor ihm.

Am Nebentisch hatten sich offensichtlich zwei Händlergruppen kennengelernt.