KISHOU III

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Ein gefundenes Fressen

Oh – verzeiht die kleine Unverhältnismäßigkeit meines Auftretens in dieser Zeit …!“ Habadam stand vor dem Tisch, auf dem sie saß, und war etwas bestürzt, als sich Kishous Augen plötzlich weit öffneten. „Ihr seid nicht nur eine Kishou, sondern auch ein Dompteur! Ich bemerkte es bereits bei eurer Ankunft – ihr tragt seinen Bogen …! – ihr seht besorgt aus!“, unterbrach er sich selbst, als er meinte, dergleichen in Kishous Gesicht zu entdecken.

„Nein, nein – es ist nichts!“, reagierte Kishou … „Oder ich weiß nicht … irgendwas stimmt nicht!“

„Oh, das verhält sich normal – vollkommen normal!“, fand Habadam sofort die Erklärung. „Irgend etwas verhält sich immer unstimmig. Ich kenne keine Zeit, in der alles gestimmt hätte – außer der eurigen natürlich. Nein, das Verhalten einer stimmigen Zeit existiert nicht – zumindest ist dies eine Möglichkeit. ... die Wahrscheinlichste, möchte ich mal spekulieren … Natürlich könnte es auch ganz anders sein! Ich würde euch gern diesbezüglich einige Vorschläge unterbreiten, aber die Hebelaner und die gerade Zugereisten können es nicht erwarten, euer Verhalten zu studieren. Sie sind in diesen Zeiten der versiegenden letzten Wasser sehr ausgehungert und von all zu großem Appetit. Man erwartet euch auf der ‚Streitwiese’!“

„Streitwiese?“, wunderte sich Kishou.

„Ja, darin verhält sich der Ort, an dem wir die Stadt zuerst betraten – ihr erinnert euch? Dort pflegt man den Genuss des Streitens – sofern sich noch ein Verhalten findet, über das sich streiten lässt. Meine werten Sippenangehörigen sind bereits dort – es fehlt gewissermaßen nur noch die Hauptmahlzeit!“, freute sich Habadam sichtlich mit blitzenden Augen.

„Genuss des Streitens … Ich bin `ne Hauptmahlzeit …?“ Kishous Gesicht drückte Zweifel aus ...

„Oh – verzeiht die kleine Unverhältnismäßigkeit meiner Worte. Es ist euch ja vielleicht nicht bekannt … Ich dachte es euch schon erklärt zu haben – es wäre ja immerhin möglich gewesen … Nun – das Volk der Asimielenen ernährt sich vornehmlich von Gedanken. Dazu braucht es natürlich immer neuer Verhaltensmöglichkeiten, um solche ernten zu können – wenn ihr versteht. Zumindest verhält es sich so bezüglich ihrer Hauptnahrungsquelle. Es gibt daneben natürlich noch allerlei andere Möglichkeiten!“

„Was es alles gibt …!“ Kishou schüttelte beruhigt, und nunmehr fast schon amüsiert den Kopf.

„Und äh ... nehmt euren Bogen mit!“, bat Habadam noch. „Er erzählt viel von dem Volk der Afeten. Die Asimielenen kennen sie nur noch aus alten Legenden noch älterer Krypte, und euer Verhältnis gegenüber der Legende ist fruchtbarster Boden für vielerlei Gedanken.

„Ich versuch´s, zu verstehen!“, grinste Kishou, stieg vom Tisch und zog mit routinierter Bewegung die Sehne auf den Bogen …

Boorh, Mo und das untere Squatsch saßen Seite an Seite mit gekreuzten Beinen auf einem hölzernen Podest am Rande des Platzes, wie auf einem Sockel aufgestellte Statuen. Davor war das Chaos, dessen akustischer Ausdruck schon von Weitem zu hören war.

Als nun auch noch Kishou dazu kam, war das Chaos komplett. Was auf dem Boden saß erhob sich und drängte nach besserer Sicht, und alles verrenkte sich die Köpfe. Für einen kleinen Moment brach das Stimmengewirr vollkommen in sich zusammen und eine regelrechte Stille trat ein. Die hatte aber nicht einmal die Zeit eines Atemzuges, bevor sich dann, einer starken Brandung gleich, ein kontrastloser Stimmenteppich darüber legte.

Zum Glück konnten sie das Podest, das direkt an der Grenze eines dichten Waldes aufgebaut war, von hinten besteigen.

Kishou fühlte sich nicht besonders wohl, wie sie da so stand und über die tobende Menge blickte. Habadams Ausdruck der ‚Hauptmahlzeit’ schien ihr nun zutreffend – sie hatte durchaus das Gefühl, aufgefressen zu werden.

Auf die einladende Geste Habadams setzte sie sich neben den anderen, und auch Habadam selbst gesellte sich dazu. „Ihr müsst das hiesige Verhalten verzeihen ...! “, rief er Kishou ins Ohr. „Allein das Verhältnis eures Anblick löst in meinem Volk bereits so viele Fragen und Möglichkeiten einer Antwort aus, dass es ein Fest ist, das erst einmal gefeiert werden will – wenn ihr versteht!“ Habadam selbst schien nicht weniger aufgeregt, wie die knisternden Entladungen um ihn herum verrieten. Er gestikulierte mit weit geöffneten Knopfaugen in Richtung der Menge und meinte. „Dergleichen Verhalten hat noch niemand hier erlebt. Es wird eine Zeit dauern, bis die Möglichkeiten der Art eurer Erscheinung erschöpft sind, und sie euch endlich direkt befragen können!“

Die Masse dort unten geriet zunehmend in Bewegung und überall schienen sich kleine und größere Gruppen zu bilden, die sich aber immer wieder auflösten, um sich in neuen zusammenzufinden. Offenbar debattierte man heftig miteinander, während die Blicke der Einzelnen stetig Kishou und die Chemuren aufsuchten. Krypte, wie die Asimielenen diese kleinen Heftchen nannten, wurden zu Hauf irgendwo her herangeschleppt und durchgeblättert, während man irgendwelche Notizen in seine eigenen machte.

„'tschuldigung Habadam ...! “, rief Kishou nach einer langen Weile, in der sich nichts an der Situation änderte, “... wie lange dauert denn das noch. Ich kann nicht die ganze Zeit hier nur so rumsitzen. Ich hab’ noch nicht mal gefrühstückt. Ich hab Hunger und will auch was von der Oase hier sehen!“

Habadam zeigte sich ehrlich betroffen, das er nicht daran gedacht hatte – ‚obwohl doch immerhin eine große Wahrscheinlichkeit für solcherlei Bedürfnisse bestand’, wie er sofort bemerkte. „Kein Asimiele würde diesen Zustand ertragen können!“, gab er dann auch sofort zu. „Aber ein außerordentlich Interessantes Problem, das einer Lösung bedarf. Wenn ihr euch noch eine kleine Zeit in Geduld üben wolltet? Ich denke, es verhält sich da eine gute Möglichkeit einer Lösung in meinem Kopf!“

Mit diesen Worten erhob er sich, und ließ seinen Blick suchend über die Menge gleiten. Dann schien er etwas entdeckt zu haben. Er stieg vom Podest, und wühlte sich mitten durch die Menge hindurch, die ihm freilich überall respektvoll auswich.

Es war für Kishou nicht schwer, seinen Weg zu verfolgen – er überragte mit seiner schlaksigen und außergewöhnlichen Gestalt seine Landsleute fast um die Hälfte – bis er endlich sein Ziel gefunden zu haben schien. Einen Moment später bewegte er sich wieder eine Weile in eine andere Richtung. Jemand lief offenbar vor ihm her – bis er wiederum zum stehen kam. Bald darauf verließen zwei aus der Menge zusammen mit Habadam das Gewühl am rechten Rande des Platzes und verschwanden im Dickicht der Vegetation.

Die von Habadam angekündigte ,kleine Weile’ schien für Kishou nicht enden zu wollen – als er plötzlich neben ihr auftauchte. Ein Asimiele mit rotem Rauschebart und rundlicher Figur schleppte etwas an ihr vorbei, dass Kishous Augenbrauen hochschnellen ließ. Ein anderer, nicht weniger stattlicher Asimiele, mit seitlich zu Zöpfen geflochtenem Haar, in dem sie den Tolsmoi Driesal wiedererkannte, kam gleich hinterdrein und schaute prüfend zwischen Kishou und diesem ‚Etwas“ hin und her.

Die meinte ihren Augen nicht zu trauen. Dieses ,Etwas’, deren Rückseite sie sah, und das nun ein Stück vor ihr abgestellt wurde, war augenscheinlich eine sitzende Figur, geformt aus Ton oder etwas ähnlichem – und die ihr verdammt bekannt vorkam ...

Der sie abgestellt hatte, hantierte nun mit verschiedenen Werkzeugen unter steten kritischen Blicken auf Kishou an der Vorderseite der Figur herum, während der mit den Zöpfen immer wieder unter gleichen kritischen Blicken auf den arbeitenden einredete. Dann schien man endlich zufrieden zu sein. Mit einem breiten Strahlen im Gesicht drehte der Rotbärtige die Figur zu Kishou.

„Sufus hat einen außerordentlichen Sinn für das Verhalten von Proportionen zueinander und deren Erscheinungen!“, rief nun Habadam ihr ins Ohr, nachdem er sich neben sie gesetzt hatte. „Es wird ein paar neue Gedanken in den Köpfen meines Volkes aufwerfen, wenn nun dieses Abbild von euch statt eurer Selbst hier verbleibt, doch sie werden sich schnell auf die Möglichkeit einigen, dass ihr hier nicht so lange mit spärlichstem Verhalten sitzen könnt!"

Kishou schaute fasziniert auf ihr Abbild, dass ihr bis auf’s Haar zu gleichen schien. „Und was ist mit den anderen?“, fragte sie.

„Kein Problem – der Chemure verhält sich nicht zur Zeit!“, beruhigte er sie.

Was auch immer dieser Satz bedeuten sollte – Mo, Boorh und das Untere Squatsch saßen da, wie eingefroren. Sie waren in jene seltsame Starre verfallen, die für Kishou aus hundertfacher Erfahrung längst schon selbstverständlich war. Insofern brauchte es keiner weiteren Erklärung von Habadam ...

Das für Kishou seltsame Gebaren der Asimielenen hatte durchaus auch ein Gutes. Die Oase war nun wie ausgestorben, und Kishou konnte unter der Begleitung Habadams nach einem ausgiebigen Frühstück ungestört den Ort erkunden.

Er erinnerte mit seinen vielen Türmen und Zinnen zuweilen an Ephral, der Heimstatt Mos in der Zweiten Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms. Was sich dort aber auf einen zentralen Ort der Oase konzentrierte, war hier gewissermaßen verstreut in alle Winde. Überall tauchten im dichten Buschwerk stattliche Besiedlungen auf, mit eng verschachtelten Gassen und zuweilen erstaunlich hoch gebauten Häusern.

Zu ebener Erde konnte man immer wieder durch große, offene Fenster in die Behausungen hineinsehen. Schilder mit Zeichen und Symbolen waren darüber angebracht. In zumeist ausladenden Räumen waren vor allem hohe, mit Krypten vollgepackte Regale zu sehen – in anderen Räumen immer paarweise zusammengestellte Gegenstände, wie Kugeln und Würfel, kleine Figuren von Asimielenen, gepaart mit allerlei Gegenständen, wie Steine, Baumnachbildungen und noch unüberschaubar mehr an anderem, zuweilen seltsamen und schwer zu deutenden Gegenständen.

 

„Das Verhalten Hebelas ist bekannt in der Dritten Ebene des Dritten Tals des Dritten Doms für seine vielen guten Geschäfte!“, referierte Habadam mit weit ausladenden Bewegungen. „Deshalb ist Hebela immer gut besucht von Auswärtigen. Dort drüben zum Beispiel: ,Gundels gedankliche Raritäten’ – sehr gefragt – oder dort!“, er wies mit seinem knorrige Stab auf ein nur ein paar Häuser weiter gelegenes Geschäft: ,Gedanken zum Vorgang des Denkens’. Oder auch hier ...! “ er blickte in das offene große Fenster des Ladens, an dem sie gerade vorübergingen: ,Rüdis Gedankenspiele – Verhalten aller Art’! Ihr werdet in Hebela viele hervorragende Geschäfte finden, wo es sich wahrlich lohnt, seine Gedanken zu tauschen!“, stellte er nicht ohne Stolz fest.

Kishou unterdrückte ihre Befremdung um den scheinbaren Kult von Gedanken. Immerhin wusste sie ja von Habadam, dass der Gedanke für die Asimielenen die Hauptnahrungsquelle darstellte – was für sie schon unverständlich genug war.

Mit einiger Verwunderung bemerkte sie dann irgendwann, dass sie nirgendwo eine Tür fand – oder auch nur eine Fensterscheibe?! Anfänglich dachte sie noch, dass alle Türen und Fenster gerade offen ständen – was schon seltsam genug wäre – aber letztlich musste sie feststellen, dass es sie tatsächlich nicht gab!?

„Der geschlossene Raum kann sich nicht angemessen Verhalten, um seinen Atem zu erneuern!“, erklärte ihr Habadam sofort auf ihre Frage. „Das Verhalten der Winde des Großen Belfelland muß jeden Winkel erreichen können. Es verhält sich wie mit eurem Kopf!“, fügte er sogleich hinzu. „Würdet ihr ihn verschließen, so kämmen keine neuen Gedanken mehr hinein. Wie auch die Winde in einem geschlossenen Raum ohne frischen Atem bald schon von üblem Geruch wäre, so würde sich wohl auch bald der Schimmel über eure Gedanken legen!“

„’n witziges Bild!“, grinste Kishou. „Aber ich mach’ die Türen trotzdem ganz gern mal zu – sonst bekommt man ja niemals Ordnung rein, wenn immer wieder was neues von draußen reinkommt!“, relativierte sie mit ironischem Unterton.

„Ein erstaunlicher Gedanke!“, stellte Habadam überrascht fest. Er war stehengeblieben und strich nachdenklich und mit hochgezogenen Augenbrauen durch seinen langen, weißen Bart ... Die Ironie Kishous war im wohl entgangen „Madame KA meinte auch einmal etwas in dieser Art – wenn ich mich recht erinnere ... Ihr erlaubt, dass ich euren Gedanken in Besitz nehme, um nach Möglichkeiten eines Irrtums eurerseits zu forschen – obgleich ihr es seid, die diesen Gedanken formte! ... Verzeiht diese möglicherweise kleine Unverhältnismäßigkeit euren Gedanken gegenüber!“ Mit diesen Worten setzte er sich wieder in Bewegung.

Als sie gegen Abend zur Heimstatt Habadams zurückkehrten, und der sich für diesen Tag verabschiedete, um mit einigen Fackeln bewaffnet zum ‚Streitplatz zurückzukehren, kletterte Kishou geschickt in einen der Turkelbäume hinein, die sie Tags zuvor vom Balkon des Hauses aus bemerkt hatte, und machte es sich auf einer starken Astgabel bequem. In dem berauschenden Funkeln seiner Blätter, die gleich einem nicht enden wollenden farbigen Feuerwerk die Abendsonne um sie herum reflektierte, ließ sie den Gedanken ihren Lauf.

Einen Moment lang überlegte sie auch, ob sie nicht doch zum ‚Streitplatz’ gehen sollte …

Die Hände auf ihrem kleinen Bäuchlein abgelegt, wäre sie fast dort oben eingeschlafen ...

~*~

Wandlungen der Hyndriden

Tolsmoi?“

„ja!“

„Bemisst du den Vogel da oben?

„Schon eine gute Zeit!“

Sein Verhalten ist ungewöhnlich – was hältst Du davon?“ Der Gefährte des Tolsmoi Rhodes flüsterte fast, als könnte es hier irgendwo unwillkommene Lauscher geben.

Während der gesamte Trupp, eingegraben im Sand, verborgen unter ihren Schildern hockten, lagen der Tolsmoi Rhodes und drei seiner Leute auf einem der Wagen unter Planen und Säcken versteckt, und beobachteten durch die schmale Ritzen zwischen den Stößen der Seitenwände die Singala in allen Richtungen.

„Tolsmoi?“, war noch einmal die Stimme des Fragenden zu hören – nun etwas lauter, weil Rhodes nicht antwortete, und er meinte, dass Rhodes ihn nicht gehört hatte.

„Interessant!“, war nun endlich dessen knappe Antwort. Rhodes war wohl selbst noch zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt, als das er darauf eingehen wollte.

Vögel waren im Land der Asimielenen nichts ungewöhnliches – was jedoch, wie dem Trupp längst schon aufgefallen war, nicht für die Singala galt. Dieser verwunschene Ort wurde ohne Zweifel von den Kreaturen des Droms gemieden. Nichts Lebendiges war ihnen hier bisher begegnet – nicht einmal Spuren davon.

Der Vogel dort oben war entweder nicht besonders groß, oder er war sehr weit entfernt. Gegen das strahlende Blau des Himmels war nicht mehr zu erkennen, als dass es sich eben um einen Vogel handelte. Lediglich sein auftauchen über der Singala – und noch mehr die Tatsache, dass er sich scheinbar für die Lagernden interessierte – warf Fragen auf. Schon eine geraume Zeit schwebte er dort oben in einer weiten Kreisbewegung über ihnen.

„Vielleicht ist es ein Hyndride – ein Späher vielleicht!“, raunte es wieder mit gepresster Stimme unter einer der Planen hervor.

„Vielleicht!“, war wieder nur die knappe und ungedämpfte Antwort Rhodes.

Der Tag war schon um einiges fortgeschritten, und die Sonne stand hoch am Himmel. Die seltsame Erscheinung dort Oben mochte für den einzelnen Asimielen ein höchst willkommenes Ereignis sein. Allein der Umstand, dass sie sich in ihren separaten Löchern hockend nicht darüber austauschen konnten, durfte die Erregung um einiges gedämpft haben. Da sie aus ihren Verstecken heraus bestenfalls den Himmel betrachten konnten, war es wohl mehr als wahrscheinlich, dass sie alle das Phänomen da oben längst bemerkt hatten.

„Er verhält sich sehr ruhig dort oben. Wir könnten versuchen, ihn ...”

„Vergiss es!“, war die klare Botschaft Rhodes an den zu erwartenden Vorschlag, „Wenn es ein Hyndride ist, und er Klarheit über unser Verhalten hier unten haben würde, wäre er längst nicht mehr da. Wenn wir uns aber offen zu ihm Verhalten, und ihn anschließend nicht mit Sicherheit daran hindern können, zu entkommen, haben wir unseren Vorteil verspielt!“

Der Logik konnte sich niemand entziehen, und so wäre wohl wieder eine gespannte Stille eingetreten, wenn sich nicht gerade in diesem Moment die Situation geändert hätte ...

„Er zieht ab!“ rief der, dessen Stimme bislang bemüht war, bestenfalls bis zum Tolsmoi zu gelangen. Es war wohl die Überraschung.

„Ich sehe sein Verhalten!“, antwortete Rhodos ruhig. „Es ist die Richtung, aus der wir kommen. Wenn es ein Späher war, dann dürfen wir die Hyndriden wohl hinter uns erwarten. Lasst also die Krypte in den Taschen und haltet die Augen offen!“

Man rückte sich unter den Planen und Säcken zurecht, um einen guten Blick nach hinten zu haben. Da ihr Wagen mit dem Pflug den hinteren Teil der Formation bildete, und wegen des Pfluges die Rückwand hier fehlte, hatten sie die beste Sicht nach hinten, die sie sich nur wünschen konnten. Die Hyndriden hatten somit immerhin nicht die geringste Chance einer Überraschung ... Zumindest wenn die Annahme zutraf, dass der Vogel ein Späher der Hyndriden war – und dass er nun zu denen zurückkehrte, die seinen Bericht erwarteten ...

Ein fast unmerkliches Rauschen und das entfernte vereinzelte Schlagen von schweren Flügeln ließen Rhodes aufhorchen. Seine Augen suchten unruhig den Himmel ab, aber es war nichts zu sehen. Die Geräusche kamen zweifellos näher, ohne dass sich in ihrem Himmelsausschnitt etwas zeigte. Irritiert schob er die Plane von seinem Kopf und suchte in allen Richtungen. Eigentlich genügte bereits die erste Kopfdrehung, um die Herkunft der Geräusche vor den Augen zu haben.

Für einen Moment verfluchte er sich, wie er so dumm sein konnte, der einfachsten Logik des vorher beobachteten Vogelverhaltens gefolgt zu sein, um auf dessen simple List der falschen Fährtenlegung herein zu fallen ...

Wenn er genügend Zeit gehabt hätte, wäre ihm vielleicht klar geworden, dass seine jetzige Schlussfolgerung nicht weniger falsch sein musste, denn der zeitliche Abstand zwischen dem Abdrehen des ersten Vogels und dem nun folgenden Angriff war viel zu kurz für einen so riesigen Umweg des Spähers. Es war bestenfalls die Zeit, die eine Flucht vor denen benötigte, die nun den Himmel belebten.

Ein großer Schwarm riesiger fliegender und echsenartiger Kreaturen stürzte mit weit geöffneten Rachen und zum greifen bereite mächtige Klauen aus großer Höhe auf sie herab. Selbst Rhodos wäre beinahe der Faszination dieses Anblicks erlegen. Es war wohl nur sein hohes Alter und die Erfahrung, die ihn daran hinderte, lediglich gebannt in den Himmel zu starren.

Es war ihm auch sofort klar, dass jeder von denen, die in den Löchern kauerten, den Angriff schon viel länger verfolgt haben mussten, da sie ja aus ihrer Position nichts anderes als den Himmel sehen konnten. Niemanden von ihnen würde also die nun folgende einzig mögliche Anweisung ihres Tolsmois überraschen – sie konnten nur darauf warten ...

„Die Katapulte!“ Rhodos war mit einem Satz aufgesprungen und brüllte in die Singala hinein. Im selben Moment schon sprang er von der Pritsche. „Unter die Wagen!“, rief er dabei den Gefährten zu, weil er sich nun zu erkennen gegeben hatte, und es auf dem Wagen keine Deckung mehr für sie gab.

Die Schilde rutschten zur Seite, und wie eine Herde aufgescheuchter Maulwürfe sprangen die Asimielenen aus ihren Löchern, um im nächsten Moment an den bereitstehenden Katapulten das Ziel aufzunehmen. Die Hyndriden würden nun wohl feststellen müssen, dass ihr Überraschungsangriff aus der Luft keine sonderliche Überraschung für ihr Ziel war. Sie hatten sich gut vorbereitet ...

Asimielenen waren außergewöhnliche Schützen. Es mochte mit ihrer seltsamen Affinität gegenüber Verhältnismäßigkeiten zusammenhängen. Die Bewegungen von Flugbahnen und das Maß ihres Verhaltens bezogen auf ein Ziel, waren ihnen von daher wohl gewissermaßen in die Wiege gelegt – entsprechend entlud sich im nächsten Moment ein Inferno am Himmel. Dutzende dieser Kreaturen taumelten getroffen, überschlugen sich, und krachten irgendwo in den harten Boden. Nur wenigen von ihnen gelang es, mit der Wucht ihrer Greifer, Verteidiger und Stellungen hinwegzufegen, um darauf sofort ihr Heil in der Flucht vor heranrasenden Drindeln und Pfeilen zu suchen. Der Wagen, unter dem Rhodes Schutz gesucht hatte, wurde samt den Fläcks von einem der Angreifer ein Stück weit in die Luft gerissen und wieder fallen gelassen. Das Monster hatte aber nicht mehr die Zeit sich um die nunmehr freigelegten zu kümmern. Mit vier Speeren im Leib stieg er taumelnd und brüllend in den Himmel auf, um plötzlich wie ein Stein herabzufallen.

Es war ein kurzer Kampf, in dem sich zudem die schwerfälligen Körper der Hyndriden mit ihren großen Schwingen gegenseitig behinderten. Angreifer und flüchtende kollidierten immer wieder in der Luft, und rissen sich gegenseitig zu Boden. und es war letztlich ein weiterer Triumph des alten Tolsmoi Rhodes, der einmal mehr vorführte, wie man ein solches stolzes Alter erreichte.

Aber es war auch nicht die Zeit, Triumphe zu genießen. Die schwer getroffene und leidlich dezimierte Horde der Hyndriden suchte ihr Heil in der Flucht, doch keiner der Asimielenen würde ernsthaft die Möglichkeit in Erwägung ziehen, dass damit der Kampf beendet war.

„Sammelt die Krypte derer, die im Allsein sind!“, rief Rhodes über den Kampfplatz. „Einige von euch sammeln die Speere, Pfeile und Drindeln aus den Körpern der Hyndriden, die dem Verhalten eines Kampfes noch genügen. Und wo sich unter den Hyndriden noch eine Zeit in den Körpern zu der euren Verhält, zeigt ihnen das Allsein!“

Im letzten Satz schwang eine für Rhodes ungewohnte Verachtung mit. Er mochte diese tumben Hyndriden nicht, obwohl er ihnen doch immerhin eine guten Teil seines Ruhmes verdankte. Aber Kreaturen, die lediglich durch körperliche Gewalt brillierten – und sei sie noch so interessant in ihren Spielarten – waren ihm einfach zuwider. „Und vergesst nicht, streng auf das Verhalten eurer Augen zu achten – es soll immer etwas zwischen euch und der Singala sein!“, befahl er weiter. „Alle anderen werden die Wagen zusammenstellen, das sie sich ringförmig zueinander verhalten! Bedeckt eure Gräben wieder mit den Schilden, wie es sich vorher verhielt, und platziert die Katapulte um den Wagenring – Alle anderen Besonderen Apparate zur Abwehr sollen im Innern bei den Wagen liegen. ihr selbst grabt euch im Hof des Wagenrings liegend ein und bedeckt eure Körper mit dem Sand der Singala. Nichts von euch soll sich mehr zu ihr Verhalten!“

 

Die unruhigen, zu Schlitzen zusammengekniffenen Augen Rhodes verrieten die Spannung in seinem Gesicht, die sein voluminöser Bart sonst versteckt hätte. „Und geht davon aus, das sich die Zeit verdammt klein zum nächsten Angriff der Hyndriden verhalten wird!“, setzte er noch einmal lautstark nach.

„Sollen wir darum streiten, was du mit all dem bezweckst? ...”, sprach ihn einer an, “... oder wirst du uns dein Verhalten erklären?

„Meinst du, es wäre jetzt eine Zeit des Streites oder irgendwelcher Erklärungen?“, erwiderte Rhodos in einer wohl eher suggestiven Gegenfrage und dem entsprechenden Blick.

„Nein Tolsmoi!“, hielt der dem Blick seines Anführers stand. „Aber was geschieht mit den Fläcks? – so wie es sich verhalten wird, sind sie ungeschützt!“

„Ja – du hast recht.“, bekannte Rhodes, während seine Augen die sich bereits herauskristallisierende Wagenburg aufsuchten. „Ich denke, dass Verhältnis der Zeit zum nächsten Angriff bietet keine Möglichkeit, die Tiere noch auszuspannen. Und wo sollten sie hin? Das Verhalten der Wagen zueinander müsste noch enger sein – was aber den Hof noch mehr verkleinern würde. Es verhält sich schon bereits jetzt kaum genügend Platz darin!“ Sein Blick suchte wieder sein Gegenüber. „Siehst du die Möglichkeit eines angemessenen Verhaltens das Problem zu lösen – innerhalb des bestehenden Zeitverhältnisses?

„Der Angesprochene schüttelte nachdenklich den Kopf. „Nein – nicht im Verhältnis der Zeit!“.

Rhodes nickte. „Dann geh' an die Arbeit!“, sagte er nur.

Sein Gegenüber nickte ebenfalls, wendete sich um, und verließ Rhodes im Laufschritt.

Jeder Kopf hier suchte wohl nach einer Erklärung für Rhodes Entscheidungen, aber es war in diesem Moment tatsächlich keine Gelegenheit, gemeinsam danach zu suchen.

Dieses Problem war aber zum Glück nicht sehr groß, weil die letzten Geschehnisse eindeutig für Rhodes sprachen. Und tatsächlich zeigte sich einmal mehr dessen Entscheidung fast wie mit den Hyndriden abgesprochen. Die letzten seiner Truppe, die damit beschäftigt waren, die Gefährten mit Sand zu bedecken, gruben sich gerade selbst ein, als Rhodes auf seinem Wagen, wieder versteckt unter einer Plane, durch die Anstöße der Seitenbretter die Staubfahne sichtete, aus der sich schon bald schwarze Punkte herausschälten. Ein erneuter Angriff stand offenbar kurz bevor.

„Sie kommen!“, rief er laut ins Innere der Wagenburg. „Und wie es scheint, dieses mal ganz normal auf ebener Erde mit Reittieren – haltet euch bereit auf mein Zeichen die Katapulte und sonstigen Besonderen Apparate zu besetzen!“

Das war offenbar der Grund, warum Rhodes die Strategie seiner Verteidigung verändert hatte. Nach dem für die Hyndriden erfahrenen Debakel, war kaum damit zu rechnen, dass sie es noch einmal auf die gleiche Weise versuchen würden. Er wusste nicht, wie ihr erneuter Angriff aussehen würde, aber sie sollten wohl annehmen, dieselbe Situation vorzufinden, wie beim ersten Mal mit seinen Streitern unter den Schilden vor der Wagenburg im Sand. Das die Hyndriden auf gewöhnliche Weise, also auf Reittieren daherkamen, enttäuschte ihn fast – bestätigte in ihm aber auch wieder einmal deren offenbare Tumbheit. Für dieses Auftreten hätte es den ganzen Aufwand kaum bedurft.

Die Hyndriden kamen auf ihren Tieren schnell näher, und Rhodes erwartete den kurz bevorstehenden Augenblick, indem sie in die Reichweite ihrer Wurfgeschosse kommen würden. Nur noch wenige Momente, und er würde den Beginn des Kampfes ausrufen ...

Doch dieser Moment blieb ihm versagt.

Bevor die Hyndriden noch die Grenze der Reichweite der Katapulte überschritten, stoppten sie plötzlich ihren Galopp. Die Entfernung war noch immer zu groß, um genau zu erkennen, was dort vor sich ging. Unverkennbar war jedoch, dass sie von ihren Reittieren abstiegen, und sich zusammenrotteten.

Es sah im ersten Moment für Rhodes aus, als wollten sie zu Fuß aufmarschieren. Irritierend war dabei jedoch, dass keinerlei Schilde zu erkennen waren – und ein Angriff in vollkommen offenem Felde, ohne jede Schutzmaßnahme ... soviel Dummheit wollte er nicht einmal den Hyndriden zutrauen.

Mit recht, wie sich gleich darauf abzeichnete.

Was Rhodes Augen wahrzunehmen meinten, schien zu verrückt, als das es tatsächlich wahr sein konnte, aber eine andere Möglichkeit der Interpretation dessen, was er meinte zu sehen, fand er nicht ... Die Körper der Hyndriden wurden undeutlich – ihre Farbe glich sich offenbar der Umgebung an. Sie waren bald nicht mehr zu unterscheiden von dem eintönigen dunkelgelb des allgegenwärtigen Sandes, der die gesamte Singala auszeichnete. Doch das war nur der Anfang – dann begannen sie irgendwie langsam zu zerbröckeln ...

Sie vielen nach und nach auseinander – in sich zusammen. Rhodes Kopf versuchte zu erfassen, was da vor sich ging. Er hat in seiner Zeit schon einige Erfahrungen mit den Hyndriden ansammeln können - aber das hier ließ sich nirgends zuordnen.

Hyndriden konnten in jeder beliebigen Form auftreten, wenn es nur ihrer Masse entsprach, dass war allgemeines Wissen, und nichts, was verwundern konnte – aber es waren hier keine Zusammenhänge ihres Tuns zu erkennen. Warum erst hier diese Wandlung? Was überhaupt für eine Wandlung – in was? Ein großer Haufen Sand, so schien es letztlich, war alles, was von ihnen übrig war …

~*~

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