KISHOU III

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Die Taktik Rhodes

Rhodes stand aufgerichtet auf seinem Wagen inmitten seiner Truppe, und ließ seinen Blick über die Singala streichen. Sie hatten eine Pause gemacht, um ihre staubigen Kehlen zu benetzen. Seine kräftige, aber für einen Asimielen hochgewachsene Gestalt mit kantigen Gesicht drehte sich langsam im Kreise, um in jeder Richtung das zu sehen, was es hier im Übermaß zu sehen gab: Nichts.

Fast war er beunruhigt, dass sie noch immer auf keinerlei Hyndriden gestoßen waren – gab es die hier überhaupt? Man war sich dessen eigentlich absolut sicher – aber warum eigentlich? Wirklich gesehen hatte sie doch noch niemand von ihnen?!

Der Gedanke an ihre Präsenz an diesem Ort war den Asimielenen seit allen Zeiten so selbstverständlich, dass niemand diese vermeintliche Tatsache jemals in Frage gestellt hatte. Ja man spekulierte zuweilen gar, dass sie von hier kamen – hier ihr eigentliches Domizil hatten. Vielleicht stellt sich ja nun aber heraus, dass ...

„Tolsmoi! Der Tag neigt sich dem Ende zu. Sollten wir uns nicht ebenso verhalten und gleich hier den Morgen abwarten, wo wir schon rasten?“, wurde er in seinem Gedankengang von einem seiner Leute unterbrochen.

„Nein, wir verhalten uns zur Nacht marschierend, so gut es möglich ist. Erst dann werden wir lagern!“, antwortete Rhodes mit Bestimmtheit. Er gedachte die Dunkelheit zu nutzen, um so weit wie möglich zu kommen. Hyndriden greifen niemals nachts an – zumindest war das die allgemeine Erfahrung, und noch nie ist ihnen Gegenteiliges bekannt geworden. Wenn sich mögliche Hyndriden in der Singala nun ebenso verhielten, wollte er diesen Umstand nutzen. Er durfte nur nicht vom Kurs abkommen in der Dunkelheit – aber solcherlei Kleinigkeiten gehörten zu den lösbaren Problemen ...

~*~

Ein seltsamer Fund

Die hagere Gestalt Kilaks, des Tolsmoi der Oase Goozl, saß auf einer Kiste seines Wagens und starrte missmutig auf die Furche, die der Pflug hinter seinen Wagen in den lockeren Sand grub, um sich in einer leichten Rechtsbiegung in der Ferne zu verlieren.

Der Tag würde sich bald dem Ende zuneigen, und nichts war es bislang Wert in das Krypt aufgenommen zu werden. Wenn es so weiterginge, gäbe es wohl nichts zu berichten, wenn sie wieder zu ihrer Oase zurückgekehrt waren. Wenigstens das Bruchstück der Heiligen Tafel würde er versuchen, als Trophäe für seinen Trupp vor den anderen zu sichern.

Ungeduldig wendete er sich kurz nach vorn, und blickte in die nichtssagende und trostlose Ferne, die noch vor ihnen lag. Er wendete sich gerade wieder ab – als er stutzte und sein Kopf zurückfuhr ... Seine scharfen Augen hatten für einen Augenblick irgend etwas Ungewöhnliches registriert. Er erhob sich und suchte angestrengt die unendlich scheinende Fläche in der Marschrichtung ab, die sich irgendwann da vorn mit dem Himmel verband ... Dann endlich bemerkte er es wieder. Unweit vor ihnen – etwas rechts vom Kurs gelegen – schien es ihm, als sähe er eine Ansammlung kleiner dunkler Punkte im immer eintönigen Sand.

Vergessen war aller Missmut und die zehrende Langeweile. Er kletterte über Kisten und Säcke hinweg bis an den vorderen Rand seines Wagens, als meinte er, damit einen Vorteil zu gewinnen, und so den Erscheinungen näher zu sein. Es dauerte noch seine Zeit, bis die Punkte nun deutlich als etwas erkennbar waren, was auf keinen Fall hierher gehörte.

Er blickte wieder zurück zur Furche, die ihren Kurs bestimmte. Sie würden beim Einhalten dieses Richtung an der Erscheinung vorbeiziehen ... „Nach rechts!“, brüllte er ohne langes zögern, und seine Arme wiesen in die Richtung der seltsamen Punkte. Er würde schon wieder auf den Kurs zurückfinden. Sein Trupp hätte es ihm nie verzeihen, eine Neuigkeit unbesehen vorübergehen zu lassen – und er sich selbst schon gar nicht.

Die Meute, in ihrer seltsamen Gangart, schwenkte träge nach rechts, und immer mehr von ihnen wagten den Blick nach draußen in die eingeschlagene Richtung. Es musste schließlich einen Grund für diese harte Kurskorrektur geben.

Nachdem es nun tatsächlich etwas gab in dieser tödlichen Einöde, das sich zu ihnen ,verhielt’, löste sich die beschwerliche Gangart mehr und mehr auf, bis man endlich gemeinsam gradlinig auf die seltsamen Erscheinungen zu marschierte.

Nach und nach gewannen die dunklen Punkte Konturen, und zeigten sich endlich als dass, was sie waren: Etwa kopfgroße, gleichmäßig geformte, und wie poliert glänzende Kugeln. Ein ganzes Feld davon lag vor ihnen.

Kilak ließ ein gutes Stück vor ihnen halten und sprang von seinem Gefährt. „Wartet!“, rief er, sich seinen Pfad durch die Menge bahnend. Er gedachte diese seltsamen Objekte zunächst einmal selbst zu inspizieren. Dass von den Kugeln irgendeine Gefahr ausgehen könnte, wollte er nicht annehmen – vollends ausschließen konnte er es aber auch nicht. Eine gewisse Vorsicht war immer geboten.

Er schritt bis dicht an das Kugelfeld heran und ließ seinen Blick darüber schweifen ...

Nichts war erkennbar, dass eine Gefahr signalisierte. Ruhig lagen die Kugeln, wie zufällig verloren, im Sand, und mit nur geringen Abständen zueinander. Alle waren von gleicher blau-violetter Farbe ... Er fragte sich, wo sie wohl herkamen, und warum sie hier waren. Aber es konnte keine Antwort darauf geben – jedenfalls jetzt noch nicht. Ihre Existenz war zu unwirklich in dieser Umgebung – und so, wie sie sich verhielten, gaben sie auf die Schnelle weder eine Auskunft über eine mögliche Ursache ihres Hierseins, noch über eine Wirkung.

Kilak zog sein Krypt aus dem viel zu weiten mantelartigen Umhang, kritzelte hektisch einige Eindrücke und Gedanken hinein – und verstaute es wieder. Langsam beugte er sich nun endlich zu eines dieser Dinger hinunter. Er umfasste das kugelige Gebilde vorsichtig mit den Händen und richtete sich mit ihr auf.

Sie hatte einiges an Gewicht, und sie fühlte sich kühl an – wie er es aus irgendeinem Grunde auch erwartet hatte. Allerdings fühlte sie sich weniger glatt an – wie er es ebenfalls erwartete.

Unruhig tasteten seine Augen über den glänzenden runden Körper. Wenigstens für den gefühlten Widerstand fand sich sogleich eine Erklärung. Die Kugel wies in kurzen, regelmäßigen Abständen kleine Löcher auf – eine Art Perforierung – nicht viel stärker als dünne Nadelstiche.

Fast mit Beruhigung nahm Kilak diese Sonderbarkeit zur Kenntnis. Es machte die Sache komplizierter – warf mehr Fragen auf, als wenn die Kugeln einfach nur glatt und ebenmäßig gewesen wären. Und wo mehr Fragen waren, gab es auch mehr Möglichkeiten einer Antwort ... „Verstaut einige von den Dingern auf die Wagen!“, rief er kurzentschlossen zu seinen Mannen hinüber. „Wir werden sie mitnehmen um ihr Verhalten später zu befragen. Wenn wir sie nach der Rückkehr in unseren Ort lange genug betrachten und darüber streiten, werden wir viele Möglichkeiten ihres Verhaltens finden!“

Eilig rückte der Trupp heran und bestaunte nun ebenfalls den seltsamen Fund. Erste Gedanken wurden eiligst in die Krypte geschrieben, bevor man sich nun endlich daran machte, so viele von ihnen wie möglich auf die Wagen zu hieven. Ihre Anzahl musste aber sehr begrenzt bleiben, weil man mit ihrem beträchtlichen zusätzlichen Gewicht die Fläcks nicht über Gebühr strapazieren durfte. Es lag schließlich noch ein weiter Weg vor ihnen.

Kilak entschloss sich der Einfachheit halber, denselben Weg, den sie abweichend vom Kurs hierher gekommen waren, wieder zurück zu marschieren, um von dort aus die alte Richtung wieder exakt aufnehmen zu können ...

~*~

Ankunft in Hebela

D

ie Sonne meinte es gut mit ihnen, und es sollte noch ein wenig Zeit verbleiben, die Farbenpracht Hebelas bei Licht zu betrachten. Kishou fühlte immer wieder eine tiefe Erleichterung in sich aufkommen, wenn sie eine dieser frischen und lebendigen Horte inmitten der Trostlosigkeit erreichten. Die hohen Mauern und hölzernen Palisaden konnten niemals hoch genug sein, um die überquellende Pracht des Grüns dahinter zu verbergen.

Ihre Ankunft war wohl nicht unbemerkt geblieben, und aus dem weit geöffneten Tor, an dem ihr befestigter Weg endete, strömten ihnen die Bewohner des Ortes in Scharen entgegen. Bald schon schwammen sie mit ihrem Karren in einem Meer von Asimielenen, die ungeheuer erregt schienen und alle durcheinander riefen, dass kein Wort zu verstehen war.

Es war ein anderer Empfang, wie damals der in Zargo – ihrer ersten Begegnung mit einer Oase in der Zweiten Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms. Die Grabenmacher, die jene Oase bewohnen, betrachteten die Ankömmlinge anfänglich wie ein Wunder, und verstummten in Ehrfurcht und Fassungslosigkeit. Auch war es damals eine Zeit, in der Kishou die Schönheit der verschwenderischen Natur, die sie bis dahin schon so lange missen musste, nicht bemerkte. Sie hatte kurz zuvor Tek verloren, und damit das wertvollste, das sie jemals besessen hatte. Hier nun war alles anders. Es war ein brodelndes Meer in dem sie badeten. Die lauten Rufe und das Stimmengewirr waren ohrenbetäubend.

Es war ohne Zweifel eine außergewöhnlich freudige Erregung, die dieses Chaos hervorrief – das war leicht in den Gesichtern der Tobenden zu lesen. Dennoch fühlte sich Kishou verunsichert, schaute immer wieder neben sich zu Habadam und klammerte sich an ihren Bogen, der aufrecht zwischen ihren Schenkeln stand.

Habadam hingegen schien den Auftritt sehr zu genießen, und seine wässrig klaren Augen funkelten erregt. Es dauerte noch eine Zeit, bis sie endlich das Tor passiert hatten, und Kishou wieder einmal für einen Moment meinte, von den satten Düften des prallen Lebens erstickt zu werden.

 

Der Weg endete bald hinter dem Tor auf einem weiten, mit dichtem Gras bewachsenen Feld. Die eigentliche Oase, in der Pracht all ihrer Farben und ihrer schweren grünen Sattheit, begann erst im Anschluss dieser Fläche. Es schien so etwas wie eine stille gemeinsame Übereinkunft unter den Oasen für einen solchen Platz zu geben, denn er fand sich Dromübergreifend bislang noch in jeder Oase, die Kishou betrat.

Habadam erhob sich von der Pritsche – und bald darauf seinen knöchrigen Stab hoch über seinen Kopf. Dennoch dauerte es eine gute Weile, bis sich die Menge endlich beruhigte. Jetzt stierten sie in ihren bunten Gewändern mit großen und weit aufgerissenen Augen stumm auf Kishou – immer wieder auf ihre Gefährten, die sich nun ebenfalls erhoben hatten – und auf kleine Heftchen, die jeder von ihnen in seinen Händen hielt, um zwischen den ruhelosen Blicken auf die Ankömmlinge, irgend etwas dort hinein zu schreiben ...

„Hebelaner und ihr, die ihr gerade von wo auch immer kommend, euch zu diesem Orte verhaltet!“, setzte Habadam an. „In euch verbindet sich das Vergangene mit dem Gegenwärtigen, das Gegenwärtige mit dem Zukünftigen, und das Zukünftige mit dem Vergangenen! Und weil sich das Eine zu dem Anderen verhält, wie sich unsere Fragen zu den Antworten Verhalten, so ist nichts von Bestand im Großen Belfelland. Nicht die Vergangenheit, nicht das Gegenwärtige, und nicht das Zukünftige. So trennt sich alles vom Allsein und findet sich im Großen Belfelland vom Allsein verdrängt.

Und wie sich das Entschiedene des Vergangenen zum Gegenwärtigen Verhält, so fand ich darin die Ankunft Koschus als die Möglichkeit des Künftigen, wenn ihr euch meiner Worte erinnert, und wie ihr sie in euren Krypten aufgehoben findet!“ Er zuckte etwas mit den Schultern. „Der Möglichkeiten des Künftigen sind jedoch so viele, wie sich das Eine zum Anderen vermag zu verhalten. So seht es mir nach, dass meine Bemessungen nicht ganz vollkommen waren!“

Habadam richtete seinen hageren Körper nun so weit auf, wie es ihm nur gelingen konnte, bis er endlich nach einer gut gesetzten Spannungspause proklamierte: „Was sich nun tatsächlich zu euch verhält, ist viel mehr, als ich erwartete. Es ist eine Kishou, deren Magie uns so unbekannt ist, wie die unzähligen Fragen, die sich in uns verflüchtigten, seit die großen Wasser nicht mehr fließen, und uns mehr und mehr das Hoffen – und damit das Verhalten nehmen! Und mit ihr sind jene, die ihr in den unzähligen alten Krypten vergangener Zeiten aufgehoben findet, und die seit allen Zeiten unvergessen und gebunden im Heiligen Dom ruhen!

Habadam schaute musternd in die Runde. „Ich sehe die Fragenden Blicke in euren Gesichtern, und wie ihr in euren Krypten nach den Antworten sucht. Nun – Es sind lang verschollene Teile meiner Selbst – meiner Sippe. Es ist Boorh, der Herrscher über die Ebenen des Ersten und des Zweiten Droms! Es ist Mo, die Beherrscherin der Täler des Ersten und des Zweiten Droms – und in derer Vollkommenheit Sonne und Mond von jeher ihr Spiegelbild finden – und es ist das Untere Squatsch, der mit Boorh die Zweite Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms beherrscht und dessen Macht das Sein vom Allsein verdrängt.

Ein aufgeregtes Gemurmel hob an. Alles blätterte in diesen Kleinen Heftchen oder schrieb irgend etwas hektisch darin hinein – während das Untere Squatsch unauffällig sein Sakko zurechtrückte und versuchte, neben Mo und Boorh etwas größer zu erscheinen.

Habadam musste erneut seinen Stab heben, um sich einigermaßen Ruhe zu verschaffen. „Nehmt nun diese wertvollen Worte, tauscht und teilt sie in den Oasen der Ebene, das jeder in der Dritten Ebene des Dritten Tals des Dritten Droms seinen Gewinn daran hat, und sich sättigen kann!“

Die Reaktion war ein aufbrausendes Stimmengewirr von lauten Rufen und drängenden Asimielen, in denen der Wagen Habadams regelrecht schwamm. In dem aufbrausenden Geschrei war kein Wort zu verstehen, aber Habadam deutete die Reaktion wohl dennoch richtig. Es gelang ihm allerdings trotz allerlei Gebärden nicht, die Massen zu beruhigen. So strich er endlich mit seinem Stab in einer weit ausholenden Bewegung über die Menge, und überall dort, wo seine Geste die Asimielenen erfasste, verstummten die Laute. Bald darauf herrschte vollkommene Stille. Es hatte durchaus etwas unheimliches, weil Münder und Gesten verrieten, dass sie sich eigentlich keinesfalls beruhigt hatten – ihre Stimmen wurden offenbar lediglich von der Luft nicht mehr weitergetragen.

Dieser Umstand und seine offensichtlich magische Ursache führte endlich zum Erfolg. Die Münder schlossen sich und eine echte Ruhe trat ein.

„Wir werden uns noch für eine Zeit zu Hebela verhalten, Niemand wird also etwas versäumen, wenn er die Neuigkeiten in das Drom trägt!“, rief Habadam nun in die Menge. „Verhaltet euch also, wie sich der Asimiele verhält, der reicher an Wissen ist, als der andere!“ Das war augenscheinlich die Information, die den Asimielenen fehlte. Sie fürchteten wohl, etwas zu versäumen, wenn sie Hebela verlassen würden, um die neue Kunde im Drom zu verbreiten.

Die Unruhe brauste wieder auf, und die allgemeine Aufregung konnte größer nicht sein. Alles lief durcheinander. Wagen mit Zugtieren in wachsender Anzahl wühlten sich, Hebela eilig verlassend, durch die Menge, oder am Rande des Platzes an ihnen vorbei, um die ungeheuerlichen Neuigkeiten schnellstens in das gesamte Drom zu tragen. Doch auch ein großer Teil belagerte nach wie vor die Ankömmlinge und bedrängte Kishou und ihre Gefährten mit laut gerufenen Fragen. Es war noch immer unmöglich, auch nur eine von Ihnen zu verstehen, geschweige denn, sie zu beantworten.

Kishou war überfordert. Habadams Worte waren entgegen ihrer bisherigen Erfahrungen mit ihm, alles andere als leicht verstehbar und ein einziges Rätsel für sie. Sie wirkte ziemlich hilflos, wie sie da so neben ihm stand, und irritiert die drängende Menge betrachtete.

„Die Hebelaner werden sich mit einer Menge Fragen zu euch verhalten!“, wandte sich Habadam mit einem verschmitzten Seitenblick an Kishou. Seine kleinen Augen sahen sie mit hochgezogenen Brauen an. „Wie wollt ihr euch dazu verhalten? Wollt ihr gleich darauf antworten, oder wollt ihr lieber zunächst in euer Heim – ihr werdet natürlich bei mir wohnen!“, schlug er vor. „Mein Heim verhält sich nicht weit zu diesem Ort!“

Kishou war mehr als dankbar für diese Auswahl, und entschied sich fraglos für das Heim. Es brach ohnehin der Abend herein, und sie hatte das dringende Bedürfnis, erst einmal zur Ruhe zu kommen.

Mit einiger Mühe gelang es Habadam, den Drängenden Geduld abzuringen, und sie mit ihrer Neugier auf den nächsten Tag zu vertrösten. Langsam bewegte sich der Wagen endlich durch die Menge hindurch, und verschwand dann im Dickicht der Oase.

Boorh hatte kein festes Heim – zumindest wusste Kishou nichts von einem Solchen, und rechnete wohl auch nicht damit. Sie hatte ihn nie danach gefragt. Mo dagegen verfügte über große und ansehnliche Paläste in Kurham und Ephral. Auch Habadam verfügte nun also über eine Wohnstatt – allerdings befand sich eine Solche in jeder Oase des Droms, wie sie auf ihre Nachfrage hin erfuhr. Sie dachte eigentlich, dass Hebela die Heimstatt Habadams wäre – dem war aber nicht so.

Viel mehr als eine Wohnstatt war es dann aber auch tatsächlich nicht. Zumindest unterschied es sich kaum von all den Behausungen, die sie bereits überall auf ihrem kurzen Weg ausmachen konnte – und die, entgegen ihrer Erfahrungen in den Oasen des zweiten Droms, scheinbar willkürlich verstreut und zum Teil sehr dicht beieinander im Buschwerk herumstanden. Hier gab es keine Zäune, keine Hecken, keine Türen, noch sonst irgendwelche Begrenzungen. Mehr oder weniger breite und ausgetretene Wege verbanden die Behausungen miteinander.

Das Heim Habadams taucht irgendwann einfach plötzlich auf – nichts, was es irgendwie angekündigt hätte. Immerhin offenbarte es sich letztlich doch geräumig genug, Kishou und ihren Gefährten ausreichend Platz zu bieten.

Der augenscheinlich wenig genutzte Pfad endete plötzlich in einem schattigen Dickicht – direkt an der Schwelle des Hauses. Glänzend geschliffene Steinplatten zierten den Boden eines kleinen, etwas dämmrigen Vorraumes, in dem eine breite, leicht geschwungene Holztreppe in ein oberes Stockwerk führte. Das Licht, dass ihn erhellte fiel aus drei türlosen Räumen hier hinein, die sich an den Vorraum anschlossen. Genauer gesagt, aus Zwei von Ihnen. Der dritte war erst über einen kleinen Flur zur Rechten erreichbar.

Die geräumige Diele selbst war vollkommen leer und ungenutzt – was man von den angrenzenden Räumen wahrlich nicht sagen konnte. Lichtdurchflutet von großen Fensteröffnungen, bot sich hier ein Bild großer Geschäftigkeit.

Außer kunstvollen Tischen und gepolsterten Stühlen, die man hier finden konnte, und deren Anwesenheit Kishou allein schon aufgrund ihrer Erfahrung mit dem kargen Mobiliar der Wohnstätten im Zweiten Drom überraschten, waren die Wände verstellt mit Regalen, in denen zu Hauf gebundene Schriften, Bücher und Papierrollen lagen und standen. Selbiges fand sich auch ungeordnet auf den Tischen, auf Kisten, und sogar auf den hölzernen Dielen des Fußbodens. Viele Gefäße, Krüge und Figuren standen verteilt ebenfalls in den Regalen, und dienten hin und wieder dem dort Gelagerten als Stütze. Alles war reich verziert, und trug zumeist ähnliche Symbole, wie sie schon auf dem langen Mantel Habadams zu sehen waren. Viele große und kleine Talkleuchtenständer aus filigran geschmiedetem Eisen oder kunstfertig gedrechseltem Holz vervollständigten die etwas chaotisch erscheinende Wohnlichkeit.

Eine etwas kompakte und stattliche Figur erschien plötzlich im Türrahmen und blickte unsicher hinein. Er trug einen mächtigen Bart und lange Zöpfe, und erinnerte Kishou im ersten Moment an Linsilf, dem Führer der Langen Schatten in der Zweiten Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms … „Verzeiht die Unbemessenheit meines Eindringens …“, entschuldigte er sich in Richtung Kishou mit einer Verbeugung. „… aber das allgemeine Verhalten erlaubte es mir bisher noch nicht, bis zu euch vorzudringen!“, wendete er sich nun an Habadam.

„Oh, Driesal!“, wurde er sofort von Habadam erkannt. „Er ist der Tolsmoi dieses Ortes!“, stellte er ihn Kishou vor.

„Ja, ich … ich dachte nur …“, verneigte sich der noch einmal, „Ich dachte nur, das Verhalten Hebelas ist aus den Fugen. Ich … ich sollte wissen, wie es sich im Weiteren verhält, damit ich den Bewohnern Hebelas etwas sagen kann …!“ Er schien sich nicht sonderlich wohl zu fühlen, wie er da so stand zwischen Tür und Angel, versuchte aber dennoch, Haltung zu bewahren.

„Es verhält sich alles zu unserer Zufriedenheit!“, antwortete Habadam. „Ich will dich morgen über unser weiteres Verhalten unterrichten. Bis dahin sorge dafür, dass Kishou ungestört bleibt!“

„Gut … gut, ich werde mich also abwartend verhalten, und auch das Verhalten der Hebelaner in dieser Weise lenken!“, versprach der Tolsmoi nicht sehr glücklich. Er hatte wohl gehofft, wegen seiner hohen Funktion als Tolsmoi nicht erst bis zum nächsten Tag warten zu müssen, um mehr zu erfahren. Wohl etwas enttäuscht zog er wieder ab.

„Ich denke, die oberen Räume verhalten sich zu euch und Mo angemessen!“, wandte sich Habadam nun wieder an Kishou. „Gleich in der Nähe verhält sich ein Zimmermann, ich werde ihn über euer besonderes Verhalten unterrichten. Ich vermute doch, dass ihr es zuweilen vorzieht, das kleinen Allsein aufzusuchen, wie es auch im Vierten Drom, bei den Breenen so üblich ist!“, schmunzelte er.

„Äh ... Ja!“, fiel Kishou nur dazu ein.

Habadam verschwand aus dem Türbogen, und Kishou und Mo stiegen die Treppe in das obere Stockwerk hinauf. Habadams bekundete ,Angemessenheit’ bestand wohl in seinem Wissen, dass Mo in jedem Fall ein eigenes Revier vorzog, in das sie sich zurückziehen konnte. Für Boorh und das Untere Squatsch war es hingegen gleichgültig, wo sie sich befanden. Und Kishou – wohl ohne Frage für Habadam – brauchte auch ihr eigenes Revier. Kam sie doch Mo am nächsten.

Der geräumige Flur am oberen Ende der Treppe zeigte gleich in ihrer Blickrichtung die Eintritte zu zwei weiteren Räumen – und hinter ihnen, gleich gegenüber, fand sich eine großflächige Fensteröffnung mit einem Austritt daneben, der auf eine sehr geräumige und begrünte Veranda führte. Darunter musste wohl irgendwo der Eingang des Hauses liegen.

„Entscheidet, welches der Reviere das eure ist. Mo ist dann für das andere entschieden!“, meinte Mo, in ihrem unnachahmlichen, warmen, aber klaren Ton.

 

„Mir egal!“, reagierte Kishou, und stolzierte einfach in den nächst gelegenem Raum hinein. Er unterschied sich eigentlich kaum von den Unteren. Er war nur offenbar weniger benutzt und entsprechend aufgeräumter. Ein großer, dunkel polierter Holztisch stand in seiner Mitten, auf dem ein mehrarmiger ebenfalls hölzerner Leuchter abgestellt war. Sechs Stühle umgaben den Tisch.

Zur Linken, in der Ecke des Raumes, vor einem hohen, mit Büchern und verzierten Gefäßen vollgestellten Regal, prunkte ein fetter, großer, in samtenen grün gepolsterter schwerer Sessel, mit dicken, wulstigen Armlehnen. Mit dem kleinen Tischchen zu seiner Linken, und einem langstieligen eisernen Leuchter zur Rechten, wo sich auch ein in die Mauern eingelassener Kamin befand, hatte er wahrscheinlich alle Attribute, von denen Kishou in diesem Moment wohl träumte.

Zwei große Fenster und ein Austritt erhellten den Raum mit einem seltsam farbigen Licht. Der Austritt führte auf einen geräumigen Balkon. Er erstreckte sich über die volle Breite der Fassade.

Eine kleine Rasenfläche lag hinter dem Haus, bevor die ungebändigte Natur ihren Raum beanspruchte. Zur Rechten sah man das Dach eines weiteren Hauses durch das Blattwerk der Bäume schimmern – und fast gerade zu, wenn man den Blick nur etwas nach links lenkte, die Ursache des farbig durchwebten Lichtes, das Kishou sofort aufgefallen war. Zwei Turkelbäume erhoben dort ihre mächtigen Kronen. Sie waren etwas versteckt hinter jenen Bäumen, die die Rasenfläche begrenzte, doch ihre Kronen überragten um einiges diese Behinderung. Ihre Blätter funkelten in allen denkbaren Farben, und überfluteten den Ort mit ihren Reflexionen. Das rufen von Vögeln erfüllte die Luft, und von irgendwoher war der unregelmäßige Schlag eines Hammers zu hören.

Kishou lehnte sich über die rustikale, unbearbeitete Brüstung des Balkons und schaute zu den blitzenden Kronen der Turkelbäume hinauf. Sie weckten Erinnerungen. Erinnerungen an schöne und traurige Zeiten. „Es ist wunderschön hier“, sagte sie verträumt fast für sich. „Wie ein richtiges Zuhause!“ Ein feuchter Film überzog ihre großen Augen. „Wenn nur Tek auch hier sein könnte ...” Ihre Worte erstickten.

„Wo ist er denn gerade?“, fragte Mo, die neben ihr stand, und ebenfalls zu den Turkelbäumen hinüber sah.

Kishou schaut auf zu ihr, die erst jetzt ihre Augen auch ihr zuwendete. Die Klarheit ihres Blickes schienen alle Geheimnisse zu öffnen, und blieben doch selbst das größte Geheimnis. Ein fast unmerkliches Lächeln umspielte ihr Gesicht.

Es war nicht wirklich eine Frage, wie sie sofort verstand. Ihre Hand strich zärtlich über ihr kleines Bäuchlein ... „Hier!“, hauchte sie.

„So ist es entschieden!“, nickte Mo langsam.

Kishou schob sich unter Mos weißen Umhang, und schmiegte sich fest an ihren Körper. „Manchmal vergess’ ich's noch“, sagte sie leise.

„Ja!“ Mos Hand strich zärtlich über den Kopf Kishous. So standen sie wohl eine ganze Weile ...

~*~