KISHOU II

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Vermeintlicher Verrat



Die Stämme der Langen Schatten und ihre Fährtensucher übernahmen nun die Führung des Heeres. Rahon hielt mit seinen Stämmen einen guten Abstand zu ihnen, denn von nun an war nicht vorhersehbar, wann sie auf Tek, und damit auf Kishou und ihr Gefolge treffen würden. Die Korks folgten krächzend und gehorsam im geforderten Abstand.



Tek hatte sich nicht bemüht, seine Spuren zu verwischen, oder sonst irgendwie Vorsicht walten zu lassen auf seiner Flucht. Er hatte wohl zu keiner Zeit damit gerechnet, dass man ihm folgen würde, und so war es für die erfahrenen Fährtensucher der Langen Schatten keine besondere Aufgabe, seinen Weg zu finden. Afetiten brauchten ebensowenig wie das Volk der Ky im ersten Drom den Schlaf, oder regelmäßige Ruhepausen. So waren sie an diesem Morgen, als sie das Umland Zargos erreichten, bereits auf der Fährte Teks, und kamen schnell voran.



Ab und an lief Rahon an die Spitze des Heeres zu den Langen Schatten, um sich von dem Erfolg der Fährtensuche zu vergewissern – und um möglichst den Zeitpunkt nicht zu verpassen, wenn sie auf ihr Ziel stoßen würden. Er brauchte auf jeden Fall einen Spielraum, um reagieren zu können, wenn sie Kishou vernichtet hatten, und der Pakt damit aufgehoben sein würde.



Er ließ seinen Blick über den Horizont wandern. Immerhin gab es nun eine Erklärung für den Verrat Teks. Er hatte sich offenbar ohne die Kenntnis der Grabenmacher mit diesem Wesen, dass Suäl Graal mit Kishou bezeichnete, verbündet, um mit ihr das Volk der Afetiten dem Allsein zuzuführen. Er dachte nach, woher wohl Tek Kenntnis von diesem Wesen bekommen haben könnte. Nicht einmal seine engsten Vertrauten hatten offenbar etwas von seinem Erscheinen bemerkt. Wie hatte er unbemerkt Kontakt aufnehmen können? – Woher wusste er von von diesem Wesen? Niemand hatte jemals den Namen vernommen, noch überhaupt von etwas Fremden gehört, das in die Zweite Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms eingedrungen war.



Das Untere Squatsch! – schoss es ihm endlich durch den Kopf ... Das Untere Squatsch war zuweilen in Zargo. Seit dem letzten Mal waren schon unzählige Zeiten vergangen. Aber Tek hatte schon eine Zeit – und er war bereits ein Dompteur. Ein Dompteur ist ein Dompteur bereits dann, wenn er sich vom Allsein trennt – ging es ihm durch den Kopf. Niemand kann mehr genau sagen, welche Fähigkeiten ein Dompteur außer den allgemein bekannten hat. Der Verrat musste von sehr langer Hand vorbereitet gewesen sein – und es hatte niemand jemals etwas bemerkt ... Er schüttelte mit dem Kopf bei dieser Feststellung. Niemand hat es über die ganze Zeit bemerkt. Auch dem Unteren Squatsch hatte man niemals etwas angesehen – dieses kleine, dickliche Wesen, das immer schimpfte und immer darauf bestand, er sei der Herr dieses Droms ...



Rahon schüttelte zum wiederholten Male sein Haupt. Er schien immer so harmlos. Niemand nahm ihn ernst, und man lachte gern über ihn. Seine Stirn zog sich in Falten. Tatsächlich weisen die Legenden das Untere Squatsch als den Herrscher über die Zweite Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms aus – aber es sind eben doch nur Legenden, fiel im sogleich ein. Die Erscheinung und die tatsächliche Machtlosigkeit des kleinen schwitzenden Männleins gaben nun vielleicht eine andere Auskunft über ihn, als eine, die ihn als Herrscher auswies. ... Oder sollte man ihn unterschätzt haben, und er versucht sich nun zu rächen ...



Aber hoch über allen Fragwürdigkeiten stand das Rätsel: Was mochte es für ein Wesen sein, das eine allmächtige Suäl Graal veranlasste ein ganzes Heer gegen sie aufzustellen. Wer oder was war Kishou?





~*~







Fragen



„Au ...!“ Kishou war mit dem Fuß gegen die fast versteinerte Wulst einer alten Wurzel gestoßen, die unter einem Teppich, hohen, trockenen Grases aus dem Boden ragte. Auf einem Bein hüpfend massierte sie ihre schmerzenden Zehen.



„Nichts passiert! Nichts passiert!“, winkte das Untere Squatsch gestikulierend ab, während er eilig zu Kishou aufschloss. „Nur eine kleine Revierverletzung in der Vollkommenheit eurer Verdrängung. Nichts passiert! – Aber wenn ihr so entscheidet werde ich ...!“



„Danke, ist schon gut!“, wehrte Kishou ab, als das Untere Squatsch sich an ihrem Bein zu schaffen machen wollte. Mit dem Versuch eines Lächelns stellte sie den Fuß wieder auf den Boden. „Es ist so schön, wenn der Schmerz nachlässt!“ Es war tatsächlich nicht weiter schlimm, und nach einigen etwas gehumpelten Schritten war die Sache schon wieder vergessen.



Durch die ausgedehnte, zundertrockene Graslandschaft, war das Fortkommen etwas mühselig. Immer musste man seine Beine über die dicken und festen Grasnaben heben. Das Untere Squatsch, dass nun wieder einige Schritte hinter Kishou lief, nahm die Gelegenheit des Vorfalls zum willkommenen Anlass, guten Gewissens und in ,angemessenen Verdrängungen vom Allsein’, über die beschwerlichen Umstände des Marsches die ganze Zeit über leise vor sich her zu schimpfen. Er hatte ja aufgrund seiner Körpermaße auch die größte Mühe mit dem dichten und spröden Bewuchs. In einem Zick-Zack Kurs lief er durch die kahlen Stellen zwischen den Grasnaben hindurch, wie durch ein nicht enden wollendes Labyrinth. Unweit zur linken war die Landschaft hügeliger, und man konnte ausgedehnte Wälder erkennen, wenn man genau hinsah. Bald würden sie einen dieser Berge erreichen, die unaufhörlich dicke Rauchsäulen aus ihren Gipfeln schoben. Er lag fast in ihrer Marschrichtung, und sie würden wohl an seinen Ausläufern vorbeikommen.



„Wieso gibt es hier eigentlich keinen Wind?!“, fragte Kishou laut nach Vorn zu Mo und Boorh. Sie beobachtete schon die ganze Zeit diese Rauchsäulen, bis ihr endlich auffiel, dass sie immerzu den direktesten Weg in den Himmel nahmen. „Ich hab’ eigentlich noch nie einen richtigen Wind verspürt, seit wir unterwegs sind – im ersten Drom auch schon nicht!?“



„Der Wind ist verdrängt vom Allsein im Dritten Drom!“, antwortete Mo.



„Im Dritten Drom?“



„So ist es entschieden!“, war wieder Mos knappe Antwort.



„Wieso erst im Dritten Drom?“, fragte Kishou verwundert. „Was hat denn das Drom mit dem Wind zu tun?“



„Madame KA sagt, der Wind ist der Atem dem Großen Belfellands.“



„Na schön ...!“, meinte Kishou schulterzuckend, aber wieso ist dann hier kein Wind. Wir sind doch hier auch im Großen Belfelland – oder wo?!“



„Es ist entschieden, dass Große Belfelland atmet, wenn die Grenze des Zweiten Droms überschritten, und das Dritte Drom das Allsein verdrängt!“



Kishous Stirn zog sich in Falten, und sie schüttelte verständnislos den Kopf. „Das soll nun wieder einer verstehen ... Manchmal hab’ ich das Gefühl, das Große Belfelland gibt’s gar nicht wirklich. Es ist einfach nur alles ein einziges großes Rätsel!“



Mo schaute sich zu ihr um, und ein kleines Lächeln lag in ihrem Gesicht. Sie wartete, bis Kishou zu ihr aufgeschlossen hatte. "Seid ihr nicht gekommen, es zu lösen?", sagte sie, und legte ihr weißes Gewand um die Schulter Kishous. So gingen sie gemeinsam weiter. Kishou spürte einen warmen Schauer durch ihren Körper gleiten. Sie erinnerte sich an Trautel Melanchful, an ihren bunten, großen Garten ... und an ihr kleines Bäuchlein, das sich gerade sehr wohl fühlte. „Wir bleiben doch immer zusammen – oder?!“, fragte sie leise, und reckte ihren schwarzen Schopf fragend nach oben zu Mo.



„So ist es entschieden!“, lächelte sie.







~*~






Gebotene Distanz




Tek warf seinen Spaten hinunter, und sprang dann selbst von dem letzten Ast des alten Baumes, der sich als stark genug erwies, sein Gewicht zu tragen. Er war glücklicherweise recht klein und nicht besonders schwer, so das er einen Baum fand, den er ein Stück weit erklimmen konnte. Von dort oben hatte er die weite, kahle Steppe einigermaßen gut übersehen können.



Seit dieses wunderliche Wesen mit ihren Gefährten das Ufer des ehemaligen Sees dort, wo der Wald endete, verlassen hatte, und nun mit ihnen Land einwärts lief, konnte er nicht mehr folgen, ohne Gefahr zu laufen, bemerkt zu werden. Es gab in dieser öden Weite keine Deckungsmöglichkeiten So musste er ausharren, bis sie sich weit genug entfernt hatten. Er hatte aus sicherer Entfernung mit angesehen, wie die Sechsfüßler über das Land brachen, und die seltsamen Wesen direkt in sie hineingerieten. Es verging eine ganze Weile, bis sich die Staubwolke wieder gelegt hatte. Ungläubig erkannte er vier kleine Punkte, die sich noch immer in der selben Richtung bewegten. Was mochten das für Wesen sein, die den Ansturm tausender großer Sechsfüßler widerstanden?



Tek war ein Dompteur – und er spürte immer deutlicher, dass er der Ursache seines Seins begegnet war. So, wie alles im Großen Belfelland nicht ohne Ursache war, so konnte auch sein Erscheinen in dieser Welt nicht ohne Ursache sein – er verstand sie nur noch nicht. Er verstand noch nicht, was dieses Wesen von ihm forderte, ... und ob er sich zu erkennen geben durfte.



Er nahm seinen Bogen auf, den er vor dem Baum abgelegt hatte, und begab sich hinaus in die Steppe. Von hier unten konnte er sie nicht mehr sehen, aber er wusste in welche Richtung er zu gehen hatte – und er wusste, dass er sie nicht verlieren durfte. Etwas geduckt lief er durch die offene Ebene, und folgte gradlinig den Weg, den auch die anderen genommen hatten.



Als er schon eine Weile den Ort überschritten hatte, an dem die Gruppe von den Sechsfüßlern überrollt wurde, stockte er. Es war das Gespür des Dompteurs, der ihm Einhalt gebot.



Seine Augen musterten konzentriert den Boden in seiner näheren Umgebung. Sein Körper fror ein und seine Muskeln spannten sich. Langsam zog er seinen Spinschuh von der Schulter und streifte ihn über die rechte Hand. Er wusste, dass er in das Revier eines Rjuchhu eingedrungen war. Tek war noch sehr jung, aber der Instinkt eines Dompteurs ist keine Frage des Alters.

 



Das Rjuchhu würde auch ihn in diesem Moment spüren. Sie wussten beide voneinander in dem selben Moment, als ihre Reviere aufeinandertrafen. Er hatte den Ort bereits ausgemacht, unter dessen Boden sich, knapp unter der Oberfläche, das Rjuchhu verbarg. Er musste schon sehr lange dort lauern, denn die Erde unterschied sich kaum noch von seinem Umfeld. Nur das Gespür eines Dompteurs sah noch den feinen Unterschied.



Etwas in Tek schreckte plötzlich auf, und riss ihn aus jener konzentrierten Trance, mit der sich der Dompteur auf den Kampf vorbereitet. Wie von einem unsichtbarem Seil gezogen, bewegte er sich langsam Rückwärts.



Er hatte das Revier des Rjuchhu wieder verlassen und blickte zum Horizont, der in der Entfernung von einem Feuerberg unterbrochen wurde. Er durfte keine Zeit verlieren, und er durfte vor allem nicht Gefahr laufen, auf sich aufmerksam zu machen. Es war nicht die Zeit für einen Kampf mit dem Rjuchhu. Langsam entspannte sich sein Körper wieder. Er zog den Spinschuh von seiner Hand und wendete sich entschlossen ab. Er umging das Revier des Rjuchhu, wie es zuvor auch Mo getan hatte. Geduckt nahm er die Verfolgung wieder auf.






~*~






Kurluk



Kishou, Mo, Boorh und das Untere Squatsch hatten die ersten Ausläufer des Feuerbergs erreicht. Der Weg wurde steiniger und stieg langsam an. Vereinzelt standen verkrüppelte Baumskelette herum, und kündeten von dem zur Linken, in der Entfernung sichtbar beginnenden Wald. Die Erde war über und über bedeckt mit großen und kleinen Felsbrocken. Sie waren zum Teil sehr zerklüftet, porös und von dunkler Farbe. Viele von ihnen waren stark abgerundet und regelrecht zu Kugeln geformt. Sie mochten einst vom Berg heruntergerollt, und sich abgeschliffen haben.



Kishou starrte fasziniert zum Gipfel des Berges, der ihr erschien, wie ein überdimensionaler Schornstein. Sie betrachtete die schwarze, säulenförmige Rauchwolke, wie sie die Strahlen der Sonne zerschnitt, und einen langen Schatten über das Land warf – als ihr Mos Arm, in dem sie noch immer eingehakt neben ihr lief, entglitt.



Mo war plötzlich stehengeblieben, und schien auf irgend etwas konzentriert. Kishou schaute um sich. Sie erwartete, dass Mo wieder einmal die Richtung wechseln würde, was immerhin seit ihrem Zusammentreffen mit dem Rjuchhu nicht mehr geschehen war. Doch Mo machte keine Anstalten, den Marsch in irgendeiner Richtung fortzusetzen. Ihr Kopf wendete sich langsam nach links, und ihre Augen bestrichen aufmerksam das grobe Umland.



„Was ist denn?“, fragte Kishou etwas besorgt.



„Es ist eine Grenze überschritten!“, antwortete Mo abwesend, während ihre Augen weiter die Umgebung zu ihrer Linken abtasteten.



„Eine Grenze?!“, erschrak Kishou, „Suäl Graal? ... ich seh’ nix – auch keine Pyramiden ...!“ Sie drehte sich aufgeregt im Kreise und suchte nach den möglichen Boten des Unheils. In dem Schreck vergaß sie ganz und gar, dass auch jedes Revier sich in einer Grenze bemaß – wie sie es bei den Knüppelhörnern ja bereits erfahren hatte.



„Es ist ein Sein, dessen Raum eine große Zeit bemisst. Wir haben bereits die Grenzen seines Reviers überschritten!“, sagte Mo ohne von ihrer Konzentration abzulassen.



„Aber ich seh’ nichts!“, stellte Kishou nervös fest, und begab sich vorsichtshalber in die Nähe Boorhs. „Vielleicht wieder unter der Erde ... Ein Rjuchhu!“, kam es ihr in den Sinn.



Mo schüttelte langsam den Kopf. „Kein Rjuchhu verdrängt hier das Allsein. Doch es ist in der Erde entschieden!“



„Der Feuerberg!“, blitzte es plötzlich im Unteren Squatsch laut auf. „Ja ... ja – der Feuerberg! Kann schon sein ... Wenn ich ihn so vom Allsein verdränge?! ... Kann schon sein ... Verzeiht meine Unbemessenheit ...!“, wendete er sich kurz an Kishou. „Aber dieser Ort ... dieser Feuerberg hier ...!“



„Kurluk!“, fiel es wie ein Donner aus Boorh heraus, und sein Mund wollte sich nicht mehr schließen. Seine Augen waren weit aufgerissen, und er begann aufgeregt hin und her zu laufen – kniete sich auf den Boden und betastete ihn, als würde er den Gesuchten darunter spüren können.



Mos Arm streckte sich, und wies in die Richtung, die ihre Augen schon eine Weile fixierten. Alle Blicke folgten ihrem Hinweis. Unscheinbar, doch bei näherer Betrachtung dennoch erkennbar, wies der flache Boden dort eine seichte Vertiefung auf – als wäre im Laufe vieler Zeiten eine Lockere Erde unter ihrem Gewicht etwas abgesunken, bevor sie sich wieder verhärtet hatte.



„Kurluk!“, brüllte Boorh, und war schon auf dem Weg. Noch im Laufen riss er seine Axt aus dem Schulterhalfter, und schon nach wenigen Schritten war er am Ort. Mit einem wahren Urschrei trieb er die Klinge seiner Axt in den harten Boden, dass die festen Erdbrocken nur so auseinander stoben. „Kurluk!“, brüllte er immer wieder um seine Axt erneut in den Boden zu schlagen.



„Da sehr ihr’s – Da seht ihr’s ...!“ Das untere Squatsch wiegte auf dem kurzen Hals sein kugeliges Haupt bezeichnend hin und her. „Ein großes Borstenvieh mit dem Hirn eines ,Kleinen Sechsfüßlers’ ... will mit einer kleinen Axt ... Das Bartgesicht meint tatsächlich Kurluk aus den Tiefen des Allsein einfach so ausgraben zu können! – Und wenn ich ,Tiefen’ sage, dann meine ich ,Tiefen’! Dieser Schlankfüßler ... Oh – oh, verzeiht meine kleine Unbemessene Verdrängung!“, wendete er sich mit großen entschuldigenden Augen an Kishou. „Aber wenn ihr so entscheiden wollt, sagt doch diesem ... Boorh, dass er damit aufhören ... das er damit aufhören soll!“



Kishou wusste die ganze Situation nicht so recht einzuschätzen. Aber irgendwie tat ihr Boorh Leid, wie er da wie ein Besessener die Erde aufwühlte. Das, was dort unten irgendwo begraben war, musste ihm wohl sehr viel bedeuten. „Boorh!“, rief sie so laut sie konnte.



Boorhs Axt stoppte im Schwung über seinem Kopf, und ein fast ängstliches Augenpaar schaute zu Kishou hinüber.



„Warte ein Moment!“, rief sie dem Tobenden zu. „Das Untere Squatsch hilft dir!“ Sie hatte zwar nicht die geringste Ahnung, wie das aussehen sollte, aber sie hatte ja inzwischen verstanden, dass Boorh das Untere Squatsch brauchte, wenn es um wirklich große Sachen ging – und das musste hier wohl so etwas sein.



Das Untere Squatsch schien gerade etwas gewachsen zu sein und nickte mit einem kleinen Seitenblick großmütig und verständig zu Kishou. „Na dann woll’n wir mal – dann woll’n wir mal!“, sagte er, und watschelte mit wichtigem Gang zum Rand des ausgemachten Ortes. Dort angekommen drehte er sich noch einmal lächelnd und nickend zu Kishou um. Endlich wandte er sich wieder Boorh zu, und seine Augen schlossen sich. Augenblicke später begann wieder das seltsame Schauspiel, das Kishou immer wieder auf’s Neue faszinierte.



Das Untere Squatsch verlor zunehmend seine Konturen und verblasste im selben Maße zu einer durchscheinenden klumpigen Wolke. Kurz darauf begann diese Wolke mit zunehmenden Tempo um einen Mittelpunkt zu rotieren, und bald sah es wieder so aus, als würden Tausende kleinster Insekten ihre Bahn um einen glutroten Ball in seinem Mittelpunkt aufnehmen, der schnell an Helligkeit gewann – bis sein weißblau gleißendes Licht es nicht mehr zuließ, es länger zu betrachten. Eine Sonne war geboren.



Im selben Maße veränderte sich der Ausdruck Boorhs. Sein erschrockener Blick löste sich zugunsten einer ausdruckslosen Verklärtheit. Sein Körper entspannte sich zusehends, und wie in einem Zeitraffer schob er seine Axt in den Schulterhalfter zurück um anschließend mit leicht geöffneten Beinen die Arme seitlich weit von sich zu strecken.



Das weitere Geschehen ließen Kishous Augen und Mund weit offen stehen. Eine Glocke aus flirrender Luft legte sich über den Ort des Geschehens. Eine Art kreiselnder Rüssel bildete sich an ihrem höchsten Punkt, der aber bald schon begann auf ihrer Hülle hin und her zu gleiten – begleitet von fließenden Farben auf dem Rand der bläulichen Glocke – wie das Farbenspiel auf der Haut einer Seifenblase.



Der sich schnell verjüngende Rüssel veränderte seine Form und Position ständig und scheinbar willkürlich, und fand sein Ende in der rotierenden Wolke von dem, was kurz vorher noch das Untere Squatsch war. Aber das war nicht wirklich zu erkennen, weil der gleißend helle Kern nicht zuließ, es zu betrachten.



Als würde unter der wabernden Hülle eine andere Zeit herrschen, kippte Boorh plötzlich wie in gedehnter Zeit nach hinten und schlug wie ein gefällter Baum auf der Erde auf. Sein Körper sprang nach dem ersten Aufprall noch einmal ein kleines Stück in die Höhe, um dann endlich liegend zur Ruhe zu kommen. Kishou kniff unwillkürlich die Augen zusammen, als der Körper in seiner vollen Fläche auf den Boden aufschlug. Es verlief alles zwar unwirklich langsam, aber dennoch war die Härte des Aufschlags spürbar.



Boorh indes schien von alle dem nichts zu bemerken. Seine ausdrucklosen Augen waren starr geradeaus gerichtet, als seine Arme sich langsam nach oben bewegten, um sich mit zu Fäusten geballten Händen gegen den Himmel zu strecken. Die Decke der Hülle über ihm bekam rötlich-blaue Flecken und wurde zuweilen fast undurchsichtig – als diese Flecken plötzlich ineinander in einem Punkt verschwammen und ein gleißender Blitz aus ihnen herab fuhr, und Boorhs Fäuste umhüllten. Ein dickes, waberndes Tau aus Licht verband seine Fäuste mit der Hülle der flirrenden Blase. Das Licht begann langsam an seinen mächtigen Armen herabzufließen, wie die Lava vom Gipfel eines Vulkans. Die Arme begannen zu zittern. Boorhs Mund öffnete sich und er schrie ohne das der kleinste Laut seinen Mund verlassen sollte. Dann rissen plötzlich seine Arme auseinander und teilten das Tau aus Licht in zwei Hälften.



Kishou spürte, wie der Boden erzitterte, als die brennenden Fäuste Boorhs lautlos in den Boden einschlugen.






~*~






Unheimliche Begegnung



Teks Herz schlug bis zum Hals. Was seine Augen sahen, übertraf alles, was er sich hätte vorstellen können. Er war die ganze Zeit sehr schnell gelaufen, um wieder den Anschluss zu finden – bevor die fremden Wesen vielleicht in einen Wald verschwinden würden.



Er holte sie schneller ein, als er erwartet hatte, und verfolgte nun, kaum einen Steinwurf weit entfernt und versteckt hinter einem Felsen, das unwirkliche Schauspiel. Dabei sprang sein Blick unaufhörlich hin und her – zwischen dem Geschehen um den am Boden liegenden Hünen, und diesem seltsamen, kleinen Wesen, bei deren Anblick seine Pupillen zu flackern begannen – unschlüssig, ob sie sich vor ihrer Erscheinung schützen sollten oder nicht. Er spürte ein fast schon quälendes Gefühl, sie in Besitz nehmen zu müssen. Es schien ihm gleichsam die Forderung dieses wunderlichen Wesens, dem er sich nicht entziehen durfte – aber es war nicht wirklich eine Bedrohung. Es war etwas anderes. Etwas das er nicht einzuschätzen vermochte. Noch nie war er der Fremden so Nahe gewesen, und jetzt, so schien es ihm, war sie noch viel zu weit weg. Er vergaß fast alle Vorsicht, und sprang von Deckung zu Deckung, um dichter heran zu kommen an das überwältigende Geschehen – und an dieses Wesen, das aus irgendeinem Grunde ihm gehörte ...



Die Erde erzitterte, als die Fäuste des auf dem Boden liegenden plötzlich in die Erde schlugen. Der Fels, hinter dem sich Tek verbarg stand nicht sehr stabil, und kippte langsam nach hinten. Mit einem Satz sprang er aus der bedrohlichen Lage hinter den nächsten Stein, der sich ihm bot.



Als er hinter seiner neuen Deckung hervorlugte, sah er, wie die Erde unter dem am Boden Liegenden langsam aufbrach. Ein grollendes Donnern erfüllte die Luft. Das kleinere Wesen, dessen Anblick ihn so fesselte, lief nun hinüber zu dem großen Wesen mit dem langen weißen Gewand, und ergriff dessen Arm. Dann erzitterte die Erde erneut und bäumte sich unter dem am Boden Liegenden einige Male etwas auf, bis sie sich endgültig unter ihm erhob und zu einem Hügel anwuchs.



Kleine und große feste Erdklumpen, Gestein und kleine Felsbrocken brachen aus dem Hügel heraus und rollten herab. Tek vernahm ein Brüllen, wie er es noch nie zuvor gehört hatte, und das von diesem, auf der Spitze der Erdaufschüttung liegenden Wesen zu kommen schien. Dann war da plötzlich noch ein zweites Brüllen – noch markerschütternder. Er hatte keinen Vergleich für diesen dunklen, alles zermürbenden Laut – und dann erkannte er dessen Ursprung.



Das riesige, weit aufgerissene Maul eines Monsters schälte sich aus dem Berg heraus, der nun keiner mehr war. Je zwei ungeheur große Zähne staken wie aufgepflanzte Krummdolche in seinem oberen und unteren Kiefer, die auch bei geschlossenem Maul nicht darin verschwanden, sondern sich kreuzend vor das Maul legten. Mehr und mehr schälte sich das Untier aus den Erdmassen heraus, bis es endlich in seiner ganzen Wucht überschaubar war.

 



Ein Dompteur versteht seine Furcht zu beherrschen, doch dieser Anblick verlangte selbst von einem Solchen sehr viel. Der voluminöse Kopf des Monsters saß auf einem sehr kurzen und dicken Hal