KISHOU II

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Die Afetiten mieden normalerweise einen Marsch durch die Nacht – nicht zuletzt schon der Rjuchhus wegen. Aber die Dringlichkeit des Auftrages ließ das Abwarten des nächsten Tages nicht zu.

Bald schon setzte sich der lange Treck in Bewegung. Voran die Grabenmacher – mit etwas Abstand die Langen Schatten – und mit einem ordentlichen Abstand das Heer der Korks, wie Rahon es ihnen befohlen hatte. In der Bewegung war ihr Krächzen nicht abzustellen – aber das war sicherlich nicht der entscheidende Grund, sie auf diese Distanz zu halten.

~

Unlösbares Rätsel

Das dunkle Vlies der Nacht legte sich über das Drom, und die Fackeln loderten auf. Ihr trockener Zunder zog überall eine Spur glimmenden Goldregens hinter sich her. Wie ein leuchtender Wurm schlängelte sich das lange Band des ungleichen Trupps durch die Hügel der kargen Landschaft.

Die Langen Schatten hatten die besten Fährtensucher. Sie waren seit Urzeiten, als man noch nach anderem jagte als nach Grabenmachern, legendär unter den Afetiten. Sie würden Tek finden – und mit ihm Kishou, daran gab es keinen Zweifel.

Rahon versuchte sich die Macht eines einzelnen Wesens vorzustellen, das eines solchen Kampfheeres bedurfte, um vernichtet zu werden. Er erinnerte sich an die alten Legenden, die vom Kampf der Afeten gegen Suäl Graal erzählten. Auch damals waren die Korks ihre Verbündeten – sie waren zu eben jenem Zweck von den Ky erschaffen worden. Nur einer Suäl Graal stellte man ein solches Heer entgegen, und nur sie hat die Macht, einer solchen Kraft zu widerstehen ...

Rahon konnte das Rätsel nicht lösen.

~*~

Die Sechsfüßler

„Wenn ich so drüber nachdenke, ist es mir eigentlich ein Rätsel, das bis jetzt alles gut gegangen ist!“

„Wie entscheidet ihr?!“ Boorhs zottige Augenbrauen schoben sich verwundert nach oben, und gaben ein paar runde schwarze Knopfaugen preis.

Sie waren mehr als die Hälfte des Tages an dem ehemaligen See entlang marschiert, dessen Ufer von dem toten Wald gesäumt wurde, den sie am Abend zuvor verlassen hatten. Der Marsch blieb ebenso ungestört, wie jener durch den Wald. Das kahle Ufer war wohl auch nicht sehr attraktiv für die Wesen dieses Droms, um sich dort häuslich niederzulassen. Irgendwann endete das Waldgebiet, und sie verließen das Ufer und drangen nun wieder ins Landesinnere vor. Die Landschaft war nun sehr flach und steppig. Unzählige Gerippe von ehemaligen niedrigen Büschen staken in dem von der Sonne und der Trockenheit zerrissenen harten Boden.

„Na ja – ich meine, wenn ich so drüber nachdenke ... Suäl Graal hat doch so eine riesige Macht. Die kann ganze Berge durch die Gegend kullern; die Erde beben lassen, dass alles zusammenfällt. Sie kann die Zeit verrückt spielen lassen, und lässt Feuer vom Himmel fallen ... wer weiß, was sie noch alles kann!“

„Boorhs Augenbrauen rückten noch eine Etage höher.

„Na ja – ich meine ... wir haben bis jetzt immer großes Glück gehabt. Aber wieso?!“

Boorh kratzte sich nachdenklich unter seinem Bart. „Boorh entscheidet: Boorh kann das Wort ,Glück’ nicht vollkommen bemessen und vom Allsein trennen. Doch Boorh entscheidet: Ihr seid Kishou, die Bezwingerin Suäl Graals und Befreierin der Großen Wasser. Suäl Graal hat keine Macht über euch!“

„Ach Boorh ...!“, maulte Kishou „Das sagst du immer so leicht. Aber das ist doch alles eigentlich nur verrückt ... Warum lässt Suäl Graal nicht die ganze Zeit Feuer vom Himmel fallen, die Erde beben, und was weiß ich noch alles. ... wenn sie das doch kann. Wie lange würden wir das überstehen? Wieso hört es irgendwann immer wieder auf, und dann passiert wieder eine ganze Weile nichts? Wieso lässt sie mich überhaupt soweit kommen ... Das ergibt doch eigentlich gar keinen Sinn!“

Boorh wühlte nach wie vor in seinem Bart. „Boorh entscheidet: Suäl Graal, die Hüterin der Großen Tore der Großen Wasser und Herrscherin über alles was da ist, würde eure Niederlage vom Allsein verdrängen – wenn sie es vom Allsein trennen könnte. Boorh entscheidet: Suäl Graal kann aber nicht!“

Kishou musste lachen. „Suäl Graal kann aber nicht!“, äffte sie Boorh kichernd nach. „So einen einfachen Satz hab’ ich ja noch nie von dir gehört. Klingt gar nicht wie Boorh!“

Boorh grinste nur und strahlte.

„Nein – aber trotzdem ...!“, wurde sie nun wieder ernster. „Irgendwas stimmt da nicht. Es ist alles irgendwie ... Ich weiß auch nicht. Ich meine ... es muss einen Grund geben, dass sie ihre Macht nicht ununterbrochen ausspielt. Und wenn du recht haben solltest, und sie es tatsächlich nicht kann, ... was wohl kaum vorstellbar ist – müsste es auch einen Grund dafür geben? ... aber ich kann mir beim besten Willen nix vorstellen!“ Sie seufzte laut auf. „Na ja – is’ ja auch egal. Besser so als anders!“, grinste sie etwas gequält.

Mo hielt in diesem Moment in ihren Marsch inne. Es war ja nichts Ungewöhnliches, und Kishou erwartete mal wieder einen Schwenk nach links oder rechts – doch der kam dieses mal nicht. Mo stand einfach nur da und lauschte ins Land.

Die anderen waren inzwischen auf ihre Höhe aufgerückt und Kishou blickte angestrengt in die Richtung, die Mo fixierte. Die streckte in diesem Augenblick ihren Arm nach vorn und wies zum Horizont vor ihnen, und endlich erkannte Kishou den Grund ihres Verharrens – und sie meinte auch im selben Augenblick etwas zu spüren. Der harte Boden unter ihren Füßen schien etwas zu zittern.

„Oh nein ... „ fiel es aus ihr heraus. Nicht noch Mal – ich hätte nicht davon reden sollen ...!“ Am Horizont erschien eine sehr breite, langgezogene Staubwolke, die schnell näher zu kommen schien. Kishous Kopf fuhr herum. Das Land war hier sehr flach, und bot keinerlei erkennbaren Schutz, und auch ein seitliches Ausweichen war nicht sonderlich erfolgversprechend, aber doch ohne Alternative. „kommt schnell!“, rief sie, und wollte schon loslaufen, als sie von Mo aufgehalten wurde.

„In Mo ist entschieden, es verdrängt keine Zeit der Flucht das Allsein an diesem Ort!“, sagte sie in erstaunlicher Beherrschtheit, obwohl selbst in ihrem Gesicht so etwas wie eine Spannung abzulesen war. „Es ist entschieden in ihnen, diesen Ort zu bemessen. In Mo ist entschieden, dass sie nicht sein können, wo Mo ist!“

„Sie?!“, fragte Kishou aufgeregt „Wer ist ,Sie’?!“

„Sechsfüßler!“, erklärte das Untere Squatsch in unaufgeregter Sachlichkeit. „Es verdrängen dort Sechsfüßler das Allsein - ,große Sechsfüßler‘. Es gibt auch ,kleine Sechsfüßler‘, aber das da sind ,große Sechsfüßler‘, Ja, ja. ,Große Sechsfüßler‘!“

Ein klein wenig atmete Kishou innerlich auf, denn es war etwas, das ihren Gefährten offenbar nicht unbekannt war, und es klang immerhin nicht nach ein Angriff Suäl Graals. Andererseits sah es ja nun dadurch nicht gerade weniger bedrohlich aus, was da auf sie zukam ... „Hat Suäl Graal die geschickt?!“, fragte sie doch noch einmal vorsichtshalber nach.

„Nein ... nein – nicht sehr wahrscheinlich. Nicht Suäl Graal!“, entschied das Untere Squatsch, und wiegte seinen runden Kopf hin und her. „Große Sechsfüßler! Es verdrängen dort große Sechsfüßler das Allsein. ... Nicht sehr ungewöhnlich an diesem Ort. Nicht sehr ungewöhnlich! Solche Zeiten verdrängen immer wieder mal das Allsein. Nichts ungewöhnliches!“ Er machte eine abschätzige Geste. „Es sind große Erscheinungen, aber haben nur wenig Raum – sehr, sehr wenig Raum. Aber sie trennen sich vom Allsein in großen Herden. Viele kleine Räume – sehr dicht das Allsein verdrängend – sind dann doch ein großer Raum. Ein sehr großer Raum!“ Er machte eine Handbewegung über den Horizont mit seinen kurzen Ärmchen und zuckte bedauernd mit den Schultern.

Die Tiere waren inzwischen so nahe gekommen, dass Kishou sie erkennen konnte – und es war alles andere als beruhigend, was da auf sie zukam. Sie hatten eine stattliche Größe, waren bullige Erscheinungen auf sechs Beinen, und wohl deshalb so schnell. Es mussten Tausende sein, die da auf einer weit auseinandergezogenen Front direkt auf sie zukamen. Kishou klammerte sich an den Arm Boorhs und schaute mit großen Augen auf das nahende Unheil. „Und was machen wir jetzt?!“, rief sie ängstlich gegen das ansteigende Grollen der Hufschläge.

Die Frage erübrigte sich. Es war längst nichts mehr, was sie hätten ,machen‘ können. Wohl deshalb schon, kam auch keine Antwort von Mo. Sie schien in eine Art Starre verfallen zu sein – als würde sie sich auf die Ankunft der Tiere vorbereiten.

„Es ist vielleicht besser – vielleicht ist es angemessener, wenn ihr einige Schritte zurücktretet!“, vernahm sie statt dessen das Untere Squatsch an ihrer Seite. „Einige Schritte hinter Boorh und Mo ... und vor meine Wenigkeit! Es ist doch eine sehr schmutzige Sache die da das Allsein verdrängt! – eine sehr schmutzige Sache! Immer dasselbe – sehr unangenehm!“

Er zog Kishou etwas zurück, dass sie hinter Boorh und Mo stand, und ging dann selbst noch einige watschelnde Schritte hinter sie.

Kishous Herz schlug bis zum Hals, und sie starrte mit weit aufgerissenen Augen auf die rasende Lawine aus bulligen Leibern. Sie hatte keine Ahnung, wie sie dem Unheil entkommen sollten. Einzig die Ruhe der anderen hielt ihre aufkommende Panik im Zaum.

Mos Augen waren geschlossen, und sie erhob in diesem Moment ihren rechten Arm. In Einhalt gebietender Geste streckte sie ihre Handfläche den Tieren entgegen. Obwohl die Geste als Solche eindeutig war, erschien sie doch eher lächerlich, gemessen an dem zügellosen Ansturm der riesigen Herde. Kishou schaute nervös hinter sich, um sich zu vergewissern, dass das Untere Squatsch hinter ihr war. Sie sah in eine flirrende Kugel mit einem grell leuchtenden Kern, dass sie geblendet die Augen schießen musste. Als sie wieder vor sich sah, konnte sie im Nachbild des Lichtes, zwischen Mo und Boorh hindurch gerade noch sehen, wie die Wand aus heranstürmenden Leibern sich plötzlich teilte, als wollte sie nach links und rechts ausweichen. Sie waren vielleicht noch 500 Schritte von ihnen entfernt.

 

Sie wollte gerade erleichtert aufatmen, als sich in diesem Moment die rasende Meute jedoch wieder vereinigte und erneut ungebremst auf sie zukam. Ein gellender Schrei entfuhr ihrer Kehle, der aber von dem Donnern der Hufen verschluckt wurde. Zu Tode erschrocken schlug sie die Arme vor ihr Gesicht, als die Körper schon fast über ihnen waren. Ohrenbetäubender Donner erfüllte die Luft von allen Seiten her kommend. ... Von allen Seiten?

Kishou blinzelte an ihren schützenden Armen vorbei. Was sie sah war so unwirklich wie wunderbar. Kurz vor ihnen teilte sich die Herde erneut in zwei Teile, als würde man einen Keil in diese Wand getrieben haben. Sie stoben mit atemberaubender Geschwindigkeit vor ihnen auseinander, und an ihnen vorbei.

Ungläubig schaute Kishou um sich. Sie trieben, wie auf einer uneinnehmbaren Scholle, in einem Meer von dickwanstigen Leibern, die sich hinter ihnen sofort wieder vereinigten.

Mo stand unbeweglich wie eine Statue, und ihre Handfläche stand wie ein scheinbar unbezwingbares Schild den Gewalten entgegen. Nur ihr weißes Gewand bewegte sich, wie in einem Orkan. Boorh stand mit gerüsteter Axt reglos neben ihr, und das zottige Haar machte einen wilden Tanz auf seinem Haupt.

Kishou hustete, und hielt sich wieder die Hände vor das Gesicht. Unmengen von Sand und Staub wurde aufgewirbelt und nahmen ihr den Atem. Endlich ließ sie sich auf den Boden fallen und schlug ihre Jacke über ihren Kopf ...

Das Inferno schien von endlose Dauer, und doch war es so plötzlich vorbei, wie es hereingebrochen war. Sie lugte vorsichtig unter ihrer Jacke hervor. Eine dicke Staubwolke lag in der Luft, aber vor den Tieren war nichts mehr zu sehen. Das Donnern der Hufen war nur noch hinter ihnen – und entfernte sich mehr und mehr.

Sie hustete und schüttelte ihr langes Haar, um den Sand wieder loszuwerden – erhob sich, und klopfte die Kleider ab. Der Staub lichtete sich schnell, und Augenblicke später war der ganze Spuk bereits wieder vorbei.

Mo hatte ihre Hand wieder heruntergenommen, und hinter sich vernahm Kishou ein leises, aber ungehaltenes Schimpfen. Das Untere Squatsch hatte wieder seine normale Gestalt angenommen und hielt einen ungebremsten Vortrag über die immer-wieder-gleiche-Sauerei mit diesen Massenverdrängungen, während es verzweifelt versuchte, sein Sakko vom Staube zu befreien. Dem folgte dann die gewohnte erschrockene Entschuldigung, als er bemerkte, wie ihn Kishou grinsend dabei beobachtete. Sie fühlte sich befreit und erleichtert, und schaute mit Bewunderung zu Mo. „Wie hast du das gemacht? – oder besser: wie hast du denn das entschieden – ... oder vom Allsein verdrängt, oder sowas – wie ihr das so sagt!“, fragte sie in der Ausgelassenheit tiefster Erleichterung, und doch ehrlich schwärmend.

Mo lächelte, als sie Kishou so sah, aber es war auch eine kleine Verwunderung in ihrem Gesicht zu lesen. „Mo entscheidet nicht, Mo ist entschieden, und Mo verdrängt nicht das Allsein, in Mo ist das Allsein verdrängt. So kann nicht sein ein Anderes, wo Mo ist – so wie nichts die Zeit und den Raum Kishous füllen kann, was nicht Kishou ist.“

„So entscheidet Boorh!“, nickte der bestätigend.

„Und so ist es entschieden!“, lächelte Mo sanft.

„Und so verdrängt es das Allsein!“, setzte das Untere Squatsch fort, während er noch immer an seinem Sakko herum klopfte.

„Und so ist es vom Allsein verdrängt!“, schloss Mo die Runde.

Kishou schaute zweifelnd von einem zum anderen. „Habt ihr lange gebraucht, um dass zusammen einzuüben?“ Fragte sie ausgelassen. „Ich bin nur froh, dass es nicht Suäl Graal war. Ich wittere sie schon hinter jedem Baum!“ Sie schüttelte noch einmal kräftig ihre Mähne, in der Hoffnung, den Sand doch noch wenigstens einigermaßen heraus zu bekommen!“ Wie lange brauchen wir denn noch bis ... äh ... Dingsda ... zu der Oase?!“

„Ihr meint Sahier!“, fragte Mo.

„Nun ...!“ Das Untere Squatsch wiegte überlegend seinen Kopf hin und her. „... zweimal wird die Sonne das Allsein verdrängen – zwei Mal!“

„Puh – dann wird es aber auch langsam Zeit!“, seufzte Kishou, und klopfte bezeichnend auf ihr abgemagertes Bündel. „Und diesen ... diesen ... na du weißt schon – was du suchst!“, wende sie sich an Boorh. „Wo werden wir es finden – vor, oder nach Sahier?“

„Kurluk!“, erriet Boorh sofort.

„Ach ja ...!“ Kishou verdrehte die Augen. „Wer soll sich das alles merken!“

„Mo ist noch nicht vollkommen entschieden, wo es das Allsein verdrängt!“, meinte Mo.

„Oh nein – oh doch ...!“, griff das untere Squatsch ein. Noch bevor wir Sahier vom Allsein verdrängen, ist die Zeit Kurluks. Bald schon ist die Zeit – bald schon!“ Er wiegte nachdenklich seinen Kopf. „... zumindest ungefähr – ungefähr bald schon!“

Boorhs Augen blitzten auf. „Boorh entscheidet: ,bald schon‘ ist ,gut’!“

Die Gruppe setzte sich wieder in Bewegung. Kishou bemerkte, dass Mo allerdings nicht die selbe Richtung beibehielt, sondern etwas weiter nach rechts auswich. Verwundert fragte sie nach, warum sie die Richtung änderte. Das Land war flach und übersichtlich, und weit und breit war nichts zu sehen, dem es auszuweichen galt.

Mo wies in die Richtung, aus der die Sechsfüßler kamen. „Erinnert ihr euch, als die großen Sechsfüßler sich das erste Mal trennten, und sich doch wieder vereinten?!“

„Allerdings!“, schnaufte Kishou. „Mir ist fast das Herz stehengeblieben!“

„Es verdrängt noch ein anderes Wesen dort das Allein, dessen Revier sie schonten!“

„Wie ...? aber da war doch nichts – das hätten wir doch längst sehen müssen!“

„Seine Zeit ist bemessen in der Erde – doch sehr dicht an deren Oberfläche!“, verriet Mo.

„Unter der Erde, meinst du?!“, staunte Kishou. Aber dann muss es ganz schön groß sein, nach dem Bogen zu urteilen, den die Sechsfüßler um die Stelle gemacht haben. Was lebt denn da unten – in der Erde?!“

„Das Rjuchhu!“, war Mos knappe Antwort.

„Ein Rjuchhu?!“, erschrak Kishou. Alles was sie bisher von diesem Wesen gehört hatte, war geneigt, ihr gehörigen Respekt einzuflößen. Sie blickte angestrengt zu der Stelle, wo sie meinte, dass es ungefähr gewesen ist – aber es war auf diese Entfernung beim besten Willen nichts zu erkennen.

Der Rest des Tages verging schnell, ohne das noch etwas außergewöhnliches geschehen wäre. Todmüde, wie immer nach den endlosen Märschen, schlief sie nach hereinbrechen der Dunkelheit in Boorhs Schoß ein.

~*~

Die Jagd beginnt

Rahon ließ halten. Nach dem Besteigen des nächsten Hügels würden sie in der Ferne Zargo sehen können, und das galt es auf jeden Fall zu vermeiden. Nicht wegen der Langen Schatten – die kannten wie er selbst jedem Ort in diesem Drom, in dem eine Oase zu finden war. Es war wegen der Korks. Er wollte sie nicht unnötig auf Zargo aufmerksam machen, wenngleich die Korks keinerlei Plan hatten, und sicherlich nicht in der Lage wären, sich den Ort zu merken. Sie konnten ja nicht einmal auf die Idee kommen, sich an einen Ort zu erinnern – Korks konnten auf überhaupt keine Ideen kommen. Es waren ,Besondere Apparate’ – und sehr einfache dazu. Dennoch wollte Rahon es auf jeden Fall vermeiden, dass sie Zargo zu Nahe kamen. Es war nur so ein Gefühl, und das reichte aus, ihn vorsichtig sein zu lassen.

Die Korks behielten ihre Distanz zu den Afetiten, die Rahon ihnen aufgetragen hatte, und stoppten entsprechend, als das Heer der Stämme zur Ruhe kam. Er lief im Laufschritt nach Hinten, an seinem Gefolge vorbei, zu den Langen Schatten, um Linsilf aufzusuchen. Dies war, wie er inzwischen wusste, der Name des Anführers der Langen Schatten. Er war identisch mit dem, der ihm bereits von ihrem ersten Zusammentreffen her bekannt war, und der offenbar die Führung auch der anderen seiner Stämme übernommen hatte.

Rahons ausgestreckter Arm wies auf zwei kleine Hügel zur Rechten, nicht weit von ihrem Standort. „Sein Pfad war zwischen diesen beiden Hügeln entschieden – dies haben wir bereits vom Allsein getrennt, bevor wir zur verbotenen Stätte aufbrachen, um deine Stämme zu treffen. Bemesst dort den weiteren Verlauf seiner Fährte!“

„Fürchtest du, dass wir deinem Revier zu nahe kommen?“, spöttelte Linsilf, der wohl bemerkte, dass Rahon es vermied, bis vor die Tore Zargos zu marschieren – und er lachte in die Reihen seiner Gefolgsleute hinein.

Rahon wendete sich ruhig zu ihm. „Nein, ich fürchte um euch!“, konterte er. „Die noch sehr jungen Grabenmacher, die in Zargo zurückbleiben mussten, und voller Sehnsucht der Zeit harren, da sie gegen euch kämpfen dürfen, könnten bei dem Anblick deiner Leute ihren Gehorsam verlieren und deine Stämme dem Allsein zuführen. Doch Suäl Graal braucht euch noch!“

Die Beleidigung saß. Linsilf riss sein Schwert aus dem Gürtel und setzte dessen Spitze an die Kehle Rahons. „Wie alles eine Zeit hat, im Zweiten Drom, so ist auch in diesem Pakt eine Zeit bemessen – sei dessen Gewiss! Und wenn sein Maß erfüllt ist, und die darauf folgende Zeit das Allsein verdrängt, dann wird mein Eisen erneut diesen Ort deines Reviers bemessen, doch wird es dann nicht mehr dort verharren!“, zischte Linsilf. Seine Hand zitterte, und es war ihm anzusehen, wie sehr er sich beherrschen musste, nicht schon jetzt seinen Wunsch in die Tat umzusetzen.

Rahon tat unbeeindruckt. „Du bist unbeherrscht, Linsilf!“, sagte er mit übertriebener Ruhe, und schaute ihm mit fast schon sanften Blick direkt in die Augen. „Ein Afetit ist nicht unbeherrscht. Suäl Graal könnte meinen, in dir keinen Afetiten vom Allsein zu verdrängen. Wieviel Zeit wäre in dir dann wohl noch bemessen, um deine kleinen Begehrlichkeiten zu erfüllen? Geh' jetzt, und bemiss deine Sache gut!“ Ohne dem zitternden Schwert an seiner Kehle eines Blickes zu würdigen, wendete sich Rahon ab, und ging ruhig zu seinen Mannen zurück. Linsilf schäumte innerlich, aber er war eben doch ein Afetit, und die Beherrschung behielt letztlich die Oberhand.

~