KISHOU II

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Flucht

Zu viele Zeiten waren vergangen, seit der letzte Dompteur unter ihnen war. Zu viele Zeiten, als das es eine Erinnerung daran gab, was einen Dompteur ausmachte, und wie er einzuschätzen war.

Tek war zu schmächtig, als das man in ihm vor seiner Prüfung einen tatsächlichen Dompteur vermutet hätte. Ein Dompteur musste groß und stark sein – so hätte man aufgrund seiner Fähigkeit den Rjuchhu zu bezwingen, eher erwartet. Und so wenig, wie man über die Zeit von seinem Äußeren verstand, so wenig verstand man von dem, was sein Inneres ausmachte.

Tek wusste lange schon, dass diese Zeit kommen würde, und ebenso lange wusste er, dass er dem Drängen seines Stammes nicht folgen konnte. Er war lange genug unter ihnen, als das er nicht auch wusste, was dann geschehen würde. Er fürchtete diesen Moment, der keinen Raum des Ausweichens bot. Und dennoch wollte er nie die Hoffnung aufgeben, dort bleiben zu können, wo von Anbeginn seiner Zeit sein Revier war. Und so war auch eine Trauer in ihm, denn es war der Moment der Gewissheit, dass sein Stamm ihm nicht folgen würde – das er allein war. Lange schon hatte er sich auf diesen Tag vorbereitet ...

Tek ging, so weit es die Enge des Raumes noch zuließ, in die Hocke, und sprang dann senkrecht in die Höhe. Als er wieder zurückfiel rammte er seine Füße mit aller Macht in den festen Boden. Ein dumpfes, hohles Geräusch war zu vernehmen, bevor der Boden unter seinen Füßen nachgab, und er in ein tiefes Loch unter sich viel. Tek war ein Afetit vom Stamme der Grabenmacher, und er hatte nicht nur seine Lektionen als Dompteur gut gelernt ...

Der Gang, der sich nun vor ihm auftat, war nicht besonders geräumig. Er war nur geschaffen, einen einzigen Afetiten aufzunehmen – der zudem nicht besonders groß war. Er hatte ihn nur für sich und für diesen Moment heimlich gegraben – vor langer Zeit schon.

In gebückter Haltung hastete er den engen Gang entlang, der nur einen Weg kannte, und ohne jede Abzweigung direkt zu einem bestimmten Ort führte. Als der Gang endete, fand er dort jenes Werkzeug, dass das wichtigste eines jeden Grabenmachers war – einen Spaten. Er hatte ihn einst dort abgelegt, um sich dicht hinter der starken Befestigung des Ortes wieder nach oben zu graben. Dort fand er auch einen Bogen und einen Spinschuh.

Der Bogen war nicht irgendein Bogen, wie jeder Afetit ihn sein Eigen nannte, und wie auch er bislang einen unter den Grabenmachern besaß. Seine Zeichnung verriet, dass dieser hier von der Wurzel eines Turkelbaumes stammte, der schon sehr alt gewesen war. Es bedurfte sehr viel Mühe, Zeit und Geschick, aus ihr einen Bogen heraus zu schälen. So war es ohne Zweifel der Bogen eines Dompteurs, denn nur ein Solcher verstand sich in dieser hohen Kunst. Tek fand ihn seinerzeit tief in der Erde, als er den Tunnel für seine Flucht grub, und er musste dort schon undenkliche Zeiten gelegen haben. Das Signum seines Schöpfers war an einem Ende des Schaftes eingebrannt – ein Bogen, in dem fächerartig angeordnet drei Pfeile lagen.

Das Zeichen war ihm auf seltsame Weise vertraut. Wenngleich er doch meinte, es nie zuvor gesehen zu hatte, so wusste er doch, dass der Bogen über all die Zeiten hier auf ihn gewartet hatte ...

Es dauerte nicht lange, und sein Spaten durchstieß die letzte handbreit Erde, die ihn noch von der Freiheit trennte. Lautlos machte er sich im Schutze der Dunkelheit in die öde Steppe davon ... .

~*~

Revierverletzungen

Mo war kaum verschwunden, da zog Boorh langsam seine Axt aus dem Schulterhalfter, und schritt nach kurzer Musterung der Umgebung in die entgegengesetzte Richtung Mos davon.

Kishou verstand nicht, was Mo meinte, als sie sagte, sie sollten sich bereit halten, und kramte vorsichtshalber eilig ihr Bündel zusammen. Und dann geschah es.

Wie aus dem Nichts heraus tauchten zwischen den Buschhölzern und kleinen Bodenerhebungen zwei unheilvolle Wesen auf. Ihre gewaltigen Körper ruhten auf kurzen, stämmigen Beinen. Starke Knochenplatten, wie Schiefertafeln angeordnet, schlugen im Laufschritt der Monster geräuschvoll aufeinander. Aus dem mächtigen Kopf ragte ein langes, wuchtiges Horn, dass sich nach oben hin verdickte und an eine riesige Keule erinnerte.

Mit einem spitzen Schrei sprang Kishou auf und rannte, was die Beine hergaben. Die beiden Tiere kamen aus der Richtung, in der Mo verschwunden war, und die Überraschung war perfekt. Das Untere Squatsch, das einige Schritte vor Kishou gesessen hatte, reagierte zu spät. Der mächtige Schlag der Hornkeule traf ihn in die Seite und katapultierte ihn wie ein loses Steinchen ein gutes Stück weit über die Lichtung. Noch im Fluge löste sich seine Erscheinung auf, und wurde zu einer flirrenden Wolke, als würden unzählige kleine Insekten versuchen, sich gegenseitig einzuholen. Die Konturen der wunderlichen Wolke rundeten sich immer mehr ab, während sich in ihrer Mitten ein gleißend leuchtender Kern heraus kristallisierte.

Kishou hatte das alles schon einmal in der Stadt der tausend Spiegel mit großer Faszination beobachtet. Nun aber bemerkte sie nichts davon und rannte nur. Für einen kurzen Moment bemerkte sie Boorh, als der ihren Weg kreuzte, und sich den Unwesen entgegenstellte. Sie versuchte eine Gruppe von Baumskeletten zu erreichen, die nicht weit von ihrem Rastplatz standen. Ein lautes Krachen ließ ihren Kopf für einen Moment herumfahren, und sie sah, wie das Horn eines dieser Wesen in den mit beiden Händen zur Abwehr gehaltenen Schaft von Boorhs Axt einschlug, mit dem er versuchte, den Angriff zu parieren. Sie lief weiter, so schnell sie konnte, und sah nicht mehr, wie der stämmige Körper Boorhs von der Wucht des Schlages wie ein Holzscheit hinweggefegt wurde. Er überschlug sich mehrmals und kam erst ein ganzes Stück weiter zur Ruhe.

Sie hatte die Baumgruppe inzwischen erreicht, und begann sogleich in den ersten Stamm der sich ihr bot, hineinzuklettern. Das Holz war hart und spröde, und übersät von kleinen warzenartigen Ausbuchtungen. Sie fand guten Halt, und es gelang ihr tatsächlich noch rechtzeitig eine ausreichende Höhe zu erklimmen, bevor das zweite der Monster sie erreichte.

Sie sah für einen kurzen Augenblick, wie Boorh ein zweites Mal von der schweren Keule des anderen Tieres getroffen und hinweggefegt wurde – als ihr Baum schwer erzitterte. Ihr Verfolger hatte dem Stamm einen mächtigen Schlag versetzt. Es knarrte entsetzlich. Dem nachfolgenden Schlag hatte das trockene und spröde Holz nichts mehr entgegenzusetzen. Der Stamm riss in der Mitte der Länge nach auseinander, und seine beiden Hälften kippten gegen die benachbarten Baumskelette. Der Ast, an dem Kishou sich geklammert hatte, brach, und sie stürzte herab. Sie wurde von den dicken, getrockneten Grasbüscheln am Boden aufgefangen, als das Untier sich bereits in Bewegung setzte, um das Hindernis, das Kishou nun von ihm trennte, zu umrunden. Sie lag für einen Moment benommen am Boden, und sah verschwommen, wie Boorh ein wiederholtes Mal zu Boden gegangen, von dem keulenhörnigen Kontrahent erneut angriffen wurde ... da war das Unheil bereits hinter ihr.

Mit einem Satz sprang sie Zwischen den aufgerissenen Stamm des Baumes hindurch, um sich sofort tief auf die Erde zu ducken. Der harte Schlag der Hornkeule ging im selben Moment auf sie herab – und kam gerade um ein Haar über ihrem Rücken, sich in dem Spalt des geborstenen Stammes verkeilend, zum Stehen.

Als sie Augenblicke später den Kopf hob, sah sie, wie das andere Tier gerade sein mächtiges keulenbeschwertes Haupt über den am Boden liegenden Boorh hoch anhob, um damit zum entscheidenden Schlag auszuholen. Sie sah auch noch den zuckenden Lichtbogen, der in diesem Moment das Untere Squatsch – oder das, was er nun war – mit Boorh verband. Doch da war sie schon aufgesprungen und rannte ...

Der harte Schlag der mächtigen Keule, der indes in dem mit beiden Händen hoch aufgerichteten schützenden Schaft der Axt Boorhs endete, pflanzte sich unter seinem Urschrei durch ihn fort, und stempelte einen tiefen Eindruck seines Körpers in den festen Boden. Als das Untier gerade zu einem zweiten Schlag ausholen wollte, hatte Boorh bereits den Schaft seiner Axt über dessen Horn gelegt, und wurde mit dem, zum erneuten Schlag ausholenden Prügel nach oben gerissen. Er vollführte über dem Tier eine große Rolle und landete rücklings auf dem breiten, Nacken des Monsters. Unter einem mächtigen Schrei schnellte Boorh seinen Körper nach hinten, und rammte dabei die Axt hoch über seinen Kopf rücklings in das mächtige Haupt des Tieres. Die rückwärtige Klinge seiner Axt durchbrach fast mühelos die starke Panzerung des schweren Schädels. Wie von einem Blitz getroffen brach das Monster in sich zusammen.

Kishou hatte von all dem nichts mitbekommen. Sie rannte längst wieder – aber nicht besonders weit. Denn unversehens tauchte ein drittes dieser Gewalten direkt vor ihr auf. Unter einem spitzen Schrei machte sie auf dem Absatz kehrt, und hetzte wieder zurück. Sie lief direkt auf das erste Monster zu, dessen Horn sich zwischen dem auseinandergerissenen Baum verkeilt hatte, und nun unter lautem Schnauben und brüllen versuchte, wieder freizukommen. Sie musste auch zu ihrem Erschrecken erkennen, dass ihr augenscheinlich nur noch wenige Momente verblieben, bis es ihm gelingen würde ... Ein zurück gab es nicht mehr, das dritte Monster war bereits so gut wie bei ihr. Sie spürte die mächtige Keule bereits über sich, als sie mit einem riesigen Satz unter das Horn des ersten Monsters sprang, und sich tief darunter duckte. Keinen Augenblick zu spät – denn im selben Moment wurde der harte Schlag ihres Verfolgers von dem gerade frei werdenden Horn des ersten Monsters aufgehalten, und rammte diesen erneut tief in die Kerbe des gerissenen Baumstamms.

 

Kishou rannte bereits wieder – und blindlings und voll in Mo hinein. Die leuchtete ein klein wenig auf, als Kishou kopflos in sie hinein stieß. Für den Moment eines Wimpernschlages stand Kishou benommen ungläubig vor ihr. Es war, als wäre sie mitten im Lauf stehengeblieben. Sie hatte keinerlei Aufprall bemerkt ... Doch dann hatte sie sich bereits gefasst und rannte schon wieder. „Mo – schnell, komm ... wir müssen auf irgendeinen großen Baum!“, schrie sie. Sie schaute sich noch einmal um, als sie von Mo nichts hörte – und blieb erschrocken stehen.

Mo machte keinerlei Anstalten zu fliehen. Sie stand einfach nur da und sah dem rasenden Monster entgegen. „Mo ...!“, schrie Kishou erschrocken – als das Tier direkt vor Mo plötzlich zum stehen kam. Es schwang seinen Kopf mit dem mächtigen Horn vor ihr hin und her, aber es griff nicht an. Außer Atem sah Kishou mit offenem Munde, wie das massige Tier schnaubte, seinen Kopf mit dem Horn hin und her warf, und mit seinem kurzen säulenartigen Beinen den Boden aufscharrte – und dabei Stück für Stück nach hinten auswich. Plötzlich wendete es sich schnaubend um, und trottete von dannen.

Kishou war fassungslos. Langsam und immer noch misstrauisch schlich sie an Mos Seite und starrte in die breite Schneise, die das mächtige Tier auf seinem Abzug in dem trockenen Gras hinterlassen hatte.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte sie keuchend und gänzlich außer Atem. „Wieso hat er dir nichts getan?!“

„Wo Mo ist, kann er nicht sein. So ist es entschieden und so verdrängt es das Allsein!“, sagte Mo ruhig, und strich dabei Kishou über das ungläubige Haupt. „Verzeiht meine Unbemessenheit. Mo erkannte die Gefahr, und ging ihr entgegen. Doch nicht jedes dieser Wesen konnte sie aufhalten!“

„Macht ja nichts!“, zuckte Kishou abwesend mit der Schulter. „Ist ja alles noch mal gut gegangen ...!“ Sie verstand das alles nicht, aber sie war zu durcheinander, um etwas Vernünftiges sagen zu können. Der Schock saß noch tief.

Mo nahm sie bei den Schultern und führte sie zu dem Platz zurück, wo sie gerastet hatten. Dort fanden sie Boorh, breit grinsend auf seinem gefällten Ungeheuer sitzend. „Boorh entscheidet: Boorhs Augen bemaßen Kishou, die Bezwingerin Suäl Graals und Befreierin der großen Wasser, wie sie den Kräften zweier mächtiger Knüppelhörner in vollkommener Bemessung widerstand!“, rief er den Ankommenden dröhnend entgegen.

„Du spinnst!“, sagte Kishou und musste doch, wenn auch etwas gequält, grinsen.

„Was man von dieser axtschwingenden Plattnase nicht gerade behaupten kann!“, hörte man jemand anderen vor sich hermaulen. Das Untere Squatsch war inzwischen wieder zu seiner gewohnten Gestalt zurückgekehrt, und schimpfte leise, während er herüberstapfte, vor sich hin. „... aber ich sag’s ja immer wieder, lange Haare verdrängen auf sumpfigen Boden das Allsein. Auf sumpfigen Boden! Wenn man diesen hohlhackigen ... Oh. Oh – verzeiht meine kleine unbemessene Verdrängung!“, entschuldigte er sich schnell bei Kishou, die ihn etwas verwundert entgegenschaute.

„Was war das?!“, fragte Kishou, die endlich wieder einigermaßen zu sich kam.

„Knüppelhörner – ,gemeine’ Knüppelhörner!“, erläuterte das Untere Squatsch schulterzuckend. „Es verdrängen noch ,spezielle’ von ihnen das Allsein! Das waren aber gewöhnliche Verdrängungen. Nicht ganz ausgegoren. Noch nicht genügend bemessen ...!“

„Knüppelhörner? – So heißen die?!“, fragte Kishou.

„Knüppelhörner! Ja, ja – Knüppelhörner. So verdrängen sie das Allsein!“, bestätigte das Untere Squatsch.

„Und warum haben die uns angegriffen? Wir haben doch gar nichts gemacht?!“

„Doch, doch – haben wir, haben wir!“, erklärte das Untere Squatsch mit bedauerndem Schulterzucken.

„Wir sind in ihren Körper eingedrungen!“, schaltete sich nun Mo ein.

„Wie ...?!“, wunderte sich Kishou.

„Madame KA ist entschieden ...”, erklärte Mo, „... der Körper eines Wesens ist mehr als das, was eure Augen vom Allsein trennen. Madame KA ist entschieden, eure Augen bemessen nur sein Zentrum – Ich bemaß es schon einmal in euch! Ihr könnt seinen wahren Raum mit euren anderen Sinnen bemessen und vom Allsein verdrängen, wenn ihr so entscheidet!“

„Ach so!“, staunte Kishou. „jetzt versteh' ich ... Bei mir zu Hause in unserem Garten sind ganz viele Tiere. Ich hab’ auch ein paar Hasen. Und wenn sie keine Lust haben mit mir zu spielen, dann hoppeln sie immer ein paar Schritte weiter, wenn ich ihnen näher komme. Ist das sowas?!“, fragte sie mit großen Augen.

„So ist es entschieden!“, lächelte Mo.

„Und weil meine Hasen kleiner sind als ich, müssen sie immer weghoppeln!“, sinnierte Kishou weiter. „... aber für die Knüppelhörner sind wohl eher wir die Hasen, und sollten schleunigst weghoppeln!“, Grinste sie verstehend. „Außer du wohl!“, richtete sie sich an Mo. „Da waren die wohl wieder die Hasen!“

„Mo bat sie um Verzeihung!“, lächelte sie. Es war nicht Mos Absicht, ungebeten in ihr Revier einzudringen, und es damit zu verletzen. Die Knüppelhörner haben Mo verstanden!“

„Dann sind sie eigentlich gar nicht so böse, wie sie tun!“ meine Kishou zu verstehen. „Eigentlich sind wir ja dann Schuld! Na ja ... oder wenigsten war’s ein Missverständnis!“, dachte sie laut. Ihr kam das Monster in den Sinn, dessen Horn sich in dem aufgerissenen Baumstamm verklemmt hatte. Sie wandte sich um, und schaute zu dem mächtigen Tier hinüber, das grade einen Steinwurf weit von ihnen noch immer in dem Holz eingeklemmt war. Es war inzwischen von den Anstrengungen der Befreiungsversuche ermattet, und saß entkräftet auf dem Boden. „können wir’s nicht da irgendwie loskriegen?!“, fragte sie. „Er schafft’s vielleicht nicht mehr alleine!“

„Das wird das kreuselhaarige Stemmholz ja wohl noch allein vom Allsein verdrängen können – wird er ja wohl!“, stellte das Untere Squatsch mit einem kleinen Seitenblick auf Boorh fest, um sich sogleich bei Kishou für eine kleine Unbemessenheit zu entschuldigen.

Kishou schaute Boorh bittend an, und der zeigte ein willfähriges Grinsen. Gemeinsam gingen sie zu dem ermatteten Brocken hinüber, und Boorh schulterte das mächtige Horn des Tieres. Obwohl Kishou ein Einsehen hatte – ja sogar bereits so etwas wie Mitleid verspürte – hielt sie sich doch besser hinter Mo.

Boorh brüllte auf und stemmte mit einem Ruck das Horn des Tieres aus seiner Verkeilung. Etwas schwankend erhob es sich, und trottete davon.

Kishou schaute zufrieden. „na bitte – gar nix los!“, stellte sie leicht übertrieben fest, um dann aber doch noch einen Stoßseufzer loszuwerden. „Aber hier bleiben will ich auf keinen Fall!“, entschied sie mit einem Blick auf das etwas weiter entfernte tote Knüppelhorn. Sie ging, um ihr Bündel aufzusammeln, und band es sich um die Schulter. Die Sonne schickte bereits die letzten Strahlen über den Horizont und färbte den Himmel in ein purpurnes Rot. „Wenigstens noch ein Stückchen!“, meinte sie. „Ich hab’ ja noch meinen Besonderen Apparat der das Licht vom Allsein trennt, wenn’s zu dunkel wird!“ Sie klopfte sich auf ihre Bluse zwischen Brust und Bäuchlein.

Sie wendeten sich gerade zum Aufbruch, als Mo erneut in jene seltsame Starre verfiel, bevor die Knüppelhörner kamen. Kishous spürte, wie ihre Haut sich zusammenzog und sich die Haare aufstellten. Zu nah war noch das letzte Geschehen.

Mo drehte sich langsam um sich selbst, und fixierte mit starren Augen auf der anderen Seite des Platzes einen kleinen Felsen, der unweit vor ihnen inmitten einer kleinen Baumgruppe stand.

„Ist wieder was?“, schluckte Kishou hörbar. Und suchte in der selben Richtung nach irgendwelchen Bewegungen.

„Mo ist nicht entschieden!“

„Vielleicht ein kleines Tier ... also was ungefährliches ...!“, erhoffte Kishou flüsternd.

„Mo ist nicht entschieden. Doch in Mo ist entschieden, dass es zu dieser Zeit keine Gefahr vom Allsein verdrängt!“ Ihre Haltung entspannte sich wieder.

„Du meinst, du würdest es merken, wenn es was schlimmes sein würde?!“, fragte Kishou sichtlich nervös.

Mo lächelte und legte den Arm um Kishou. „Wenn ihr so entscheidet, so verdrängt es das Allsein!“, sagte sie nur. Gemeinsam gingen sie zu den Anderen zurück um mit ihnen noch ein Stück weit in die anbrechende Nacht hineinzugehen.

~*~

Erste Begegnung

Tek duckte sich tief hinter den Felsen, als er gewahr wurde, wie eines der drei seltsamen Gestalten seine Deckung aufmerksam musterte. Seine Augen waren weit aufgerissen, und sein Atem ging schwer. Er war zutiefst verwirrt, und fürchtete nun zudem, entdeckt zu sein.

Er hatte diese Wesen nie zuvor gesehen – dass heißt, bis auf eines von ihnen. Dem Unteren Squatsch war er in frühen Tagen schon einmal begegnet, als es für kurze Zeit einmal in Zargo auftauchte. Er erinnerte sich an dieses kleine Untersetzte Wesen. Er wusste, dass es das Untere Squatsch war – nach den Legenden gar einer der Herrscher über dieses Drom. Aber viel wusste er nicht von ihm – nicht mehr, als er von den Alten aufgeschnappt hatte.

Er wusste auch aus erzählten Legenden von Mo und Boorh, aber die hatte er natürlich nie gesehen und erkannte sie somit auch nicht. Er hatte die Gruppe noch rechtzeitig entdeckt, um den Kampf mit den Knüppelhörnern mitzuerleben. Diese Wesen verfügten augenscheinlich über ungeheure Kräfte, aber keiner von ihnen konnte dem Stamm der Grabenmacher zugehören – und auch nicht dem der Langen Schatten. Da war sich Tek absolut sicher. Aber wer waren sie dann?

Der größte Teil seiner Verwirrung aber galt diesem seltsamen Wesen, dass nicht viel größer war, als das ihm immerhin schon bekannte Untere Squatsch. Die Gruppe war noch zu weit entfernt, um es richtig erkennen zu können, dennoch spürte Tek, wie sich seine Haut bei deren Anblick fröstelnd zusammenzog. Etwas Unerklärliches ging von ihr aus – etwas unerklärliches und wunderbares.

Er richtete sich vorsichtig wieder etwas auf, und lugte hinter seiner Deckung hervor – um sofort wieder abzutauchen. Jetzt starrten alle diese Wesen zu seinem Versteck hinüber. Seine Augen suchten hektisch nach einem geeigneten Rückzug. Aber er müsste wenigstens für einen Augenblick dafür seine Deckung aufgeben ... Wieder richtete er sich vorsichtig auf, und sah gerade noch, wie die Gruppe im kahlen Gestrüpp der schroffen Landschaft verschwand.

Tek atmete tief durch – man hatte ihn nicht entdeckt. Er verharrte noch eine Weile hinter seinem Felsen, bevor er tief geduckt, von Deckung zu Deckung laufend, der seltsamen Gruppe folgte. Er hatte keine Ahnung, warum er es tat, aber es schien ihm unmöglich seine Entdeckung wieder einfach entschwinden zu lassen. Zumal eines dieser Wesen so wundersam schien, dass er es auf keinen Fall verlieren durfte, bevor er nicht wusste, was es war. Es war da ein seltsames und schweres Gefühl des Erinnerns in ihm, dass ihm fast den Hals zuschnürte. Aber die Erinnerung hatte keine Bilder ...

Das große Wesen im weißen Gewand besaß ein außergewöhnlich großes Revier. Um nicht entdeckt zu werden musste er in jedem Fall vermeiden, dessen Grenzen zu überschreiten ...

~*~