KISHOU II

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„Es ist schön, mal was anderes zu sehen, als nur Steine und Sand – aber auch ziemlich unheimlich, wie das alles hier aussieht!“, stellte Kishou fest, die an der Seite des Unteren Squatsch hinter Mo und Boorh herschritt. „Wieso haben die Stämme, die hier leben, eigentlich so komische Namen?!“, ging es ihr durch den Kopf. „,Lange Schatten’ ... und ,Grabenmacher’...?!“

„Nun ja – also, die vom Stamme der Langen Schatten verdrängen eine hochgewachsene Gestalt vom Allsein. Ziemlich hochgewachsen. Aber ihr Umfang verdrängt nicht besonders viel vom Allsein. Nein – nein, nicht sehr viel!“ Er deutete mit seinen patschigen Händen in etwa den Umfang an. „Vielleicht so ... nicht mehr. Nein – mehr nicht. Die Sonne ... verdrängt zuweilen einen sehr langen Schatten vom Allsein, ... sehr lange Schatten, wenn sie den Lauf ihres Lichtes begrenzen. Sehr lange Schatten!“

Kishou gluckste etwas amüsiert. „So einfach ist das? – und die Grabenmacher? Sag’ nicht, die machen Gräben!“, belustigte sie sich.

„Ja. Ja. Wie Kishou entscheidet, so verdrängt es das Allsein!“

„Echt?!“, lachte Kishou. Sie stellte sich Wesen vor, die mit einem Spaten herumliefen und immer nur damit beschäftigt waren Löcher zu buddeln ... „Und was soll das – ich meine, wieso machen die das?“, wollte sie nun auch wissen.

„Nun ...,!“, bemühte sich das Untere Squatsch zu erklären, „Als die großen Wasser noch flossen in der Zweiten Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms, mussten viele Gräben und Tunnel vom Allsein verdrängt werden. Viele Gräben und Stollen ... mussten sie. ... damit die Wasser überall diesen Ort bemessen konnten. ... ja, sehr viele Stollen und Gräben waren nötig in jener Zeit. Sehr viele!“ Er wiegte, sich erinnernd, seinen rundlichen Kopf. „Und sie waren auch sehr hilfreich gegen die Rjuchhus ... durchaus sehr hilfreich!“

„Wie – Rjuchhus ...?“

„Nun ja – also ... Die Tunnel und Gräben verdrängten durchaus einen Schutz vom Allsein …gegen die Rjuchhus ... und in diesen Zeiten selbstverständlich auch gegen die Korks!“

Kishou kratzte sich nachdenklich den schwarzen Schopf. Sie meinte, den Namen schon einmal gehört zu haben. ... Boorh hatte ihn erwähnt, als sie Schutz vor dem rollenden Berg in einem Krater gesucht hatten, erinnerte sie sich nun. Aber was das war ...?. „Was ist ein Rjuchhu?“

~*~

Die Prüfung

Durch die Tücher vor den Augen der Grabenmacher war die weitere Szene kaum mehr zu verfolgen. Zu schnell ging alles. Tek wirbelte um seine Achse, dass ihn die erste Salve knapp verfehlte, um die zweite mit seinem Spinschuh abzufangen. Und im Ausweichen vor der Dritten lag bereits die Körperdrehung, mit der er die gefangenen Pfeile in den Kopffortsatz des Ungeheuers lenkte. Fast geräuschlos drangen die spitzen Stäbe in das hypnotische Auge des Untiers ein. Die Kugel erhob sich, um dann mehrmals hart auf den Boden aufzuschlagen. Sie wirbelte herum, und hatte offenbar keine Orientierung mehr.

Tek war bereits auf dem Weg. Mit schnellen Schritten war er bei dem Rjuchhu, sprang zwischen dessen Nüstern auf den Panzer – und bevor der seinen Kopffortsatz wieder einbringen konnte, hatte Tek bereits den dünnen Tentakel kurz über seiner Wurzel mit dem Messer abgetrennt.

Er setzte sich in die Vertiefung des Panzers anstelle seines eigentlichen Kopfes und ergriff den übriggebliebenen Fortsatz des Tentakels. Wie mit einem Steuer ließ sich nun das Untier von Teks Hand lenken, und ein großer Triumph lag in seinem Gesicht. Es war der erste Rjuchhu, der ihm unterlegen war – und es würde nicht der Letzte sein.

Fast ehrfürchtig erhoben sich die Grabenmacher aus ihren Deckungen, und streiften sich die Tücher von den Gesichtern. Der junge Tek war ein Dompteur, und niemand konnte mehr einen Zweifel daran haben.

Rahon ließ es sich nicht nehmen, dem von Tek domestizierten nahenden Rjuchhu entgegenzulaufen, und auf ihn aufzuspringen. Gemeinsam ritten sie bald durch die schweren Tore Zargos – der Oase, die ihren Stamm beheimatete.

~*~

Neue Erfahrungen

Das Untere Squatsch wiegte nachdenklich seinen zu großen Kopf ...

„Was ist ein Rjuchhu?!“, wiederholte Kishou noch einmal ihre Frage.

„Nun – also ... das Rjuchhu ist eine unangenehme Verdrängung vom Allsein. Sehr unangenehm!“

„ja und? – wieso?

„Nun – das Rjuchhu verdrängt ein großes Revier vom Allsein. Viel Raum. Sehr viel Raum! Es duldet niemals andere Verdrängungen vom Allsein in seinem Revier – auf keinen Fall. Nein – niemals. Sehr gefährlich für all die anderen Wesen, die in diesem Drom das Allsein verdrängen! Sehr gefährlich!“

„Aha ...!“

„Nein! ... nicht einmal ein anderes Rjuchhu wird von ihm geduldet. Darum sind nicht viele Rjuchhus bemessen in der Zweiten Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms. Nein – nein. Nicht sehr viele. Das Rjuchhu bemisst die Verdrängungen aller Zeiten vom Allsein, als sein Revier! Sein Revier!“

„Aha – und was hat das mit den Gräben von den Grabenmachern zu tun?!“, bohrte Kishou weiter.

„Nun ja ... Ich bemaß es bereits in euch ... bemaß ich bereits. Die Stämme der Grabenmacher verdrängen viele Gräben, Tunnel und Stollen um ihre Oasen herum vom Allsein – verdrängen sie. Wie einst für den Lauf der Wasser. Gräben und Stollen verdrängen nun auch einen Schutz vom Allsein gegen das Rjuchhu vom Allsein! ... einen Schutz – ja!“

Kishou gab sich erst einmal zufrieden. Nicht zuletzt, weil sie feststellte, dass die Sonne in diesem Drom offenbar eine spürbare Wirkung zeigte. „Es wäre schön, wenn wir einen etwas schattigeren Weg finden könnten. Es ist ganz schön warm hier!“ Sie bedauerte es ein weiteres Mal, keinen Hut von zu Hause mitgenommen zu haben.

Zu Hause ... Sie sah in ihrem Geist ihren großen, bunten und wilden Garten vor sich, in dem immer etwas zu beobachten war – und sie hörte den Ruf Trautel Melanchfuls, wenn sie gekocht hatte ... Sie schaute um sich. Zuweilen war auch hier etwas zu hören. Aber es war gerade einmal das Knacken kleiner Zweige in den traurigen Buschresten, die sie zuweilen mit ihren Körpern striffen. „Übrigens – als wir noch da waren, wo wir aus dem Allsein gekommen sind – also bevor wir losgingen – hast du so komisch reagiert, als ich meinte: wer weiß, was uns auf dem Weg ins Dritte Drom noch alles bevorsteht! Wieso hast du da so komisch geguckt? – Weißt du was ich meine? – grad' als Boorh nach diesem Kurluk rief!“

„Oh – oh ja. Oh ja!“, erinnerte sich das Unteren Squatsch.

„Und? – wieso hast du so komisch reagiert?!“

„Nun ja ... es verdrängen gewissermaßen ... durchaus ... Schwierigkeiten das Allsein. Durchaus!“

„Schwierigkeiten? ... wie meinst du das?!“, horchte Kishou auf.

„Nun, also – bedenkt ... bevor ihr das Dritte Drom vom Allsein verdrängt, ... also ...!“ Er machte ein paar fahrige Bewegungen mit seinen kurzen Ärmchen. „... müsst ihr zunächst einmal das Zweite Tal der Zweiten Ebene des Zweiten Droms vom Allsein verdrängen ...!“

„Ja klar – und?!“ So zögerlich, wie das Untere Squatsch auf die Frage reagierte, konnte das sicherlich noch nicht alles gewesen sein, was es dazu sagen konnte.

„Ja – nein. ... es sind die Grenzen!“

„Die Grenzen?!“

„Ja – ja ... es sind immer die Grenzen. Sehr schwierig – sehr schwierig!“ Sein Kopf wackelte nur so hin und her.

„Was ist mit der Grenze zum Zweiten Tal der Zweiten Ebene des Zweiten Droms?!“

„Oh – nun ... es verdrängt sich dort ein Labyrinth vom Allsein!“

„Ein Labyrinth?“

„Ja. Nein ... nicht einfach ein Labyrinth ...!“

„Sondern ...?“

„,Das Labyrinth des Unbegreiflichen’!“

„Was ist das denn nun wieder?!“ Kishous Stirn verzog sich in Falten.

„Keine Ahnung. Keine Ahnung. Ich kann es nicht bemessen, ... und schon gar nicht vom Allsein verdrängen!“ Er zuckte entschuldigend mit den Schultern. „Eine kleine Verdrängung Suäl Graals. ... damit die Afetiten sich nicht in Vollkommenheit bemessen können ... also ... sich vollkommen vom Allsein verdrängen können, in den Afetonen!“

„Du meinst, sowas wie die ,Falle der Zeit’ im ersten Drom! Seh’ ich das richtig?“

„Äh ... Eine Falle der Zeit?“, Wunderte sich das Untere Squatsch, und seine Augenbrauen zogen sich nach oben. "Aber natürlich. Zweifellos. Ihr musstet ja schon einmal eine Grenze Suäl Graals überschreiten! ... musstet ihr ja. Und ohne meine Wenigkeit. Sehr beachtlich! Sehr beachtlich. Eine Falle der Zeit war darin bemessen, so sagt ihr? ... Falle der Zeit?"

„Ja!“, Klärte Kishou ihn auf. „Die Grenze zum Ersten Tal der Ersten Ebene des Ersten Droms war sowas. Boorh meinte, Suäl Graal wollte ursprünglich damit die Kyiten daran hindern, zu den Kyaten zu kommen ...”

„Zweifellos! – Zweifellos! in solcher Weise verdrängt es auch hier das Allsein!“, wurde sie sofort vom Unteren Squatsch bestätigt.

„Oh man ...!“ Kishous Blick richtete sich verzweifelt in den Himmel. „Ich hätt’s mir denken können. Weiß wenigstens irgendwer, warum es ,das Labyrinth des Unbegreiflichen’ heißt?“

„Niemand. Niemand!“ Das Untere Squatsch schüttelte bedauernd sein Haupt.

Kishous Blick suchte erneut mit einem tiefen Seufzer den Himmel auf ... „Natürlich nicht. Natürlich nicht! Wissen Mo und Boorh davon?!“

„Nein – nein ... Mo und das Zwergenhirn ... Oh – oh, verzeiht meine kleine unbemessene Verdrängung ... Mo und äh ... Boorh verdrängten das Allsein in all den Zeiten im Ersten Drom!“

„Und die Grenze zum Dritten Drom?“ Fragte Kishou nun Böses ahnend.

Der Kopf des Unteren Squatsch verlor wieder seine stabile Lage. „... führt durch ,Das Tal der Fügung’!“

 

„Das Tal der Fügung?!“

„Das Tal der Fügung!“, bestätigte der mit bedauernder Geste. "Zumindest trennte man so etwas in mir vom Allsein. Vor langer Zeit schon. Sehr langer Zeit schon. ..ein kleiner Ausflug im Allsein. ... war noch einmal kurz im Zweiten Tal der Zweiten Ebene des Zweiten Droms. Sehr viele Zeiten sind seither vergangen. ... nur ein kleiner Ausflug im Allein – nicht der Rede wert. Nicht der Rede wert ...aber niemand kann das Allsein verlassen, der es betritt ...!", äffte er noch einmal mit rollenden Augen Boorh nach.

„Was für eine Fügung?“ Wollte Kishou wissen.

Das Untere Squatsch hob in einer erneuten bedauernden Geste beide Arme in die Höhe. „Legenden ... Legenden!“

„Du hast mal wieder keine Ahnung, stimmt's?“

Das Untere Squatsch nickte zaghaft mit seinem Kopf.

„Und auch sonst kann es uns niemand sagen, oder? Fragte sie noch, der sicheren Antwort gewiss.

Der Kopf des Unteren Squatsch wechselte erwartungsgemäß die Richtung und bewegte sich nun etwas beschämt von links nach rechts.

Kishou seufzte laut. „Schöne Aussichten!“

„Ihr werdet einen Pfad durch die Grenzen vom Allsein verdrängen. Kein Problem. Kein Problem für euch! Und mit meiner bescheidenen Hilfe ...!“

„Nun fang du auch noch an ...!“, stöhnte Kishou missmutig. „Is’ ja auch egal!“, sagte sie sich, und versuchte, an etwas anderes zu denken ... An die Oasen zum Beispiel. Hatte nicht Trautel Melanchful mal eine Geschichte erzählt, wo solche Oasen vorkamen. ... nein – in der Geschichte hießen sie ,Inseln’, und waren über ein weites großes Wasser verstreut. Es war die Geschichte von dem Fährmann, der es irgendwann zu mühevoll fand, mit seinem kleinen Boot immer zwischen den Inseln hin und her zu fahren. Da hat er große Brücken gebaut zwischen den Inseln, dass es wie ein einziges großes Land war. Die Bewohner der Inseln konnten nun nach belieben und ohne Mühe und wann immer sie wollten in ihren bequemen Kutschen von einer Insel zu jeder anderen gelangen, und es war ein reger Verkehr zwischen ihnen.

Bald schon vermischten sich die Bewohner der vielen Inseln untereinander, und mit ihnen die Tiere, die Bäume, die Sträucher und die Blumen.

Doch dann versiegte der Verkehr zwischen ihnen, bis niemand mehr die Brücken betrat. Es gab zu jener Zeit keinen Grund mehr, sie zu überqueren, denn es war nun auf jeder Insel genau so, wie auf jeder anderen. Und alle Bewohner auf allen Inseln langweilten sich, und auch der Fährmann langweilte sich auf seinem kleinen Boot.

Da verstand er endlich, dass er all die Brücken gar nicht gebaut hatte, um sich vor der Mühe zu bewahren, sondern um zu verstehen, warum er die Mühen einst auf sich genommen hatte ...

Vielleicht hätte sie sich ja in ihrem großen Garten auch irgendwann einmal gelangweilt, überlegte Kishou, als die Sonne gerade jenen Ort am Himmel fand, von dem sie sich schon bald verabschieden würde. Sie wollte die letzten Strahlen nutzen, um noch in ihrem Licht den Tag mit einer Mahlzeit zu beschließen. Also machten sie Rast. Sie setzte sich auf einen großen, trockenen Grasbüschel und begann in ihrem Bündel herumzukramen. „Gibt es hier auch Tiere?!“, fragte sie in die Runde. „Ich hab’ manchmal was gehört, aber ich war mir nicht sicher!“

„Boorh entscheidet: Die Zweite Ebene des Zweiten Tals des Zweiten Droms verdrängt sehr viele Wesen vom Allsein!“

„Nicht viele!“, widersprach das Untere Squatsch. „Nicht viele! Meine Wenigkeit bemisst nicht mehr ,sehr’ viele!". Er warf einen kleinen Seitenblick auf Boorh, der durchaus etwas spöttisches hatte. „Nun ja, es verdrängen hier noch durchaus viele Wesen das Allsein – durchaus. Aber über die Zeiten der versiegenden Wasser ist ihre Zahl geschwunden. Versiegt! ... wie die Wasser!“

„Ich hab’ aber noch keines gesehen!“, gab Kishou mit vollem Munde zu bedenken!“

„Wo eines ist, kann ein anderes nicht sein! Sie sind im allgemeinen bemüht ... bemüht den Raum zu respektieren, ... zu respektieren, der euer ist!“

„Wie meinst du das?!“

„Sie sind bemüht euer Revier nicht zu verletzen – und das ihre zu schützen!“ Erklärte Mo mit ihrer klaren Stimme.

„Hab’ ich ein Revier?“, fragte Kishou erstaunt.

„Madame KA sagt, in jedem Wesen verdrängt ein ein Revier das Allsein – sein Körper ist sein Zentrum. So ist es entschieden!“, antwortete Mo.

„Und so verdrängt es das Allsein!“, lachte Kishou kauend und streckte schulmeisterlich den Zeigefinger in die Höhe. Immerhin hatte sie ja schon bemerkt, dass in diesem Drom das Allsein offenbar nicht nur 'getrennt', sondern vor allem 'verdrängt' wird. Die Mahlzeit tat ihr offenbar sehr gut.

Das erwartete Lächeln Mos blieb aber aus. Stattdessen verengten sich plötzlich ihre Augen, und ihr Blick fiel nach innen. Auch das Untere Squatsch und Boorh wandten sich wie verabredet zu Mo. In ihren Gesichtern lag eine Spannung. Es war nicht zu übersehen, dass irgend etwas nicht stimmte.

Kishou blickte fragend von einem zum anderen. „Ist was?“, fragte sie verunsichert.

Niemand antwortete. Doch plötzlich weiteten sich die Augen Mos wieder, und ihr Kopf erhob sich. „Wir haben ein Revier verletzt!“, sagte sie leise und erhob sich. „Bereitet euch vor!“ Sie wendete sich ab, und verschwand kurz darauf zwischen den hohen, trockenen Gräsern, Büschen und Baumgerippen.

~*~

Die Verweigerung

In dir ist entschieden: ,Tek – der Dompteur’! Und wie es entschieden ist, so verdrängt es das Allsein!“

Es war Rahon, der diese Worte sprach. Die vollzählig versammelten Grabenmacher des Ortes reagierten mit einem tiefen, zustimmenden Brummen, und wippten dabei mehrmals gemeinsam mit den Oberkörpern.

Der Stamm hatte sich noch am selben Abend, kurz nach der Rückkehr der Gruppe, die Tek begleitet hatte, auf dem am Rande Zargos befindlichen Dorfplatz versammelt. Sie saßen dort dicht gedrängt in einem großen Kreis.

Rahon, mit einer Lanze bewaffnet, lief ziemlich aufgeregt um den in der Mitte des Kreises sitzenden Tek herum. Er suchte offenbar nach Worten, denn er stoppte seinen Gang, und umkreiste nun Tek in der anderen Richtung. „Niemand von uns ...!“ Er verhielt wieder in seinem unsteten Lauf, um die Richtung abermals zu wechseln. „... niemand von uns erinnert sich einer solchen Verdrängung des Allseins! ... niemand!“ Das letzte Wort wiederholte er fast für sich, während er nachdenklich in sich gekehrt Halt machte. „Nicht die Ältesten unter uns!“, fügte er ebenso leise hinzu.

Sein Körper richtete sich ruckartig zur vollen Größe auf, und er blickte musternd in die Runde seines Stammes. „Der Stamm der Grabenmacher verdrängt nun ein Geschick vom Allsein, dessen Entschiedenheit das Maß des Widerstands der Langen Schatten weit übersteigt!“ Er wendete sich abrupt zu Tek, und rammte seine Lanze tief in den Boden. „Mit der Kraft der Rjuchhus wird die Zeit der Grabenmacher soviel Raum vom Allsein verdrängen, dass alle Oasen Teil ihres Reviers sein werden! In der Bemessenheit der Kraft der Rjuchhus werden wir bald dort das Allsein verdrängen, wo jetzt noch Stämme der Langen Schatten den Raum bemessen!“

Ein Brummen und Körpernicken hinter ihm gab seinen Worten zustimmenden Rückhalt.

„So ist es entschieden, und so verdrängt es von nun an das Allsein!“, schloss er seine Rede, während er mit einem Ruck seine Lanze aus dem Boden zog. Er machte kehrt, und setzte sich im Innenkreis seiner Stammesgenossen nieder. „Nun sprich du – Tek – Dompteur – Wie viele Rjuchhus wirst du für uns in Besitz nehmen können, in einer Zeit, in der zwei volle Monde das Allsein Verdrängen? Dieser Raum ist bemessen, um ihn mit anderen Vorbereitungen zu füllen!“, stellte er fest. „Wir werden als erstes Luegra in Besitz nehmen, und ihn als einen Ort der Grabenmacher vom Allsein verdrängen. In Luegra verdrängt die nächstliegende Oase der Langen Schatten das Allsein, und in ihr soll sich als Erstes unsere neue Macht bemessen!“

Tek antwortete nicht gleich. Er schien unsicher zu sein und starrte fast verlegen vor sich hin. „Wo ein Ding ist, kann ein ander Ding nicht sein!“, flüsterte er mehr, als das er sprach. Es war zu leise, als das es von den Umliegenden gehört werden konnte. Endlich richtete er seinen Blick auf. „Ich bin Tek, Afetit vom Stamme der Grabenmacher ...!“, hob er endlich an. Er zögerte wieder etwas. „Aber ich bin auch Tek der Dompteur!“, setzte er fort und blickte dabei fast auffordernd in die Menge.

„So verdrängt es das Allsein!“, erwiderte Rahon unter der Zustimmung seiner Landsleute.

Teks Blick senkte sich kopfschüttelnd. „Und ich weiß nicht ...!“

Rahon nickte verständig. „Es verdrängen an diesem Orte nicht sehr viele der Rjuchhus das Allsein. Es ist nicht von Bedeutung für unser Ziel, sollte sich der Raum, den du benötigst, um einen vollen Mond erweitern!“

Tek schüttelte erneut verlegen mit dem Kopf. „Nein ... nein, dass ist nicht, was ich bemesse. Der Afetit kann nicht sein, wo ein anderer schon ist!“, fügte er mit wieder leiser werdender Stimme hinzu. Eine kleine irritierende Pause entstand, und alle Blicke lagen fragend auf Tek, der sich nervös auf den Lippen herumbiss. „Ihr trennt nur Tek, den Afetiten vom Stamm der Grabenmacher in mir vom Allsein ... aber ich bin Tek, der Dompteur ...!“ Er suchte nach Worten.

Der Versuch war nicht gerade geneigt, die Irritation bei den Umsitzenden aufzuheben.

„Und?!“, fragte Rahon.

„Schon sehr früh bemaß ich die Entschiedenheit eines Dompteurs in mir ... Ein Dompteur aber hat keinen Stamm. Sein Stamm ist das Volk der Afeten!“

Endlich war es heraus, und er blickte fragend, und nach Bestätigung suchend in die Gesichter seiner Stammesbrüder – doch er fand nur fragende und unverständige Blicke. Nun endlich musste auch der Rest heraus. „Wo ein Ding ist, da kann ein ander nicht sein!“, sagte er nun so laut, dass jeder es vernehmen konnte. Ein Damm in ihm schien gebrochen, denn die anfängliche Verlegenheit wich nun schon fast einer Belehrung. „Wo ein Afetit ist, kann ein anderer Afetit nicht sein – und auch in den Stämmen der Langen Schatten verdrängen die Afetiten das Allsein. Bis zu dieser Zeit war das Maß meiner Verdrängung vom Allsein nicht genügend bemessen – meine Zeit noch zu wenig dem Allsein erwachsen, um mich mit euch im Kampf gegen die Stämme der Langen Schatten zu messen. Doch in dem Dompteur ist von Anbeginn vom Allsein verdrängt, dass dies in keiner Zeit in ihm entschieden sein kann. In mir sind verdrängt vom Allsein die Entschiedenheiten all der Zeiten, von denen die Überlieferungen zeugen, wie es zu allen Zeiten in dem Dompteur entschieden war – und wie es schon war in den Zeiten, als die großen Wasser noch flossen, und die vielen Stämme der Afetiten noch nicht den Raum einnehmen wollten, der von anderen Afetiten vom Allsein verdrängt, und in Besitz genommen war. Der Dompteur sagt, dass es nicht entschieden ist in den Afetiten dort zu sein, wo ein anderer Afetit schon ist – der Afetit kann den anderen Afetit nicht dem Allsein zuführen, um zu sein statt seiner!“

Tek hatte alles gesagt. Er verstummte und die bleierne Stille und unverständigen Blicke seiner Stammesmitglieder erinnerten ihn wieder daran, dass nicht er derjenige war, der an diesem Ort den Ton angab. Fast ein wenig erschrocken über seine vorlauten Belehrungen senkte er fast entschuldigend seinen Kopf.

Nun endlich machte sich eine große Unruhe unter den Grabenmachern Luft – nur Rahon schien noch immer fassungslos. „Willst du darin bemessen, dass du dich deinem Stamm verweigerst? – Das du keine Rjuchhus vom Allsein verdrängen und domestizieren wirst, um sie mit deinem Stamm gegen die Reviere der Langen Schatten zu führen?“

Tek schüttelte nach einem Moment des Zögerns, mit gesenktem Blick seinen Kopf. „In dem Dompteur ist nicht entschieden, solches vom Allsein zu verdrängen!“, hauchte er fast.

Rahon war aufgesprungen, und rammte ungehalten seine Lanze erneut in den Boden. „Du verdrängst als Grabenmacher das Allsein! Dein Revier bemisst den Boden deines Stammes. Du bist verdrängt vom Allsein in den Grenzen dieses Raumes, und damit der Zeit der Oase Zargo – deren Bemessungen die der meisten anderen Oasen an Größe und Erhabenheit überschreitet!“ Sein sehniger Arm richtete sich starr nach unten und wies zum Boden ... Dies ist ein Ort der Grabenmacher! Und so, wie die Oase Zargo Besitz des Stammes der Grabenmacher ist, so ist auch Tek, der Dompteur, Besitz des Stammes der Grabenmacher. Wie könnte es anders sein!“, wütete er ungehalten.

Tek schien sich noch etwas mehr in sich hinein zu ducken. „Die Grenzen des Dompteurs sind weiter als die Zargos und die der Grabenmacher!“, ließ er sich vernehmen, ohne den Kopf anzuheben. „Sie enden erst dort, wo die Grenzen das Drom beschließen!“ Seine Stimme klang leise, hastig und verzweifelt.

 

Rahon war außer sich. „Solange der Raum, der in Tek das Allsein verdrängt, in den Grenzen Zargos wandelt – solange seine Zeit in diesem Raume bemessen ist – solange gehört er dem Stamme der Grabenmacher!“, zürnte er lautstark unter der Zustimmung seiner Landsleute. „Der Stamm der Grabenmacher wird entscheiden, was mit dir geschieht!“ Er wendete sich an die unruhige Meute. „ergreift ihn und nehmt ihm seinen Raum, dass nur noch sein bloßes Erscheinen das Allsein verdrängt!“, rief er in die Menge.

Sofort fiel eine Meute der Grabenmacher über ihn her, und zerrten ihn über den Platz und durch den Ort. Die Grabenmacher hatte Fackeln entzündet, und folgten unter lautstarken Rufen dem Gefangenen. Sie sperrten ihn unweit des Versammlungsortes in das ,Engerle’ – ein kleines, nur mannshohes und walzenförmiges Türmchen, das fensterlos und aus dicken Mauern bestehend, gerade mal soviel Raum darin bot, dass man aufrecht stehend, sich darin drehen konnte. Es gehörte in diesem Drom zu den üblichen Formen der Bestrafung bei einem schweren Vergehen.

„Bedenke, wie du entschieden sein wirst, wenn Zargo im neuen Licht der Sonne das Allsein verdrängt!“ Die drohenden Worte Rahons waren das Letzte, was Tek vernahm, bevor sich die schwere Tür des Engerle dumpf mit den starken Mauern vereinte. Tek war gefangen, und er wusste nur zu gut, was geschehen würde, wenn er seine Haltung nicht änderte ...

~*~