Mord am Viktualienmarkt

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12

Max kam gegen 2 Uhr bei Monika an. Er klopfte laut an die Tür ihrer Kneipe, über der sie ihre kleine, aber feine Wohnung hatte. Klingel gab es keine. Normalerweise schlief er drüben in Thalkirchen in seiner eigenen Zweizimmerwohnung, weil Monika es nicht mochte, wenn sie so eng aneinanderklebten. Es würde ihrer Beziehung nur schaden, meinte sie.

Außerdem behauptete sie, dass er sehr laut schnarche. Das bezweifelte er allerdings. Es war bestimmt nur eine Ausrede von ihr, damit er ihr nicht zu nahe kam. Sie hatte ein echtes Problem mit dauerhafter Nähe. Bereits zwei Heiratsanträge hatte er ihr gemacht, aber sie hatte alle beide nicht angenommen. Eine Verletzung am Hinterkopf war jedoch ein guter Grund, die heutige Nacht bei ihr zu verbringen, meinte er.

»Wenn ich den Kerl erwische, der mich umgehauen hat, darf er sich auf was gefasst machen«, sagte er undeutlich zu ihr, als er mit ihr am Küchentisch der Kneipe saß. Er verzog dabei leidend das blutverkrustete Gesicht.

»Weißt du das jetzt?«

»Was?«

»Dass du niedergeschlagen wurdest?«

»Ja.« Max nickte. »Die von der Spurensicherung meinten, dass nirgends am Brunnen Blut von mir zu finden war, was eindeutig für einen Gegenstand spräche, mit dem ich niedergestreckt wurde.«

»Jetzt beruhig dich erst mal. Wie viel hast du denn getrunken?«

»So gut wie nichts.« Er sah sie verständnislos an. »Was denkst du denn von mir? Ich bin schließlich Sportler.«

»Sportler? Seit wann?«

»Tennis, Fußball, Skifahren. Ist das etwa nichts?«

»Doch, doch. Sehr sportlich.« Sie nickte. »Und warum lallst du dann?«

»Ich lalle nicht«, nuschelte er.

»Manche werden halt nie gescheit.« Sie nickte nicht mehr, sondern schüttelte missbilligend den Kopf.

»Na gut, es war heut ein bisserl mehr als normal«, gab er zu. »Aber es war wahnsinnig heiß mit dem ganzen Föhn und so. Da kriegt man Durst. Und wenn dann nichts anderes als Bier in der Nähe ist …« Er machte eine unbestimmte Geste. »Aber das ist schon etliche Stunden her.«

»Und warum lallst du dann?«

»Lalle ich wirklich?« Er sah sie ungläubig an.

»Ja.« Sie nickte entschieden.

»Vielleicht kommt’s von dem Schlag auf den Kopf?«

»Davon kriegt man Kopfweh, aber man lallt nicht.«

»Dann halt doch vom Schnaps«, räumte er nachdenklich ein.

»Ach geh. Wer wird denn vom Schnaps lallen?« Sie lachte höhnisch. »So was hat die Welt noch nicht gehört. Herrgott noch mal, Max. Warum trinkst du bei der Affenhitze denn kein Wasser?«

»Du weißt genau, dass ich kein Wasser vertrage.« Sein Gesichtsausdruck war ein einziger großer Vorwurf. »Davon krieg ich jedes Mal dieses mörderische Sodbrennen, und von dem bekommt man auf Dauer ein Magengeschwür, hat mein Arzt gesagt, wie du sehr wohl weißt. Außerdem wollten Franzi und ich die Lösung unseres letzten Falls feiern.«

»Ich höre immerzu feiern. Ich feiere doch auch nicht jedes Fleischpflanzerl, das ich in den Biergarten trage.«

»Das ist auch etwas ganz anderes. Wir hatten eine Feier nach wochenlangen anstrengenden Ermittlungen. Da trinkt man dann eben kein Wasser, sondern Bier. Niemand trinkt bei einer wichtigen Feier Wasser. Kein Mensch. Schon gar nicht, wenn ihn sein ältester Freund und Kollege einlädt.«

»Tatsächlich? Und was war das mit dem Schnaps?«

Er bemerkte, dass sie sich ein Grinsen verbeißen musste.

»Also, Franzi hat vorhin gemeint, ein Schnaps wäre das Beste nach einer Ohnmacht. Damit die Körpersäfte wieder in Schwung kämen. Da dachte ich, drei Doppelte davon wären sicher noch besser. Von wegen Heilungsprozess beschleunigen und so. War wohl falsch gedacht.« Er blickte ein wenig hilflos drein.

»Hast du ihn also erreicht?«

»Sicher. Er war längst mit Essen fertig. Hab ich das nicht gesagt?« Max zögerte, bevor er weitersprach. Sein Gedächtnis schien von dem Schlag auf den Hinterkopf tatsächlich einige Lücken zu haben. Hoffentlich kam da nicht noch etwas Schlimmeres nach. Eine Hirnblutung oder Ähnliches. Ein Koma zum Beispiel stellte sich schneller ein, als man dachte. Dann hing man dann womöglich jahrelang, ohne aufzuwachen, an den Maschinen im Krankenhaus. »Er kam mit mehreren Kollegen zu mir auf den Viktualienmarkt, nachdem ich ihn angerufen hatte. Wir suchten alle gemeinsam die Gegend nach Mathilde und Dagmar ab. Aber nix. Alle beide sind wie vom Erdboden verschluckt.«

»Wie du niedergeschlagen wurdest, hat auch keiner gesehen?«

»Zumindest niemand, den wir gefragt haben.« Er schüttelte mit schmerzverzerrtem Gesicht langsam den Kopf.

»Und jetzt?«

»Franz lässt gerade weiterhin in der ganzen Umgebung des Viktualienmarktes nach Mathilde und Dagmar suchen. Sogar mit Hunden.« Max hoffte, dass Franz mit seiner Suche Erfolg hatte. Er fühlte sich von dem ganzen Theater im Moment schlicht überfordert.

»Es wird eine große Suchaktion eingeleitet, nur weil zwei Touristinnen in der Nacht verschwunden sind? Vielleicht amüsieren sie sich ja einfach irgendwo.« Monika schüttelte ungläubig den Kopf.

»Nein, weil ihr Verschwinden mit der Körperverletzung eines Ex-Kommissars in Verbindung gebracht wird, weil beide nicht der Typ Frau waren, der unverantwortlich handelt, und weil alles zusammen mehr als mysteriös ist.«

»Mit der Platzwunde am Kopf musst du auf jeden Fall ins Krankenhaus«, fuhr sie, milder gestimmt, fort. »Aber zieh dich vorher um. Deine Jacke und dein Hemd sind voller Blut.«

»Kein Krankenhaus.« Er winkte rigoros ab.

»Warum nicht?«

»Schon mal was von Krankenhauskeimen gehört?«

»Was ist das?« Sie sah ihn neugierig an.

»Die holst du dir nur im Krankenhaus, und sie sind tödlich. Hunderttausende sterben pro Jahr daran. Ohne mich. Ich bin zu jung zum Sterben.«

»Und was soll ich jetzt tun?« Sie legte ihre Hände in den Schoß und sah ihn erwartungsvoll an.

»Die Wunde reinigen und ein Pflaster draufkleben.« Er senkte seinen Kopf, damit sie die verletzte Stelle besser sehen konnte.

»Auf die Haare?«

»Natürlich nicht.«

»Soll ich sie etwa wegrasieren? Dabei reiß ich doch bloß alles wieder auf. Mein Gott, hättest du dir denn keinen ungefährlicheren Beruf aussuchen können?«

»Drum herum.« Er kreiste mit dem rechten Zeigefinger über seinem Hinterkopf.

»Was, drum herum?« Sie hörte sich zunehmend ungeduldig an.

»Um die Wunde drum herum rasieren.«

»Was soll das bringen?« Sie schüttelte den Kopf.

»Dort, wo du rasiert hast, kannst du dann das Pflaster festkleben.«

»Und das soll auf den Stoppeln halten?«

»Dann musst du halt gründlich rasieren, Herrschaftszeiten noch mal.« Er klang nun ebenfalls ungeduldig. Obwohl sie kein altes Ehepaar waren, benahmen sie sich oft wie eines.

»Und die Haare, die auf der Wunde bleiben? Die wachsen sich doch ein.« Sie sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

»Dann rasier sie halt in Gottes Namen auch weg.« Er stöhnte genervt. »Ich werde es hoffentlich überleben.«

»Ich hole Pflaster und dein Rasierzeug von oben.« Monika drehte sich um.

»Ich gieße mir solange noch einen Schnaps ein.«

»Hast du nicht schon genug Alkohol intus?«

»Betäubung vor der Operation.«

»Aha.« Sie stieg kopfschüttelnd die knarrende Holztreppe hinter dem Tresen zu ihrer Wohnung hinauf. »Wie hat sie denn ausgesehen, deine Begleiterin, die zuletzt verschwunden ist?«, wollte sie noch wissen und blieb stehen.

»Normal.« Er blickte verständnislos drein.

»Was heißt das, normal?«

»Normal heißt normal. Kopf, Bauch, Beine, Arme. Was eine Frau halt so hat.«

»Sehr interessant.« Sie ging, ohne noch einmal zurückzublicken, weiter die Stufen hinauf.

Das Gespräch war für sie beendet. So wie ihre Gespräche jedes Mal dann beendet waren, wenn sie es für richtig hielt.

»Bist du etwa eifersüchtig?«, rief er ihr nach.

Keine Reaktion. Logisch. Er wusste, dass sie es, selbst wenn es so wäre, nicht zugeben würde.

»Okay, Max. Du brauchst jetzt wirklich dringend einen Schnaps«, sagte er zu sich selbst, stand schwankend auf, schlurfte in den Schankraum hinüber hinter den Tresen, nahm ein Flasche Grappa aus dem Regal dahinter und schenkte sich einen Dreifachen ein.

Bei einer Narkose, die wirken sollte, durfte man auf keinen Fall mit dem medizinischen Wirkstoff sparen. Das hatte er einmal in so einer Arztserie im TV gehört. Die Drehbuchautoren dort mussten es schließlich wissen.

Vielleicht hatte Monika recht und er sollte den Beruf wechseln. Zu oft war er in den letzten Jahren entweder angeschossen oder anderweitig verletzt worden. Aber was sollte er stattdessen tun? Ermitteln konnte er nun mal am besten, und außerdem hatte er erwiesenermaßen Erfolg damit.

13

»Max!«

»Ja.«

»Dein Handy.«

»Was?«

»Dein Handy!«, wiederholte Monika eine Spur lauter und eine Spur gereizter als zuvor. Sie schlug dreimal mit der flachen Hand auf seine Bettdecke, damit er endlich aufwachte.

»Wie spät ist es?«, fragte er, verschlafen stöhnend.

»Keine Ahnung. Geh endlich ran, dann weißt du es.«

»Okay, okay. Kein Grund, so herumzuschreien. Ich hab brutale Kopfschmerzen.«

»Ich schreie nicht. Ich rede laut, damit du mich hörst.«

»Ist ja gut.« Er schlug seine Augen auf, erkannte, dass er in Monikas Wohnung war, nahm sein Handy vom Nachtkästchen, wo er es beim Schlafengehen zum Aufladen hingelegt hatte. »Wer stört?«

»Franz hier.«

»Wie spät ist es?«

»8.30 Uhr. Hast du keine Uhrzeit auf deinem Smartphone?«

 

»Bin zu schnell rangegangen.«

»Sie wurde wahrscheinlich gefunden.«

»Wer?«

»Mathilde.«

»Und? Wo ist sie?«

»So wie es aussieht, wurde sie erschlagen.«

»Was?« Max richtete sich geschockt auf. Das hätte Franz auch etwas einfühlsamer sagen können. Manchmal war der Kerl ein echter Haudrauf.

»Ein Mitarbeiter der Müllabfuhr rief vorhin hier auf dem Revier an. Er hat sie in einer Seitengasse in der Nähe vom Viktualienmarkt entdeckt.«

»Du bist nicht dort?«

»Nein, ich sitze im Büro.«

»Woher weißt du dann, dass sie es wirklich ist?«

»Sie haben zwar keine Handtasche oder Papiere bei ihr entdeckt, der genauen Beschreibung des Müllmannes nach könnte sie es aber gut sein.«

»Okay, und jetzt?« Max rieb sich mit der freien Hand den nach wie vor schmerzenden Hinterkopf.

»Ich brauche deine Hilfe in dem Fall. Wir sind wieder mal total unterbesetzt auf dem Revier. Bedingungen als Berater wie gehabt.«

»Ist gut. In einer halben Stunde am Tatort?« Max überlegte kurz, ob er das tatsächlich zeitlich schaffen würde. Dann gab er sich selber grünes Licht.

»Komm einfach zum Karl-Valentin-Brunnen. Dann gehen wir zusammen dorthin.«

»Alles klar.«

Sie legten auf.

»Haben sie deine vermissten Touristinnen gefunden?«, erkundigte sich Monika, die sich inzwischen ebenfalls aufgesetzt hatte.

»Sieht so aus.« Er nickte.

»Ist doch super.« Sie gähnte lang und laut. »Und was war das mit diesem Tatort?«

»Sie ist tot. Anscheinend wurde sie ermordet.«

»Ach du Schande!« Monika schlug erschrocken die Hand vor den Mund. »Und jetzt?«

»Franzi und ich untersuchen den Fall.«

»Schnelles Frühstück?«

»Danke, Moni. Keine Zeit.« Noch während er sprach, eilte er ins Bad. »Rufst du mir bitte ein Taxi?«

Nach einer oberflächlichen Katzenwäsche, weil es eilte, zog er frische Sachen an. Für den Fall der Fälle hatte er immer ein paar T-Shirts, Unterwäsche, Hemden, Socken und Jeans bei Monika gelagert. Die blutigen Sachen legte er auf ihr Geheiß vor ihre Waschmaschine.

»Was macht der Kopf?«, fragte sie ihn, während er in die schwarze Lederjacke schlüpfte, die er bei seinen anderen Kleidungsstücken im Schlafzimmerschrank deponiert hatte.

»Tut weh. Wie kommen wir hier rauf in dein Schlafzimmer?«

»Ich hab dich nach deiner Grappanarkose hochgeschleppt.«

»Ich weiß nur noch, dass du Pflaster und mein Rasierzeug holen wolltest.«

»Immerhin. Hier.« Sie reichte ihm eine Kopfschmerztablette und ein Glas Wasser.

»Danke.« Er schluckte sie ohne Wasser hinunter.

»Die anderen nimmst du mit.« Monika drückte ihm die Packung in die Hand. »Wenn es nicht besser wird, gehst du zum Arzt, versprochen?« Sie legte ihre Stirn in Sorgenfalten.

»Jaja«, erwiderte er. »Mach dir nicht immer so viele Sorgen.«

»›Jaja‹ heißt, dass du es nicht tust.«

»Doch, doch.«

»Sturkopf.« Sie stöhnte leicht genervt.

»Ciao, Moni. Es eilt.«

Er ließ die Wohnungstür hinter sich ins Schloss fallen und eilte die Treppen hinunter.

Unten angekommen, stand das Taxi, das ihm Monika gerufen hatte, bereits vor dem Lokal.

Max stieg ein.

»Zum Viktualienmarkt«, sagte er zu der jungen Fahrerin. »So schnell es geht.«

»Wird gemacht, Chef.« Sie stieg aufs Gaspedal.

14

Franz wartete bereits am Karl-Valentin-Brunnen. Obwohl Max keine 20 Minuten von Thalkirchen aus her gebraucht hatte, und das bei durchaus munterem Samstagvormittagsverkehr. Er hatte es der Taxifahrerin mit einem großzügigen Trinkgeld gedankt.

»Guten Morgen. Was macht der Kopf?« Franz sah ihn abwartend an.

»Geht so.« Max verzog, Schmerzen andeutend, das Gesicht. »Wo ist sie?«

»Ein Stück die Reichenbachstraße runter. Dann gleich rechts in die Utzschneiderstraße. Dort liegt sie in einem Hinterhof. Keine zwei Minuten von hier.«

»Also los. Der Föhn wird nicht besser, verflixt noch mal.«

»Stimmt. Ich spüre es an meinem Kopf. Es ist ein Doppelsyndrom.«

»Föhn und Knüppel?«

»Du sagst es.«

Wenig später erreichten sie den Tatort, einen Innenhof, in dem sich Müll, Paletten und Kisten stapelten. Der Hausbesitzer schien nichts von einem gepflegten Ambiente für seine Mieter zu halten, wie das andere Vermieter taten, die ihre Höfe zu gemütlichen Aufenthaltsorten gestalteten. Aber bestimmt kassierte er dafür trotzdem ordentlich ab, wie es längst überall in der Stadt üblich war.

»Verdammt, es ist wirklich Mathilde.« Max schüttelte betroffen den Kopf. Das durfte doch alles gar nicht wahr sein. Noch vor wenigen Stunden hatte er fröhlich mit ihr geplaudert. Jetzt lag sie mit seltsam verdrehtem Kopf vor ihnen im Schmutz. Die Welt um ihn herum bekam von einer Sekunde auf die andere einen grauen Schleier. »Den Kerl erwischen wir, Franzi. Wenn du nicht mitmachst, suche ich ihn alleine.«

»Wieso sollte ich nicht mitmachen?« Franz sah ihn verständnislos an. »Genau genommen ist es meine Aufgabe, den Mörder zu finden. Ich bin von der Kripo, schon vergessen?«

»Logisch. Ich mein ja bloß. Die Sache geht mir wirklich an die Nieren.« Max blickte finster drein. »Sieht aus, als hätte ihr jemand das Genick gebrochen.«

»Ja.«

»Muss ein kräftiger Täter gewesen sein. Vielleicht jemand, der Ahnung von Kampfsport hat.«

»Das ist wohl richtig.« Franz nickte.

Max fragte Jan Reiter von der Spurensicherung, der direkt neben ihnen stand, was er über den Tathergang berichten könne.

»Ihr wurde eindeutig das Genick gebrochen«, erwiderte er. »Das kann ich bestätigen.«

»Hast du eine Tatzeit für uns?«

»Ungefähr zwischen Mitternacht und 1 Uhr. So viel kann ich jetzt schon sagen.«

»Irgendwelche Spuren? Hinweise auf den Täter?« Max kniff vor Schmerzen die Augen zusammen. Vielleicht sollte er doch auf Monika hören und einen Arzt aufsuchen.

»Wir nehmen wie immer Proben von allem, was uns notwendig erscheint. Das hier haben wir zum Beispiel unter ihren Fingernägeln gefunden.« Jan zeigte einen kleinen Stofffetzen in einer Plastiktüte. »Aber genaue Hinweise gibt es erst, wenn sie auf dem Tisch in der Gerichtsmedizin liegt und wir mit unseren Fundstücken im Labor waren. Auch zur Tatzeit. Wisst ihr doch, Leute.«

»Trotzdem, Jan. Was könnte geschehen sein? Gib uns irgendwas.« Max wusste, dass man nicht nachgeben durfte, wenn man von den Jungs in den weißen Kitteln etwas erfahren wollte.

»Es sieht irgendwie nach Raubmord aus. Sie hat weder Papiere noch Geld, Handy oder eine Handtasche bei sich.« Der große, übergewichtige Jan wischte sich den Schweiß von der Stirn. Obwohl es früh am Tag war, sorgte der Föhn bereits wieder für ungewöhnlich hohe Temperaturen.

»Das mit der Handtasche ist mir auch schon aufgefallen«, sagte Max nachdenklich. »Sie hatte gestern so einen hellgrauen Lederbeutel bei sich.«

»Stimmt.« Franz nickte.

»Aber es muss nicht zwingend ein Raubmord gewesen sein, oder?« Max richtete sich erneut an Jan.

»Nein.« Jan schüttelte den Kopf. »Der Täter kann mit dem Diebstahl ihrer Sachen genauso gut versucht haben, ihre Identität zu verschleiern. Wisst ihr ja selbst.«

»Um Zeit zu gewinnen«, meinte Franz.

»Zum Beispiel. Aber ich will mich da noch auf nichts festlegen.« Jan steckte sorgfältig das Plastiktütchen mit dem Stofffetzen darin in die Tasche. »Wir suchen in der näheren Umgebung weiter. Vielleicht finden wir ihre Handtasche irgendwo.«

»Danke, Jan.« Max nickte ihm mit zusammengekniffenen Lippen zu. Er musste sich schwer zusammenreißen, nicht laut über das Schicksal loszufluchen. Mathilde war viel zu jung zum Sterben gewesen und viel zu nett.

»Wir müssen ihre Familie benachrichtigen«, meinte Franz.

»Sie hat mir gestern erzählt, dass sie nicht verheiratet ist«, erinnerte sich Max. »Ihre Eltern starben vor einigen Jahren. Nur ihr Bruder ist noch am Leben. Aber zu ihm hatte sie in der letzten Zeit kaum Kontakt.«

»Das weißt du alles noch?« Franz runzelte ungläubig die Stirn.

»Es war gleich nachdem du zu deinem Essen gegangen bist. Da ging es mir noch gut.« Max wich einem der Männer von der Spusi aus, der gerade mit einer großen Schaufel an ihnen vorbeiwollte.

»Gab es noch andere Personen, die ihr nahestanden?«, fragte Franz. »Vielleicht hatte sie einen Freund.«

»Davon hat sie leider nichts erzählt.« Max schüttelte langsam den Kopf. Die ganze Sache machte ihm wirklich zu schaffen. »Ruf doch mal die Kollegen in Dortmund an. Die sind näher an ihren Lebensumständen dran und finden sicher schneller etwas raus, als wenn ich zum Beispiel da hochfahre, um mich umzuhören.«

»Mach ich.« Franz nickte.

»Gehen wir uns irgendwo besprechen?«

»Ums Eck ist ein italienisches Café. Die müssten schon aufhaben.«

»Gute Idee.«

»Ein Hörnchen wäre gut. Ich hab Hunger«, warf Franz noch ein.

»Du musst doch noch satt von gestern sein.«

»Warum?«

»Nix. Nur so.« Max winkte ab.

Er machte noch mit seinem Handy ein Foto von Mathilde, um sich bei der Befragung eventueller Zeugen leichter zu tun. Dann verabschiedeten sie sich von Jan und gingen los.

Herrschaftszeiten. Das alles ausgerechnet so kurz vor seinem 55. Geburtstag. Eigentlich wollte Max diese einmalige Schnapszahl am nächsten Samstag gebührend feiern. Mit selbstgespielter Livemusik und einem großen Büffet in seinem alten Schwabinger Lieblingslokal, dem früheren »Musiktresor«. Dort hatte er damals auch seinen 40. gefeiert. Seine Gäste damals waren begeistert gewesen, als er selbst eine halbstündige Musikeinlage mit Stücken von Johnny Cash gebracht hatte.

Die Planung des diesjährigen Jubiläums stand bereits. 55 Gäste. Eine tolle Band, und Hartmut, der Besitzer des »Musiktresors«, hatte ein grandioses Büffet bei seinem Lieblingsmetzger bestellt. Doch jetzt schaute es erst mal eher nach Arbeit und einer gehörigen Portion Wut auf den Täter aus.

15

Franz hatte sich nach ihrer kurzen Lagebesprechung ins Revier verabschiedet, um die nächsten Schritte der Ermittlungen von dort aus mit seinem Team zu koordinieren. Max machte sich derweil auf die Suche nach Zeugen am Viktualienmarkt. Er begann dort, wo er niedergeschlagen worden war und Mathilde zum letzten Mal lebend gesehen hatte. In der Nähe des Karl-Valentin-Brunnens. Natürlich hatten die Kollegen gestern Nacht auch schon hier herumgefragt. Aber oft genug wurde etwas dabei übersehen oder überhört. Deshalb wollte er sich der Sache noch einmal höchstpersönlich annehmen.

Überall herrschte rege Betriebsamkeit. Lieferanten fuhren hin und her. Die Verkäufer begannen damit, ihre Stände für das Publikum zu öffnen. Obst und Gemüse, Fisch, Blumen, Fleisch und Wurstwaren, Kaffee, frisch gepresste Fruchtsäfte – das vielfältige Angebot aus aller Welt war schier unbegrenzt.

Max blieb vor einer Kneipe stehen, die bekanntermaßen rund um die Uhr geöffnet hatte. Ein hagerer Mann in seinem Alter mit grauen Haaren und Vollbart stand in Jeans und T-Shirt davor. Er genoss sichtlich seine Zigarette in der warmen Vormittagssonne. Seine Arme waren mit bunten Tattoos übersät.

»Haben Sie kurz Zeit für mich?«, fragte ihn Max.

»Kommt darauf an.« Der Mann lächelte nicht unsympathisch.

»Max Raintaler mein Name. Ich arbeite für die Münchner Kripo.«

»Ein Schnüffler, da schau her. Ich bin der Lucky. Mir gehört das Stüberl hinter mir.« Er zeigte lässig mit dem Daumen auf die Eingangstür zu seinem Lokal. »Was gibt es?«

»Haben Sie eine dieser Frauen gestern Abend zufällig gesehen?« Max hielt ihm die Bilder von Dagmar und Mathilde auf seinem Handy hin.

»Die eine schaut nicht so gut aus«, meinte Lucky.

»Sie ist tot.«

»Das ist schlecht.« In Luckys hellblauen Augen spiegelte sich Betroffenheit.

»Sehe ich genauso. Sehr schlecht.« Max nickte mit zusammengepressten Lippen. Man sah ihm an, dass er das, was er sagte, auf keinen Fall witzig fand. »Ich kannte sie flüchtig. Sie war ein sehr netter Mensch.«

»Ich bin mir sicher, dass ich sie gestern noch lebendig gesehen habe«, meinte Lucky nach einer Weile des Nachdenkens. »Sie ging mit der anderen und einem jungen Mann Richtung Reichenbachplatz.«

»Sind Sie sich wirklich ganz sicher?« Max war sichtlich erfreut darüber, möglicherweise gleich beim ersten Zeugen einen kleinen Erfolg verbuchen zu können.

 

»95 Prozent.« Lucky blickte ihm fest in die Augen.

»Haben Sie mich auch irgendwo gesehen?«

»Nein«, sagte Lucky. Er schüttelte den Kopf, nachdem er Max gründlich betrachtet hatte.

»Wann war das mit den Frauen und dem Mann?«

»Müsste genau um 23.30 Uhr gewesen sein. Die Glocken vom Alten Peter haben gerade zweimal geschlagen. Ich war draußen eine rauchen und hab zur Turmuhr hochgeschaut. Mach ich immer so.«

»Wenn es zur nächsten Viertelstunde schlägt?«

»Ja.« Lucky nickte. »Ist so ein Tick von mir.«

»Wie sah der Mann aus?«

»Mittelgroß, wie gesagt, relativ jung, braune Haare und Drei-Tage-Bart. Er hatte Bluejeans und ein grünes Hawaiihemd an. Sie blickten alle drei nicht gerade glücklich drein.«

»Eher so, als würden sie streiten?«

»Könnte man sagen.« Lucky nickte nachdenklich. »Die Hand würde ich aber nicht dafür ins Feuer legen.«

»Sie schauen sich die Leute wohl ganz genau an.« Max lächelte freundlich.

»Was glauben Sie denn? Ich bin seit über 30 Jahren Kneipenwirt. Da kennt man seine Pappenheimer und vergisst sie nicht. Auch die bisher Fremden.«

»Verstehe. Wie lang arbeiten Sie eigentlich hinter Ihrem Tresen?« Max sah ihn neugierig an. Lucky war ein Wirt vom alten Schlag. Eine gestandene Persönlichkeit und schon rein vom Äußeren her sympathisch. Vielleicht besuchte er ihn demnächst einmal nach Feierabend an seiner Theke.

»In der Nacht bis ungefähr um 2 Uhr, dann übernimmt mein Partner.«

»Und da sind Sie um 10 Uhr schon wieder fit?«

»Um 10 Uhr? Nix da. Ich bin seit 7 Uhr wach. War bereits im Großmarkt einkaufen. Geht nicht anders.« Lucky zuckte mit den Schultern. »Alte Schule«, fügte er noch hinzu.

»So schauen Sie auch aus. Nicht despektierlich gemeint.« Max hob die Hände wie ein gestikulierender Italiener. »Ich finde es eher gut so. Würden Sie Ihre Aussage schriftlich auf dem Revier bestätigen?«

»Was ist denn passiert mit den dreien?« Lucky lächelte.

»Die dunkelhaarige Frau ist, wie bereits gesagt, tot. Sie wurde ermordet.«

»Oha. Und die Blonde?«

»Sie und ihr Begleiter sind spurlos verschwunden.«

»Verstehe.« Lucky nahm seinen dünnen Kinnbart zwischen Daumen und Zeigefinger und zwirbelte daran herum. »Klar komm ich aufs Revier und unterschreibe, was ich gesehen habe.«

»Danke, Lucky.« Max schüttelte seinem Gegenüber die Hand.

Inzwischen waren seine Kopfschmerzen nahezu unerträglich geworden. Er schluckte eine von den Ta­bletten, die ihm Monika vorhin mitgegeben hatte, und hoffte, dass es bald besser würde. Sonst musste er tatsächlich noch einen Arzt aufsuchen.

»Kater?«, erkundigte sich Lucky mit ernsthaft besorgtem Gesichtsausdruck. »Das kann die Hölle sein. Niemand weiß das besser als ich.«

»Alles gut.« Max winkte ab. Er notierte sich Luckys genauen Namen und seine Telefonnummer.

»Könnten Sie heute oder morgen noch aufs Revier schauen?«

»Sicher. Wo?«

»Sie können Ihre Aussage gleich hier ums Eck bei den Kollegen von der Inspektion elf machen. Die leiten sie dann weiter an meinen Chef Franz Wurmdobler.«

»Die Inspektion elf kenn ich. Kein Problem.«

Max ließ Lucky wieder an die Arbeit gehen. Er selbst machte sich auf den Weg zum nächsten Obststand in Richtung Reichenbachplatz. Möglicherweise konnte er so Mathildes Weg zum Tatort nachvollziehen. Vorher versuchte er es in Richtung Marienplatz. Die Stände dort hatte er gestern bereits wegen Dagmar abgegrast. Jetzt würde er noch einmal wegen Mathilde nachfragen. Manchmal war Polizeiarbeit banaler als gedacht.

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