Mord am Viktualienmarkt

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8

19.30 Uhr, Monikas kleine Kneipe.

»Gott sei Dank, ihr seid gleich gekommen.« Monika führte die beiden breitschultrigen Polizisten, die am Straßenrand vor dem Lokal ihrem Streifenwagen entstiegen waren, geradewegs zu den Streithanseln im Biergarten. Noch immer war dort keine Ruhe eingekehrt.

»Wir waren gerade um die Ecke«, erklärte ihr der Fahrer, während sie sich dem Ort des Geschehens näherten.

»Zum letzten Mal. Hör endlich auf, mit dem bescheuerten Bier herumzuspritzen, Joschi!«, rief Helmut gerade. Seine patschnassen dunklen Haare hingen ihm in kleinen Strähnen ins Gesicht, als wäre er gerade aus der Dusche gekommen.

»Genau, hör endlich auf«, meinte der größte der drei Bayern, die nach wie vor bei ihrem Tisch standen. »Ja, so ein hirnamputierter Depp.« Er schüttelte bestimmt zum zehnten Mal in den letzten Minuten missbilligend den Kopf. Seine beiden Freunde neben ihm taten es ihm gleich. Es sah ganz so aus, als würden sie jeden Moment auf die Norddeutschen losgehen. Kräftig genug, um diese Schlacht für sich zu entscheiden, sahen sie auf jeden Fall aus.

»Grüß Gott, die Herrschaften. Ich bin Polizeiobermeister Alois Schmied. Mein Kollege ist Polizeimeister Holger Brauchitsch. Um was geht es hier?« Der blonde und größere der beiden Streifenbeamten, der den Wagen gefahren hatte, trat einen Schritt vor und bekam prompt einen Schwall Weißbier von Joschi ins Gesicht geschüttet, der sich dafür blitzschnell ein Glas vom Nebentisch geschnappt hatte.

Verblüfft schüttelte er sich. Dann zog er hastig seine Dienstwaffe.

»Angriff auf einen Vollzugsbeamten, Holger!«, rief er seinem kleineren dunkelhaarigen Kollegen zu.

Holger zog daraufhin ebenfalls seine Waffe und entsicherte sie.

Anschließend stellten sie sich mit nervösen Gesichtern Rücken an Rücken und zielten wild in der Gegend umher.

»Ja, spinnen denn hier alle!« Monika konnte nicht fassen, was sie gerade sah. Der Föhn trieb die Leute offenbar wirklich zum Äußersten. »Wegen einem Schluck Weißbier im Gesicht wird hier keiner erschossen«, wandte sie sich in strengem Tonfall an die Polizisten. »Steckt auf der Stelle eure Waffen wieder ein, oder ich ruf den Leiter des Dezernats für Gewaltdelikte an. Der ist ein guter Freund von mir.«

Alois und Holger zögerten. Sie blickten eine ganze Weile lang unschlüssig in die Runde. Dann beruhigten sie sich langsam wieder und steckten ihre Waffen ein. Offenbar erachteten sie die aufgeladene Gesamtsituation jetzt doch nicht mehr als unmittelbar lebensbedrohlich.

Es war inzwischen totenstill geworden. Keiner der Anwesenden traute sich, auch nur einen Muskel im Gesicht zu bewegen. Jeder wartete offensichtlich gespannt darauf, wie es weiterging.

»Das glaube ich nicht«, sagte Alois schließlich.

»Was glauben Sie nicht?« Monikas Gesichtsausdruck war hart vor Empörung.

»Dass Sie den Herrn Wurmdobler kennen. Ich kenne ihn nämlich auch. Hab ihm schon mal bei einem Mordfall geholfen.«

»Wir können es gerne drauf ankommen lassen.« Sie stemmte entschlossen ihre Hände in die Hüften und warf dabei herausfordernd den Kopf zurück.

»Sie kennen ein hohes Tier bei der Polizei persönlich?« Sogar der betrunkene Wüterich Joschi schien beeindruckt. Er schielte Monika, hin und her schwankend wie ein Halm im Wind, mit großen Augen an.

»So ist es.« Monikas Stimme klang fest und selbstbewusst.

»Dann gebe ich auf.« Joschi setzte sich. »Tut mir leid. Ich bezahle alle Schäden und eine Lokalrunde.«

Monika schaute ihn verblüfft an. Da schau her. So schnell konnte sich das Blatt wenden. Szenenapplaus der Umsitzenden. Anfangs noch zögerlich, dann immer lauter.

9

20.15 Uhr. Max und Mathilde arbeiteten sich immer weiter Richtung Marienplatz vor. Sie fragten auf dem Weg, wie er es vorgeschlagen hatte, die Verkäuferinnen und Verkäufer der Obststände und Metzgereien, die noch offen hatten oder gerade schlossen, nach Dagmar. Das dauerte seine Zeit. Sie schwitzten alle beide.

Natürlich hatte Mathilde ein Bild der Freundin auf ihrem Smartphone gehabt und es ihm auf seins geschickt.

Max zeigte es den möglichen Zeugen. Doch niemand wollte Dagmar gesehen haben. Es sah ganz so aus, als wäre sie spurlos verschwunden.

»Vielleicht hat sie tatsächlich diesen Jörg getroffen«, mutmaßte Max. »So heißt doch ihr Freund?«

»Das ist, wie gesagt, möglich. Aber eigentlich sollte er doch beim Angeln in Holland sein.« Mathilde schüttelte langsam den Kopf. »Sagt zumindest Sabine.«

»Und was, wenn er niemandem, auch ihr nicht, verraten hat, dass er stattdessen euch beiden hierher gefolgt ist?«

»Aber Sabine …«

»Weiß sie denn wirklich so genau, wo er ist«, unterbrach er sie, »oder vermutet sie es nur?«

»Du hast recht.« Mathilde nickte langsam. »Du meinst also, Dagmar und Jörg könnten durchaus irgendwo hier in München zusammen unterwegs sein, und deswegen meldet sie sich nicht?«

»Ja.« Er nickte ebenfalls. »Vielleicht wollte er den Streit, den sie vor eurer Abfahrt miteinander hatten, mit ihr klären.«

»Aber warum sagt sie dann nicht kurz Bescheid und ist darüber hinaus nicht zu erreichen?«

»Tja, gute Frage.« Max kratzte sich ausgiebig am unrasierten Kinn. »Weil die Leidenschaft sie übermannt hat?«

»Dazu ist Dagmar nicht der Typ.« Sie schüttelte den Kopf. »Sie leitet eine große Softwarefirma, die ihrem Vater gehörte. Das schaffst du nur, wenn du ein kon­trollierter Mensch bist.«

»Ist sie das?«

»Sie ist ein wahrer Kontrollfreak.«

»Aber gerade die sind doch besonders für unkon­trollierte Ausbrüche bekannt. Weil sie sich sonst immer total zusammenreißen.« Max sann kurz über sich selbst nach. Er hatte bereits des Öfteren gedacht, dass er womöglich auch so einer war, der ewig lange alles in sich hineinfraß und dann auf einmal explodierte, wenn man am wenigsten damit rechnete. Möglich wäre es schon. Monika würde es ihm sicher genau sagen können.

»Moment mal, Max.«

Mathildes Smartphone surrte. Da sie es in der Hand hielt, um wie Max Dagmars Bild reihum zu zeigen, bemerkten sie es beide sofort.

»Eine Nachricht von Dagmar?« Max sah sie neugierig an.

»Ja.« Mathilde nickte. »Sie schreibt, sie wäre in zwei Stunden, also gegen 22.30 Uhr, am Karl-Valentin-Brunnen. Dann könnten wir noch gemütlich irgendwo etwas trinken. Alles andere später.«

»Keine Erklärung oder Entschuldigung?«

»Nein. Nichts dergleichen. Nur das, was sie geschrieben hat.« Sie zeigte ihm die Nachricht.

Er las sie mit der stets brennenden Neugier des Ermittlers.

»Ist das normal bei ihr?«, wollte er danach wissen.

»Eigentlich nicht.«

»Seltsam.«

»Hauptsache, sie hat sich gemeldet.« Sie steckte das Handy erleichtert in ihre Handtasche. »Und ich befürchtete schon, sie wäre wegen ihrer andauernden Streitereien mit Jörg mit einem Wildfremden mitgegangen.«

»Wozu sollte sie das tun?«

»Um sich an ihm zu rächen.«

»Würde Jörg das denn treffen?«

»Unbedingt.« Sie nickte heftig. »Er ist eifersüchtig wie ein Sizilianer.«

»Aber es kann doch trotzdem so sein.« Max hob den Zeigefinger. Eine alte Gewohnheit aus seiner Dienstzeit als Hauptkommissar. Er hatte dabei überdurchschnittlich viele Fälle gelöst und oft mit seinen Vermutungen und Behauptungen recht behalten, was ihm irgendwann im Kollegenkreis den Spitznamen »Herr Oberlehrer« eingebracht hatte.

»Was?«

»Dass sie sich mit einem Fremden getroffen hat. Woher willst du wissen, dass sie die Nachricht selbst geschrieben hat?« Ein Kriminaler oder Privatdetektiv war nur dann erfolgreich, wenn er bei seinen Ermittlungen nichts außer Acht ließ. Natürlich wusste das Max aus eigener Erfahrung.

»Du hast recht. Oh Gott, hoffentlich kommt sie nachher wirklich zu diesem Brunnen.« Ihre Stimme hörte sich gleich wieder alarmiert an.

»Karl Valentin.«

»Wie bitte?« Mathilde wurde, während sie sprach, von einem vorbeieilenden mittelalten Geschäftsmann im dunklen Anzug angerempelt. Sie stolperte ein Stückweit nach vorn.

»Hey, pass auf, wo du hinrennst!«, rief ihm Max nach.

»Fick dich, Arschloch«, kam es unfreundlich mit erhobenem Mittelfinger zurück.

»Kein Benehmen mehr auf den Straßen«, echauffierte sich Max lauthals und kopfschüttelnd. »Und bei Föhn drehen alle voll am Rad. Die ehrgeizigen Anzugtypen sind oft die Schlimmsten. Geht es dir gut? Hat er dir wehgetan? Wenn ja, renn ich ihm nach und schmier ihm eine.« Er straffte, bereit, für sie in die Schlacht zu ziehen, seinen Oberkörper.

»Alles gut. Nichts passiert.« Sie winkte lächelnd ab. »Er ist den Aufwand nicht wert. Aber danke. Sehr lieb.« Sie bedachte ihn mit einem tiefen Blick, der definitiv länger war als ihre bisherigen Blicke.

»Karl-Valentin-Brunnen«, fuhr Max fort, während er sich wieder entspannte.

»Karl-Valentin-Brunnen?« Sie sah ihn fragend an.

»Karl Valentin war ein berühmter bayerischer Humorist. Ein echter Wortakrobat und Satzverdreher mit viel Sinn fürs Abseitige und Schräge.« Max grinste unwillkürlich. Er war bei einem seiner Lieblingsthemen angelangt. Bayern und seine Charakterköpfe von gestern und heute.

»Klingt nach Kabarett.«

»So was in der Art, ja.« Er nickte. »Manchmal wäre ich auch lieber Humorist als Polizist geworden.«

»Wieso das?«

»Bestimmt zeigt sich das Leben einem Humoristen von einer witzigeren Seite.«

»Wer weiß.« Sie machte eine abwägende Handbewegung.

»Stimmt.« Er nickte erneut. »Wer weiß.«

Die hereinbrechende Dunkelheit ließ das Geschehen rundumher unwirklich erscheinen. Nach wie vor war es warm. Tatsächlich eher ein lauer Sommerabend als ein zu Ende gehender Frühlingstag im April. Die Passanten liefen zum großen Teil leicht bekleidet herum. Manche trugen sogar kurze Hosen und nur ein T-Shirt darüber wie im Hochsommer.

 

»Sollen wir noch irgendwo etwas trinken, bis du Dagmar triffst?«, fragte Max.

»Hast du denn noch Zeit?« Sie sah ihn neugierig an.

»Die kann ich mir nehmen.«

Wenn er ehrlich war, wollte er einfach nur allzu gerne wissen, was hinter der seltsamen Abwesenheit von Dagmar steckte. Immerhin war ihr Verhalten laut Mathilde mehr als ungewöhnlich gewesen, und solche Dinge interessierten ihn schon rein berufsmäßig.

Außerdem konnte es tatsächlich ebenso gut sein, dass ein Unbekannter ihr Smartphone an sich genommen hatte und Mathilde mit der gerade gesendeten Nachricht zum Karl-Valentin-Brunnen locken wollte, warum auch immer.

Auf jeden Fall war Vorsicht geboten.

»Gehen wir.« Mathilde hakte sich bei ihm unter.

Den bärtigen Riesen, der 20 Meter hinter ihnen seine Zeitung zusammenklappte und sich daranmachte, ihnen zu folgen, bemerkten sie nicht.

10

»Fast 23 Uhr und er ruft einfach nicht mehr an, Annie.« Monika wischte ihre vom Putzen des Tresens feuchten Hände an ihrer Schürze ab. Sie hatte das Lokal wie immer im Frühjahr um 22 Uhr geschlossen und richtete nun zusammen mit Annie alles für den nächsten Tag her.

»Wer? Max?«

»Hoffentlich ist ihm nichts passiert.« Monika blickte besorgt drein.

»Was soll ihm denn passieren?«

»Keine Ahnung. Ein Autounfall?«

»Auf dem Viktualienmarkt, wo keine Autos fahren?«

»Dann halt ein Herzinfarkt wegen dem starken Föhn oder ein durchgedrehter Heckenschütze. Gab es doch alles schon.« Monika zuckte die Achseln. »Er hat mir nur vorhin noch einmal eine Nachricht geschrieben. Es ginge um eine aktuelle Entführung, und ich solle ihm den Abwasch aufheben. Das ist aber auch schon wieder eine Zeitlang her. Ich würde wirklich zu gerne wissen, wie die entführte Person aussieht, nach der er sucht.«

»Du meinst, blond und blauäugig und mit einer Bombenfigur?« Anneliese grinste anzüglich.

»Warum nicht. Könnte doch sein.« Monika starrte nachdenklich an die Wand.

»Doch eifersüchtig?«

»Nein, Schmarrn. Wirklich nicht. Er gehört mir schließlich nicht alleine.« Sie winkte errötend ab. »Na ja, vielleicht ein bisschen«, gab sie zu.

»Und wenn er tatsächlich arbeitet?«

»Dann bin ich ein egoistisches Ekel, weil ich mich ohne Grund über ihn beschwere.« Sie zuckte die Achseln. Natürlich konnte Anneliese recht haben. Es war nicht das erste Mal, dass Max sie wegen seiner Arbeit versetzte. Oft genug war das auch nicht grundlos der Fall. Dabei lag es eindeutig an ihr, Verständnis aufzubringen. Sie konnte ihn ja nicht hier im Lokal anbinden.

»Kein Ekel, dazu bist du viel zu nett.« Anneliese schüttelte lächelnd den Kopf. »Aber auf dem falschen Dampfer könntest du wohl sein. Zumindest mit anderen Frauen. Heute Abend, meine ich.«

»Möglich.« Monika nickte.

»Sehr gut möglich.« Annie zog die Gummihandschuhe aus, die sie sich zuvor zum Putzen übergestreift hatte. Sie legte sie auf den Tresen und kramte eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Schürzentasche. »Du auch eine?« Sie sah Monika fragend an.

»Okay, ausnahmsweise. Ich hab zwar eigentlich aufgehört, aber ich glaub, ich fang wieder an. Kann ja nächste Woche wieder aufhören.« Monika grinste.

»Das ist meine alte Moni.« Anneliese grinste ebenfalls. Sie gab Monika und sich selbst Feuer.

»Ich mach uns einen Prosecco auf. Was meinst du?« Monika eilte hinter den Tresen.

»Prosecco ist Lebenselixier. Wie könnte ich da Nein sagen.«

Beide lachten.

»Weißt du, was heute mit Abstand das Beste war?«, fragte Monika, nachdem sie ihnen eingeschenkt hatte.

»Sag’s mir.« Anneliese machte ein gespanntes Gesicht.

»Als die zwei Streifenpolizisten wie in einem Actionfilm aus Hollywood ihre Knarren gezogen haben und …« Monika konnte nicht weiterreden. Sie musste laut lachen.

»… und?«

»… und sich fast in die Hosen gemacht haben wegen den zwei depperten Preißn. Dabei konnten die vor lauter Rausch doch schon gar nicht mehr richtig stehen.« Monika prustete laut los.

Anneliese schloss sich ihr umgehend an. Sie versprühte dabei den Schluck Prosecco, den sie bereits im Mund hatte, in einer riesigen Fontäne über den gesamten Tresen.

Das brachte Monika noch mehr zum Lachen. Sie hielt sich den Bauch, hatte Tränen in den Augen.

»Und dann dieser Polizeiobermeister Alois. Wie bedeppert der dreingeschaut hat mit seinem gewaschenen Weißbiergesicht.« Anneliese brüllte vor Lachen.

»Jaaaa!« Monika legte keuchend ihren Oberkörper auf den Tresen. Sie bekam kaum noch Luft.

Die Erleichterung nach der Anspannung des schwierigen Föhntages hatte alle beide erfasst. Gott sei Dank war vorhin im Biergarten niemand wirklich zu Schaden gekommen.

»Hoffentlich ist Max nichts passiert bei seinem neuen Entführungsfall«, meinte Monika, nachdem sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte.

»Er ist Profi, Monika.« Anneliese trank immer noch grinsend ihr Glas leer.

»Das heißt gar nichts.«

11

Max schlug die Augen auf. Er sah sich um. Stellte fest, dass er irgendwo auf dem Boden liegen musste, da er in erster Linie nur Schuhe und Beine stehen und gehen sah. Er entdeckte eine graue Brunnenmauer neben sich. Der Karl-Valentin-Brunnen. Da wollten sie vorhin doch hin, oder? Na klar. So musste es sein.

Herrschaftszeiten, am schlimmsten waren die Schmerzen an seinem Hinterkopf. Jemand musste ihn von hinten niedergeschlagen haben oder er war wegen der Kombination aus Föhn und Alkohol einfach umgekippt und anschließend mit dem Hinterkopf gegen den Brunnen geknallt. Beides war möglich.

Zwei junge Männer in Jeans und T-Shirts kamen direkt an ihm vorbei. Sie hielten an, schauten zu ihm hinunter und fragten ihn, ob sie ihm helfen könnten.

»Nein, danke«, erwiderte er, während er, mit einer Hand am Brunnenrand, vor Schmerzen stöhnend aufstand. »Ich komme klar.«

»Ein Bierchen zu viel erwischt, was?«, erkundigte sich der größere von beiden in astreinem Berliner Dialekt.

»Ich komme klar«, wiederholte Max eine Spur bestimmter und deutlich unfreundlicher als zuvor.

»Man darf das bayerische Bier nicht unterschätzen«, stichelte der Tourist unbeeindruckt weiter. Er grinste breit dabei.

»Schleicht’s euch, aber schnell.«

Zwei oberschlaue Jungpreißndeppen haben mir gerade noch zu meinem Glück gefehlt.

»Mein Gott, man wird ja noch helfen dürfen«, erwiderte jetzt der kleinere. »Sie sind schließlich auch nicht mehr der Jüngste.«

»Ach, habt’s mich doch gern.« Max winkte ab. Er beachtete die beiden nicht mehr, sondern drehte sich lieber einmal um die eigene Achse, um dabei zu realisieren, dass Mathilde nicht mehr da war. Hätte ihm auch gleich auffallen können. Aber da waren schon beim Aufwachen diese mörderischen Kopfschmerzen gewesen, die ihn immer noch nicht klar denken ließen.

»Das ist gar nicht gut, Max Raintaler«, murmelte er mehr zu sich selbst, während er immer noch dabei war, sich vollends in der Senkrechten auszurichten. »Hoffentlich ist ihr nichts Schlimmeres zugestoßen. Mann, was ist bloß passiert?«

»Du hast das Bier bei der Hitze nicht vertragen«, meinte der größere der beiden Burschen, die immer noch neben ihm standen. »Das ist passiert. Sonst nichts.«

Sie lachten albern und zeigten dabei mit den Fingern auf ihn.

Max lachte nicht.

»Wenn ihr nicht in einer Sekunde verschwunden seid«, sagte er laut, »kriegt ihr eine Tracht Prügel, die sich gewaschen hat. Hamma uns, ihr Kaschperlköpfe?« Er holte demonstrativ mit der rechten Faust zum Schlag aus.

»Ist ja schon gut. Meine Güte, was für ein unhöflicher bayerischer Waldschrat«, empörte sich der größere. »Da will man helfen und dann das. So viel zum Thema ›Weltstadt mit Herz‹.«

Dann sahen sie zu, dass sie Land gewannen. Anscheinend befürchteten sie, dass sie sich tatsächlich gleich eine Tracht Prügel einfingen.

»Was mach ich jetzt nur?«, fragte sich Max währenddessen wieder halblaut. »Mathilde ist doch sicher nicht einfach verschwunden und hat mich hier auf dem Boden liegen gelassen.«

Vielleicht holte sie sich aber auch nur irgendwo etwas zu trinken oder zu essen. Er wollte solange kurz hier auf sie warten, und dann hatte ihm jemand überraschend von hinten einen Scheitel gezogen. Wenn es so war, konnte sie gar nicht wissen, was geschehen war, und müsste jeden Moment wiederkommen. Aber warum hatte er eins draufgekriegt? Wenn er sich doch nur daran erinnern könnte, was geschehen war. In seinem Kopf herrschte diesbezüglich nichts als Dunkelheit.

Er sah auf seine Armbanduhr. 23.15 Uhr. Das letzte Mal hatte er, kurz bevor er und Mathilde den Brunnen erreichten, drauf gesehen. Da war es 22.55 Uhr gewesen. Dagmar war noch nicht hier gewesen. Mathilde hatte sich ängstlich darüber beschwert. Das wusste er noch. Aber an mehr konnte er sich nicht mehr erinnern. Also war er wohl locker eine Viertelstunde lang ohnmächtig gewesen. Den Schmerzen in seinem Kopf nach konnte dies sehr gut so gewesen sein.

Moment mal. Er wurde um kurz vor 23 Uhr nachts mitten auf dem Viktualienmarkt niedergeschlagen, und niemand hatte es beobachtet oder die Polizei gerufen?

Sehr seltsam. Oder war er doch nur umgekippt?

Obwohl, allzu viel war nicht mehr los in dieser eher etwas abgelegenen Ecke des großen Platzes, und dunkel war es obendrein.

Vielleicht sollte er noch ein paar Minuten warten, bis sie eventuell wieder zurückkam.

Nicht lang herumraten. Entscheidungen treffen, Raintaler.

Zum Glück hatte er Mathildes Handynummer, da sie ihm vorhin das Bild von Dagmar aufs Display geschickt hatte. Er rief sogleich bei ihr an.

Sie ging nicht ran, obwohl er wusste, dass sie ihr Handy bisher die ganze Zeit über wegen Dagmar eingeschaltet hatte.

»Das ist gar nicht gut, Max«, murmelte er. »Das ist sogar eher ziemlich schlecht.«

Er legte wieder auf.

Denk nach, Mann. Was ist passiert, bevor du ohnmächtig wurdest? Hast du, außer Mathilde, noch jemanden gesehen? Was tat sie in dem Moment, ab dem du dich nicht mehr erinnern kannst?

In Ermangelung einer Antwort rief er erst mal Monika an.

»Ich komme später, Moni. Ich wurde, glaube ich, niedergeschlagen, und die zweite Frau ist auch verschwunden.«

»Welche zweite Frau?«

»Erst ist Dagmar verschwunden, dann Mathilde.«

»Ach wirklich?« Die Ironie in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

»Jetzt tu nicht so blöd gespreizt.« Er schnaubte genervt. »Franzi und ich hatten zwei Touristinnen aus Dortmund am Tisch. Hier im kleinen Biergarten am Viktualienmarkt. Alles ganz harmlos. Doch jetzt sind beide weg, und ich hab eins auf den Kopf bekommen. Denke ich zumindest.«

»Von Mathilde oder Dagmar?«

»Ich weiß nicht, wer es war. Vielleicht bin ich auch nur unglücklich gestürzt.« Er schüttelte verwirrt den Kopf, ließ es aber wegen der stechenden Schmerzen gleich wieder bleiben. »Auf jeden Fall tut es verdammt weh. Ich war ohnmächtig.«

»Was? Wirklich?« Sie hörte sich auf einmal gar nicht mehr so forsch an wie zuvor. Eher erschrocken und ernsthaft besorgt.

»Ja.«

»Und wo ist Franzi?«

»Beim Essen.«

»Wo sonst.«

»Stimmt.« Max konnte sie förmlich grinsen sehen. Er grinste ebenfalls schwach, obwohl ihm überhaupt nicht danach zumute war. »Aber er müsste längst fertig sein bei den Hubers. Ich ruf ihn gleich mal an.«

»Tu das, und lass jemanden deine Verletzung anschauen. Mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu spaßen. Das weißt du selbst.«

»Mach ich.«