Atomfieber

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Paul Scherrer und die Schweizer Bombe



Paul Scherrer hatte während des Ersten Weltkriegs in Göttingen Physik studiert und war 1920 mit 30 Jahren Professor für Physik an der ETH Zürich geworden. Ab 1927 leitete er dort das Physikalische Institut, das er in der Folge zusammen mit Wolfgang Pauli zu einem internationalen Forschungszentrum für Atomphysik machte. Ab 1937 beschäftigte er sich mit dem Bau von Teilchenbeschleunigern. In Zusammenarbeit mit der Brown, Boveri & Cie. (BBC) und der Maschinenfabrik Oerlikon entstanden ab 1939 an der ETH Zürich unter seiner Leitung mit dem «Zyklotron» und dem «Tensator» zwei der ersten Teilchenbeschleuniger Europas.



Als eine Koryphäe im Bereich der Atomphysik wurde Paul Scherrer nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zur zentralen Schlüsselfigur des Schweizer Atombombenprogramms. Er schien wie kein anderer dafür prädestiniert zu sein, die Schweiz ins Atomzeitalter zu katapultieren.

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 Aufgrund seiner engen Kontakte zu Werner Heisenberg war er während des Kriegs aus erster Hand über das deutsche «Uranprojekt» infor miert gewesen. Als Agent des US-Geheimdiensts OSS verfügte er zudem über einen direkten Draht zu Allan W. Dulles, dem späteren CIA-Direktor. Acht seiner ehemaligen Studenten waren während des Kriegs direkt am «Manhattan-Projekt» beteiligt gewesen und hatten im Oak Ridge National Laboratory im US-Bundesstaat Tennessee gearbeitet, wo für den Bau der amerikanischen Atombombe «Little Boy» Uran angereichert worden war.



Nach Angaben seiner beiden Assistenten Werner Zünti und Otto Huber an der ETH Zürich machte Paul Scherrer im Spätsommer 1945 eine dreimonatige Studienreise in die USA, wo er sich unter anderem mit seinem ehemaligen Schüler Chauncey Guy Suits traf, dem damaligen Forschungsleiter bei General Electric, der ebenfalls am «Manhattan-Projekt» beteiligt gewesen war. Anschliessend traf er sich persönlich mit General Leslie R. Groves, dem Leiter des «Manhattan-Projekts», und besuchte das Laboratorium Hanford Site im US-Bundesstaat Washington, das während des Kriegs für die Produktion von Plutonium zuständig gewesen war.

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Nach dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki beschäftigten sich die amerikanischen Wissenschaftler und Militärs des «Manhattan-Projekts» mit der Frage, wie lange wohl die Sowjetunion noch brauchen würde, um ebenfalls Atombomben zu bauen. Der Schweizer Physiker Fritz Zwicky war im Frühling und Herbst 1945 als Militärberater für die US-Army in Deutschland und Japan. Auf Anfrage des Geheimdiensts der US-Marine (US Navy Intelligence) empfahl er Paul Scherrer als unabhängigen Experten zur Beurteilung dieser Frage: «Ich schlug Prof. Paul Scherrer vor, der dann auch prompt eingeladen und zu seinem Unbehagen als amerikanischer Bürger, namens ‹Shearer›, durch die Installationen des Manhattan-Projektes in Los Alamos, Oak Ridge usw. geführt wurde. Am Schluss seiner Rundreise gab er das gleiche Urteil ab wie Langmuir und ich – die Russen würden es sicher in drei Jahren schmeissen.»

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 Mit seiner Einschätzung lag Paul Scherrer nicht weit daneben: Die erste sowjetische Atombombe wurde am 29. August 1949 auf dem Testgelände Semipalatinsk in Kasachstan gezündet.



Von seiner Reise in die USA brachte Paul Scherrer den Smyth-Report in die Schweiz mit. Der Bericht des US-amerikanischen Physikers Henry De Wolf Smyth von der Universität Princeton, der nach dem Abwurf der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki am 12. August 1945 als offizieller Bericht der US-amerikanischen Regierung veröffentlicht wurde, fasste erstmals das frei verfügbare Wissen über die technischen Grundlagen der Atombombe und der Atomenergie zusammen. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz hielt Paul Scherrer im Herbst 1945 am Physikalischen Institut der ETH Zürich mehrere Vorträge über den Smyth-Report.



Am 28. November 1945 veröffentlichte Paul Scherrer in der Neuen Zürcher Zeitung einen Artikel mit dem Titel Atomenergie – Die physikalischen und technischen Grundlagen, der das physikalische Wissen über die Atombombe erstmals in allgemeinverständlicher Form für die Schweizer Öffentlichkeit zugänglich machte.

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 Er beschrieb den Aufbau der Atome und der Atomkerne, die Kernspaltung, die nukleare Kettenreaktion, die Entstehung von Plutonium und anderer radioaktiver Spaltprodukte sowie den Aufbau und die Funktionsweise einer Atombombe und eines Atomreaktors.



An der von Bundesrat Karl Kobelt einberufenen Atomkonferenz vom 5. November 1945 wurde die Gründung der SKA beschlossen, die dem EMD unterstellt wurde und deren Präsident Paul Scherrer werden sollte. Zu den Mitgliedern der Kommission zählten Physiker und Chemiker der Universitäten Zürich, Basel, Bern, Neuenburg und Genf,

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 Oberstbrigadier René von Wattenwyl, Chef der KTA, und der Delegierte für Arbeitsbeschaffung, Otto Zipfel. Als Sekretär fungierte Alfred Krethlow, der Chef der Sektion für technische Physik der KTA.



«Die SKA soll überdies die Schaffung einer schweizerischen Bombe oder anderer geeigneter Kriegsmittel, die auf dem Prinzip der Atomenergie beruhen, anstreben.» Bundesrat Karl Kobelt, 5.2.1946



Mit der Zusammensetzung der SKA versuchte Bundesrat Karl Kobelt, das physikalische und technische Wissen über die Atomenergie beim Militärdepartement zu monopolisieren. Nur widerwillig räumte er auch seinem Amtskollegen, FDP-Bundesrat Walther Stampfli, dem Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements, einen Sitz ein.

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 Weder die Schweizer Elektrizitätsgesellschaften noch die Maschinen- und die Chemieindustrie waren in der SKA vertreten. Die atomphysikalischen Forschungen und die technischen Entwicklungen der SKA verfolgten entsprechend einen militärischen und nicht einen wirtschaftlichen Zweck.

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Als Aufgaben der SKA wurden offiziell die Förderung und Koordination von Forschungen im Bereich der Atomphysik, die Erteilung von Forschungsaufträgen, die Beratung von Behörden und die Schulung von Wissenschaftlern genannt. Die Forschungen wurden zivil getarnt, verfolgten aber hauptsächlich militärische Absichten. In den geheim gehaltenen Richtlinien für die Arbeiten der SKA auf militärischem Gebiet beauftragte Bundesrat Kobelt die SKA am 5. Februar 1946 ausdrücklich mit der Entwicklung einer Schweizer Atombombe: «Die SKA soll überdies die Schaffung einer schweizerischen Bombe oder anderer geeigneter Kriegsmittel, die auf dem Prinzip der Atomenergie beruhen, anstreben. Es ist zu versuchen, ein Kriegsmittel zu entwickeln, das aus einheimischen Rohstoffquellen erzeugt werden kann. Der Einsatz dieser Kriegsmittel auf verschiedene Art zu prüfen, namentlich: a) Uranbomben als Zerstörungsmittel ähnlicher Art wie Minen für Zwecke der Defensive und aktiver Sabotage. b) Uranbomben als Artilleriegeschosse. c) Uranbomben als Flugzeugbomben.»

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Die Mitglieder der SKA wurden vertraglich zur Geheimhaltung verpflichtet. Die Wissenschaftler erhofften sich durch ihre Beteiligung an der SKA den Zugang zu umfangreichen, durch das Militärdepartement subventionierten Forschungsgeldern. Dafür stellten sie ihre wissenschaftliche Arbeit, die in erster Linie dem Bau einer Atombombe dienen sollte, in den Dienst der Schweizer Armee. Die Wissenschaftler forderten hohe Forschungskredite. Rasch ging es dabei um so gewaltige Summen, dass das Finanzdepartement gegen den Willen des Militärdepartements auf einer Parlamentsvorlage beharrte. Paul Scherrer musste für die SKA einen Bundesbeschluss über die Förderung der Forschung auf dem Gebiet der Atomenergie ausarbeiten. Am 17. Juli 1946 beantragte Bundesrat Kobelt beim National- und Ständerat für die Atomforschung einen Kredit von 18 Millionen Franken für die Jahre 1947 bis 1951. Weitere zehn Millionen Franken wurden reserviert für den Fall, dass mit dem Bau eines Atomreaktors begonnen würde. Der Bundesrat begründete die für die damaligen Verhältnisse enorm hohe Summe mit der «ausserordentlich grossen Bedeutung, die der Atomenergie für unsere Landesverteidigung und unserer Wirtschaft zukommen kann».

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 Das Budget der ETH Zürich betrug damals zum Vergleich gerade einmal vier Millionen Franken pro Jahr.

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Eine dreiste Lüge



Der Ständerat befasste sich am 8. Oktober 1946 mit der Vorlage und lehnte diese mit 17 zu 14 Stimmen ab. Die undurchsichtige Verknüpfung von wirtschaftlichen und militärischen Interessen hatte insbesondere Friedrich Traugott Wahlen von der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) zu heftiger Kritik bewogen: «Ich bin nun der festen Überzeugung, dass sich die in der Schweiz durchgeführten wissenschaftlichen Arbeiten strikte auf die Grundlagenforschung und die Auswertungen auf wirtschaftlichem Gebiet beschränken sollten, selbstverständlich unter Einbezug rein militärischer Defensivvorkehrungen, aber unter bewusstem und ausgesprochenem Verzicht auf die Entwicklung und Herstellung von Atombomben.»

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 Er forderte mit einem Hinweis auf das humanitäre Völkerrecht eine Ächtung der Atomwaffen. Ein Schweizer Atombombenprogramm würde zudem den angestrebten Beitritt zur UNO erschweren. Er forderte eine Ergänzung der Vorlage «durch eine eindeutige Willenserklärung von Parlament und Bundesrat, grundsätzlich und ohne Rücksicht auf die von den Grossmächten zu treffenden Entschlüsse auf die Verwendung der Atombombe zu verzichten».

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 Bundesrat Karl Kobelt versuchte zu beschwichtigen, indem er betonte, die Nutzung der Atomenergie komme vor allem der Wirtschaft und nicht der Armee zugute.

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 Am 18. Dezember 1946 kam die Vorlage in fast unveränderter Form erneut vor den Ständerat. Bundesrat Kobelt beteuerte wiederum, «dass kein Mensch daran denke, dass in der Schweiz das grauenhafte Kriegsinstrument der Atombombe gebaut werden soll».

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 Und er versicherte: «Wir haben weder die Absicht noch wären wir in der Lage, Atombomben herzustellen.»

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 Gestützt auf diese dreiste Lüge nahm der Ständerat die Vorlage mit 35 Ja-Stimmen und einer Enthaltung an. Mit dem gleichen Täuschungsmanöver gelang es Karl Kobelt am 18. Dezember 1946, auch den Nationalrat zu überzeugen.

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Im September 1946 fand ein Treffen von Bundesrat Kobelt, Paul Scherrer, René von Wattenwyl und Fritz Zwicky statt; Zwicky entwickelte ab Juni 1947 als Militärberater der Schweizer Armee aus der Doktrin des totalen Kriegs das Konzept einer totalen Landesverteidigung. Der Schweizer Physiker, Astronom und Raketeningenieur wirkte von 1943 bis 1949 auch als Berater der Aerojet Engineering Corporation an der Entwicklung von Interkontinentalraketen mit. Nach eigenen Aussagen erkannte er bereits 1939 die Möglichkeit von Atombomben und entdeckte bei seinen Beobachtungen von Supernovae die Existenz nuklearer Kettenreaktionen. Daraus leitete er seine Strategie des totalen Kriegs ab.

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 Für die Schweizer Armee sollte er nun Vorschläge für deren technische Aufrüstung erarbeiten. Am 30. September 1947 legte er der KTA seinen Bericht Vorschläge zur Gesamtbereitschaft der Schweiz gegen kriegerische Angriffe vor. In einem Brief an Paul Scherrer vom August 1949 fasste er seine damaligen Empfehlungen folgendermassen zusammen: «Hochwertige Treibstoffe für Raketenantriebe; Konstruktion von Düsen- und Staustrahltriebwerken; Beschäftigung mit Kernfusion; Ultraschnelle Geschosse für die Panzerabwehr; Neue Artillerie mit flüssigem Triebstoff (lagerbar in zwei nicht entzündbaren Komponenten); Vorbereitung auf den Bakterien- und Virenkrieg; Auffindungsgeräte für schnell fliegende Projektile und Flugzeuge.»

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Der Begriff des «totalen Kriegs» war durch die berüchtigte Rede von Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast («Wollt ihr den totalen Krieg?») verbreitet worden. Der nationalsozialistische Vernichtungskrieg sollte alle verfügbaren Ressourcen mobilisieren und zur vollständigen Vernichtung des Feindes und zur massenhaften Ermordung von dessen Bevölkerung führen.

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 Gemäss der Formel «Totaler Krieg macht totale Abwehr nötig» ging das Konzept einer totalen Landesverteidigung davon aus, dass der moderne Krieg sämtliche Gesellschaftsbereiche tangieren würde und deshalb die ganze Gesellschaft in die Planung der nationalen Verteidigung einbezogen werden müsste.

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 Die Schweizer Armee befand sich im Kalten Krieg und befürchtete eine kommunistische Invasion beziehungsweise einen atomaren Angriff der Sowjetunion. Bundesrat Karl Kobelt und Generalstabschef Louis de Montmollin liessen deshalb nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit der «Truppenordnung 51» eine neue Verteidigungsstrategie ausarbeiten, die eine umfassende Verteidigung im Falle eines totalen Kriegs ermöglichen sollte. In Abkehr von der Réduit-Strategie sollte eine mobile Defensivarmee entwickelt werden, die mit möglichst wenigen Panzern das gesamte Staatsgebiet verteidigen könnte. Dieses Konzept einer totalen Landesverteidigung wurde in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre durch den geplanten Einsatz taktischer Atomwaffen und den Aufbau eines Zivilschutzes ergänzt.

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 Der totale Verteidigungskrieg bildete das militärische Pendant zum nationalen Mythos des Schweizer Sonderfalls. Die Schweiz sollte auch dann noch mit allen Mitteln verteidigt werden, wenn sie bereits von Feinden umzingelt und Europa von den Kommunisten überrannt worden wäre.

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Die fieberhafte Suche nach Uran



Nebst dem physikalisch-technischen Wissen war Anfang 1947 das nötige Geld vorhanden, um mit der Entwicklung eines Atomreaktors und dem Bau einer Atombombe zu beginnen. Was fehlte, war das spaltbare Material, das Uran. Die USA versuchten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs jedoch, mit allen Mitteln zu verhindern, dass andere Länder eine eigene Atomindustrie aufbauen und damit in den Besitz einer Atombombe gelangen konnten. Bereits an der Quadrant-Konferenz in Québec 1943 hatten die USA mit ihren Bündnispartnern Grossbritannien und Kanada vereinbart, sämtliches Uran in der westlichen Hemisphäre für sich zu behalten.

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 Um ihr Monopol zu sichern, verhängten sie ein Ausfuhrverbot für Uran, was zur Folge hatte, dass der radioaktive Rohstoff auf dem freien Markt nicht mehr gekauft werden konnte.



In den geheimen Richtlinien für die Arbeiten der SKA auf militärischem Gebiet vom 5. Februar 1946 hiess es, dass eine schweizerische Uranbombe «aus einheimischen Rohstoffquellen» produziert werden sollte.

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 Die SKA begann daher ab 1946 umgehend mit der Suche nach Uran, da die Entwicklung eines Atomreaktors und einer Atombombe ohne den radioaktiven Rohstoff nicht möglich war. Man war damals wie besessen davon, möglichst bald in den Besitz von Uran zu gelangen, um mit den geplanten Entwicklungen beginnen zu können. Solange die Beschaffung des Urans nicht gesichert war, schwebten sämtliche Projekte zur militärischen oder friedlichen Nutzung der Atomenergie in der Luft. Die ersten Jahre der SKA waren daher hauptsächlich von dieser fieberhaften Suche nach Uran geprägt.

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Einerseits begann man in der Schweiz nach Uranvorkommen zu suchen, andererseits versuchte man, das Uran legal im Ausland zu kaufen oder illegal über den Schwarzmarkt zu besorgen. Man war in dieser aussichtslosen Situation sogar bereit, mit der Sowjetunion zu verhandeln. Anfang August 1946 berichtete Paul Scherrer an Bundesrat Karl Kobelt: «Die Amerikaner kaufen alle Uran-Vorkommen auf. Es ist völlig ausgeschlossen, auch nur die geringsten Quantitäten von Uran aus dem amerikanischen Einflussgebiet zu erhalten, eventuell aber aus dem russischen.»

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 Im November 1946 berichtete der schweizerische Gesandte in Prag, Alexandre Girardet, dass die Tschechoslowakei der Schweiz gegen Informationen neun Tonnen Uran anbiete.

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 Paul Scherrer reagierte allerdings skeptisch auf das tschechische Angebot. Das Uranerz in der Tschechoslowakei würde bereits von der Sowjetunion ausgebeutet, die kein Interesse daran haben könnten, grössere Mengen der beinahe erschöpften Erzlager an die Schweiz abzugeben. «Ausserdem würden die Russen als Gegenleistung sicher einen Austausch von Erfahrungen verlangen, welchem ich nicht gerne zustimmen würde.»

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1947 vereinbarte Bundesrat Kobelt mit Chiang Kaischek, dem chinesischen Führer der Kuomintang, die Entsendung von Schweizer Geologen nach China, um dort den Abbau von Uran zu fördern und als Gegenleistung eine Lieferung Uranerz zu erhalten.

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 Die USA verhinderten die Zusammenarbeit jedoch im entscheidenden Moment, indem sie China selbst ihre Hilfe bei der Uranprospektion anboten, woraufhin die Chinesen ihr Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Schweiz verloren.

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 1949 erhielt die Schweiz zudem 125 Kilogramm Uran angeboten, die nach dem Krieg aus den unterirdischen Gewölben unterhalb des Hauses von Adolf Hitlers engem Vertrauten Martin Bormann in Berchtesgaden entwendet worden waren.

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Im Sommer 1950 handelte René von Wattenwyl mit der portugiesischen Firma Calmor einen Vertrag über Rechte an Uranminen aus. 1951 verhandelte die Schweiz zudem mit Indien über eine Lieferung von Uran und knüpfte gleichzeitig Kontakte zu Südafrika. Im August 1951 bot Francis Perrin, der Präsident des französischen Kommissariats für Atomenergie (Commissariat à l’énergie atomique, CEA), Paul Scherrer an, der Schweiz genügend Uran für den Bau eines Forschungsreaktors zu liefern, sofern die Schweiz den Atomreaktor selbst entwickeln und die französischen Behörden über ihre Erfahrungen informieren würde. Die Schweiz müsste zudem das beim Betrieb des Atomreaktors entstandene Plutonium an Frankreich abgeben.

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Grossbritannien durchbrach schliesslich 1953 das Ausfuhrverbot und stellte der Schweiz mittels eines Dreiecksgeschäfts mit Belgien zehn Tonnen metallisches Natururan aus Katanga in Belgisch-Kongo zur Verfügung. Die Schweizer Delegation unter der Leitung Paul Scherrers handelte das Dreiecksgeschäft aus. Der Bundesrat bewilligte dafür 3,3 Millionen Franken. Die zehn Tonnen Uranmetall trafen 1954 und 1955 in der Schweiz ein, circa fünf Tonnen Uranmetall in Aluminiumumhüllung und fünf Tonnen in Form von Uranoxid. Rund fünf Tonnen wurden der 1955 in Würenlingen gegründeten Reaktor AG zur Verfügung gestellt, die damit den geplanten Natururan-Forschungsreaktor Diorit betreiben wollte. Die restlichen fünf Tonnen Uran wurden als Kriegsreserve in einem Réduit-Stollen der KTA in der Pulverfabrik Wimmis bei Spiez eingelagert. Nachdem sich die britischen Uranbrennstäbe für den Betrieb des Forschungsreaktors Diorit als unbrauchbar erwiesen hatten, wurden die fünf Tonnen der Reaktor AG ebenfalls in der Pulverfabrik in Wimmis eingelagert.

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Am 14. Januar 1960 fand ein Treffen des Generalstabs und der KTA mit Jakob Karl Burckhardt, dem Delegierten des Bundesrates für Fragen der Atomenergie, sowie dem Vizedirektor der Reaktor AG statt, um über die weitere Verwendung der Uranreserve zu beraten. Oberdivisionär Peter Burkhardt stellte dabei die Frage, «ob das dem Bunde ohne spezielle Auflage gehörende U verwendet werden kann, Vorstudien für die Herstellung von A-Waffen durchzuführen oder ob es sogar für die Herstellung einiger A-Bomben genügen würde».

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 «Rein theoretisch» sei es möglich, aus den zehn Tonnen Uran eine einzige Uranbombe oder eineinhalb Plutoniumbomben herzustellen, allerdings sei dies aufgrund der «unvernünftig hohen Kosten» praktisch unmöglich, lautete die Antwort.

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 In den 1960er- und 1970er-Jahren geriet die Uranreserve in Wimmis zunehmend in Vergessenheit. In einem Brief vom 20. Juni 1978 erkundigte sich Peter Grossenbacher, der Direktor der Pulverfabrik Wimmis, bei Eduard Kiener, dem Direktor des Bundesamts für Energiewirtschaft (BFE), nach der zuständigen Amtsstelle. Man hatte in der Zwischenzeit also bereits vergessen, welche Bundesstelle für die Uranreserve verantwortlich war. Darauf beschloss der Bundesrat am 12. August 1981, das Uran dem BFE zu übertragen.

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 Schliesslich wurde das Uran 1991 nach Frankreich in die Wiederaufbereitungsanlage La Hague geschickt, wo es angereichert wurde, damit es anschliessend als gewöhnliches Brennmaterial im AKW Beznau eingesetzt werden konnte.

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Die Suche nach Uran in den Schweizer Bergen begann bereits 1943. Die ersten Geländeuntersuchungen in den Alpen waren jedoch amateurhafte Exkursionen einzelner Geologieprofessoren mit deren Studenten.

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 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die geologischen Exkursionen intensiviert. Die Bemühungen wurden insbesondere nach der Gründung der Reaktor AG 1955 zusätzlich verstärkt, um den dringend benötigten Brennstoff für den Forschungsreaktor Diorit zu beschaffen, der 1957 gebaut wurde. Nebst den Industriefirmen Aluminium Industrie AG, Grande Dixence SA, Lonza AG und den Eisenbergwerken Gonzen AG suchte vor allem der von der SKA 1956 gegründete «Arbeitsausschuss zur Untersuchung schweizerischer Mineralien und Gesteine auf Atombrennstoff und seltene Elemente» vorwiegend im Wallis nach Uran. Man fand zwar auf der Mürtschenalp im Kanton Glarus, im Gestein aus dem Gotthard- und dem Lötschbergtunnel und im Aare- und im Bergeller Granitmassiv Uranerz, doch waren die Vorkommen zu gering, als dass sich ein Abbau gelohnt hätte.

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Im März 1960 legte Jakob Karl Burckhardt als Delegierter des Bundesrates für Fragen der Atomenergie dem Generalstabschef Jakob Annasohn einen Tätigkeitsbericht über die Uranprospektion vor. Der Bericht hielt fest, dass im Wallis bei Le Fou, Alou und Naters Uranerz gefunden worden sei und ein Abbau der Uranvorkommen für militärische Zwecke möglich sei, dieser aber mit einem enorm hohen finanziellen Aufwand verbunden wäre.

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 Das EMD kam daher zum Schluss, dass «eine summarische Untersuchung der Erzgewinnungs- und Fabrikationskosten zur Herstellung des Atomsprengkopfes Uran 235 durch Isotopentrennung aus dem natürlichen Uran zeigt, dass die Kosten unsere Volkswirtschaft gegenwärtig noch überlasten würden. Beim heutigen Stand der Ausbeutung von Uran-Vorkommen im Inland, der Lage unserer Reaktorindustrie, dem verfügbaren wissenschaftlichen Personal und dessen Kenntnissen sowie den finanziellen Anforderungen kommt voraussichtlich eine Eigenfabrikation von Atomwaffen für das nächste Jahrzehnt nicht in Frage.»

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Das Fehlen des radioaktiven Rohstoffs Uran wurde entscheidend für das Schweizer Atombombenprogramm: Als rohstoffarmes Binnenland musste die Schweiz ihren Traum, eine eigene Atombombe aus einheimischem Uran zu bauen, bald aufgeben. Zum Mangel an Rohstoffen kamen die Rückständigkeit in der Reaktortechnologie, das Fehlen geeigneter wissenschaftlicher Fachleute und die begrenzten finanziellen Ressourcen, was die Schweiz schliesslich zur Zusammenarbeit mit verschiedenen europäischen Ländern und den USA zwang und zu einem Verlust der Unabhängigkeit führte.

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 Der Aufbau eines eigenen Atomwaffenarsenals hätte immense Kosten verursacht, was damals nicht nur Abstriche bei der konventionellen Verteidigung zur Folge gehabt, sondern vermutlich auch andere wichtige Anliegen wie beispielsweise die Finanzierung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) gefährdet hätte. Die Beschaffung von Uran im Ausland war ebenfalls mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da auf dem internationalen Markt kein Uran gekauft werden konnte, das nicht der Kontrolle der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) unterlag und damit ausschliesslich für zivile Zwecke verwendet werden durfte.

 



Der Forschungsreaktor Diorit produzierte während seines Betriebs von 1960 bis 1977 rund 20 Kilogramm Plutonium, das für den Bau einer Atombombe hätte genutzt werden können. Plutonium kann, wenn es nach einem aufwendigen chemischen Verfahren von anderen radioaktiven Isotopen getrennt wird, als Spaltstoff für Atomwaffen verwendet werden.

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 Der Direktor der Reaktor AG, Rudolf Sontheim, hielt deshalb auch die Herstellung von Atomwaffen mit Plutonium für möglich: «Die Produktionsmethoden für Pu 239 sind am besten bekannt. Deren autarke technische Realisation dürfte mit dem relativ geringsten Forschungsaufwand möglich sein.»

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 Die Herstellung eigener Atomwaffen hätte allerdings das bilaterale Abkommen der Schweiz mit den USA über die friedliche Verwendung der Atomenergie verletzt. Seit den 1950er-Jahren wurde zudem in den USA und in Grossbritannien mit dem sogenannten Schnellen Brüter ein neuer Reaktortyp entwickelt, der grosse Mengen von Plutonium produzierte. Im Oktober 1965 beauftragte der Bundesrat Urs Hochstrasser, den Delegierten für Fragen der Atomenergie, folgende Abklärungen zu treffen: «Suche nach Uranvorkommen, Urananreicherung, Physik des schnellen Brüters. Gleichzeitig sollen Fachleute für die Probleme der A-Waffentechnik ausgebildet werden.»

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 Solche Fachleute wurden auch für die Realisierung eines Schutzes gegen die Auswirkung einer Bombardierung der Schweiz mit Atomwaffen benötigt. Aus den abgebrannten Brennstäben des Reaktors Diorit wurde zwischen 1966 und 1973 in der Wiederaufbereitungsanlage der Eurochemic im belgischen Mol Plutonium gewonnen und anschliessend wieder in die Schweiz zurückgeschickt. Das Plutonium des Diorit lagerte bis 2014 im Paul Scherrer Institut (PSI) in Würenlingen. Die 20 Kilogramm Plutonium hätten für den Bau von rund vier Atombomben ausgereicht. 2014 beschloss der Bundesrat schliesslich, das Plutonium an die USA zu übergeben.

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Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verfügte nur die USA über die Technologie zur Anreicherung von Uran. Alle Staaten, die mit angereichertem Uran arbeiten wollten, waren daher von den USA abhängig. Die Schweiz wollte aber in ihrem Atomprogramm von den USA unabhängig sein. Deshalb entschied man sich, einen Atomreaktor zu entwickeln, der mit Natururan betrieben werden konnte. Dieses Uran verlangt einen speziellen Reaktortyp, der mit schwerem Wasser oder Graphit betrieben wird. Der Betrieb eines solchen Schwerwasserreaktors brauchte also nebst dem Uranerz als Brennstoff auch schweres Wasser oder Graphit als Moderator. Der Moderator bremst die Neutronen ab, die bei der Spaltung des Urans entstehen. Schweres Wasser (D

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O) kommt als Isotop im herkömmlichen Wasser (H

2

O) in einer Konzentration von etwa 0,15 Promille vor. Genauso wie das Uran waren jedoch auch das schwere Wasser und hochreines Graphit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aufgrund der US-amerikanischen Handelsbeschränkungen auf dem internationalen Markt nicht erhältlich. Aus diesem Grund versuchte man nach dem Zweiten Weltkrieg, das schwere Wasser ebenfalls in der Schweiz herzustellen.



Professor Werner Kuhn vom Physikalisch-Chemischen Institut der Universität Basel forschte bereits seit den 1940er-Jahren an der Herstellung von schwerem Wasser. Sie ist ein Spezialfall einer Isotopentrennung, bei dem das schwere Wasser aus gewöhnlichem Wasser in einem aufwendigen Destillationsverfahren angereichert wird. In Zusammenarbeit mit der Firma Hovag in Domat-Ems (heute: Ems-Chemie) und der Lonza AG in Visp entwickelte Werner Kuhn während des Kriegs ein Verfahren zur Destillation von schwerem Wasser, zu einer Zeit, als das deutsche «Uranprojekt» aufgrund des fehlenden schweren Wassers lahmgelegt war.

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 Die beiden Firmen Hovag und Lonza AG erhielten von der 1955 gegründeten Reaktor AG den Auftrag, zwölf Tonnen schweres Wasser herzustellen. Die