Von Flammen & Verrat

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Nach ein paar weiteren, nicht nennenswerten Floskeln trennten sich unsere Wege. Es gab so vieles, was Lucan und ich zu bereden hatten, aber dafür fehlte mir aktuell jegliche Motivation. Benimm dich wie die Monarchin, die du bist und sein willst.

Ein wirklich guter Rat.

Als ich die Palastküche betrat, war Nick bereits verschwunden und hatte Alina und Cora mit Olli zurückgelassen.

Also durfte mein Bruder mithelfen, ich jedoch nicht. Wut durchfuhr mich und ich begrüßte sie mit offenen Armen. Wut war so viel besser als die nervöse Überforderung, die ich seit heute Morgen empfand.

Ich trat an den großen Esstisch und meine Freunde sahen zu mir auf, wobei ihnen das aufgebrachte Funkeln meiner Augen nicht entging. Mittlerweile kannten sie mich einfach zu gut.

»Ist alles in Ordnung?«

»Du meinst abgesehen davon, dass man mich in Watte packen und in mein Zimmer sperren will?« Ich schnitt eine Grimasse.

»Alles bestens.«

»Lilly, ich weiß, dass sich raushalten nicht unbedingt deinem Naturell entspricht …« Wer hätte das jemals gedacht? »Aber du solltest den Palast wirklich nicht verlassen, solange wir nicht mehr wissen.«

»Ich stimme Alina zu«, Cora musterte mich streng. »Wir haben ein paar mehr Minister, aber nur eine zukünftige Königin.«

»Ich weiß.«

»Außerdem musst du …«

»Cora, ich weiß das, okay? Immerhin sitze ich doch hier und bin nicht da draußen.« Ich wies in Richtung Tür. »Was wollt ihr denn noch?« Grummelnd griff ich nach der Tasse, die Olli über den Tisch in meine Richtung schob.

»Wie geht es Laura und Jace?«

»Niemand außer uns hat etwas von dem Zwischenfall mitbekommen. Auch die beiden nicht. Ob du es ihnen sagst, ist dir überlassen.«

Laura würde ich bestimmt nicht einweihen, das kleine Mädchen war traumatisiert genug, aber Jace war erwachsen und er war ein Ghoul. Ein Ghoul, der von Minister Laurenti über fünf Jahre lang gefangen gehalten worden war. Eventuell würde ihm etwas Brauchbares einfallen, wenn ich ihm erzählte, was passiert war. Ich schrieb einen Besuch bei Jace auf meine mentale To-Do-Liste und wandte mich an Olli.

»Was ich heute Morgen gesagt habe, meine ich auch so. Ich will, dass du alle Handelsverträge mit Crinaee kündigst. Alles, was für unser Volk oder das Volk von Crinaee nicht überlebensnotwendig ist.«

Alina und Cora wechselten einen erstaunten Blick miteinander. Aber sie schwiegen.

»Habt ihr noch zu tun?«, fragte ich meine Freundinnen, »oder wollt ihr mir in der Bibliothek helfen?«

»Ich habe für heute frei. Runak untersucht die Leiche des Ministers, ein paar der älteren Heiler helfen ihm und alle Schüler wurden nach Hause geschickt.«

Cora nickte ebenfalls. »Ich wollte Laura später noch einen Besuch abstatten, aber ein paar Stunden hätte ich.«

Fragend sah ich zu Olli. »Es wird eine Weile dauern, die Verträge durchzugehen. Sobald ich soweit bin, dass du unterzeichnen kannst, stoße ich zu euch.« Er warf mir einen verschwörerischen Blick zu.

»Du kennst dich in der Bibliothek aus. Falls du etwas suchst oder Hilfe brauchst, lass nach mir rufen.«

Damit stand der Plan für den heutigen Tag. Nachdem ich bereits zweimal an diesem Morgen mit der Leiche des Ministers konfrontiert worden war, gönnte ich mir eine erneute Dusche – ich hatte ihn zwar nicht angefasst, fühlte mich aber dennoch irgendwie schmutzig –, nahm die Wechselklamotten von Alina dankbar an und verschanzte mich für den Rest des Tages in der Bibliothek. Barfuß und in ein zartrosa Wollkleid gehüllt, saß ich, die Beine angewinkelt, so lange in einem der schweren Sessel der Bibliothek, bis mir der Hintern einschlief. Alina und Cora verschwanden immer mal wieder für ein paar Minuten oder auch Stunden, ich hingegen bewegte mich so gut wie gar nicht. Nur, um mir ein neues Buch aus dem Regal zu holen. Wenigstens beherrschte ich meine Magie soweit, dass sie mir dabei helfen konnte, den schweren Lederbänden einen kräftigen Schubs zu geben, sodass sie direkt aus dem Regal und hinein in meine Hände fielen. Ein netter Partytrick, mehr nicht. Am frühen Nachmittag brachte Olli mir nicht nur etwas zu essen, sondern auch einen ganzen Stapel Papiere.

»Wenn es dir ernst ist«, sagte er, »dann unterzeichne…«

Ich unterzeichnete sie. Alle sieben. Zwei davon betrafen den Handel mit sirovine, die anderen überflog ich nur grob.

Offensichtlich versorgten wir Crinaee mit Getreide und halfen ihnen bei ihren Verhandlungen mit Fenodeere.

»Wir helfen Narcos, Waffen zu kaufen?«

»Jedes Königreich hat das Recht, sich zu verteidigen«, erklärte Olli mir. »Seit den Tagen des Clash sind alle noch lebenden Welten extrem wachsam geworden. Außerdem lieben Unsterbliche ihre Spielzeuge. Besonders die Kriegerinnen und Krieger. Ist dir das noch nicht aufgefallen?«

Und ob es das war. Ich selbst stand ganz oben auf der Liste, denn ich liebte valge und tume, meine beiden Schusswaffen aus Zwergenstahl.

»Crinaee spielt ganz weit oben mit, wenn es um den Verkauf von Pfeil und Bogen geht. In den Sümpfen rund um Thalos wachsen die besten und robustesten Bäume der gesamten Anderswelt, aber sie haben keinerlei Möglichkeit, Stahl zu produzieren und zu verarbeiten. Dafür sind sie, wie wir auch, auf Fenodeere und das Bergvolk angewiesen.«

»Dann bin ich nicht dafür verantwortlich, dass das Volk von Crinaee Hunger leidet, wenn ich das hier alles unterzeichne?« Olli schüttelte den Kopf. Mit meinen Unterschriften, brachte ich den Stein ins Rollen.

Alliandoan besaß guten, fruchtbaren Boden und unsere Farmer versorgten uns mit Fleisch, Getreide, Obst und Gemüse. Was wir nicht selbst anbauen konnten, bezogen wir aus Vesteria. Drakes Königreich war bekannt für die Zucht und den Verkauf von ausgefallenen Früchten.

Wir waren in der glücklichen Lage, dass wir uns, außer mit Waffen und Zaubern, selbst versorgen konnten, aber nicht alle Königreiche hatten solch ein Glück. Umso hirnrissiger war es, dass die Welten einander mit so viel Missgunst und Misstrauen gegenüberstanden. Wir waren aufeinander angewiesen. Wenn wir alle zusammenarbeiteten, dann würde die Anderswelt florieren und wachsen können, wie sie es einst getan hatte. So aber war jeder lediglich auf seinen eigenen Vorteil aus. Ich jedenfalls wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass das Leben für die Unsterblichen in Crinaee noch anstrengender wurde als es ohnehin schon war. Narcos war ein Tyrann und ich konnte mir seine Reaktion auf den Stapel Papier, mit dem Olli soeben abrauschte, lebhaft vorstellen.


KAPITEL 2

Die nächste Stunde verbrachte ich damit, alles über Blutzauber zu lesen, was unsere Bibliothek hergab. Mit Alinas Hilfe, und der Hilfe des kleinen, schwarzen Steins in der Tasche meines Kleides, den sie mir bei ihrem zweiten Besuch mitgebracht hatte, konnte ich die Bücher nach Themen sortieren. Aktivierte ich den Stein und suchte explizit nach Blutzaubern, begannen alle Bücher, Schriftrollen und einzelnen Pergamente, deren Inhalt in irgendeiner Form mit meiner Suche zu tun hatte, wunderhübsch blau zu glühen. So richtig schlau geworden war ich jedoch noch nicht. Blutzauber waren verboten und verpönt, das hatte ich auch vorher schon gewusst. Alle Passagen, die ich bis jetzt gelesen hatte, berichteten von dem Unheil, das man mit dieser Art von verbotenen Zaubern anrichten konnte. Sie beschrieben grausame Szenen und Schicksale, aber sie erklärten nicht, wie es funktionierte. Und langsam zweifelte ich daran, dass ich diese Art Wissen in meiner Palastbibliothek finden würde.

Nick war der nächste, der sich zu mir gesellte. Sichtlich erschöpft, ließ er sich auf eines der Sofas vor dem Kamin fallen.

»Was liest du?«

Kommentarlos hielt ich meine Lektüre in die Höhe und zeigte ihm den Buchrücken.

»Das Lehrbuch der Zauberkunst«, las er und grinste. »Wo hast du das denn gefunden?«

Ich schloss das Buch und warf es auf den Stapel zu den anderen.

»Hinter der Enzyklopädie über Wasserwesen und der Geschichte der Formwandler

Auf einmal erschöpft, rieb ich mir über die brennenden Augen.

»Habt ihr etwas herausgefunden?«

»Runak und die Heiler haben die Leiche des Ministers mitgenommen und sie untersucht. Aber …«

»Aber was?«

»Wir wissen, wie er gestorben ist, Lilly. Wir haben es alle gesehen. Die Schnitte, den Blutzauber … aber wir wissen nicht, wer ihm das angetan hat und warum.«

Dazu hatte ich meine ganz eigene Meinung.

»Weder Runak noch die Zauberer aus Dhanikans konnten irgendetwas finden, das uns weiterhilft. Selbst wenn Laurenti dahintersteckt«, fuhr Nick fort, während ich innerlich zu jubeln begann.

»Wir haben keinerlei Beweise. Es gibt keine magische Spur, die wir zurückverfolgen könnten. Weder am See noch am Körper des Ministers. Der Zauber war sorgfältig durchdacht und wurde nahezu meisterhaft durchgeführt. Die Schutzzauber sind intakt.« Er lehnte sich vor und stützte die Unterarme auf den Oberschenkeln ab.

»Der Tatort ist so verdammt sauber, als hätte man dir einen Strauß Blumen vor die Tür gelegt.«

»Blumen wären mir lieber gewesen.«

»Mir auch.«

»Aber, Nick. Es wurden keine Schutzzauber durchbrochen, es gibt keine Anzeichen für fremde Magie und die Botschaft war in der alten Sprache der Engel formuliert.« Ich setzte mich aufrechter hin und fing den Blick meines Bruders auf. »Wie viele Beweise brauchst du noch? Laurenti hielt Jace gefangen, um Informationen über mich zu sammeln. Er hat keinen Hehl daraus gemacht, dass er mich nicht mag und mich auch nicht auf dem Thron haben will und jetzt das. Er steckt definitiv dahinter!«

 

Mein Bruder nickte. »Mag sein. Aber warum Minister Meyer?«

»Wie meinst du das?«

Nick fluchte und lehnte sich erneut zurück. »Ich sage das nicht gerne, Schwesterherz, aber in deinem Umfeld hätte es weitaus wertvollere Opfer gegeben als den Minister. Alina, Cora, Olli, einen der Assassinen und auch mich.« Nicks grüne Augen sprühten Funken und ich sah die unterdrückte Wut in ihnen. Eine Wut, die ich ebenfalls empfand.

Aber auch dazu hatte ich meine eigene Theorie. Immerhin saß ich seit Stunden hier und hatte viel Zeit zum Grübeln gehabt. Sehr viel Zeit.

»Die Hand des Ministers fehlte. Du weißt ganz genau, dass Malik, Lucan und ich den Minister in Verdacht hatten, hinter den Anschlägen in Arcadia zu stecken. Ihn und Laurenti.«

»Du glaubst also, Laurenti ließ ihn hinrichten, um Beweise zu vernichten?«

»Das ist ein netter Nebeneffekt, ja. Aber ich denke, dass der Minister sehr sorgfältig für diesen Zauber ausgewählt worden ist. Laurenti hätte jeden angreifen können, das stimmt, auch einen von uns – von euch –, indem er sich aber für den Minister entschied, hat er nicht nur Beweise vernichtet, sondern auch deutlich gemacht, dass er vor niemandem Halt macht, auch nicht vor einem Mitglied des heiligen Rates.«

Nick atmete hörbar aus. »Eine weitere Botschaft also?«

»Laurenti denkt, dass er über dem Gesetz steht. Schlimmer noch, er denkt, er ist das Gesetz. Jahrhundertelang ist er an der Seite unseres Vaters gewesen und seit Jahrzehnten regiert er Alliandoan, Anak und Permata, als wäre er der König, nicht unser Vater oder eines Tages du oder ich.« Mein Blick wurde ernst und ich flehte ihn stumm an, mich zu verstehen. »Ich weiß, dass weder du noch unser Vater es in den letzten Jahrzehnten einfach hattet, aber Laurenti ist außer Kontrolle, Nick. Was er Laura und Jace angetan hat, sein Verhalten bei der Ratssitzung und jetzt die Hinrichtung eines Ministers am See der Balance …« Wenn man mich fragte, dann hatten wir es hier mit einem absoluten Soziopathen zu tun.

Laurenti war ein Narzisst und Lügner, er war manipulativ und er zeigte keinerlei Reue. Hinzukam, dass er jahrhundertealt und wahrscheinlich extrem gut vernetzt war. Das jedenfalls hätte erklärt, warum wir keinerlei Spuren finden konnten.

»Habt ihr den Rat über den Tod des Ministers informiert?«

Mein Bruder nickte. »Malik hat Wachen abgestellt, um die Adelsfamilien sowie die anderen Minister über das … Ableben des Ministers zu informieren«

Zu gern hätte ich Laurentis Reaktion live verfolgt. Eine Idee kam mir. »Sollten wir nicht so etwas wie eine Trauerfeier abhalten?«

»Willst du das denn?«

Ich nahm mir einen Moment, um darüber nachzudenken. »Nein«, antwortete ich ehrlich. Wenn es nach mir ging, dann konnten die meisten der Minister in den Dämonenfeuern Abbadons schmoren und verrotten. »Aber vielleicht können wir etwas herausfinden, wenn wir den Rat zusammenrufen. Hat man ihnen gesagt, wie der Minister gestorben ist?«

Nick schüttelte den Kopf. »Maliks Männer sind sehr vage geblieben.«

Das war gut. Vielleicht konnten wir das zu unserem Vorteil nutzen. »Wir können die anderen Minister beobachten. Sie mit Informationen füttern, eventuell sogar ein wenig schockieren und so herausfinden, wer von ihnen wirklich betroffen ist und wer nur so tut.«

Ich hatte mit Widerrede gerechnet, aber Nick stimmte mir zu.

»Keine schlechte Idee. Wir müssen sie so oder so irgendwann über die Umstände informieren, und mit Maliks Männern und den Assassinen, die in den Schatten lauern, bist du dort ebenso sicher, wie hier.«

Überrascht erwiderte ich Nicks wissenden Blick.

»Denkst du wirklich, ich habe nicht mitbekommen, dass Lucan sich in den Ratssaal geschlichen hat?«

Das hatte ich tatsächlich gedacht, ja. Nick grunzte leise, aber er lächelte. »Ich mag dein Verhältnis zu Lucan Vale nicht verstehen, Lilly, aber im Moment bin ich dankbar für den zusätzlichen Schutz, den er und seine Männer dir bieten.«

»Ich weiß von Elisa.« Die Worte waren raus, bevor ich sie stoppen konnte.

Nicks Augenbrauen zogen sich zusammen und sein Lächeln verschwand. »Dann weißt du auch, dass der Umgang mit der Vale Familie gefährlich ist.«

»Dir ist bewusst, dass die Nachricht da draußen mir galt, nicht wahr? Ich habe seit Tag Eins eine Zielscheibe auf meinem Rücken, Nick, und das ist nicht Lucans Schuld.«

Mein Bruder ignorierte meinen Kommentar. Offenbar war die Zeit der Zugeständnisse vorbei. »Für wann willst du die Ratssitzung einberufen?«

»Morgen früh, neun Uhr«, ahmte ich seinen geschäftigen Ton nach. Ich wollte mich nicht schon wieder streiten, immerhin hatten wir uns gerade erst vertragen, aber da war er wieder, Nick, der Snob.

»Ich werde mich darum kümmern.« Damit stand er auf, und verließ die Bibliothek. Auf der Suche nach Essen und sozialen Kontakten vertrieb ich die Wachen – etwas, das mir erst beim dritten Anlauf gelang – und suchte den Palast nach meinen Freunden ab. Alina und Cora hatten mich den Rest des Tages in Ruhe gelassen und auch Duncan hatte sich nicht blicken lassen. Ob sie nun gespürt hatten, dass ich ein wenig Zeit für mich brauchte oder nicht, es hatte mir gut getan, mich nur mit mir selbst und den Büchern in meiner Bibliothek auseinanderzusetzen. Jetzt aber hatte ich genug gegrübelt. Der erste Schock war überwunden, meine Magie hatte sich beruhigt und ich konnte wieder klar denken. Und ein weiterer Punkt war auf meiner mentalen Liste ganz nach oben gewandert: Minister Laurenti stürzen. Der Minister musste abgesetzt werden, ohne Frage, und mit ihm all die anderen engstirnigen Idioten, die ihn so sehr verehrten. Auf dem Weg in die Palastküche hörte ich Stimmen und blieb ruckartig stehen.

»… ich habe jetzt keine Zeit, mit dir darüber zu streiten, Duncan.«

Das war Maliks Stimme hinter der nächsten Kurve und mein General klang ganz und gar nicht erfreut.

»Findest du nicht, dass wir darüber reden sollten, was gestern Abend passiert ist?«

Oh Mann. Ich wollte nicht lauschen, wirklich nicht, aber sprach Duncan von der Tatsache, dass Malik uns betrunken in einer Bar aufgegabelt hatte, oder war zwischen den beiden Männern noch mehr vorgefallen?

»Was ich finde«, hörte ich Malik schimpfen, »ist, dass du endlich einmal Verantwortung übernehmen solltest. Jemand ist in diesen Palast eingedrungen und hat meine Königin bedroht, ich …«

»Sie ist auch meine Königin!«

Malik schnaubte. »Das scheint deinen König aber herzlich wenig zu interessieren.«

Oh. Autsch.

Das tat weh, auch wenn Malik die Wahrheit sprach.

»Wie kannst du so etwas sagen? Lucan würde niemals zulassen, dass Lilly irgendetwas passiert.«

Ich hörte ein leises Rascheln und stellte mir vor, wie Malik in seiner adretten Uniform mit den Schultern zuckte. »Mag sein. Aber für mich ist Lilly meine erste und meine oberste Priorität. Wieso willst du das nicht verstehen?«

»Weil du selbst auch noch ein Leben hast!«

»Das hier ist mein Leben. Ich bin General der königlichen Garde seit über sechshundert Jahren. Alliandoan, Arcadia, dieser Palast und die Königsfamilie sind mein Leben. Was willst du von mir, Duncan? Was?«

Es war ungewohnt, den stets ruhigen und kompetenten Malik so sehr in Rage zu erleben. Er klang beinahe hilflos und mir wurde das Herz schwer.

War das meine Schuld? Stand Maliks Position einer Beziehung mit Duncan im Weg? Betrübt senkte ich den Kopf und starrte auf den Boden. Ich war noch immer barfuß und meine rot lackierten Zehennägel boten einen großen Kontrast zu dem hellen, fast weißen Steinboden des Palasts.

Ich wollte mich gerade zurückziehen, als ich hörte:

»Ich weiß nicht, was ich will, okay? Aber … scheiße, keine Ahnung.« Jemand, wahrscheinlich Duncan, schlug mit der Hand gegen die Wand oder eine Tür. »Erst küsst du mich und dann sind da all diese verwirrenden Gefühle und gestern Nacht … ich finde wir sollten darüber reden, was zwischen uns ist.«

Im Geiste gab ich Duncan ein High Five, während ich mich gleichzeitig darüber ärgerte, dass er mir nicht erzählt hatte, dass Malik und er sich geküsst hatten. Natürlich hatte ich es vermutet, immerhin waren wir keine pubertierenden Teenager mehr, sondern erwachsen, und die beiden waren zwei attraktive, ledige Unsterbliche. Dennoch wusste Duncan so ziemlich alles über Lucan und mich und es wäre schön gewesen, auch etwas über seine Beziehung oder seine Probleme zu erfahren.

Malik seufzte und ich stellte mir vor, wie er mit den Augen rollte.

»Jemand hat einen der Minister ermordet, Duncan, und ihn mir verdammt nochmal direkt vor die Füße geworfen, ich habe keine Zeit hierfür!« Er wurde lauter und jetzt war ich es, die mit den Augen rollte. »Ich habe bereits genug Callahans verloren, ich werde nicht zulassen, dass Lilly oder Nick etwas passiert.« Malik fluchte. »Das hier ist eine beschissene Katastrophe! Wie soll ich Lilly beschützen, wenn sich unsere Feinde einfach unbemerkt an uns vorbeischleichen?«

Oh, Malik. Am liebsten hätte ich ihn in den Arm genommen. Niemand hatte an diesem Dilemma Schuld. Niemand, außer Laurenti.

»Nicht mal ihr könnt etwas finden oder diese nutzlosen Zauberer in ihren glitzernden Roben …«

»Malik.« Duncans zuvor aufgebrachte Stimme wurde leiser. »Ist schon okay …«

»Gar nichts ist okay, ich …« Ich hörte ein lautes Rascheln und dann ein recht eindeutiges Geräusch. Offenbar hatte Duncan einen Weg gefunden, Malik vor dem nahenden Zusammenbruch zu bewahren und ihn abzulenken. Nun war es definitiv an der Zeit, zu gehen. Ich hatte die Privatsphäre der beiden genug missachtet, jetzt wurde es intim und dieser Moment gehörte nur ihnen. So leise ich konnte, schlich ich den Korridor zurück. Ich hatte genau zwei Optionen. Option A: Ich lief über die Terrasse und den säulengespickten Außenbereich bis in den Patio und versuchte so in die Küche zu gelangen, oder aber – und das war Option B – ich gab es auf und zog mich in mein Zimmer zurück. Olli, Alina oder einer der anderen würde mich schon finden, und großen Hunger hatte ich sowieso keinen mehr. Der Streit meiner Freunde stimmte mich nachdenklich und ich erinnerte mich an Lucans Worte von heute Morgen. Ich musste daran denken, welche Auswirkungen mein Verhalten auf meine Freunde und mein Volk hatte. Vielleicht war es für alle am hilfreichsten, wenn ich für heute einfach in meinem Zimmer blieb, wo ich in Sicherheit war und absolut jeder mich finden konnte, wenn er oder sie es wollte.

Bis jetzt hatte ich mich mit meinen eigenen vier Wänden hier im Palast so gut wie gar nicht auseinandergesetzt, dabei war mein Zimmer wirklich hübsch. Ein bisschen viel weiß und gold, aber im Großen und Ganzen war es modern und ganz und gar nicht so altertümlich, wie ich erwartet hatte.

Als ich die Tür hinter mir schloss, bemerkte ich als erstes das magisch prasselnde Feuer im großen Steinkamin. Es verbreitete keine Wärme, spendete jedoch Licht und aktuell auch Trost. Mein Zimmer hatte keinen Balkon, keines der Zimmer der königlichen Familie verfügte über eine Terrasse oder einen Balkon. Nun begann ich zu verstehen, wieso. Das Risiko war zu groß und weit geöffnete Balkontüren an einem lauen Abend zu unsicher. Ob ich mich rausgeschlichen hätte, wäre ich hier im Palast aufgewachsen? Mit Sicherheit. Grinsend trat ich in den Raum und stellte mir vor, wie es wohl gewesen wäre, mit jemandem wie Malik als Beschützer aufzuwachsen. Oder mit einer Freundin, wie Alina, und einem Bruder, wie Nick. Wäre ich zu einer Marionette der Minister geworden? Eine Vorzeigeprinzessin oder hätte ich den gleichen Weg eingeschlagen wie jetzt?

Den schwereren Weg, wie Lucan es genannt hatte.

Ich mochte den Gedanken, dass ich dennoch für die Minderheiten dieser Welt, gegen Ungerechtigkeit und Männer wie Laurenti gekämpft hätte, aber ich hatte keine Ahnung. Annabells Einfluss auf die ersten vierundzwanzig Jahre meines Lebens war genau das, was mich nicht vor Laurenti zurückweichen ließ. Sie hatte mich zu einer starken Frau erzogen und ich wollte sie stolz machen. Ich erinnerte mich gut an den Tag, als ich die Uni geschmissen und im Café als Kellnerin angefangen hatte. Natürlich hatte Mom mich unterstützt, aber ich hatte die Enttäuschung in ihrem Blick gesehen. Sie hatte stets den Eindruck gemacht, als hätte sie mehr für mich gewollt und auch mehr von mir erwartet. Kopfschüttelnd ließ ich mich auf der Bettkante nieder und blickte auf das filigrane Armband an meinem Handgelenk. Wo kamen diese Gedanken jetzt auf einmal her?

 

Es klopfte an der Tür. Zaghaft zunächst, dann kräftiger.

»Ich bin‘s«, hörte ich Duncans gedämpfte Stimme durch das schwere Holz. »Kann ich reinkommen?« Ich sammelte den Rest meiner vorhandenen Kräfte und öffnete die Tür mit einem kleinen Handwedeln. Erneut ein netter Partytrick, mehr nicht.

»Das interpretiere ich dann mal als ja.« Lässig schlenderte der Assassine in mein Zimmer. Ein Blick auf mich und er blieb ruckartig stehen.

Schatten begannen für einen kurzen Moment um seine Gestalt zu züngeln und die Tür schloss sich mit einem dumpfen Geräusch.

Die Schatten verschwanden und Duncan musterte mich eingehend. »Wie viel hast du gehört?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ein wenig.«

»Ich wusste doch, dass ich etwas oder eher jemanden gespürt habe.« Er trat näher und lehnte sich an einen der kunstvoll geschnitzten Pfosten meines riesigen Himmelbetts. »Er kriegt sich schon wieder ein, Lilly. Der Tod des Ministers ist für uns alle ein Schock, aber Malik trifft es besonders hart.«

»Wieso hast du mir nicht erzählt, dass ihr euch geküsst habt? Und was ist gestern Abend passiert, nachdem Lucan und ich gegangen sind?«

Eine zarte Röte breitete sich auf Duncans Gesicht aus. »Äh. Du hast genug eigene Probleme, ich vermute, ich wollte dich nicht noch mehr belasten.«

»So ein Schwachsinn, Duncan! Wenn du nicht mit mir über eure Beziehung reden willst, okay, aber tisch mir keine Lügen auf.«

Er ließ den Kopf gegen den Bettpfosten fallen und schloss für einen Moment die Augen. »Ich habe dich nicht angelogen, Lilly, niemals. Aber Malik und ich, das ist … kompliziert. Und Lucan und du, das ist ebenfalls kompliziert … Vesteria, Thaumas, die Ratssitzung, ich bin einfach nicht dazu gekommen, okay?«

Duncan blinzelte. Ich kniff die Augen zusammen. Er blinzelte erneut und seufzte dann.

»Und vielleicht habe ich mich auch dazu entschlossen, es erst einmal für mich zu behalten und zu gucken, wie sich alles entwickelt.«

Damit konnte ich schon eher leben. »Habt ihr euch vertragen?«

»Keine Ahnung. Malik ist ein sehr komplexer Mann.«

»Er ist ja auch uralt!«

Das brachte Duncan zum Lachen und die angespannte Atmosphäre zwischen uns verflüchtigte sich. »Ich meine, er ist älter als Lucan.«

»Viel älter. Er ist über sechshundert Jahre älter als ich«, sagte Duncan und stieß sich vom Bettpfosten ab, um sich neben mich zu setzen. »Ich weiß, ich sollte das nicht so heiß finden, aber verdammt, ich finde es superheiß!«

Kichernd lehnte ich mich an Duncan und er schlang einen Arm um meine Schultern.

»Tut mir leid, dass ich es nicht erzählt habe.«

»Muss es nicht. Es ist deine Entscheidung und nur deine. Ich bin heute einfach etwas sensibel.«

»Hast du mit Lucan über gestern gesprochen?« Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Aber …«

»Es gibt nichts zu bereden.«

»Wer redet jetzt Schwachsinn, hm?«

»Nick und ich berufen eine Ratssitzung ein. Morgen. Ich möchte, dass ihr dabei seid, in den Schatten«, erklärte ich und erläuterte Duncan meinen Plan.

»Falls Nick noch nicht bei Lucan war, erledige ich das, versprochen.«

»Kommst du danach wieder?«

»Na klar!« Duncan grinste. »Und ich bringe Alina und Cora direkt mit. Einen entspannten Abend unter Freunden können wir alle gut gebrauchen.«