Konfuzianismus und Taoismus

Text
Autor:
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Die Wiederherstellung des bureaukratischen Einheitsstaates.

Der Kampf der Teilstaaten verringerte deren Zahl zunehmend auf einen immer kleineren Kreis rational verwalteter Einheitsstaaten. Schließlich gelang es im Jahre 221 dem Fürsten von Tsin, nach Verdrängung der nominellen Dynastie und aller andern Vasallen als erster Kaiser ganz China dem Reich der Mitte, dem Patrimonium des Herrschers, einzuverleiben, d.h. der eigenen Beamtenverwaltung zu unterstellen. Eine echte Selbstherrschaft, unter Beseitigung des alten feudalen Kronrats, mit zwei Großwesiren (nach Art der praefecti praetorio), Scheidung der Militär- von den Zivilgouverneuren (nach Art der spätrömischen Institutionen), beide überwacht von fürstlichen Aufsichtsbeamten (nach persischer Art), aus denen später die reisenden Zensoren (missi dominici) entwickelt wurden, und streng bureaukratische Ordnung mit Avancement nach Verdienst und Gnade bei allgemeiner Zulassung zum Amt traten an die Stelle der alten theokratisch-feudalen Ordnung. Für diese Demokratisierung des Beamtentums wirkte dabei nicht nur das überall wirksam gewesene natürliche Bündnis des Selbstherrschers mit den Plebejerschichten gegen die ständisch Vornehmen, sondern auch ein finanzielles Moment: Es ist, wie schon bemerkt, kein Zufall, daß die Annalistik diesem ersten Kaiser (Schi Hoang Ti) die erstmalige Praktizierung des Ämterverkaufs zuschreibt. Dieser mußte ja die Folge haben: bemittelte Plebejer in die Staatspfründen zu bringen. Indes der Kampf gegen den Feudalismus war prinzipiell. Alle Verlehnung politischer Macht, auch innerhalb der Sippe des Kaisers, wurde verboten. Die ständische Gliederung blieb zwar unangetastet.35 Aber mit der Etablierung einer festen Ämterhierarchie, für welche die Vorstufen schon in einigen der Teilstaaten geschaffen worden waren, steigerte sich die Chance des Aufstiegs von Beamten niederer Herkunft. Tatsächlich setzte sich das neue Kaisertum gegen die feudalen Gewalten mit Hilfe plebejischer Mächte durch. Bis dahin war Leuten plebejischer Abkunft der Aufstieg zu politischem Einfluß nur innerhalb der Schicht der Literaten unter besonderen Umständen möglich gewesen. Es finden sich in den Annalen der Teilstaaten seit dem Beginn der Rationalisierung der Verwaltung Beispiele von fürstlichen Vertrauensmännern armer und unedler Abkunft, welche ihre Stellung nur ihrem Wissen verdankten,36 und die Literaten beanspruchten kraft dieser ihrer Fähigkeiten und der Beherrschung der Riten für die höchsten Ämter den Vorzug selbst vor den nächsten Angehörigen der Fürsten.37 Aber nicht nur war diese Stellung von den großen Vasallen nicht unbestritten, sondern in aller Regel fand sich der Literat in einer unoffiziellen Stellung, als eine Art von Minister ohne Portefeuille oder, wenn man will, von Beichtvater des Fürsten, und im Kampf mit dem Lehensadel, der hier, wie auch im Okzident, die Heranziehung von Fremden bei der Besetzung der Ämter, welche er selbst zu monopolisieren trachtete, bekämpfte. In den ersten Jahren Schi Hoang Ti's – im Jahre 237, noch vor Einigung des Reichs – findet sich denn auch eine Austreibung der fremdbürtigen Literaten (und Händler) berichtet. Aber die Machtinteressen des Fürsten führten ihn zunächst zum Widerruf dieser Maßregel38 und sein erster Minister blieb seitdem ein Literat, der sich selbst als Parvenu niederer Abkunft bezeichnet. Nach der Einigung des Reichs aber wendete sich der rationale traditionsfeindliche Absolutismus des Selbstherrschers – wie er auch in seinen Inschriften deutlich zutage tritt39 – mit Wucht auch gegen die soziale Macht der Bildungsaristokratie der Literaten. Das Altertum sollte nicht über die Gegenwart und seine Interpreten nicht über den Monarchen herrschen: der Kaiser ist mehr als das Altertum.40 In einer gewaltigen Katastrophe suchte er – wenn wir der Überlieferung glauben können – die gesamte klassische Literatur und den Literatenstand selbst zu vernichten. Die heiligen Bücher wurden verbrannt und angeblich 460 Literaten lebendig begraben. Das damit inaugurierte Hereinbrechen des reinen, auf persönliche Günstlinge ohne Rücksicht auf Herkunft oder Bildung sich stützenden, Absolutismus kennzeichnete die Ernennung eines Eunuchen zum Großmeister des Haushalts41 und zum Lehrer des zweiten Sohnes, den nach dem Tode des Kaisers der Eunuch in Gemeinschaft mit dem Parvenuliteraten gegen den ältesten Sohn und den Kommandierenden des Heeres auf den Thron hob. Die von der Bildungsaristokratie der Literaten fortan durch alle Jahrhunderte des Mittelalters mit wechselndem Erfolg stets bekämpfte Günstlingswirtschaft des reinen orientalischen Sultanismus mit ihrer Verbindung von ständischer Nivellierung und absoluter Autokratie schien nun über China hereinzubrechen. Der Kaiser hatte, als Ausdruck der Stellung, die er beanspruchte, den alten Namen Volk (Min) für die Gemeinfreien beseitigt und den Namen Kien tscheu, Schwarzköpfe, sicherlich gleichbedeutend mit: Untertanen, an die Stelle gesetzt. Die kolossale Anspannung der Fronlasten42 für die kaiserlichen Bauten erforderte die rücksichtslose ungefesselte Disposition über die Arbeitskräfte und Steuerkräfte43 des Landes, nach Art des pharaonischen Reichs. Andererseits wird von dem unter Schi Hoang Ti's Nachfolger allmächtigen Palasteunuchen ausdrücklich berichtet,44 daß er empfohlen habe, die Herrscher sollten sich mit dem Volk verbinden und die Ämter ohne Rücksicht auf Stand oder Bildung vergeben; es sei jetzt die Zeit, wo der Säbel herrschen müsse, nicht aber feine Manieren: ganz dem typischen orientalischen Patrimonialismus entsprechend. Der Kaiser wehrte andrerseits den Versuch der Magier45 ab, ihn – unter dem Vorwand der Erhöhung seines Prestiges – unsichtbar zu machen, d.h. wie den Dalai Lama zu internieren und die Verwaltung ganz in die Hände der Beamten zu legen, behielt sich vielmehr die Selbstherrschaft im eigentlichsten Sinn vor.

Die gewaltsame Reaktion gegen diesen schroffen Sultanismus kam gleichzeitig teils von seiten der alten Familien, teils von seiten des Literatenstandes, teils von seiten des durch die Schanzarbeit erbitterten Heeres und der durch Rekrutierung, Fronden und Abgaben überlasteten Bauernsippen unter der Führung von Männern niederer Herkunft.46 Nicht die vornehmen Schichten aber, sondern ein Parvenu errang den Sieg, stürzte die Dynastie und begründete, während das Reich zunächst wieder in Teilstaaten zerfiel, die Macht der neuen Dynastie, welche das Reich wieder einte. Aber der Erfolg fiel schließlich doch wiederum den Literaten zu, deren rationale Wirtschafts- und Verwaltungspolitik auch diesmal für die Herstellung der Kaisermacht ausschlaggebend und der von ihnen stets bekämpften Günstlings- und Eunuchenverwaltung damals technisch überlegen war. Vor allem wirkte aber das gewaltige Prestige ihrer Ritual- und Präzedenzienkenntnis und ihrer – damals noch eine Art von Geheimkunst bildenden – Schriftkunde entscheidend in dieser Richtung.

Schi Hoang Ti hatte Einheit der Schrift, des Maßes und Gewichtes, der Gesetze und Verwaltungsreglements geschaffen oder doch erstrebt. Er rühmte sich, den Krieg abgeschafft47 und Frieden und innere Ordnung gestiftet, dies alles durch Arbeit Tag und Nacht erreicht zu haben.48 Von der äußeren Einheitlichkeit blieb nicht alles erhalten. Aber das Wichtigste war die Abschaffung des Feudalsystems und die Durchführung eines Regiments von durch persönliche Eignung qualifizierten Beamten. Als Frevel an der alten theokratischen Ordnung von den Literaten verwünscht, wurden diese patrimonialistischen Neuerungen doch von der Restauration der Han-Dynastie beibehalten und kamen schließlich nur den Literaten zugute.

Rückschläge in den Feudalismus sind auch weit später noch eingetreten. In der Epoche Se Ma Tsien's (2. Jahrhundert vor Chr.), unter den Kaisern Tschu fu yen und U, mußte der neuerstandene Feudalismus abermals niedergeworfen werden, der zuerst aus der Verlehnung von Ämtern an kaiserliche Prinzen wieder entstanden war. Zunächst wurden kaiserliche Ministerresidenten an die Höfe der Vasallen zur Überwachung geschickt, dann die Ernennung aller Beamten an den kaiserlichen Hof gezogen, dann (127 vor Chr.) die Erbteilung der Lehen verfügt, um die Macht der Vasallen zu schwächen, schließlich (unter U) niedrig Geborenen (darunter einem gewesenen Schweinehirten) die bisher vom Adel beanspruchten Hofämter verliehen. Gegen die letzte Maßregel opponierte der Adel heftig, die Literaten aber setzten (124 vor Chr.) durch, daß ihnen die hohen Ämter vorbehalten blieben. Wir werden später sehen, wie in diese für Chinas politische und kulturliche Struktur entscheidenden Kämpfe der Gegensatz der konfuzianischen Literaten gegen den – damals mit den Aristokraten, später mit den Eunuchen verbündeten, literatenfeindlichen und der Volksbildung im Interesse ihrer Magie abgeneigten – Taoismus hineinspielte. Zum endgültigen Austrag kam der Kampf auch damals nicht. In der Standesethik des Konfuzianismus wirkten feudale Reminiszenzen stark nach. Für Konfuzius selbst darf als unausgesprochene, aber selbstverständliche, Voraussetzung unterstellt werden: daß die klassische Bildung, welche er als entscheidende Voraussetzung der Zugehörigkeit zum Herrenstande verlangte, der Tatsache nach auf die herrschende Schicht der überlieferten alten Familien beschränkt sei, zum mindesten der Regel nach. Auch der Ausdruck: Kiün tse, fürstlicher Mann, für den konfuzianisch Gebildeten stammt – ursprünglich den Helden, aber allerdings schon bei Konfuzius selbst den Gebildeten bedeutend – aus der Periode ständischer Herrschaft jener erbcharismatisch zur politischen Gewalt qualifizierten Sippen. Immerhin konnte dem neuen Prinzip des aufgeklärten Patrimonialismus: daß das persönliche Verdienst, und nur dieses, zu den Ämtern, einschließlich selbst des Herrscheramts, qualifiziere, die Anerkennung nicht ganz wieder entzogen werden.49 Die feudalen Bestandteile der sozialen Ordnung traten immer stärker zurück, und in allen wesentlichen Punkten wurde doch der Patrimonialismus,50 wie sich zeigen wird, die für den Geist des Konfuzianismus grundlegende Strukturform.

 

Zentralregierung und lokale Beamte.

Wie bei ausgedehnten patrimonialstaatlichen Gebilden unter unentwickelter Verkehrstechnik durchweg, so blieb auch hier das Maß der Zentralisation der Verwaltung eng begrenzt. Auch nach Durchführung des Beamtenstaates blieb nicht nur der Gegensatz der inneren, d.h. im altkaiserlichen Patrimonium angestellten, zu den äußeren, den Provinzialbeamten und der Rangunterschied beider bestehen, sondern es blieb – mit Ausnahme einer Anzahl der höchsten Ämter in jeder Provinz – die Ämterpatronage und vor allem, nach stets neuen vergeblichen Zentralisationsversuchen, fast die gesamte Finanzwirtschaft schließlich den einzelnen Provinzen überlassen. Darum ist freilich in allen großen Finanzreformperioden immer erneut gekämpft worden. Wang-An-Schi (11. Jahrhundert) ebenso wie andre Reformer haben die effektive Durchführung der Finanzeinheit: Ablieferung aller Steuererträge nach Abzug der Kosten der Erhebung und: Reichsbudget, gefordert. Die ungeheuren Transportschwierigkeiten und das Interesse der Provinzialbeamten haben stets wieder Wasser in diesen Wein gegossen. Außer unter ganz ungewöhnlich energischen Herrschern haben die Beamten – wie schon die Zahlen der publizierten Katastrierungen ergaben – ganz regelmäßig sowohl die steuerpflichtige Fläche als die Kopfzahl der Zensiten um ca. 40% zu niedrig angegeben.51 Die lokalen und provinzialen Unkosten mußten ferner natürlich vorabgezogen werden. Dann aber ergab sich für den Zentralfiskus eine höchst schwankende Resteinnahme. Schließlich kapitulierte er: Die Statthalter wurden seit Anfang des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart wenigstens der Tatsache nach ähnlich den persischen Satrapen auf einen in Normalpauschalien festgesetzten, nur theoretisch nach Bedarf variablen, Tribut gesetzt. Davon wird noch zu reden sein. Diese Steuerkontingentierung hatte Folgen für die Machtstellung der Provinzialstatthalter auf allen Gebieten.

Sie präsentierten die meisten Beamten des Bezirkes zur Anstellung. Diese erfolgte zwar durch die Zentralgewalt. Aber schon die kleine Zahl der offiziellen Beamten52 führt zu dem Schluß: daß unmöglich sie selbst die Verwaltung ihrer riesigen Sprengel zu führen in der Lage sein konnten. Bei den schlechthin alles umfassenden Pflichten eines chinesischen Beamten konnte ein Bezirk vom Umfang eines preußischen Kreises, der einen Beamten hatte, selbst von Hunderten solcher nicht sachgemäß verwaltet werden. Das Reich glich einer Konföderation von Satrapien mit pontifikaler Spitze. Die Macht lag formell – auch nur: formell – bei den großen Provinzialbeamten. Die Kaiser ihrerseits aber verwendeten nach der Schaffung der Reichseinheit in ingeniöser Weise die dem Patrimonialismus eigentümlichen Mittel der Erhaltung ihrer persönlichen Gewalt: kurze Amtsfristen: offiziell drei Jahre, nach deren Ablauf der Beamte in eine andere Provinz versetzt werden sollte,53 Verbot der Anstellung eines Beamten in seiner Heimatprovinz, Verbot der Anstellung von Verwandten im gleichen Sprengel, und ein systematisches Spionagesystem in Gestalt der sogenannten Zensoren. All dies aber, ohne damit – aus gleich zu erwähnenden Gründen, – sachlich eine präzise Einheitlichkeit der Verwaltung herzustellen. Das Prinzip, in den zentralen Kollegialbehörden den Präsidenten des einen Yamen zugleich als Mitglied anderer Kollegien anderen zu unterstellen, hemmte die Präzision der Verwaltung, ohne die Einheitlichkeit wesentlich zu fördern. Erst recht versagte sie gegenüber den Provinzen. Die einzelnen großen lokalen Verwaltungsbezirke bestritten, sahen wir – mit gelegentlichen Unterbrechungen in Zeiten starker Herrscher – ihre heimischen Ausgaben aus den Steueraufkünften vorab und machten falsche Katasterangaben. Soweit die Provinzen finanziell – als Militär- oder Arsenalstandorte – passiv waren, bestand ein verwickeltes System von Anweisungen auf die Einnahmen der Überschußprovinzen und im übrigen kein verläßlicher Etat, weder der Zentrale noch der Provinzen, sondern traditionelle Appropriationen. Klarer Einblick in die Finanzen der Provinzen fehlte der Zentralgewalt, wir werden sehen mit welchem Resultat. Bis in die letzten Jahrzehnte waren es die Provinzialstatthalter und nicht die Zentralregierung: – die dafür nicht einmal ein Organ besaß –, welche die Verträge mit den fremden Mächten abschlossen. Fast alle wirklich wichtigen Verwaltungsanordnungen gingen formell von den Provinzialstatthaltern, in Wahrheit, wie wir sehen werden, von den ihnen untergeordneten, und zwar den unoffiziellen, Beamten aus. Die Anordnungen der Zentralgewalt wurden daher bis in die Gegenwart von den Unterinstanzen oft mehr als ethisch maßgebliche Vorschläge oder Wünsche, denn als Befehle behandelt, wie dies ja der pontifikalen, charismatischen, Natur des Kaisertums entsprach. Sie stellten auch inhaltlich, wie jeder Blick zeigt, mehr Kritiken der Amtsführung als Anordnungen dar. Der einzelne Beamte persönlich war freilich jederzeit frei absetzbar. Aber die reale Macht der Zentralgewalt zog davon keinen Vorteil. Denn das Prinzip: keinen Beamten in seiner Heimatprovinz anzustellen, und der vorschriftsmäßige dreijährige Wechsel von Provinz zu Provinz oder doch von Amt zu Amt, führte zwar dazu, daß diese Beamten der Zentralgewalt gegenüber nicht zu selbständigen Mächten nach Art feudaler Vasallen emporwuchsen und daß also die äußerliche Einheit des Reichs erhalten blieb. Aber um den Preis: daß diese offiziellen Beamten in ihren Amtssprengeln niemals bodenständig wurden. Der Mandarin, welcher, begleitet von einer ganzen Schar von Sippengenossen, Freunden und persönlichen Klienten, sein Amt in einer ihm unbekannten Provinz antrat, deren Dialekt er in aller Regel nicht verstand, war zunächst schon sprachlich meist auf die Dienste eines Dolmetschers angewiesen. Er kannte ferner das örtliche Recht der Provinz nicht, welches auf zahlreichen Präzedenzfällen beruhte, die er – da sie der Ausdruck heiliger Tradition waren – nicht ohne Gefahr zu verletzen wagen durfte. Und er war deshalb völlig abhängig von den Belehrungen eines unoffiziellen, ebenso wie er selbst literarischen, aber mit den örtlichen Gewohnheiten kraft örtlicher Abstammung genau vertrauten Beraters, einer Art von Beichtvater, der als sein Lehrer bezeichnet und von ihm mit Respekt, oft mit Devotion, behandelt wurde. Nächstdem war er abhängig von seinen nicht zu den offiziellen, vom Staat bezahlten, dem Fremdbürtigkeitszwang unterliegenden Beamten, sondern zu dem von ihm aus seiner Tasche zu bezahlenden unoffiziellen Beamtenstab gehörigen Gehilfen. Diese wählte er naturgemäß aus der Zahl der aus der Provinz gebürtigen, zum Staatsdienst qualifizierten, aber noch nicht mit einem Amt beliehenen Amtsanwärter, auf deren örtliche Personen- und Sachkunde er sich verlassen konnte, aber auch, in Ermangelung aller eigener Orientiertheit, mußte. Und endlich war er, wenn er einen Gouverneurposten in einer neuen Provinz übernahm, abhängig von der geschulten Sach- und Ortskunde der Chefs der üblichen Ressorts54 jeder Provinz, welche immerhin einige Jahre Kenntnis der örtlichen Verhältnisse vor ihm voraus hatten. Es ist völlig klar, was die Folge sein mußte: die wirkliche Macht lag in der Hand jener unoffiziellen, ortsgebürtigen Unterbeamten, welche in ihrer Geschäftsführung zu kontrollieren und zu korrigieren ganz außerhalb der Macht der offiziellen Beamten lag, und ihnen um so weniger möglich war, je höher ihr eigener Rang war. Die Orientiertheit sowohl der von der Zentralverwaltung angestellten Lokal- wieder Zentralbeamten über die lokalen Verhältnisse war daher viel zu labil, um konsequent und rational durchgreifen zu können.

Das weltberühmte und höchst wirksame Mittel des chinesischen Patrimonialismus, eine feudal-ständische Emanzipation der Amtsträger von ihrer Macht zu unterbinden: die Einführung der Examina und die Verleihung der Ämter nach Bildungsqualifikationen, statt nach Geburt und ererbtem Rang, war zwar für den Charakter der chinesischen Verwaltung und Kultur von einschneidendster Bedeutung, wie später zu besprechen sein wird. Aber einen präzis funktionierenden Mechanismus in den Händen der Zentralinstanz vermochte man angesichts jener Verhältnisse dadurch nicht herzustellen. Wir werden aber, wenn wir auf die Beamtenbildung näher zu sprechen kommen, sehen, daß dem auch Hindernisse, die aus der innersten Eigenart der (zum Teil religiös bedingten) Standesethik des Beamtentums folgten, sich in den Weg stellten. Die Patrimonialbureaukratie war zwar in China wie im Okzident der feste Kern, an dessen Entfaltung die Bildung des Großstaats anknüpfte. Das Auftreten von Kollegialbehörden und die Entwicklung von Ressorts waren dabei hier wie dort die typischen Erscheinungen. Aber der Geist der bureaukratischen Arbeit war hier und dort – wie wir sehen werden – ein überaus verschiedener.

Soweit dieser abweichende Geist auf rein soziologischen Momenten beruhte, hing er mit dem System der öffentlichen Lasten zusammen, wie es sich in China in Verbindung mit dem Schwanken der Geldwirtschaft entwickelt hatte.

Öffentliche Lasten: Fronstaat und Steuerstaat.

Der ursprüngliche Zustand war hier wie anderwärts der: daß dem Häuptling bzw. Fürsten ein Ackerlos (Kong tien, dem homerischen τεμενος entsprechend) ausgewiesen und von den Volksgenossen gemeinsam bestellt wurde.55 Hier liegt der Ursprung der allgemeinen Fronpflicht, die dann in der zwingenden Notwendigkeit der Wasserbauten ihre weitere Stütze fand. Diese Schaffung des Landes durch die Strombauverwaltung legte auch den immer wieder auftauchenden und noch jetzt (wie in England) terminologisch erhaltenen Gedanken des Bodenregals des Kaisers nahe, – der aber die Scheidung verpachteter Domänen und besteuerten Privatlandes hier so wenig wie in Ägypten hinderte. Die Steuern andrerseits scheinen sich teils – nach einzelnen Resten in der Terminologie – aus den üblichen Geschenken, teils aus Tributpflichten Unterworfener, teils aus dem Bodenregalanspruch entwickelt zu haben. Staatsland, Steuerpflicht, Fronpflicht standen in wechselnden Relationen dauernd nebeneinander. Was von ihnen vorwog, richtete sich teils nach dem jeweiligen Grade der – wie wir sahen, aus Valutagründen höchst labilen – Geldwirtschaft des Staats, teils nach dem Grade der Befriedung, teils schließlich nach dem Maß der Verläßlichkeit des Beamtenapparats.

Die ursprüngliche Herkunft des Patrimonialbeamtentums aus der Vorflut- und Kanalisierungsarbeit, also aus dem Bauwesen, die Herkunft der Machtstellung des Monarchen aus den, zunächst im Wasserregulierungsinteresse, unumgänglichen Fronden der Untertanen (wie in Ägypten und Vorderasien), die Herkunft des Einheitsreichs aus dem immer weiter um sich greifenden Interesse an Einheitlichkeit dieser Wasserregulierung für immer größere Gebiete im Zusammenhang mit dem Bedürfnis nach politischer Sicherung des Kulturlandes gegen die Nomadeneinbrüche drücken sich anschaulich darin aus, daß nach der Legende der heilige (legendäre) Kaiser Yü die Vorflut und den Kanalbau reguliert, und der erste rein bureaukratische Herrscher, der Schi Hoang Ti, zugleich als größter Bauherr für Kanäle, Straßen und Festungen und, vor allem, als Erbauer der großen Mauer galt (die in Wahrheit von ihm nur zu einem gewissen Abschluß gebracht wurde). Diese Bauten dienten sämtlich, neben der Bewässerung, fiskalischen, militärischen und Verproviantierungsinteressen, der berühmte Kaiserkanal vom Yangtse zum Hoangho z.B. dem Transport des Reistributs aus dem Süden nach der neuen Hauptstadt (Peking) des Mongolenkhans.56 50.000 Fronarbeiter waren in einem bestimmten Zeitpunkt nach einem amtlichen Bericht an der Eindeichung eines Flusses beschäftigt und die Bauzeiten erstreckten sich über viele Jahrhunderte stückweiser Fertigstellung. Als die eigentlich ideale Form der Deckung des öffentlichen Bedarfes galt noch dem Mencius die Fron und nicht die Steuer. Wie in Vorderasien siedelte der König seine Untertanen trotz ihres Widerstandes um, nachdem die Divination den geeigneten Ort für eine neue Hauptstadt bezeichnet hatte. Teils strafweise Deportierte, teils im Wege der Zwangsrekrutierung beschaffte Soldaten bewachten die Deiche und Schleusen und stellten einen Teil der Arbeitskräfte für die Bauten und Rodungen. Schritt für Schritt wurde in den Grenzprovinzen des Westens durch die Arbeitskräfte des Heeres der Wüste Boden abgewonnen.57 Schwermütige Klagen über die furchtbare Last dieses eintönigen Schicksals, vor allem bei den Fronden an der großen Mauer, finden sich in erhaltenen Gedichten.58 Die klassische Lehre mußte sehr nachdrücklich gegen die Vergeudung der Untertanenfronden zu privaten fürstlichen Bauzwecken nach ägyptischer Art Front machen, welche auch hier die Begleiterscheinung der Entwicklung einer bureaukratischen Organisation der öffentlichen Arbeiten war. Anderseits: sobald das Fronsystem in Verfall geriet, begann nicht nur in den zentralasiatischen Gebieten das Vordringen der Wüste auf Kosten des ihr abgerungenen, heute völlig versandeten Kulturbodens,59 sondern wankte die politische Leistungsfähigkeit des Reichs überhaupt. Über die mangelhafte Bestellung der Krongüter durch die Bauern wird in den Annalen geklagt. Nur Ausnahmepersönlichkeiten vermochten den Fronstaat einheitlich zu organisieren und zu leiten.

 

Die Fron blieb aber die klassische Form der Staatsbedarfsdeckung. Wie naturalwirtschaftliche (durch Fronden bewirkte) und geldwirtschaftliche (durch Submission bewirkte) Deckung der Staatsbedürfnisse sich praktisch zueinander verhielten, zeigt (für das 17. Jahrhundert) eine Erörterung vor dem Kaiser über die Frage, nach welchem von beiden Systemen gewisse Reparaturen am Kaiserkanal zu bewerkstelligen seien. Man beschloß, die Bauten gegen Geld zu vergeben, da sonst die Reparaturen zehn Jahre in Anspruch genommen hätten.60 Eine Entlastung der Zivilbevölkerung wurde immer wieder – in Friedenszeiten – durch Heranziehung des Heeres zum Frondienst versucht.61

Neben den Militärgestellungen, Fronden und Leiturgien finden sich schon in früher Zeit Steuern. Die Fron auf dem Königsland scheint besonders früh (im 6. Jahrhundert v. Chr.) im Teilstaat Tsin abgeschafft zu sein, dessen Herrscher später (im 3. Jahrhundert v. Chr.) der erste Kaiser des Gesamtreiches wurde.

Abgaben haben natürlich schon in weit älterer Zeit existiert. Die Bedürfnisse des kaiserlichen Hofhalts waren, wie fast überall, als spezifische Naturalabgaben auf die einzelnen Gebiete verteilt,62 und dies System ist in Resten bis in die Gegenwart erhalten geblieben. Das Naturalabgabensystem stand mit der Schaffung des patrimonialen Heeres und Beamtentums im engsten Zusammenhang. Denn beide wurden hier wie sonst aus den fürstlichen Magazinen verpflegt und es entwickelten sich feste Naturalpräbenden. Dennoch war zuweilen auch die Geldwirtschaft des Staats daneben, zum mindesten unter der Han-Dynastie, um den Beginn unserer Zeitrechnung, schon weit vorgeschritten, wie die Urkunden zeigen.63 Und dies Nebeneinander von gelegentlichen Fronden (für Bauzwecke vor allem, daneben für Kurierdienste und Verkehr), Natural- und Geldabgaben und Gebühren, mit fürstlicher Oikenwirtschaft für gewisse Luxusbedürfnisse64 des Hofes, hat unter, im allgemeinen, zunehmender Verschiebung nach der Seite der Geldwirtschaft bis in die Gegenwart fortbestanden.

Diese Verschiebung nach der Seite der Geldsteuern hat sich auch und vor allem auf die bis in die allerletzte Zeit weitaus wichtigste Steuer: die Grundsteuer, erstreckt, deren interessante Geschichte hier im einzelnen zu verfolgen nicht die Absicht ist.65 Wir kommen darauf weiter unten, soweit nötig, bei Erörterung der Agrarverfassung etwas näher zu sprechen. An dieser Stelle genügt es zu sagen, daß auch hier, wie in den Patrimonialstaaten des Okzidents, das gelegentlich stärker differenzierte Steuersystem, weil das nicht in Grund und Boden angelegte Vermögen für die Steuertechnik der extensiven kaiserlichen Verwaltung nicht sichtbar blieb, zunehmend in der Richtung der Unifizierung der Steuern durch Verwandlung aller anderen Abgaben in Zuschläge zur Grundsteuer sich entwickelte. Diese Tendenz zur Verflüchtigung alles nicht sichtbaren Besitzes ist vielleicht für die stets erneuten Versuche, den Staatsbedarf tunlichst naturalwirtschaftlich: durch Fronden und Leiturgien, zu decken, mitbestimmend gewesen. Daneben und in Wahrheit wohl in erster Linie auch: die Währungsverhältnisse. Für die Grundsteuer selbst aber galten zwei ebenfalls in extensiv verwalteten Patrimonialstaaten universelle Entwicklungstendenzen: Einmal die zur Umwandlung in Geldabgaben, von welcher auch alle anderen Lasten, insbesondere die Fronden und sonstigen Leiturgien, ergriffen wurden. Ferner aber die Tendenz zur Umwandlung in eine Repartitionssteuer und schließlich in einen fest kontingentierten Tribut, der auf die Provinzen nach festem Maßstabe verteilt wurde. Der ungemein wichtige Vorgang wurde schon einmal kurz berührt. Die Befriedung des Reichs unter der Mandschu-Dynastie gestattete dem Hof den Verzicht auf bewegliche Einkünfte und führte zu dem berühmten, als Quelle der neuen Blüte Chinas im 18. Jahrhundert gepriesenen Edikt von 1713, welches die Grundsteuerpflichtigkeiten der Provinzen – der Absicht nach – in feste Abgaben verwandelte. Wir werden davon gleich zu reden haben. Neben der Grundsteuer spielten namentlich die Salzgabelle, die Bergwerke und erst in letzter Linie die Zölle eine Rolle in den Einkünften der Zentralverwaltung. Auch für sie wurde aber der nach Peking abzuführende Betrag tatsächlich ein traditionell feststehender. Erst die Kriege mit europäischen Mächten und die finanzielle Notlage im Gefolge der Taiping-Revolution (1850-64) ließen die Likin-Zölle unter der glänzenden Finanzverwaltung Sir Robert Harts in den Vordergrund der Finanzen des Reichs treten.

Die Befriedung des Reichs im Zusammenhang mit dieser Steuerkontingentierung und ihren Folgen: der Entbehrlichkeit und dem Wegfall der Fronausnutzung, des Paßzwangs und aller Freizügigkeitsschranken, aller Kontrolle über Berufswahl, Hausbesitzverhältnisse und Produktionsrichtung, hat eine gewaltige Vermehrung der Bevölkerung im Gefolge gehabt. Während es scheint, daß die nach den freilich zum Teil äußerst problematischen Katasterziffern sehr stark schwankende Volksdichte Chinas zu Beginn der Mandschu-Herrschaft nicht wesentlich höher war als unter Schi-Hoang-Ti fast 1900 Jahre zuvor, jedenfalls aber die angebliche Volkszahl jahrhundertelang zwischen 50 und 60 Millionen schwankte, wuchs sie von Mitte des 17. bis Ende des 19. Jahrhunderts von 60 auf etwa 350-400 Millionen,66 entfaltete sich der sprichwörtliche chinesische Erwerbstrieb im kleinsten wie im größten und wurden auch sehr bedeutende Einzelvermögen akkumuliert. Was nun aber als etwas höchst Auffallendes an dieser Epoche erscheinen muß, ist: daß trotz dieser erstaunlichen Entwicklung der Volkszahl und ihres materiellen Befindens nicht nur die geistige Eigenart Chinas in eben dieser Zeit gänzlich stabil blieb, sondern auch auf ökonomischem Gebiet, trotz jener scheinbar so überaus günstigen Bedingungen, nicht der geringste Ansatz zu einer modern-kapitalistischen Entwicklung sich findet. Daß ferner auch der einst bedeutende Eigenhandel Chinas nach außen keinerlei Neubelebung erfuhr, sondern nur Passivhandel in einem einzigen, den Europäern unter strenger Kontrolle geöffneten Hafen (Kanton) stattfand. Daß auch von einem von innen, aus eigenem kapitalistischen Interesse der Bevölkerung heraus, entstandenen Streben, diese Schranke zu sprengen, nicht das mindeste (sondern ausschließlich: das Gegenteil) bekannt ist. Und daß überhaupt auf dem Gebiet der Technik, Wirtschaft und Verwaltung auch nicht die geringste, im europäischen Sinn, fortschrittliche Entwicklung einsetzte, vollends aber die Steuerkraft des Reichs, wenigstens dem Anschein nach, keinem ernsten Stoß gewachsen war, als die Erfordernisse der Außenpolitik dies gebieterisch erheischt hätten. Wie ist dies alles angesichts jener bei aller Kritik doch nicht zu bezweifelnden ganz ungewöhnlich mächtigen Volkszunahme zu erklären? Das ist unser Zentralproblem.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?