Konfuzianismus und Taoismus

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Mit diesen verkehrte man ganz urwüchsig auf dem Tauschfuß: soundsoviel rituelle Leistungen für soundsoviel Wohltaten. Zeigte sich dann, daß ein Schutzgeist nicht stark genug war, die Menschen trotz aller Opfer und Tugenden zu schützen, so mußte man ihn wechseln. Denn nur der Geist, der sich als wirklich machtvoll bewährte, verdiente Verehrung. Ein solcher Wechsel geschah tatsächlich oft und insbesondere der Kaiser verlieh den Göttern, die sich bewährt hatten, Anerkennung als Objekten der Verehrung, Titel und Rang71 und setzte sie eventuell wieder ab. Nur das bewährte Charisma eines Geistes legitimierte. Zwar war – wie gleich zu besprechen – der Kaiser für Unglück verantwortlich. Aber auch dem Gott, der durch Los-Orakel oder sonstige Weisungen ein mißglücktes Unternehmen veranlaßt hatte, gereichte dies zur Schande. Noch 1455 hielt ein Kaiser dem Geist des Tsai-Berges offiziell eine strafende Rede. Und in anderen Fällen wurden solchen Geistern Kulte und Opfer gesperrt. Der Rationalist unter den großen Kaisern und Einiger des Reichs: Schi-hoang-ti, ließ einen Berg zur Strafe dafür, daß der Geist sich renitent gezeigt und ihm den Zutritt erschwert hatte, kahl schlagen, wie Se Ma Tsien in dessen Biographie erwähnt.

Charismatische und pontifikale Stellung des Zentralmonarchen.

Ihm, dem Kaiser selbst, ging es aber natürlich, getreu dem charismatischen Prinzip der Herrschaft, ganz ebenso. Von dieser eingelebten politischen Realität ging ja diese ganze Konstruktion aus. Auch er mußte sich durch seine charismatischen Qualitäten als vom Himmel zum Herrscher berufen bewähren. Das entsprach durchaus den – erbcharismatisch temperierten – genuinen Grundlagen charismatischer Herrschaft. Charisma war überall eine außeralltägliche Kraft (maga, orenda), deren Vorhandensein sich in Zaubermacht und Heldentum offenbarte, bei den Novizen aber durch Erprobung in der magischen Askese festgestellt (je nach der Abwandlung der Vorstellung auch: als neue Seele erworben) werden mußte. Die charismatische Qualität war aber (ursprünglich) verlierbar: der Held oder Magier konnte von seinem Geist oder Gott verlassen werden. Nur solange sie sich bewährte: durch immer neue Wunder und immer neue Heldentaten, mindestens aber: dadurch, daß der Magier oder Held nicht sich selbst und seine Gefolgschaft offenkundigen Mißerfolgen aussetzte, erschien ihr Besitz gewährleistet. Heldenstärke galt ursprünglich ja ebenso als magische Qualität wie die im engeren Sinne magischen Kräfte: Regenzauber, Krankheitszauber und die außeralltäglichen technischen Künste.72 Entscheidend für die Kulturentwicklung war wesentlich Eins: die Frage, ob das militärische Charisma des Kriegsfürsten und das pazifistische Charisma des (in der Regel: meteorologischen) Zauberers beide in einer Hand lagen oder nicht. Im ersten Fall (dem des Cäsaropapismus) aber: welches von beiden primär die Grundlage der Entwicklung der Fürstenmacht wurde. In China nun haben – wie früher schon eingehend dargelegt wurde – grundlegende, für uns aber vorhistorische Schicksale, vermutlich durch die große Bedeutung der Stromregulierung mitbedingt,73 das Kaisertum aus dem magischen Charisma hervorgehen lassen und weltliche und geistliche Autorität in einer Hand, jedoch unter sehr starkem Vorwalten der letzteren, vereinigt. Das magische Charisma des Kaisers mußte sich zwar auch in kriegerischen Erfolgen (oder doch dem Fehlen eklatanter Mißerfolge), vor allem aber in gutem Erntewetter und gutem Stande der inneren Ruhe und Ordnung bewähren. Die persönlichen Qualitäten aber, die er, um charismatisch begnadet zu sein, besitzen mußte, wurden von den Ritualisten und Philosophen ins Rituelle und weiterhin ins Ethische gewendet: er mußte den rituellen und ethischen Vorschriften der alten klassischen Schriften entsprechend leben. Der chinesische Monarch blieb so in erster Linie ein Pontifex: der alte Regenmacher der magischen Religiosität,74 ins Ethische übersetzt. Da der ethisch rationalisierte Himmel eine ewige Ordnung schützte, waren es ethische Tugenden75 des Monarchen, an denen sein Charisma hing. Er war, wie alle genuin charismatischen Herrscher, ein Monarch von Gottes Gnaden nicht in der bequemen Art moderner Herrscher, welche auf Grund dieses Prädikates beanspruchten, für begangene Torheiten nur Gott, und das heißt praktisch: gar nicht, verantwortlich zu sein. Sondern im alten genuinen Sinne der charismatischen Herrschaft. Das hieß nach dem soeben Ausgeführten: er hatte sich als Sohn des Himmels, als der von ihm gebilligte Herr, dadurch auszuweisen: daß es dem Volke gut ging. Konnte er das nicht, so fehlte ihm eben das Charisma. Brachen also die Flüsse durch die Deiche, blieb der Regen trotz aller Opfer aus, so war dies, wie ausdrücklich gelehrt wurde, ein Beweis, daß der Kaiser jene charismatischen Qualitäten nicht besaß, welche der Himmel verlangte. Er tat dann – so noch in den letzten Jahrzehnten – öffentlich Buße für seine Sünden. Ein solches öffentliches Sündenbekenntnis verzeichnet die Annalistik schon für die Fürsten des Feudalzeitalters76 und die Sitte hat bis zuletzt fortbestanden: noch 1832 folgte auf eine solche öffentliche Beichte des Kaisers alsbald der Regen.77 Wenn auch das nicht half, hatte er Absetzung, in der Vergangenheit wohl Opferung, zu gewärtigen. Er war der amtlichen Rüge der Zensoren ausgesetzt78 wie die Beamten. Vollends ein Monarch, welcher den alten festen sozialen Ordnungen, einem Teil des Kosmos, der als unpersönliche Norm und Harmonie über allem Göttlichen stand, zuwiderhandelte: – der z.B. etwa das absolute göttliche Naturrecht der Ahnenpietät alteriert hätte –, würde damit (nach der immerhin nicht schlechthin gleichgültigen Theorie) gezeigt haben, daß er von seinem Charisma verlassen und unter dämonische Gewalt geraten war. Man durfte ihn töten, denn er war ein Privatmann.79 Nur war die dafür zuständige Macht natürlich nicht jedermann, sondern es waren das die großen Beamten (etwa so wie bei Calvin die Stände das Widerstandsrecht hatten).80 Denn auch der Träger der staatlichen Ordnung: das Beamtentum, galt als mitbeteiligt am Charisma81 und daher in gleichem Sinn als eine Institution heiligen Rechtes, wie der Monarch selbst, mochte auch der einzelne Beamte persönlich, wie bis in die Gegenwart, ad nutum amovibel sein. Auch ihre Eignung war daher charismatisch bedingt: jede Unruhe oder Unordnung sozialer oder kosmisch-meteorologischer Art in ihrem Sprengel bewies: daß sie nicht die Gnade der Geister hatten. Ohne alle Frage nach Gründen mußten sie dann aus dem Amt weichen.

Diese Stellung des Beamtentums war seit einer für uns vorgeschichtlichen Zeit in Entwicklung begriffen. Die alte halb legendäre heilige Ordnung der Tschou-Dynastie, wie sie im Tschou-li überliefert ist, steht bereits auf dem Punkt, wo der urwüchsige Patriarchalismus in den Feudalismus überzugehen beginnt.

 1 Zur Literatur: Die weiterhin nicht zu den einzelnen Stellen jedesmal besonders zitierten großen Zentralwerke der klassischen chinesischen Literatur hat J. Legge in den Chinese Classics übersetzt mit textkritischen Anmerkungen herausgegeben. Einige davon sind auch in Max Müllers Sacred Books of the East aufgenommen. In die persönlichen (oder, was für uns hierganz dasselbe ist: als persönlich geltenden) Ansichten des Konfuzius und seiner maßgeblichsten Schüler führen wohl am bequemsten die in einem kleinen Bande (The Life and Teachings of Confuzius, London 1867) von Legge mit Einleitung herausgegebenen drei Schriften: das Lun Yü (als Confucian Analects übersetzt), das Ta Hio (The Great Learning) und das Tschung Yung (Doctrine of the Mean), ein. Dazu die berühmten Annalen von Lu (Tschun Tsiu = Frühling und Herbst). Übersetzungen von Mencius: in den Sacred B. of the East und bei Faber, The Mind of Mencius. Das dem Laotse zugeschriebene Tao-te-king ist überaus oft übersetzt worden, deutsch (genial) von v. Strauß 1870, englisch von Carus 1913. Inzwischen ist bei Diederichs, Jena, eine gute Auslese chinesischer Mystiker und Philosophen erschienen (hrsg. v. Wilhelm). Die Beschäftigung mit Taoismus war neuerdings fast Mode. Über die staatlichen und sozialen Verhältnisse ist, neben Richthofens großartigem, vorwiegend geographischem, aber nebenbei auch diese Dinge berücksichtigenden Werk, zur Einführung noch immer die popularisierende ältere Arbeit von Williams The Midden Empire nützlich. Vorzügliche Skizze (mit Literatur) von Otto Franke in der Kultur der Gegenwart (II, II, 1). Über die Städte: Plath in den Abh. der bayer. Akad. der Wiss. X. Die beste Arbeit über die Ökonomik einer (modernen) chinesischen Stadt ist bisher von einem Schüler K. Büchers, Dr. Nyok Ching Tsur, geliefert worden (Die gewerbl. Betriebsformen der Stadt Ningpo, Erg.-Heft 30 der Zeitschr. f. d. ges. Staatsw., Tübingen 1909). Über die alt chinesische Religion (den sog. Sinismus) E. Chavannes in Revue de l'hist. des Relig. 34 S. 125 ff. Für die Religion und Ethik des Konfuzianismus und Taoismus sind empfehlenswert, weil tunlichst im Anschluß an wörtliche Zitate gearbeitet, die beiden Arbeiten von Dvorak in den Darstellungen aus dem Gebiet der nichtchristlichen Rel.-Geschichte. Im übrigen die Darstellungen in den verschiedenen Lehrbüchern der Religionsgeschichte (bei Bertolet, Tübingen 1908, ist der Abschnitt von Wilhelm Grube, bei Chantepie de la Saussaye von E. Buckley). Im übrigen stehen über die offizielle Religion die großen Arbeiten von de Groot zurzeit allen voran. Hauptwerk: The Religious System of China (in den bisher erschienenen Bänden wesentlich das Ritual, vor allem das Totenritual, behandelnd). Eine Gesamtübersicht über die in China bestehenden Religionssysteme von ihm in der Kultur der Gegenwart. Über die Toleranz des Konfuzianismus seine temperamentvolle Streitschrift: Sectarianism and religious persecution in China (Verh. der Kon. Ak. van Wetensch. te Amsterdam, Afd. letterk. N. Reeks IV, 1, 2). Zur Geschichte der Religionsverhältnisse sein Aufsatz in Bd. VII des Archivs f. Rel.-Wissensch. (1904). Zu vgl. die Besprechung von Pelliot Bull. de l'Ec. fr. de l'Ext. Or. III, 1903, S. 549 ff. Darstellung der konfuzianischen Lehre vom Standpunkt der modernen Reformpartei Kang Yu Wei's: Chen Huan Chang The economic principles of Confucius and his school (Dissertation der New Yorker Columbia University, New York 1911). – Sehr anschaulich spiegeln sich die Wirkungen der verschiedenen Religionssysteme auf die Lebensformen in Wilhelm Grubes schönem Aufsatz: Zur Pekinger Volkskunde (in der Veröff. aus dem Kgl. Mus. f. Völkerk., Berlin VII, 1901). Vgl. von demselben: Religion und Kultur der Chinesen. Über chinesische Philosophie: W. Grube in der Kultur der Gegenwart I, 5. Derselbe: Geschichte der chinesischen Literatur (Leipzig 1902). Aus der Missionarliteratur ist recht wertvoll, weil zahlreiche Gespräche reproduzierend, Jos. Edkins, Religion in China (3. Aufl., 1884). Manches Gute enthält auch Douglas, Society in China. Für weitere Literatur sind die bekannten großen englischen, französischen und deutschen Zeitschriften, ferner die Zeitschr. f. vergl. Rechtswissenschaft und das Archiv f. Rel.-Wissensch. durchzusehen. – Zur anschaulichen Einführung in moderne chinesische Verhältnisse: F. v. Richthofens Tagebücher, ferner die Bücher von Lauterer, Lyall, Navarra u.a. Zum Taoismus s. auch bei VII. Eine moderne Entwicklungsgeschichte Chinas (alte Zeit), bringt E. Conrady in Band III der Weltgeschichte (1911) von v. Pflugk-Harttung. Erst während dieses Drucks kam mir das neue Werk von de Groot: Universismus. Die Grundl. d. Rel. u. Ethik, des Staatsw. u. der Wiss. Chinas (Berlin 1918) zur Hand. Von kurzen einführenden Skizzen sei ganz besonders auf die kleine Broschüre eines der besten Fachkenner verwiesen: Frhr. v. Rosthorn, Das soziale Leben der Chinesen (1919), aus der älteren Literatur gleicher Art etwa auf J. Singer, Über soziale Verhältnisse in Ostasien (1888). Belehrender als viele Darstellungen ist das Durcharbeiten der von den englischen Interessenten jahrzehntelang unter dem Namen Peking Gazette übersetzten Sammlung der (ursprünglich nur zum internen Gebrauch bestimmten) kaiserlichen Verfügungen an die Reichsbeamten. Die sonstige Literatur und die übersetzten Quellenschriften sind zu den Einzeldarlegungen zitiert. Für den Nichtfachmann ist sehr erschwerend der Umstand, daß die dokumentarischen und monumentalen Quellen nur zum kleinsten Teil übersetzt sind. Ein sinologischer Fachmann stand mir zur Kontrolle leider nicht zur Seite. Nur mit schweren Bedenken und unter den größten Vorbehalten wird daher hier dieser Teil mit abgedruckt.

 

 2 Dahin resumiert seine Ansicht auch H. B. Morse, The Trade and Administration of the Chinese, New York 1908, p. 74. In der Tat: das Fehlen der Akzise und jeder Steuer von beweglichem Einkommen, bis in die Neuzeit sehr niedrige Zölle, die Getreidepolitik nur unter den Gesichtspunkt des Konsums gestellt, – schon diese Grundtatsachen rechtfertigen das Urteil. Vor allem aber war für den bemittelten Händler für Geld bei der Eigenart des Beamtentums praktisch alles durchzusetzen, was in seinem Interesse lag.

 3 Der Übergang zu diesem unseren Banko-Währungen entsprechenden (für die Hamburger Bank auch vorbildlich gewesenen) System wurde allerdings erst durch die Münzverschlechterungen und Papiergeldemissionen der Kaiser herbeigeführt, ist also sekundär. Welche Verwirrung aber die an einem Ort plötzlich eintretende Knappheit des Kupferkurants, die infolgedessen vermehrte Emission lokaler Banknoten und die durch beides erzeugten Agiounterschiede und Spekulationen in Silberbarren noch in neuester Zeit hervorrufen konnten und mit wie unbeholfenen Maßnahmen die Regierung dann eingriff, zeigt z.B. der nebst dem kaiserlichen Dekret in der Peking Gazette vom 2.6.96 veröffentlichte Bericht. Beste Darstellung der Währungsverhältnisse bei H. B. Morse, Trade and Administration of the Chinese Empire, New York 1908, Kap. V, p. 119 ff. Im übrigen zu vergleichen: J. Edkins, Banking and prices in China (1905). Aus der alten chinesischen Literatur Se Ma Tsien ed. Chavannes, Vol. III, Kap. XXX.

 4 Die Bezeichnung für Geld ist im übrigen hwo, Tauschmittel (puo hwo = wertvolles Tauschmittel).

 5 S. darüber außer dem betreffenden Kapitel von Morse, Trade and administration of China, und Jos. Edkins, Chinese Currency, London 1913, die alte, noch immer brauchbare Arbeit von Biot im N. Journ. Asiat. 3. Ser. 3, 1837, welche sich im wesentlichen auf Ma Tuan Lin als Gewährsmann stützt. Erst während der Korrektur kam mir die New-Yorker Diss. v. W. P. Wei, The currency problem in China (Stud. in Hist. Ec. etc. 59, New York 1914) zu Gesicht, deren erstes Kapitel einiges enthält.

 6 Geomantische, später zu besprechende, Superstitionen führten stets erneut (bei jedem Erdbeben) zur Unterdrückung des Abbaus. Allerdings ist es aber eine lächerliche Übertreibung, wenn Biot a.a.O. die Minen mit denen von Potosi vergleicht. Das steht seit Richthofen endgültig fest. Die Bergwerke in Yünnan sollen von 1811 bis gegen 1890 nur ca. 13 Mill. Taëls Ausbeute ergeben haben (trotz der relativ niedrigen Royalty von 15%). Schon im 16. Jahrhundert (1556) kam es vor, daß eine Silbermine mit 30.000 Taëls Kosten eröffnet wurde und dann rund 28.500 Taëls Ausbeute gab. Die mehrfachen Verbote des Bleiabbaus hinderten die Gewinnung des Silbers als Nebenprodukt. Nur während der Herrschaft der Chinesen über Hinterindien (Kambodscha, Annam), wo namentlich Birma ein Silberland war, stieg die (Dauer-) Zufuhr von Silber stark; außerdem durch den Handel mit dem Westen über Buchara, besonders im 13. Jahrhundert, als Gegenwert gegen Seide, dann (s. gleich) seit dem 16. Jahrhundert durch den Außenhandel mit Europäern. Die große Unsicherheit war, nach der Annalistik zu schließen, neben der mangelhaften Technik ein wichtiger Grund der meist geringen Rentabilität der Silberbergwerke.

 7 Riesenhafte Fronden für die Ausbeutung von Goldminen berichtet die von Kaiser Kian Lung geschriebene Geschichte der Ming-Dynastie (Yu tsiuan tung kian kang mu übers. v. Delamarre, Paris 1861, p. 362) noch für das Jahr 1474: 550.000 (?) Menschen seien dazu gepreßt worden.

 8 Das Mißverhältnis zwischen Ankaufspreis und Kosten erklärt die ganz ungenügende Ausbeute hinlänglich.

 9 Nach Weil a.a.O. S. 17 sei ein Münzgewinn der älteren Münzpolitik Chinas unbekannt gewesen. Aber das ist unglaubwürdig, da sonst die notorisch riesige Nachprägung nicht rentiert hätte. Auch berichtet die Annalistik ausdrücklich (s. u.) das Gegenteil.

 10 Über diese Wirkung des Fung schui s. Variétés Sinolog. Nr. 2 (H. Havret La prov. de Ngan Hei, 1893) p. 39.

 11 Nach einer von Biot (N. J. As. III Ser. 6, 1838, p. 278) wiedergegebenen Notiz aus dem Wen hian tong kao wären unter Yuan Ti (48-30 v. Chr.) die Münzvorräte des ganzen Landes auf 730.000 Uan à 10.000 tsien (Kupfermünzen), davon 330.000 im Fiskalbesitz (!), geschätzt worden, was Ma tuan lin als einen niedrigen Vorrat ansieht.

 12 Die Annalistik (Ma tuan lin) gibt an, daß Kupfer, nach dem Gewicht, damals 1840 mal so viel wert gewesen sei als Getreide (andere Quellen sprechen von 507 mal so viel), während unter den Han Kupfer 1-8 mal so viel wert gewesen sein soll als Reis (auch in Rom im letzten Jahrhundert der Republik, gab es für Weizen eine erstaunliche Relation).

 13 Das pien-tschen Papiergeld des 10. Jahrhunderts wurde von staatlichen Kassen eingelöst.

 14 Das schwere Eisengeld in Setschuan hatte dort schon im 1. Jahrh. im kaufmännischen Verkehr Zertifikate (tschiao-tse) der Gilde der 16ner, also: Bankgeld entstehen lassen, die später durch Zahlungsunfähigkeit uneinlöslich wurden.

 15 Eine chinesische Staatseinkünfteaufstellung älterer Zeit sah nach der Annalistik (Ma tuan lin) so aus:997 v. Chr.1021 n. Chr.Getreide21.707.000 schi22.782.000 schiKupfermünzen4.656.000 kuan (à 1000 tsien)7.364.000 kuanStarke Seidenstoffe1.625.000 py (Stück)1.615.000 pyFeine Seidenstoffe273.000 py182.000 pySeidengarn410.000 Unzen905.000 UnzenGaze (feinste Seide)5.170.000 Unzen3.995.000 UnzenTee490.000 Pfund1.668.000 PfundHeu, frisch und gedörrt30.000.000 schi28.995.000 schiBrennholz280.000 scho?Kohlen (Erdkohle)530.000 tsching26.000 tschingEisen300.000 Pfund- Dazu 997 noch: Posten für Pfeilholz, Gänsefedern (für die Pfeile) und Vegetabilien, 1021 aber: Posten für Leder (816.000 tsching), Hanf (370.000 Pfund), Salz (577.000 schi), Papier (123.000 tsching), 1077 (geldwirtschaftliche und handelsmonopolistische Reform Wang-An-Schis, von der zu reden sein wird): Silber .... 60.137 Unzen Kupfer .... 5.586.819 kuan Getreide .... 18.202.287 schi Starke Seidenstoffe .... 2.672.323 py Seidengarn und leichte Stoffe .... 5.847.358 Unzen Heu .... 16.714.844 scho. Dazu tritt ein Durcheinander von Abgaben an Tee, Salz, Käse, Kleie, Wachs, Öl, Papier, Eisen, Kohle, Saflor, Leder, Hanf u.a., welches sinnloserweise vom Annalisten nach dem Gesamtgewicht (3.200.253 Pfund) angegeben ist. Was die Getreidequantitäten anlangt, so rechnete man, wie andern Orts erwähnt, als Monatsbedarf einer Person 1 1/2 schi (doch wechselte die Größe des schi erheblich). Die Silbereinnahme der letzten Rechnung, die in den beiden ersten fehlt, ist entweder aus dem Handelsmonopol oder durch Einführung der noch heute bestehenden Umrechnung des Kupferkurants in Silber durch die Steuereinheber zu erklären, oder dadurch, daß die letzte Rechnung eine Ist-Rechnung, die ersten Sollbudgets (?) sind. Die erste Abrechnung der Ming-Dynastie von 1360 weist demgegenüber nur 3 Posten auf: Getreide .... 29.433.350 schi, Geld (in Kupfer und Papiergeld) .... 450.000 Unzen (Silber), Seidenstoffe .... 288.546 Stück. Also ein erheblicher Fortschritt der Silbervermehrung und ein Fortfall der zahlreichen spezifizierten Naturalien, die damals offenbar nur in den Bezirkshaushalten erschienen, wo sie verbraucht wurden. Sehr viel ist mit den Zahlen eben deshalb nicht anzufangen, weil man nicht sicher weiß, was vorabgezogen wurde. 1795-1810 flossen der Zentralregierung zu: 4,21 Mill. schi Getreide (à 120 chines. Pfund), dagegen eine sehr starke relative und absolute Vermehrung der Silbereinkünfte, ermöglicht durch die sehr stark aktive Zahlungsbilanz Chinas im Außenhandel mit den Abendländern seit dem amerikanischen Silbersegen. (Die neuere Entwicklung hat uns hier nicht zu interessieren.) Übung der alten Zeit war, nach der Annalistik, die der Hauptstadt nahe gelegenen Bezirke die geringwertigen Naturalien, die Außenbezirke mit steigender Entfernung zunehmend hochwertige Güter liefern zu lassen. Über die Steuern und ihre Wirkung siehe weiter unten.

 16 So 689 n. Chr. nach Ma Tuan Lin.

 17 So 683 n. Chr. der Verkauf von Getreide nach Japan (wo damals Kupferprägung herrschte).

 18 So 702 nach der Annalistik.

 19 Erstmalig 780 n. Chr.

 20 Im 8. Jahrhundert argumentierten die Münzmeister damit: daß 1000 Einheiten Kupfer, zu Kunstwerken (Vasen) veredelt, so viel wert wären wie 3600 Einheiten, also die industrielle Verwertung des Kupfers vorteilhafter sei als die monetäre.

 21 817 und seitdem oft: nicht mehr als 5000 kuan (à 1000 tsien). Je nach Höhe des Kupfergeldbesitzes wurden verschiedene Fristen für dessen Veräußerung gestellt.

 22 Zuerst verwendet scheint es für die Amtssiegel der Beamten, die seit Schi Hoang-Ti den Übergang vom Feudalismus zum Patrimonialstaat äußerlich markierten.

 23 So 1155: 1 1/2%, durch die tatarischen Beherrscher Nordchinas.

 24 So noch 1107. Die Zettel entwerteten sich assignatenartig (bis auf 1/100).

 25 So 1111, wo Papier für den Grenzkrieg emittiert wurde.

 26 Dies war die regelmäßige Form, anfänglich auch von den Handelsinteressenten empfohlen. Diese Noten hatten also insoweit Schatzwechselcharakter.

 27 Alte oder abgenutzte Emissionen wurden zuweilen nur mit 1/10-1/3 des Betrags eingelöst.

 28 Noch 1107, infolge des Tatarenkriegs, jede Zahlung über 10.000 tsien zur Hälfte in Papier. Ähnlich öfter.

 29 Seine Schilderung ist unannehmbar. 3% Abzug für Einlösung abgenützter Scheine gegen neue (Scheine!) dagegen auf Verlangen Hergabe des Goldes und Silbers gegen Scheine an jeden, der es braucht, ist nicht möglich, – selbst dann nicht, wenn man Marco Polo – was nach dem Wortlaut wenigstens möglich wäre – dahin versteht: daß ein industrieller Zweck habe angegeben werden müssen. Zwangsverkäufe von Edelmetall gegen Noten berichtet auch er.

 

 30 Von 500:1 auf 1100:1 Mitte des 19. Jahrhunderts angeblich.

 31 J. Edkins, Chinese Currency, 1890, p. 4.

 32 Die Pfründen der Beamten der Tsin und Han (bei Chavannes in Vol. II App. I seiner Ausgabe von Se Ma Tsien wiedergegeben) waren, in 16 Klassen abgestuft, teils in Geld, teils in Reis angesetzte feste Deputate. Als Zeichen kaiserlicher Ungnade – der z.B. Konfuzius nach Se Ma Tsien's Biographie verfiel – galt die Verweigerung des Naturalanteils am Opferfleisch, das ihnen zukam. Immerhin finden sich im damals chinesischen Turkestan, wie später zu erwähnen, Urkunden mit reiner Geldrechnung.

 33 Erst im 4. Jahrhundert v. Chr. wurde der Holzbau durch Steinbauten ersetzt. Bis dahin wechselten die pallisadierten Residenzen leicht und oft.

 34 Nicht sehr ergiebig für die Kenntnis chinesischen Städtetums ist die Arbeit von L. Gaillard S. J. über Nangking, Var. Sinol. 23 (Schanghai 1903).

 35 Auf die gewaltige Bedeutung der Gilden in China kommen wir weiterhin zu sprechen. Es werden dann auch die Unterschiede gegen den Okzident in ihren Gründen hervortreten, deren Bedeutung dadurch nur noch eklatanter wird, daß die soziale Macht der Gilden in China gegenüber dem einzelnen und auch der Umkreis ihrer ökonomischen Wirksamkeit weit größer waren als jemals im Okzident.

 36 Auch in China natürlich hatte bei weitem nicht jeder Stadtinsasse den Zusammenhang mit einem Ahnenheiligtum im Stammort bewahrt.

 37 Im offiziellen Pantheon galt als universeller Stadtgott der Reichtumsgott.

 38 Über die chinesische Stadt vgl. Eug. Simon, La cité chinoise (Paris 1885, wenig präzis).

 39 Denn der für die Ruhe eines Orts gegenüber der Regierung verantwortliche Ehrenbeamte (englisch mit headborough bezeichnet, vgl. H.A. Giles, China and the Chinese, New York 1912, p. 77) hatte sonst wesentlich nur die Funktion, Petitionen weiterzuleiten und gewisse Notariatsakte vorzunehmen. Er hatte ein (hölzernes) Siegel, galt aber nicht als Beamter und stand unter dem rangletzten Mandarin des Orts. – Auch besondere Munizipalsteuern gab es in den Städten nicht, sondern Schul-, Armen-, Wasser- usw. Abgaben, welche die Regierung ausschrieb.

 40 Peking bestand aus 5 Verwaltungsbezirken.

 41 Freilich wesentlich im Binnenverkehr benützt.

 42 Wie in Ägypten der Pharao die Fronpeitsche als Zeichen des Regierens in der Hand hält, so identifiziert auch das chinesische Zeichen für Regieren (tsching) dies mit der Führung des Stocks und wird es in der alten Terminologie mit Regulierung der Gewässer, der Begriff für Gesetz (fa) aber mit Ablassen des Wassers identifiziert. (Vgl. Plath, China vor 4000 Jahren, München 1869, S. 125.)

 43 Nach der Überlieferung hat z.B. Schi Hoang Ti einen Synoikismos aus den 120.000 (?) reichsten Familien des ganzen Landes nach seiner Hauptstadt oktroyiert. Von Synoikismen reicher Leute nach Peking im Jahre 1403 berichtet die von Kaiser Khian Lung geschriebene Chronik der Ming-Dynastie (Yu tsiau thung kian kang mu, Delamarre, Paris 1865, p. 150).

 44 S. darüber jetzt H. B. Morse, The Guilds of China (London 1909). Ferner aus der älteren Literatur: Macgowan, Chinese Guilds (J. of the N. China Br. of the R. As. Soc. 1888/9) und Hunter, Canton before treaty days 1821-44 (London 1882).

 45 Dies galt formell anscheinend besonders von den Hwei-kwan-Gilden der aus anderen Provinzen stammenden (Beamten und) Kaufleute (unseren Hansen entsprechend), die zum Schutz gegen die Feindschaft der ortsansässigen Kaufleute (wie gelegentlich in den Präambeln der Statuten angegeben wird) seit jedenfalls dem 14., wahrscheinlich schon dem 8. Jahrhundert entstanden, tatsächlich Eintrittszwang übten (wer Geschäfte machen wollte, mußte bei Lebensgefahr beitreten), Klubhäuser besaßen, Steuern je nach dem Gehalt der Beamten und bei Kaufleuten je nach dem Umsatz erhoben, jede Anrufung der Gerichte gegeneinander straften, für Gräber auf einem besonderen, die Heimatserde ersetzenden, Kirchhof sorgten, die Prozeßkosten in Fällen von Konflikten mit Nichtmitgliedern trugen und gegenüber den örtlichen Autoritäten die Anrufung der Zentralgewalt (und natürlich: die Bereitstellung der erforderlichen douceurs) besorgten (so z.B. im Jahre 1809 gegen lokale Reisausfuhrverbote remonstrierten). Neben fremdbürtigen Beamten und Kaufleuten finden sich auch Zünfte fremdbürtiger Handwerker; Nadelmacher aus Kiangsu und Taitschou in Wentschou, Goldschlägergilde nur von Leuten aus Ningpo, ebenda. Diese Organisationen sind Rudimente der Stammesgewerbeorganisation. In all diesen Fällen war die absolute Gewalt der Gilde durch die kontinuierlich bedrohte Lage der Mitglieder der Hanse in fremdstämmiger Umgebung ebenso gegeben, wie z.B. die straffe, aber immerhin weit weniger rigorose Disziplin etwa der Hansen in London und Nowgorod. Aber auch die ortseingesessenen Gilden und Zünfte (Kung so) übten durch Ausstoßung, Boykott und Lynchjustiz (Totbeißen eines Zunftmitglieds, welches die Vorschriften über die Höchstzahl der Lehrlingshaltung übertreten hatte, kam im 19. Jahrhundert vor!) eine fast absolute Herrschaft über die einzelnen Mitglieder.

 46 Z.B. durch die große Gesamtgilde von Niutschwang.

 47 Ebendort.

 48 Besonders bei den Hwei-kwan-Gilden (Hansen) verbreitet.

 49 Die Opiumgilde in Wutschou bestimmt, wann das Opium zu Markt kommen darf.

 50 So die Bankiersgilden in Ningpo, Schanghai und an anderen Orten für die Zinssätze, die Teegilde in Schanghai für Lagerungs- und Versicherungssätze.

 51 So die Drogistengilde in Wentschou.

 52 Die Bankiersgilden.

 53 So – infolge der vorhin erwähnten Reglementierung der Verkaufssaison – die Opiumgilden.

 54 Auch aus der eigenen Familie.

 55 Die Gilde der Goldschläger aus Ningpo in Wentschou verbot jede Aufnahme Ortsgebürtiger in die Zunft und jede Lehre ihrer Kunst an sie. Die Herkunft aus der inter-ethnischen, stammesgewerblichen, Produktionsteilung tritt darin besonders deutlich hervor.

 56 Dagegen war sowohl das Unterstützungswesen wie der religiöse Charakter (gemeinsamer Kult) unentwickelter als nach abendländischen Analogien anzunehmen wäre. Wenn die Eintrittsgelder zuweilen an einen Gott (Tempelkasse) gezahlt wurden, so sicherlich (ursprünglich), um sie dem Zugriff der politischen Gewalt zu entziehen. Wenn ein Tempel als Versammlungsraum diente, so regelmäßig nur bei armen Innungen, die sich kein Klubhaus leisten konnten. Die ausgerichteten Schauspiele waren profan (nicht: mysteria, wie im Abendland). Die religiösen Fraternitäten (Hwei) entwickelten geringe Intensität religiöser Interessen.

 57 So in dem erwähnten Fall in Ningpo, der zahlreiche Parallelen hat.

 58 So vor allem die Ko-hong-Gilde in Kanton, deren 13 Firmen bis zum Frieden von Nangking den gesamten Außenverkehr monopolisierten: eine der wenigen auf formeller Privilegierung durch die Regierung beruhenden Gilden.

 59 Die Regulierung der Bewässerung war schon in der Zeit der Entwicklung der Schrift ausgebildet (und vielleicht hing die letztere mit der durch jene bedingten Verwaltung zusammen). Regieren (tsching) bedeutet: den Stock in der Hand führen, der alte Ausdruck für Gesetz (fa) hängt mit dem Ablassen des Wassers zusammen (Plath, China vor 4000 Jahren, München 1869, S. 125).

 60 Eben dies hält, wie wir sehen werden, Jahwe den Israeliten vor.

 61 Angeblich (s. später) sollte unter der Tschou-Dynastie der (wie auch Legge, Shn-king, Proleg. p. 193 ff. annimmt) persönliche Himmelsgott, neben dem die 6 Geehrten standen, durch die unpersönlichen Ausdrücke Himmel und Erde kultisch ersetzt sein. Der Geist des Kaisers und seiner Vasallen ging bei guter Führung in den Himmel (von wo er auch warnend, Legge p. 238 erscheinen konnte). Eine Hölle gab es nicht.

 62 Wie schwankend diese war, zeigt z.B. eine Fluch-Inschrift des Tsin-Königs gegen den feindlichen Tschu-König aus dem Jahre 312, weil dieser die Regeln der Sitte verletzt und einen Vertrag gebrochen habe. Nebeneinander werden zu Zeugen und Rächern angerufen: 1. der Himmel, – 2. der Herrscher von oben (also ein persönlicher Himmelsgott), – 3. der Geist eines Flusses (an dem vermutlich der Vertrag geschlossen worden war). (S. die Inschrift in App. III von Vol. II der Ausgabe von Se Ma Tsien durch Chavannes, und Chavannes im Journal Asiatique, Mai/Juni 1893, p. 473 f.)

 63 Zu dem Vorstehenden vgl. die sehr gute (Leipziger) Dissertation von M. Quistorp (Schüler Conradys): Männergesellschaft und Altersklassen im alten China (1913). Ob, wie Conrady annimmt, Totemismus in China je geherrscht hat, könnte nur der Fachmann entscheiden.

 64 Reste davon findet Quistorp a.a.O. in gewissen bei Laotse rudimentär vorhandenen Mythologemen.

 65 Daher betont O. Francke nachdrücklich, daß die Mandschuherrschaft nicht als Fremdherrschaft empfunden wurde. Immerhin bedarf dies wohl der Einschränkung für Zeiten der revolutionären Erregung: die Manifeste der Taiping sind ein lebendiges Zeugnis dafür.

 66 Mit dem Namen Genius der Erde wurde Heu tu, einer der sechs Minister des Kaisers Huang-ti, deifiziert (vgl. Note 215 p. LII des von Michels übersetzten und annotiert herausgegebenen Schih Luh Kuoh Kiang Yuh Tschi: Histoire géographique des XVI royaumes, Paris 1891). Darnach kann damals schon ein chthonischer Kult kaum bestanden haben, da dann ein solcher Titel blasphemisch gewesen wäre.

 67 Denn darin, in dieser Verschmelzung, lag offenbar die Quelle des Universismus der Tao-Konzeption, die dann (in ganz wesentlich geistvollerer Art als in Babylonien die aus der Leberschau entnommenen Begriffe oder gar als die altägyptischen metaphysischen Konzeptionen) zu einem kosmischen System der Entsprechungen ausgebaut wurde (alles Nähere über die philosophische Deutung – soweit sie nicht für uns in Abschnitt VII noch in Betracht kommt – muß man in de Groots schönem, zitierten, Buch über Universismus nachlesen (welches, rein systematisch angelegt, die Frage der Herkunft nicht erörtert). Es ist aber klar, daß die chronomantische Deutung des Kalendermachens und des Kalenders selbst ebenso wie die absolute Stereotypierung des Rituals und, mit beidem zusammenhängend, die rationale, von der später zu besprechenden Mystik ausgehende Tao-Philosophie erst sekundär waren. Der älteste Kalender (hia siao tsching, kleiner Regulator) scheint am wenigsten mit solchen Theologumena belastet zu sein, deren Entwicklung offenbar erst nach der Kalenderreform Schi Hoang Ti's einsetzte. Das später von der Regierung unter strengster Verfolgung jeder eigenmächtigen Kalendermacherei Privater hergestellte chronomantische Grundbuch: Schi hien schu, als Volksbuch massenhaft nachgedruckt, gibt den Tagemeistern (Berufschronomanten den Stoff. Die sehr alte Kalenderbehörde der La schi (hohen Schriftsteller) war geschichtlich die Quelle sowohl der Astronomen- (Kalender-) wie der Astrologen- (portenta-) behörden, wie der rein exemplarisch und paradigmatisch gedachten Hofannalistik, die ursprünglich mit der Kalendermacherei in Personalunion war. S. u.

 68 Zum Nachstehenden vgl. namentlich de Groot, Rel. of the Ch., insbesondere p. 331., 55 f.

 69 Mit dieser Motivierung wurde gelegentlich gegen allzu mächtig gewordene Mätressen (Konkubinen) von Kaisern Front gemacht: Weiberherrschaft bedeute Übergewicht des yin über das yang.

 70 Im Staatskult spielten allerdings (s. die höchst anschauliche und peinlich genaue Darstellung in de Groots Universismus) neben dem Kult 1. des Himmels, der jedoch (nach de Groot) beim großen Opferakt als primus inter pares unter den Ahnengeistern des Kaisers erschien, – 2. der Erde (Kaiserin Erde), – 3. der kaiserlichen Ahnen, auch die Kulte – 4. des Sche Tsi: Schutzgeistes des Bodens und der Feldfrüchte, – 5. der Sonne und des Mondes, – 6. des Sien Nung, Archegeten der Ackerbaukunst, – 7. des (weiblichen) Archegeten der Seidenzucht (Opfernde: die Kaiserin), – 8. der großen, seit 1722 aber: aller Kaiser der früheren Dynastien (außer: den gewaltsam Gestorbeneu oder durch erfolgreiche Rebellion – Zeichen mangelnden Charismas – Gestürzten), – 9. Konfuzius und einige Koryphäen seiner Schule, – diese alle (grundsätzlich) durch den Kaiser persönlich. Dazu traten 10. die Regen- und Windgötter (Tien Schen) und die Götter der Berge, Meere, Flüsse (Ti Ke), – 11. der Jupiter als Kalendergott (Geist des großen – Jupiter- – Jahres), – 12. der Archeget der Heilkunde zusammen mit dem Frühlingsgott (vielleicht ein Symptom einstiger chthonischer Orgiastik als Quelle der magischen Therapeutik), – 13. der Kriegsgott (der kanonisierte General Kuan ti, 2./3. Jahrhundert n. Chr.), – 14. der Gott der klassischen Studien (Schirmgott gegen Ketzerei), – 13. der (1631 kanonisierte) Nordpolgeist, – 16. der Feuergott Huo Schen, – 17. die Kanonengötter, – 18. die Festungsgötter, – 19. der heilige Berg des Ostens, – 20. die Drachen- und Wassergötter oder die Bau-, Ziegelei- und Getreidespeichergötter – 21. die kanonisierten Provinzialbeamten. Diese waren alle (normalerweise) durch die zuständigen Beamten zu bedienen. Man sieht, es war schließlich fast die gesamte äußere Staatsorganisation mit ihren Geistern kanonisiert. Aber die höchsten Opfer wurden offensichtlich unpersönlichen Geistern dargebracht.

 71 Die Peking Gazette wimmelt von Anträgen der Beamten auf solche Kanonisierungen, welche auch darin mit den entsprechenden katholischen Prozeduren übereinstimmen, daß das Avancement schrittweise und je nach dem Nachweis weiterer Wunder erfolgte. So wird 1873 auf Bericht des zuständigen Gouverneurs über das Verhalten eines presiding spirit of the Yellow River bei Überschwemmungsgefahr zunächst dessen Zulassung zum Kult genehmigt, der Antrag auf Verleihung des Ehrentitels aber in suspenso gelassen bis zum Bericht, ob er sich weitere Verdienste erworben habe. Nachdem 1874 (Peking Gazette vom 17.12.) berichtet worden war, daß die Heranschaffung seines Bildes das Weiterschwellen der drohenden Flut zum Stehen gebracht habe, erhielt er den entsprechenden Titel. Am 13.7.74 (Peking Gazette d. D.) wurde die Anerkennung der Wunderkraft eines Tempels des Drachengotts in Honan beantragt. Am 23.5.78 wurde ein neuer Titel des Drachen-Geistes genehmigt (Peking Gazette d. D.). Ebenso beantragten z.B. 1883 (Peking Gazette vom 26.4.) die zuständigen Beamten, einem bereits kanonisierten verstorbenen früheren Mandarinen des Flußgebiets eine Rangerhöhung zu bewilligen, da sein Geist gesehen worden sei, wie er über den Wassern schwebte und bei höchster Gefahr mit bei der Beschwichtigung der Wasser tätig war. Ähnliche Anträge von in Europa sehr bekannten Beamten (Li Hung Tschang – Peking Gazette 2. 12. 1878 – u.a.) finden sich sehr häufig. Am 31. XI. 1883 protestierte ein Zensor, als advocatus diaboli, gegen die Kanonisation eines Mandarinen, da dessen Verwaltung keineswegs hervorragend gewesen sei (Peking Gazette d. D.).

 72 Eine strenge Scheidung zwischen dem, was Zauber war und was nicht, ist für die präanimistische und animistische Vorstellungswelt gar nicht möglich. Auch das Pflügen und jede alltägliche, auf einen Erfolg gerichtete Handlung war ein Zauber im Sinn der Inanspruchnahme spezifischer Kräfte und – später – Geister. Man kann hier nur soziologisch scheiden: der Besitz außeralltäglicher Qualitäten schied den Zustand der Ekstase vom Alltagszustand und den Berufsmagier vom Alltagsmenschen. Außeralltäglich wandelte sich dann, rationalistisch, in übernatürlich ab. Der Kunsthandwerker, der die Paramente des Jahwetempels herstellte, war von der ruach Jahwes besessen, wie der Medizinmann von der Kraft, die ihn zu seinen Leistungen befähigte.

 73 Aber nicht aus ihr allein erklärlich. Denn sonst hätte auch in Mesopotamien die gleiche Entwicklung eintreten müssen. Man muß sich damit abfinden: daß diese – wie schon G. Jellinek gelegentlich bemerkt hat – zentral wichtige Entwicklung der Beziehungen zwischen imperium und sacerdotium eben oft auf zufälligen, für uns verschollenen, historischen Schicksalen beruht.

 74 Das Ausbleiben von Regen (oder Schnee) führt daher zu den erregtesten Erörterungen und Vorschlägen im Kreise des Hofs und der Ritualbeamten und die Peking Gazette wimmelt in solchen Fällen von Anträgen auf die Ergreifung magischer Abhilfemittel aller Art. So z.B. die gefahrdrohende Dürre des Jahres 1878 (s. besonders: Peking Gazette vom 11. und 24.6.78). Nachdem der Yamen (Kommittee) der Staatsastronomen unter Bezugnahme auf klassische astrologische Autoritäten auf die Färbung der Sonne und des Mondes hingewiesen hatte, wies der Bericht eines Mitglieds der Hanlin-Akademie auf die dadurch entstandene Beunruhigung hin und verlangte, daß dieses Gutachten zwar zur öffentlichen Kenntnis gebracht, der noch jugendliche Kaiser aber vor Eunuchengeschwätz über üble Vorbedeutungen bewahrt und der Palast bewacht werden solle; im übrigen mögen die Kaiserinnen-Regentinnen ihre sittlichen Pflichten erfüllen, dann werde der Regen nicht ausbleiben. Dieser Bericht wurde mit beruhigenden Erklärungen über die Art der Lebensführung der hohen Damen und mit dem Hinweis auf den inzwischen schon eingetretenen Regen publiziert. Ein Engel-Mädchen (1469 verstorbene Anachoretin) war vorher im gleichen Jahre wegen häufiger Hilfe in Hungersnot zur Kanonisierung vorgeschlagen (Peking Gazette 14.1.78) und mehrere ähnliche Promotionen vorgenommen worden.

 75 Dieser fundamentale Satz der konfuzianischen Orthodoxie wird in zahlreichen kaiserlichen Edikten und Gutachten oder Anträgen der Hanlinakademie stets erneut betont. So heißt es in dem in der vorigen Note erwähnten und später noch mehrfach heranzuziehenden Gutachten des Hanlin- Professors: It is the practice of virtue alone that can influence the power of Heaven .... (vgl. auch die folgenden Anmerkungen).

 76 Tschepe a.a.O. p. 53.

 77 Im Jahre 1899 (Peking Gazette vom 6. 10.) findet sich ein Dekret des (durch den Staatsstreich der Kaiserinwitwe unter deren Kuratel gestellten) Kaisers, in welchem er seine Sünden als wahrscheinlichen Grund der eingetretenen Dürre beklagt und nur hinzufügt, daß auch die Prinzen und Minister durch unkorrekten Lebenswandel ihren Teil der Schuld daran auf sich geladen haben. – In gleicher Lage versprachen 1877 die beiden Kaiserinnen-Regentinnen, der Ermahnung eines Zensors: sie sollten in ihrer reverential attitude verharren, zu entsprechen da dies ihr Verhalten bereits zur Verscheuchung der Dürre beigetragen habe.

 78 S. vorige Anm. a. E. – Als im Jahre 1894 ein Zensor die Einmischung der Kaiserinwitwe in die Staatsangelegenheiten als ungehörig kritisiert hatte (s. den Bericht in der Peking Gazette vom 28.12.1894), wurde er allerdings abgesetzt und zur Robott an den Poststraßen der Mongolei verbannt, aber nicht weil diese Kritik an sich unzulässig, sondern weil sie nur auf Hörensagen, nicht auf Beweise gestützt gewesen sei. Besser hatte sich 1882 ein Mitglied der Akademie auf die Intentionen dieser energischen Frau verstanden, welcher (Peking Gazette vom 19.8.82) das Verlangen aussprach: die Kaiserin-Mutter möge sich wieder mehr um die Regierungsgeschäfte kümmern, da der Kaiser noch jung und zart, Arbeit für Mitglieder der Dynastie das beste sei und die Umgebung der Kaiserin sonst ihre Führung zu kritisieren beginnen werde.

 79 Dieser Theorie von der Verantwortlichkeit des Monarchen standen übrigens andere gegenüber, welche die Rache gegen den Kaiser als unzulässig erklärten (6. Jahrh. v. Chr.) und demjenigen schwere (magische) Übel in Aussicht stellten, der ein gekröntes Haupt anrühre. (E. H. Parker, Ancient China simplified, London 1908, p. 308.) Die Theorie ebenso wie die ganze, vorwiegend pontifikale Stellung des Kaisers überhaupt, war eben nichts immer Feststehendes gewesen. Ein nur von einem Heer ausgerufener Kaiser fand sich allerdings, als legitimer Monarch, scheinbar nur einmal. Aber die Akklamation der hundert Familien, d.h. der großen Lehensträger, war ursprünglich zweifellos, neben der Designation, für jede Thronfolge legale Bedingung.

 80 Diese gesamte charismatische Auffassung vom Fürsten drang überall hin, wo die chinesische Kultur einmal Fuß gefaßt hatte. Nachdem der Nan-Tschao-Fürst die chinesische Herrschaft abgeworfen hat, heißt es von ihm in einer von Chavannes (Journ. As. 9 Ser. 16, 1900, p. 435) publizierten Inschrift: der König habe eine Kraft, welche das Gleichgewicht und die Harmonie in sich trägt (dem Tschong yong entlehnt), er habe die Fähigkeit, zu bedecken und zu ernähren (wie der Himmel). Als Zeichen seiner Tugend werden verdienstliche Werke (Bündnis mit Tibet) erwähnt. Ebenso wie der chinesische Musterkaiser hat er die alten Familien herausgesucht und sich mit ihnen umgeben (p. 443), womit das Schu-king zu vergleichen ist.

 81 S. die verletzte Anmerkung. Weiter unten wird zu erwähnen sein, daß die Mandarinen als Träger magischer Kräfte galten.