Schwarzer Kokon

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Das Verhängnis

Charleston, South Carolina, 1732

Wieder einmal wach, lag Clexton in seinem Bett und vernahm das ruhige, tiefe Atmen seiner schlafenden Frau Veronika. Er lauschte auf Jos, konnte aber aus der kleinen Wiege, die direkt vor dem Ehebett stand, nichts hören. Es muss Mitternacht sein, dachte Clexton, unterdessen er nach einem Schluck Gin gierte.

Wie so oft, wenn er nachts wach lag, grübelte er über Veronika nach. Zu Beginn ihrer Ehe hatte er ein großes Verlangen nach ihrem Körper und es verging kaum ein Tag, an dem er sie nicht nahm. Veronika, im Bett eine heißblütige junge Frau, umschlang mit ihren langen Beinen seinen Rücken, wenn er unter lautem Stöhnen in ihrem Schoß kam.

Bereits ein Jahr nach ihrer Hochzeit war Veronika schwanger und gebar 1731 ihren gemeinsamen Sohn. Obwohl sich Veronika nach der Geburt sehr schnell erholte, sie auch in kurzer Zeit ihre schlanke Figur wiedererlangte, verlor Clexton jegliche Lust an ihr. Unerklärlich, aber das Bild der stillenden Mutter, mit Jos saugend an ihrer reichlich mit Milch gefüllten Brust, war für ihn abstoßend. Veronikas Versuche, ihn zu verführen, scheiterten; Clexton reagierte stets genervt und abweisend, bis auch die Bemühungen seiner Frau nachließen. Es war, als hätte Clexton keinerlei Verlangen nach Befriedigung – er schien sprichwörtlich lustlos.

Doch vor sechs Wochen wurde eine junge Sklavin zu ihnen gebracht. Eine Haushälterin war ausgefallen, woraufhin Veronika Tumelo darum bat, diese zu ersetzen. Veronika saß gerade neben Clexton beim Tee, als Tumelo mit Zola zur Treppe der Veranda kam.

»Kommt doch bitte hoch«, ermutigte Veronika die beiden.

»Ich habe dich schon gesehen. Wie lange bist du schon bei uns?«

»Seit vier Jahren, Ma’am, mit meiner Mutter«, antwortete Zola schüchtern, ohne es zu wagen, Madam oder gar Mr. Baine anzusehen.

»Du wohnst mit deiner Mutter in den Hütten?«

Zola nickte.

»Sei nicht so schüchtern, Zola«, lächelte Veronika beruhigend. »Tumelo hat sich für dich eingesetzt, daher werden wir es versuchen. Lass dich von ihm einweisen.« Und an Tumelo gewandt: »Gib ihr bitte das Eckzimmer wie auch frische Kleidung.«

Zola platzte innerlich vor Freude.

Bereits im zarten Alter von dreizehn Jahren war sie mit ihrer Mutter aus der Goldküste, dem späteren Ghana, mit einem voll beladenen Schiff der Sklavenhändler angekommen. Sie und ihre Mutter hatten großes Glück, da sie beim Verkauf nicht getrennt wurden und so auf der Plantage von Clexton Baine landeten.

Wie alle auf der Plantage erfüllte sie Mr. Baine mit großer Angst. Obwohl sie ihn nie direkt kennengelernt hatte, eilte ihm sein Ruf, bei kleinster Gelegenheit seine Sklaven mit Peitschenhieben zu bestrafen oder ohne Essen und Trinken tagelang einzusperren, voraus. Hierfür war seitlich der Behausungen, hinter Gebüsch und Bäumen versteckt, ein Käfig erbaut worden, der schon bei ihrer Ankunft existierte. Der ›Schlund‹, wie die Sklaven den Gitterverschlag voller Furcht nannten, war stets von zwei stämmigen Afrikanern bewacht, die zwar Mitleid mit den Eingesperrten zeigten, jedoch als Leibeigene bedingungslos den Anweisungen ihres Herrn folgen mussten.

Zola kannte die Geschichten, dass die Inhaftierten im ›Schlund‹ einfach verdursteten, während sie, großer Hitze ausgesetzt, darüber hinaus Baines Befehl folgend, weder Nahrung noch Wasser erhielten. Sie wurden im nahe gelegenen Wald verscharrt und Clexton Baine verbot jedwede Zeremonie nach afrikanischem Glauben, wie die Initiationsriten, die normalerweise für den Weg des Menschen in das Reich der Ahnen zelebriert wurden. Viele Afrikaner glaubten an Geister, Magie und Zauberkräfte, doch nur wenige getrauten sich des Nachts, die Toten heimlich zu ehren.

Bereits am ersten Tag ihrer Ankunft musste Zola mit auf die Felder, was dazu beitrug, dass sich an den Handflächen rasch eine feste Hornhaut bildete. Im flirrenden Licht der heißen Sonnenstrahlen pflückend, lernte sie Tumelo kennen und freundete sich mit ihm an. Seine freundliche, zuvorkommende Natur sowie sein Wissen über viele Dinge dieses Landes erstaunten Zola. Bis zu dem Tage, da Tumelo ins Herrenhaus kam, brachte er nachts, heimlich leise flüsternd, Zola die englische Sprache bei. Beide mochten sich, lächelten sich an, aber es ging nie über eine platonische Liebe hinaus.

Nun aber hatte Zola die Chance, nach vier Jahren harter Feldarbeit gemeinsam mit ihrem Freund im Herrenhaus, ausgestattet mit schöner Kleidung sowie guter Verpflegung, zu dienen.

Clexton betrachtete Zola, wie sie so vor ihm auf der Veranda stand. Sie mochte sechzehn, vielleicht siebzehn sein, dachte Clexton und das erste Mal in seinem Leben empfand er keinen Ekel einer Sklavin gegenüber. Ganz im Gegenteil. Seit langer Zeit fühlte er sexuelle Erregung, als er den kindlichen Körper von Zola betrachtete.

»Ich denke, du hast eine gute Wahl getroffen«, wandte er sich an seine Frau, währenddessen er sein erigiertes Glied in der Hose spürte.

Noch immer lag Clexton lauschend im Bett. Er dachte an seinen Gin in der Bibliothek – und an … Wieder versteifte sich sein Glied bei dem Gedanken an Zola.

Leise streifte er sich seinen Morgenmantel über, warf noch einen kurzen Blick auf Jos, der friedlich in der Wiege schlief, dann verließ er ohne Laut das Schlafzimmer.

In der Bibliothek angekommen, füllte er ein Glas aus Saphir randvoll mit Gin und leerte dieses in einem Zug. Ein weiteres folgte, bis er nach kurzer Zeit die halbe Flasche in seinem Sessel sitzend geleert hatte. Er legte die Bibel, in der er so gerne las, zur Seite, stand auf und tastete sich im Dunkeln durch das Foyer, an der Großküche vorbei in den hinteren, abgeschirmten Trakt des Gebäudes, dorthin, wo die Zimmer der Bediensteten lagen. Vom Alkohol benommen, lauschte er vor Zolas Zimmertüre. Nichts war zu hören. Vorsichtig drehte er den Knauf und ohne das leiseste Geräusch betrat er Zolas Kammer. Ganz vorsichtig verschloss er die Türe und trat mit angehaltenem Atem an Zolas Bett.

Seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt, als er sie betrachtete. Die dünne Decke war bis zu ihrer Hüfte heruntergerutscht, er erkannte, dass sie ihr weißes Hemdchen trug. Ihre Schultern waren, durch die oberen geöffneten Knöpfe, unbedeckt. Ein Schenkel lugte unter der Bettdecke hervor. Wie schön sie ist, dachte Clexton, außer sich vor Erregung. Vorsichtig streichelte er die samtweiche Haut ihrer Schenkel und fasste sie sanft an den Schultern.

Zola räkelte sich zaghaft, öffnete verschlafen die Augen. Urplötzlich wurde sie sich der Berührung bewusst und starrte bewegungslos wie das Kaninchen vor der Schlange auf den Mann, der sich über sie beugte. Schreckliche Angst erfüllte Zola, nachdem sie erkannte, wer ihr die Schulter streichelte. Clextons rechte Hand schob sich unter Zolas Hemdchen und umfasste ihre linke Brust. Trotz der Panik, die Zola erfasste, wurde ihr Nippel sofort steif, was Clexton als sexuelle Erregung des Mädchens deutete, das scheinbar willig vor ihm lag und ihn anstarrte.

»Nein, nicht«, entfuhr es Zola, während sie versuchte die Hand von Mr. Baine unter ihrer Bluse hervorzuziehen. Ihre Finger umschlossen seinen Unterarm und mit aller Kraft drückte sie ihn weg. Doch Clexton zeigte keine Anstalten, von ihrer Brust zu lassen. Ganz im Gegenteil kniff er schmerzhaft zwischen Daumen und Zeigefinger ihre Brustwarze, unterdessen er, mit seinem linken Knie auf das Bett gestützt, Zola niederdrückte. Sie sog tief Luft in ihre Lungen, um zu schreien, doch Clexton reagierte, indem seine linke Hand fest ihren Mund und ihre Nase umschloss, sodass sie keine Luft mehr bekam. Clextons Erregung vereinigte sich mit der rohen Gewalt des Dämons.

Clexton war nun ganz auf dem Bett, indes unter seinem Druck Zola ihren drahtigen Körper wie eine Katze spannte. Ihre Widerspenstigkeit spornte Clexton derart an, dass er sie, mit seiner rechten Hand in ihre Schultern krallend, niederdrückte. Wie ein Aal wand sich Zola in ihrer Todesangst, sie aktivierte all ihre Kraft, um sich den Fingernägeln, die sich in ihr Fleisch bohrten, zu entziehen.

Clexton hob seine Linke – und aus einem Schrei Zolas wurde, infolge des Schlags seiner flachen Hand, schwaches Gestöhn. Weder der heftige Schmerz des Schlages noch seiner Fingernägel brachten Zola zur Ruhe. Sie bewegte wild den ganzen Körper, wodurch sie ihren rechten Arm freibekam. Schon wollte sie ihrem Peiniger ins Gesicht kratzen, doch dieser fasste nach ihrem Handgelenk und verdrehte dieses. Vor Wut riss er an ihren Haaren, zog sie mehrfach hoch, bis er sie wieder zurück aufs Bett schleuderte.

Clexton packte Zolas Schenkel, spreizte sie brutal auseinander. Zola presste dagegen und seine Fingernägel ritzten weitere tiefe Wunden in ihre Haut. Wieder und wieder holte er aus, schlug auf sie ein, um sie so gefügig zu machen. Doch sie streckte beide frei gewordenen Arme und trommelte auf ihren Peiniger ein. Letztmalig, dieses Mal die Hand zur Faust geballt, traf Clexton ihr linkes Auge – kurz und mit voller Wucht.

Zola rührte sich nicht mehr.

»Dumme Niggerschlampe«, waren seine ersten Worte, seit er ins Zimmer geschlichen war.

Er riss ihr das Höschen herunter und stierte auf ihre Vagina, die von leicht gekräuselten Härchen umrahmt wurde. Seine Hand griff an den Bund seines Pyjamas, zog daran, bis sein erigiertes Glied aus der Hose zuckte. Unter roher Gewalt versuchte er seinen Penis in Zolas Vagina zu pressen. Sie war eng, ihre Schamlippen geschlossen. Wie ein Tier rammte Clexton in ihren Schoß, bis er endgültig in sie eindrang. Erneut war ein Widerstand zu spüren. Es wurde feucht und ihr Herr genoss das warme Blut der Entjungferung. Brutal drehte er sie auf den Bauch, um sich sogleich weiter an ihr zu vergehen.

 

Bewusstlos nahm Zola nichts von alledem wahr.

Wieder auf den Rücken gedreht, stieß Clexton sie rasend vor Begierde. Nach kurzer Zeit spürte er unbändigen Samendruck – er ergoss sich keuchend in ihre Scham. Schwer atmend sackte Clexton auf den geschundenen Körper, sein Gesicht an ihrer linken Wange.

Dann kniete Clexton breitbeinig über Zola – wie ein Raubtier über seiner erlegten Beute. Noch immer außer Atem zog er seine Hose hoch, erhob sich wie ein Werwolf und blickte auf den geschundenen Körper. Nackt, das Hemdchen um den schlanken Bauch gerafft, lag sie auf dem Rücken, während zwischen ihren Beinen Blut ins Laken sickerte.

Ein schneller, intensiver Orgasmus hatte seine Gier befriedigt und selbst der hilflose Anblick Zolas, der sich ihm nun bot, verhinderte nicht, dass seine Feindseligkeit, die er für die Schwarzen empfand, erneut aufkeimte.

Sein Verlangen nach sexueller Erfüllung, welches seinen Ekel in den Hintergrund rücken ließ, war gewaltsam gestillt. Er ging aus dem Zimmer zurück in die Bibliothek. Hier wartete schon ungeduldig die restliche Flasche Gin.

Zola wusste nicht, wie lange sie bewusstlos war. Einsame Dunkelheit umgab sie. Ihr gesamter Körper schmerzte, besonders heftig und stechend im Unterleib. Ängstlich blickte sie sich im Zimmer um, außerstande, einen klaren Gedanken zu fassen. Unter Schock wollte sie nur noch aus diesem gottverdammten Haus. Aus Angst, ihr Zimmer durch die Türe zu verlassen und erneut Mr. Baine in die Arme zu laufen, kroch sie auf allen vieren ans Fenster. Mühsam zog sie sich am Fensterbrett hoch im Versuch, zitternd die beiden Flügel zu öffnen. Mit aller Kraft stemmte sie ihren Körper durch den geöffneten Fensterrahmen, fiel vornüber und stürzte hart hinter dem Haus in einen kleinen Dornenbusch.

Qualvoll, mit brennend aufgeschlagenen Knien, rappelte sich Zola auf, um sich mit wackeligen Beinen, barfuß, leise wimmernd, zu den Sklavenunterkünften zu schleppen.

Die Suche geht weiter

Tumelo eilte hastig in Richtung Stallungen. Von Weitem sah er Sam am Eingang der großen Scheune, wie er mit nacktem Oberkörper, braun gebrannt, Heuballen schichtete.

»Mr. Haskins, Mr. Haskins«, rief Tumelo, als er glaubte, in Hörweite zu sein.

Haskins drehte sich zu Tumelo und ließ den soeben angehobenen Ballen wieder fallen. »Hey, Tumelo, schöner Tag heute.«

»Mr. Haskins, Mrs. Baine mich schicken. Zola heute Morgen nicht in ihrem Zimmer. Ich suchen sie überall. Haben Zola gesehen?«

»Jetzt mal langsam, Tumelo«, sagte Sam, unterdessen er beruhigend seine Hand auf dessen Schulter legte. »Was meinst du mit ›nicht in ihrem Zimmer‹? Vielleicht ist sie ja bereits in der Küche und wartet dort auf dich!«

»Nein, Mr. Haskins, überall gesucht. Mr. Baine böse, will zu Hütte von Aba gehen und Zola selbst suchen.«

Sam runzelte die Stirn. Wenn Mr. Baine selbst nach Zola sucht und sie tatsächlich in der Hütte finden sollte, wäre dies nicht ungefährlich für sie. »Warum könnte Zola denn in die Hütte gelaufen sein?«, fragte Sam.

Tumelo überlegte kurz und vertraute sich ihm an. »Haben Blut im Bett von Zola gesehen, aber ich habe nichts verraten. Nicht gut, Mr. Haskins.« Tumelo blickte sehr besorgt.

»Okay. Tumelo, wann will Mr. Baine nach Zola suchen? Ist er bereits nach unten gegangen?«

»Mr. Baine im Haus und ich gleich zu Ihnen gerannt.«

»Komm mit, vielleicht haben wir Glück und können das Schlimmste noch verhindern.«

Beide eilten in Richtung der Sklavenhütten, während Sam laufend Ausschau nach Mr. Baine hielt, der, wenn er ebenfalls unterwegs war, ihren Weg kreuzen würde.

Unbemerkt kamen sie im leeren Lager der Sklaven an. Vor der schäbigen Hütte Abas blickte Tumelo vorsichtig gebückt durch das Eingangsloch.

Ratlose Veronika

Als Clexton Baine seine Frau wie auch Tumelo auf der Veranda stehen ließ und in der Bibliothek verschwand, bereute er bereits, dass er Zola in der Nacht so hatte liegen lassen. Nicht, dass er ihr hätte helfen wollen. Nein, sie war eine Gefahr für ihn geworden! Er war sicher, dass sie sich ihm trotz ihrer Angst nicht unterwerfen würde. Auf keinen Fall darf sie Gelegenheit bekommen, jemandem davon zu erzählen, dachte Clexton und in seinen Ohren erklang der Satz von Zola, als er sie das erste Mal auf der Veranda stehen sah: ›Vor vier Jahren mit meiner Mutter … mit meiner Mutter … ‹ Es war naheliegend, dass sie dorthin geflüchtet war. Er musste Zola und ihre Mutter finden, bevor all seine Sklaven das Geschehene erfuhren, und vermeiden, dass trotz Züchtigung Aufsässiger hieraus eine Revolte entstand.

»Was ist denn los mit dir?«, fragte Veronika ihren Mann, dem sie, nachdem Tumelo gegangen war, mit Jos auf dem Arm ins Haus gefolgt war.

»Was soll schon sein? Da hast du dich ja reichlich geirrt in deiner Zofe, oder siehst du das anders?« Giftig blickte er Veronika an.

»Aber Clexton, du weißt doch gar nicht, was los ist. Sicher wird uns Zola erklären können, warum sie heute nicht da war!«

»Wie naiv bist du eigentlich?«, harschte Clexton sie an. »Wer ist hier der Herr im Haus, du oder ich – oder gar Zola?« Zynisch spuckte er Zolas Namen Veronika entgegen.

»Natürlich du«, beschwichtigte Veronika im Versuch, zu retten, was zu retten war. »Aber Zola ist so gewissenhaft, sie wird uns bestimmt alles erklären!«

Für Erklärungen ist keine Zeit, dachte Clexton, schob Veronika zur Seite und verließ die Bibliothek.

»Clexton, in Gottes Namen, bleib doch hier!«

Veronika lief ihm, mit einem verwundert dreinblickenden Jos, hinterher, doch Clexton durchquerte entschlossen das Foyer und rief nach Tumelo. Niemand kam. Er ging nach draußen und schrie erneut Tumelos Namen, dieses Mal laut und wütend. Die einzige Reaktion hierauf war, dass Jos zu weinen begann. Clextons Wut steigerte sich.

»Was treibt dieser Nigger nur?«, stieß er hervor und seine Lippen formten sich zu dünnen Strichen.

Noch immer konnte sich Veronika keinen Reim auf die übertriebene Reaktion ihres Mannes machen. Was war los mit ihm? Wutausbrüche war sie gewohnt, doch diese gingen so schnell, wie sie gekommen waren. Normalerweise beruhigte Clexton sich in kurzer Zeit wieder, wenn er durch lautes Gebrüll seinem Zorn freien Lauf ließ. Heute allerdings war alles anders. Seine Wut steigerte sich regelrecht, so weit, bis Veronika Angst bekam; Angst um Zola wie auch – zum ersten Mal in ihrem Leben – Angst vor Clexton.

Sie beschloss, selbst die Stallungen aufzusuchen in der Hoffnung, dort Sam und Tumelo anzutreffen. Sicherlich war ihr Mann auch auf dem Weg dorthin. Hoffentlich, dachte sie. Nicht, dass er bereits wie ein Berserker zu Zolas Hütte unterwegs war.

Clexton verließ gerade die Stallungen, um in der Schmiede, welche seitlich davon lag, nach Tumelo zu suchen. Er würde sie alle auspeitschen lassen.

»Wer ist hier der Herr, wer ist hier der Herr, ›seit vier Jahren mit meiner Mutter‹, wer ist hier der Herr …« Immer wieder murmelte Clexton wie ein Geisteskranker diese Worte vor sich hin.

An der Schmiede angekommen, standen beide Türen sperrangelweit offen. Innen traf er auf zwei Vorarbeiter, die Werkzeug und Körbe reinigten. Einer der beiden Farbigen war ihm mit Namen bekannt.

»Okwundu, hast du Tumelo gesehen?«

Stumm schüttelte dieser den Kopf und blickte fragend zu seinem Helfer. Dieser verstand zwar nicht die Frage von Mr. Baine, aber Tumelos Namen und konnte sich denken, worum es ging. Abermals eine verneinende Geste.

»Kommt mit«, befahl Clexton, schritt hinaus, zurück zu den Stallungen.

Gefolgt von den beiden Sklaven traf er zu seiner Verwunderung Veronika, die gerade aus dem riesigen Tor des Stalls heraustrat. Über dem Tor war eine große Öffnung mit einem am oberen Ende dick herausragenden Holzträger angebracht. Man benötigte diese Konstruktion für das Hochhieven der Strohballen in den oberen Lagerbereich. Eine dicke Eisenkette baumelte gefährlich direkt über Veronikas Kopf.

»Folgst du mir?« Clexton biss die Zähne zusammen.

»Nein, Clexton, aber so komm doch zur Besinnung«, beschwor ihn Veronika. »Ich habe Tumelo gebeten, nach Zola zu suchen, er wird sie sicherlich finden … Clexton, ganz bestimmt!«

»Um sie zu verstecken, damit sie ihrer Strafe entgeht«, vollendete Clexton Veronikas Satz. »Zum letzten Mal, Veronika, halt dich raus!«

»Was ist nur los mit dir? Du schäumst ja vor Wut!«, ereiferte sich Veronika.

Im selben Moment, als sie ihm die Worte an den Kopf warf, bereute sie sie bereits. Sie würde dadurch das Gegenteil bewirken und den Zorn ihres Mannes steigern. Auf der Hut vor der Reaktion Clextons, presste sie ihre Lippen fest aufeinander. Doch jegliche Antwort blieb aus. Als ob sie wieder einmal Luft für ihn wäre, beachtete Clexton sie nicht weiter und gab den beiden Negern ein Zeichen, ihm zu folgen.

Er geht den Weg in Richtung der Plantagenfelder zu Zola und deren Mutter, dachte Veronika. Sie wusste nicht mehr ein noch aus. Ihr Mann agierte, wie sie es noch nie erlebt hatte, und alle, an die sie sich hätte wenden können, waren indes verschwunden.

Die Flucht beginnt

Der Sonnenaufgang wurde von vielen Sperlingen begrüßt, die überschwänglich für Aba zwitscherten. Doch Aba hörte weder den Gesang der Vögel noch das morgendliche Treiben des Sklavendorfs. Wie in einem nebligen Schleier war sie auf Zola konzentriert, die ohne Regung vor ihr lag.

»Zola, Zola.«

Aba benetzte die Lippen ihrer Tochter mit Wasser und rüttelte sanft an ihren Schultern. Das linke Auge Zolas war zugeschwollen und hatte sich blau, violett und grün verfärbt. Jeden Moment, dessen war sich Aba bewusst, würde der Vorarbeiter erscheinen, um sie aufs Feld zu schicken.

Just in diesem Augenblick blickte dieser in die Hütte. »Aba, kwenda nje katika uwanja«, was so viel hieß wie: »Komm jetzt, raus aufs Feld.«

Aba sah ihn an, dann deutete sie auf Zola, leblos auf der Schlafdecke liegend.

»Ni nini kilichotokea (Was ist passiert)?«

»Zola ni kujeruhiwa vibaya. I hawajui. Mimi kukaa pamoja naye (Zola ist schwer verletzt, ich muss bei ihr bleiben).«

Eindringlich sah sie ihren Landsmann an, doch der Vorarbeiter konnte keine Rücksicht nehmen. Schon trat er auf sie zu, um sie aus der Hütte zu zerren. Seine Finger umschlossen ihr Handgelenk. Dies war der Augenblick, da eine furchtbare Energie seinen ganzen Körper erfasste. Als hätte er nach einer Stromquelle mit mehreren tausend Volt gegriffen, war er nicht in der Lage, seine Hand von Abas Handgelenk zu lösen.

Wie am Rande eines Wirbelsturms verloren seine nackten Füße den Kontakt zum Boden und eisiger Wind riss ihn in die Höhe. Unkontrolliert zuckte sein Körper in der Luft – verschweißt an Abas Handgelenk, um nicht davonzufliegen. Seine weit aufgerissenen Augen waren auf die von Aba gerichtet und obwohl er schreien wollte, war er außerstande, auch nur einen Ton von sich zu geben.

Abas Augen veränderten sich schlagartig. Die runden Pupillen verformten sich zu zwei Ellipsen, während ihr sonst so sanfter Blick sich in eine gleißend grüne Lichtquelle wandelte. Der kleine Raum mutierte, von sichtbaren Wellen durchzogen, zu einer riesigen, hell erleuchteten Halle. Laut dröhnte es in den Ohren des Farbigen, der nach wie vor herumgewirbelt an Abas Handgelenk gefesselt schien. Durch den schmerzhaft hallenden Laut hindurch sowie vom grünen Lichtstrahl Abas Augen gebannt, drang eine Stimme zu ihm, ohne dass Aba ihre Lippen bewegte. Ihre Gedanken umwoben im Bruchteil von Sekunden die seinen. Wie eine Spinne, die ihren klebrigen Faden um den zappelnden Schmetterling im Netz spinnt, umspannen Abas Gedanken seine weiche Gehirnmasse.

»Uqando gejuna daque, uqando gejuna daque, uqando gejuna daque.«

Wieder und wieder drangen diese geheimnisvollen Worte, die keiner Sprache zuzuordnen waren, dunkel hallend in seinen Verstand; durchspülten jenen, versickerten in jeder noch so kleinen, weichen Gehirnwindung. Kleine Blutstropfen fanden den Weg durch die Tränendrüsen des Farbigen und füllten seine Augen.

So schnell, wie die schmerzende Kraft Besitz von seinem wirbelnden Körper ergriffen hatte, war sie auch wieder verschwunden. Er fiel wie ein Stein auf den staubigen Boden direkt vor Abas Füße.

 

Plötzliche Ruhe.

Kein Hauch war zu spüren.

Benommen, angsterfüllt, blickte er zu Aba.

»Geh jetzt und sage nichts!«, befahl sie.

Am ganzen Körper zitternd, noch immer das Schauspiel nicht begreifend, stand er langsam auf und verneigte sich vor ihr wie vor einer Gottheit. Er, die Urgewalt des Übermächtigen soeben erlebt, flüchtete nach draußen.

Geschwächt sank Aba neben Zola in sich zusammen. Sie ahnte von dieser Kraft, kannte sie aus ihren Träumen, nun wissend, dass sie außerstande war, dies Übernatürliche zu steuern. Ihre Mutter, »die Weise« ihres Stammes im kleinen Dorf in Ghana, hatte Aba, als kleines Mädchen, oft davon erzählt. Es waren liebevolle Erzählungen von engelsgleichen Kräften der Seelen der Ahnen, die gebündelt wie Wellen des Ozeans den Körper der Auserwählten durchspülen. Doch keine der Geschichten hatte ansatzweise das wiedergegeben, was soeben passiert war.

Zolas Zeigefinger zuckte. Stille, absolute Ruhe; wie in der Unendlichkeit des Alls schwebend. Eine kleine, grün schillernde Fliege krabbelte auf Zolas rechtem Handrücken. Wieder bewegte sich Zolas Finger. Sie öffnete ihr zuckendes rechtes Augenlid. Das linke war zu verschwollen, als dass sie es hätte bewegen können.

Zolas Hand suchte zitternd die Abas und drückte sie schwach. Tränen liefen Zolas Wangen herab – noch war sie nicht in der Lage, etwas zu sagen. Wie in einem bösen Traum erschien vor ihr das gespenstische Antlitz von Clexton Baine.

Nun stammelte sie leise flüsternd: »Baine, Baine, Baine.« Immer wieder raunte sie den Namen. Ihre Hände zitterten immer heftiger, je öfter »Baine« über ihre Lippen kam.

Abas Augen wurden feucht. Die Erleichterung, ihr junges Mädchen zwar schwach, aber bei Bewusstsein zu sehen, rückte von einer Sekunde auf die andere in den Hintergrund, als sie Baines Namen hörte. Augenblicklich wusste sie, was Zola geschehen war. Welche Pein und Angst ihre Tochter ausgestanden hatte!

Sie streichelte Zola zärtlich die Wange: »Zola, beruhige dich. Du bist in Sicherheit.«

Unbändiger Zorn stieg in Aba hoch, wissend, dass sie beide in Lebensgefahr schwebten. Mr. Baine würde es nicht zulassen, dass Zola als Opfer und sie als Mitwisserin des Geschehens am Leben blieben.

»Zola, wir müssen fliehen. Mr. Baine wird uns beide umbringen.«

Keine weitere Sekunde durfte sie verstreichen lassen. Zu übermächtig war die Gefahr. Aba schob ihren linken Arm unter Zolas Rücken und zog sie zu sich. Zola nahm mit letzter Kraft, in sich gekauert, auf der Decke Platz.

»Hier, zieh das an.« Sie reichte ihr ein grob gewebtes, braunes Baumwollkleid. Zolas Glieder schmerzten, als sie die Arme anhob, um das Kleid über ihren Kopf zu streifen.

Unterdessen spähte Aba aus dem Eingang ihrer Hütte, um das noch rege Treiben auf dem Gelände zu beobachten. Die Vorarbeiter überwachten den Trubel und drängten die Sklaven zur Eile. Wenn sie Zola ins Freie schleppen würde, wäre das Risiko erheblich, dass einer der Vorarbeiter Aba von Zola trennen würde. Sie mussten warten, bis alle auf den Feldern ihrer Arbeit nachgingen und Ruhe im Camp einkehrte.

Sie nutzte die Zeit, gab Zola einen Schluck Wasser, dann setzte sie sich neben ihre Tochter, die Angst im Nacken, dass jeden Moment Mr. Baine auftauchen würde.

Allmählich verstummten alle Geräusche, die vor ihrer Behausung ins Innere drangen, und Ruhe stellte sich ein. Zweifelsfrei bestand die einzige Chance zu fliehen darin, unbemerkt zum Fluss zu kommen. Wie weiter, würde sie dort entscheiden müssen.

Schritte vor der Strohhütte.

Todesangst stieg in ihnen hoch.

Aba und Zola drückten ihre Rücken an die Holzplanken der Hütte und saßen umarmt, kauernd, mit angezogenen Knien auf Abas schäbiger Schlafdecke, ganz so, als ob sie hierdurch unsichtbar werden würden. Das Loch des Eingangs erschien in diesem Moment wie das weit aufgerissene Maul eines sie sogleich verschlingenden Ungeheuers.

Ein Gesicht, welches von hinten mit Tageslicht beschienen und somit im Schatten lag, erschien und Aba erkannte beide Personen erst, als sie eintraten. Tumelo, gefolgt von Sam Haskins. Niemand sagte ein Wort – die ganze Situation glich einem schweigsamen Gebet in der Kirche. Sam trat zu Zola, hob mit Zeige- und Mittelfinger leicht ihr Kinn und betrachtete das zugeschwollene Auge.

Aba, erleichtert, nicht mehr alleine zu sein, sah Sam an, anschließend Tumelo, und entblößte erst Zolas Schulter, anschließend ihre Beine. »Baine!«, durchbrach sie die Stille.

Sam Haskins war der Erste, der die Situation erfasste. Keine Ahnung, was genau geschehen war. Wurde sie von Mr. Baine bestraft, gezüchtigt? In diesem Moment war dies auch egal. Die Sklavin hatte das Herrenhaus unerlaubt verlassen.

Zola zitterte, hob ihren Rock und deutete ungeniert auf ihre Scham. Ihre Geste war derart schockierend, dass Tumelo Übelkeit beschlich, als er begriff, was Zola zugestoßen war. In ihm entbrannte der Hass des betrogenen Liebhabers, der er nie war, aber gerne gewesen wäre.

»Mr. Haskins, was wir tun? Zola sonst sterben«, entfuhr es Tumelo aufgeregt.

Zola, trotz ihrer Qualen bewundernswert gefasst, brach nun in Tränen aus. Keine Tränen der Angst oder gar Scham, sondern funkensprühender Hass, entfesselte Wut. Tief, ihren glasigen Blick in die Augen von Sam Haskins bohrend, zischte Zola: »Ich werde töten Mr. Baine.«

Sam wusste, dass es nie so weit kommen würde, wenn sie hier in der Hütte blieben. »Packt eure Sachen, wir müssen raus hier, bevor Mr. Baine kommt.«

Da sie nichts hatten, was man packen konnte, halfen sie Zola hoch und von Tumelo gestützt standen sie am Ausgang der Hütte.

Es schien zu spät.

In einer Entfernung von etwa achtzig Metern sah Sam drei Personen vom Herrenhaus her kommen. »Schnell, da sind sie.«

Sam deutete in Richtung des angrenzenden Waldes, in dessen Areal auch der ›Schlund‹ seinen Platz hatte. Das angrenzende Buschwerk würde ihnen erst einmal Deckung geben, denn der direkte Weg zum Ashley River bot ihnen auf ganzer Strecke keinen Sichtschutz.

In der Hoffnung, nicht von den drei näher Rückenden entdeckt zu werden, huschten sie blitzschnell und geduckt hinter Abas Hütte. Von dort aus ging es, die weiteren eng stehenden Hütten als Deckung, circa hundert Meter weiter, bis sie den dicht bewucherten Rand des Areals erreichten. Allen war bewusst, dass sie als Fliehende und Fluchthelfer in Lebensgefahr waren. Nur eine Minute später und sie wären entdeckt worden.

Hinter dem Gebüsch sackte Zola erneut in sich zusammen. Zu mächtig waren die Ereignisse der letzten Stunden und sie fühlte sich elend.

Sam und Tumelo schoben Zweige eines Steppenläuferstrauchs zur Seite und beobachteten, wie Mr. Baine, von zwei Negern eskortiert, sowohl vor als auch in der Hütte suchte, in der sie selbst noch vor wenigen Minuten standen. Mr. Baine blickte um sich. Schon dachte Sam, dass Baines Blick in Richtung der Sträucher verweilte.

Nachdem einer der Farbigen im Inneren der Hütte verschwunden war, um sogleich wieder herauszukommen, machten sich die drei zu Sams Erleichterung auf den Weg zu den Baumwollfeldern.

»Sie werden Aba auf den Feldern suchen«, sagte Sam. »Wir haben nicht viel Zeit. Schnell, wir müssen zum Fluss.«

Der Ashley River stellte die einzige Möglichkeit dar, zu entkommen, jedoch auch das größte Hindernis. Das gesamte Ufergelände war gut bewacht, um diejenigen abzuschrecken, die eine Flucht aus der Leibeigenschaft planten. Die Wachen waren mit Gewehren bewaffnet und Sam wusste, dass sie Mr. Baine hörig waren und seinen Schießbefehl ohne Rücksicht ausführen würden. Sam fasste unter Zolas Beine und Schulter und führte die Gruppe durch das Dickicht. Er stolperte mehrfach, da das Wurzelwerk den Boden uneben machte. Schweiß lief ihm in die Augen.