Persephone

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»Eine KI?«

»Madeleine.« Er nickte. »Sie war zur Zeit des Abflugs die am höchsten entwickelte Künstliche Intelligenz, die je geschaffen worden war. Während der Mission erlangte sie ein vollgültiges Bewusstsein. Das war im wesentlichen meine Aufgabe.«

»Respekt.« Beth schaute ihn anerkennend an.

»Er hat sie hervorgebracht«, rief Ash in dem Bemühen, sich in dem Genie seines Freundes zu sonnen. »Es ist, als wenn er einen Menschen geschaffen hätte!«

»Ja«, sagte Beth leise und mit mildem Spott. »Und es klingt, als sei er verliebt in sie. Madeleine?«

Laertes beschrieb nur eine ausweichende Geste.

»Was ist eigentlich aus ihr geworden?«, erkundigte sich Ash. »Nach allem, was ich mitbekommen habe, wurde unsere MARQUIS DE LAPLACE komplett umgerüstet. Da wurden doch sicher auch neue Systeme aufgespielt.«

»Die Software wurde komplett ausgetauscht«, sagte Laertes. »Das Schiff wurde generalüberholt und technisch auf den neuesten Stand gebracht. Immerhin waren einige Jahrhunderte nachzuholen. Die Entwicklung des Überlichtfluges zum Beispiel hatten wir buchstäblich verpennt. Das musste alles nachgerüstet werden. Und das ging natürlich nur mit einer vollständig neuen KI-Architektur.«

»Und Madeleine?« Beth klang erschrocken.

»Ich habe mir ihre Persönlichkeit heruntergeladen.« Laertes nestelte ein Medaillon aus dem Kragen seines Freizeithemds. Er betrachtete es unschlüssig. Dann reichte er es Beth, die sich das eingelegte Mini-Hologramm neugierig besah.

»Ist sie das?«

»Das ist Kathy«, sagte Laertes.

Beth wirkte irritiert.

»Seine Verlobte«, fiel Ash ein. »Ich habe dir davon erzählt.«

»Madeleine ist auf dem Chip gespeichert, der in das Medaillon eingearbeitet ist«, erklärte Laertes noch. »Ein Quantenspeicher der neuesten Generation.«

Beth betrachtete das Schmuckstück eingehend. Dann gab sie es ihm zurück.

»Bei Frauen hast du kein Glück, was?«

Er lächelte schief und verstaute das Medaillon mit einer linkischen Bewegung.

»Das einsame Genie«, sagte Ash tonlos.

»Was weißt du eigentlich von den anderen?«, fragte Laertes, um das Thema zu wechseln. »Wiszewsky? Rogers?«

»Die Frage ist, was du weißt.«

»Ich war viel unterwegs«, erklärte er ausweichend. »Reisen, Vorträge.«

»Wiszewsky hat sein Ziel erreicht. Die neue MARQUIS DE LAPLACE steht unter seinem Kommando.«

»Ja, stimmt. Das habe ich mitbekommen.«

»Von Randy weiß ich nur, dass er wohl eine ziemliche Karriere hingelegt hat. Er hat ja schon auf dem Rückflug ziemlich aufgedreht.«

Laertes nickte.

»Dann ist er in die Forschungsabteilung eingestiegen.« Ash schrieb mit den Händen wolkige Strukturen in die Luft. »Irgendwelche obskuren Entwicklungsprojekte. Alles natürlich streng geheim.«

Nicht ohne Murren hatte sich die Besatzung der ERIS an die Arbeit gemacht. Die Leute wussten, dass Rogers der erste sein würde, der sich nach Feierabend ein Glas einschenkte, wenn auch eher Whisky als Champagner. Aber wann dieser Feierabend sein würde, das konnte man nicht wissen. Rogers selbst arbeitete wie ein Besessener, und das erwartete er auch von seiner Mannschaft. Der Umfang an Daten war ungeheuer. In nur einer Schicht war er nicht zu bewältigen. Sie würden Wochen und Monate daran zu rechnen haben. Aber wann würde der Stationsleiter ein Einsehen haben und erklären, dass es für heute genug war?

Als sie auf einem der nächsten Umläufe die Stelle des Einschlags wieder überflogen, war die kilometerhohe Fontäne aus Sand und Staub verschwunden. Sie war in sich zusammengesunken und von den Jets der dünnen, sturmgepeitschten Atmosphäre ausgewischt. An ihrem ehemaligen Fußpunkt klaffte nun ein riesiger Krater.

»Strahlung?« Rogers beugte sich neben seiner rechten Hand über die Protokolle, die den ganzen Hauptbedienplatz der Station einnahmen.

»Sehr gering.« Seten Brini spielte zufrieden mit seinen schwarzen Locken. »Das ist einer der Vorteile dieses Systems. Die Reaktionsmasse wird vollständig vernichtet. Es bleibt nichts übrig. Kein Fallout. So gut wie keine Kontamination.« Er sah seinen Chef über seine Datenbrille hinweg an.

Rogers nickte.

»Ja, das könnte wirklich etwas Feines werden«, murmelte er in sich hinein. »Und das Profil?«

»Ich blicke auf eine gewisse Laufbahn als Exogeologe zurück«, erklärte Brini selbstverliebt. »Aber ich darf behaupten, dass ich einen solchen Scan noch nicht gesehen habe. Der ganze Planet liegt vor uns wie ein aufgeschlagenes Buch. Die Kruste, der Schalenbau. Die mineralogische Zusammensetzung, der Temperatur- und Viskositätsverlauf. Einfach alles. Auf einen Schlag!«

»Ein Schlag mit dem Hammer.« Dr. Rogers grinste.

»Als wäre der ganze Planet ein einziger großer Gong.«

»Boing!«

»Wahnsinn.« Brini schüttelte den Kopf, fassungslos und begeistert.

»Dieser Gong hat einen schönen satten Klang«, sagte Rogers. Dann wurde er wieder ernst. »Wissen wir schon etwas über die Tonnage?«

»Die freigesetzte Energie, meinen Sie?« Brini schaltete an seinen virtuellen Anzeigen herum. »Nicht schlecht.« Er deutete auf ein Feld.

Rogers pfiff durch die Zähne. »Einhundert Megatonnen?«

»Eine runde Sache, würde ich sagen.«

»Rechnen Sie das nochmal durch«, sagte Rogers. »Damit wir einen vorläufigen Bericht formulieren können.« Er zwinkerte seinem Stellvertreter aus seinen kleinen blauen Äuglein zu, die immer irgendwie listig und ein wenig verschlagen wirkten. »Dann können wir die Früchte unserer Arbeit genießen!«

»Geben Sie mir fünf Minuten.« Brini verschwand in seinem Arbeitszimmer.

Der Rest der Crew war hellhörig geworden. Von den Konsolen und den holographischen Displays hoben sich die Köpfe. Fünf Augenpaare bohrten sich in den Stationsvorsteher.

»Ich denke, wir lassen es für heute gut sein«, sagte Dr. Rogers. »Um die Stellen hinter dem Komma kümmern wir uns ein andermal. Heute möchte ich mich bei Ihnen bedanken. Der Test war erfolgreich. Das wäre ohne Ihre Mitarbeit nicht möglich gewesen.«

Irgendwo hörte man das Ploppen eines Champagnerkorkens. Die Wissenschaftler lachten. Auch Rogers schmunzelte jovial.

»Ich wage zu behaupten, dass dies ein historisches Datum ist«, sagte er noch, während weiter hinten schon eingeschenkt wurde. »Wenn das System sich bewährt, woran ich in diesem Augenblick nicht mehr zweifle, war das heute ein nicht ganz unbedeutender Tag in der Geschichte der Union. Ich denke sogar, in der Entwicklung der gesamten Menschheit!«

Die Physiker und Planetologen, durchweg junge Männer und Frauen, strahlten über das ganze Gesicht. Sie verteilten Champagner, der aus Elastilbechern getrunken werden musste. Rogers bekam ein Glas Whisky. Jemand hatte einen der Synthetisatoren angeworfen, um Salzgebäck zu erzeugen. Die gemütliche Stimmung einer Institutsfeier breitete sich aus, während die Station mit konstanter Orbitalgeschwindigkeit einem weiteren Sonnenaufgang entgegenraste.

Seten Brini kam in den Hauptraum zurück.

»Erledigt«, rief er aufgekratzt. »Alles hier drauf.« Er präsentierte einen Datenchip, der einen integrierten Quantenspeicher umfasste. »Eine Kopie habe ich in Ihrem Ordner des Stabslogs hinterlegt.«

»Vielen Dank.« Rogers legte den Kopf schief und sah zu, wie sein Stellvertreter sich einen Becher reichen ließ und durstig trank. »Das reicht«, sagte er, als Brini sich von einem seiner Assistenten nachschenken lassen wollte.

»Ich verstehe nicht.« Der Exogeologe wirkte überfahren. »Ich dachte, wir haben etwas zu feiern.«

»Wir feiern.« Rogers hatte sich bei seinen Mitarbeitern einen gewissen Ruf erworben. Er war arrogant, herablassend, ungeduldig. Nur so war es zu erklären, dass kein Widerspruch laut wurde, als er noch hinzusetzte: »Für Sie habe ich noch eine kleine Fleißaufgabe.«

»Sir?« Brini ließ konsterniert den leeren Becher sinken. Bei den Umstehenden machte eine Mischung aus Neugier und Schadenfreude die Runde.

»Ich möchte«, sagte Dr. Rogers in jenem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, »dass Sie diese Daten nehmen, einen unserer ANTs besteigen und ins Sonnensystem fliegen.«

»Ich verstehe nicht«, stammelte Brini.

»Ins solare System.« Rogers wirkte bereits ein wenig ungehalten. »Ich denke, ich habe mich klar ausgedrückt.«

»Wie Sie meinen.«

»Nehmen Sie sich jemand von den jungen Leuten hier mit«, fuhr Rogers fort. »Jemand, der noch nicht vollständig betrunken ist. Es reicht, wenn Sie in den äußeren Bereich fliegen. Dann übermitteln Sie alles, was sich auf diesem Chip befindet, an diese Koordinaten.«

Er aktivierte ein holographisches Patch, das auf seiner Unterarmmanschette aufleuchtete.

Brini studierte die Daten, die auf sein eigenes Display übertragen worden waren.

»Was sind das für Koordinaten?«

»Das braucht Sie nicht zu interessieren.«

»Entschuldigen Sie mal.«

»Machen Sie einfach, was ich sage.« Rogers klang mit jedem Wort ungemütlicher. »Wir haben hier noch viel zu tun.«

Die Stimmung war inzwischen spürbar abgekühlt. Von der kleinen spontanen Feier war nichts mehr übrig. Die jungen Wissenschaftler standen beklommen herum. Niemand wagte zu sprechen oder ein Glas zum Mund zu führen. Die Blicke waren ins Leere gerichtet

»Sir.« Brini straffte sich. »Ich kenne diese Koordinaten nicht, und ich weigere mich, diese hochbrisanten Daten ...« Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden.

»Sie werden tun, was ich Ihnen auftrage«, donnerte Dr. Rogers, der während der letzten Sekunden dunkelrot geworden war. »Dies ist ein geheimes Entwicklungsprogramm, und ich bin sein Direktor. Und ich ...«

 

»Mit Verlaub, Sir!« Brini kämpfte um Haltung.

»Lassen Sie mich ausreden«, brüllte Rogers. »Ich befehle Ihnen, diese Daten an diese Koordinaten zu übermitteln, nicht mehr und nicht weniger!«

Einige der Zuhörer waren zusammengezuckt. Die anderen scharten sich unwillkürlich näher zusammen. Brini stand da und zitterte. Aber er schien fest entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen.

»Ich protestiere gegen diese Behandlung.«

»Protestieren Sie, so viel Sie wollen. Und dann folgen Sie endlich meinen Anweisungen.«

»Das wird ein Nachspiel haben«, brachte Brini hervor. »Diese Auseinandersetzung wird dokumentiert. Ich werde das Protokoll davon an die zuständigen Stellen der Union ...«

»Schwätzen Sie nicht.« Rogers kippte den Rest seines Whiskys herunter. Plötzlich schien er ganz ruhig. Es war die drohende, brodelnde Ruhe eines Vulkans, eine Sekunde bevor er ausbricht.

»Dr. Rogers«, startete Brini einen letzten Anlauf. »Dies ist ein ziviles Projekt!«

Rogers stand da, als habe er nicht zugehört. Er hielt einem der Assistenten sein Glas hin. Der Mann beeilte sich, es wieder zu füllen. Solange herrschte gespannte Stille auf dem Hauptdeck der ERIS. Als Rogers wieder versorgt war, drehte er sich zu seinem Stellvertreter um und musterte ihn kalt und abschätzend.

»Das glauben aber auch nur Sie.«

Als die Sonne untergegangen war, wurde es kalt. Ein frischer Wind kam von der See her auf. Laertes wollte sich verabschieden. Sein langer Aufenthalt hier in diesem schmerzhaft friedlichen Familienidyll war ihm unangenehm. Störte er nicht? Aber Beth beruhigte ihn und lud ihn ein, noch zum Abendessen zu bleiben.

Sie gingen hinein. Eine Haushälterin war in der Küche bereits damit beschäftigt, das Essen vorzubereiten. Eine Latina mittleren Alters aus Pensacola Stadt. Außerdem besaßen die Ashs einen primitiven Hausbot, der einfache Arbeiten erledigte. Beth begab sich in die Küche, um das Ganze zu überwachen. Ash führte Laertes und die kleine Jennifer in das geräumige Wohnzimmer des Hauses, einen weitläufigen Salon, der sich über die Terrasse zum Garten hin öffnete und der jetzt vom Widerschein des Sonnenuntergangs über dem Meer dunkelrot erglühte.

Die Zwillinge kamen, Donnan und Garth. Ash stellte sie seinem Kameraden stolz vor. Die Buben grüßten schüchtern und verzogen sich dann auf ihr Zimmer, von wo bald die einschlägigen Geräusche eines Konsolenspiels herunterdrangen.

Wenig später gab es Abendessen. Salat und Gemüse aus dem Garten. Dazu Tapas nach einem alten Familienrezept der Haushälterin Ximena. Diese kam kurz in den Salon, um linkisch den Applaus der Tafelnden entgegenzunehmen, und zog sich dann wieder in die Küche zurück, um in regelmäßigen Abständen nach dem Rechten zu sehen. Zu den Vorspeisen tranken sie Wasser. Beim Hauptgang öffnete Ash einen leichten Wein. Die Söhne waren zum Essen wieder herunter gekommen. Sie kicherten und stießen sich an. Die kleine Jennifer saß auf ihrem erhöhten Kinderstuhl und lauschte verständig den Unterhaltungen der Erwachsenen. Sie war müde von dem langen Tag im Freien. Schließlich fielen ihr die Augen zu. Beth brachte sie ins Bett. Auch die Zwillinge wurden wieder entlassen. Ximena verabschiedete sich, für Laertes’ Geschmack etwas zu unterwürfig. Dann blieben sie zu dritt zurück. Durch die offenstehende Terrassentür wehte eine kühle auflandige Brise. Sie brachte den Geruch des Meeres mit herein, den man tagsüber, im Garten, kaum wahrgenommen hatte. In der Tiefe sah man die Lichter von Containerschiffen und fern am Horizont eine Ölplattform.

»Schön habt ihr’s hier.« Laertes war satt und schwer, auch schon ein wenig benommen von dem guten Wein.

»Ja, man kann es aushalten.« Ash drehte den Korken in den Händen und tauschte verliebte Blicke mit seiner Frau.

Beth nahm sich noch eine Olive und kaute gedankenverloren darauf herum. Dann sah sie Laertes lauernd an.

»Was sagst du eigentlich zu den Tloxi?«

»Was soll ich dazu sagen?« Er erwiderte ihren Blick.

»Ich weiß nicht.« Sie lachte. »Franklin reagiert auf das Thema auch immer so gereizt.«

»Entschuldige«, beeilte er sich zu sagen. »Ich wollte nicht gereizt rüberkommen.«

Sie machte eine wegwerfende Geste. Damit wurde sie schon fertig. Ash, überlegte Laertes, war einerseits sicherlich ein aufmerksamer und zuvorkommender Ehemann, andererseits konnte er aber auch ziemlich direkt sein, manchmal war er auch nervtötend, anstrengend und unerträglich. Wenn Beth es mit ihm aushielt, hieß das, dass sie nicht empfindlich war. Und so schätzte er sie nach diesem langen Nachmittag und Abend auch ein.

»Tut mir leid«, sagte er trotzdem. »Ich wollte dich nicht so abbügeln. Aber um ehrlich zu sein, ich kann es langsam nicht mehr hören.«

Beth biss schmunzelnd in die nächste Olive, erwiderte aber nichts. Ash lehnte sich mit einem genüsslichen Gesichtsausdruck zurück, als freue er sich auf eine gute Show.

»Ich weiß ja nicht, wie es dir geht«, wandte Laertes sich direkt an seinen ehemaligen Kameraden. »Aber ich wurde permanent danach gefragt, seit wir wieder hier sind. Was sagst du dazu? Was hältst du davon? Hast du sie gesehen? Du bist doch dort gewesen?!«

»So viel hast du den ganzen Tag noch nicht an einem Stück geredet«, stellte Beth grinsend fest. »Das Thema muss dir wirklich mächtig auf den Zeiger gehen.«

»Nein«, sagte Laertes rasch. »Nicht das Thema an sich. Darüber können wir uns gerne unterhalten. Wir sind ja alle sozusagen vom Fach. Aber weißt du, dann kommen Leute, die hier leben, die ihr ganzes Dasein auf der Erde verbringen, und fragen dich, ob du diese Aliens gesehen hast, du seist ja dort gewesen, dort – im Weltraum!«

»Dabei sind es zum einen keine Aliens«, fiel Beth ein, die der Ausbruch ihres Gastes köstlich amüsierte.

»Zum anderen«, sekundierte Ash, »fand der Erstkontakt erst statt, als wir schon wieder hier waren.«

»Danke, Freunde.« Laertes warf in gespielter Erleichterung die Arme in die Luft. »Warum verstehen das die Leute nicht?«

»Weil sie von den Räumen dort draußen keine Vorstellung haben«, sagte Beth.

»Mag sein.« Laertes drehte sein Weinglas in den Händen. Dann sah er wieder auf. »Um ehrlich zu sein, die Sache hat mich bis jetzt nicht sonderlich interessiert. Ich habe mich nicht damit beschäftigt, also nicht über das hinaus, was auf den Mainstreammedien läuft, und das ist vermutlich zu gleichen Teilen entstellt oder erlogen.«

»Du bist doch KI-Spezialist«, sagte Beth. »Fallen diese Wesen da nicht eigentlich in deine Domäne?!«

Laertes setzte ein desinteressiertes Gesicht auf.

»Wie gesagt, ich war viel unterwegs. Kongresse, Vortragsreisen.«

»Ich glaube dir kein Wort«, fiel Ash ein. »Du hast dich irgendwo vergraben und an deiner eigenen KI herumgefummelt.«

Laertes hob die Schultern. Und wenn schon, sagte seine Miene. Aber er blieb stumm.

»Ich finde es schon spannend«, sagte Beth, um das Gespräch vor dem Versacken zu bewahren.

»Die Sache wird ja untersucht«, erwiderte Laertes höflich. »Wenn man irgendwelche konkreten Anhaltspunkte hat, wenn man weiß, wovon man redet und womit man es zu tun hat, wird es sicher interessanter. Ich kann mir vorstellen, dass ich dann auch wieder zum Team stoße, um es mal so zu sagen.« Er sah Beth durchdringend an, die sich mit dieser Antwort zufrieden zu geben schien. Dann wandte er sich an Ash. »Wiszewsky ist an der Sache dran?«

»Die MARQUIS DE LAPLACE ist vor Ort.« Der Gastgeber nickte. Ein süffisantes Grinsen spielte um seine Lippen, als er den Namen ihres früheren Kollegen aussprach.

»Vor lauter Unsterblichkeit weiß er ja gar nicht mehr wohin mit sich.« Laertes fiel in das Schmunzeln ein.

Beths Augen wanderten von einem zum anderen. »Soll ich euch eine Weile allein lassen? Wollt ihr Anekdoten austauschen? Oder sollte ich sagen: Raumfahrergarn?«

»Wir kommen zurecht«, sagte Ash. »Mit Publikum macht es mehr Spaß!«

Dabei war Laertes sicher, dass es keine Anekdote vom heroischen Jungfernflug gab, mit der er sich nicht schon vor seiner Frau und geladenen Gästen produziert hatte. Die Symbiose der beiden war gut eingespielt. Das hatte er schon am Mittag zu spüren bekommen, als sie ihn in die Gender-Falle tappen ließen. Auch jetzt machten die Blicke, die die beiden einander zuwarfen, ihn hellhörig.

»Ein bisschen seltsam war es ja schon«, sagte Beth im Ton einer unüberhörbaren Anspielung.

»Was meinst du?«

»Dass die Meldung über den Erstkontakt genau an dem Tag kam, als ihr gelandet seid.«

»Das war nicht der Erstkontakt«, sagte Laertes, wieder eine Nuance schroffer, als er eigentlich wollte. »Es war nur ein Verdacht, der von den Medien ausgeschlachtet wurde.« Er runzelte die Stirn. »Und Zufall war es sicher nicht.«

»Nein, war es nicht.« Ash sagte das so ruhig und bestimmt, dass Laertes erst recht aufhorchte.

»Was weißt du?«

Ash setzte sich umständlich zurecht und schenkte sich noch einmal Wein nach. Er genoss den Auftritt. Er hatte den ganzen Tag darauf gewartet.

»Die Vermutungen«, erzählte er, »waren schon sehr viel älter. Es gab nicht das eine Signal, wie es dann in diesem albernen Newsflash hieß. Die Sache hatte mehrere Jahre Vorlauf.«

»Während unseres Fluges?«

»Während des Rückflugs.« Ash nickte. »Die Relaisdrohnen, die wir unterwegs, auf dem Hinflug, ausgesetzt hatten, fingen bestimmte Muster auf. Es waren die empfindlichsten und gleichzeitig am weitesten draußen platzierten Sensoren, die die Menschheit bis dahin ausgebracht hatte. Die Möglichkeit war nicht ganz von der Hand zu weisen, dass sie früher oder später etwas Einschlägiges orten würden. Wenn irgendein System, dann dieses.«

»Dann hatte man es darauf abgesehen?«

»Das weiß ich nicht. So genau kenne auch ich die Interna nicht.« Er hob sein Glas und prostete erst seiner Frau und dann seinem Gast zu. »Wie du weißt, und wie du hier überdeutlich sehen kannst, bin ich kein Mauretanier. Das heißt, an die wirklich geheimen Geheimnisse komme auch ich nicht dran.«

»Hast du dich ihnen angeschlossen?«, fragte Beth dazwischen.

»Nein.« Laertes wandte seine Aufmerksamkeit sofort wieder seinem Freund zu.

»Aber«, fuhr Ash fort, »so wie ich die Brüder kenne, haben sie es von Anfang an, das heißt seit der Planungsphase der ersten Sternenflug-Mission, darauf angelegt oder es zumindest billigend in Kauf genommen, dass etwas derartiges geschieht.«

»Vielleicht konnten sie so ein paar SETI-Gelder abzweigen.« Laertes lächelte dünn.

»Wie dem auch sei. Die Relais fingen etwas auf. Es wurde herausgefiltert und untersucht. Durch Mustererkennungen und Dechiffriermaschinen gejagt. Man bekam bestimmte Frequenzen und Algorithmen. Damit konnte man gezielt weitersuchen. Von nun an war es eine Suche, die den Namen verdiente.«

»Alles auf dem Rückflug«, stöhnte Laertes. »Während ich geschlafen habe!«

»Ich will mal so sagen, Kumpel.« Ash spielte seinen Trumpf mit links aus. »Wenn du der Bande deine Seele verkauft hättest, hätten sie dich geweckt!«

»Das habe ich aber nicht getan«, sagte Laertes ruhig. »Und dann?«

»Die Sache blieb im innersten Zirkel. Auch ich kenne die Namen nicht. Wiszewsky war mit Sicherheit im Club. Wheeler natürlich.« Ash hob die Schultern. »Ich glaube nicht, dass es insgesamt mehr als fünf oder sechs Personen gewesen sind, die über alles Bescheid wussten. Dann noch ein paar Fachidioten, die man mit Teilaspekten betraute.«

Laertes nickte vor sich hin. »Aber irgendwie kam es ja doch raus!«

»Es muss ein Leck gegeben haben«, stellte Ash emotionslos fest.

»Weiß man, wer?«

»Nein.« Ash sah ihn offen an. Laertes wusste, dass der Beamte ihn nicht belügen würde. Ash war jemand, auf dessen Wort man sich verlassen konnte. Außerdem lag die Sache mehrere Jahre zurück. Inzwischen war die Katze sowieso aus dem Sack, die Entwicklung war in eine völlig neue Phase eingetreten.

»Es hat ein Leck gegeben«, wiederholte Laertes im Stil einer offiziellen Zusammenfassung, wie sie bei Briefings üblich war. »Vermutlich eine persönliche Sache. Meist ist es ja gar nichts Großes, sondern etwas ganz Kleines, Niedriges. Eine Eifersuchtssache.« Er hielt inne, als habe er sich selber beim Laut-Nachdenken zugehört. »Wiszewsky«, sagte er gedehnt.

»Er war mit Sicherheit im inner circle«, sagte Ash. »Und er muss auch gewusst haben, dass es ein Leck gibt, wer das Leck ist, wann etwas durch das Leck dringt und was!«

 

»Deshalb ist er vorausgeflogen.«

»Er wollte sich seinen Triumph nicht kaputtmachen lassen.« Ash wandte sich wieder an seine Frau. »Wiszewsky hatte es plötzlich sehr eilig. Er nahm einen Explorer und flog voraus, als wir noch in der letzten Abbremsphase waren. So war er ein paar Tage vor uns hier und bekam einen Roten Teppich ganz für sich allein.«

Beth nickte. »Ich erinnere mich gut daran. Diesen – Auftritt fand ich auch ein bisschen sonderbar. Aber du hast es mir ja später erklärt.«

»Es ist ja jetzt auch egal«, sagte Laertes.

»Du bist nach der Landung sofort abgetaucht?«, fragte Beth. »Franklin, also nachdem wir uns kennen gelernt hatten, wollte er mir seine Freunde vorstellen. Aber die hatten sich irgendwie in alle Winde verstreut!«

»Am Tag der Ankunft bin ich nach Budapest gefahren«, berichtete Laertes. »Ans Grab meiner Verlobten. Dort bekam ich auch die Nachricht, diesen Newsflash. Danach war ich, wie gesagt ...«

»Abgetaucht.« Ash grinste.

»Auf Reisen«, sagte Beth nachsichtig.

»Ja, und die anderen«, erkundigte sich Laertes. »Rogers?«

»Der hat einen Lehrgang nach dem anderen gemacht«, sagte Ash. »Dem konnte es gar nicht schnell genug gehen.«

»Ist er bei den ...«

»Ich denke schon.«

Die beiden Männer wechselten einen Blick.

»Aber Wiszewsky«, hakte Laertes nach. »Er muss doch greifbar gewesen sein. War er nicht hier, in Pensacola?«

Ash lachte prustend. »Du hast wirklich gar nichts mitgekriegt«, entfuhr es ihm.

»Klär mich halt auf!«

»Er forderte das Kommando über die MARQUIS DE LAPLACE«, sagte Ash. »Bekam es auch, wie wir wissen. Wheeler war alt. Er ging in den wohlverdienten Ruhestand. Wiszewsky hatte wahrlich genug vorgearbeitet. Jetzt strich er die Ernte ein.«

»Aber?« Laertes hörte sehr wohl heraus, dass es da noch ein Aber gegeben hatte.

»Aber das Schiff musste natürlich umgerüstet werden. Jahrhunderte einer irrwitzigen Entwicklung, die allein in den letzten Jahrzehnten vor unserer Rückkehr explosionsartig gewesen war. Eine echte Revolution. Das brauche ich dir doch alles nicht erklären.«

»Nein, natürlich nicht.« Laertes schüttelte den Kopf. »Aber??«

»Unsere alte MARQUIS DE LAPLACE wurde ja einer Verjüngungskur unterzogen, Hardware wie Software. Neue Triebwerke inklusive Warpspulen. Eine neue KI. Alles!«

»Das ist mir bewusst!«

»Das dauert!« Ash spitzte die Lippen und schlürfte an seinem Wein. »Es gab da aber noch eine weitere Möglichkeit. Während unseres Rückfluges hatte die Union damit begonnen, ein neues Explorationsschiff zu bauen. Moderner, größer und schneller.«

»Sag bloß!« Jetzt war Laertes überrascht. Davon hatte er nichts mitbekommen. Gut, er hatte sich auch nicht groß dafür interessiert.

»Du hast noch nicht vom Neubau gehört, einem sechs-Kilometer Forschungskreuzer?«

Laertes schüttelte überrascht und beeindruckt den Kopf. »Ist mir entgangen. Wirklich?«

»Ja. Und weil es wieder das größte Schiff der Menschheit ist, erbt es den Namen MARQUIS DE LAPLACE.«

»Aha! Und unsere MDL?«

»Haben die Scherzkekse der Union in ›THE OLD MARQUIS‹ umgetauft. Ernsthaft.«

Alle drei mussten sie grinsen.

»Aber weiter im Text. Das neue Schiff war leider auch noch nicht ganz fertig. Dennoch bestand er darauf, das Kommando über das neue Schiff zu bekommen.«

Laertes dachte einen Augenblick nach, er musste sich daran erinnern, womit sein Freund vor seiner Unterbrechung begonnen hatte, dann erhellte sich seine Miene. »Nein, oder?«

»Unserem gemeinsamen Freund ging das zu lange«, sagte Ash. »Er hat sich einfrieren lassen.«

»Damit er nicht zu alt wird?« Laertes gluckste. »Dieser eitle Fatzke!«

»Er meinte, wenn er Bauingenieur hätte werden wollen, dann hätte er das gemacht. Er sei aber Kommandant.« Ash hob sein Glas. »Er ging in Hibernation und hinterließ nichts als die Anweisung, ihn wieder zu wecken, wenn sein Schiff einsatzbereit sei!«

Laertes schüttelte den Kopf.

»Irgendwie würde ich diesen Alexander Wiszewsky gerne kennen lernen«, sagte Beth.

»Oh, er sieht sehr gut aus«, lachte Ash.

»Das weiß ich«, sagte Beth. »Es gab Zeiten, da konnte man keine Sendung anschalten, ohne sein selbstverliebtes Grinsen zu sehen.«

»Ja, er ist ein bisschen von sich eingenommen.« Laertes fiel in das Lachen ein. »Wie lange hat er geschlafen?«

»Drei oder vier Jahre.« Ash schrieb eine gleichgültige Geste in die Luft. »Irgendwann musste er ja wieder raus und die Mission vorbereiten, seine Mission. »Aber jetzt ist er an Bord?«, fragte Beth.

»Ja.« Ash wirkte immer noch außerordentlich amüsiert. »Er ist jetzt dort!«