Single Malt Weihnacht

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Single Malt Weihnacht
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Stressfreie Weihnachtszeit

Single Malt

Irish Wedding Wish

Kathrine

Zwei Singles, ein Malt

Uisge beatha

Die Besucherin

Oh happy day

Ein Single Malt für Santa Claus

Nollaig Chridheil

Konservieren für die Ewigkeit

Leuchtfeuer

Fröhliche Freinachten

Blonder Engel

Eine Frau zu Weihnachten

Feliz Navidad Señor Fernandez - oder: Die Whisky-Misere

Fröhliche Vajnacht

Weihnachten im Schlachthaus Hommage an Charles B.

23. Dezember, 22:30

Ein Whisky zur Weihnacht

Nach der Einsamkeit

Ein besonderes Geschenk

Der Geiger von Dublin

Der Übeltäter

Zeit für Carthannas

Ein Hauch von Datteln

Was ein (fehlendes) »e« alles kann ...

Meeting McGregor

Wasser des Lebens

Der Glühwein

Am Weihnachtsabend

Weihnachtsüberraschung

Die Vermessung des irischen Pubs

Unnützer Kram

Wer besucht dich zu Weihnachten?

Früher war alles anders

Die Whiskey-Oma

Chaos

Schneegestöber in den Highlands

The Coronation: virale Sonderabfüllungen

Single night, malty night

Das merkwürdige Weihnachtsfest des

Mr. Christian Belfast

Das Vermächtnis

Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen?

Urahnen und Kelpies

Single Malt Weihnachten

Von Baltrum Verlag

Buchbeschreibung:

Weihnachten, ein Fest für viele nur mit der Familie. Mit unserer Anthologie haben wir ein (Vor-)lesebuch geschaffen, das Sie alleine, mit der Familie oder auch mit Freunden in dieser Zeit genießen können. Gerne laden wir Sie auch dazu ein, sich dazu ein edles Tröpfchen einzuschenken.

Autor*innen:

Susanne Ulrike Maria Albrecht, AZR, Hermann Bauer, Nella Beinen, Carsten Böhn, Bianca Brepols, Melanie Buchelt, Sarah Christiansen, Kristin Fieseler, Kai Focke, Iris Förstner, Daniela Gesslein, Brigitte Harkou, David Hassbach, Inés Maria Jiminéz, Mathias Kopetzki, Sabrina Kriwoschejew, Lara Labchir, Lisa Lamm, Isabell Langkau, Christoph Lauer, Marilyn Lonsdale, Karina Luger, Julia Mehrheimb, Sandra Mierwaldt, Tobias Miller, Frank-Thomas Mitschke, Silvia Mörschardt, Bernhard Mosner, Vincent E. Noel, Gregor Ortmeyer, I.M. Oswald, Marten Petersen, Natalie Pfeiffer, Bianca Röschl, Lena Roth, Brigitta Rudolf, Pia Seidel, Marc Siebold, Katharina Spengler, Elisabeth Schlosser-Behrens, Sebastian Steffens, Ilayda Tate, Andreas Witte, Aimée M. Ziegler-Kraska, Sven Zottnick

Single Malt Weihnachten

Von Baltrum Verlag

Baltrum Verlag

Weststraße 5

67454 Haßloch

info@baltrum-verlag.de

www.Baltrum-Verlag.de

Impressum

© 2021 Baltrum Verlag GbR

BV 2135 - Single Malt Weihnachten

Umschlaggestaltung: Baltrum Verlag GbR

Illustration: Baltrum Verlag GbR

Lektorat, Korrektorat: Baltrum Verlag GbR

Herausgeber: Baltrum Verlag GbR

Verlag: Baltrum Verlag GbR, Weststraße 5, 67454 Haßloch

Internet: www.baltrum-verlag.de

E-Mail an info@baltrum-verlag.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Der Text ›Der Glühwein‹ mit freundlicher Genehmigung des ›Eigenverlag Frank-Thomas-Mitschke‹.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Stressfreie Weihnachtszeit

Marten Petersen

Es beginnt bereits im September. Dann kommt meine Frau vom Einkaufen nach Hause und stöhnt: »Unmöglich, bei Aldi und Co. sind die Regale schon voll mit Weihnachts-Süßigkeiten. Und dabei hat der Herbst noch nicht einmal begonnen.«

»Na ja, du musst ja noch nichts kaufen«, lautet meine offensichtlich etwas dümmlich erscheinende Antwort. Denn sie wird mit einem schrägen Blick von der Seite quittiert. »Und wenn dann das Beste weg ist, bist du dich mal bequemst?«

Was soll man dagegen sagen? In Familien- und Freundeskreis nennt man sie schon das ›christkindlichste aller Christkinder‹. Sie empfindet dies als Ehrentitel, ich bin da nicht so sicher.

Ein paar Tage später bringe ich so unauffällig wie möglich ein Argument ins Gespräch: »Letztes Jahr haben wir doch beschlossen, nicht so viele Geschenke zu kaufen. Das sollten wir dieses Jahr umsetzen.«

»Nicht so viel auf einmal«, lautet prompt die Korrektur meines lieben Christkindes, »daher habe ich auch schon einen Teil meiner Liste abgearbeitet!«

»Eine Liste? Welche Liste denn?«

»Ach weißt du, ich mache mir ab Neujahr einen Zettel und schreibe Geschenkideen auf. Im Laufe der Zeit kommen weitere dazu, andere werden wieder gestrichen. Auf diese Art habe ich dann rechtzeitig zum Fest einen Geschenkeplan.«

»Aha, und diesen Plan hast du schon abgearbeitet?«

»Bei Weitem nicht alles, aber doch schon einen Teil. Ich habe schon die alte Truhe ausgeräumt und die gekauften Sachen reingepackt.«

Ich erwiderte nichts, denn Anfang Oktober schon eine heiße Diskussion über Sinn und Unsinn von Weihnachtsgeschenken zu führen, das will ich nicht.

Anfang November traue ich meinen Augen nicht. In unserer Stadt ist eine ganze Horde von Elektrikern und Arbeitern dabei, Lichterketten quer über die Einkaufsstraßen und rund um den Marktplatz zu installieren. Wegen der vielen Leitern und der herumliegenden und -hängenden Leitungen und Kabeln ist der Straßenverkehr ziemlich eingeschränkt. Fußgänger müssen die Fahrbahn benutzen, an anderen Stellen werden die Autos über den Bürgersteig umgeleitet. Mit einer guten Stunde Verspätung komme ich zu Hause an. Ich berichte meiner Frau davon. Sie beschwichtigt mich mit den Worten:

»Aber eingeschaltet wird die Weihnachtsbeleuchtung erst am Montag nach Totensonntag.«

 

Wie beruhigend, also erst ab Monatsende.

»Muss man denn schon so früh an Weihnachten denken?«, zweifle ich.

»Na klar, und dann beginnt auch die schöne ruhige Vorweihnachtszeit. Denk nur an all die schönen Gerüche vom Backen, die durch die Wohnung ziehen. Zimt, Nelken, Rosenwasser und so weiter.«

Na, so weit ist es ja noch nicht, denke ich und erinnere mich an voriges Jahr. Gebacken wurde bis spät in die Nacht. Mindestens zwölf Sorten Kekse mussten es schon sein, zwei Tabletts von jeder Sorte.

»Sonst sieht der bunte Teller ja nicht bunt aus!« Ist die christkindliche Logik meiner Frau. Eine gute Woche Nachtarbeit steht uns also bevor. Ich sage uns, denn ein bisschen helfe ich immer mit. Ich will ja auch kein Spielverderber sein. Und das ist immer noch besser als ein Streit. Meine Frau belohnt meinen Eifer mit einem abendlichen Single Malt.

Als Erstes krame ich zwölf unterschiedlich große, aber allesamt mit Weihnachtsmotiven versehene Blechdosen hervor. Der darin befindliche Restbestand vom Vorjahresweihnachtsfest wird einmal durch die Getreidemühle gejagt. So haben wir genügend Vogelfutter für einen durchschnittlichen mitteleuropäischen Winter.

Es ist Anfang Dezember, meine Liebste kommt von der Arbeit nach Hause. Sie hat einen Plan: Die Wohnung soll nicht so stark auf Weihnachten dekoriert werden, eher dezent, überwiegend in Rot gehalten. Es soll nichts an Dekomaterial hinzugekauft werden, die Schränke sind ja voll davon, man könnte damit drei Wohnungen ausstatten. Erst verblüfft, dann erfreut stimme ich ihr zu. Das hört sich gut an.

»Ich werde aber eine neue Holzwand bauen und sie nahe beim Ofen montieren. Dann werde ich eine zweieinhalb Meter lange Girlande aus Buchsbaum und Tanne winden und an der neuen Holzwand befestigen. Dazu kommen einige kleine Regale. So kann ich eine ganz individuelle Weihnachtsdekoration anbringen!«

Mir schwant schon, dass ich das Tannengrün besorgen soll. Die Holzkonstruktion macht meine Liebste selber. Sie ist handwerklich sehr begabt und vor allem: So wird das Werk so, wie sie es haben will. Meine Liebste geht lieber in den Baumarkt als in die Parfümerie, trägt lieber den Makita-Werkzeugkoffer als eine feine Gucci-Handtasche. Mir dagegen bleibt nur die Rolle des Handlangers. Ich hole also Handkreissäge, Hobel, Werkzeugkiste und die Kiste mit Schrauben, Dübeln und Nägeln hervor. Während meine Frau werkelt, darf ich nur einige wenige Handreichungen leisten. Danach gehe ich in den Garten und schneide das notwendige Grünzeug für die Girlande.

»Das hast du fein gemacht. Mache eine Pause, ich mache noch weiter.«

Das Angebot nehme ich doch gern an und lege mich auf die Couch.

»Fertig! Schluss für heute, morgen geht es weiter.« Ich schrecke aus meinem Halbschlaf auf.

»Schon?«, frage ich verschlafen.

»Ja. Und zum verdienten Feierabend gibt es deinen geliebten Single Malt, den hast du dir verdient.« Ist das ehrlich gemeint? Oder es doch nur ehrlicher Sarkasmus?

Weihnachten findet auch draußen statt! Vor dem Haus wird die Herbstdekoration durch Tannengrün, durchsetzt mit einer Lichterkette, ausgetauscht. Ein paar Laternen, ein Weihnachtsmann, einige rot-gelb angemalte Holzkerzen vervollständigen die sparsame Dekoration außen.

Zeitgleich und pünktlich vor dem ersten Advent wird die Wohnung dezent umdekoriert: Rot-weiße Tischdecken, Geschirrtücher aus eben denselben Farben, sogar eine rote Klobürste wird angeschafft (die Alte muss vorübergehend ihr Dasein in der Garage fristen). Sie passt ausgezeichnet zum weihnachtlichen Dekor auf der Papierrolle. Auf dem Rand des Waschbeckens finden sich fein drapiert zwei frische Seifenstückchen mit Goldstaub, ein silberner Engel und ein roter Weihnachtsmann. Dann viele gläserne Tannenzapfen, bunte Farben aussendende Prismen, lang gezogene Glastropfen, pausbäckige himmlische Wesen, Weihnachtsmänner und Rentiere aus verschiedenen Materialien, klitzekleine Lichterketten, Weihnachtssterne aus Stroh und diverse rot-grüne Blumen werden in der Wohnung unauffällig und zurückhaltend verteilt. Die bisherigen Sofa- und Stuhlkissen werden gegen andere, überwiegend in Rot und Grün gehaltene Weihnachtskissen ausgewechselt. Die alten Fotos der Großeltern müssen Stickbildern mit Weihnachtsmotiven weichen, wenn auch nur vorübergehend bis nach Neujahr. Die Katze fühlt sich in ihrem rot-grünen Strickpullover nicht wohl. Noch nerviger findet sie aber das ewige Gebimmel der kleinen Glasglöckchen, die an ihrem Schwanzende angebracht sind. Am meisten Zeit nimmt aber das Umwickeln sämtlicher zweiundvierzig Blumentöpfe mit dünnem Weihnachtspapier in Anspruch. In sämtlichen Töpfen Amaryllis und Weihnachtsstern.

Auch das neue weihnachtliche Sammelgebiet meiner Frau entwickelt sich erfreulich-erschreckend: Sie sammelt Trinkbecher aus Porzellan, die mittlerweile etwa fünfzehn Exemplare umfassende Sammlung zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Wand der Becher plastisch ausgeformt ist, und natürlich – wie könnte es anders sein – jeweils einen pausbäckigen Weihnachtsmann darstellt. Als sie mir das neueste Exemplar zeigt, ist es gefüllt – mit einem Single Malt! »Prost mein Liebling!«, flötet mein Christkind.

Mittlerweile haben wir den Ton der Haustürglocke vom wohlbekannten »Avon-Ding-Dong« auf das weihnachtliche »Jingle Bells« umgestellt. Unter dieser gravierenden Veränderung hat unsere Katze sehr zu leiden. Passend dazu habe ich den Briefkasten an der Gartenpforte ausgetauscht. Der übliche Kasten mit dem Posthorn muss dem »Weihnachtskasten« weichen: Die Front ist mit einem zauberhaften »Winter-Wonderland-Motiv« versehen.

Zum zweiten Advent ist die Wohnung trotz dieser nur dezent und sehr gefühlvoll vorgenommenen Dekorationen nicht sofort wiederzuerkennen. Aber ich will auch etwas zur perfekten Weihnachtsstimmung beitragen und entwickele eine Schneeberieselungsanlage für das Wohnzimmer. Ähnlich einer Sprinkleranlage, kombiniert mit einer Gefrierzerstäubungstechnik, werden wir somit in den Genuss frischen Schnees vor dem Kaminofen kommen.

Da werden sich dann auch die beiden Stroh-Elche ganz wohl fühlen. Zur Belohnung für meine Kreativität stellt mein liebstes Christkind mir ein Gläschen Schnaps hin – Single Malt natürlich. Ich genieße ihn.

Kurz vor dem Fest kommt mir dann noch eine kleine Idee, unserer weihnachtlichen Wohnung ein authentisches Aussehen zu verleihen: Der Freund des Schwagers eines Kollegen aus dem Fußballverein lebt auf einem Bauernhof auf dem Lande. Neben vielen anderen Tieren hat er auf seinem Hof auch ein Eselspaar, das vor Monaten Nachwuchs bekommen hatte. Dieses kleine Eselchen kann ich ausleihen und bereite ihm in der Nähe des Christbaumes ein Heulager. Das permanente I-aaa, I-aaa stört uns nicht allzu sehr in unserer Nachtruhe.

Das i-Tüpfelchen aber ist auf dem Klo zu finden. Sobald der Sitz sich durch Hautkontakt auf 30 Grad erwärmt hat, ertönt ein schmetterndes »Halleluja« aus Händels Weihnachtsoratorium. Ich habe es ausprobiert, mit einem Glas Single Malt in der Hand. Es funktioniert, auch wenn dabei ein paar Tropfen des guten Whiskys verschüttet wurden.

Wenn mein Christkind glücklich ist, bin ich es auch. »Das wäre es für dieses Jahr«, sagt meine Liebste und reicht mir ein weiteres Glas meines Lieblingswhiskys. Die vielen Gläser Single Malt zeigen erste Folgen. Fröhlich singe ich statt »Jingle Bells, Jingle Bells« jetzt »Single Malt, Single Malt«.

Ich weiß nicht, wie andere Familien mit ihrem überzogenen Weihnachtstohuwabohu zurechtkommen. Da lobe ich mir das Minimalprinzip meiner Frau.

Weihnachten – niemals ohne

Single Malt

Brigitta Rudolf

Ian hatte sich damit abgefunden, dass sein Leben eine Wendung genommen hatte, nachdem Caitlin ihn verlassen hatte. Nicht ohne Grund, zugegebenermaßen. Aber danach hatte er komplett den Halt verloren und war endgültig auf der Straße gelandet. Er hatte unter den Tippelbrüdern sogar Verbündete gefunden. Meistens zogen sie zu dritt los und hatten auch einen Platz unter einer Brücke, den sie miteinander teilten. Das Leben als Obdachloser war nicht ganz ungefährlich in einer Stadt wie dieser. Allerdings gab es mindestens einen Tag im Jahr, an dem er sich komplett von seinen Freunden abschottete. Das war der Heilige Abend. Dann übermannte ihn der Kummer über seine scheinbar ausweglose Situation jedes Mal von Neuem. Früher, ja früher, da hatte er am Heiligen Abend mit seiner Frau Caitlin daheim in ihrem gemütlichen kleinen Haus vor dem Kamin gesessen. Sie hatten sich an ihrem Weihnachtsbaum gefreut und zum krönenden Abschluss des Tages hatte er die Flasche Single Malt geöffnet, die er von ihr erhalten hatte. Dieses Geschenk erhielt er seit Jahren zu jedem Weihnachtsfest. Und er kam lange damit aus, er war kein Trinker. Damals nicht. Seitdem er auf der Straße lebte, sah das anders aus. Es waren selten harte Sachen, die seine Freunde und er tranken, aber der Alkohol half ihnen letztlich auch die kalten Winternächte zu überstehen. Gelegentlich setzte er sich an den Eingang des großen Einkaufszentrums und erbettelte sich etwas Geld. Seinen Malt zu Weihnachten, den brauchte er einfach. Allerdings hielt die Flasche nie lange, sondern war spätestens nach dem ersten Feiertag leer. Dann kehrte Ian zu seinen Freunden zurück. Die kannten seine Marotte und stellten keine Fragen mehr. So hatte er es auch in diesem Jahr geplant. Nachdem er sich von Tom und John verabschiedet und zwei Flaschen seiner Lieblingsmarke besorgt hatte, suchte er seinen geheimen Platz auf. Dort ließ er sich nieder, breitete eine Decke aus und setzte die Flasche gleich an den Hals. Heute wollte er sich betrinken. Seine Gedanken kreisten, wie immer zu Weihnachten, auch um Caitlin. Wie mochte es ihr gehen? Wie und wo mochte sie jetzt leben? Er hatte seit Jahren nichts mehr von ihr gehört. Wenn ich doch nur noch einmal mit ihr sprechen könnte, dachte er sehnsüchtig. Aber sie hatte viel zu lange Geduld mit ihm gehabt, und als sie endgültig gegangen war, konnte er es ihr im Grunde nicht einmal verübeln. Er wusste, er war oft sehr unzuverlässig gewesen, und das bereute er nun zutiefst. Nur aus diesem Grund hatte er diverse Jobs verloren, deshalb hatte Caitlin eines Tages die Nase voll gehabt und ihn verlassen. Wieder nahm er einen tiefen Schluck aus der Flasche. Die meisten Leute saßen jetzt in der Kirche oder zu Hause und feierten Weihnachten mit ihrer Familie. Er fühlte sich einsam, wie immer an diesen Tagen. Jetzt begann es auch noch zu schneien. Dicke Flocken fielen vom Himmel, schnell hatte der Schnee auch über ihn ein weißes Laken gebreitet. Ian begann zu frieren und wickelte seine Decke fester um sich. Auch dagegen half der Whisky, also trank er noch einen Schluck und noch einen. Es dauerte nicht lange, da war die erste Flasche leer. Er warf sie achtlos fort und öffnete die zweite. Langsam verschwamm die Welt um ihn immer mehr und er sank zur Seite und schlief ein.

Als er erwachte, beugte sich ein goldhaariger Engel über ihn. Träumte er oder hatte er sich durch den Suff schon ins Himmelreich katapultiert? Vorsichtig blinzelte er und murmelte: »Was is´n los?«

»Das fragen Sie noch? Sie haben verdammtes Glück gehabt, dass einige Leute Sie gefunden und uns alarmiert haben. Diese Nacht ist kalt, Sie hätten erfrieren können. Aber jetzt nehmen wir Sie erst mal mit ins Krankenhaus«, antwortete der Engel.

Ian schluckte. Er lebte also noch. Ob er sich allerdings darüber freuen sollte, wusste er nicht. Willenlos ließ er sich aufhelfen und auf eine Trage betten. Um dagegen zu protestieren, fühlte er sich zu schwach. Dann dämmerte er kurzfristig wieder weg. Als er zum zweiten Mal erwachte, lag er, mit einem Krankenhauskittel bekleidet, in einem weichen und sauberen Bett. Ein fast vergessenes Gefühl von Wohlbehagen stieg in ihm auf. Vorsichtig sah er sich um. Sein Schädel brummte und er erinnerte sich, dass er einige Stunden zuvor eine ganze Flasche Single Malt getrunken und sogar noch eine zweite angebrochen hatte. Gewohnheitsmäßig wollte er wieder danach greifen, aber die hatte man ihm wohl abgenommen. Stattdessen standen eine frische Flasche Mineralwasser und ein sauberes Glas auf seinem Nachttisch. Seine Kehle fühlte sich staubtrocken an, daher setzte er sich mühsam auf, öffnete die Flasche und trank einen Schluck Wasser. Brr, fast hätte er sich daran verschluckt. Wo hatte man seine Sachen hin geräumt? Einen Augenblick später fühlte er sich so weit, dass er aufstand und in dem schmalen Spind an der Wand nachsah. Stimmt, darin fand er seine Plastiktüten. Seine Kleidung lag ordentlich zusammengefaltet daneben, ganz hinten in der Ecke stand die angebrochene Flasche mit dem restlichen Whisky. Erleichtert griff er danach und nahm die Flasche an sich. Er wollte sich noch einen Moment ausruhen, dann würde er sich anziehen und das Krankenhaus verlassen. Was sollte er hier? Gerade, als er wieder auf dem Bett saß, klopfte es an der Zimmertür und im nächsten Moment stand die blonde Frau wieder vor ihm, die dabei gewesen war, als man ihn aufgegriffen hatte. Mit einem Blick erfasste sie die Situation. Sie ging schnell auf ihn zu, nahm ihm die Flasche sanft aus der Hand und sagte: »Das wollen Sie doch nicht wirklich. Heute ist Heiligabend und ich habe Feierabend. Deshalb wollte ich noch einmal nach Ihnen schauen. Wie fühlen Sie sich?«

 

Ian schaute sie an. Schließlich raffte er sich auf und antwortete. »Wie soll es mir schon gehen? Lassen Sie mich in Ruhe, ich möchte mich anziehen und gehen.«

»Wohin wollen Sie denn?«

»Das kann Ihnen doch egal sein«, gab er genervt zurück.

»Ist es aber nicht. Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich bin ebenfalls allein. Wollen wir den Rest von Weihnachten gemeinsam verbringen?«

»Aber«, stotterte Ian. »Sie kennen mich doch gar nicht ...«

»Nein, aber ich finde, jeder hat eine zweite Chance verdient und Sie sehen aus wie ein anständiger Kerl. Ihre Blutwerte haben ergeben, dass Sie kein Gewohnheitstrinker sind. Sehen Sie, meinem Bruder konnte ich nicht helfen, als er vor einigen Monaten verschwand. Ich glaube, er ist in der Obdachlosenszene abgetaucht. Vielleicht können Sie mir sogar helfen ihn zu finden. Ich würde mich wirklich freuen, Sie, zumindest über die Feiertage, bei mir zu haben. Danach sehen wir weiter.«

Ian glaube zu träumen, aber diese Frau schien es wirklich ehrlich zu meinen. Und hatte Caitlin nicht immer gesagt, dass zu Weihnachten noch immer kleine Wunder geschehen konnten? Stumm nickte er.

»Ich heiße Nancy«, stellte seine Wohltäterin sich vor.

»Ian«, murmelte er.

»Ich weiß«, sagte sie leise und begann damit seine Habseligkeiten zusammenzupacken, während er sich anzog.

»Brauchen Sie den Whisky wirklich?«, fragte sie.

Wortlos nahm Ian ihr die Flasche aus der Hand und schüttete sie ins Waschbecken. Erstaunt registrierte er, dass es ihm nicht einmal schwerfiel.

»Gehen wir«, antwortete er.

Jetzt lächelte Nancy: »Frohe Weihnachten, Ian!«

»Frohe Weihnachten, Nancy.«