Besonderes Verwaltungsrecht

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4. Fraktionen

146

Ratsmitglieder können sich zu einer Fraktion[69] zusammenschließen, wobei teilweise gesetzlich eine Mindeststärke festgelegt ist (§ 23 V 2 m.v.KVerf.; § 57 NKomVG; § 56 I 2 GO NRW)[70]. Nähere Einzelheiten über die Bildung der Fraktionen sowie ihre Rechte und Pflichten regelt die Geschäftsordnung (vgl § 23 V 6 m.v.KVerf.; § 57 V NKomVG; § 56 IV 2 GO NRW)[71].

Aus dem Grundgesetz lässt sich kein Anspruch einer Ratsfraktion ableiten, in jedem der Ausschüsse des Rates (dazu im Folgenden Rn 151) unabhängig von der Zahl ihrer Mitglieder mit Sitz und Stimme vertreten zu sein[72], doch sehen einige Gemeindeordnungen vor, dass uU Mitglieder mit beratender Stimme in den Ausschuss entsandt werden dürfen (vgl zB § 71 IV 1 NKomVG).

147

Die Wahrnehmung eines kommunalen Mandats muss allerdings auch ungeachtet der Zugehörigkeit zu einer Fraktion möglich sein, sodass ein fraktionsloses Ratsmitglied zumindest einen vollwertigen, dh mit Rede-, Antrags- und Stimmrecht ausgestatteten Ausschusssitz beanspruchen kann[73].

148

Lösungshinweis zu Fall 4 (Rn 116):

Zur Zulässigkeit einer Klage näher unten Rn 191. Für die Begründetheit gilt insoweit: Die Feststellungsklage ist begründet, wenn das behauptete Rechtsverhältnis besteht, wenn A und B also berechtigt sind, zu zweit eine Fraktion im Gemeinderat von Hinterwalde zu bilden. Die GeschO sieht vor, dass zur Fraktionsbildung mindestens drei Stadträte erforderlich sind. Fraglich ist, ob diese Rechtsvorschrift ihrerseits mit höherrangigem Recht vereinbar ist.

Rechtsgrundlage für die GeschO ist § 69 NKomVG. Darin können Bestimmungen über Fraktionen aufgenommen werden, wie sich aus § 57 V NKomVG ergibt. Die Vorschrift ermächtigt zur Regelung von „Einzelheiten über die Bildung der Fraktionen“. Einem Gemeinderat als unmittelbar demokratisch legitimierter Repräsentanz der Bürger kommt bei der Regelung seiner inneren Angelegenheiten kraft seiner Autonomie eine weitgehende Gestaltungsfreiheit zu. Der Rat ist bei seiner Regelung jedoch nicht völlig frei. So darf die Frage, welches Quorum für die Bildung einer Fraktion in einem Gemeinderat vorausgesetzt werden darf, nicht frei entschieden werden, sondern muss bestimmten Sachgesetzlichkeiten folgen. Hierzu zählt etwa der Zweck einer Fraktionsbildung, der darin besteht, durch kollektive Vorbereitung der Willensbildung in Gruppen politisch Gleichgesinnter die Arbeit im Plenum zu straffen und zu konzentrieren[74].

Welches Quorum insoweit maßgeblich sein kann, ist von Fall zu Fall mit Blick auf die konkreten Verhältnisse, etwa hinsichtlich der Gesamtgröße des betr. Gemeinderates zu beurteilen. Hier handelt es sich um eine Gemeinde mit 16 000 Einwohnern. Der Gemeinderat umfasst also 32 Ratsfrauen und Ratsherren (vgl § 46 NKomVG) plus Bürgermeister, also 33 Ratsmitglieder. Eine Mindeststärke von 3 Mitgliedern entspräche also 1/11. Es ist nicht ersichtlich, dass durch diese Festlegung mit Blick auf den Zweck der Fraktionsbildung Ermessensgrenzen überschritten wären. Der von A und B angestellte Vergleich zur Praxis in anderen Gemeinden und in anderen Bundesländern, die geringere Anforderungen an die Fraktionsstärke stellen, ist hingegen unmaßgeblich. Der Gleichheitssatz hat seine offene Flanke im Bundesstaatsprinzip und der Garantie kommunaler Selbstverwaltung[75]. Art. 3 GG verpflichtet den jeweiligen Normgeber nur, in seinem Herrschaftsbereich Gleichheit zu wahren, unabhängig davon, ob andere Normgeber abweichende Regelungen getroffen haben[76].

Die Regelungen in der GeschO müssen darüber hinaus aber vor allem die zwingenden gesetzlichen Vorgaben beachten. Insoweit ist in Niedersachsen entscheidend, dass das NKomVG selbst in § 57 I NKomVG eine verbindliche Maßgabe enthält, welche die Mindeststärke einer Fraktion auf 2 Ratsherren/-frauen festlegt.

Diese Vorschrift schränkt die Geschäftsordnungsautonomie des Rates gesetzlich ein, weil sie eine Mindestzahl setzt, die unabhängig von der Größe des betreffenden Gemeinderates gilt. Das höherrangige Recht legt also selbst die maßgebliche Zahl fest. Eine abweichende Geschäftsordnungsregelung ist nichtig. Aber auch unabhängig vom Wortlaut „mindestens“ wäre es mit dem Wesen von Fraktionen nicht vereinbar, durch die GeschO oder Hauptsatzung auch einem einzelnen Ratsmitglied Fraktions- oder Gruppenstatus zuzuweisen[77].

149

Die Fraktionen wirken bei der Willensbildung und Entscheidungsfindung in der kommunalen Vertretung mit und sind auch befugt, ihre Auffassung insoweit öffentlich darzustellen (vgl § 57 II 1 NKomVG; § 56 II 1 GO NRW). Ihre innere Ordnung muss demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechen (§ 23 V 3 m.v.KVerf.; § 57 II 2 NKomVG; § 56 II 2 GO NRW – vgl auch Art. 21 I 3 GG). Sie geben sich ein Statut, in dem das Abstimmungsverfahren, die Aufnahme und der Ausschluss aus der Fraktion geregelt werden.

Will eine Ratsfraktion eines ihrer Mitglieder ausschließen, so ist dies – vorbehaltlich konkreterer Bestimmungen im Fraktionsstatut – nur aus wichtigem Grund zulässig. Gegen einen solchen Beschluss kann das betreffende Mitglied verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen[78].

150

Die Gemeinden können den Fraktionen aus Haushaltsmitteln Zuwendungen zu den Sach- und Personalkosten für die Geschäftsführung gewähren (§ 23 V 4 m.v.KVerf.; § 57 III NKomVG; verpflichtend gem. § 56 III 1 GO NRW).

Unter Berufung auf diese als „innerorganisatorische Anspruchsnorm“ qualifizierte Vorschrift kann eine Ratsfraktion im kommunalrechtlichen Organstreit (dazu Rn 182 ff) sowohl geltend machen, die ihr gewährten Zuwendungen seien zu niedrig, als auch, andere Fraktionen seien dem Grundsatz der Chancengleichheit widersprechend begünstigt worden[79].

Teil I Kommunalrecht › § 4 Die innere Gemeindeverfassung › III. Ratsausschüsse

III. Ratsausschüsse

151

Da die Gemeindevertretung sachlich und zeitlich überfordert wäre, wollte sie alle gemeindlichen Angelegenheiten vor dem Gesamtgremium umfassend behandeln, bedient sie sich – wie dies in der parlamentarischen Arbeit üblich ist – diverser Ausschüsse. Diese müssen im Sinne des Prinzips demokratischer Repräsentation „als verkleinerte Abbilder des Plenums dessen Zusammensetzung und das darin wirksame politische Meinungs- und Kräftespektrum grundsätzlich widerspiegeln“[80].

1. Arten, Zusammensetzung und Befugnisse

152

Hieran ausgerichtet sind Zusammensetzung und Befugnisse im Rahmen gesetzlicher Detailvorgaben (vgl zB Art. 32, 33 bay.GO) jeweils vom Rat zu regeln (§ 36 m.v.KVerf.; § 71 NKomVG; § 58 I 1 GO NRW).

Bei der Wahl von Mitgliedern der Ausschüsse des Rates sind gemeinsame Wahlvorschläge mehrerer Fraktionen oder Gruppen möglich[81].

Bei der Besetzung der Ausschüsse sind zur Erlangung eines zusätzlichen Sitzes gebildete „Zählgemeinschaften“ mehrerer Fraktionen unzulässig[82].

153

Die Gemeindeordnungen kennen Pflichtausschüsse[83] und freiwillige Ausschüsse.

Üblicherweise vorhanden und für die kommunale Entwicklung durchgängig von besonderem Gewicht sind der Bauausschuss, der Liegenschaftsausschuss, der Verkehrsausschuss und der Wirtschaftsausschuss. Je nach kommunalem Selbstverständnis wird auch ein Kulturausschuss und ein Sportausschuss oder ein Petitions- bzw Beschwerdeausschuss gebildet.

Die Existenz bestimmter Ausschüsse wird darüber hinaus durch Fachgesetze vorausgesetzt.

So besteht ein Jugendhilfeausschuss (vgl §§ 70 I, 71 SGB VIII) als – zulässigerweise: Annexregelung zu materiellen Bestimmungen über die öffentliche Fürsorge[84] – bundesrechtlich konstituiertes Kommunalorgan (vgl auch § 33 IV m.v.KVerf.), des Weiteren auf landesrechtlicher Basis Schulausschüsse (zB gem. § 110 nds.SchulG; § 85 SchulG NRW) oder Wahlprüfungsausschüsse (zB gem. § 40 I nrw.KWahlG).

Nicht zu den Ratsausschüssen gehört der Hauptausschuss in Niedersachsen, denn er ist nicht Teilorgan der kommunalen Vertretung, sondern besitzt eine eigene Organstellung (vgl §§ 74 ff NKomVG u. oben Rn 126).

154

Üblicherweise haben Ausschüsse beratende Funktion, ihnen können jedoch auch durch Gesetz oder Ratsbeschluss Entscheidungsbefugnisse in bestimmten Angelegenheiten übertragen werden (vgl § 35 II 3 m.v.KVerf.; § 41 II 1 GO NRW).

Gem. § 76 III NKomVG ist die Vertretung nun auch in Nds. dazu ermächtigt, durch Bestimmung in der Hauptsatzung Beschlusszuständigkeiten des Hauptausschusses für bestimmte Gruppen von Angelegenheiten auf einen Fachausschuss nach § 71 NKomVG zu übertragen. Somit wird der in den Ausschüssen bestehende Sachverstand ausgeschöpft und der Entscheidungsablauf beschleunigt. Zudem wird die Arbeit in den Ausschüssen attraktiver gestaltet, da ein Fachausschuss neben seiner beratenden Funktion Entscheidungskompetenzen erhalten und dadurch in seiner Bedeutung aufgewertet werden soll[85]. Der Hauptverwaltungsbeamte erhält jedoch in diesem Fall ein besonderes Einspruchsrecht nach § 88 IV NKomVG, welches zur Folge hat, dass die Kompetenz zur Entscheidung an den Hauptausschuss zurückfällt.

 

2. Sachkundige Bürger und Einwohner, Ältestenrat

155

Die Möglichkeit, zusätzlichen Sachverstand für die kommunale Ausschussarbeit zu aktivieren, bietet die Rechtsfigur des sachkundigen Bürgers (vgl § 71 VII NKomVG; § 58 III GO NRW), die allerdings in der Praxis nicht selten zu Gunsten verdienter Funktionäre oder eifriger Nachwuchskräfte parteipolitisch umfunktioniert wird, und des sachkundigen Einwohners[86] (vgl § 36 V m.v.KVerf.; § 58 IV GO NRW).

Auch für sachkundige Bürger in Ausschüssen gelten die kommunalrechtlichen Ausschließungsgründe, die zu einem Mitwirkungsverbot führen. Eine vom Rat beschlossene Satzung kann danach allein deshalb ungültig sein, weil im vorberatenden Ausschuss, dessen Beschluss eine maßgebliche „Weichenstellung“ für die Ratsentscheidung enthielt (Bsp.: Planungsausschuss bei einem Bebauungsplan), ein sachkundiger Bürger mitgestimmt hat, der einem Mitwirkungsverbot unterlag[87].

156

Bei den vielfach existierenden Ältestenräten handelt es sich nicht um Ratsausschüsse, sondern um informelle Gremien zur politischen Vorklärung der Willensbildung im Rat (gesetzlich abgesichert aber in § 33a bd.wtt.GO u. § 45 sächs.GO). Keine Ratsausschüsse, sondern Verwaltungskommissionen mit lediglich beratenden Funktionen sind die auf gemeindlicher Ebene zunehmend beliebten Beiräte wie ein Ausländerbeirat sowie Heimbeiräte in Jugendzentren und Frauenhäusern.

In Ermangelung entsprechender gesetzlicher Grundlagen ist es einer Gemeinde verwehrt, solchen Beiräten eigene Kompetenzen zuzuweisen und damit neben den gesetzlich vorgesehenen Organen weitere Entscheidungsträger zu schaffen[88].

Teil I Kommunalrecht › § 4 Die innere Gemeindeverfassung › IV. Der Bürgermeister

IV. Der Bürgermeister

157

Der Bürgermeister, der in kreisfreien Städten (und großen selbstständigen Städten) die Bezeichnung Oberbürgermeister führt,[89] hat in allen Grundtypen der inneren Gemeindeverfassung Leitungsfunktionen und Repräsentationsaufgaben. Demgemäß leuchtet ein, dass die Gemeindeordnungen umfängliche Vorgaben hinsichtlich seiner Wahl und Abwahl[90] sowie seiner diesbezüglichen Kompetenzen enthalten (vgl §§ 37 ff m.v.KVerf.; §§ 80 ff NKomVG; §§ 62 ff GO NRW). Notwendig sind auch Regelungen über die Stellvertretung[91].

1. Der Bürgermeister als Ratsvorsitzender

158

In den meisten Ländern ist der Bürgermeister kraft Amtes Vorsitzender der Gemeindevertretung. Als Ratsvorsitzender nimmt der Bürgermeister auch die Funktion eines „Sprachrohrs“ des Rates wahr (vgl Rn 201).

Im Kommunalwahlkampf trifft ihn freilich (in Orientierung an allgemeinen demokratischen Grundsätzen) eine Neutralitätspflicht, mit der ein Anspruch der Wahlbewerber auf Chancengleichheit korrespondiert[92].

In Nds. behält das NKomVG den Vorsitz in der Vertretung hingegen einem ehrenamtlichen Mitglied vor. Nach § 61 I NKomVG stehen lediglich die „Abgeordneten“ zur Wahl für den Vertretungsvorsitz und nicht der Bürgermeister selbst.

Zu den Leitungsbefugnissen bei den Ratssitzungen gehören üblicherweise die Handhabung der Ordnung und die Ausübung des Hausrechts (vgl Art. 53 I bay.GO; § 29 I 5 m.v.KVerf.; § 51 I GO NRW)[93].

159

Nicht selten (namentlich in Ferienzeiten) fallen dringliche Entscheidungen an, die eigentlich der Gemeinderat zu treffen hätte. Einige Gemeindeordnungen billigen dem Bürgermeister diesbezüglich vielfach eine spezielle Eilentscheidungskompetenz zu (vgl § 43 IV bd.wtt.GO; Art. 37 III 1 bay.GO; § 70 III hess.GO), in anderen Ländern fällt diese Eilkompetenz einem anderen Organ zu (MV, NRW und Nds.: Hauptausschuss, vgl § 35 II 4 m.v.KVerf.; § 89 NKomVG; § 60 I GO NRW), erst danach greift eine subsidiäre Zuständigkeit des Bürgermeisters (vgl § 38 IV 2 m.v.KVerf.; § 89 S. 2 NKomVG; § 60 II GO NRW).

160

Strittig ist freilich, ob auch Satzungen im Wege der Dringlichkeitsentscheidung erlassen werden können[94].

Dies wird seitens des OVG NRW mit der Begründung bejaht, aus dem Gesamtzusammenhang der einschlägigen Norm ergebe sich, die hier in Rede stehenden Entscheidungsbefugnisse umfassten alle Angelegenheiten, die der Beschlussfassung des Rates unterlägen, also auch den Erlass von Satzungen. Allerdings bedürfe es sorgfältiger Prüfung, ob die Voraussetzungen des unbestimmten Gesetzesbegriffs „in Fällen äußerster Dringlichkeit“ in concreto wirklich gegeben gewesen seien[95].

161

Der Bürgermeister hat in einigen Bundesländern gegenüber einem Ratsbeschluss ein Widerspruchs- bzw Beanstandungsrecht, wenn er der Auffassung ist, dass der Beschluss das geltende Recht verletzt (bzw in NRW auch: Das Wohl der Gemeinde gefährdet). Diesem Widerspruch kommt Suspensiveffekt zu; der Rat hat aber die Möglichkeit, durch erneuten Beschluss seine ursprüngliche Entscheidung zu bestätigen. In diesem Fall hat der Bürgermeister die Aufsichtsbehörde einzuschalten (vgl § 33 II m.v.KVerf.; § 88 NKomVG; § 54 GO NRW).

2. Der Bürgermeister als Verwaltungsspitze

162

An der überwiegend monokratisch, teilweise jedoch (so bei der Magistratsverfassung in Hessen) kollegial strukturierten gemeindlichen Verwaltungsspitze stand in NRW und Nds. früher ein vom Rat gewählter Gemeindedirektor (Stadt-, Oberstadtdirektor) inzwischen aber auch dort (vgl § 80 NKomVG; §§ 62, 65 GO NRW) wie in MV und Bayern (vgl § 37 m.v.KVerf.; Art. 34 bay.GO) ein von den Bürgern gewählter hauptamtlicher (erster) Bürgermeister[96].

Als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen, da im Rahmen gesetzgeberischer Einschätzungsprärogative liegend, hat das BVerfG Regelungen wie diejenige des § 80 V Nr 1 NKomVG, in der eine Höchstaltersgrenze von 67 Jahren für eine Kandidatur zur Bürgermeisterwahl normiert ist; Personen dürften von der Wählbarkeit ausgeschlossen werden, bei denen nach der Lebenswahrscheinlichkeit zu befürchten stehe, dass sie nicht bis zum Ende der Amtszeit dem Interesse der Allgemeinheit an einer kontinuierlichen und effektiven Amtsführung zu genügen vermögen[97]. Demgegenüber gilt die Abschaffung der ehemals amtsbeendenden Altersgrenze von 68 Jahren (gem. § 61b S. 1 NGO) als eine der wichtigsten Neuerungen des NKomVG, die insbesondere der demographischen Entwicklung Rechnung tragen soll. Nach dem NKomVG werden also Bürgermeister in Einzelfällen also nun bis zur Vollendung des 73. Lebensjahres tätig sein können.

163

Dem an der gemeindlichen Verwaltungsspitze stehenden Bürgermeister kommt jeweils „die volle und alleinige Verantwortung für das Funktionieren und die Einheitlichkeit der Verwaltungsdurchführung“ zu[98]. Damit sind Personalführungskompetenzen zwingend verbunden (s. bereits Rn 132). Er hat dabei auch dafür Sorge zu tragen, dass Verfassung und Gesetze strikt beachtet werden. Hierzu zählen auch die Vorgaben des Datenschutzrechts[99].

Des Weiteren steht dem Verwaltungsleiter damit aber auch das Hausrecht an den kommunalen Dienstgebäuden zu, soweit nicht diesbezügliche spezifische Befugnisse des Ratsvorsitzenden (dazu oben Rn 158) bestehen.

Die sich daraus ergebenden Befugnisse gelten auch für Fraktionen überlassene Räumlichkeiten[100]. Gegen ein auf dieses Hausrecht abgestütztes Hausverbot ist nach nunmehr wohl hM grundsätzlich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet[101].

164

Der hauptamtliche Bürgermeister ist regelmäßig ein kommunaler Wahlbeamter auf Zeit (vgl Art. 34 I 3 bay.GO; § 37 IV 2 m.v.KVerf.; § 80 VI 2 NKomVG; § 62 I 1 GO NRW). Damit befindet er sich – er kann auch abgewählt werden (vgl Rn 124)[102] – in einer merkwürdigen Zwitterstellung; einerseits genießt er die hergebrachten besonderen Rechte eines Beamten (vgl Art. 33 V GG), andererseits aber eben nur auf Zeit.

Maßgeblich beeinflusst durch die lokalpolitischen Geschehnisse nach der Love-Parade-Katastrophe 2010 in Duisburg ist § 84 NKomVG, der einen Ruhestand auf Antrag aus besonderen Gründen kennt. Die Hauptverwaltungsbeamtin oder der Hauptverwaltungsbeamte kann demnach die Versetzung in den Ruhestand mit der Begründung beantragen, dass ihr oder ihm das für die weitere Amtsführung erforderliche Vertrauen nicht mehr entgegengebracht werde.

Neben den ihm gesetzlich oder seitens des Rates und seiner Ausschüsse übertragenen besonderen Aufgaben hat der Bürgermeister, der ja für die Leitung und Beaufsichtigung des Geschäftsgangs der gesamten Verwaltung verantwortlich ist, auch die Ratsbeschlüsse vorzubereiten[103] und solche Beschlüsse durchzuführen. Ratsbeschlüsse, die das geltende Recht verletzen, hat er zu beanstanden (s. oben Rn 161).

In einem Aufsichtsrechtsstreit (dazu noch unten Rn 363) wird die gesetzliche Vertretung der Gemeinde hier durch den Bürgermeister wahrgenommen, dies selbst dann, wenn dieser den streitigen Ratsbeschluss zuvor von sich aus beanstandet hatte[104].

165

Zur Vertretung des Hauptverwaltungsbeamten im Amt[105] werden Beigeordnete[106] (vgl §§ 49, 50 bd.wtt. GO; §§ 40 IV, V m.v.KVerf.; §§ 68, 71 GO NRW; in Bayern „weitere Bürgermeister“ genannt, vgl Art. 39 bay.GO) bestellt, deren Zahl im Rahmen der Vorgaben der jeweiligen Gemeindeordnung regelmäßig durch die Hauptsatzung festzulegen ist und deren Geschäftskreis durch den Rat festgelegt werden kann[107].

Strittig ist, ob die Anzahl der hauptamtlichen Beigeordneten einer Gemeinde eine einem Bürgerbegehren resp. Bürgerentscheid entzogene Frage (dazu oben Rn 109) darstellt[108].

Bei der naheliegenderweise stark von politischen Erwägungen getragenen Wahl von Kommunalbeamten auf Zeit unterliegt der Rat nicht den bei der Auswahl von Laufbahnbeamten maßgeblichen Bindungen. Die einschlägigen kommunalrechtlichen Vorschriften dienen – anders als Art. 33 II GG – allein öffentlichen Interessen, nicht aber dem Interesse von Mitbewerbern[109].

166

Sowohl für die Kompetenzabgrenzung zwischen Rat und Verwaltungsspitze im Innenverhältnis, als auch im Außenverhältnis, bei rechtsgeschäftlichem Handeln der Gemeindeverwaltung gegenüber Dritten, kommt der Formel der „Geschäfte der laufenden Verwaltung“ (vgl Art. 37 I bay.GO; § 38 III 2 m.v.KVerf.; § 85 I Nr 7 NKomVG; § 41 III GO NRW) besondere Bedeutung zu. Hierbei handelt es sich um einen verwaltungsgerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff, der darauf abstellt, ob eine bestimmte Sachaufgabe in Ansehung ihrer Regelhaftigkeit und Tragweite zu den für die betreffende Gemeindeverwaltung gängigen Geschäften gehört[110]. § 38 III 3 m.v.KVerf. gibt eine Auslegungshilfe, indem er bestimmt, dass „insbesondere Entscheidungen von geringer wirtschaftlicher Bedeutung, Entscheidungen, die den laufenden Betrieb der Verwaltung aufrechterhalten, sowie gesetzlich oder tariflich gebundene Entscheidungen“ hierzu zählen.

167

Für diese Einstufung spielen naturgemäß Größe, Finanzkraft und Bedeutung einer Gemeinde eine Rolle. Kann die Eingruppierung eines Geschäfts in die Rubrik der regelmäßig wiederkehrenden, denen keine weit tragende Bedeutung zukommt, bejaht werden, so kommt es auf den rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeitsgrad sowie die finanziellen Auswirkungen im Einzelnen nicht mehr an. Entscheidend ist, ob das Geschäft typischerweise nach feststehenden Grundsätzen auf eingefahrenen Gleisen erledigt wird[111].

 

168

Daher leuchtet ein, dass nicht eine einheitliche, sondern eine differenzierende, auf die jeweilige Gemeinde und den Zuschnitt ihrer Verwaltung bezogene, hier aber objektivierende Betrachtungsweise geboten ist.

Die hiermit verbundenen Unsicherheiten lassen sich nicht durch eine Bestimmung in der gemeindlichen Hauptsatzung ausschalten, wonach der Gemeindedirektor nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden habe, welche Angelegenheiten als Geschäfte der laufenden Verwaltung in seine Zuständigkeit fallen. Nicht die subjektive Sicht des Leiters der Verwaltung, sondern die objektivierende Gesetzesformel ist der rechtlich maßgebliche Maßstab. Jener mag allenfalls indizielle Bedeutung zukommen[112].

Für die Einzelentscheidung über die Zulassung von Schaustellern zu einem größeren Volksfest bei Vorliegen konkurrierender Zulassungsanträge billigte BayVGH, BayVBl. 2003, 501 eine Einstufung als „laufende Angelegenheit“ und damit die Zuständigkeit des ersten Bürgermeisters gemäß Art. 37 I 1 Nr 1 bay.GO, wenn der Gemeinderat oder ein beschließender Ausschuss (s. dazu Rn 154) zumindest Vorgaben in Form von Auswahlkriterien beschlossen hat. Solche ermessensbindenden Richtlinien sind einzuhalten[113].

Übersicht 4:

Zuständigkeiten des Bürgermeisters


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Teil I Kommunalrecht › § 4 Die innere Gemeindeverfassung › V. Die Vertretung der Gemeinde gegenüber Dritten