Provence forever

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Sabrina

Nachdem mein Vater seine Firma verkauft hatte, erhielten meine beiden Schwestern und ich jeweils einen größeren Geldbetrag als vorgezogene Erbschaft. Mit diesem Startkapital eröffnete ich meine erste Firma und heiratete kurze Zeit später meine erste Frau. Ich investierte damals einen großen Teil meines Geldes in den Kauf eines amerikanischen Luxusautos und verwendete den Rest als Anzahlung für den Kauf von Warenautomaten. Der Inhalt dieser Automaten bestand aus Lebensmitteln, Süßwaren und Spielzeugen, die gegen Einwurf einer Geldmünze aus dem Automaten entnommen werden konnten. Alle diese Automaten wurden an verkehrsgünstigen Plätzen montiert und mussten mehrmals wöchentlich aufgefüllt und gewartet werden. Die Einnahmen dieses Geschäftes reichten allerdings nicht aus, um unsere überdurchschnittlich hohen Lebenshaltungskosten und die zusätzlichen Kreditrückzahlungen für die Automaten und Warenlieferungen abzudecken. Dies war der Beginn meiner lebenslangen Gratwanderung und es kam, wie es kommen musste. Als unbescholtener junger Unternehmer aus bester Familie wurden mir diverse Bankkredite gewährt und ich konnte meinen standesgemäßen Lebenswandel weiterhin finanzieren. In dem vollen Bewusstsein, dass in absehbarer Zeit ein Riesenknall mit einem jämmerlichen Ende bevorstand, wollte ich das Leben bis zu diesem Zeitpunkt einfach nur genießen. Meine langen Ferienreisen an die Côte d’Azur und in die Provence genoss ich mit meiner damaligen Ehefrau bis zum letzten Augenblick, denn ich wollte und konnte weder auf die Fliegerei, noch auf meine Maßanzüge, noch auf vieles andere mehr verzichten. Doch der Erfolg meiner Geschäfte blieb weit hinter meinen Erwartungen zurück und die finanzielle Lage wurde von Tag zu Tag unerträglicher. Als die ersten Zahlungsbefehle meiner Gläubiger und Androhungen zusätzlicher Strafklagen eintrafen, sah ich mich gezwungen, meine Eltern über diese aussichtslose Situation in Kenntnis zu setzen. Trotz größter Auseinandersetzungen und Vorhaltungen hätte meine Familie die Schande meines Bankrotts nicht ertragen und so liquidierte mein Vater den von mir hinterlassenen Scherbenhaufen und befriedigte sämtliche Gläubiger in vollem Umfang.

Ich begann ein neues Leben ohne Schulden und Sorgen. Als Angestellter einer amerikanischen Firma verkaufte ich in den folgenden zwei Jahren elektronische Kopiergeräte. Mein damaliges Gehalt musste ausreichen, um mich und meine Familie zu ernähren und so war ich gezwungen, ein bescheidenes Leben zu führen.

Doch dieses Leben wurde für mich mit der Zeit unerträglich und schließlich ging meine Ehe nach nur drei Jahren in die Brüche. Nach unserer Scheidung wurden unsere beiden Kinder von meinen Eltern, die in der Zwischenzeit in ein kleineres Haus in einer anderen Gemeinde gezogen waren, aufgenommen. In diesem neuen Zuhause, in dem auch ich einige Jahre verbrachte, wurden mein Sohn Christoph und meine Tochter Nicole fünf Jahre lang, bis zur Wiederverheiratung meiner geschiedenen Frau, liebevoll und aufopfernd von meinen Eltern betreut. Sabrina, meine große Jugendliebe und erste Ehefrau, bedeutete mir sehr viel, deshalb war diese Scheidung für mich eine wirkliche Tragödie, unter der ich noch viele Jahre lag litt. Ich hatte alles versucht, diese Scheidung zu verhindern, doch da ich zu jener Zeit kein geregeltes Einkommen hatte und deshalb außerhalb meines Elternhauses nicht in der Lage war, meiner Familie den nötigen finanziellen Rückhalt zu garantieren, wurde die Ehe geschieden.

Da Sabrina in der Zeit unserer Trennung eine neue Liebesbeziehung mit einem Tierarzt eingegangen war und weiterhin das unbesorgte Leben genießen konnte, das ich ihr in jener Zeit nicht mehr bieten konnte, waren meine Versuche, diese Liebe zu retten, aussichtslos. Durch den erlittenen Schmerz und das anschließende Verhalten von Sabrina begann sich eine enorme Wut in meinem Inneren aufzustauen, die schließlich dazu führte, dass ich mich weigerte, ihr die zugesprochenen Alimente zu bezahlen. Daraufhin stellte Sabrina Strafanzeige wegen Verweigerung der Unterhaltszahlungen.

Alle Aufforderungen und Vorladungen, die ich vom Gericht erhielt, um in dieser Angelegenheit Stellung zu nehmen, ignorierte ich und so wurde eines frühen Morgens die Polizei in meinem Elternhaus vorstellig. Meine Mutter öffnete die Haustüre und da ich zu jener frühen Stunde noch nicht «reisefertig» war, bat sie den Beamten, einen kurzen Augenblick in der Eingangshalle zu warten. Meine Mutter informierte mich über diesen frühen Besuch und ich entschloss mich, unser Haus fluchtartig durch einen anderen Ausgang zu verlassen, um diesem unsympathischen Umfeld mit meinem Auto auf dem schnellsten Wege zu entgehen. Da aber unsere Garage unmittelbar neben dem Eingang unseres Hauses war, erkannte mich der Polizeibeamte und wollte mein Auto, das schon in Bewegung war, in einer waghalsigen und lebensgefährlichen Aktion stoppen. Er brüllte wie ein Wahnsinniger und schrie: «Halt, halt!» Dann sprang er auf das Heck meines Wagens und wurde, da ich nicht augenblicklich anhielt und sich das Auto noch etwa zehn Meter weiterbewegte, entsprechend mitgeschleppt. Dieser Umstand hatte schwerwiegende Konsequenzen. Noch nachträglich wurde ich durch diesen Polizisten verhaftet und dem zuständigen Untersuchungsrichter vorgeführt; außerdem wurde mir der Führerschein für längere Zeit entzogen. Nach vollständiger Klärung der Straftatbestände wurde ich endlich nach drei Tagen aus dem Untersuchungsgefängnis entlassen. Das anschließende Gerichtsurteil brachte mir eine geringfügige Freiheitsstrafe ein, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Meine Jugendliebe Sabrina war eine ausgesprochene Schönheit, um die mich alle beneideten. Während ihre Wünsche und Träume bis in unsere Ehe hinein stets in Erfüllung gegangen waren, hatte sie dieses Glück in ihrem späteren Leben nicht mehr. Zwar hatte Sabrina nach unserer Scheidung einen fünfzehn Jahre älteren Mann in bester, leitender Position geheiratet, doch glücklich wurde sie mit ihm nicht mehr und setzte schließlich ihrem Leben selbst ein Ende. Sabrina kam aus bescheidenen Verhältnissen und hatte eine sehr harte Jugend, in der sie sich alles selbst erkämpfen musste. Im Moment unserer Heirat verfügten ich und Sabrina über keinerlei Vermögenswerte; dies war auch einer der Gründe, weshalb meine Eltern unserer Vermählung, die nicht ihren Vorstellungen einer standesgemäßen Hochzeit entsprach, fernblieben. In meinem späteren Leben konnte ich immer wieder feststellen, dass Menschen aus bescheidenen Verhältnissen in ihrem späteren Leben die höchsten Ansprüche stellen, denn wenn sie einmal an einem guten Leben in Luxus und finanzieller Unabhängigkeit geschnuppert haben, wollen sie unter keinen Umständen in ihre bescheidenen Verhältnisse zurück, sondern klammern sich fest wie Ertrinkende und versuchen mit allen Mitteln, das Erreichte zu erhalten.

Die wichtigsten Dinge sind für sie Geld und Wohlstand, und da sie in ihrer Jugend wie Tiere um das Überleben kämpfen mussten, benehmen sie sich auch wie Tiere. Ich möchte ausdrücklich festhalten, dass es hierbei hauptsächlich um weibliche Geschöpfe geht, die zufälligerweise durch ihre Heirat einen spürbaren sozialen Aufstieg erreicht haben. Menschen aus dem gleichen Milieu, die sich ihren späteren Erfolg und Wohlstand selbst erarbeitet haben, begegne ich dagegen mit tiefstem Respekt.

Kinder, die ihre Jugend in einer wohlhabenden Familie verbracht haben und nicht um das tägliche Überleben kämpfen mussten, lernen oft leider erst in späteren Jahren, dass ein zukünftiges Leben unter gleichen Bedingungen nicht selbstverständlich ist.

In meiner damaligen Situation ohne Führerschein und aufgrund der zusätzlichen Verpflichtung, entsprechende Unterhaltszahlungen an Sabrina zu leisten, war ich gezwungen, für einen Verlag Wochenzeitschriften im Jahresabonnement zu verkaufen. Meine Reisetätigkeit erledigte ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln und verkaufte diese Abonnements an zahlreiche Haushalte. Die Schilderung der dabei gesammelten Erfahrungen würde allerdings ein eigenes Kapitel in Anspruch nehmen und von Konfrontationen mit bissigen Hunden, über sexhungrige Frauen die unbedingt und sofort befriedigt werden wollten, homosexuelle Männer, bis hin zu alten Frauen, die mir unbedingt ihre langen Krankheitsgeschichten erzählen wollten, gehen. Alles in allem verdiente ich durch den Verkauf dieser Zeitschriften in jener Zeit überdurchschnittlich viel Geld; da ich aber auch mehrmals auf gewisse Wünsche des weiblichen Geschlechts eingegangen war, waren meine Provisionen letztendlich hart erarbeitetes Geld. Nach einem Jahr gab ich diese Tätigkeit wieder auf und zog es vor, die nächsten Jahre in verschiedenen Unternehmen im Außendienst zu verbringen.

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Anuschka

In der Zwischenzeit hatte ich mein achtundzwanzigstes Lebensjahr erreicht und war zum zweiten Mal verheiratet. Anuschka, mit der ich mein Leben in den folgenden neunundzwanzig Jahren teilen sollte, entsprach in jeder Beziehung meinen Vorstellungen. Noch weit entfernt von meinen Vorstellungen war in jenen Tagen allerdings mein beruflicher Erfolg, der sich noch immer nicht zu meiner Zufriedenheit eingestellt hatte. In jener Zeit hatte ich mich durch Fleiß bewährt und war in einem Pharmaunternehmen zum Verkaufsleiter befördert worden. Damit konnte ich sorglos einer geordneten Zukunft mit gesicherter Pension entgegensehen, doch dies war alles andere als meine Erfüllung. Ein Leben zu leben, wie es Millionen andere Menschen täglich leben und leben müssen, das war nicht mein Leben. Es musste etwas geschehen, meine innere Unruhe war nicht mehr zu ertragen, ich wollte unter allen Umständen eine selbstständige Tätigkeit ausführen. Also begann ich, neben meiner täglichen Arbeit als Angestellter, einige Industriemessen im In- und Ausland zu besuchen, um geeignete Industriegüter zu finden, die ich selbstständig verkaufen konnte. Anuschka, die nur sehr bescheidene Anforderungen an das Leben hatte und innere Werte über finanziellen Wohlstand stellte, war mit meinem Wunsch einverstanden, eine eigene Firma zu erarbeiten.

 

Wir hatten ein schönes Zuhause und waren sehr glücklich, meine frühere Ehe mit Sabrina belastete mich nun nicht mehr. Durch die zusätzlichen Ersparnisse, die Anuschka in unsere Ehe eingebracht hatte, war jede Grundlage für ein erfülltes Zusammenleben geschaffen. Meine Eltern dankten Gott, dass eine Frau wie Anuschka mit mir zusammen war und Anuschka wurde in meiner Familie wie ein eigenes Kind aufgenommen und in jeder Beziehung respektiert.

Anuschka war die Tochter eines Großgrundbesitzers und durfte im Kreise ihrer Familie eine schöne Jugend verbringen. Doch infolge politischer Machtverschiebungen und militärischer Auseinandersetzungen hatte die Familie ihr wunderschönes Anwesen in der damaligen Tschechoslowakei verloren, ein Schicksalsschlag, den ihr Vater nicht überlebte. Die Familie musste ihre angestammte Heimat verlassen und in einem fremden Land ein neues Leben beginnen. Diese Herausforderungen schweißten diese Familie zu einer untrennbaren Einheit zusammen und ihre damalige Umgebung inmitten von Natur und Tieren formte Anuschkas Charakter. Anuschkas Mutter war für den Vater immer eine Dame und aus diesen Gründen ist auch Anuschka eine Dame geworden. Ihre Erziehung war vollkommen, Ethik und Moral waren immer eine Selbstverständlichkeit und niemals während unserer neunundzwanzig Jahre des Zusammenseins hörte ich ein Wort des Fluches oder eine Lüge. Anuschka ist wirklich die einzige Dame, die ich in meinem bisherigen Leben kennen gelernt habe. Anuschkas vollendete Schönheit war nicht so sehr äußerlich, sondern vielmehr innerhalb ihrer Seele feststellbar. Ihre äußere Erscheinung entsprach einer rauen und faszinierenden Landschaft, ihre Augen waren blaue Kornblumen, ihr Körper war schlank und biegsam wie eine Ähre. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Anuschka ohne ihre Jugenderlebnisse das Leben mit mir so lange Zeit hätte ertragen können. Hinzu kam allerdings auch unsere Tochter Katja, die in jedem Fall ebenfalls ein Recht auf geordnete Familienverhältnisse in einem schönen Zuhause hatte.

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Die zweite Firma

Durch die Besuche bedeutender Industriemessen im Ausland fand ich wieder interessante Produkte, diesmal der Nahrungsmittelbranche, die ich in der Schweiz als selbstständiger Unternehmer an die Industrie verkaufen konnte. Das nötige Startkapital für meine zweite Firma bekam ich abermals von meinen Eltern, doch trotz unermüdlicher Arbeit und größtem persönlichen Einsatz war es äußerst schwierig, diese Produkte an die Industrie zu verkaufen; der Aufbau dieses neuen Geschäftes verschlang kontinuierlich zusätzliche Geldmittel, die ich als Kredite von verschiedenen Banken erhielt. Da mir in relativ kurzer Zeit viele kleinere Aufträge erteilt wurden, musste sich der gewünschte Erfolg langfristig einstellen, was dann auch geschah, nachdem ich entsprechende Aufträge erhalten hatte. Somit konnten nicht nur meine Kredite an die Banken in kurzer Zeit zurückbezahlt werden, sondern ich war auch in der glücklichen Situation, zusätzliche Vermögenswerte erarbeiten zu können. Die folgenden zwei Jahre waren von Erfolg gekrönt und mein privates Leben mit meiner Familie vom Glück gesegnet. Doch leider gibt es die Ewigkeit nur im Tode und so traf mich die Nachricht meines Herstellers, in der Schweiz eine eigene Tochtergesellschaft gründen zu wollen und deshalb unsere Lieferverträge bald nicht mehr erfüllen zu können, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich hatte diesen Markt mit Fleiß und großem finanziellen Risiko aufgebaut, nun sollten andere davon profitieren – ich gebe zu, dass ich dies nur schwer akzeptieren konnte.

Damals begriff ich, dass Rücksichtslosigkeit, Brutalität und amoralisches Handeln die Schlüssel zu einem umfassenden finanziellen Erfolg sind. Diese Ausbeuter, die sich als Menschen bezeichnen, kennen kein Maß und wollen zusätzlich noch mehr in ihren gierigen Rachen stecken; die Erfahrung zeigt leider, dass nur wenige an dieser unersättlichen Gier ersticken. Dies ist auch der Grund dafür, dass große Unternehmen und deren Vorstände und Aktionäre auf Kosten des Mittelstandes immer mächtiger werden. Zukunftsweisende Unternehmen, denen trotz harter Arbeit, einer entsprechenden Portion Pioniergeist und eines großen finanziellen Risikos aufgrund zu geringen Eigenkapitals der verdiente Erfolg nicht beschert ist, werden schließlich durch Großkonzerne und Banken übernommen oder maßgeblich kontrolliert.

Durch diesen Verlust war ich gezwungen, unverzüglich ein Ersatzprodukt zu finden, um meine Kunden weiterhin beliefern zu können, doch trotz größter Bemühungen konnte ich keinen Fabrikanten finden, der genau jene Erzeugnisse herstellte. Damals habe ich erkannt, dass Diversifikation durch verschiedene Erzeugnisse notwendig ist, damit ein Unternehmen solche Rückschläge überleben kann. Um jedoch solche Vorhaben zu realisieren, war einmal mehr das notwendige Kapital unerlässlich. Ich habe alles Mögliche und Unmögliche versucht, meine kleine Handelsfirma vor dem Schlimmsten zu bewahren, doch ich war erneut gezwungen, Bankkredite in Anspruch zu nehmen. Diese erhielt ich auch auf Basis des vorangegangenen Erfolges und damit unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, und somit hatte ich betrügerische Handlungen begangen. Der Zusammenbruch meiner Firma war schließlich die Folge, mein Zuhause, das ich so sehr geliebt hatte, wurde aufgelöst und der gesamte Hausrat zwangsrechtlich versteigert; meine Frau Anuschka verlor ihren ererbten Schmuck und ihre gesamten Ersparnisse. Obwohl mir auch meine Eltern wieder zur Seite standen und die enorme Summe des restlichen Schadens beglichen, konnten die vorangegangenen Strafanzeigen der betroffenen Banken nicht mehr zurückgezogen werden. Das in diesem Verfahren gefällte Gerichtsurteil brachte mir infolge der früheren Strafe, die ich bereits ausführlich erwähnt habe, sieben Monate Gefängnis ein.

In dieser schweren Zeit ist Anuschka immer zu mir gestanden, Streitigkeiten und Vorhaltungen sind ausgeblieben, alle Schmach und Erniedrigung hat sie über sich ergehen lassen. Während der Zeit, in der meine Straftaten untersucht wurden und es noch kein rechtskräftiges Urteil gab, bewarb ich mich um eine gehobene Anstellung in einer Schweizer Firma, die für ihre Niederlassung in Deutschland einen Geschäftsführer suchte. Da ich meine in Aussicht gestellte Gefängnisstrafe um jeden Preis umgehen wollte, ergriff ich alle mir zur Verfügung stehenden Maßnahmen, um diese Anstellung zu erhalten. In den diversen Vorstellungsgesprächen präsentierte ich mich und meine Person durch eine äußerst gepflegte Erscheinung und perfekte Manieren, die bei allen Menschen einen unerschütterlichen Eindruck von Seriosität hinterlassen, so gut, dass ich mit meinem Auftritt sicher einen Film-Oskar gewonnen hätte. Unbestritten ist natürlich, dass ich nicht mit legalen Mitteln, die der Wahrheit entsprachen, operierte und die geforderten Qualifikationen schlichtweg nicht besaß. Doch obwohl ich die für diese neue Tätigkeit gewünschten Branchenkenntnisse nicht oder nur sehr unzureichend hatte und auch andere Bewerber im Gespräch waren, erhielt ich diese Anstellung. Nach einer längeren Einführungs- und Ausbildungszeit in der Schweiz, die ich zu meiner eigenen Überraschung ohne größere Probleme absolvierte, konnte ich meine neue Aufgabe in Stuttgart übernehmen. Ein überdurchschnittliches Gehalt und das mir zur Verfügung gestellte Wohnhaus in einer gepflegten Umgebung waren die Grundpfeiler eines Neubeginns meiner bis zu jenem Moment gescheiterten Existenz. Meine Frau Anuschka und ich waren überaus glücklich, in einem fremden Land ohne Vergangenheit leben zu können.

Die neue Tätigkeit war für mich eine vollkommene Herausforderung, meine Arbeitstage bestanden aus fünfzehn und mehr Stunden, einige Wochenenden verbrachte ich sogar vollständig in meinem Büro. Alle meine Vorhaben und Ideen konnten ohne finanzielle Belastungen durchgeführt werden, was längerfristig, wenn es sich denn um ein gutes Projekt handelte, den gewünschten Erfolg bringen musste. So konnte ich denn auch alle Erwartungen und Ziele meines Arbeitgebers mehr als erfüllen und die Verkaufszahlen unserer Erzeugnisse überdurchschnittlich steigern. Meine Eltern, die uns regelmäßig besuchten, waren sehr stolz auf ihren Sohn, der, so schien es, endlich den richtigen Weg gefunden hatte. So zumindest hofften sie, doch leider fand dieses Leben in Frieden und Erfolg nach zwei Jahren ein tragisches Ende.

Aufgrund der gegen mich verhängten Gefängnisstrafe wurde ich quasi aus heiterem Himmel von der Polizei verhaftet. Genau diese Gefängnisstrafe hatte ich ja um jeden Preis umgehen wollen; nach der Übersiedelung nach Deutschland hatte ich auch gar nicht damit gerechnet, dass ich im Ausland jemals wieder mit dieser Angelegenheit konfrontiert werden würde. Doch nun saß ich in Auslieferungshaft. Nach einer Woche Gefängnis wurde ich bis zum Entscheid über das Auslieferungsgesuch mit der Auflage entlassen, mich täglich bei der Polizeiwache meines Wohnortes zu melden. Die folgenden Gespräche mit meinem vollkommen schockierten Arbeitgeber über die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses waren erfolglos und mein Anstellungsvertrag wurde mit sofortiger Wirkung aufgelöst.

Trotz einer größeren Abfindungssumme bedeutete der Verlust dieser Arbeit für mich das Ende, außerdem teilte mir mein Rechtsanwalt mit, dass dem anstehenden Auslieferungsgesuch mit größter Wahrscheinlichkeit entsprochen werden würde. Meine Ehefrau Anuschka, die nach wie vor zu mir stand und auch diese Pleite über sich ergehen ließ, bat mich, meine Gefängnisstrafe in der Schweiz zu verbüßen; solange diese Angelegenheit nicht aus der Welt geschafft sei, war an eine Fortführung eines normalen Familienlebens nicht zu denken. Nach der Auflösung unseres Haushaltes und dem Verkauf aller Möbel kehrten wir in die Schweiz zurück. Trotz Ausweiskontrolle an der Schweizer Grenze wurde ich dort entgegen aller Erwartungen nicht sofort verhaftet; ich stellte mich jedoch anschließend in Begleitung meines Rechtsanwaltes den Behörden «zur Verfügung». Währenddessen fanden meine Frau und unsere Tochter ein vorübergehendes Zuhause bei meinen Eltern.

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