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2.1.2 Geschichte des DRG-Systems

Die Abkürzung DRG steht für „Diagnosis Related Groups“ und stellt – wie vermutlich den meisten Lesern bekannt ist – ein Patientenklassifikationssystem dar. Bereits vor über 100 Jahren forderte der renommierte US-amerikanische Chirurg Dr. Eugene Codman, praktizierend am Massachusetts General Hospital, in einem Aufsatz an die Philadelphia County Medical Society die Entwicklung einer Methode, um in einer Art vergleichendem Krankenhausreport die Ergebnisse von Behandlungen unterschiedlicher Institutionen beurteilen zu können (1).

1967 wurde in den USA per Gesetz verlangt, dass sich Kliniken, welche staatlich versicherte Patienten betreuten und finanzielle Unterstützung vom Staat erhielten, einem Programm zur Qualitätsverbesserung anschlossen. Daraufhin erhielten Robert Fetter und sein Team an der Yale University, USA zusammen mit dem angeschlossenen Universitätskrankenhaus den Auftrag zur Entwicklung eines Instrumentes für die Inanspruchnahme und Qualitätssicherung und legten so den Grundstein für die darauffolgenden DRG-Systeme (2). Die ursprüngliche Motivation hinter der Entwicklung der DRGs war also, Krankenhausleistungen zu messen und zu vergleichen, um die Effizienz innerhalb der Kliniken zu erhöhen. Die Anwendung der DRGs zu Abrechnungszwecken war nicht Bestandteil der ersten Entwicklungsphase und erfolgte erst deutlich später.

Bereits in den Anfängen dieses Systems wurde zwischen MDCs (Major Diagnostic Categories) und DRGs unterschieden. MDCs stellen Hauptdiagnosegruppen dar (z.B. Erkrankungen des Kreislaufsystems, Erkrankungen der Atmungsorgane etc.), welchen einzelne DRGs untergeordnet sind (DRG des Herzinfarktes in der MDC der Erkrankungen des Kreislaufsystems, DRG der Lungenentzündung in der MDC der Erkrankungen der Atmungsorgane etc.).

Die erste Version des DRG-Systems wurde im Jahre 1973 entwickelt und beinhaltete 54 MDCs und 333 DRGs. Die zweite Version wurde entwickelt für die Federal Social Security Administration, beinhaltete 83 MDCs und 383 DRGs, während die dritte Version für den Bundesstaat New Jersey entwickelt wurde, welcher ein DRG-System als Abrechnungssystem in seinen Kliniken einsetzen wollte (1).

Die finale Version des DRG-Systems wurde entwickelt für die Health Systems Management Group an der Yale University, mit der Absicht, ein Patientenklassifikationssystem zu erschaffen zur Differenzierung des betriebenen Aufwandes. Aus diesen genannten Entwicklungen ging schlussendlich das HCFA-DRG-System ab 1983 hervor, welches aus 23 MDCs und 470 DRGs bestand und im Rahmen des „Medicare Programs“ zum Einsatz kam.

Einen Überblick über die Entwicklung der einzelnen DRG-Systeme in verschiedenen Ländern gibt Abbildung 2.1 (3).

Abb. 2.1Auszug von geplanten, nicht mehr genutzten und aktuell genutzten DRG-Systemen in verschiedenen Ländern der vergangenen Jahre (3).

Auch im europäischen Ausland nahmen die Bestrebungen zu, Patientenklassifikationssysteme in die dortige Landschaft des Gesundheitswesens zu implementieren. Im Jahre 1984 trafen sich Robert Fetter, Mitglieder seines Teams und Vertreter von fünf europäischen Ländern (Belgien, Frankreich, Irland, Niederlande und Portugal) zu einer Konferenz im Gesundheitsministerium Frankreichs zu einem ersten Informationsaustausch über Entwicklung, Erfahrung und Anwendung von DRGs im Gesundheitswesen.

Bereits 2 Jahre später anlässlich einer Folgekonferenz in Dublin nahmen bereits 11 europäische Länder teil. Auch in Australien fanden ab 1984 erste Konferenzen und Seminare statt, welche die Implementierung eines DRG-Systems erörtern sollten.

Das Team um Robert Fetter organisierte auch in den darauffolgenden Jahren diverse grosse Konferenzen wie z.B. in London 1986, in Washington 1987 und Sydney 1988, um weiteren internationalen Support für ihre Entwicklung zu generieren. Als Resultat dieser Bemühungen wurde z.B. in Australien im Jahre 1992 in das Gesundheitssystem des Commonwealth das sogenannte AN-DRG-System implementiert (1), welches 1999 durch das AR-DRG-System abgelöst wurde. Auf seiner Grundlage wiederum basierte das in Deutschland im Jahre 2003 eingeführte G-DRG-System. Da sich auch in Europa die Landschaft der einzelnen Gesundheitssysteme rasch weiterentwickelte, wurden Bestrebungen nach einer Vereinheitlichung von Patientenklassifikationssystemen laut.

In den Jahren 2009 bis 2011 fand unter dem Begriff „EuroDRG“ ein grosses Projekt von insgesamt 10 Ländern (Österreich, England, Estland, Finnland, Frankreich, Deutschland, Niederlande, Polen, Spanien, Schweden) statt mit dem Ziel, zunächst vergleichende Charakteristika wie z.B. Klinikkosten zu eruieren und – wenn möglich – ein Benchmarking diesbezüglich zu entwickeln. Auch weitere Länder nahmen an aufwendigen Analysen ihrer Gesundheitssysteme teil, wie z.B. Dänemark, Ungarn und Italien im Rahmen des „Health Basket Projects“.

Auf die anderen, in Abbildung 2.1 erwähnten DRG-Systeme wird an dieser Stelle bewusst nicht eingegangen, da es den Rahmen einer Einführung in das DRG-System sprengen würde.

Im Jahre 2005 beschlossen die zuständigen Behörden in der Schweiz, auf der Grundlage des deutschen DRG-Systems (G-DRG) ein für das Schweizer Gesundheitswesen adaptiertes Fallpauschalensystem einzuführen. Zuständig für die Entwicklung und Weiterführung dieses Systems ist die SwissDRG AG, eine gemeinnützige Aktiengesellschaft, welche im Januar 2008 gegründet wurde und sich aus Vertretern der Leistungserbringer, Versicherer und Kantone zusammensetzt. Das neue Fallpauschalensystem, SwissDRG genannt, trat per 01. Januar 2012 in Kraft.

2.1.3 Grundlagen des DRG-Systems und der Ertragsgenerierung

Wir haben in Kapitel 2.1.1 den groben Ablauf von der Aufnahme eines Patienten in eine Klinik, die Behandlung in der Klinik, die Entlassung aus der Klinik, die Erstellung des Entlassungsberichtes und die Medizinische Kodierung gemäss Entlassungsbericht kennengelernt. Durch die Medizinische Kodierung erfolgt die Einteilung eines Falles in eine DRG, in unserem Fall in die DRG E77 F. Dieser DRG ist ein Kostengewicht hinterlegt, welches mit der Basisrate multipliziert wird und so den Ertrag für die Klinik generiert. Dies sollten wir uns noch genauer anschauen.


Uns ist bewusst, dass die nun folgenden Schilderungen recht detailliert erfolgen. Sie sind jedoch, wie wir später erkennen werden, enorm wichtig für die Beantwortung der am Ende von Kapitel 2.1.1 gestellten 3 Fragen und für das Verständnis der in Kapitel 4.2 folgenden analytischen Vorgänge mit der Frage nach ökonomischem Potenzial.

Um den Mechanismus hinter der Erlösgenerierung durch eine DRG noch besser nachvollziehen zu können, sollte man zunächst die Nomenklatur einer DRG (s. Abb. 2.2) und den prinzipiellen Aufbau einer DRG (s. Abb. 2.3) verstehen.

Die Medizinische Kodierung hat das Fallbeispiel aus Kapitel 2.1.1 in die DRG E77 F eingeteilt. Wie unschwer zu erkennen ist, besteht die Bezeichnung „E77 F“ aus 3 Teilen: dem grossen Buchstaben „E“, der Zahl „77“ und dem zusätzlichen Buchstaben „F“.


Abb. 2.2Erläuterung der Nomenklatur der DRG E77 F. „E“ = MDC der Krankheiten und Störungen der Atmungsorgane. „77“ = Angabe der Behandlung, hier konservativ. „F“ = Schweregrad. Die Nomenklatur kann länderspezifischen Abweichungen unterliegen.

Abb. 2.3Exemplarischer Aufbau einer DRG mit 6 Partitionen und den jeweils für die DRG E77 zugeordneten Kostengewichten gemäss Fallpauschalenkatalog SwissDRG 2020.

Der Buchstabe „E“ stellt hierbei die Zuordnung der DRG in die sogenannte MDC (Major Diagnostic Category) der „Krankheiten und Störungen der Atmungsorgane“ dar. Eine MDC (Major Diagnostic Category) wird im deutschen Sprachgebrauch auch als Hauptdiagnosegruppe bezeichnet. MDCs entstehen, indem alle im ICD-10-Katalog bekannten Diagnosen in Hauptdiagnosengruppen eingeteilt werden, und beziehen sich auf Erkrankungen eines Organs oder die Ursache einer Erkrankung. Die Einteilungen in die MDCs erfolgen also in der Regel organbezogen. In unserem Fallbeispiel ist die Patientin an einer Lungenentzündung erkrankt, also einer Erkrankung der oberen Atemwege, und der Fall wurde eingeteilt in die DRG E77. Ein anderer Patient mit einer COPD (Chronisch Obstruktive Lungenerkrankung) ohne Lungenentzündung wäre in eine andere DRG eingeteilt worden, aber in dieselbe MDC, da die Erkrankungen der oberen Luftwege gemeinsam in eine MDC eingeteilt werden. Ein dritter Patient mit einer Lungenembolie (= Durchblutungsstörung von Lungengefässen) wäre wiederum in eine andere DRG eingeteilt worden, aber erneut in dieselbe MDC etc.

 

Die Zahl „77“ der DRG E77 F gibt an, dass es sich hierbei um eine konservative Behandlung handelt. Allgemein ist in der Nomenklatur einer DRG eine grosse Breite dieser numerischen Kennzeichnungen möglich. Einfach ausgedrückt: Andere Zahlen können bedeuten, dass eine DRG z.B. mit einem chirurgischen Eingriff verknüpft ist. Die Zahl „06“ der DRG „E06“ im SwissDRG-System gibt an, dass es sich um eine chirurgisch assoziierte DRG handelt, nämlich um operative Eingriffe an den Lungen.

Der Buchstabe „F“ stellt eine Partition oder einen DRG-Code dar. Allgemein formuliert, bildet der Buchstabe „A“ den höchsten Schweregrad der Erkrankung eines Falles ab, alle darauf folgenden Buchstaben im Alphabet niedrigere Schweregrade (s. unten, „PCCL“). Der Teil „E77“ wird auch als Basis-DRG bezeichnet. Durch die genauere Bezeichnung mittels „F“ entsteht dadurch die eigentliche DRG E77 F.

Wir haben nun übersichtsartig die Nomenklatur einer DRG erläutert. Anzumerken ist, dass länderspezifische Abweichungen bestehen können, was an den Grundlagen der Nomenklatur allerdings nichts ändert. Jetzt sollten wir noch den Aufbau einer DRG besser verstehen:

Eine DRG setzt sich in der Regel aus mehreren Teilen, den sogenannten Partitionen oder DRG-Codes, zusammen. Einer jeden Partition ist ein sogenanntes Kostengewicht zugeordnet. Die Partitionen selbst werden mit grossen Buchstaben gekennzeichnet, wobei die Höhe der Kostengewichte mit den Buchstaben in der Reihenfolge des Alphabetes tendenziell abnimmt. Die Partition „A“ hat, wie in Abbildung 2.3 ersichtlich ist, eine höhere Zahl, also ein höheres Kostengewicht als die Partition „F“. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass es auch DRGs mit nur einer Partition resp. einem DRG-Code gibt, auf welche jedoch der Einfachheit halber bewusst nicht eingegangen wird.

Durch die Einteilung des Falles in die DRG E77 F mit einem Kostengewicht von 0,626 ist allerdings noch kein Ertrag definiert. Dieser entsteht, wie bereits mehrfach erwähnt, wenn man dieses Kostengewicht mit der Basisrate multipliziert, einem fixen Betrag, welcher mit den Leistungsträgern ausgehandelt wird. Diese Basisrate wird in der jeweiligen Landeswährung angegeben, also z.B. in Euro oder Schweizer Franken. Das Produkt aus Kostengewicht (hier 0,626 gemäss DRG E77 F) und Basisrate ergibt also den Ertrag, welchen eine Klinik für die Behandlung dieses Falles erhält.

Wie in Abbildung 2.3 zu erkennen ist, besteht die DRG E77 – hier im SwissDRG-Katalog des Jahres 2020 dargestellt – aus 6 einzelnen Partitionen resp. DRG-Codes mit von unten nach oben tendenziell ansteigenden Kostengewichten. Je „höher“ also ein Fall nach seinem Aufenthalt eingeteilt werden kann, desto höher ist das Kostengewicht und desto höher ist der Ertrag für die Klinik. Zu sehen sind teilweise deutliche Anstiege in den Kostengewichten. Gemäss unserem Fallbeispiel erfolgte die Einteilung durch die Medizinische Kodierung in die DRG E77 F, also in die unterste Partition, einhergehend mit dem niedrigsten Kostengewicht und somit mit dem niedrigsten Ertrag für die Klinik.

Dies lässt sofort die Frage entstehen: Wie also kommen wir weiter nach oben? Bevor wir auf diese Frage eingehen, sollten wir an dieser Stelle noch einige wichtige Begrifflichkeiten im DRG-System klären.

Ertrag/Erlös/Fallvergütung

Unter dem Ertrag im DRG-System, auch als Erlös oder Fallvergütung bezeichnet, versteht man die monetäre Vergütung der Behandlung eines Patienten gemäss der durch die Medizinische Kodierung ermittelten DRG. Die Fallvergütung setzt sich aus dem Produkt von 2 Parametern zusammen: dem variablen Kostengewicht je nach Partition/DRG-Code und der fixen Basisrate. Die Kostengewichte können sich jährlich ändern und sind in verschiedenen Ländern mit Pauschalsystemen in den entsprechenden Katalogen hinterlegt. Die Basisrate wird mit den Versicherungen und Leistungsträgern ausgehandelt.

In unserem Fallbeispiel in Kapitel 2.1.1 haben wir uns gefragt, ob durch eine suboptimale Dokumentation weniger Ertrag generiert wurde, als der Klinik zusteht. Ermittelt wurde die DRG E77 F mit einem Kostengewicht von „lediglich“ 0,626. Nur: Wie können wir beurteilen, ob die Fallvergütung korrekt gewesen ist? Hier kommt der sogenannten PCCL-Wert ins Spiel.

PCCL (Patient Clinical Complexity Level)

Komplikationen und Komorbiditäten sind Nebendiagnosen, welche in der Regel die Behandlung von Krankheiten erschweren und somit häufig mehr medizinische Ressourcen verbrauchen. Dies ist leicht verständlich: Eine Lungenentzündung bei einem 45-jährigen, sonst gesunden Patienten erfordert in der Regel weniger medizinische Ressourcen für die Behandlung als eine Lungenentzündung bei einer 82-jährigen, multimorbiden Patientin, welche als Komplikation ihrer akuten Erkrankung noch einen klar verringerten Sauerstoffpartialdruck im Blut aufweist und bei welcher noch ein Akutes Nierenversagen festgestellt wird.

Für Komplikationen und Komorbiditäten sind sogenannte Schweregradstufen vorgegeben, welche mit einem ganzzahligen Wert angegeben werden. Im SwissDRG-System sind dies die Zahlen 0 bis 4, in anderen Ländern können dies auch noch höhere Zahlen sein. Dies bedeutet, dass einige Komplikationen und Komorbiditäten mit einer dieser Zahlen versehen werden, andere nicht. Je schwerwiegender eine solche Komplikation oder Komorbidität im DRG-System beurteilt wird, desto höher ist diese Zahl. Bei der höchsten zu erreichenden Zahl, im SwissDRG-System ist dies die Zahl „4“, erfolgt die Einteilung eines Falles häufig in die höchste Partition einer DRG. Dies erklärt auch, warum in Abbildung 2.2 der Buchstabe „A“ im Kästchen „Schweregrad“ mit dem höchsten Schweregrad verknüpft ist.

Diese ganzzahligen Werte werden auch als CCL-Werte bezeichnet, wobei die Abkürzung für „Clinical Complexity Level“ steht, resp. gelegentlich auch als „Comorbidity and Complication Level“ bezeichnet wird. Berechnet man nun die Akkumulation dieser Punkte der Komplikationen und Komorbiditäten eines Patienten gemäss einer hier nicht näher beschriebenen komplexen Formel, so ergibt sich daraus der kumulative PCCL-Wert, welcher im deutschen Sprachgebrauch auch als patientenbezogener Schweregrad bezeichnet wird (4).

Generell kann man sagen, dass mit der zunehmenden Anzahl von CCL-Punkten die Chance steigt, in eine ökonomisch attraktiver bewertete Partition mit einem höheren Kostengewicht eingestuft zu werden.

Hier haben wir also einen ersten Hinweis auf unser oben genanntes Problem: Wir wollen gemäss Frage 1 am Ende des Kapitels 2.1.1 beurteilen, ob der generierte Ertrag wirklich der der Klinik maximal zustehende Ertrag ist. Wir sollten also darauf achten, ob bei diesem Fall alle relevanten Komplikationen und Komorbiditäten vollständig und präzise dokumentiert wurden. Wir sprechen an dieser Stelle bewusst von „relevanten“ Komplikationen und Komorbiditäten, da auch hier festgelegt ist, welche Komplikationen und Komorbiditäten CCL-Punkte ergeben und welche eben nicht. Die im DRG-System „relevanten“ Komplikationen und Komorbiditäten müssen zwingend vollumfänglich und präzise dokumentiert werden, damit die Medizinische Kodierung diese berücksichtigen kann.

In unserem Fallbeispiel zeigt sich, dass durch die exakte und vollständige Dokumentation der Hyponatriämie, der vorbestehenden Chronischen Nierenerkrankung im CKD Stadium III, des Akuten Nierenversagens im AKIN Stadium III und der pathologischen ABGA mit klar verringertem Sauerstoffpartialdruck der Fall in die DRG E77 E hätte eingeteilt werden können.

Und so können wir an dieser Stelle die Fragen 1 und 2 am Ende des Kapitels 2.1.1 bereits beantworten:

1.Durch eine suboptimale Dokumentation ist der Klinik ein relevanter Ertrag entgangen. Die DRG E77 E weist nämlich ein Kostengewicht von 0,862 auf. Dieser Unterschied im Kostengewicht bedeutet umgerechnet einen Mehrertrag von ca. 2.272 CHF.

2.Der in diesem Fall entscheidende Mechanismus zur Steigerung des Kostengewichtes ist also eine verbesserte Dokumentation, welche zu einem erhöhten PCCL-Wert führt. Durch diesen erhöhten Schweregrad darf der Fall in eine ökonomisch attraktivere Partition eingeteilt werden (E77 E statt E77 F).

Bevor wir Frage 3 nach Möglichkeiten der Einflussnahme auf eine Ertragssicherung im Alltag beantworten (s. Kap. 2.1.1), werden wir zunächst noch weitere wichtige Begriffe im DRG-System erörtern.

MVD

Die MVD (Mittlere Verweildauer) gibt die Anzahl der Behandlungstage in einer Klinik an, welche bei der Kalkulation einer spezifischen DRG wie der DRG E77 E oder E77 F zugrunde gelegt wurden. Die MVD einer DRG wird – wie die Kostengewichte auch – jährlich neu definiert und kann im jeweiligen Fallpauschalenkatalog nachgelesen werden. Für die DRG E77 E wurden im Jahre 2020 gemäss SwissDRG-Katalog eine MVD von 7,4 und für die DRG E77 F eine MVD von 5,6 Behandlungstagen kalkuliert.

Gemäss unserem Fallbeispiel konnte die Patientin 7 Tage später die Klinik wieder verlassen. Gemäss DRG E77 F wäre die Verweildauer von 7 Tagen somit zu lang. Gemäss der schlussendlich tatsächlich vorliegenden DRG E77 E dagegen entspricht diese Verweildauer in etwa der kalkulierten Verweildauer gemäss DRG-Katalog.

UGVD und OGVD

Für jede DRG ist eine UGVD (Untere Grenzverweildauer) und eine OGVD (Obere Grenzverweildauer), jeweils in Tagen, festgelegt. Innerhalb der Behandlungsdauer zwischen UGVD und OGVD wird der volle DRG-Ertrag fällig (= Produkt aus Kostengewicht und Basisrate). Wird ein Patient jedoch vor Erreichen der UGVD entlassen, so wird der DRG-Ertrag um einen Abschlag vermindert. Ein solcher Fall wird auch als „Low Outlier“ bezeichnet (s. Kap. 1.4). Bei Überschreiten der OGVD erhöht sich dementsprechend der DRG-Erlös um einen Zuschlag (5). Ein solcher Fall wird auch als „High Outlier“ bezeichnet (s. Kap. 1.4). Die Höhe von potenziellen Abschlägen und Zuschlägen ist für jede DRG festgelegt und kann ebenfalls dem aktuellen DRG-Katalog entnommen werden. Wir erkennen somit, dass der Ertrag nicht nur wie in unserem Fallbeispiel durch die Akkumulation von CCL-Punkten positiv beeinflusst werden kann, sondern auch Abschläge und Zuschläge den Ertrag verringern resp. steigern können.

Wir können an dieser Stelle festhalten:

Prinzipiell besteht die Möglichkeit, dass mit einer Steigerung des PCCL-Wertes durch eine vollständige und präzise Dokumentation ein Fall in eine ökonomisch attraktivere Partition innerhalb einer DRG eingeteilt wird. So hat eine Klinik die Möglichkeit, den ihr zustehenden Ertrag zu sichern resp. zu steigern.

Des Weiteren lässt sich der Ertrag beeinflussen über Abschläge und Zuschläge. Theoretisch denkbar, wenngleich nicht unserer Haltung entsprechend, ist das Vermeiden von Fällen mit „zu kurzer“ Verweildauer, welche also gemäss Abbildung 2.4 in den Bereich „A“ fallen und mit einem Abschlag versehen werden. Wir sind allerdings klar der Ansicht, dass die Verweildauer von Patienten nicht beeinflusst werden sollte durch rein ökonomische Betrachtungen oder Anreize. Eine Verlängerung der Verweildauer zur Vermeidung von Abschlägen kommt für uns somit nicht infrage. Ähnliches gilt für Zuschläge, welche man bei Überschreiten der OGVD erhalten kann. Zum einen decken solche Zuschläge selten die verursachten Kosten, zum anderen sollte unserer Ansicht nach ein Patient dann aus einer Klinik austreten, wenn es medizinisch vertretbar ist und nicht, wenn es ökonomisch opportun erscheinen mag.

Ausserdem besteht die Möglichkeit, mit einer durchgeführten Prozedur wie einem Eingriff in eine ökonomisch attraktivere Partition eingeteilt zu werden. Dies ist insofern sinnvoll, als dass eine Therapie ohne Prozedur/Eingriff nicht so kostspielig ist wie eine Therapie mit zusätzlicher Prozedur/Eingriff. Ein Patient mit einem akuten, ausgedehnten Herzinfarkt, welcher häufig mit einer Herzkatheteruntersuchung behandelt werden muss, wird somit aufgrund der durchgeführten Prozedur in eine besser vergütete DRG eingeteilt als ein Herzinfarkt, bei welchem man auf eine solche Prozedur verzichtet (z.B. aufgrund sehr hohen Alters, aktuell fehlenden Beschwerden o.ä.).

 

Abb. 2.4Schematische Darstellung des Zusammenhangs zwischen Verweildauer und Ertrag gemäss DRG-System. UGVD: Untere Grenzverweildauer; MVD: Mittlere Verweildauer; OGVD: Obere Grenzverweildauer. Bereich A: Verweildauer unter UGVD, es wird ein Abschlag fällig. Bereiche B und C: Verweildauer zwischen UGVD und OGVD, es werden weder Abschläge noch Zuschläge fällig. Bereich D: Verweildauer oberhalb OGVD, es wird ein Zuschlag fällig.

Weiterhin besteht noch die Möglichkeit einer Kombination dieser beiden Wege: Wird beispielsweise bei einem Patienten mit einer Gallenblasenentzündung die Gallenblase operativ entfernt, so steigt hier das Kostengewicht aufgrund der durchgeführten Prozedur. Liegen bei diesem Patienten ausserdem noch schwere Begleiterkrankungen vor, wie eine schwere Blutvergiftung (= Sepsis) und/oder eine Chronische Nierenerkrankung in fortgeschrittenem Stadium, welche den PCCL-Wert signifikant erhöhen, so ist eine Einteilung in eine nochmals ökonomisch attraktivere Partition möglich.

Auf spezielle Möglichkeiten der Ertragssicherung oder auch -steigerung wie z.B. die Durchführung von Komplexbehandlungen und zusätzliche Erträge wie Zusatzentgelte wird an dieser Stelle bewusst nicht eingegangen, da dies den Rahmen dieses Praxisbuches sprengen würde.


Take Home Messages

Eine DRG kann sich aus mehreren Partitionen resp. DRG-Codes zusammensetzen, welchen ein unterschiedliches Kostengewicht zugeordnet ist.

Die vollständige und präzise Dokumentation von „relevanten“ Komplikationen und Komorbiditäten ist entscheidend für die Erlösgenerierung, da diese sogenannte CCL-Punkte generieren können und den Gesamtschweregrad des Patienten korrekt abbilden.

Je mehr CCL-Punkte dokumentiert werden können, desto höher ist die Chance, dass der behandelte Fall in eine attraktivere Partition mit einem höheren Kostengewicht eingeteilt wird.

Die entscheidende dritte Frage am Ende des Kapitels 2.1.1 lautet nun: Wie können wir im klinischen Alltag Einfluss nehmen auf die einer Klinik zustehenden Erträge, sodass diese gemäss Abbildung 1.5 in Kapitel 1.5 das EBITDA positiv beeinflussen können? Dieser Frage werden wir im nun folgenden Kapitel 2.1.4 weiter nachgehen.