Geldsack

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

»Freu mich auch, dich zu sehen, Hedwig.« Fiona Zumboldt ertrug mit stoischem Blick auch das Bussi-Bussi des dicken alten Manns.

»Wir wollen nicht lange stören«, sagte Alois Zumboldt und schob sich in die Wohnung. »Termine, Termine, Termine und dann müssen wir noch zum Empfang vom Tourismusamt. Die Chinesen sind doch da. Da muss man ein bissl antichambrieren, gell?«

»Herr Pfeffer, meine Schwiegereltern. Hedwig und Alois Zumboldt«, stellte Fiona Zumboldt sie einander ganz nebenbei vor. »Sie wohnen direkt über uns. Überaus praktisch«, fügte sie sarkastisch hinzu.

»Soso«, sagte Hedwig Zumboldt demonstrativ desinteressiert und streifte den Kriminalrat kurz mit einem Blick. Dann sah sie irritiert noch ein zweites Mal hin. Pfeffer glaubte fast, ihre Gedanken lesen zu können. Zuerst, das war ihm klar, hatte sie ihn für Personal gehalten, den Chauffeur vielleicht. Mann im besten Alter, grauhaarig zwar bereits, aber sehr athletisch gebaut, breite Schultern, markantes Kinn. Und dann diese Augen. Schokoladiges Kuschelbraun, fiel Hedwig Zumboldt spontan ein. Dann registrierte sie, dass er für Personal zu teuer und zu geschmackssicher angezogen war. Womöglich ein Chauffeur mit speziellen Diensten für die Schwiegertochter? Wenn ja, dann verstand sie ihre Schwiegertochter bestens.

»Und was macht der Herr Pfeffer?«, fragte sie und schenkte ihm plötzlich ihre ganze Aufmerksamkeit. Pfeffer war sich sogar sicher, dass sie einen kleinen Flirtversuch in ihre blauen Augen legte. Irgendetwas an dieser Frau erinnerte Pfeffer an jemanden, an den er absolut nicht erinnert werden wollte.

»Der Herr Pfeffer ist bei der Kriminalpolizei«, sagte Pfeffer. Ihm entging nicht, dass Alois Zumboldt kurz zusammenzuckte und die Augenbrauen kraus zog.

»Und was verschafft uns die Ehre?«, fragte Hedwig Zumboldt. Sie ließ sich dabei ein wenig zu offensichtlich und zu tief in Pfeffers kuschelbraune Augen fallen.

»Es betrifft Ihren Sohn und Ihren Gatten«, antwortete Pfeffer. Doch bevor er weiterreden konnte, stürmten zwei Kinder den Flur entlang.

»Ach, da sind ja meine Schätzchen«, kreischte Hedwig Zumboldt und umarmte die beiden semmelblonden Kinder, die die Umarmung nicht erwiderten, sondern mit hängenden Armen über sich ergehen ließen. Der Junge mochte acht oder neun sein, seine kleine Schwester fünf oder sechs.

»Hast du uns was mitgebracht, Oma?«, fragte der Junge, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

»Natürlich, meine Schätzchen.« Sie nestelte zwei klein gefaltete Zwanzigeuroscheine aus ihrem Dekolleté und reichte sie den Kindern. Die tauschten einen schnellen abschätzigen Blick und schnappten sich das Geld.

»Du verwöhnst sie zu sehr«, sagte Fiona Zumboldt streng.

»Einer muss es ja tun«, antwortete ihre Schwiegermutter.

»Wie sagt man, Kinder?« Fiona Zumboldt sah ihre Kleinen streng an.

»Danke, liebe Oma«, sagten die beiden Kinder wie aus einem Mund, dressiert und gelangweilt.

»Deborah!«, rief ihre Mutter ungeduldig mit starkem, deutschem Akzent den Flur hinunter. »Deborah, where are you?«

Ein junges Mädchen mit hektischen roten Flecken auf den Wangen kam angerannt. »Yes, Ma’am.« Dass sie Britin war, konnte man selbst bei den wenigen Worten hören.

»Would you please take care of the children?«

»Of course, Ma’am. Come on my sweeties …« Das Kindermädchen namens Deborah führte die Kleinen weg. Pfeffer hörte noch, wie der Bub seiner Schwester »Twenty fucking Euro« zuflüsterte. »Yeah, so fucking miserly«, tuschelte die Kleine zurück. Die Nanny sah sich erschrocken um, doch da keiner der Zumboldts das offenbar gehört hatte und es keinen Anschiss gab, schob sie die Kinder schnell den Flur hinunter. »In this case, stingy would be the better word«, hauchte die Nanny den Kleinen zu. Dass das niemand mitbekam, lag daran, dass Alois Zumboldt lospolterte und alle Aufmerksamkeit auf sich zog: »Können wir jetzt endlich mal hören, warum dieser Pfeffer von der Kriminalpolizei hier ist? Also, Pfeffer, was gibt es?«

Pfeffer sagte, was es gab, ohne zu viele Details zu verraten. »Mehr kann ich Ihnen momentan noch nicht sagen, denn wir müssen das Obduktionsergebnis abwarten.«

Die Reaktion der Familie erstaunte ihn nicht, nach allem, was er bisher mitbekommen hatte. Die drei wechselten lauernde Blicke, als ob sie darauf warteten, wer als erstes eine Reaktion zeigte. Schließlich sagte die Witwe: »Das ist unschön.«

»So kann man es auch formulieren«, sagte Max Pfeffer.

Sie öffnete die oberste Schublade der Kommode, entnahm ihr eine Schachtel Zigaretten und zündete sich eine an.

»Mein Bub. Mein armer Bub.« Hedwig Zumboldt blinzelte hektisch, bis sie tatsächlich feuchte Augen bekam. »Ich hab immer befürchtet, dass es mal nicht gut mit ihm endet. Aber so?« Sie keuchte und schniefte, wühlte in ihrer Tasche nach einem Taschentuch und betupfte sich die Augen. Pfeffer glaubte ihr nicht.

»Hedy, was redest denn du.« Alois Zumboldt legte seinen Arm um seine Frau, schien aber über die Todesnachricht nicht weiter erschüttert. »Dass unser Bub mal nicht gut endet. So ein Schmarrn. Wieso sagst du denn so was?«

»Das würde mich auch interessieren«, sagte Max Pfeffer.

»Ach, das war nur so dahingesagt.« Die Frau schnäuzte sich lautstark und klopfte sich mit der Faust gegen die Brust. »Ich hab mir halt immer Sorgen um meinen Bub gemacht. Wie man das als Mutter halt so macht. Er war ja manchmal ein bissl wild und unangepasst. Da macht man sich als Mutter öfter mal Sorgen, nicht wahr, Herr Pfeffer? Haben Sie auch Kinder?«

Pfeffer nickte. Und ihr Blick rutsche sofort zu seinen Händen. Kein Ring.

»Eins? Zwei? Buben oder Mädchen?«

»Zwei Buben.«

»Sehen Sie, da kennen Sie das sicher auch!«, rief Hedwig Zumboldt. »Man macht sich um die Buben einfach immer mehr Sorgen!«

»Als um was?«, fragte Fiona zynisch und hektisch rauchend. »Als um Mädchen? Du hast keine Tochter, Hedy, nur einen Sohn. Hattest!«

»Musst du jetzt rauchen?«, zischte ihre Schwiegermutter. »Kannst du nicht mal an die Kinder denken?«

»Ich glaube, es ist besser, wenn ihr jetzt geht.« Fiona Zumboldt drückte die Zigarette in einem Porzellanaschenbecher aus. »Ich möchte ein wenig allein sein und das alles erst einmal verdauen.«

»Wenn wir irgendwas für dich tun können …«, sagte Hedwig Zumboldt.

»Sicher nicht.«

»Verständlich, dass Sie nun allein sein möchten«, sagte Pfeffer. »Sie haben ja einiges zu regeln. Ich muss Sie allerdings alle bitten, sich in den nächsten Stunden zur Verfügung zu halten. Meine Kollegen und ich werden Ihnen einige Fragen stellen müssen, wenn wir die Laborergebnisse haben.«

»Sicher.« Alois Zumboldt nickte.

»Eine Frage jedoch, bevor ich Sie allein lasse. Wo waren Sie heute früh so zwischen fünf und sieben Uhr?«

Fiona Zumboldt lachte gepresst. »Wo wohl? Im Bett! Und nein, dafür habe ich keinen Zeugen. Mein Mann und ich haben getrennte Schlafzimmer. Abgesehen davon, war er ja um diese Zeit nicht zu Hause!«

»Wir haben auch geschlafen«, sagte ihr Schwiegervater.

»Allerdings«, ergänzte seine Frau. »Und wenn Sie es genau wissen wollen, auch wir haben getrennte Schlafzimmer.«

Max Pfeffer trat hinaus in die milde Aprilsonne und atmete tief durch. Auf der Straße rauschte eine Tram vorbei, dann noch eine. Der Boden vibrierte leicht. Pfeffer telefonierte kurz mit Hauptkommissarin Hemberger, um diverse Anweisungen zu geben. Sie und Kollege Yusufoglu sollten sich in Zumboldts Büro umsehen.

Pfeffer, ganz Koffeinjunkie, brauchte sofort ganz viel Koffein, stark und schwarz. Er ließ den Tower hinter sich, lief die Müllerstraße ein kurzes Stück entlang und kehrte im Café Forum an der Ecke zur Corneliusstraße ein. Er kannte den Laden von früher, als er noch nicht so schick eingerichtet war und die Preise moderater waren. Man orientierte sich eben an der neuen Klientel im Viertel. Viele Tische waren mit meist weiblichen Frühstückern besetzt, Kinderwägen überall in den Gängen. Pfeffer erkannte auch einen beliebten Schauspieler. An der Bar schüttete Pfeffer schnell hintereinander einen doppelten Espresso und dann noch einen Macchiato hinunter und fühlte sich endlich besser. Er legte das Geld auf den Tresen und ging wieder zurück zum Tower. Er umrundete das Gebäude, um sich hinten im Garten noch einmal die Fundstelle der Leiche ganz in Ruhe anzusehen. Das machte er gerne. Nicht, dass er den Kollegen von der Spurensicherung misstrauen würde, aber Pfeffer hielt durchaus etwas von Intuition, und manchmal gab ein Tatort mehr preis, als wissenschaftlich zu benennen war.

Die Stelle zwischen Hecke und Hauswand, an der die Leiche gelegen hatte, war mit frischem Rindenmulch bedeckt, der kräftig nach Natur roch. Pfeffer ging in die Hocke und betrachtete eingehend den leichten Abdruck, den der Körper im weichen Untergrund hinterlassen hatte. Dann umrundete er gebückt die Fundstelle. Warum hatte Guido Zumboldt den Weg verlassen und war hinter die niedrige Hecke gestiegen? Denn dass der Fundort auch der Tatort war, ließ sich recht leicht daran erkennen, dass es keinerlei Schleifspuren, abgeknickte oder zertrampelte Zweige an der Hecke gab. Der Täter musste auf der anderen Seite der Hecke gestanden und dann sein Opfer von hinten erschlagen haben.

Pfeffer spürte, dass er beobachtet wurde. Er blickte auf. Der Gärtner stand am anderen Ende der Grünfläche mit einem Rechen in der Hand und blickte herüber. Als er bemerkte, dass Pfeffer ihn bemerkt hatte, schaute er schnell weg und begann zu rechen. Max Pfeffer richtete sich auf, dabei fiel ihm etwas im Mulch auf. Zwei kleine Papierschnippelchen. Entweder lagen sie nicht im Bereich, den die Spurensicherung unter die Lupe genommen hatte, oder sie waren tatsächlich niemandem aufgefallen. Pfeffer hob sie auf und betrachtete sie nachdenklich. Irgendwie kam ihm das Papier bekannt vor, doch er konnte sich nicht erinnern. Mit ihren geraden Kanten sahen sie aus wie aus einem Aktenvernichter. Pfeffer steckte sie in seine Brieftasche und ging zum Gärtner hinüber, der rechte und dabei so tat, als würde er Pfeffer nicht beachten.

 

»Eine Frage noch, Herr Stockmair«, sagte Pfeffer.

»Sicher.« Lenz Stockmair stützte sich auf seinen Rechen und sah Pfeffer nicht in die Augen, sondern hielt den Blick auf dessen Brust fixiert.

»Was haben Sie gemacht, unmittelbar nachdem Sie den Toten gefunden haben?«

»Da habe ich die Polizei gerufen, was sonst?«

»Nein.«

»Nein?« Stockmairs Blick flatterte unsicher hinauf zu Pfeffers Augen und rutschte sofort wieder zurück zum Brustbein. »Doch. Habe ich.«

»Nein. Wie uns die Überwachungskameras verraten haben, waren Sie offenbar erst noch im Haus und haben dann bei Ihrer Rückkehr die Polizei gerufen.«

Stockmair schluckte und nickte langsam. »Ja. Ja. Das stimmt. Ich … ich musste mich übergeben. Tschuldigung. Ich bin schnell rein auf die Toilette, und danach habe ich die Polizei gerufen. Bekomme ich jetzt deswegen Ärger?«

Pfeffer glaubte erst, der Gärtner würde ihn auf den Arm nehmen, doch er sah, dass es ihn ernsthaft beschäftigte. »Nein, sicher nicht. Ach, doch noch eine Frage. Haben Sie jemanden gesehen?«

»Na ja, Schorsch, der Chefhausmeister ist bei mir in der Umkleide gewesen. Der ist dann aber gleich vor zum Portier, um die Aufgaben für den Tag zu besprechen. Das macht der immer so. Und dann, als ich zur Tür raus bin, hat da der Bursche aus dem siebten mit seiner Freundin rumgeknutscht. Timo Dollmann. Die sind fast die Treppe runtergefallen, als ich die Tür aufgemacht habe. Die sind dann reingegangen. Mehr weiß ich nicht.«

»Danke, das reicht erst einmal. Und ein Tipp so unter uns: Gehen Sie nach Hause. Ruhen Sie sich einen Tag lang aus. Dafür wird Ihr Chef sicher Verständnis haben.«

»Mein Chef schon …« Lenz Stockmair zuckte mit den Schultern. »Er hat schon gesagt, dass ich gehen soll. Ich mach das hier nur noch fertig. Dabei ist jetzt die Zeit, wo wir Gärtner so viel zu tun haben.«

06 »Timo! Wo steckst du schon wieder!«, brüllte Olaf Dollmann durch den Flur. Kurz danach stürmte er in das Zimmer seines Sohnes. Zu schnell für Timo, der mit seiner nächtlichen Eroberung gerade den Doggystyle ausprobierte.

»Was ist denn hier los!«, explodierte Dollmann.

Das Mädchen schubste Timo von sich und raffte schnell die Bettdecke vor die Brust.

»Mann, Alter, reg dich ab«, schnauzte Timo zurück. »Noch nie was von Anklopfen gehört? Genau deshalb platzt man bei seinem geschlechtsreifen Sohn nicht einfach so ins Zimmer! Selbst wenn er allein ist, könnte es nämlich ziemlich peinlich werden.«

»Komm mir nicht so, kleiner Klugscheißer.« Olaf Dollmann versuchte sich zu beruhigen, was für ihn angesichts der erschlaffenden Erektion seines Sohnes, die der provokant nicht bedeckte, kaum zu managen war. Er brüllte für gewöhnlich nur in seinem Architekturbüro herum. Zu Hause bemühte er sich, seine cholerischen Anfälle in den Griff zu bekommen. Er hatte es Carla versprochen. Er sah aus dem Fenster. Wenn Föhn wäre, könnte man die Alpen sehen. Dass die beiden Dollmänner Vater und Sohn waren, sah man auf den ersten Blick. Der eine war die jüngere beziehungsweise ältere Version des anderen. Beide groß und hager, aber drahtig. Nur trug Timo sein Haar in langen verfilzten Dreadlocks, und sein Vater hatte die grauen Haare zu einem kleinen Pferdeschwanz gebunden.

»Du hast Hausarrest«, sagte Olaf Dollmann dann beherrscht. »Das müssen wir nicht schon wieder durchkauen, oder?«

»Ja, und?«, antwortete sein Sohn trotzig. »Hab ich deshalb auch Sexverbot?«

»Wie kommt das Mädchen hier herein, wenn du Hausarrest hast?«

»Vorne. Durch die Tür. Hauseingang!« Timo redete mit seinem Vater wie mit einem Schwachsinnigen.

»Hausarrest beinhaltet selbstverständlich auch Besuchsverbot! Und warum habe ich davon nichts mitbekommen?«

»Weil du im Büro warst oder schon geschlafen hast, oder was weiß ich.« Timo zuckte mit den Schultern. »Im Gegensatz zu dir kontrolliere ich niemandes Leben! Nina ist gestern Abend zu mir gekommen, und wir haben hier die Nacht verbracht, nichts weiter. Ich habe gegen keine deiner Auflagen verstoßen. Von einem Besuchsverbot hast du vorher nichts gesagt.«

Sein Vater sah genervt und demonstrativ auf die Uhr. »Du bist nicht zum Frühstück erschienen, so wie wir es ausgemacht hatten!«

»Mein Gott, dann komm ich eben gleich zum Frühstück, wenns für dich so wichtig ist! Wir haben hier noch was zu erledigen, und dann komm ich zu Mami und Papi an den Frühstückstisch und spiele mit euch glückliche Familie. Okay?«

»Spar dir deinen Sarkasmus«, zischte sein Vater mit drohend erhobenem Finger und rauschte davon.

»Boah, heftig«, sagte das Mädchen. »Wieso Hausarrest? Wie uncool ist das denn? Wie alt bist du denn bitte schön?«

»Fast siebzehn, wieso?«

»Boah!« Das Mädchen sprang empört aus dem Bett. »Hör mal, ich bin zwanzig! Ich popp doch nicht mit einem Kind!«

»Hast du heute doch schon zweimal. Komm, hier wartet ein tolles Spielzeug auf Nummer drei.« Timo deutete auf seine Körpermitte.

Aber Nina zog sich hastig an, darum schlüpfte er auch in irgendwelche Klamotten, die herumlagen, brachte sie zur Tür und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange, bevor er die Tür zuzog. Er war immer noch auf Droge, drum war es ihm egal. War eh nur ein Aufriss für eine Nacht, morgen würde er nicht mal mehr ihren Namen wissen.

Am Frühstückstisch saßen sein Vater und dessen zweite Frau Carla, die ebenso seine Tochter hätte sein können. Olaf Dollmann schmierte sich dick Leberwurst auf eine Brötchenhälfte.

»So, da bin ich.« Timo machte eine clowneske Verbeugung vor seinem Publikum, bevor er sich setzte. »Soll ich euch jetzt dabei zuschauen, wie ihr euch pürierte Tierleichen aufs Brot schmiert?«

»Verschon mich mit deinem Vegetarierscheiß«, brummte sein Vater, während er in sein Brötchen biss.

»Veganer, wie oft soll ich es denn noch sagen«, sagte Timo entnervt.

»Olaf, lass ihn doch«, sagte Carla und lächelte bemüht. »Das ist eine Phase, das machen jetzt alle. Hier, das sind vegane Brötchen.«

»Das ist keine Phase«, knurrte Timo. »Und das machen leider noch viel zu wenige. Du brauchst dich übrigens auch gar nicht bei mir einzuschleimen.«

»Was ist eigentlich dein Problem?« Olaf Dollmann explodierte. Carla legte ihm beruhigend ihre Hand auf seinen Unterarm.

»Als ob du das nicht wüsstest«, antwortete Timo sarkastisch.

»Carla versucht … nein, sie versucht es nicht nur, sie IST nett zu dir. Sie gibt sich jede erdenkliche Mühe, mit dir auszukommen. Sie kauft sogar vegane Brötchen! Was immer das auch sein mag. Aber du benimmst dich einfach nur erbärmlich!«

»Sind wir jetzt fertig?«, sagte Timo provokant ruhig.

»Du bist sechzehn! Du glaubst, du kannst hier mit irgendwelchen Miezen herumvögeln. Mit sechzehn! Dafür hältst du dich erwachsen genug?« Olaf Dollmann tippte sich empört an die Stirn. »Aber deine Stiefmutter auch nur halbwegs normal zu behandeln, ist nicht drin? Wer ficken will, muss freundlich sein …«

»Olaf, bitte«, sagte Carla leise.

»Entschuldige, Liebes, aber manchmal muss ich drastische Worte wählen, damit er das kapiert. Die Postkarte mit dem Spruch klebt ja in seinem Zimmer! Das gilt ab sofort auch hier in diesem Haus.«

»Das ist eine Phase, Olaf. Er ist immer noch in der Pubertät«, sagte Carla.

»Hört ihr euch eigentlich selber reden?« Timo stand auf und schnappte sich ein veganes Brötchen. »Ich werde in zwei Wochen siebzehn. So viel zum Thema Pubertät. Und was das Rumvögeln angeht, habe ich in dir ja den besten Lehrmeister.«

Olaf Dollmann sprang mit hochrotem Kopf auf. Timo machte unwillkürlich einen kleinen Satz nach hinten.

»Du gehst mir heute aus den Augen«, sagte Dollmann senior mühsam beherrscht.

»Nichts lieber als das.« Timo trollte sich in Richtung Wohnzimmer.

»Super. Osterferien mit Hausarrest. Ganz toll.«

»Auf dein Zimmer!«, rief ihm sein Vater hinterher.

»Boah, schon gut. Krieg keinen Herzinfarkt, alter Mann.«

»Was sagen Sie da?« Sybille Berger starrte Bella Hemberger mit offenem Mund an. »Das kann doch nicht sein?« Sie suchte schwankend Halt an einer Schreibtischkante und lehnte sich an.

»Tut mir leid«, sagte die Hauptkommissarin und schob der Sekretärin von Guido Zumboldt einen Stuhl hin. Die setzte sich wie in Trance und begann zu weinen. Sie war keine Schönheit, nicht einmal besonders hübsch. Eine leicht verhärmte Frau mittleren Alters, die so fleißig und gewissenhaft wirkte, wie man es sich von einer Sekretärin nur wünschen konnte. Bella Hemberger reichte ihr ein Papiertaschentuch und trat zum Fenster. Aus dem Büro im vierten Stock sah man nur auf den Bürokomplex gegenüber.

»Und das ausgerechnet heute!« Sie schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich hatte schon den Champagner vorbereitet.«

»Champagner? «, fragte Yusufoglu. »Wofür?«

»Na, gestern Abend ist doch die Entscheidung zur Vergabe des kleinen Wiesnzeltes im Stadtrat gefallen. Das Steyrer-Zelt!«

»Helfen Sie mir bitte auf die Sprünge. Ich bin kein Wiesnfan.«

»Herr Zumboldt hat sich als Wirt für das Steyrer-Zelt beworben. Sie haben sicher in den Medien mitbekommen, dass der alte Wirt wegen diverser Verstöße letztes Jahr rausgeschmissen wurde. Na ja, eigentlich hauptsächlich, weil er seine Mitarbeiter geohrfeigt haben soll. Na, und da hat sich der Herr Zumboldt um das Zelt beworben. Das ist das kleinste aller Wiesnzelte, aber immerhin! Und eine Institution! Und … und … wir haben das Zelt bekommen.« Für einen kurzen Augenblick huschte ein Strahlen über das müde Gesicht der Sekretärin, dann schluchzte sie auf. »Darauf haben wir die letzten Monate doch hingearbeitet. Und nun … Aus … Vorbei … Ausgerechnet heute …« Sie strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schnäuzte sich.

»Wenn ich das recht sehe«, sagte Bella Hemberger, »dann sind auf diesem Stockwerk alle Büros der Zumboldts, oder?«

»Richtig.« Die Sekretärin deutete nach links auf eine geschlossene Tür. »Da geht es zu den Büroräumen der alten Zumboldts. Die ganze Verwaltung der Gastronomie und der Brauerei sitzt in der Etage.«

»Dürfen wir bitte mal einen Blick in Herrn Zumboldts Büro werfen?«, fragte die Hauptkommissarin.

Die Sekretärin nickte wortlos und deutete auf eine Tür rechts von ihr. Die Kriminaler betraten vorsichtig das Büro des Ermordeten. Der Raum war viel kleiner als erwartet, und sehr zweckmäßig eingerichtet. Von der großen Fensterfront aus sah man Richtung Gärtnerplatz. Vor dem Fenster stand ein großer Schreibtisch, sauber aufgeräumt, mit Computer und ein paar Schreibutensilien. An der Wand gegenüber der Fenster hingen ein großes historisches Münchner-Kindl-Bräu-Poster im Glasrahmen sowie ein paar kleine gerahmte Fotos, die Guido Zumboldt mit diversen Prominenten zeigten. Gelegentlich grinste auch seine Frau Fiona mit in die Kamera. Neben dem Schreibtisch lag ein über zwei Meter langes, aber nicht besonders dickes Paket, eine stabile Holzkonstruktion mit Verstärkungen an den Kanten und Ecken.

Bella Hemberger öffnete das Fenster und sah hinunter. Beinahe direkt unter ihr hatte man die Leiche von Guido Zumboldt gefunden. Sie schloss das Fenster und bückte sich zu der langen Holzkiste. Auf dem Adresskleber stand diese Büroadresse, der Absender war eine chinesische Firma namens Lotus Creations. Der Hauptkommissarin fiel die Zollbenachrichtigung ein, die man bei Zumboldt gefunden hatte. Sie setzte sich an den Schreibtisch und blätterte vorsichtig durch die wenigen Papiere, die sauber gestapelt darauf lagen. Rechnungen, Schriftverkehr mit Lieferanten. Erdal Yusufoglu versuchte sich inzwischen vergebens an Schränken und Schubladen. Alles verschlossen.

Plötzlich hörten sie vom Vorzimmer, wie Sybille Berger laut »Aber ich sage Ihnen doch, dass Sie da nicht rein können!« rief. Im gleichen Augenblick erschien ein schwammiger großer Mann in der Tür und sah die Beamten erstaunt an.

»Was machen Sie denn hier?«, echauffierte sich der Mann, während sich die Sekretärin an ihm vorbeidrückte und sich mit ausgestreckten Armen vor den Mann stellte, um ihn am Weitergehen zu hindern.

 

»Und was machen Sie hier?«, fragte Hemberger scharf.

»Ich bin Ihnen wohl kaum eine Erklärung schuldig«, sagte der Mann und wollte die Sekretärin beiseiteschieben. Sie blieb wie festbetoniert stehen.

»Das glaube ich schon.« Die Kriminalbeamtin zückte ihre Dienstmarke. »Und nun sagen Sie mir, wer Sie sind und was Sie hier wollen.«

Der Mann blickte aus dem Konzept gebracht um sich. »Nolting, Graf von Nolting«, sagte er dann. »Ich wohne hier im Haus und bin ein Geschäftsfreund von Herrn Zumboldt. Was soll das hier? Warum ist die Kripo hier?«

Kommissar Yusufoglu erklärte es ihm kurz. »Und nun noch einmal die Frage, was Sie hier wollten.«

»Nichts«, sagte von Nolting schnell. »Ich hatte etwas persönlich mit Herrn Zumboldt zu besprechen.«

Sybille Berger schluchzte erneut auf.

»Darf ich fragen, worum es geht«, fragte Bella Hemberger.

»Das …« Nolting zögerte und sah sich um. Sein Blick blieb eine Weile auf der langen Kiste am Boden haften. »Nun ja. Ich handle ein wenig mit Kunst und Antiquitäten, und Herr Zumboldt wollte sich gerne etwas Neues für sein Büro zulegen. Da hatten wir einen Beratungstermin vereinbart.«

»Und ich habe Ihnen gesagt«, schniefte die Sekretärin unter Tränen, »dass ich keinen Eintrag in Herrn Zumboldts Terminkalender habe.«

»Meine Güte, das haben wir gestern so zwischen Tür und Angel besprochen.« Nolting verdrehte enerviert die Augen zur Decke. »Ich war gestern Abend kurz hier im Büro, das wissen Sie doch noch. Gut, dann gehe ich wohl besser.«

»Moment, Herr Nolting«, sagte Hemberger. »Haben Sie vielleicht irgendwelche finanziellen Verpflichtungen gegenüber Herrn Zumboldt gehabt? Oder auch umgekehrt? Hat Herr Zumboldt Ihnen Geld geschuldet?«

»Was? Nein. Weder noch. So weit waren wir in unseren Gesprächen noch nicht.«

»Sie sind Kunsthändler. Das Paket hier ist ziemlich lang, nicht wahr?« Die Hauptkommissarin deutete auf das Paket am Boden. »Sieht für mich fast so aus, als wäre es ein großes Bild, zusammengerollt. Oder?«

»Keine Ahnung.« Nolting zuckte mit den Schultern und schielte auf den Adressaufkleber. »Ist für Zumboldt. Hat also nichts mit mir zu tun, oder?«

»Das wird bestimmt das große Portrait vom Steyrer Hans sein, das Herr Zumboldt bestellt hat. Für das Zelt«, sagte die Sekretärin. »Das wurde vorgestern angeliefert. Der Herr Zumboldt hat es von zwei Mitarbeitern beim Zoll abholen lassen. Mit einem Sprinter von der Firma. So was passt ja nicht in ein normales Auto.«

»Er bestellt schon lange vor der möglichen Zusage Deko für das Wiesnzelt?«, fragte Yusufoglu.

Sybille Berger zuckte mit den Schultern. »Er wollte zumindest ein riesiges Portraitgemälde von dem legendären Steyrer Hans bestellen. Ob er es dann gemacht hat, weiß ich nicht. Soll ich es aufmachen?«

»Nein, lassen Sie nur«, sagte Bella Hemberger. »Wir werden es wohl mitnehmen. Wir müssen ohnehin einiges von hier mitnehmen. Terminkalender et cetera.«

»Wieso das denn?«, sagte Nolting. »Frau Berger, das müssen Sie sich nicht bieten lassen.«

»Muss sie doch«, erklärte die Hauptkommissarin ruhig. »Wir ermitteln in einem Mordfall, Herr Nolting.«

»Graf!«

»Graf? Ich dachte Sie heißen Nolting?«

»Douglas Graf von Nolting! Und außerdem – ich bestelle sowieso nichts in China. Schönen Tag noch.« Er drehte sich auf dem Absatz um und rauschte davon.

Bella Hemberger führte die Sekretärin aus dem Raum.

»Wie lange arbeiten Sie schon für Zumboldt?«

»Sieben Jahre«, sagte sie. »Also für die Zumboldts insgesamt. Ich war früher ausschließlich für die Eltern da, seit einem halben Jahr bin ich nun für den Junior abgestellt.«

»Warum?«

»Zumboldt Senior wünschte das so.«

»Weil Sie so zuverlässig sind, nicht wahr? Und sein Sohn eher ein Hallodri?«

Die Sekretärin nickte.

»Was wissen Sie denn von diesem Graf von eben und der Beziehung zu Ihrem Chef?«

»Nichts.« Sybille Berger schnäuzte sich geräuschvoll. »Er war gestern Abend wirklich kurz da. Kam hier mit seiner Aldi-Einkaufstüte reinspaziert und hat dann ein paar Minuten mit dem Chef gesprochen. Mehr weiß ich nicht.« Sie sah kurz auf. »Ist das nicht wieder typisch? Hier großkotzig residieren und dann bei Aldi einkaufen?«

Nachdem Max Pfeffer sich von Lenz Stockmair verabschiedet hatte und hinaus zur Straße ging, bemerkte er Fiona Zumboldt, die eben den Tower verließ. Als sie den Kriminalrat sah, beschloss sie nach einem kurzen Zögern, selbst die Initiative zu ergreifen. Sie ging auf ihn zu.

»Herr Pfeffer, begleiten Sie mich ein Stück?«, fragte sie.

»Gerne. Wohin?«

»Zum Gärtnerplatz, in die Reichenbachstraße. Da sind lauter so nette kleine Boutiquen«, plauderte sie, während sie nebeneinander die Straße entlangschlenderten. »Die müssten jetzt eigentlich schon offen haben. Ich trage nie Schwarz. Nie! Aber ich brauche ja nun etwas Schwarzes, nicht wahr? Spätestens, wenn die Geier von der Presse anrufen. Da muss ich vorbereitet sein.«

»Sie sind sehr beherrscht …«

»Ich brauche Ihnen doch nichts vormachen wie meine Schwiegermutter, oder?«

Pfeffer nickte.

»Sie haben die Koffer gesehen. Ich wollte meinen Mann rauswerfen. Ausgerechnet heute! Er hat seine Sekretärin gevögelt. Oh ja, ich weiß, was Sie jetzt bestimmt sagen werden. Männer finden da nichts bei. Er schon mal gleich gar nicht. Sex ist doch nur Sex und hat nichts mit Liebe zu tun. Guido hat sich das bei seinem Vater abgeschaut. Der Alte bespringt seit Jahren alles, was dazu bereit ist. Aber ich bin nicht Hedwig! Ich möchte nicht nur eine Fassadenehe. Ich habe Guido ein Ultimatum gestellt, seine Sekretärin oder ich. Er hat die Sekretärin sofort entlassen. Tja, und dann hat er mit der neuen ebenfalls rumgevögelt. Und mit deren Nachfolgerin. Dreimal hab ich es mitgemacht. Zumindest die dreimal, die ich mitbekommen habe. Dann war Schluss. Ich …« Sie blieb in der Corneliusstraße vor dem Schaufenster eines Handtaschengeschäfts stehen und studierte kurz die Auslage. »Ich bin ganz ehrlich, Herr Pfeffer. Ich liebe meinen Mann längst nicht mehr. Er hat mich zu sehr verletzt. Darum habe ich vorhin so kühl reagiert. Es ist natürlich sehr bedauerlich, wenn ein Mensch ermordet wird. Doch ich trauere nicht um einen geliebten Partner. Ja, das macht mich verdächtig. Ich weiß.«

»Finden Sie?«, fragte Pfeffer.

»Natürlich. Ich erbe ja alles. Bei einer Scheidung wäre ich nicht so gut davongekommen. Das heißt, eine Scheidung wäre sicher irgendwie lukrativ für mich gewesen, aber nun bekomme ich viel mehr. Das denken Sie doch, Herr Kriminalkommissar?«

»Nein.« Pfeffer schmunzelte. »Sie sind clever genug und wissen sicher, dass Sie als Mörderin nicht erbberechtigt sind.«

»Bin ich nicht?« Sie wirkte ernsthaft überrascht. »Und täuschen Sie sich mal nicht, was mein Motiv angehen könnte … Oh, die dahinten. Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment. Die muss ich haben.« Sie rauschte in das Geschäft hinein und kam kurze Zeit später mit einer neuen dunkelblauen Handtasche heraus. »Die habe ich mir gar nicht erst einpacken lassen. Die nehme ich gleich so. Ich bin gerne mal spontan. Wenn mir was absolut gefällt, kaufe ich es auch sofort.«

»Nichts gegen entscheidungsfreudige Frauen«, sagte Pfeffer.

Sie sah ihn kurz verwundert an, dann lächelte sie verschmitzt. »Sie halten mich jetzt echt für völlig durchgeknallt, stimmts? Ist mir ehrlich gesagt wurscht.«

»Was wollten Sie eigentlich machen, nachdem Sie sich hätten scheiden lassen?«, fragte Pfeffer im Weitergehen. Sie kamen an den Gärtnerplatz.

»Ich hätte die Finca auf Ibiza behalten und wäre mit den Kindern dorthin gezogen. Das mit der Schule habe ich schon geregelt. Und ich? Mei, ich wäre dann halt Künstlerin geworden.«

»So was wird man einfach so?«

»Ich war schon immer kreativ. Ja.«

»Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu den Schwiegereltern beschreiben?«

Sie lachte trocken. »Das haben Sie, denke ich, selbst gesehen.«

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?