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Aus der Reihe: Dein Leben
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Die vernetzte Gesellschaft: Informationsflut und kommunikative Überlastung

Informationen sind eine Schlüsselressource der Arbeitswelt. Je mehr der Anteil der vernetzten Wissensarbeit an der gesamten wirtschaftlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Wertschöpfung zunimmt, desto wichtiger wird es auch, schnell an alle Informationen zu kommen, die man für seine Arbeit braucht. Diese Informationen können dann wiederum bearbeitet, verbessert und geteilt werden. In den umfangreichen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung, die dem Menschen zur Verfügung stehen und die uns nicht zuletzt das Internet beschert hat, liegt auch ein großer Pferdefuß: Wir produzieren mehr Informationen, als wir aufnehmen können.

Würde man die Datenmenge des Internets auf DVDs brennen und stapeln, würde der Turm von der Erde bis fast zum Mond reichen

Informationen umfassen ja nicht nur Mails oder SMS, also solche, die von Person zu Person direkt gesendet werden und gezielt auf uns einströmen. Sondern genauso das Magazin, das man liest, oder die iPhone-App, das Radio-Gedudel im Hintergrund zuhause oder der Info-Flyer beim Elternabend. Information ist in Form und Qualität unglaublich vielfältig geworden. Bestes Beispiel dafür ist das Internet. Laut einer Studie des Netzwerkausrüsters Cisco soll sich der gesamte Internetverkehr bis 2016 vervierfachen.14 Das würde bedeuten, dass 2016 so viele Daten im Netz kreisen wie in allen bisherigen Jahren zusammengenommen! Das weltweite Datenvolumen wird bis auf unvorstellbare 1,3 Zettabyte ansteigen. Das sind 1,3 Billionen Gigabyte und entspricht in Summe der Datenmenge von über 276 Milliarden DVDs. Eine ganz schöne Sammlung. Würde man die DVDs (nur die Silberscheiben) übereinanderlegen, ergäbe das einen Turm von knapp 332 000 Kilometern (zum Vergleich: Der Mond ist von der Erde 382 000 Kilometer entfernt). Das alles sind so gigantische Zahlen, dass man sie sich im Grunde gar nicht mehr vorstellen kann.

Cisco geht weiter davon aus, dass 2016 45 Prozent der Weltbevölkerung Zugang zum Internet haben werden. Und diese Menschen werden ja nicht nur konsumieren. Sie werden auch produzieren, kreativ sein, Dinge erfinden, Nachrichten verfassen etc. Dieser enorme Ausstoß an Informationen wird wiederum zu mehr Kommunikation in einem globalen Maßstab führen. Kurz: Ein Ende der Informationsflut ist nicht in Sicht.

Elf Millionen Sinneseindrücke in der Sekunde verarbeitet der moderne Mensch

Was bedeutet diese Informationsflut für uns ganz persönlich? Eine Folge: Wir können uns schlechter konzentrieren. Vielleicht kennen Sie das: Früher ging man in den Keller und vergaß manchmal, warum. Man fragte sich: »Wieso bin ich noch mal hier runtergegangen?« Verwirrt schüttelte man den Kopf und ärgerte sich. Heute sitzt man vor dem Computer und fragt sich: »Wieso, zum Teufel, habe ich dieses Browserfenster noch mal aufgemacht?« Es sind diese kleinen Momente, die uns zeigen, dass unsere Aufmerksamkeit, gebündelt in der sogenannten Exekutivfunktion, die Informationsflut nicht mehr bewältigt. Eine intakte Exekutivfunktion ist überlebensnotwendig, um im Alltag zurechtzukommen. Jede Sekunde stürzen enorme elf Millionen Sinneseindrücke auf uns ein, wovon wir jedoch lediglich einen winzigen Bruchteil auswählen – nur etwa 40.15 Das Allermeiste blendet das Gehirn automatisch aus. Zum Beispiel das Ticken der Wanduhr, das wir nach einiger Zeit nicht mehr hören. Wir wissen irgendwann, dass aus dem Ticken der Uhr für uns keine relevante Information mehr erwächst.

Unser Gehirn zieht daraus den Schluss, dass es im Moment Wichtigeres gibt – vielleicht die Seite des Buches, das wir gerade lesen – und wirft das akustische Ticken aus der Exekutivfunktion. So gleiten wir von Sekunde zu Sekunde durch unser Leben, während im Hintergrund still und unsichtbar die Exekutivfunktion in rasender Geschwindigkeit und Komplexität für uns Reize aus der Umwelt wahrnimmt, sortiert, priorisiert, in den Mittelpunkt stellt und wieder verwirft. Die Exekutivfunktion ist wie der Kellner in einem Restaurant, der die Gäste bedienen muss. Bis zu einer gewissen Anzahl von Gästen hat er die Sache im Griff, ab einem bestimmten Punkt wird es dann mühsam. Er beginnt Fehler zu machen, rechnet Posten falsch zusammen oder schüttet den Kaffee über die Hose eines Gastes. Ist das Lokal schließlich komplett mit Gästen (sprich: Informationen) gefüllt, hat er keine Chance mehr. Dann sinkt der Service rapide, und der Kellner kann nur noch still vor sich hin leiden.

Multitasking ist keine Lösung für das menschliche Gehirn

Wenn wir unser Gehirn (= Lokal) über längere Zeit unkontrolliert bzw. unkritisch mit zu vielen Informationen (= Gäste) füllen, leidet unsere Konzentration. Dann versuchen wir uns mit Dingen wie Multitasking aus der Affäre zu ziehen – was in der Regel schlecht funktioniert.16 Multitasking ist der Versuch, das Prinzip der parallelen Maschinenverarbeitung auf den Menschen zu übertragen. Ein Versuch, der scheitern muss. Unser Gehirn ist für serielle, nicht parallele Verarbeitung gedacht – jedenfalls dann, wenn wir von geistigen Aufgaben sprechen, die Konzentration erfordern, von der Benutzung höherer Hirnfunktionen wie Planung oder Kreativität.

Doch wir leiden nicht nur im kognitiven Bereich, in unserer Konzentration. Auch unser Gefühl, unser Wohlbefinden wird beeinträchtigt. Immer mehr Menschen leiden daher an einem subjektiven Gefühl der Überforderung.

Im Arbeitsleben baut sich das wie eine Welle auf. Immer mehr Informationen branden heran, überlagern und verstärken sich, bis sich die Riesenwelle Information tsunamigleich an der Küste unserer begrenzten Fähigkeiten bricht. Und das passiert nicht nur einmal, sondern eben immer öfter. Nicht wenige Menschen glauben, nur sie hätten ein Problem mit der Informationsflut, wären vielleicht weniger leistungsfähig oder von ihrer Persönlichkeit her anfällig. Doch das ist ein Irrtum. Unsere Umwelt produziert ständig Informationswellen und ab und zu auch eine Tsunami-Welle, unabhängig davon, wie unsere Persönlichkeit aussieht. Deswegen müssen wir uns kollektiv von der Vorstellung verabschieden, wir könnten diese Informationswellen abstellen oder das Meer, aus dem sie entspringen, trockenlegen. Das Meer der Information wird von nun an immer voll sein. Mit diesem Gefühl des ständigen Heranwogens der Wellen bzw. der Information müssen wir leben lernen. Wir können natürlich Dämme einziehen oder unser Haus auf Stelzen bauen. Aber an der grundlegenden Tatsache, dass potenziell immer mehr Informationen auf uns einströmen, als wir verarbeiten können, ändert das nichts. Die Informationsflut wird als Nebeneffekt einer digitalisierten, vernetzten Welt auf Jahre, wahrscheinlicher noch auf Jahrzehnte hinaus unser ständiger Begleiter sein.

Das zeigt sich besonders im Sektor der Wissensarbeit. Dort werden Aufgaben immer virtueller und kommunikationsintensiver. Da in einer technologischen Gesellschaft wie der unseren immer mehr Spezialisten agieren, die auf ihrem Gebiet Experten sind, aber auch die Grenzen ihrer Kompetenz kennen (sollten), brauchen Mehrwerte und kreative Fortschritte meist die intensive Auseinandersetzung mit anderen Spezialisten. Darin erkennt auch die Zukunftsforscherin Lynda Gratton einen entscheidenden Trend: Ihrer Einschätzung nach müssten arbeitende Menschen in der Zukunft »eingehend darüber nachdenken, welche Berufslaufbahnen mit welchen Wissensund Fachgebieten im Kommen sind. Ihre Herausforderung besteht darin, sich zu spezialisieren und sich mit der Zeit auch auf anderen Gebieten und über neue Netzwerke durch Wechsel und Wandel persönlich weiterzuentwickeln und ein meisterhaftes Können zu erwerben«.17 Mit anderen Worten: Der Generalist gehört der Vergangenheit an – jedenfalls bei den Wissensarbeitern. Gefragt ist der kommunikationsstarke und gut vernetzte Spezialist.

Wir erinnern uns: Innerhalb der Dritten Transformation haben wir es mit dem Übergang vom Denken des Einzelnen zum vernetzten Denken (»networked mind») zu tun. Diese Erweiterung unseres Arbeits- und Kommunikationsfeldes macht eine neue Palette von sozialen und technischen Fertigkeiten nötig, die bis vor ein paar Jahren, geschweige denn Jahrzehnten so noch gar nicht absehbar waren. Vieles in der Art, wie wir kommunizieren, uns informieren oder wie wir arbeiten, hat sich verändert. Die Phase des Analogen, der Bakelit-Telefone und der Zettelkästen wurde zunächst von der Phase des Digitalen abgelöst. Diese Phase hat unsere Arbeitswelt – aber nicht nur diese – mittlerweile bis in den letzten Winkel geprägt. Vom »Web 1.0«, den statischen Internetauftritten, über das »Web 2.0«, das Verwenden interaktiver Elemente bis zur kleinteiligen Produktion eigenen Inhalts (»content») durch die breite Masse der Internet-Nutzer hat sich das Digitale einen immer breiteren Weg in unsere Kommunikations- und Informationsstrukturen gefräst. Dass dabei auch Dinge umstürzen und einige Geschäftsmodelle in ihrer alten Form nicht mehr überlebensfähig bleiben, zeigen das Zeitungssterben und die Krise des Print-Journalismus während der letzten Jahre (die unter anderem die Financial Times Deutschland, die Frankfurter Rundschau und so manche komplette Zeitungsredaktion in Deutschland dahinraffte).

Die nächste Stufe der digitalen Vernetzung stellt das Arbeiten in der Cloud, die gemeinschaftliche Nutzung von Dokumenten, Terminkalendern etc., dar. Obwohl es solche Lösungen bislang innerhalb von Unternehmen gab, als Groupware oder Intranet, bewegen wir uns nun auf Lösungen in viel größerem Maßstab zu. Arbeiten in der Cloud, in der »Wolke« stellt beispielsweise an die Sicherheit der digitalen Infrastruktur in Unternehmen, aber auch auf unseren Laptops und Tablets daheim ganz neue Anforderungen.

 

Arbeiten in der »Wolke«: den eigenen Gedanken entfremdet?

Man darf gespannt sein, wie sich eine weitere »Auslagerung unseres Gehirns«, wie es ja bereits bei den Smartphones geschieht, auf unsere kognitiven Fähigkeiten auswirkt: »Das Denken wandert nach außen, heißt: Die innere Stimme wird eine äußere, und zwar in einem Umfang, der noch vor wenigen Jahren unvorstellbar gewesen wäre. Schon heute erleben viele Menschen, die im Netz kommentieren, bloggen, in sozialen Netzwerken kommunizieren […], eine sonderbare Abkopplung von sich selbst. Aufmerksamkeit, Zeit und Konzentration reichen nicht aus, die eigenen Äußerungen gleichermaßen innerlich zu verarbeiten.«18

Werden wir also dümmer, wie es manche Publizisten und Psychologen prophezeien? Oder kreativer, weil wir uns auf ganz neue Dinge konzentrieren können und den Kopf freihaben? Eindeutig lässt sich das heute nicht beantworten, eben weil die technologische Bewegung ins Digitale und noch einmal in die Cloud so rasend schnell abläuft. Doch solange wir nichts Genaueres wissen, gibt es meiner Meinung nach keinen Grund, allzu pessimistisch zu sein. Immerhin hat sich die Welt im Großen und Ganzen doch erheblich in Richtung Fortschritt entwickelt. Wir leben trotz allem, trotz Kriegen, Hunger und Privatfernsehen in der modernsten und besten aller möglichen Welten und Zeiten.

Wie sehr die digitale Vernetzung im lokalen und globalen Maßstab bereits als Tatsache ins Bewusstsein nicht nur der Wirtschaft gedrungen ist, zeigt eine Studie der Unternehmensberatung Hays.19 Darin wurden knapp 700 Führungskräfte im deutschsprachigen Raum befragt. Unter anderem stellten die Autoren der Studie fest, dass 79 Prozent der Befragten eine steigende Komplexität der Arbeit registrieren, 77 Prozent eine zunehmende Beschleunigung von Abläufen, 52 Prozent eine erhöhte Mobilisierung der Arbeit und 47 Prozent der Unternehmen mit der globalen Vernetzungsdichte kämpfen. Die Verdichtung durch Kommunikation, Dokumentationswesen und Arbeitslast sorgt nicht nur für eine anspruchsvollere Arbeitsumgebung, sondern in der Folge auch dafür, dass die Forderungen an die Fähigkeiten von Mitarbeitern und Führungskräften entsprechend steigen. Zu diesem Fähigkeiten-Set werden in der Zukunft auch Medien-, Kommunikations- und Netzwerkkompetenz in vorher noch nicht dagewesener Größe gehören. Diese Fähigkeiten werden heute noch als »weiche« Fähigkeiten, als social skills belächelt. In der Zukunft einer explodierenden Kommunikation und vernetzten Arbeitsumgebungen können diese Fähigkeiten – selbstverständlich neben einer profunden Sachkenntnis – über Wohl und Wehe eines Projekts, einer Abteilung, gar eines ganzen Unternehmens entscheiden.

Sozialer Kompetenz plus Fachkenntnis gehört die Zukunft

Die Unternehmen spüren das bereits, auch wenn man es sich noch nicht allzu offen eingesteht. Dennoch grassiert die Furcht vor unbesetzten Stellen: Hays zufolge befürchten immerhin 60 Prozent der Befragten für ihr Unternehmen einen Fachkräftemangel und verschärften Wettbewerb um die besten Köpfe. 50 Prozent glauben, dass sie Engpässe beim Heranziehen eigener Nachwuchskräfte haben werden. Diese Zahlen sind insofern interessant, als das Thema hier nicht durch den redaktionellen Filter der Presse gelaufen ist, sondern Hays die aktuelle Stimmungslage direkt bei den »Entscheidern« aufgenommen hat. Die mediale Aufmerksamkeit indessen hat Vor- und Nachteile: Oft bringt ihr Fokus auch Themen auf die Tagesordnung, die sonst unter den Tisch fallen würden. Andererseits kann ein solcher Fokus sich auch zu einem Hype entwickeln, der jedes Maß übersteigt und ein Missverhältnis schafft zwischen der Wahrnehmung einer Sache und deren wirklicher Bedeutung. Mit anderen Worten: Man sollte die Kirche im Dorf lassen. Natürlich ist auch die Agenda eines Unternehmenslenkers aufmerksamkeitsgesteuert. Auch er wird einer Unternehmensberatung wie Hays nicht völlig objektive Antworten liefern können. Doch immerhin bleibt der verzerrende Presse-Effekt außen vor.

Wagt man mit den Ergebnissen der Studie einen Blick in die Zukunft, stellt man fest, dass eine globalisierte Kompetenzverteilung – vor allem bei Konzernen, Non-Profit-Unternehmen und größeren Nichtregierungsorganisationen (NGO) – eine Bereitschaft zur globalisierten Kommunikation zwingend erfordert. Immer mehr spezialisierte Individuen und Experten vernetzen sich in räumlich großen Abständen über unterschiedliche Zeitzonen hinweg. Das wird im großen Stil vielleicht nicht in fünf Jahren passieren, aber in zehn Jahren wahrscheinlich und in 20 Jahren ganz sicher. So sehr diese geballte brain power zu begrüßen ist, schafft sie doch logistisch ganz neue Probleme. Schon jetzt gibt es nicht seltene Fälle von Telefonkonferenzen über Zeitzonen hinweg, bei denen Teilnehmer einschlafen. Doch wo der Biorhythmus die Segel streicht, kann kein kollektiver Innovationsturbo zünden.

Virtuelle Konferenzen ersetzen nicht den zwischenmenschlichen Kontakt

Im Moment funktioniert die virtuelle Zusammenarbeit auf dem Papier reibungsloser als in der Wirklichkeit. Damit dieser Zustand überwunden wird, brauchen wir neue Konzepte der Zusammenarbeit. Konzepte, die die technischen Möglichkeiten ausschöpfen und gleichzeitig einen Kontakt von Mensch zu Mensch zulassen. So könnten punktuelle leibhaftige Treffen einen langfristigen Referenzpunkt in der Zusammenarbeit schaffen. Im Vertrieb weiß man schon heute: Nichts geht über den persönlichen Kontakt. Was in der Firmen-Kunden-Beziehung bereits Standard ist, sollte als Organisationskonzept auch in die Gestaltung der Arbeitsprozesse einfließen. Denn Technik kann Wissen transportieren, Kommunikation bündeln und Prozesse verschlanken. Doch menschliche Wärme, die vibes, das Schaffen von Beziehungen und das Wahrnehmen des Menschen in seinen Facetten ist rein virtuell schwierig. In diesem Zusammenhang dürfte auch die weitere Erforschung von »Spiegelneuronen« interessant werden.20 Die bisherige Forschung legt nahe, dass »bei Handlungen mit emotionaler Färbung ebenfalls Spiegelneuronen beteiligt sind und eine wichtige Rolle in sozial kognitiven Aspekten […] übernehmen.«21 Es stellt sich die Frage, ob in rein virtueller Kommunikation die Funktion der Spiegelneuronen beeinträchtigt ist – was eine emotional und sozial stimmige Kommunikation erschweren würde.

So kommt es beispielsweise in sozialen Netzwerken immer wieder zu Missverständnissen, wenn jemand ironisch wird. Ironie scheint etwas zu sein, was schriftlich schwer zu vermitteln ist. Geübte User benutzen daher manchmal ein sogenanntes irony tag, ein »Ironie-Schild«», das sich an die Programmiersprache HTML anlehnt: <ironie>…</ironie>. Oder sie setzen einen zwinkernden Smiley, ein Emoticon. Denn wenig ist ärgerlicher, als in einer ansonsten störungsfreien Kommunikation plötzlich – vermeidbaren – Ärger und Missfallen korrigieren zu müssen.

Dieses einfache Beispiel zeigt, dass zur kompletten Wahrnehmung eines Menschen durch einen anderen idealerweise der persönliche Kontakt gehört. Und dieser wird umso wichtiger, je mehr man sich untereinander abstimmen muss. Dann sollte man wissen: Wie tickt der andere? Wie hat man bestimmte Dinge, die er oder sie sagt oder tut, einzuschätzen? Und genau diese »Nase« für den anderen wird in einer kommunikationslastigen Arbeitswelt immer wichtiger. Deshalb muss man den Menschen gerade in einer globalisierten Welt Gelegenheit geben, nicht nur über Facebook oder Firmen-Intranet etc. zu kommunizieren, sondern sich auch gelegentlich Auge in Auge gegenüberzustehen. Denn das schafft Verständnis. Verständnis schafft Vertrauen – und nur auf dieser Basis gibt man Information weiter, ist engagiert und übernimmt Verantwortung für die Gruppe und sich selbst. Abgesehen von der Frage, wie wir Zusammenarbeit über Zeit und Raum hinweg organisieren, sollten wir außerdem überprüfen, wie wir mit Information innerhalb der Zusammenarbeit, am Arbeitsplatz und generell in unserem Alltag umgehen. Die Informationsflut als Tatsache unserer Tage ist bereits dargestellt worden. Auch, dass wir darauf mit Konzentrationsschwierigkeiten und einem Gefühl der Belastung reagieren.

Doch wir können der Informationsflut das Bedrohliche nicht nehmen, indem wir lediglich an die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, der Prozesse und der technischen Infrastruktur denken. Die Situation wird vielmehr dadurch verschärft, dass wir uns immer noch wie Jäger und Sammler benehmen – auch was die Informationsaufnahme betrifft. Wir haben noch nicht gelernt, Informationen ihrer Bedeutung und Wichtigkeit nach zu filtern und auszusortieren.

Auf der Jagd nach Informationen nehmen wir alles mit – und überfressen uns

Auch nach 50 000 Jahren sind wir immer noch impulsive Jäger und Sammler. Evolutionsgeschichtlich machte das früher durchaus Sinn. Da man nicht wusste, wann man wieder etwas zu essen bekam, hortete man und aß, bis man nicht mehr konnte. Den Rest warf man nicht weg, sondern packte ihn ein und bewahrte ihn auf. Heute haben wir beim Essen das umgekehrte Problem: Essen steht uns in praktisch unbegrenztem Ausmaß zur Verfügung. Damit kommen manche besser, manche schlechter zurecht. Für alle Menschen jedoch gilt beim Essverhalten: nicht mehr Jagen und Sammeln ist angesagt, sondern Auswählen und Liegenlassen. Beim Essen haben wir das bereits verstanden: Millionen Menschen versuchen jedes Frühjahr, mit einer Diät abzuspecken. Für manche hat Essen sogar ganz die Qualität des Genusses verloren, für sie ist Essen zum Feind geworden, den es zu bekämpfen gilt.

Der Unterschied zwischen unserem Ess- und unserem Informationsverhalten ist deutlich. Wo wir uns beim Essen beschränken, weil wir unsere natürlichen Kapazitätsgrenzen kennen (jedenfalls die meisten von uns), kennen wir bei Informationen weder Maß noch Ziel. Wir konsumieren fast alles. Wir zappen durch Fernseh- und Radiokanäle, surfen stundenlang im Netz, telefonieren und simsen, chatten und liken. Die Deutschen verbrachten 2011 durchschnittlich 225 Minuten vor dem Fernseher, 191 Minuten vor dem Radio, 83 Minuten im Internet und 23 Minuten mit ihrer Tageszeitung – pro Tag, wohlgemerkt.22 Das macht also bereits im Privatleben 522 Minuten oder 8,7 Stunden. Auch wenn sich manche Nutzung überlagern dürfte (zum Beispiel Radiohören und im Internet surfen), verbringt das Gehirn des Deutschen fast einen ganzen Arbeitstag (!) damit, Informationen zu verarbeiten. Informationen, die nicht unbedingt zu seinen Arbeitsaufgaben gehören.

Und die kommen ja noch obendrauf: dienstliche Telefonate, das Lesen von Mails, Artikeln und Dokumenten, Meetings, dienstliches Internetsurfen etc. Wie viele Stunden ein arbeitender Mensch nun insgesamt mit Mediennutzung und der entsprechenden Informationsaufnahme verbringt, ist schwer abzuschätzen.

Haben wir eigentlich noch Zeit für Kreativität?

Doch wenn man die Klagen über fehlende Zeit der eigenen Produktivität ernstnimmt – also Zeit, in der man nicht konsumiert, sondern produktiv und kreativ arbeitet –, scheint es nicht übertrieben, von ca. 11 bis 14 Stunden an aktiver Informationsaufnahme auszugehen. Nochmal: pro Tag. Wir widmen dem – bestenfalls konstruktiven – Input zu viel Zeit und dem kreativen oder auch nur administrativem Output zu wenig.

Die Frage der Zukunft lautet deshalb nicht: Wie viel Zeit verbringt man mit Informationsaufnahme und Mediennutzung? Sondern vielmehr: Wann kann man sich der unentwegt prasselnden Informationsflut entziehen? Sich schützen und mental ausruhen? Denn Tatsache ist: Das Gehirn kann sich an Information überfressen. Doch das ist vielen Menschen offensichtlich nicht bewusst.

Unser Gehirn verwendet einen Großteil seiner Kapazität auf interne Verarbeitungsprozesse. Es räumt auf, mistet aus und widmet sich seiner wichtigsten Aufgabe: dem Vergessen. Es ist für uns entscheidend, zu wissen, was gerade wichtig ist und was nicht.

Über mehrere Vergleichs- und Lernstufen hinweg kann das Gehirn dies auch mehr oder weniger zuverlässig leisten – sowohl kurzfristig in akuten Situationen als auch langfristig über ein ganzes Leben hinweg. Für die Verarbeitung von Außenreizen verbleibt nur ein Bruchteil der Hirnkapazität. Diese sollten wir klug nutzen und nicht mit beliebigem Informationskonsum »zumüllen«. Doch genau das tun wir im Alltag zu oft. Auch Information hat eine Qualität: für unsere gerade zu erledigende Aufgabe, für unser Wohlbefinden im Allgemeinen, unser Zusammenleben oder unsere Persönlichkeitsentwicklung.

 

Geht man von der Notwendigkeit des »Auswählens und Abwehrens« aus, müssen wir Dämme errichten, die uns erlauben, Informationen abzuwehren, zu filtern und zu kanalisieren. Das war für Menschen schon immer keine leichte Aufgabe. Der Drang zum Horten und Sammeln ist evolutionsgeschichtlich einfach sehr stark, prallt jedoch immer häufiger auf die Verheißungen und Möglichkeiten komplexer Technik, die wir noch nicht im Griff haben. Ein Beispiel: Was früher der Zettelkasten für Adressen war, also eine vielleicht chaotische, aber physisch überschaubare Angelegenheit, stellt sich heute als Adressverwaltung eines durchschnittlichen Arbeitnehmers mit den üblichen technischen Möglichkeiten als weitaus komplizierter dar.

Im Hintergrund ist das Gehirn ständig mit der Sortierung von Informationen und Eindrücken beschäftigt

Der Einzelne nutzt möglicherweise eine firmenweite Datenbank, auf die er über einen Server zugreift. Zusätzlich hat er vielleicht ein privates digitales Verzeichnis angelegt. Er ist vernetzt auf Plattformen wie XING oder Facebook. Und nicht zuletzt schlummern oft in E-Mails Adressdaten von Ansprechpartnern, die aus Zeitgründen nicht in die eigentliche Adressdatenbank übertragen wurden. In der Realität bedeutet Adressverwaltung daher meist einen Wust aus Daten unterschiedlicher Quellen und Qualität, auf die man nicht mehr mit dem kleinen schwarzen Notizbuch zugreift, sondern ausschließlich digital. Zwischen uns und einem Arbeitsergebnis steht also immer häufiger eine Technik, die wir zwar wollen und die uns fasziniert, mit der wir jedoch nicht ökonomisch umgehen können. Uns fehlen die entsprechenden Arbeitsabläufe – und die Disziplin zur Entscheidung.

Wo immer mehr Daten und Informationen auf uns einprasseln, müssen wir den Mut haben, abzublocken und auch mal eine E-Mail zu löschen (und sie nicht im Archiv oder in einem Unterordner der Inbox vergraben). So wie wir unser Gehirn zunehmend in Smartphones, Tablets oder die Cloud auslagern, müssen wir auch die wertvolle Eigenschaft des Vergessens mit auslagern. Sonst enden wir langfristig in Datenmüll und Resignation. Und bis wir diese Technik des Vergessens aktiv eingeübt haben, müssen wir uns mit der Lernvorstufe begnügen: der bewussten Entscheidung, Informationen zu filtern und abzuwehren.

Diese Entscheidung kann viele Gesichter haben: eine Zeitung abbestellen, die man sowieso nicht mehr liest, E-Mails eines bestimmten Absenders automatisch und konsequent sofort in den Papierkorb umleiten, den Fernseher ausmachen und stattdessen eine Runde um den Block spazieren gehen. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Doch die Kernanforderung bleibt: Wir müssen Entscheidungen treffen und Informationen filtern.

Am Anfang steht eine Erkenntnis: Weniger ist mehr

Eines muss uns klar sein: Auch bei optimaler Informationsnutzung, den Mut zur Entscheidung und bewährten Filterprozessen werden wir nie mehr ohne Informationen sein – allenfalls in der Wüste Gobi oder den kanadischen Wäldern. Besonders im Arbeitsprozess wird der Informationsdruck nie mehr nachlassen. Viele Menschen wünschen sich eine aufgeräumte Inbox, keine Telefonate auf der To-do-Liste und das Gefühl der Erleichterung, endlich von der Last der Kommunikation befreit zu sein. Doch wir können nicht mehr ins Paradies zurück. Wir müssen vorwärtsschauen und das Beste aus der Situation machen.

Und wir sollten auch ehrlich anerkennen: Der Arbeitsdruck wird nicht mehr nachlassen. Wir können gar nicht so viel wegarbeiten, wie durch den »Arbeitstrichter« nachrutscht. Dieser Tatsache gelassen ins Auge zu sehen ist einer der wichtigsten Punkte für Arbeitsfähigkeit, Selbstmanagement und auch den Schutz vor Arbeitskrankheiten wie Burnout. Denn bei vielen Menschen fängt ja die Überforderung mit dem Gefühl an: Jetzt gehe ich heim, und es liegt noch so viel auf dem Schreibtisch. Und dieser Gedanke begleitet sie Tag für Tag, zermürbt sie und raubt ihnen die Perspektive (siehe auch das Kapitel Selbstmanagement). Und obwohl wir dagegen in Teilen angehen können – durch Informationsfilterung, Prozessoptimierung und angepasste Führung –, bleibt doch die Tatsache, dass wir in kommunikativen Zwängen stecken, unabweisbar.

Das zu akzeptieren fällt uns immer noch schwer. Wir suchen unser Heil nicht in einer veränderten Einstellung, in einer Art »gelassener Disziplin« bzw. »disziplinierter Gelassenheit«, die uns helfen würde, unser Informations- und Kommunikationsverhalten angemessen zu gestalten.

Vielmehr richten wir unser Augenmerk nach außen auf die Technik. Doch die Technik in Gestalt von Smartphones, Laptops, Sozialen Netzwerken etc. ist und bleibt nur ein Hilfsmittel, wenn es um die Organisation unserer eigenen Vernetzung geht. Eine Krücke wird auch nicht von selbst laufen. Sie ist dazu da, um uns zu stützen, wenn wir das brauchen. Nicht mehr und nicht weniger.

Mit Disziplin und Gelassenheit Übersicht und Lebensfreude erlangen

Nun benutzen manche Menschen Krücken, auch wenn sie sie nicht mehr brauchen; vielleicht haben sie sich an sie gewöhnt. Andere weigern sich, Krücken zu benutzen, weil sie davon ausgehen, dass ihr kaputter Fuß das Humpeln schon aushält. Beide Haltungen sind nicht sehr klug. Wir brauchen Augenmaß: weder sollten wir vor der Technik kapitulieren noch uns ihr unterwerfen. Ein kleiner Kreis boykottiert beispielsweise Smartphones aus ideologischen Gründen. Der Modezar Karl Lagerfeld hat das so formuliert: »Wer ständig und überall erreichbar ist, gehört zum Personal.« Die andere Fraktion glaubt, mit immer neuerer und ausgefeilterer Technik das Überlastungsproblem und die Informationsflut lösen zu können: mit E-Mail-Filtern, »intelligenten« To-do-Listen und Zeitplänen, angepasster Software etc. Diese Instrumente sind grundsätzlich sinnvoll. Aber sie sind und bleiben vor allem eins: Krücken. Kanäle, die zwischen mir und der Information stehen. Sinnvolles Informationsmanagement lässt sich nun mal nicht ausschließlich mit der »1 oder 0«-Entscheidung einer Software lösen. Ebenso wichtig sind Augenmaß und disziplinierte Gelassenheit. Eigenschaften, die der Mensch mitbringen muss und die ihm kein Smartphone abnehmen kann.

Im besten Fall kombinieren wir für uns sinnvolle Informationen mit kompetenter Techniknutzung und der persönlichen Fähigkeit zum Auswählen und Aussortieren. Gelingt uns das, können wir unseren eigenen Informations- und Kommunikationsstil entwickeln. Im Arbeitsleben zeigt sich eine derartige Reifung durch individuelle, automatisierte Arbeitsabläufe.

Wir wissen dann sofort, wie wir welche Informationen zu behandeln haben, schalten Informationsquellen bewusst an oder aus, sortieren und kategorisieren schnell und können ebenso schnell wieder zu unserer eigentlichen Aufgabe zurückkehren.

Durch routiniertes Handeln vermeiden wir Selbstüberforderung

So wie jeder Mensch einen individuellen Fingerabdruck hat oder einen ganz eigenen Gang, wird auch sein Informationsverhalten ganz individuell sein. Individuell nicht nur in einem natürlichen Sinn (das ist es ohnehin), sondern individuell in einem professionellen Sinn. Nicht mehr wie ein Amateurmusiker, der sich noch auf das Instrument in seiner Hand oder die Akkorde konzentrieren muss, sondern wie ein Profi, der bei jeder Note das ganze Stück im Kopf behält und weiß, welcher Sound entstehen soll. Wir brauchen Übung und Routine, die dafür sorgt, dass wir den Kopf frei haben für andere Dinge.

Dieses Automatisieren ist ein wichtiger Schritt, für unser persönliches Wohlbefinden und für unsere Arbeitsfähigkeit. Im Lauf der letzten 200 Jahre haben wir als Menschheit einen unglaublichen technologischen, wirtschaftlichen, politischen und mentalen Entwicklungsschub gemacht. Es gab Sternstunden und Katastrophen, doch im Prinzip geht es aufwärts. Weil wir die Fähigkeit haben, uns anzupassen, uns weiterzuentwickeln. Diese Fähigkeit ist innerhalb der Dritten Transformation erneut gefragt, diesmal auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung und der Vernetzung. Dass uns das als Menschheit und Gesellschaft gelingen wird, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel. Es geht nicht um das Ob, sondern um das Wie. Und wenn man die Tatsache der »globalen Lernkurve« auf den Einzelnen und sein Arbeitsleben herunterbricht, sollten wir Dinge wie persönliche Einstellung, Informationskompetenz oder Verarbeitungsabläufe in den Mittelpunkt stellen und entsprechend Veränderungen starten.