Mohnblumen

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Aus der Reihe: Großstadtballaden #2
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Mohnblumen
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Inhalt

Impressum

Großstadtballaden

Prolog

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Zwischenspiel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebtes Kapitel

Zwischenspiel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Epilog

Über den Autor

Kennenlernen

Weitere Großstadtballaden

Impressum

Buchreihe: Großstadtballaden

Titel: Mohnblumen

© 2021 Markus Szaszka

Autor: Markus Szaszka

Herausgeber: Gefahrgut Edition

Lektorat: Selfpublishingo

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Großstadtballaden

Seit ein paar Jahren schon reise ich von Stadt zu Stadt, wo ich jeweils ein paar Monate, manchmal auch ein Jahr bleibe.

In dieser Zeit schreibe ich einen Roman, eine Geschichte, die an dem Ort spielt, an dem ich gerade eben bin.

In meinen Büchern beschäftige ich mich am liebsten mit gesellschaftlich relevanten Themen, aber auch die Liebe und das Alltägliche kommen nicht zu kurz.

Und wenn ich mit einem Manuskript fertig bin, dann ziehe ich weiter und das Abenteuer beginnt von vorne, in einer neuen Großstadt.

Wenn du mehr über mich und mein Schreibkonzept erfahren möchtest, dann schau doch gerne auf grossstadtballaden.com vorbei.

Dort gibt es alle Informationen zu meinen bisherigen Bänden und du kannst dich für einen Newsletter anmelden, in dem ich exklusive Kurzgeschichten, Essays uvm. teile.

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Lieben Gruß, dein Markus „Nirgendsmann“ Szaszka

Prolog

Prolog

Schwere Hufe klappern über das Kopfsteinpflaster des ersten Wiener Gemeindebezirkes.

tick

In den Kaffeehäusern werden Sachertorten mit Schlag verputzt.

tack

Die untergehende Sonne taucht den wolkenbesetzten Himmel in warme Farbtöne.

tick

Blaumeisen eilen um die Baumwipfel der Parks.

tack

Die letzten Touristen werden rechtzeitig zur Sperrstunde aus dem Schlosspark Schönbrunn gebeten.

tick

Das Riesenrad dreht ein paar letzte Runden vor der Nachtruhe.

tack

Es ist ein herrlich einfach zu lebender Spätsommerabend.

In einer der prächtigen Altbauten, wo die hohen Decken mit Stuck besetzt sind, gibt eine antike Kaminuhr ihren Geist auf.

Nur kurz sieht Eleonore hinüber, stellt vergnügt fest, dass sie eine weitere ihrer Antiquitäten überlebt hat, und blickt wieder aus dem geöffneten Fenster.

Schade, dass die Zeit dennoch vergeht, huscht ihr durch den Kopf.

»Aber was denk ich nur für dummes Zeug«, murmelt die betagte Dame über sich selbst verwundert. »Als ob ich eine Göre wär. Als ob ich nicht gelebt hätt.«

Jeden Abend sitzt sie in ihrem bequemen Ohrensessel und beobachtet die Gloriette, deren anmutige Umrisse den Horizont schmücken.

Und dann wartet sie auf die ersten Sterne, schwelgt in Erinnerungen oder denkt sich Märchengeschichten aus wie ein Jungspund, der sie im Herzen ja auch geblieben ist.

Welch schöne Erinnerungen trägt die warme Brise an ihr Fensterbrett, an ein langes und ereignisreiches Leben. Freilich nicht von Erschwernissen und Kummer befreit, aber die gehören nun einmal zu einem guten Leben dazu.

»Kannst du es denn glauben. Es ist jetzt schon 59 Jahre her, seit unserem ersten Rendezvous. Damals sind wir durch den Schlosspark geschlendert und haben Eis gegessen. Und dann hast du mich geküsst, vor der Gloriette.«

Eleonore plaudert, als ob ihr Ehemann in seinem Sessel beim Kamin sitzen würde, aber das tut er schon seit einer Weile nicht mehr.

»Und deshalb haben wir diese Wohnung genommen und sie zwei Jahrzehnte abbezahlt, damit wir uns jeden Tag an den Beginn unseres Glücks erinnern konnten.«

Manchmal denkt sie viel über ihre gemeinsame Zeit nach, über ihre ersten Jahre, ihre vielen Höhen und Tiefen, ihre Zweisamkeit.

»Ja, es war ein gutes Leben. Ein vielfältiges Leben. Viel ist passiert. Vieles ist gekommen – und gegangen. Manches zu früh.«

Aber an diesem Abend ist Eleonore nicht nach Erinnerungen zumute. Nach Märchengeschichten schon eher.

Nun, da es beinahe dunkel geworden ist, tauchen weiße Schatten inmitten des Schönbrunner Irrgartens auf. Geister.

»Sieht aus, als ob die Crème de la Crème der Nachtgesellschaft aufgewacht wäre, um einen Spaziergang zu wagen. Wen haben wir denn da? Klimt und Schiele, Beethoven und Brahms, alle sind sie hier und werfen einen Blick auf eine neue Zeit, mit der sie so bestimmt nicht gerechnet haben.«

Eleonore kann sich des Gefühls nicht erwehren, irgendwo einen leisen Walzer vernehmen zu können. Wobei es weniger ein Klang und mehr eine Art Walzer-Gefühl ist. Ferner fragt sie sich, ob es dem Oberkellner des Cafés in der Gloriette ähnlich wie ihr geht, wenn er seinen Blick auf die tonfarbene Dachlandschaft vor ihm hebt.

Was er von dort oben gewiss sieht, das sind nicht nur zahlreiche Kirchtürme, sondern auch das Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien.

Das AKH besteht aus zwei Schwesterbauten, riesenhaften Quadern, die prominent aus dem Stadtbild herausstechen. Zweckmäßige Kolosse der sechziger Jahre.

Damals, als mittzwanzigjährige junge Frau, war sich Eleonore nicht sicher, ob solche Klotze in ein ansonsten jugendstilistisches Umfeld passen würden. Sie weiß es immer noch nicht.

Interessant sehen sie allemal aus, außen wie überdimensionierte Spielzeug-Bausteine, innen wie ein Raumschiff.

Und die Anzahl der Stationen ist derart groß, dass sich zu verlieren ein Leichtes ist. Es gibt unterirdische, wo mit nuklearem Material und Tieren rumhantiert wird. Die ebenerdigen, wo Studenten lernen, Patienten eingeliefert werden und Passanten Lebensmittel einkaufen, zur Post oder der Trafik gehen. Und die vielen darüberliegenden, wo Verunglückte, Kranke und Sterbende nichts sehnlicher möchten, als nach Hause zurückzukehren.

Leonore hat ihr ganzes Leben in Wien verbracht, abgesehen von ein paar kleinen Reisen, und natürlich war auch sie des Öfteren in diesem Gebäudekomplex – aus traurigen, aber auch aus alltäglichen Gründen.

Während eines dieser Besuche hat sie Folgendes für interessant befunden.

Von der Affinität zum Tod, die den Wienern nachgesagt wird, fehlt an diesem Ort jede Spur. Vielleicht deshalb, weil es schwer ist den Tod zu romantisieren, wenn er allzu nahe ist.

Erstes Kapitel

Erstes Kapitel

»Mama? Wo bist du?«, fragte Linh verspielt, obwohl sie wusste, dass ihre Mutter sie nicht hören würde. Zu weit war das Mädchen vom Patientenzimmer weggegangen, um verwaiste Krankenhausflure zu erkunden.

Um zwanzig Uhr hätte ihr Papa sie abholen sollen und um fünfzehn nach acht war sie losmarschiert, trotzig, unruhig und voller Tatendrang.

Er verspätete sich häufig, weil er als Jurist eine ernste Arbeit hatte, die viel von ihm abverlangte. Nicht zuletzt war das ein Grund, weshalb Mama und Papa seit geraumer Zeit getrennt lebten, wusste das Kind.

Linh war es nicht anders von ihm gewohnt, hatte sogar Verständnis für ihren armen, überarbeiteten Vater und fühlte sich deshalb nicht traurig.

Die Langeweile allerdings, die konnte sie kaum aushalten. Das war schon immer so gewesen.

Fünfzehn Minuten auf jemanden zu warten, stillsitzend und Däumchen drehend; ein unmögliches Unterfangen.

Vielmehr noch war es an diesem Abend so, dass Linh sich über sein Zuspätkommen sogar freute, denn sie hatte ein Gefühl, als ob es gut wäre, noch ein bisschen im Krankenhaus zu bleiben und es zu erforschen – ein Abenteuer zu haben.

Für ihre jungen neun Jahre war Linh sehr keck. Mutiges kleines Ding sagte ihr Vater immer, wenn sie sich unerlaubterweise der elterlichen Aufsicht entzog, aus dem Staub machte und auf eine ihrer berüchtigten Erkundungstouren ging.

Oft hatten sie sich schon Sorgen gemacht, wenn sie nach Schulschluss noch im Gebäude blieb und im Biologie-Zimmer über die präparierten Tiere in Gläsern staunte. Oder wenn sie im Einkaufszentrum ins Spielzeuggeschäft flüchtete, um dort mit ein paar Teddybären in einem aufgeschlagenen Zelt zu spielen. Oder jetzt, wenn sie sich aus Langeweile im Krankenhaus umsah, um etwas zu tun zu haben.

Linh machten solche Ausflüge einen Riesenspaß, nur ihre Eltern litten unter dieser frühreifen Selbstständigkeit. Und all das Geschimpfe und Ermahnen, nicht ohne Vorwarnung zu verschwinden, war stets spurlos an dem Kind vorbeigegangen.

 

Meistens fürchtete sich Linh nicht, wenn sie allein herumstrolchte, aber an diesem Abend war ihr zumindest ein wenig mulmig zumute.

Die sterilen Gänge des AKH konnten nämlich etwas Einschüchterndes an sich haben, vor allem spätabends und nachts, wenn die meisten Tagesbesucher nicht mehr da waren.

Denn dann hörte man nur noch das Knistern der Leuchtstoffröhren an den Decken und hin und wieder Geräusche aus den Kranken-, Tierversuchs- und Laborzimmern.

Die Besuchszeit endete für gewöhnlich um neunzehn Uhr. Und die Passanten, die gerne mal durch das Krankenhaus hasteten, weil es eine Abkürzung zwischen dem Währinger Gürtel und der Spitalgasse sein konnte, lagen um diese Zeit bereits selig auf ihren Couchen. Die meisten Ärzte auch. Die Medizinstudenten, die tagsüber in den Hörsälen paukten, befanden sich in Kneipen und das Nachtpersonal hütete die Bereitschaftszimmer.

Es gab noch die Ambulanz, sie befand sich in einem Eckchen des Erdgeschosses, und da war immer was los. Aber dorthin verirrte sich Linh an diesem Abend nicht.

Zunächst hatte sie sich bloß die hübsch gestalteten Wände der Station angesehen, in der ihre Mutter lag, und dann war sie einem ulkig aussehenden Doktor in einen der Aufzüge gefolgt. Er hatte ein plüschenes Kätzchen unter seinem Arm getragen und war in sein Klemmbrett vertieft gewesen, sodass er das Mädchen, das mit ihm im Personalaufzug nach unten fuhr, nicht einmal bemerkte.

Dann war er in einem der vielen Zimmer der dritten Ebene verschwunden, die sich zwei Ebenen unter dem Haupteingang befand.

Linh tapste ihm hinterher und las Nuklearmedizin auf der Tür, die er gut hörbar verschloss.

»Hm«, überlegte sie, kaum von dieser Zwickmühle beeindruckt, die sie nicht vorausgesehen hatte. So etwas brachte ihre Verträumtheit nun einmal mit sich. Das war sie gewohnt. »Blöd! Wie komme ich jetzt nur zurück zu Mama?«

Die naheliegende Idee, die auch Linh einfiel, war zurück zu den Aufzügen zu gehen und hinaufzufahren. Nur hatte sie sich dummerweise nicht gemerkt, auf welcher Ebene ihre Mutter lag und ihr Vater womöglich schon schimpfend auf sie wartete.

»Ach Menno! Ich glaube, es war eine zweistellige Ebene. Zwölf? 19? 14? Hühnerkacke! Ich weiß es nicht mehr«, sprach das mutige kleine Ding mit sich selbst, um die aufkeimende Nervosität zu verscheuchen. »Was mache ich denn jetzt?«

Und just in diesem Moment sauste ein jugendliches, vielleicht fünfzehn- oder sechzehnjähriges Punk-Rock-Mädchen auf einem Skateboard aus einem der Seitengänge und direkt auf Linh zu, die ein bisschen erschrocken »Wow!« rief. Aber sie beruhigte sich gleich wieder, weil das Mädchen harmlos aussah – und cool – alles an ihm;

Die schwarz-grün gestreiften Strumpfhosen, der weiß-pinke Hello-Kitty-Kapuzenpullover, die Jeanskutte mit den vielen Aufnähern, der kleine, niedlich gestaltete Totenkopfanhänger und auch der schöne Ponyhaarschnitt, der ihm zu den Schultern ging. Es sah aus wie die große Schwester, die Linh sich manchmal wünschte, aber als Einzelkind nicht hatte.

Das Teen zog sich die Kopfhörer von den Ohren, blieb neben Linh stehen, kickte das Board mit einem gekonnten tritt in die Luft, fing es mit einer Hand, lächelte und fragte: »Hey, Kleine, weißt du vielleicht, wo die Ebene mit der Nummer siebzehn ist? Ich glaube, ich habe mich ein bisschen verfahren.«

»Ähm, nein, tut mir leid, ich habe mich aber auch verlaufen. Ich muss zu meiner Mama, aber ich weiß nicht, wo ihr Zimmer ist.«

»Oh, das ist ja ein Zufall. Hallo, mein Name ist Mori und wie heißt du?«, sagt sie und streckt Linh eine Hand entgegen.

»Ich bin Linh.«

»Cool. Ich mag dich. Du bist klein und süß und noch so jung. So lebendig!«

»Ähm, danke, nehme ich an«, Linh musste über beide Ohren grinsen, weil Moris Ausdrucksweise ungewöhnlich war. »Ich mag dich auch. Du hast tolle Klamotten.«

»Danke. Was meinst du? Sollen wir zusammen versuchen, zu finden, wonach wir suchen? Ich helfe dir und du hilfst mir.«

»Okay!«, jubelte Linh.

»Super.« Mori musterte den langen Hauptgang dieser Ebene und kratzte sich an der Stirn. »Schon komisch, dass wir hier unten gelandet sind. Hier gibt es doch gar keine Patienten. Ich glaube, wir müssen ein wenig weiter nach oben. Was denkst du?«

»Ja, wahrscheinlich. Ich bin mit dem Aufzug gekommen.«

»Wollen wir die Treppen nehmen? Die sind dort vorne. Die habe ich schon häufig genommen.«

»Ja, okay. Das heißt, du kennst dich hier aus?«

»Ein bisschen.«

Sie machten sich auf ihren Weg, beide erfreut darüber, nicht mehr allein rumstrolchen zu müssen.

»Und was für tolle Aufnäher du hast, Mori. Das sind alles Monster, oder?«

»Sind doch ganz süß, was meinst du?«

»Mhm, die meisten zumindest«, meinte Linh, der manche der Aufnäher zu grauslich waren.

»Aber dein Outfit ist auch nicht ohne. Ein Bärchen-Pulli. Ein Klassiker.«

»Ja! Das ist mein Lieblingspulli.«

»Und das zu Recht!«

»Und was sagst du zu meinen Strümpfen und zu meinem Tutu? Habe ich ganz neu bekommen, damit ich gut tanzen kann. Alles in Rosa, weil das meine Lieblingsfarbe ist. Meine alten, aber hübschen Tanzschuhe habe ich zu Hause, weil meine Sportschuhe bequemer sind. Leider sind sie weiß.«

»Die sind auch sehr schön. Sie passen gut zu dir, genauso wie deine Zöpfe und die Schleifchen darin.«

»Die habe ich selbst gebastelt, in der Schule. Ich habe sie bunt gemacht, weil sie so am besten zu meinen dunklen Haaren passen.«

So gingen die beiden nebeneinander einher, der Nacht entgegen, stiegen Treppen, liefen Gänge entlang, hielten nach einem Mitarbeiter des Krankenhauses Ausschau, den sie nach dem richtigen Weg fragen konnten, fanden aber niemanden. Manchmal huschte jemand weit entfernt über einen Flur, aber meistens sahen sie ihn nur aus dem Augenwinkel und dann war er wieder weg.

»Es ist wie verhext«, stellte Linh fest.

»Ja, irgendetwas ist Besonders an dieser Nacht. Ich spüre es auch.«

Also gingen sie weiter, suchten nach der Ebene Nummer siebzehn und Gängen, die Linh bekannt vorkamen. Diejenigen, bei denen ihre Mutter lag, trugen hübsche Mohnblumenmalereien auf den Wänden.

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