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Wir wollen alles 69

Welchen Nutzen könnte Nietzsche heute haben? Oder anders gesagt, welcher Nietzsche könnte heute nützlich sein?

Es dürfte kaum überraschen, dass ich den perspektivis­tischen Nietzsche – also den, der nicht nur die Möglichkeit, sondern auch den Wert der Wahrheit infrage stellt – als den Feind begreife. Noch weniger überraschend dürfte meine Ablehnung des dionysischen Nietzsche sein, den Zelebranten des transgressiven Begehrens. Dieser Nietzsche ist größtenteils ein retrospektives, post-Bataille’sches Konstrukt (selbst in der Geburt der Tra­gödie betrauert Nietzsche den Verlust der Spannung zwischen dem Dionysischen und Apollinischen; und in den späteren Schriften neigt er eher dazu, die Notwendigkeit von Grenzen und Einschränkungen zu loben, als dass er für eine zügellose Freisetzung der Libido argumentiert). Der perspektivistische und der dionysische Nietzsche sind beide viel zu zeitgemäß.

Der immer noch unzeitgemäße Nietzsche – und damit meine ich nicht veraltet, ganz im Gegenteil – ist Nietzsche, der Aristokrat. Nicht als politischen Theoretiker sollte man Nietzsche ernstnehmen, zumindest nicht auf der Ebene seiner positiven Aussagen. Es ist der Nietzsche, der die Geschmacklosigkeit und Mittelmäßigkeit denunziert, die aus den einebnenden Impulsen der Demokratie resultieren, der aktueller kaum sein könnte. In dieser Zeit der gruppenbezogenen Freundlichkeit und der »autonomen Herden« besticht Polemik um Polemik in Jenseits von Gut und Böse durch ihre unheimliche Triftigkeit. Nietzsches wahre Interessen lagen in der Kulturpolitik; Regierungen und gesellschaftliche Institutionen beschäftigten ihn nur insofern, als sie kulturelle Effekte hervorriefen. Seine ultimative Frage war: »Was sind die Bedingungen, unter denen großartige, kulturelle Artefakte entstehen?«

Als Chantelle Houghton vor einer Woche oder so Celebrity Big Brother gewann (es scheint schon viel länger her), musste ich an Nietzsches Warnungen denken, was passieren würde, wenn alle »Sonderforderungen und Pri­vilegien« abgeschafft wären, wenn überhaupt die Idee der Überlegenheit verschwunden ist. Ich dachte auch an Nietzsches glühendes Plädoyer für die Kultivierung von »Härte« und »Grausamkeit«, wenn das mensch­liche Tier wirklich durch Hammerschläge und die Kraft des Willens in ein großes Kunstwerk verwandelt werden soll; vor allem als ein paar Beiträge auf Dissensus ernsthaft »Nettigkeit« – im Ernst, Nettigkeit – als erstrebenswerte Eigenschaft anpriesen.

Bei Chantelles Sieg ging es nicht nur um Beliebtheit: Wie Marcello in seinem ausgezeichneten Artikel über Big Brother schreibt, ging es um ein Prinzip, nämlich die Idee, dass Gewöhnlichkeit jede Form der Überlegenheit am Ende schlagen muss:

»›Man gewinnt weder Unterstützung noch Respekt, wenn man sich außerhalb des Gewöhnlichen stellt. Man muss zugänglich, aber auch authentisch sein. Das ist es, was die jungen Leute respektieren.‹ Diese Aussage kommt von einem Alex Folkes, dem Sprecher einer Lobbygruppe namens Votes at Sixteen und er bezieht sich auf George Galloway. Es ist diese anstrengende, alberne Antiphilosophie, wegen der ich überlege, ob ich eine Lobbygruppe mit dem Namen Votes at Thirty gründe. Allerdings passt die Aussage – leider – ziemlich gut in eine Zeit, in der es das Bedürfnis nach Göttlichkeit nicht mehr gibt. Während wir uns früher gemeinsam vor Fernsehern oder Bühnen versammelten, um in Ehrfurcht Menschen dabei zu zusehen, wie sie Dinge tun und erreichen, die wir uns niemals selbst zutrauen – und wie wir aber darin schwelgten und uns selbst emporschwangen, wenn wir davon träumten, es doch zu tun –, brauchen wir heute nicht mehr als einen demütigenden Spiegel. Deswegen kommen gefährliche Leute nicht an die Macht, aber aus demselben Grund wird auch alle Kunst unmöglich. Während wir uns früher gemeinsam vor Fernsehern oder Bühnen versammelten, um in Ehrfurcht Menschen dabei zu zusehen, wie sie Dinge tun und erreichen, die wir uns niemals selbst zutrauen […], brauchen wir heute nicht mehr als einen demütigenden Spiegel.«70

Darin besteht die Celebreality: der Star wird entsublimiert und zugleich auf das Level des »Gewöhnlichen« gehoben. Die Kommentare über Celebrity Big Brother nahmen es als gegeben hin, dass sich die Zuschauer mit den Medienfiguren, die ihnen ein bequemes und simples Spiegelbild in ihrer mittelmäßigsten, dümmsten und harm­losesten Form bieten, »identifizieren« wollen. Julie Burchills endlos wiederholtes Plädoyer für Big Brother – dass die Sendung der Arbeiterklasse erlaube, in Medienbereiche vorzudringen, die sonst nur den Privilegierten offenstehen – ist aus drei Gründen falsch. Erstens sind die echten Gewinner von Big Brother nicht die Teilnehmer, denn ihre »Karrieren« sind notorisch kurzlebig, sondern Endemol und ihre Clique von aalglatten Produzenten. Zweitens baut Big Brother auf einem paternalistischen und reduktionistischen Bild der Arbeiterklasse auf und braucht die Mittelmäßigen, die die Arbeiterklasse dazu bringen, sich in dieses Bild einzufügen und sich »damit zu identifizieren«. Und drittens haben Big Brother und das Reality-Fernsehen die Bereiche der Populärkultur verdrängt, in denen es der Arbeiterklasse um mehr ging als »Reichtum« und »Berühmtheit«. Der Aufstieg dieser Formate bedeutete die Niederlage für jenen umfassenden proletarischen Wunsch danach, mehr zu sein, (Ich bin nichts, aber ich sollte alles sein), ein Wunsch, der soziale Tatsachen negierte und klangliche Fiktionen dagegen setzte, der »Gewöhnlichkeit« verachtete und das Merkwürdige und Fremde vorzog. Bei Celebrity Big Brother war Pete Burns das Cartoon-hafte Symbol dieser verlorenen Ambitionen, mit seinen gelegentlichen Grausamkeiten, seiner wilden Ausdrucksweise und seinen Masoch-Pelzen, wie er schmollend an der Peripherie he­rumschlich, ein Glam-Prinz in einer Zeit der Post-Tony-Blair-Eierköpfe.

Wir alle wissen, dass die »Realität« des Reality TV eine raffinierte Konstruktion ist, ein Effekt nicht nur des Schnitts, sondern auch einer künstlichen Umgebung, die wie ein Experiment von Konrad Lorenz wirkt, in dem eine Ratte in einem Labor von lauter Spiegeln ausgesetzt wird, wodurch die Psychologie zu einer Reihe territorialer Zuckungen wird. Von Bedeutung ist an dieser »Realität«, was in ihr abwesend ist, nicht die positiven Eigenschaften, die sie vermeintlich hat. Und was abwesend ist, ist vor allem Phantasie. Oder besser gesagt, Phantasieobjekte.

Einst wandten wir uns der Populärkultur zu, weil sie Phantasieobjekte produzierte; heute sollen wir uns mit dem phantasierenden Subjekt selbst »identifizieren«. Es war geradezu folgerichtig, dass, eine Woche, nachdem Chantelle Celebrity Big Brother gewann, das Musikmagazin Smash Hits sein Ende bekanntgab.

Smash Hits entstand, als das Glam-Kontinuum gerade zu Ende ging. Das Magazin übernahm vom Punk den am wenigsten Nietzscheanischen Affekt, nämlich seine »Respektlosigkeit«. Bei Smash Hits schlug sich das in einer zwanghaften Trivialisierung nieder, verbunden mit der gutgelaunten Entmystifizierung des Starkultes. Hinter dem albernen Surrealismus von Smash Hits verbarg sich ein solider Common Sense sowie das widersprüchliche Begehren, seine Idole nicht nur besitzen, sondern auch töten zu wollen. Heat war der Nachfolger von Smash Hits und machte es überflüssig. Es brauchte keinen (Pop-) Vorwand mehr, nun konnte man sich einfach direkt mit Celebrities beschäftigen, ohne sich mit den peinlichen Träumen des Pop beschäftigen zu müssen. Chantelle ist die logische Schlussfolgerung dieses Prozesses: Anti-Pop und ein Anti-Idol.

Nietzsche ging davon aus, dass die Art von Nivellierung, für die Chantelle steht, unvermeidlich und notwendig zu jeder Form des Egalitarismus dazugehört. Die Popkultur war jedoch einmal der Bereich, in dem man sehen konnte, dass jeder echte Egalitarismus quer zu solcher Nivellierung steht. Über die Gothic-Kultur habe ich letztes Jahr [2005] geschrieben, dass es sich um eine »paradoxe egalitäre Aristokratie handelt, in der Mitgliedschaft nicht durch Geburt oder Schönheit garantiert wird, sondern durch die Dekoration des Selbst«. Ob wir von der Popkultur noch einmal lernen, dass Egalitarismus dem Willen zur Größe und einer bedingungslosen Forderung nach dem Ausgezeichneten nicht feindlich gegenübersteht, sondern auf ihnen beruht?

Gothic Ödipus:
Subjektivität und Kapitalismus in Christopher Nolans
Batman Begins 71

Batman hat mehr als genug zur »Dunkelheit« beigetragen, die wie ein pittoreskes Sargtuch über der gegenwärtigen Kultur liegt. »Dunkel« meint sowohl einen hervorragend zu vermarktenden ästhetischen Stil als auch einen ethischen, oder besser gesagt, anti-ethischen, Standpunkt, eine Art Hochglanz-Nihilismus, dessen theoretische Grund­annahme die Verleugnung der Möglichkeit des Gu­ten ist. Gotham, vor allem wie es Frank Miller in den 1980er Jahren neu erfunden hat, ist gemeinsam mit Gibsons Sprawl und Ridleys L.A. die wichtigste geomythische Quelle dieses Trends.72

Millers Einfluss auf die Comicwelt war höchstens ambivalent. Man bedenke, dass sein Aufstieg mit der absoluten Unfähigkeit der Superheldencomics, irgendwelche neuen Charaktere mit mythischer Resonanz hervorzubringen, zusammenfällt.73 Die »Reife«, für die Miller gefeiert wurde, korrespondiert der depressiven und introspektiven Adoleszenz seiner Comics, und die schlimmste Sünde ist für ihn, wie für alle Erwachsenen, das Übermaß. Daher sein charakteristischer wortkarger, deflationärer Stil: Man denke an all die bedeutungsschweren Seiten ohne Dialog, auf denen so gut wie nichts passiert und vergleiche sie mit der überschäumenden Spritzigkeit der typischen Marvel-Comics aus den 1960er Jahren. Millers Comics strahlen die brütende Stille eines launischen, fünfzehnjährigen Jungen aus. Es kann keinen Zweifel geben: die Stille bedeutet.

 

Miller bediente das unredliche, männlich-adoleszente Bedürfnis, sowohl Comics zu lesen als auch sich ihnen überlegen zu fühlen. Seine Entmythologisierung schuf aber unvermeidlich eine neue Mythologie, eine, die sich der verdrängten Mythologie überlegen wähnte, die aber in Wahrheit eine vollkommen vorhersehbare Welt der »moralischen Ambivalenz« darstellt, in der alles »Grau in Grau« ist. Es gibt Gründe, skeptisch gegenüber der von Miller eingebrachten, karikaturenhaften nihilistischen Leere zu sein, dem Noir light, der in Filmen und Büchern längst zum Klischee geworden ist. Die »Dunkelheit« seiner Perspektive ist hingegen eigentümlich beruhigend und ermutigend, und zwar nicht nur aufgrund der Sentimentalität, die sie nie los wird. (Millers »hartgesottene« Welt erinnert nicht so sehr an Noir, sondern an dessen Simulation in Dennis Potters Singing Detective, der Tagtraum-Phantasie eines erfolglosen Schriftstellers, voll von Misogynie und Misanthropie, durchzogen von extremen Selbsthass.)

Es ist kaum überraschend, dass Millers Art des Realismus in einer Zeit in den Comics auftauchte, da sich das Wirtschaftsmodell Reagans und Thatchers als die einzige Lösung für die Probleme der USA und Großbritanniens präsentierte. Beide behaupteten, uns von den »tödlichen Abstraktionen« der »Ideologien der Vergangenheit« erlöst zu haben.74 Sie weckten uns aus den angeblich falschen und gefährlich verblendeten Träumen der Gemeinschaft und machten uns wieder mit der »essenziellen Wahrheit« vertraut, dass der Mensch nur durch sein eigenes, animalisches Interesse motiviert werden kann.

Diese Versatzstücke gehören zu einem impliziten ideologischen Gerüst, das wir kapitalistischer Realismus nennen können. Auf der Grundlage einer Reihe von Annahmen – Menschen folgen ausschließlich dem Eigeninteresse, (soziale) Gerechtigkeit kann niemals erreicht werden – entwirft der kapitalistische Realismus ein Bild dessen, was »möglich« ist.

Für Alain Badiou indiziert der Aufstieg dieses beschränkten Möglichkeitssinns eine Phase der »Restauration«. Wie Badiou in einem Interview mit der Zeitschrift Cabinet erklärte, »meint ›Restauration‹ in Frankreich die Phase der Rückkehr des Königs 1815, nach der Revolu­tion und nach Napoleon. Wir befinden uns in einer solchen Phase. Wir sehen den liberalen Kapitalismus und sein politisches System, den Parlamentarismus, als die einzig natürliche und annehmbare Lösung.«75 Laut Badiou tritt die Verteidigung dieser politischen Konstella­tion als ein Senken der Erwartungen auf:

»Wir leben in einem Widerspruch: Es herrschen brutale, zutiefst ungerechte Zustände – in denen jede Exis­tenz allein in Geld gemessen wird – und diese Zustände werden uns als Ideal angeboten. Aber um ihren Konservatismus zu rechtfertigen, können die Parteigänger der herrschenden Ordnung diese Zustände nicht wirklich als ideal oder wunderbar bezeichnen. Also haben sie sich entschieden, einfach zu sagen, dass der ganze Rest schrecklich ist. Natürlich, so sagen sie, leben wir nicht in einer Welt des Guten. Doch zum Glück leben wir auch nicht in einer Welt des Bösen. Unsere Demokratie ist nicht perfekt. Aber sie ist immer noch besser als eine brutale Diktatur. Kapitalismus ist ungerecht. Aber er ist nicht so ein Verbrechen wie der Stalinismus. Wir lassen zwar Millionen Afrikaner an AIDS sterben, aber wir sind keine rassistischen Nationalisten wie Milošević. Wir töten Iraker mit unseren Flugzeugen, aber wir schneiden ihnen nicht mit Macheten die Kehlen auf wie in Ruanda, und so weiter.«76

Kapitalismus und die liberale Demokratie sind »ideal« genau in dem Sinne, als sie »das Beste« sind, »was zu erwarten ist«, will sagen, das am wenigsten Schlimme.77 Etwas davon hallt in Millers Darstellung des Helden in Die Rückkehr des dunklen Ritters und Batman – Das erste Jahr nach: Batman ist vielleicht autoritär, gewalt­tätig und sadistisch, aber in einer Welt endemischer Kor­ruption ist er die am wenigs­ten schlimme Option. (In­mitten einer allgegenwärtigen Bestechlichkeit könnten solche Eigenschaften sogar notwendig sein.) Ganz im Sinne der Darstellung Badious ist es in Millers Gotham unmöglich geworden, die Existenz des Guten anzuneh­men. Das Gute hat keine positive Präsenz – das einzige Gute, das es gibt, muss mit Verweis auf ein selbsterklä­rendes Böses bestimmt werden. Das Gute, mit anderen Worten, ist die Abwesenheit eines Bösen, dessen Existenz offen auf der Hand liegt.

Das Faszinierende der jüngsten Batman-Verfilmung, Batman Begins (unter der Regie von Christopher Nolan), liegt in der zaghaften Rückkehr zur Frage nach dem Guten. Der Film gehört immer noch zur »Restauration«, insofern als er sich nichts jenseits des Kapitalismus vorstellen kann: Wie wir sehen werden, dämonisiert Batman Begins eine bestimmte Form des Kapitalismus – das postfordistische Finanzkapital – und nicht den Kapitalismus an sich. Und dennoch lässt der Film die Möglichkeit eines Handelns offen, das der kapitalistische Realismus verneint.

Nolans Auseinandersetzung mit Batman ist keine Neuerfindung, sondern eine Aneignung des Mythos, eine große Synkrisis, die die ganze Geschichte der Figur einbezieht.78 Erfreulicherweise ist in Batman Begins nichts »Grau in Grau«, sondern es gibt vielmehr konkurrierende Versionen des Guten. In Batman Begins wird der von Christian Bale dargestellte Bruce Wayne von einer ganzen Reihe Vaterfiguren verfolgt (oder der fast vollständigen Abwesenheit von Müttern: Seine Mutter sagt fast kein einziges Wort), jede mit ihrer eigenen Version des Guten. Zunächst gibt es den biologischen Vater, Thomas Wayne, ein rosig weichgezeichnetes, moralisches Vorbild, die reinste Personifizierung des philanthropischen Kapitals, der »Mann, der Gotham erbaut hat«. Gemäß des schon in den Detective Comics der 1930er formulierten Batman-Mythos, wird Wayne bei einem willkürlichen Überfall getötet und überlebt lediglich als moralisches Gespenst, das das Gewissen des Waisenkindes belastet. Dann ist da R’as Al Ghul, der in Nolans Film als eine Art hypergläubischer (hyperstitious)79 Mentor-Guru figuriert, ein terroristischer Charakter, der den gnadenlosen, ethischen Code repräsentiert, der das komplette Gegenteil von Thomas Waynes wohlmeinenden Paternalismus ist. Unterstützt wird Bruce in seinem Kampf zwischen zwei Vaterfiguren (ein Kampf, den er in seiner eigenen Psyche austrägt) von einer dritten, den von Michael Caine gespielten Alfred, den »mütterlichen« Fürsorger, der dem jungen Bruce bedingungslose Liebe schenkt.

Der Kampf zwischen den Vätern wird verdoppelt durch den Konflikt zwischen Angst und Gerechtigkeit, der im Zentrum des Batman-Mythos steht, seit er 1939 das erste Mal erschien. Die Herausforderung für Bruce Wayne besteht in Batman Begins nicht nur darin, die Angst zu besiegen, die von Millers Erfindungen, dem Unterweltboss Falcone und Scarecrow in Form eines »Waffenhalluzinogens« eingesetzt wird, sondern auch Gerechtigkeit zu finden, was, wie der junge Bruce Wayne herausfinden muss, nicht dasselbe ist, wie Rache zu üben.

Von Anfang an bestand der Batman-Mythos darin, die Angst in den Dienst der heroischen Gerechtigkeit zu stellen. Und so widmet sich Christopher Nolans Bruce Wayne der Aufgabe, die Angst gegen die zu richten, die sie verbreiten, ganz wie die Ursprungsgeschichte in den Detective Comics von 1939 Bruce bekanntermaßen sagen lässt: »Kriminelle sind ein abergläubisches, feiges Pack, also muss meine Verkleidung ihre Herzen mit Angst erfüllen.« Und trotzdem wird diese Ursprungsgeschichte bei Nolan sowohl ödipaler als auch anti-ödipaler als in den ersten Comics. Dort entscheidet sich Bruce für den Namen »Batman«, als eine Fledermaus in sein Zimmer fliegt. Nolans Version dieser Urszene ist deutlich anders; sie findet außerhalb seines Zuhauses statt, jenseits des Reichs des Ödipalen, in einer Höhle auf dem weitläufigen Anwesen Wayne Manor und es taucht nicht eine Fledermaus auf, sondern eine ganze (deleuzianische) Horde.80 Doch die Nähe des Namens Batman zu einigen Fällen von Freud – vor allem der »Rattenmann«, aber auch der »Wolfsmann« – ist kein Zufall. Batman bleibt eine vollständig ödipale Figur (woran Batman Begins keinen Zweifel lässt).81 Batman Begins verknüpft das Tier-werden mit dem Ödipalen, indem er Bruce’ Angst vor Fledermäusen als eine der Ursachen für den Tod seiner Eltern darstellt. Bruce ist in der Oper, als eine Fledermaus auf der Bühne ihn dazu treibt, seine Eltern so lange zum Verlassen der Oper zu drängen, bis sie nachgeben und draußen getötet werden.

Das Moment des Schauers und das Moment des Ödipalen waren im Batman-Mythos von Beginn an verbunden, schon auf den zwei Seiten der Detective Comics, in denen Batmans Geschichte erzählt wird. Kim Newman schreibt, dass Waynes Epiphanie – »Ich muss eine schreckliche Kreatur der Nacht werden … Ich muss eine Fledermaus werden … ein seltsames Geschöpf der Nacht« – »unterschwellige« Zitate von Dracula (»Geschöpfe der Nacht, welch süße Musik sie machen«) und Das Cabinet des Dr. Caligari (»Du sollst Caligari werden«) enthält.82 Diesen drei Bildern folgen drei im oberen Teil der Seite, in denen der geschockte Bruce seine toten Eltern betrachtet (»Vater, Mutter (…) Tot, sie sind tot.«) und auf ihren Tod »schwört«, sie zu »rächen, indem ich für den Rest meines Lebens Verbrecher bekämpfe«. Batman ist ganz bewusst als eine Figur im Stile des Schauerromans entworfen, als ein »merkwürdiges Geschöpf der Nacht«, aber eines, das »die Nacht« gegen die Verbrecher wendet, die sich in ihr verbergen.

Nicht nur war Batman – vermittelt über die Horrorfilme von Universal – tief vom deutschen Expressionismus beeinflusst, sondern auch vom Film Noir, der, wie die Batman-Comics, in den späten 1930er und frühen 1940er Jahren entstand. (Wie wir bereits gesehen haben, kann Millers Batman als eine in vieler Hinsicht postmoderne Variante dieser Linie gelten.) Eine Bemerkung von Alenka Zupančič weist uns auf eine mögliche, verborgene Quelle für die Verbindung zwischen Batman und dem Film Noir hin: Wieder ist es Ödipus. »[I]m Gegensatz zu Hamlet«, schreibt Zupančič,

»wurde über die Ödipusgeschichte oft gesagt, dass sie zum Genre des Whodunnits gehört. Manche gingen sogar noch weiter und sahen in König Ödipus den Prototypen des Noir-Genres. So erschien König Ödipus in der ›Noir-Reihe‹ des französischen Verlags Gallimard (›aus dem Mythos übersetzt‹ von Didier Lamaison).«83

Batman, der Superheld-Detektiv, tritt in die Fußstapfen des ersten Detektivs, Ödipus.

Letztlich besteht das Problem für Batman allerdings darin, dass er Ödipus bleibt, ohne den Ödipuskomplex bewältigt zu haben. Wie Zupančič herausstellt, geht es im Ödipuskomplex um die Diskrepanz zwischen dem Symbolischen und dem empirischen Vater: Der symbolische Vater ist die Verkörperung der symbolischen Ordnung selbst, der ehrwürdige Träger von Bedeutung und Vertreter des Gesetzes; der empirische Vater ist der »einfache, mehr oder weniger brave Mann«. Für Zupančič besteht der gewöhnliche Verlauf der »typischen Genese von Subjektivität« darin, dass das Kind zuerst auf den symbolischen Vater trifft und erst dann lernt, dass diese mächtige Figur ein »einfacher, mehr oder weniger braver Mann« ist. Bei Ödipus, so Zupančič, verläuft dieser Prozess aber genau umgekehrt. Ödipus trifft zunächst auf einen »unhöflichen, alten Mann auf der Straße« und erfährt erst später, dass dieser »einfache Mensch«, dieses »vulgäre Wesen« sein Vater war. Deswegen geht »Ödipus den Weg der Initiation (der ›Symbolisierung‹) rückwärts und bemerkt so die radikale Kontingenz des Symbolischen.«84

Für Bruce Wayne gibt es aber keine Diskrepanz zwischen dem Symbolischen und dem Empirischen. Thomas Waynes früher Tod bedeutet, dass er in der Psyche seines jungen Sohnes als der mächtige Vertreter des Symbolischen eingefroren ist; er wurde niemals auf den Status eines einfachen Mannes »entsublimiert«, sondern er bleibt ein moralisches Vorbild – tatsächlich ist er der Vertreter des Gesetzes als solchem, er musst gerächt werden, aber er kann ihm niemals gleichkommen. In Batman Begins ist es der Auftritt von R’as Al Ghul, der die ödipale Krise auslöst. Der junge Bruce Wayne ist davon überzeugt, dass der Tod seines Vaters seine Schuld ist, doch Al Ghul versucht ihn davon zu überzeugen, dass die Schuld am Tod der Eltern bei Bruce’ Vater liegt, weil der gutmütige und liberale Thomas Wayne nicht gehandelt hat; er war ein willensschwacher Versager. Bruce weigert sich jedoch, diese Initiation mitzumachen und hält dem »Namen des Vaters« die Treue, während Al Ghul eine Figur des Exzesses und des Bösen bleibt.

 

Die Frage, die Al Ghul für Bruce Wayne darstellt ist: Du, mit deinem Gewissen, deinem Respekt für das Leben, ist dein Wille zu schwach, hast du zu viel Angst, um zu tun, was nötig ist? Kannst du handeln? Wayne muss sich entscheiden: Ist Al Ghul, was er zu sein vorgibt, ein eiskaltes Instrument der unpersönlichen Gerechtigkeit, oder ist er eine groteske Parodie? Das ultimative Böse wurzelt im Film schließlich in Ghuls übermäßigen Eifer, nicht in irgendeinem merkwürdigen Diabolismus oder einem psycho-biographischen Zufall.85

In dieser Hinsicht ist Batman Begins der Film, von dem Žižek dachte, dass es Star Wars: Episode III – Die Rache der Sith hätte sein können: ein Film, mit anderen Worten, der sich traut, die These aufzustellen, dass das Böse aus einem Exzess des Guten entsteht. Für Žižek hätte »Anakin [Skywalker] aufgrund seiner exzessiven Berührung mit dem Bösen überall ein Monster werden und das Böse bekämpfen sollen«, aber

»[a]nstatt sich auf Anakins Hybris zu konzentrieren, als das überwältigende Verlangen, einzugreifen und Gutes zu tun, für diejenigen, die er liebt bis ans Ende zu gehen und zur dunklen Seite überzutreten, wird Anakin einfach als ein unentschiedener Kämpfer gezeigt, der langsam in das Böse abgleitet, indem er der Versuchung der Macht nachgibt und unter den Bann des bösen Herrschers gerät.«86

Parallel zu Žižeks Lesart von Revenge of the Sith, verdoppelt sich die Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Vater – wer ist eigentlich der Vater? – in Batman Begins durch die bedrohliche (Omni)Präsenz des Finanzkapitals und das Problem, was dagegen getan werden könnte. In Batmans Universum ist »der Name des Vaters« – Wayne – natürlich auch der Name eines kapitalis­tischen Unternehmens. Die Übernahme von Wayne Indus­tries durch die Aktionäre bedeutet, dass Thomas’ Name gestohlen wurde. Folglich ist Bruce Waynes Kampf gegen das Finanzkapital zugleich zwangsläufig ein Versuch, den in den Schmutz gezogenen Namen seines Vaters wieder reinzuwaschen. Da Wayne Industries das Herz der Stadt ist – wörtlich und im übertragenen Sinne – ist auch Gotham verflucht wie Theben durch die Sphinx. Die Infrastruktur liegt in Trümmern, die Zivilgesellschaft zerfällt, Gotham ist fest im Griff der Krise und einer Welle von Verbrechen, wobei beide dem neuen, räuberischen, entterritorialisierten Kapital zugeschrieben werden, das nun die Kontrolle über Wayne Industries hat. Die Auswirkungen des Finanzkapitals bekommen im Narrativ des Films durch den wohlmeinenden und von dem neuen Regime degradierten Lucius Fox (einem weiteren Kandidaten für die Figur des Vaters)87 eine persönliche Note. Die Implikation ist, dass die elenden Zustände nur verbessert werden könne, wenn der Name des Vaters wieder ins Recht gesetzt wird.

In der Rolle, die der Kapitalismus in Batman Begins spielt, ist der Film bemerkenswert widersprüchlich. Teilweise hat dies mit dem Versuch zu tun, das Narrativ der 1930er Jahre in ein Gewand des 21. Jahrhunderts zu zwängen: Die Verweise auf die Wirtschaftskrise sind ein deutliches Echo der Dreißiger und bilden eine Disjunk­tion zur heutigen USA, die eine nie dagewesene Phase des ökonomischen Erfolges erlebt. Wie der Kapitalismus selbst – jenes »kunterbunte Gemälde von alldem, was geglaubt worden ist« (Deleuze/Guattari) –, ist auch Nolans Gotham ein Mischmasch aus Mittelalter und jüngster Gegenwart, aus Amerika, Europa und der Dritten Welt. Es ähnelt zugleich den Wolkenkratzern des Expressionismus und den Favela-Feldern des Cyberpunk88: Der Albtraum des alten Europa explodiert im Herzen des amerikanischen Metropolis.

In einer faszinierenden Lektüre von Batman Begins erklärt China Miéville, das der Antikapitalismus des Films letztlich ein Plädoyer für den Faschismus enthält. Der Film, schreibt Miéville,

»handelt von der Selbsterkenntnis des Faschismus und der einzige Kampf, den er durchmacht, ist die Anerkennung seiner eigenen Notwendigkeit. Batman Begins plädiert für eine Ära der absolut(istisch)en Unternehmen gegen die ›postmoderne‹ soziale Diffusion des Aktienkapitals (die hier im Sinne einer Unternehmenslogik der alten Schule als eine Art Schwäche gesehen wird), ganz zu schweigen von der Dummheit der wohlmeinenden, liberalen Reichen, die nicht verstehen, dass ihr Wunsch, mit den Armen und der Arbeiterklasse zu reisen, die ›Ursache‹ der sozialen Konflikte darstellt, weil der Reiche in sein Schloss gehört und der Arme vor das Tor, und weil die Auflösung dieser Grenzen die tierischen Instinkte der Schafherde verwirrt. Der Film sagt ziemlich deutlich (offenkundig, wenn man das Hochbahn-Setting betrachtet, in einem Dialog mit Spiderman 2, einem dummen aber gutmütigen Film, der glaubt, dass alle Menschen im Grunde vernünftig sind), dass die Massen gefährlich sind, außer man zwingt sie zum Gehorsam (Spidey gehört auch zu den Massen – sie nähren ihn und passen auf, dass es ihm gut geht; Batman ebenfalls –, die Massen sind ein mörderischer, animalischer Mob, weil sie im Grunde ›nicht genug Angst haben‹). Die letzte Möglichkeit, diese soziale Katastrophe zu ›lösen‹ besteht […] in der Zerstörung des Massentransportsystems, das alles ruiniert hat, indem es im wörtlichen Sinne, die Armen erhoben und auf eine Stufe mit den Reichen gestellt hat: Wenn beide zusammen reisen, ist der sozialdemokratische Wohlfahrtstaat im Gegensatz zur Trickle-Down-Ideologie ein schöner Traum, führt aber zum gesellschaftlichen Zusammenbruch und vergisst den Terrorismus, der Transportsysteme durch den Himmel in große Gebäude inmitten von an New York erinnernden Städten jagt – 9/11, verursacht von der Krise der ›exzessiven Solidarität‹ und der Arroganz der Massen, die ›nicht genug Angst vor ihren Hirten haben‹. Alles in allem ist es ein Film, der darauf beharrt, dass soziale Stratifikationen notwendig sind, um Tragödien zu verhindern und dass sie durch Terror gegenüber dem Plebs instandgehalten werden müssen, den großen Unternehmen zuliebe, die bei einem Happy End […] wieder in den Händen eines einzelnen, aufgeklärten Despoten landen, Hurra, der uns vor der Verwüstung des gesellschaftlichen Konsenses rettet.«89

Ohne Zweifel stellt der Film das Finanzkapital als ein Prob­lem dar, das durch die Rückkehr des re-persona­li­sier­ten Kapitals gelöst wird, worin der »aufgeklärte Despot« Bruce die Rolle des toten Thomas einnimmt. Ebenso klar ist, wie wir gesehen haben, dass Batman Begins unfähig ist, sich eine Alternative zum Kapitalismus vorzustellen und stattdessen eine nostalgische Reise in frühere Formen des Kapitalismus empfiehlt. (Eine der strukturgebenden Phantasien des Films besteht in der Idee, dass Verbrechen und soziale Desintegration ausschließlich Pro­dukte kapitalistischen Scheiterns sind, statt unvermeidbare Begleiterscheinungen kapitalistischen »Erfolges«.)

Und dennoch müssen wir zwischen dem unternehmerischen Kapitalismus und dem Faschismus unterscheiden, und sei es nur, weil der Film es auch tut. Die faschistische Option repräsentiert nicht Wayne/Batman, sondern R’as al Ghul. Es ist Ghul, der die totale Zerstörung von Gotham plant, das er als unrettbar korrupt ansieht. Waynes Sprache ist nicht die Sprache von Erneuerung durch Zerstörung (und hier finden sich der Kapitalismus á la Schumpeter und der Faschismus, die ansonsten weit voneinander weg sind, ganz nah beieinander), sondern von philanthropischer Verbesserung. (Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Massen, die Batman verfolgen und auslöschen wollen, in einem pointierten Verweis auf Ro­meros Living Dead-Filme, unter dem Einfluss von Scare­crows »Halluzinogenwaffe« stehen, auch wenn uns dieses Bild der Massen mehr über das politische Unbewusste der Filmproduzenten sagt als über die Massen selbst.)