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Im Postpunk funktionierte Pop anders, weil er damals in einem Raum existierte, in dem noch am einfachsten eine gegen den herrschenden Konsens gerichtete Form der Kollektivität entstehen konnte. Postpunk war das Er­wachen aus der »konsensuellen Halluzination« des Kapi­tals, eine Möglichkeit, Unruhe und Diskrepanz umzuleiten, zu externalisieren und zu verbreiten. Es handelt sich um einen Riss in der Selbstdarstellung des Sozialen; oder besser gesagt, es zeigte den Riss auf. Was uns die Gesellschaft gern weismachen möchte, ist dysfunktional und brüchig; das Scheitern wurde plötzlich zum Klang »der Außenseite des Ganzen«. Platten, Interviews und Zeitschriften waren die Mittel, mit denen man Affekte, Ideen und Überzeugungen in Kontakt bringen konnte, die sonst im Privaten eingesperrt wären.

Ein paar Leute auf dem Panel am Mittwoch haben sich gefragt, ob sie eigentlich irgendetwas erreicht haben, ob ihre Träume, mehr zu tun, als nur zu unterhalten, einfach nur jugendliche Flausen waren, die man damals vielleicht verstand, aber die heute nur noch peinlich sind. Man begreift die Errungenschaften des Postpunk im negativen Sinne, im Hinblick auf das, was der Kultur heute fehlt. Man betrete einen Raum voller Teenager und betrachte die selbst zugefügten Narben an ihren Armen, die Antidepressiva, die sie nehmen, die stille Verzweiflung in ihren Augen. Sie haben nicht einmal eine Ahnung, was sie vermissen. Was ihnen fehlt, ist das, was Postpunk bot … einen Weg nach draußen … und einen Grund für den Ausweg…

Also bleibt nur Verzweiflung?

Überhaupt nicht.

Es gibt neue Mittel, mit denen Kollektivitäten gegen den herrschenden Konsens hergestellt werden können.

Wie das hier.

Das Internet umfasst die ganze Welt und seine absolute Größe hält man leicht für selbstverständlich. Doch sein Potenzial ist weit größer als alles, was Fanzines und Platten in den Siebzigern hätten leisten können. Was geschehen muss, ist eine Art »existenzielle Umwertung«: man muss das, was hier geschieht, anders sehen, als das Kapital es will, nicht als eine Gruppe »gescheiterter« Autoren, die sich grimmig eine Nische bilden, weil sie es im überbeleuchteten Innenraum »zu nichts bringen«. Die Logik des Kapitals besteht darauf, dass alles, was nicht der Reproduktion dient, Zeitverschwendung ist. Für eine solche Umwertung müsste man jedoch seine idiotischen Prioritäten ändern. Und wenn etwas vom Postpunk bleibt, dann die Erinnerung daran, dass solche Umkehrungen möglich sind und der Impuls, einen (Punk-)Willen entstehen zu lassen, sich die Gegenwart zurück zu erobern …

Zu Ihrem Unvergnügen:
Die Hauter-Couture187 von Goth188

Verlacht, vergessen und unter der Oberfläche doch hartnäckig: Im Gothic überleben die letzten Reste des Glam in der Popkultur.

Gothic ist zudem jene Jugendkultur, die man am meis­ten mit Frauen und mit Literatur verbindet. Das ist kaum überraschend. Wie bekannt ist und wie ich bereits erwähnt habe,189 liegen die Ursprünge des modernen Romans in der Schauerliteratur, die vorwiegend von Frauen gelesen und geschrieben wurden; die Komplizenschaft zwischen Frauen und der Schauerliteratur ist ein Standard in der Literaturwissenschaft, spätestens seit Ellen Moers kanonischem Essay »Female Gothic« aus dem Jahr 1977.

Aber warum sollte man sich gerade jetzt Gedanken über Gothic machen?

Ein Grund ist, dass der absurde, trashig-aristokratische Exzess der Goth-Kultur in diametralem Gegensatz zum zeitgenössischen, vom Hip Hop und seinem von Sport klamotten dominierten Brutilitarismus*190 steht. Ein ande­rer Grund liegt darin, dass der Schatten der Gothics derzeit besonders sichtbar ist; sowohl in der Serie Coronation Street wurde die Subkultur erwähnt (»Du bist nicht mal ein richtiger Goth!«) als auch bei Big Brother (»Was ist ein Goth? Kann ich einer werden?«)

Natürlich hat es auch damit zu tun, dass Rip It Up die Faszination von allem, was Postpunk zu tun hat, wieder neu erweckt hat und Gothic ist der letzte, überlebende Postpunk-Kult. Diesem Umstand ist es zu verdanken, dass ich und I.T.191 uns von der unterdrückerischen, maskulinistischen Coolness des Clubs abwenden und in die angenehme Kälte der Gothic-Welt eintauchen.

Es gibt Gothic-Versionen von so ziemlich jeder existierenden Jugendkultur (Techno Goth, Industrial Goth, Hippie Goth…). Aber lassen wir männliche Jammerlappen (The Cramps, The Birthday Party), die ernst Dreinbli­ckenden (den erschöpften, weißen Dub von Bauhaus) und die Pomos (Sisters of Mercy, die von Beginn an versucht haben, eine Art Meta-Gothic zu inszenieren) beiseite und beginnen stattdessen mit Siouxsie.

Bekanntermaßen wurden die Banshees gegründet, nach­dem sich die zukünftige Siouxsie und Severin 1974 bei einem Konzert von Roxy Music trafen. (Diese Geschichte wurde in einem bizarren Artikel über Roxy im Guardian wiederholt192; der Text folgt einem postmodernen Trend der Musikkritik, »Bedeutung« mit »Einfluss« gleichzusetzen, und zwar dermaßen, dass es schon fast wie eine Parodie wirkt und die tatsächliche Diskussion von Roxy Music nur einen Absatz einnimmt, bevor eine Auflistung aller Bands kommt, die sie beeinflusst haben.) Anders als The Birthday Party, die bei ihrer Ankunft in London bekanntlich angewidert waren von dem New-Romantics-Poser-Pop, den sie dort hörten, gehörten die Banshees in die Tradition des Art Pop, dessen Verbindung zur Musik weder ironisch distanziert noch direkt war. Bei all ihrem Einfallsreichtum, bei aller Verwandlung der Rockelemente, blieben The Birthday Party doch immer Romantiker, die verzweifelt versuchten, die expressive und expressionistische Kraft des Rock wiederzuerwecken; eine Suche, die sie schließlich zurück ins Teufelsland des Blues führte. (Falls Frauen wissen wollen, wie es ist, das betroffene Subjekt männlicher Sexualität zu sein – was ich nicht unbedingt empfehle –, dann gibt es keinen schnelleren Weg, herauszufinden, was »in einem Jungen« vorgeht, als die Birthday-Party-Songs »Zoo Music Girl« oder »Release the Bats«). Im Vergleich zu dieser fleischlichen Hitze verströmten die frühen Banshees ganz entschieden und absichtlich eine gewisse Kälte und Künstlichkeit.

Siouxsie wuchs im Zentrum des Artrock in England auf – jener Gegend im Süden Londons, wo sowohl David Bowie (Beckenham) als auch Japan (Catford, Beckenham) herkamen. Obwohl sie bereits früh mit Punk in Berührung kam und alle wichtigen Figuren des Punk von Roxy Music geprägt wurden (sogar Sid Vicious), waren die Banshees die erste Punkband, die den Einfluss des Glam Rock offen zur Schau stellten. Glam unterhält eine besondere Verbindung mit den englischen Vorstädten; sie kommt in der ostentativ gegen die Norm gerichteten Haltung zum Ausdruck, von der Siouxsie in »Suburban Relapse« sang und die eine Reaktion auf den exzentrischen Konformismus der kurzgeschnittenen Rasen und still gepflegten Psychosen war.

Doch Glam war immer auch ein Schutzraum für männliches Begehren: Wie würde es aussehen, wenn sich plötzlich eine Frau den Drag-Look von Glam zulegt? Die Verkehrung, die Siouxsie gelang ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass sie nicht wie Bowie aus der seriellen Identität sexueller Ambivalenz schöpfte, sondern sich am inszenierten männlichen Begehren von Roxy Music orientierte. Sie hing vielleicht mit den »Bowie-Jungs« ab, aber Siouxsie bezog sich viel stärker auf die glänzend schwarzen PVC-Oberflächen von For Your Pleasure, statt auf irgendwas aus dem Kleiderschrank des Thin White Duke. Lieder wie »Beauty Queen« und »Editions of You« von For Your Pleasure waren Selbstdiagnosen der männlichen Malaise, ein spiegelndes Begehren, das sich an weibliche Objekte heftete, von denen es weiß, dass es sie niemals erreichen kann. Obwohl die Frau seine »sternklaren Augen zum Zittern bringt« (»makes his starry eyes shiver«) – wie es in »Beauty Queen« heißt –, wird es doch »niemals funktionieren« (»it never would work out«). Genau das ist die Logik des Begehrens bei Jacques Lacan, die Alenka Zupančič folgendermaßen erklärt:

»Das […] Intervall bzw. die Lücke, die durch das Begehren eingefügt wird, ist immer ein imaginiertes Anderes, Lacans Objekt klein a, während allerdings das Reale (Andere) des Begehrens unerreichbar bleibt. Das Reale des Begehrens ist jouissance – jener ›unmenschliche Partner‹ (wie es Lacan nennt), auf den das Begehren außer seinem Objekt noch zielt und der unerreichbar bleiben muss.«193

Roxys »In Every Dreamhome a Heartache« handelt von dem zugleich entzaubert-zynischen wie leidenschaftlich-gierigen Versuch, dieser Sackgasse zu entkommen. Es ist, als ob Ferry mit Lacan begriffen hat, dass das phallische Begehren im Grunde masturbatorisch ist. Da eine Art phantasmatischer Schleier jedes sexuelle Verhältnis verhindert und sich das Begehren dadurch immer auf einen »unmenschlichen Partner« richtet, hätte Ferry sich auch ein lebloses Objekt nehmen können: eine aufblasbare Sexpuppe. Für diese Idee gibt es viele Vorläufer, eine davon ist natürlich die berühmte Kurzgeschichte »Der Sandmann« von E.T.A. Hoffmann (die natürlich in Freuds »Das Unheimliche« eine große Rolle spielt), aber auch Villier de L’isle Adams weniger bekanntes, aber eigentlich noch viel aufregenderes, kleines Meisterwerk dekadenter Science-Fiction, Die künftige Eva und sein Abkömmling, Ira Levins Die Frauen von Stepford.

Wenn das Problem für den Mann in der Popkultur traditionell darin besteht, dass das Begehren nie gestillt werden kann – und für Lacan, wir erinnern uns, richtet sich alles Begehren letztlich auf etwas Unerreichbares –, dann besteht die komplementäre Schwierigkeit des weiblichen Objekts im Zurechtkommen damit, nicht das zu sein, was der Mann will. Das Objekt weiß, dass das, was sie hat, nicht dasselbe ist, wie das, was dem Subjekt fehlt.

 

Es ist als ob die Antwort der Goth-Frau auf dieses Dilemma darin besteht, die Rolle des »kühlen, distanzierten, unmenschlichen Partners« (Žižek) des phallischen Begehrens selbstbewusst anzunehmen. Der Glam-Mann bleibt in seinem von dummen, phantasmatischen Puppen bewohnten Penthouse gefangen; die Goth-Frau wiederum streift durch die Rollen des Vamp und des Vampirs, des Sukkubus und des Automaton. Die Pathologien des Glam-Manns sind die des Subjekts; das Dilemma der Goth-Frau ist das des Objekts. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass die ursprüngliche Bedeutung von Glamour – Verzauberung – auf die Macht anspielt, die das, was sich selbst objektiviert hat, über das Subjekt ausübt. »Wenn Gott maskulin ist, dann sind Idole immer feminin«, schreibt Baudrillard in Von der Verführung. Siouxsie unterschied sich von früheren Popikonen dadurch, dass sie weder ein männlicher Künstler war, der durch die Bewunderung seiner Fans zum Idol »feminisiert« wurde, noch eine weibliche Marionette, die von männlichen Svengalis manipuliert wird und auch keine Frau, die heroisch darum kämpft, ihre marginalisierte Subjektivität geltend zu machen. Im Gegenteil, Siouxsies Perversität bestand darin, Kunst aus ihrer eigenen Verdinglichung zu machen. Wie Simon und Joy in Sex Revolts. Gender, Rock und Rebellion schreiben, strebte Siouxsie nach dem »eisigen Äußeren des objet d’art« und zwar indem sie »die feuchte, pulsierende Fruchtbarkeit des organischen Lebens«194 verbarg. Diese Abwehr von Innerlichkeit korrespondiert einer inszenierten Weigerung, eine »warmes, herzliches und verständnisvolles Wesen« (Žižek) zu sein; und anders als Lydia Lunch hat Siouxsie kein Interesse daran, ihr »Innerstes nach außen zu kehren«, zu beichten und im Schleim der Eingeweide ihres beschädigten Inneren zu baden. Wie Grace Jones, noch jemand, der aus der eigenen Verdinglichung Kunst gemacht hat, forderte Siouxsie keinen R.E.S.P.E.C.T. von ihren Verehrern (und deren impliziten Versprechen einer gesunden Beziehung, basierend auf gegenseitiger Achtung), sondern sich zu unterwerfen und sie anzuflehen.

(Der Goth-Mann kommt dem nur allzu gerne nach, obwohl – wie man an Nick Caves zwanghaft sich wiederholenden Karriere deutlich sieht – die schluchzende Niederwerfung vielleicht nur das Vorspiel zur mörderischen Zerstörung ist. Vor der Königin zu Kreuze kriechend – »I kiss the hem of her skirt // Ich küsse den Saum ihres Rocks« – ist der Goth-Mann weder Objekt noch Subjekt, sondern – wie man weiß – Abjekt. Das treffendste Bild dieser idiotischen Lust ist das geifernde, mit Pusteln übersäte Monster auf dem Cover des Albums Junkyard von The Birthday Party. Der Song »Release the Bats« – den die Band bald zu hassen begann, weil sie glaubten, er würde ihnen den Stempel einer normalen Gothic-Band verleihen – bleibt nach wie vor treffendste, pulsierend-zwanghafte Dramatisierung des Gothic-Abjekts, das sich dem Objekt seines wimmernden Begehrens hingibt. Cave oszilliert zwischen der Anbetung des Hochmuts seiner Femaschinen – »My Baby is a cool machine // Mein Baby ist eine coole Maschine«, »she moves to the pulse of the generator // sie bewegt sich im Rhythmus des Generators« – und dem geilen Sabbern über den »Schmutz« ihres Fleisches – »she doesn’t mind a bit of dirt // es stört sie nicht, wenn’s ein bisschen schmutzig ist«. Dies passt hervorragend zu Lacans Beschreibung der vornehmen Dame, deren kalte Abstraktion sich nicht aus der Gegenüberstellung mit der stinkigen Physikalität konstituiert. Caves Abjekt kann sein Begehren nicht aufgeben und das Ergebnis ist bekannt: Um die Frau weiter begehren zu können, muss er sicherstellen, dass er sie nicht besitzen kann: »so that l’il girl will just have to go // die Kleine muss also weg«. Nur wenn er sie so kalt und unnachgiebig wie Ferrys »perfekte Begleitung« oder Poes Parade wunderschöner Kadaver gemacht hat, kann sein Begehren sich »bis in alle Ewigkeit« erstrecken, denn dann kann es niemals gestillt werden.)

Anstatt eine illusorische »authentische Subjektivität« geltend zu machen, die angeblich unter den Kostümen und der Kosmetik schlummert, gingen Siouxsie und Grace Jones darin auf, sich zum Objekt des Blickes zu machen. Beiden hätte ohne Zweifel gefallen, wie Baudrillard in Von der Verführung über die Strategie spottet, Erscheinungen zu enthüllen: »Es gibt keinen Gott hinter den Bildern, und die eigentliche Leere, die sie verbergen, muss geheim bleiben.«195 Siouxsies und Jones’ Affirmation ihrer Objektivierung zeugt von der Tatsache, dass es einen skopischen Trieb gibt, den kultivierte Typen, die darüber jammern, »auf ein Objekt zu reduziert« zu werden, immer ignorierten: den exhibitionistischen Drang, gesehen zu werden.

Es stimmt, wie Simon sagt, dass »Painted Bird« (von dem Meisterinnenwerk der Banshees A Kiss in the Dream­house) und das fast zeitgleich veröffentlichte »Fire­works« im Grunde so etwas wie »Goth-Mani­feste« waren; es lohnt sich jedoch, darüber nachzudenken, wie unterschiedlich diese Songs in ihrer Message und ihrer Stimmung im Vergleich zum abgedroschenen Bild der Gothic-Kultur sind. Sowohl »Painted Bird« als auch »Fireworks« (mit seinem »jubelnden Bild der Selbstverschönerung als einer Glam-Geste, die aufblitzt inmitten der Dunkelheit des Mondänen«) sind nicht rührselig, mattschwarz oder selbstbezogen, sondern Feste des Bunten und Kollektiven. »WE are fireworks«, singt Siouxsie, »burning shapes into the night« (»Wir sind ein Feuerwerk, das Formen in die Nacht brennt«), und wahrscheinlich fällt es schwer, ein Lied zu finden, das so sehr vor Freude knistert, wie dieses. Auch die Banshees-Adap­tion des Kosiński-Romans Der bemalte Vogel handelt vom Triumph der gemeinsamen Freude über die verfolgte, isolierte und individuierte Subjektivität. In Kosińkis Roman bemalt der Held einen Vogel und als er ihn zurück in seine Schar wirft, erkennen sie ihn nicht wieder und töten ihn. Doch die Goths bei Siouxsie sind nicht von fremder Hand gemacht, sondern es sind »Vögel, die sich selbst entworfen haben« (»painted birds by their own design«). Es geht nicht um das bekannte, tragisch-heroische Szenario, in dem ein zum Verlierer bestimmter Außenseiter, es schafft, sich der konformistischen Herde zu widersetzen. Nicht ein einzelnes Wesen »verwirrt« (»confounded«) den »altbackenen Schwarm« (»dowdy flock«) und das Ergebnis ist auch nicht Frustration, sondern, erneut, jouissance – am Ende des Liedes, »gibt es kein Leid mehr« (»there’s no more sorrow«).

Das ist etwas ganz anderes als die Konföderation der Isolation bei Joy Division, deren funktionale Kleidung und »nicht-Image« trotzdem die traditionelle, männliche, subjektivistische Privilegierung des Inneren über das Äußere implizierte und Tiefe gegenüber der Oberfläche betonte. Auf der einen Seite der Typus des »schwarzen Lochs«: der »Abschaffungslinie«, die Deleuze und Guat­ta­ri in »Mikropolitik und Segmentarität«196 beschreiben, den Drang zur absoluten Selbstzerstörung. Die Banshees waren eher wie die »kalten Sterne« der Einstürzenden Neubauten: abweisend, entrückt und dennoch die Königinnen einer paradoxerweise egalitären Aristokratie, in der die Mitgliedschaft nicht von Geburt oder Schönheit abhing, sondern davon, sich selber zu schmücken. Siouxsies hyper-weiße Schminke strahlte das »kalte Licht« des Starkults aus, das Baudrillard in Von der Verführung beschreibt. Stars »glänzen durch ihre Belanglosigkeit und Kälte der Schminke, welche die Kälte der Schminke und der rituellen Hierarchie ist (laut McLuhan ist das Ritual ›cool«).«197

»Die Sterilität der Idole ist wohlbekannt«, fährt Baudrillard fort, »sie reproduzieren sich nicht, sie entstehen jedesmal neu aus der Asche wie der Phönix oder aus ihrem Spiegel wie die Verführerin.« In der Gothic-Kultur ging es schon immer eher um Nachbildung statt um Fortpflanzung. Es ist kein Zufall, dass der weibliche Vampir oft mit lesbischer Liebe verbunden wird (am bekanntesten wahrscheinlich in dem wohl besten Goth-Film, den es gibt, Begierde), denn Vampire und Lesben (wie Maschinen) repräsentieren (aus der Sicht des phallischen Einen) den Horror einer sich fortpflanzenden Macht, die für den männlichen Samen keine Verwendung hat. Umgekehrt pathologisieren »weibliche Goths« oft Schwangerschaft und benutzen die Sprache der Furcht, um die schrittweise Übernahme des Körpers durch ein Wesen zu beschreiben, das zugleich fürchterlich bekannt und unheimlich fremd ist. »We Hunger« von dem Banshees-Album Hyaena und seine »Angst vor dem Säugling«, passt in diese Tradition der weiblichen Furcht, in der die Schwangerschaft als »entsetzliche Fähigkeit der Insektenwelt« und als »parasitische Plage« sieht.198

Die Mittel der Nachbildung unter Goths sind natürlich Zeichen und Kleidung (und: Kleidung als Zeichen). Der Siouxsie-Look ist im Prinzip eine reproduzierbare, kosmetische Maske – man löscht im wörtlichen Sinne den organischen Ausdruck, ein geometrisches Muster, scharfe Ecken und starke Kontraste zwischen weiß und schwarz aus dem Gesicht. Weißer Tribalismus.

In Rip It Up schreibt Simon, dass die frühen Banshees dergestalt »sexy« waren, wie »Ballards Crash sexy« war und tatsächlich ist Ballards abstrakte Theorie-Literatur spürbar und omnipräsent bei den Banshees wie auch bei vielen anderen Postpunk-Bands. (Es sagt viel aus, dass der Übergang von dem kantigen, trockenen, frühen Sound der Banshees hin zur feuchten Üppigkeit der späteren Veröffentlichungen mit Severins Lektüre von Ballards Traum GmbH zu tun hatte.) Was die Banshees von Ballard übernahmen, war die Gleichsetzung des Semiotischen, Psychotischen, Erotischen und dem Wilden. Wie die Psychoanalyse (und Ballard ist ein äußerst engagierter Leser von Freud) hat Ballard verstanden, dass es keine »biologische« Sexualität gibt, die unter den »Entfremdungsschichten« der Zivilisation schlummert. Das bei Ballard zwanghaft immer wiederkehrende Motiv einer Regression in den vorzivilisatorischen Zustand meint kei­ne Rückkehr in eine nicht-symbolisierte, bukolische Natur, sondern einen Rückfall in einem ganz besonders intensiv semiotisierten und ritualisierten symbolischen Raum. (Lediglich die Postmodernen glauben an eine vorsymbolische Natur.) Erotik wird durch Zeichen und technische Apparate, wie den Körper, überhaupt erst möglich – nicht nur vermittelt –, Zeichen und Maschinen werden austauschbar. Baudrillard hat das sehr genau verstanden, wie man an seinem Aufsatz über Crash aus der Ära des Postpunk sieht:

»Jeder Fleck, jede Spur, jede Narbe, die auf dem Körper zurückgelassen wird, ist wie eine künstliche Einstülpung, so wie die Skarifikationen der Wilden […]. Nur der verwundete Körper existiert symbolisch – für sich und für andere –, ›sexuelles Begehren‹ ist niemals etwas anderes als die Möglichkeit von Körpern ihre Zeichen zu kombinieren und auszutauschen. Nun, die wenigen natürlichen Körperöffnungen, die man normalerweise mit Sex und sexueller Aktivität verbindet, sind nichts gegenüber all den möglichen Wunden, all den künstlichen Öffnungen (aber warum eigentlich ›künstlich‹?), all die Brüche, mit denen der Körper reversibel wird und irgendwann, wie einige topologische Räume, kein Innen und Außen mehr kennt […]. Sex […] wird mehrheitlich von dem Fan der symbolischen Wunden übernommen, die in gewisser Weise Anagrammatisierungen des gesamten Körpers sind – aber jetzt, gerade weil es sich nicht mehr um Sex handelt, sind sie etwas anderes […]. Die Wilden wussten, wie man den ganzen Körper zu diesem Zwecke nutzt, durch Tätowierungen, Folter, Initiation – Sexualität war nur eine der möglichen Metaphern des symbolischen Tauschs, und zwar weder die wichtigste noch die prestigeträchtigste, nicht wie bei uns, wo es sich um eine zwanghafte und realistische Referenz handelt, dank ihres organischen und funktionalen Charakters (einschließlich des Orgasmus).«199

Das Unbehagen und die Krankheit200 von Frauen im Kapitalismus kommt bekanntermaßen nicht durch die Affirmation des »Natürlichen« gegenüber dem Künstlichen zum Ausdruck, sondern im anti-organischen Protest von Essstörung und Selbstverletzung. Es fällt schwer, das nicht als Teil einer »Obsession des realistischen Bezugs« zu sehen – wie I.T. es im Anschluss an Žižek tut –, also einem Versuch, alle Zeichen und Rituale abzustreifen, um so ein ungeschmücktes Ding-an-sich zu finden. Die Gothic-Kultur ist in vielerlei Hinsicht ein Versuch, das symbolische Defizit der postmodernen Kultur auszugleichen: Sich verkleiden als Re-Ritualisierung, ein Wiedererlangen der Oberfläche des Körpers, als Ort der Skarifikation und Dekoration (also eine Ablehnung der Idee, dass der Körper nur ein Behälter oder Hülle für die Innerlichkeit ist). Nehmen wir die Schuhe der Gothics. Mit ihrer absichtlich anti-organischen Kantigkeit, ihre Verachtung der Nützlichkeitskriterien, des Komforts oder der Funktionalität verbiegen, fesseln, verdrehen und erweitern die Schuhe der Gothics den Körper. Die Kleidung holt sich ihre kybernetische und symbolische Rolle zurück, als ein hyperbolisches Supplement des Körpers, als dasjenige, das die Illusion organischer Einheit und Proportion zerstört.