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P.
V
28. Feb.

„Erzähl mir von P.“ Wie könnt ich, ist er doch kaum angedeutet. Was soll die Aufforderung?

Es wird Monate, vielleicht Jahre dauern, bis ich etwas über ihn. Ich höre ihm zu, und je mehr er erzählt, desto mehr sehe ich von ihm, desto häufiger blick ich ihn an.

Ich bin nicht P. Ich bin nicht schemenhaft angedeutet, bin zumindest auf Film. P. ist aber vielleicht ein Ich.

Wer diesen Brief schreibt? Eindeutig P.: Ich bin auf Film, bin imaginär. Real ist P., gleichgültig als was man ihn später erkennen wird. P. ist real. Wie könnt Dir Imaginäres Briefe schreiben?

Ist die Zeit gekommen, in der die Assistenzärztin den Chefarzt als Entlastungszeuge ruft, die Zeit, in der ihre Verwirrung noch zum Luftholen und Brötchenschmieren reicht?

Der Arzt wird mich vor die Wahl stellen: Entweder ich oder P. Hinterher wird sich seiner Ansicht nach über alles reden lassen. Doch mit wem, hinterher? Geb ich mir die Todesspritze, bleibt P. Doch weshalb sollte er sprechen, sich als etwas, als ein Ich entlarven, das die Spritze verdient: Er wird den Mund halten! Fordere ich für P. die Spritze, dann bleibe ich. Doch imaginär, ein Nichts; als hätte man unlängst …

Der Arzt muss reden, mit sich, bis es sich ihm verhaspelt.

P.
VI
15. März

Auf den ersten Blick verschroben. Aus Verzweiflung? Näher besehen, angenehme Künstlichkeiten:

Dem Ich an den Kragen gehen. Es einem Schachspieler überlassen. Der setzt es matt und spricht fortan mit halber Stimme. Die kann auch reichlich eingedickt, wie ein Witz klingen.

Aus isoliertem Ich rufen, die halbe Kraft in der verbliebnen Enge zum Ausbruch treiben lassen, als reiche sie hin, einen Nebel, einen Dichternebel herauszufordern, oder gar Allah.

Figuren. Gestalten, die uns ähnlich. Weshalb nicht Figuren?

P.
VII
10. April

Ich freue mich, dass Deine Verunsicherung mir gegenüber etwas gewichen ist. Doch: ich hab mir eine eingefangen. Der Blick ist frei, ist ungestört, gerichtet auf P. Und: Es tut sich nichts!

Wochenlang. Nichts. Kein Austausch zwischen Imaginärem und Realem. Nichts.

Wird es jemals einen Austausch geben können? Kann ich nur darauf warten, dass P. etwas inszeniert, dass er zuschreibt? Die Warterei, die ist ermüdend.

Ich glaube, der Kerl wartet nur darauf, dass mein Blick schwach wird, dass ich bei vollem Licht und inmitten meiner Klamotten einfach wegdusel, so als gönnte er mir nur Resultate, an denen abzulesen ist, was auch immer.

Spürt er den Blick?

Ein Gehen um zu gehen, eine solche Belanglosigkeit traue ich ihm noch nicht zu. Wird er mich enttäuschen, dann wäre ein möglicher Fokus ein, sein Erleben des Gehen. Privater Klatsch. P. kann aber zu keinem Resultat kommen: Scheitern!

Ist es nicht demütigend, auf ihn angewiesen, auf seine Launen, seine Diktionen, sogar seinem mögliche Scheitern ausgesetzt zu sein? Soll nicht das Ich die Stärke? Heißt es nicht: Ich! Das sagt nicht viel? Sagt dies zu viel?

Wie klein soll ich mich machen? Wie klein bin ich? Freilich: im Imaginären. Ein schwächlicher Trost, wenn einem nichts anderes bleibt.

Bin ich Resultat, ein Nebenprodukt seines klugen wie auch dämlichen Verhaltens?

P.
VIII
30. April

Ein Nebenschauplatz: Die Dinge. Und dieser großäugige Kuh- oder Ochsenblick. All die alltäglichen Dinge. Was, sag mir, was willst Du wissen?

Reicht es nicht, dass Wohnungen voll von Kram und Plunder sind, so als seien diese Zeichen für Nutzung, gar Belebtheit. Was fürn Scheiß steht bei Dir rum? Wieviel Sentimentalität gestattest Du Dir? Um was buhlst Du, ohne Dich ernsthaft zu bemühen?

Wieviel Besitz benötigst Du? Ein Experiment: Wie hoch musst Du auf angesammelter Staffage mit baumelnden Beinen sitzen, um Dich im Flurspiegel erträglich zu finden?

Für welchen Besitz könntest, kannst Du töten?

Der Ausweg: Sprache.

P.
IX
11. Mai

Du hast recht. Es gilt zu differenzieren. Hinterrücks sammel ich Verschiednes. Zwei Iche, leicht gaga, durchaus amüsierend.

Aber Chaos? – Du kennst bestimmt das Kaffee- und Biergeschwätz. Ernsthaft: Hat man sich nicht lediglich auf Fälle gestürzt, in denen Prognosen wie fromme Sprüche, nach bäuerlicher Schläue klangen? Und was geschieht in unsrer Aufbereitungskultur? Trara! Trara! Als gäbs ein neues Paradigma. – Bloß drunter und drüber..

Wie gefall ich Dir? Ich hoffe, mit dem Schreiben ist auch die Imago angekommen; Du erwähnst das Bild nicht einmal. Du traust der Imago nicht? Jedes Bild, das gefallen soll, ist gleichsam Nichts, hat zumindest einen Zeichner! Dir bleibt aber Aufgesetztes, die Präsentation.

Verhaltensfunktionen, f(x), ob gebündelt, in einem Pack oder lose. Auf diese kannst Du zählen und pochen, wenn sie was beschreiben, so lang sie gelten.

Freilich: Mühsam zu entziffern.

P.
X
17. Mai

Dein Brief kam schnell, Dein Einspruch!

Zeit, sagst Du; ne Peitsche knallt, Du drückst mich ans Streckkreuz.

Ich gesteh: „Bin ein Perversling“. Flieg über Dein Leder, die Nieten hinweg, verharr auf Nylonschenkeln, ahn den Nylonarsch. Du presst mir nen Handschuh ins Gesicht: „Rieche das Leder“.

Der Halsriemen schneidet; ich krieg den Kopf hinterm Lederballen nicht fortgedreht. „Du mieser Bubi!“

Du öffnest eine der Handfesseln …

Der Klatsch auf die Fingerrücken. Der seltsame Ast entfällt. Meine Knöchel schmerzen. Ihr durch Sonntagsschminke umzeichneter Blick. „Schau Deine Hände! Siehst Du den Dreck?!“

Geschichte vom Mann. Entwicklung vom Jungen. Aber Phasen eines Ichs? Siehst Du geheimnisvolle Manifestationen?

Viele Hochgötter, die konnten, alten Erzählungen nach, ganz nach Belieben. Ich, soweit ich weiß, bislang nicht.

P.
XI
06. Juni

Das Ende abendländischer Kultur?

Mal wieder Mitternacht?

Der Vater Deines Kindes, der wurde biologisch bestimmt, an seinen Hammelbeinen gepackt. Gleichgültig ob und welches Ich. Verwicklung eines Erzeugers.

Verantwortung: Nur ein Bekenntnis. Eventuell ein leichtes, das würdest Du mit Dir tragen; Du musst es auf Dich nehmen?

f(x).

Und wer nicht will, erhält nicht mal die Chance, ein Outlaw zu sein.

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