Echnaton im Feuersturm

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

»Ich muss die Kanne spülen«, sagte sie mit leerem Blick. Hellwig konnte das Schlimmste nur im letzten Moment verhindern. Doch dann entdeckten sie zusammen, dass die Kanne schon gespült wurde. Hellwig sah die Kanne sehr genau an und blickte dann Elfriede in die Augen.

Hier passt verschiedenes überhaupt nicht zusammen, reimte er sich.

»Aber niemand hat heute morgen schon gespült.«

»Warum denn nicht?«, fragte Hellwig schnell.

»Das haben die Herren doch nie gemacht.«

Hellwig überlegte und setzte dann von Neuem an. »Noch etwas, Frau Elfriede. Wer außer Ihnen hat auch noch Schlüssel zu diesem Haus?«

Elfriede spreizte die Finger und begann langsam abzuzählen. »Also, natürlich Herr Birnbaum, dann Herr Backhaus und ich selber.« Jetzt schien sie nachzudenken. »Ja, ja und Frau Suzanne. Die muss auch Schlüssel haben.«

»Und wer ist Frau Suzanne?«

»Ach das Flittchen, das die Briefe schreibt«, sagte die Frau ziemlich bissig. »Aber heute ist ja Freitag. Freitags kommt sie nicht. Von Freitag bis Montag Früh hat sie frei. Da tut sie nicht die Bohne!«

*

Herbert Hellwig warf schon frühmorgens einen Stapel Prozessakten auf den Tisch seines Assistenten. »Hier. Lesen Sie mal! Hab ich für Sie besorgt. Das ist die Geschichte mit dem Goldenen Adler.«

»Ein Weinlokal?«, traute sich Besserer zu fragen.

»Würde Ihnen so passen! Mir auch. Leider geht es dabei um den Raub eines fast dreitausend Jahre alten Kunstwerks aus Alt-Ägypten, in das Heinz Birnbaum und auch Bernhard Polle verwickelt waren. Schön und gut. Das ist nun auch schon wieder zwanzig Jahre her. Dieser Polle hatte damals den Eigentümer der Figur erwürgt und dieser Birnbaum verschwand mit dem Adler, was weiß ich wohin. Genaues konnte man damals nicht erfahren.«

»Und dieser Adler?«, wollte Besserer wissen. »Wo ist der denn hingekommen?«

Hellwig zuckte mit den Schultern. »Abgeflogen ist er. Bis er eines Tages in Birnbaums Antiquitätensammlung landete. Birnbaum muss in dieser Geschichte irgend etwas gedreht haben. Genaueres hat man jedoch nie erfahren. Jedenfalls hat Polle einen Mord auf dem Gewissen und verschwand für zwanzig Jahre hinter Schloss und Riegel.«

»Wenn ich Polle wäre …!« Besserer bewegte seine Hände krallenartig.

Hellwig drohte mit dem Zeigefinger.

»Aber Birnbaums Vetter Backhaus? Was hatte er damit zu tun? Und vor allem. Wie kam er denn um?«

»Das bringen wir noch raus.«

»Selbstmord vielleicht?«

Hellwig hielt es für ausgeschlossen. »Welcher Selbstmörder beseitigt denn die Spuren des eigenen Giftes. Okay. Sie finden nachher den Knaller, mit dem er sich erschossen hat oder einen Strick, vielleicht einen Dolch. Mit einer Giftampulle oder einer Tablettenpackung ist es nicht ganz so klar. Nein, Besserer, die Frage ist doch, wer reinigte die Thermoskanne? Und dann dieses Ölgemälde. Wer hat denn dieses Bild fabriziert? Einen Verstärker an einen Recorder angeschlossen, Kaffeepulver … Mann Gottes! Ein ganzes Fundbüro«, mokierte sich der Kommissar.

»Wo ist übrigens die Ampulle, die Sie im Müllkübel gefunden haben?«

»Noch auf dem Labor zur Untersuchung.«

Kommissar Hellwig hing mit seinen Gedanken noch immer an dem CD-Player. »Was sollte das Ding eigentlich?«

»Weiß auch nichts Gescheites«, gab Besserer zu. »Stand oben im Zimmer von diesem Backhaus. Seltsam ist nur, dass der Apparat mit der Sprechanlage unten in der Diele gekoppelt war. Außerdem war noch dieser Miniwecker zwischengeschaltet.«

»Versteh ich nicht ganz«, gab Hellwig zu. »Was sollte das denn?«

»Der Tonträger muss nur einmal abgelaufen sein. Das hatte wohl mit dem Miniwecker zu tun. Und zwar morgens um halb fünf!«

»Also an diesem Morgen, an dem die beiden starben«, folgerte Hellwig, »Aber Besserer, was gab’s denn da Besonderes zu hören?«

»Nicht viel. Eigentlich gar nichts. Knarrende Geräusche eben. So wie wenn jemand die Treppe runter kommt.«

Das soll einer verstehen. Hellwig kratzte sich am Kinn. Dann schnappte er sich sein Telefon und sprach mit Professor Burgstedt von der Kunstakademie.

»Drei Maler kämen hauptsächlich in Frage«, meinte Burgstedt. »Hellwig schickte seinen Assistenten mit den Adressen los, Sehen Sie mal zu, was Sie rauskriegen!«

Erich Zupping war der zweite Maler, den Besserer im Atelier erwischte.

»Ja«, bestätigte Zupping sofort. »Ich habe das gemalt. Nach einem Foto, das man mir brachte. Ich will da in nichts hineinkommen«, verteidigte sich der Künstler. »Ich musste das malen.«

»Warum mussten Sie?«, wollte Besserer hören.

Zupping sah den Polizisten nicht an. Er reinigte an einem Ausguss ein Paar Pinsel und blickte über die Schulter nach hinten. »Ist das ein Verhör?«

»Nein, nicht gerade. Aber warum mussten Sie es malen?«

»Mein Gott!« Der Maler sah Besserer seltsam an. »Ich bin nun mal Künstler und schließlich müssen wir auch von etwas leben. Und Backhaus hat sehr gut bezahlt.«

*

Herbert Hellwig schien aus allen Wolken zu fallen, nachdem ihm der Bezirksnotar das von Birnbaum gemachte Testament erklärte.

»Heinz Birnbaum hat also sein Testament geändert?«, erkundigte sich der Kommissar.

»Sagen wir einmal so. Er hat Bestimmungen für seinen vermutlichen Erben getroffen. Und dieser Erbe… ein Alleinerbe, um ganz korrekt zu sein -, wäre Friedrich Backhaus geworden. Backhaus starb jedoch noch am gleichen Tag. Und für diesen Fall gibt es laut Testament nur einen Ersatzerben und das ist eben Frau Suzanne Breitenbach. Wenn ich richtig orientiert bin, die Privatsekretärin von Heinz Birnbaum.«

Hellwig nickte. Dann schüttelte er den Kopf. »Wer soll den nun Erbe des Riesenvermögens werden? Doch nicht etwa die Sekretärin?«

»Genau Frau Breitenbach wird Erbin sein«, erklärte der Notar.

Hellwig hatte schon vieles erlebt. Doch das war doch etwas zu viel. Auch Assistent Besserer brachte den Mund nicht mehr richtig zu.

»Die Geschichte ist nur folgende:«, dozierte Hellwig, »Birnbaum hatte nämlich in seinem Büro eine Kopie des Testaments verwahrt.«

»… und seine Sekretärin hatte Zugang zu allen Dokumenten, also auch …«

»Genau so ist es. Wenn Suzanne Breitenbach Birnbaums Vertraute war, dann hatte sie sicher die Möglichkeit, das Testament zu lesen.«

»Ein einwandfreies Tatmotiv«, unterbrach ihn sein Assistent und Hellwig gab ihm recht.

»Genau so ist es und ich habe diese Dame auf 15 Uhr bestellt.«

Sie sei an die See gefahren, behauptete Suzanne als erstes, als sie dem Kommissar gegenüber saß.

»Ach ja, das ist ja so schrecklich, das mit Herrn Birnbaum.«

Seltsam, dachte Hellwig. Über den Vetter Backhaus verlor sie kein Wort.

»Wann fuhren Sie denn zur See?«

»Am Freitag in aller Frühe«, sagte sie. »Gegen sechs, viertel nach sechs höchstens.«

Aha, prompte Erinnerung, fiel Hellwig auf. Die muss nicht lange überlegen.

»So früh schon unterwegs?« Es klang sanft. »Das war ja fast zur gleichen Zeit, als Herr Birnbaum sterben musste. Ihr Chef, Frau Breitenbach wenn ich richtig informiert bin.«

Nach alter Gewohnheit blickte Hellwig unauffällig auf ihre Hände. Ziemlich nassgeschwitzt sahen sie aus. Trotz laufender Klimaanlage.

»Sie fuhren also von zuhause weg und dann ging’s direkt an den Strand?« Hellwig sah ihr in die Augen. »Ich meine, ohne Umwege? Sie haben vor ihrer Abfahrt nicht jemand getroffen, der sich an Sie erinnern könnte? Sie fuhren also ohne weiteren Umweg direkt ans Meer. Und Sie haben auf dem Weg ans Meer niemand getroffen? Nirgends vorbeigeschaut? Immerhin. Es hätte doch sein können …?«

»So früh doch nicht«, antwortete sie keck. »Wen soll ich denn getroffen haben. Sagte doch schon, dass ich direkt an die See gefahren bin.«

Ob sie vielleicht nicht doch so ganz kurz in der Villa Birnbaum vorbeigesehen hätte. »Nur einen Moment vielleicht?«, erkundigte sich Hellwig. »Um etwas abzuholen oder dort zu lassen. Schließlich war doch Herr Birnbaum Ihr Chef?«

Hellwig schien es, als ob Farbe aus Ihrem Gesicht gewichen wäre. Trotz der Schminke »Ich sagte doch schon, dass ich freitags meinen freien Tag habe.« Es klang ziemlich patzig. Dann betupfte sie die schweißnasse Stirn mit ihrem Seidentüchlein.

»So, sagten Sie das?«, täuschte der Kommissar. »Waren Sie nun am Freitag Morgen in der Villa Birnbaum oder nicht?«

»Nein.«

»Und dennoch stellten Sie Ihren Wagen in einem Seitenweg der Lessing Straße ab?«

Herrgott noch mal. Der Eichenweg, fiel ihr jetzt ein. Sie musste Zeit gewinnen. Plötzlich war sie mitten im Verhör.

Kommissar Hellwig lächelte nicht mehr, als er einen gelben Zettel aus dem Aktendeckel holte. »Das hier ist ein Strafmandat, Frau Breitenbach. Links auf dem Eichenweg ist nämlich Parkverbot.«

Mit eisigen Augen blickte er über den Tisch. »Sie glaubten wohl, so früh käme niemand vorbei, um Parksünder aufzuschreiben. Das war Ihr Irrtum. Und mitten im Eichenweg hatten Sie Ihren Wagen abgestellt, weil Sie in der Lessingstrasse nicht gesehen werden wollten. Sehen wir uns mal die Uhrzeit auf dem Strafzettel an. Um fünf Uhr vierzehn stand ihr Wagen im Eichenweg. Um diese Zeit waren Sie bereits im Hause von Herrn Birnbaum. Sie gingen durch den Hintereingang in den Garten. In der Küche säuberten Sie die Thermoskanne, hämmerte er auf das Mädchen ein. Die Spuren des schweren Giftes wollten Sie beseitigen. Denn Sie selbst schütteten die lebensgefährliche Substanz in die Kanne. Nichtsahnend bereitete Elfriede Biegner das Kaffeepulver für den nächsten Morgen vor. Die leere Giftampulle warfen sie noch am Abend zuvor in den Müll. Und wieder hatten Sie Pech. Denn am anderen Morgen stieß der Müllwagen mit einem Bus zusammen Die Leute vom Müll verspäteten ihr Tour um eine Stunde. Zeit genug für uns, um das leere Gläschen in der Abfalltonne zu finden. Sie, Frau Breitenbach, sind die Mörderin von Friedrich Backhaus!«

 

Suzanne brach zusammen und schluchzte, als sie Hellwig abführen ließ.

Nach dem Mittagessen fragte Herbert Hellwig seinen Assistenten: »Wie war das eigentlich mit dem Unfall von Backhaus. Schon was rausgekriegt?«

»Stimmt genau«, berichtete der Assistent. Backhaus hatte vor Jahren tatsächlich einen schweren Motorrad-Unfall. Damals verletzte er sich die linke Hand, während die rechte ihre volle Kraft behielt.

Hellwig grinste »Wie war das noch mit den Würgespuren an Birnbaums Hals?«

Besserer nickte. »Stimmt genau, rechts hat er viel stärker zugepackt.«

»Aber trotzdem«, meinte der Assistent. »Backhaus hin oder her. Was ist nun mit Polle? Hatte er nicht auch sein Tatmotiv?«

»Ganz zweifellos«, gab Hellwig zu. »Doch manchmal spielt das Schicksal mit. Vor einer Stunde hat die Staatsanwaltschaft Bernhard Polle aufgestöbert. Zwei Tage nach seiner Entlassung aus der Strafanstalt erlitt Polle einen schweren Schlaganfall. Er sitzt gelähmt in einem Rollstuhl und muss gefüttert werden. In seinen Händen kann er keinen Suppenlöffel halten.«

RHAPSODIA SUDAMERICANA

Südamerikanische Lebenslust! Ein Gewitter aus brasilianischem Samba, Rumba aus der Karibik, Mambo und Merengue. Wer kam da noch mit?

Die vorletzte Vorstellung am Freitag Abend. In weniger als sieben Minuten werden farbenprächtig bekleidete Künstler aus Kolumbien und Bolivien, aus Ecuador und Brasilien über die Bühne rauschen.

Vorhang auf! Rasender Beifall. Nur Henry McSimpson in der ersten Reihe applaudierte nicht und selbst, als das noch immer beschwingte Publikum den Saal verließ, blieb er noch immer schweigend sitzen, denn der vermögende Amerikaner auf Platz 14 war zu dieser Zeit schon tot.

Tod durch Ersticken, stellte ein eiligst herbeigerufener Arzt als Todesursache fest und das war in einem Festsaal erster Klasse so sonderbar, dass die Polizei gerufen wurde.

Kriminalkommissar Hellwig besah sich den Toten sehr aufmerksam. Der Kopf der Leiche war nach vorne auf die Brust gesunken und es schien kein Anzeichen eines vergangenen Todeskampfes gegeben zu haben.

Während die Fotografen den plötzlich verstorbenen Besucher von allen Seiten knipsten, fragte der Kommissar den eiligst herbeigerufenen Dr. Bellinghaus:« Wann trat der Tod nach Ihrer Meinung ein?«

»Ungefähr vor zwei, vielleicht auch zwei und einer viertel Stunde«, meinte Dr. Bellinghaus und sah sich den Toten nochmals an.

»Und wann begann die Vorstellung?« Diese Frage war an den Direktor des Theaters gerichtet.

»Genau um 21 Uhr«, schoss der Show Bussiness Manager heraus.

Hellwig sah einen Moment auf seine Uhr und berechnete die Zeit. Der verstorbene Revue-Besucher könnte infolgedessen den Beginn der Vorstellung noch erlebt haben.

Im grellen Licht der Scheinwerfer zogen sie dem Amerikaner die Jacke aus, lösten seine Krawatte und öffneten das Hemd bis hinunter zum Gürtel. Vorsichtig fuhr der Kommissar mit seinem behandschuhten Zeigefinger auf der kalten Brust des Toten hin und her, bis er oberhalb der behaarten Brust an eine Stelle kam, die ihm besonders auffallen musste.

»Und das hier?« Fragend blickte er Dr. Bellinghaus an.

»Dies könnte vor Eintritt der Leichenblässe gerötet gewesen sein, vielleicht entzündet durch einen Insektenstich«, meinte Dr. Bellinghaus.

»Dann müssten wir ja fast den Stachel finden«, und dabei schaute Hellwig seine umherstehenden Mitarbeiter belustigt an. Genau so, als ob er im Saal nach einer Wespe suchte.

»Besorgen Sie mir doch bitte für morgen Abend eine Eintrittskarte für die Show«, bat er beim Abschied den Theaterleiter. »Vorzugsweise Reihe 1a und wenn möglich auf diesem Platz, den Mr. McSimpson heute Abend eingenommen hatte.« Ohne ein weiteres Wort verließ der Kommissar das Theater.

Am nächsten Morgen begann die Obduktion des Leichnams, während man sich in Hellwigs Büro mit anderen Fragen beschäftigte. Fernschreiben und Mails gingen hin und her. Computerdaten über das Personal des Theaters wurden sorgsam geprüft und noch am frühen Nachmittag erhielt man eine komplette Liste aller Künstler der südamerikanischen Truppe.

»Die Unterlagen sind jetzt komplett, Herr Kommissar«, sagte die sowohl adrette als auch pflichtbewusste Kriminalassistentin zu ihrem Boss.

»Gut so«, meinte Hellwig. »Dann kann ich mir ja dieses Spektakel heute Abend auch ansehen.« Dabei sprach er mehr zu sich selbst.

»Es wird Ihnen sicher gefallen, Herr Hellwig«, sagte die Assistentin leise. »Mir hat es sehr gefallen. Ich war gestern Abend dort. Allerdings …«, und dabei lächelte sie ein wenig, »vorletzte Reihe, da ist’s billiger.«

Hellwig sah sie kurz an. »Gestern Abend also waren sie dort? Und fiel Ihnen da nichts Besonderes auf?«, wollte er wissen.

»Eigentlich nicht. Nun, ich weiß nicht recht.« Sie wusste in diesem Moment wirklich nicht, was sagen sollte. Marianne überlegte kurz. »Ja, vielleicht. Ganz am Anfang. Das war wirklich richtig komisch. Da kam so ein brasilianischer Trompeter auf die Bühne. Wissen Sie, Herr Hellwig. Gleich als er anfangen wollte zu blasen. Da kam gar kein Ton aus der Trompete, die blies gar nicht. Vielleicht so ein Gag zum Auftakt, wissen Sie?«

»Ja?«

»Also das mit dem Trompeter, das war ja ganz komisch. Da kam ja gar kein Ton heraus. Erst als er das Mundstück ausgewechselt hatte, da ging es richtig los und gleich raste das Publikum wie verrückt vor Begeisterung.«

Hellwig sagte nichts zu der kurzen Bemerkung, doch dann dachte er angestrengt nach.

Punkt 21 Uhr saß Kriminalkommissar Hellwig auf seinem Sessel in der Bel Ami-Revue. Der Vorhang hob sich und Jacinto Silveira sprang mit seiner Trompete in der Hand mitten auf die Bühne, stieß mit voller Lunge in das Instrument und erfüllte die Show mit einer mitreißenden Samba-Melodie.

Zwei Stunden später fiel der Vorhang zum letzten Mal. Herbert Hellwig nahm sich den Assistenten Besserer und einen weiteren Beamten mit. »Also sehen wir uns den Samba-Künster mal etwas genauer an.«

Jacinto Silveira hatte ihnen nach kurzem Klopfen selbst die Tür geöffnet. Dann standen sie mitten in Silveiras Umkleideraum und wiesen sich aus.

»Sie haben wunderbar gespielt«, begann Kommissar Hellwig und versuchte zu lächeln, nachdem sich ein Mitarbeiter an die Tür gestellt hatte.

»Kamen Sie hier herein, um mir das zu sagen?«, fragte Silveira noch beherrscht, war nach dem Blick auf die Dienstausweise jedoch kreidebleich geworden.

»Nein. Nicht nur deshalb«, gab Hellwig zu. »Eigentlich wollten wir nur gerne wissen, ob Sie ab und zu auch Indianer spielen?«

Da der Künstler diese Frage offenbar nicht verstand, wurde Hellwig deutlicher. »Nun, verehrter Senhor Silveira! Zeigen Sie mir schon Ihr Pusterohr! Ich meine damit, dieses feine Röhrchen, das gestern Abend auf Ihrer Trompete steckte.«

Jacinto Silveira sprang von seinem Stuhl auf und wollte zur Tür. Doch Besserer und der Beamte an der Tür hielten ihn fest.

Mit unheimlicher Ruhe holte der Kommissar eine Papierserviette aus der Westentasche und entnahm daraus ein winzig kleines Projektil, nicht größer als die Spitze einer dünnen Nadel.

»Nicht anfassen!«, rief Hellwig zu den Umstehenden. »Es ist vergiftet, denn Henry McSimpson starb gestern Abend an Curare, dem Pfeilgift der Amazonas-Indianer!«

Und dabei sah er Silveira direkt ins Gesicht. »Stimmt’s, Senhor Silveira? Sie sehen, wir haben das klitzekleine Wunder dennoch gefunden. Es steckte mitten in der Aorta von Ihrem Opfer und brachte ihm den sicheren Tod.« Nach einer kurzen Pause fuhr der Kriminalist fort: »Nun fehlt uns also noch das Pusterohr, mit dem sie gestern Abend so gut getroffen haben.«

Besserer zog inzwischen den eiligst beschafften Haftbefehl aus der Tasche und der Beamte an der Tür holte ein paar Handfesseln aus der hinteren Gesäßtasche.

»Ich muss Sie leider festnehmen, zunächst zur weiteren Untersuchung. Und nun sagen Sie mir … das könnte Straferleichterung für Sie bedeuten … weshalb nur haben Sie das getan?«

Jacinto Silveira ließ sich anstandslos festnehmen. Dann wartete er fünf lange Minuten, bevor er sein Geständnis hinausschrie. Wildes Feuer blitzte in seinen Augen: »McSimpson hat mit vor Jahren meine Frau genommen. Und gestern Abend, endlich, da kam er mir vor die Trompete!«

KOMETEN BRINGEN GLÜCK

Joe MacMillan hatte es an diesem Morgen besonders eilig. Wieder war das Geld weg und das kam alle zehn Tage mindestens einmal vor. Also musste er zusehen, wie er über die nächste Runde kommen könnte. Zum Glück war es bis zur Bascon Street nicht allzu weit. Um genauer zu sein, Bascon Street, 112 in der 27. Etage. Denn dort hatte sich seit einiger Zeit die Bradston Immobilien-Agentur eingenistet. Und nur von dort konnte Joe baldige Rettung erwarten.

»Hello Joe, really you are early this«, meinte der hagere Mr. Bulton der gerade in diesem Moment damit beschäftigt war, den vergitterten Eingang zu den Geschäftsräumen aufzuschließen.

»So zeitig heute schon?« Joe nickte kurz und wartete höflich, bis ihn Bulton aufforderte, auf einem der Stühle des Besuchszimmers Platz zu nehmen.

»Sie werden gleich kommen«, tröstete ihn Bulton und bezog sich auf Fredric March und den kleinen Olbranson, die, wie Joe inzwischen herausgebracht hatte, zum Stammpersonal der unscheinbaren Agentur gehören mussten.

Eigentlich wurde Joe jedes Mal von einem anderen Kerl abgefertigt, wenn er, oft reichlich verspätet, das ärmliche, meist verstaubte Büro betrat, um bald danach wieder auf der Straße zu sein und den zweifelhaften Aufgaben nachging. Immerhin hatten alle gewusst, wer er war, wo er wohnte und vor allem kannten sie die genaue Summe, die er jedes Mal in Empfang nahm und wie viel er am Abend wieder zurückzubringen hatte. Und was wusste Joe von diesen Burschen im 27. Stock? Wenn er ehrlich sein wollte, musste er es sich eingestehen. Gar nichts wusste er von diesen Leuten.

Allein in dieser Woche hatte er ein Riesenpaket weggeschleift. Tausende von Dollar waren es. Hastig klemmte er sich in aller Frühe in den Lift und fuhr ins Erdgeschoss. Schon auf der Fahrt nach unten grübelte er darüber nach, wo und vor allem wie er an diesem Morgen den ganzen Plunder loswerden könnte.

Ja, letzten Donnerstag! Da lief das Geschäft wie eine Eins! All diese miserabel gedruckten Greenbacks hatte er an einem Nachmittag im Jockey-Club untergebracht. Tadellose Fünfziger, einen Packen Hunderter und drei Tausend Dollarnoten holte er bei den Wettbüros heraus.

Seine saftige Provision hatte er gleich in Wetten angelegt. Und dabei auf Anhieb viertausend Dollar eingeheimst. All zu lange hielt das auch nicht. Denn er hatte dann doch noch das phantastische Teleskop erstanden. Seit Tagen waren sie alle hinter den Fernrohren her, die sie vor dem totalen Ausverkauf in den Optikerläden und in diesen Allerwelts-Warenhäusern noch vor dem Schlussverkauf ergattern konnten. Den ganzen Tag lang standen sie Schlange, um den Kometen, der durch Zeitungsberichte und Fernsehshows bekannt geworden, so bedrohlich nahe am Erdball vorbeirasen sollte. Und als der bedrohliche RA 202 in nächster Nähe am Himmel erschien und ganze Scharen ängstlicher Menschen in die Kirchen rannten und beteten, da hing nächtelang eine dichte Wolkendecke über dem halben Kontinent.

Joe war es bald satt, sich auf dem harten Stuhl seiner engen Klause die Nächste um die Ohren zu schlagen, um am Ende doch nichts von dem gefährlichen Himmelskörper zu erwischen. Nun, wenn dies nur der einzige Kummer des arbeitslosen Bankangestellten gewesen wäre.

»Mr. Macmillan«, fing die bucklige, blutarme Frau am Anfang der nächsten Woche an. »Es tut mir ja so leid. Aber ich muss Ihr Zimmer haben.« Dabei stützte sich die Alte auf ihre Krücke, ohne die sie nicht einmal durch die schäbige, enge Wohnung hätte schleichen können. In ihrer Verlegenheit zog sie dauernd an ihrem blauschwarzen Kopftuch, das sie über die unordentlichen Haare gebunden hatte. »Mein Neffe will nämlich bei mir wohnen«, behauptete sie ohne Atempause. »Er kommt in unsere Stadt und will auf der Universität studieren. Verstehen Sie?«

In seinem Zimmer, sollte das wohl heißen. Obwohl Joe auch in schwierigen Zeiten die Miete pünktlich bezahlte. Joe schluckte zweimal. Eigentlich wollte er ihr seine Meinung gründlich sagen. Doch was hätte er damit erreicht. Hatte es einen Sinn sich zu widersetzen? Die kleine Dachwohnung gehörte schließlich ihr und wenn sie ihn an die Luft setzen wollte, dann sollte sie eben ihren Willen haben. Also machte er sich auf, um eine neue Bleibe zu finden. Drei Tage klopfte er in der halben Stadt an, bis er schließlich eine Bude ausfindig machte, die ihm einigermaßen passte. Vor allem, weil sie auch mit seinem schmalen Einkommen zu bezahlen war. Teurer wie bei der buckligen Alten war sie ohnehin. Doch die Mieten waren wieder einmal gestiegen. Er würde mehr verdienen müssen, sah Joe bald ein. Viel mehr sogar. Wenig begeistert starrte er am ersten Abend zu dem engen Mansardenfensterchen hinaus, nachdem er Rucksack und Fluggepäck auf dem verblichenen, ausgefransten Teppich verdammt hatte.

 

Hier, in diesem Getümmel von Wolkenkratzern und Büroblöcken, mitten in der diesigen sauerstoffarmen Abgasluft wird er den schnell entschwindenden Kometen auch nicht mehr erwischen können. Was sollte er jetzt mit dem überflüssigen Teleskop noch anfangen?

*

»Zum Donnerwetter!« Diese Lippe mit der Hasenscharte und dem kleinen Bärtchen drüber. Dazu diese unverwechselbaren Nasenlöcher. Jetzt bohrte auch noch der dicke Zeigefinger im rechten Nasenloch, drehte sich und bohrte und bohrte hemmungslos.

Das musste er sein. Joe schob das inzwischen sicher unverkäufliche Teleskop weiter nach oben, so dass er den Nasenrücken betrachten konnte. Dann sah er die rechte Augenbraue, einige rotblonde Härchen, die kleine Narbe unter den Haarwurzeln an der Stirn. Erst dann, als er sie mitten im Blickfeld hatte, schien alles riesengroß zu sein. Mit allen Einzelheiten! Es konnte keinen Zweifel geben. Er hatte einen der Kerls erwischt, die ihm jeden Morgen die falschen Dollarbündel in die Tasche steckten. Doch die Wand, die er ganz unerwartet im Blickfeld hatte, sah ganz anders aus. Nicht so schmuddelig wie das alte Büro, in das sie ihn jeden Morgen hereinkommen ließen, bevor er zum täglichen »Dollarhandel« losziehen konnte. Sicher ging es dabei um eine Art Hinterzimmer, das er bis jetzt nie gesehen hatte.

Also hatte er irgend einen anderen Raum erwischt. Immerhin. Joe holte seine Klamotten aus dem Rucksack und polsterte den harten Stuhl. Sein Ausblick gab ihm neue Kraft, da er hinter Geheimnisse kam, in die man ihn nie eingeweiht haben würde. Nun hatte er einen Weg gefunden, schnurgerade in jenes »Immobilienbüro« zu glotzen, das ihm bis jetzt seine brisante Zukunft garantierte. Zur Ablenkung kramte er in der Hosentasche. So sah es also aus. Zwölf Dollar und noch ein paar Cents. Gerade genug, um bei Fabricius ein halbwegs ordentliches Frühstück zu kriegen. Nachdem er ein besseres Gefühl im Magen hatte, zog es ihn wieder an seinen Ausguck zurück.

Dieses Mal hockte eine dicke Schmeißfliege an der kahlen Wand. Joe fuhr instinktiv zurück Noch eine Idee nach unten, noch etwas weiter … und Stopp. Was war denn das? Olivgrün. Richtig, ein kleines Safe hatte er plötzlich erwischt. Er traute seinen Augen nicht. Ein richtiger Kassenschrank zwischen ein paar altmodischen Bücherregalen. Vorsichtig schob er seinen Spion nach rechts. Er musste die Eindrücke der riesigen Vergrößerung richtig zusammensetzen. Spinde erschienen im Bild. Einfache Kleiderspinde. In der Mitte des Raumes schien ein alter Tisch zu stehen mit einem Stuhl davor. Von seiner neuen Entdeckung überrascht, verspürte er wenig Lust, schon wieder ein Paket gefälschter Dollar abzuholen. Wer weiß? Richtig. Das waren wieder Fragmente eines Gesichtes, Finger dazwischen, ein Daumen …, ein Zeigefinger schien daneben zu sein, der Ring. Ein Siegelring an Bultons Hand. Der Daumen und der Zeigefinger berührten das Nummernschloss. Jetzt drehte sich die Scheibe langsam nach … rechts! Joe schnappte erregt nach der alten Zeitung, riss ein Stück ab. Den Kuli her! Zum Teufel, wo war das Ding? Jetzt aber! Drei mal eine volle Drehung nach rechts und wieder … Stopp. Anhalten bei 21 … dann nach links … 41 … zwei mal im Uhrzeigersinn nach rechts, anhalten … die Nummer 3. Das also war die Kombination des Safes. Jetzt hatte er, was er brauchte Nur der Schlüssel fehlte noch. Es musste noch einen Schlüssel geben! Joe schob das Teleskop Millimeter um Millimeter nach rechts, weiter nach oben. Nichts. Er lag daneben. Aber dann, plötzlich schien er mitten hinein zu sehen. Unglaublich geradezu. Das offene Safe und die ganzen aufgestapelten Dollarbündel. Wundervolle echte Dollar mussten das sein. Zehntausende vielleicht, oder noch mehr. Schlicht unschätzbar. Echte Dollars, die er von der Straße heraufschleppte. Na wartet! Die verdammte Tür des geöffneten Verstecks versperrte ihm die Sicht an alles Weitere! Entgeistert starrte Joe durch die Linse, dann zitterte er, das Bild war weg.

Er kam nicht los von allem was er sah!. Jetzt wusste er genug. Dennoch, heute morgen durfte er seine Auftraggeber nicht mehr länger warten lassen.

Er musste sich zeigen. Auf dem Weg ins Büro gab er den Gedanken auf, das unnütze Teleskop nach der Kometenpleite wieder zu verscheuern. Andererseits war er wegen des riskanten Jobs besorgt. Stand er nicht von einer Stunde auf die andere im Gefängnis?

Unweigerlich müsste es eines Tages ein jähes Ende haben. Und es wäre mehr als töricht, ein zweites Mal dort aufzukreuzen, wo er schon einmal erfolgreich war. So verringerten sich die Möglichkeiten von Tag zu Tag. Schon deshalb holte Joe jeden Tag weniger Gefälschte ab und sass dafür um so länger an seinem Teleskop. Mit Schmerzen in seinem Rücken starrte er stundenlang hinüber auf die kahle Wand, beobachtete den Tisch auf dem sich Dollars stapelten und immer schien es gutes Geld zu sein.

Zwei mal am Tag sah er Bultons klobige Finger, kannte sie jedes Mal an dem feinen goldenen Ring. Dieser Bulton war es sicher, der den Schlüssel hatte.

So kam der 13. Mai, ein unerwarteter Freitag, an dem er diesen Kerl erwischte.

Der Boss rückte den Tisch zur Seite, schlug den Wollteppich zurück und entfernte ein Brett aus dem Parkettboden. Joe hielt den Atem an, als er verfolgen konnte, wie der Schlüssel des kleinen Safes langsam in diesem Versteck unter dem Parkettboden verschwand.

*

ROGERS LIFT – SERVICE stand in roten Buchstaben auf dem blauen Overall. Joe hatte drei volle Tage mit den Vorbereitungen zugebracht. Mit dem alten Werkzeugkasten in der Hand, den er billig bei Trödler Jessing aufgetrieben hatte, drückte sich Joe an dem Pförtner vorbei. Dann ging es hinauf bis zur letzten Etage.

Im Maschinenraum der Liftmotoren wartete er auf die Nacht. Erst gegen zwei nahm er den oberen Lift und fuhr in die 27. Etage hinab. Mit seinem Ohr am Safe konnte er hören, wie sich der interne Riegel im Inneren des Mechanismus verschob.

Mit seidenen Handschuhen bewaffnet, hatte er schnell den Schlüssel aus dem Hohlraum unter dem Parkett geholt, steckte ihn ins Schloss und drehte nach links.

Das Safe gab nach! Hunderttausende mussten es sein, die jetzt nur eine Hand breit vor seinen Augen lagen! Hunderttausende! Stapel auf Stapel miserabel gedruckter Dollarnoten!

Joe stieß einen Schrei aus Wut und Entsetzen in die Nacht hinaus. Das Schicksal hatte ihn erwischt. Die lange Wartezeit, bis es so weit war, die geduldigen Zeiten am Teleskop, stundenlange Spekulationen, Illusionen, alles war vergeblich gewesen. In jähem Zorn riss er ein Bündel der wertlosen Dollar aus dem Safe, stampfte darauf herum, kickte sie von einer Ecke in die andere. Elend und müde, abgekämpft hockte er sich auf den Tisch. In den leichten Keds ließ er die Füße hin und her baumeln und dachte über sein Schicksal nach. Was blieb ihm noch? Er wartete auf den Morgen, um wenigstens falsche Dollars auf eigene Rechnung unter die Leute zu bringen. Aus lauter Langeweile brach er die Kleiderspinde auf. Die meisten Spinde waren leer, dreckig und verrostet. Im dritten Spind stand ein alter hölzerner Geigenkasten. Gelblich brauner Schimmel hatte sich in dicken Streifen über abgeschabten schwarzen Lack gezogen. Puh! Zum Teufel. Joe war überrascht bevor er anfing sich selbst zu verspotten.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?