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Ein Buch, das gern ein Volksbuch werden möchte

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Der Nebenbuhler

I

Graf Edmund N. an seine Hochwürden Herrn Professor Erhard
Paris, den 10. Mai 1875.

Mein verehrter Freund!

Da bin ich, aus Marseille eingetroffen, vor vierzehn Tagen, die mir vergangen sind wie vierzehn Stunden.

Es ist unmöglich, liebenswürdiger empfangen zu werden, als ich es wurde von Freunden und Verwandten. Freilich begegnet man auch nicht alle Tage einem Manne, der direkt von den Antipoden kommt, mit Menschenfressern zu Mittag gespeist, am Salzsee gewohnt, den schwarzen Turban der Kopten getragen, den Schrei auf Ceylon gehört und bei indischen Schlangenbändigern in die Lehre gegangen ist.

Tante Brigitte grüßt Dich. Sie hat sich kürzlich frisch emaillieren und perückieren lassen, und jetzt machen wir gegenseitig Staat miteinander. Von einer Veränderung an ihr keine Spur. Sie sagt noch immer bei den unpassenden Gelegenheiten: Ah, je comprends ça! Sie spricht noch immer mit derselben Schwärmerei von meiner verstorbenen Mutter: ihrem Kinde mehr als ihrer Schwester, und bricht plötzlich ab mitten in der tiefsten Rührung, wischt sich die Augen, winkt mit dem Taschentuche und seufzt: „Va, mon enfant, va te distraire.

Lieber Freund, ich bilde mir ein, daß auch sie vor Zeiten nicht verschmäht hat, kleine Zerstreuungen zu suchen in ihrem Schmerze, erst um die Schwester, dann um den Gatten. Heil ihr! möge noch so mancher Frühling frisch gemalte Rosen auf ihren Wangen erblühen sehen. Sie ist die gutmütigste Egoistin, die ich kenne.

Ganz in Übereinstimmung mit Dir, will sie mich jetzt verheiraten, und gegen die junge Dame, die sie mir ausgesucht hat, ist nichts einzuwenden. Sie stammt aus gutem Hause, von braven Eltern, ist verteufelt hübsch, hat einen klaren, schlagfertigen Verstand, eigenes Urteil, den Mut es auszusprechen und – was unendlich mehr: die Fähigkeit, auch ein gegenteiliges anzuhören und sogar gelten zu lassen. Dabei gleichmäßig heiter, harmlos, unbefangen. Ich glaube, daß sie noch nie vor einem Menschen die Augen niedergeschlagen hat; und es wäre schade wahrlich, denn sie sind prachtvoll; dunkelgrau wie ein Gewitterhimmel, und wenn es in ihnen aufblitzt bei irgend einem Anlaß, da gibt's einen schönen Anblick.

Ich hoffe, du bestätigst mir heute oder morgen den Empfang meiner Sendung aus Marseille. Kurz vor dem Einlaufen in den Hafen, an Bord des „Triomphant“, schrieb ich die Schlußworte des letzten Kapitels meines Reisetagebuchs. Streiche fort, was Dir sentimental vorkommt, ehe Du abschreiben lässest. Nach zweijährigem Herumbummeln in fremden Weltteilen hat mich die Heimkehr ins alte Europa seltsam bewegt. Plötzlich ist alles vor mir gestanden, was zu vergessen ich auf und davon gegangen …

Aber – sei unbesorgt, es war nur eine flüchtige Erinnerung. In die Tiefen des Ozeans versenkt, in den Sand der Wüste vergraben, in die Lüfte gestreut habe ich die Leidenschaft meiner Jugend.

Und jetzt will ich glücklich und tätig sein, ein Landwirt werden, ein Familienvater, ein Bürgermeister, alles, alles – nur nicht Politiker.

Vorher indessen noch eine Zeitlang: cum dignitate otium. Es ist ein gewaltiger Strom des Lebens, der hier an einem vorüberbraust, und mit gekreuzten Armen seinem Treiben zuzusehen, hat einen großen Reiz.

Jedenfalls, Lieber, Verehrter, dürfte der Aufenthalt in Paris mir jetzt gesünder sein als vor zehn Jahren, da ich, ein laubfroschfarbiger Jüngling, in dieser Stadt der Arbeit und des Genusses erschien. Damals an Deiner Hand, mein Mentor, oder vielmehr in Deiner Hand, das reine Postpaket, aufgegeben von meinem armen, weltentfremdeten Vater in Korin an der Wottawa, abzugeben in Paris, Rue St. Dominique im Hotel der Tante. Sie hatte mich reklamiert, und Ihr liefertet mich aus für ein Jahr, in dem es mir oblag, tanzen und fechten zu lernen und mich in der Aussprache des Französischen zu vervollkommnen.

O, Ihr alten, unschuldigen Kinder!

Wir haben leicht lachen heute, aber einen zwanzig-jährigen, in einem Privat-Trappisten-Kloster zwischen zwei greisen Gelehrten erzogenen Menschen nach Paris schicken, zu einer langmütigen Tante, die den Bengel vergöttert – das war ein Wagnis, das ich nicht unternehmen werde mit meinen Söhnen.

Ei, wenn er nur welche hätte! denkst Du im stillen. Nun, Freund, vielleicht ist heute übers Jahr schon einer auf dem Wege. Sobald er sein erstes Lustrum erreicht haben wird, kommt er zu Dir in die Lehre. Du lässest einen kleinen Pfahlbau für ihn im Teiche errichten, und er stellt mit seinen Bausteinen keltische Monumente auf und getreuliche Nachbildungen der Stufenpyramiden auf Otaheiti. Alle Kinder, die überhaupt Bausteine besitzen, tun das unbewußt, die meinen werden es mit Bewußtsein tun.

Und nun für heute lebe wohl!

Dein Edmund.

II

Professor Erhard an den Grafen Edmund N
Korin, den 15. Mai 1875.

Hochgeborener Herr Graf!

Mein lieber Mundi!

Ballen und Kisten glücklich einpassiert. Ei, wie köstlich! Gratuliere vornehmlich zur Erwerbung des Papyrus. Da ist Arbeit für viele Jahre in Aussicht gestellt. Möge Dein gehorsamster Diener sie zu Ende führen können. Dazu jedoch möchte die Zeit nicht langen, und wenn sein guter, gnädiger Gott ihn auch das Alter Methusalems erzielen ließe.

Daß Dein edler Vater noch lebte, sich der altägyptischen Statuette zu erfreuen, und der trefflichen Produkte textiler Kunst aus dem einstigen Reiche der Sikhs! Lieber Mundi, mein teurer Graf, Du hast im größten wie im kleinsten bei der Auswahl der von Dir nach Hause geschickten, vielfach unschätzbaren Gegenstände Dich in einem hohen Grade umsichtig und weise erwiesen. So bist und warst Du von jeher, und ich würde mich sehr besinnen, Deiner Behauptung zuzustimmen, daß Dein hochseliger Vater und meine Wenigkeit sich in ein Wagnis eingelassen, als wir dich vor zehn Jahren für reif erklärten zu einem Aufenthalt im modernen Babel. Wir wußten, was wir taten, und durften es – wie Figura zeigt – wohl tun.

Dein Reisetagebuch wird bestens abgeschrieben werden; doch darf ich leider nicht zur Indrucklegung raten, ein Vorschlag, mit dem ich Dich zu überraschen gedachte; es fehlt gar zu oft der nötige Zusammenhang. Die sentimental-feurige Apostrophe an die südliche Küste Frankreichs ist eine Zierde des Manuskriptes, und ich müßte lügen, wenn ich behauptete, daß sie mich, wenn auch nur gelinde, erschreckt hat. Was Du so schwungvoll die Leidenschaft Deiner Jugend nennst (ein hübscher Ausdruck und mir durchaus neu) dürfte derzeit wohl zur Gänze erloschen sein und Dein guter Verstand eingesehen haben, daß auf Erwiderung niemals zu hoffen, ja, daß eine solche niemals zu wünschen war. Eine vermählte, eine edle, heilig-zarte Frau, und zugleich die Deines besten Freundes, der Dich liebt, wie wenn Du der Sohn wärest, den er, leider vergeblich, ersehnt – das müßte ein andrer als mein Mundi sein, der sich da mit unerlaubten Gedanken trüge oder getragen hätte; denn wenn sich ja dereinst etwas Ähnliches in seiner schönen Seele begeben hat, liegt es derselben heute ferner als uns die Sintflut.

Glück und Segen und des Himmels auserlesenste Gunst über Dich! Ich bitte um Mitteilung des werten Namens derjenigen, die, Gott gebe es! bald den teuren Deinen tragen wird. Wolle mich, wenn Du das Haus ihrer hochschätzbaren Eltern besuchst, dort allerseits des Angelegentlichsten empfehlen.

In treuer Wertschätzung, Liebe, Ergebenheit

Dein alter Lehrer P. Erhard.

PS. In Deiner Wirtschaft herrscht beste Ordnung, in Deinem Schlosse beginnt sie schon das Szepter zu schwingen. Auf Schritt und Tritt begegnet dem Wissenden Genuß, dem Schüler Belehrung. Der Boden der Halle mit Ausgrabungen bedeckt, darf ohne Ruhmredigkeit verglichen werden mit einem klassischen Trümmerfeld. Aus bereits eingetretenem Mangel an Raum waren wir genötigt, die holdig-schönen von ungemeinem antiquarischen Reiz umflossenen Mumien in Deinem Schlafgemache unterzubringen.

III

Graf Edmund N. an Professor Erhard
Paris, den 22. Mai 1875.

Lieber Professor, bester Freund!

Allzubreit darf das Altertum sich in meinem Hause doch nicht machen, wer weiß, ob wir nicht, in erwartbarer Zeit, darin Platz brauchen für eine junge Frau. Die Mumien lasse, wenn's nicht anders geht, in den Keller schaffen. Es gehört zu meinen Marotten, daß ich lieber in meinem Bette schlafe als im Sarge einer Pharaonentochter.

Um die Erlaubnis, das Elternhaus Madeleines – so heißt nämlich die halb und halb Erwählte – besuchen zu dürfen, habe ich noch nicht gebeten, mich noch nicht entschlossen zu dem entscheidenden Schritt. Keineswegs aus Angst vor einem Korbe. Madeleine hat für mich „de l'amitié“ – nicht zu übersetzen mit unserm deutschen „Freundschaft“; es heißt weniger und mehr und jedenfalls etwas ganz andres. Die Mutter ist mir wohlgesinnt, und geradezu geliebt werde ich vom Vater. Der würde Dir gefallen, den würdest Du zu erwerben suchen – für unsre Sammlung. Denke Dir das schönste Exemplar einer Rasse, die wir für ausgestorben hielten, einen „chasseur du roi“, wie ihn die Bretagne um 1794 nicht charakteristischer aufgestellt: Untersetzt, breitnackig, breitgestirnt, mit funkelnden Falkenaugen, kurzer Nase, runden Nüstern, Mund und Kinn wie, ziemlich grob, aus Stein gemeißelt. Ich wette, er schwört noch bei der heiligen Jungfrau von Auray und trägt unter dem Hemde mehr Amulette als Ludwig XI. In seinen Augen ist jedes Mißgeschick, von dem Frankreich seit dem Zusammentreten der Nationalversammlung betroffen wurde, eine Sühne für die Zertrümmerung des Königtums. Mit dem letzten Kriege ließ Gott die schwerste Geißel über das abtrünnige Reich des Heiligen Ludwig niedersausen. Die Deutschen sind ihm nur Werkzeuge der Rache des Allgerechten, und als solche dürfte er sie eigentlich nicht hassen, aber er haßt sie doch und ingrimmig. Mich, als den Sohn eines „Tschèche“ und einer Französin, hält er für einen geborenen Widersacher seiner Feinde und zieht in meiner Gegenwart mit besonderem Schwung gegen sie los.

 

Da habe ich denn schon oft bemerkt, wie peinlich solche Ausbrüche des Zornes gegen uns – welch ein Schnitzer! ich sage uns, ich „Tschèche“, – auf Madeleine wirken.

Sie schweigt zwar, aber sie kämpft entschieden mit innerster Empörung; wechselt die Farbe, und gestern sah ich, wie ihre schönen Hände, die einen so ausgesprochen festen und braven Charakter haben, krampfhaft zitterten auf ihrem Schoße.

Vielleicht ahnt sie etwas von meiner wahren Gesinnung, dachte ich, und fürchtet, ich könnte mich durch die Ausfälle ihres Vaters verletzt fühlen. In der Absicht, sie darüber zu beruhigen, sagte ich ihr, daß ich Kosmopolit bin aus ganzem Herzen. Ich wiederholte, was ich so oft von Dir gehört, und was sich mir überzeugend eingeprägt hat: daß unsre Nation nur unsre erweiterte Familie ist, und daß der rechte und gute Mensch seine Familie nicht auf Kosten andrer liebt, lobt und fördert. Indessen vermöge ich doch, mich in die Empfindungen eines, in seinem Stolze gekränkten Patrioten hineinzudenken, und sie, trotz ihrer Verschiedenheit von den meinen, zu ehren.

Sie hörte mich aufmerksam an und nickte zustimmend, freilich auch etwas spöttisch, und lächelte, wie sie pflegt, wenn ich ihr gegenüber einmal einen warmen, vertrauensvollen Ton anschlage … Es ist eine ungute Art zu lächeln, die mich aus der Fassung bringt, mich immer unvorbereitet findet und peinlich überrascht.

Das war anders dereinst! Elsbeth konnte mich nie überraschen; sie konnte mich nur stets von neuem in der hohen Meinung, die ich von ihr hatte, bestärken. Bei zahlreichen Gelegenheiten fragte ich mich: was würde jetzt das Prototyp dieser Frau tun? dachte mir das Schönste und Schwerste aus – und das war dann, was sie tat, so natürlich und einfach, wie wenn es das Selbstverständliche wäre.

Ja, diese Frau! Ich habe dem Geschick für vieles zu danken, für nichts aber so heiß, als daß ich drei Jahre in ihrer Nähe leben und mit ihr verkehren durfte, fast wie ein Hausgenosse. Ohne sie wäre ich untergegangen, war auf dem besten Wege … Sehr unrecht hast Du, es zu bezweifeln! Erinnere Dich, wie ich Euch heimkehrte, nach jenem ersten lehrreichen Aufenthalt in Paris. Ich sehe noch den Ausdruck des Schreckens im Angesicht meines armen, damals schon todkranken Vaters bei unserm ersten Tischgespräche, da ich meine neuerworbenen Ansichten vom Leben auskramte, mit meinen Erfahrungen prahlte und mich erhaben dünkte über Euch, wie ein aus dem Kriege kommender Soldat über ein paar alte Ofenhocker.

Und später – das Eis war gebrochen, es hatte schon begonnen zu tauen in meiner erwachenden Seele … weißt Du noch? – lag ich auf den Knien vor dem Sterbenden, und er segnete mich und sprach leise mit seinem allgütigen Lächeln: „Verliebe Dich, mein Sohn.“

Wahrlich, ein väterlicher Rat ist nie treuer befolgt worden. Ich habe geliebt, wie man nicht mehr liebt im neunzehnten Jahrhundert, und wie vielleicht auch in den vorigen Jahrhunderten nur wenig Frauen geliebt worden sind.

Die Frau Deines väterlichen Freundes, sagst Du vorwurfsvoll. – Aber dieses Bewußtsein verschärfte nur die Qual und änderte nichts an der Empfindung.

Niemand vermag mir den Glauben zu nehmen, daß sie für mich, und daß ich für sie geboren war, daß wir Eins gewesen sein mußten in einem früheren Leben und nun zueinander strebten mit derselben Urgewalt, wie die Fluten des durch Klippen getrennten Bergstroms, der zu Tale stürzt.

Und dennoch, so zuversichtlich ich hoffte, daß jede sehnsüchtige Empfindung meiner Seele einen Widerhall in der ihren fände, so fest war meine Überzeugung, daß Elsbeth lieber sterben würde und lieber mich sterben ließe, als ein Unrecht tun. Ich aber hatte Augenblicke – Dir, alter Mensch, darf ich's sagen, unsre Schuljungen würden mich verhöhnen – in denen alle meine Wünsche schwiegen vor dem einen, ihrer würdig, ihr Freund, ihr geistiger Genosse zu bleiben. Die ich wie eine Göttin verehrte, sollte nicht niedersteigen, um in meinen Armen eine Erdenfrau zu werden. Aber diese Augenblicke wurden immer seltener, die Selbstbeherrschung wurde mir immer schwerer, um so mehr, als Elsbeth ihr Benehmen änderte, ihre Unbefangenheit zu verlieren, jedes Alleinsein mit mir ängstlich zu vermeiden schien —

Unwandelbar derselbe blieb nur Er, der Lustspielgatte, der arglose, alberne – anbetungswürdige. Er hielt mich mit Gewalt fest, wenn ich fort wollte, er plagte mich, um mir mein kroatisches Gut zu erhalten, das ihm das seine so schön arrondiert hätte, und das schon zu Zeiten meines Vaters losgeschlagen werden sollte, weil wir Geld brauchten für die arg zurückgegangene Wirtschaft in Korin.

Aber er weigerte sich zu kaufen. Im Anfang zögernd, dann immer entschiedener. – „Es ist halt schwer, es ist halt schwer. Mir würde der Krempel passen. Du gehst mathematisch darauf zu Grund. Kennst Dich ja bei uns gar nicht aus.“

„So kaufe! kaufe! zahle, was du recht findest.“

„Was ich recht fände, kann ich nicht zahlen, und weniger mag ich nicht zahlen; ich mache keinen Handel mit einem Menschen, der wie Du in Geschäften ein Mondkalb ist. Das darf nicht sein. Was meinst, Elsbeth?“

Sie lachte. Es gibt nichts, das lieblicher wäre als ihr Lachen. Um so lachen zu können, muß man eine großartige und milde Seele haben. Gar wenige Frauen lachen schön. „Was soll ich nur antworten, ohne entweder unhöflich oder gewissenlos zu sein?“ fragte sie, und er schmunzelte und begann seinen graublonden Knebelbart um den Zeigefinger zu wickeln: „Ja, wenn ich Kinder hätte, Gott weiß, welcher Schandtat ich fähig wäre, – aber so!“

Und später hieß es dann: „Weil ich keine Kinder habe und mathematisch keine bekommen werde, will ich Deine lang vernachlässigten Interessen vertreten, Du Junge Du, wie wenn es die meiner Kinder wären.“

Nein, einen solchen Mann betrügt man nicht: „Das darf nicht sein,“ wie er sagt.

Aber so schwer als möglich hat er mir's gemacht, ein ehrlicher Kerl zu bleiben. Ich mußte am Ende heraus mit einem halben Geständnis. Da murmelte er etwas von Unsinn und wurde ein wenig rot. „Du weißt nicht mehr, was Du erfinden sollst, damit man Dich nur fortläßt,“ sagte er und – ließ mich ziehen.

Kommst halt wieder, wenn Du mathematisch sicher bist: ich darf mit gutem Gewissen!

Und ich darf! Ich werde mit meiner jungen Frau den ersten Winter in meinem, durch den fürsorgenden Freund bewohnbar gemachten Hause in der Nähe von Fiume verleben, gut nachbarlich mit Elsbeth und mit meinem lieben alten Hans.

Seit drei Tagen schreibe ich an diesem Brief. Nun soll er endlich abgeschickt werden. Wir reisen morgen auf das Land.

Die Tante hat ihre Einladungen gemacht; unter den ersten Aufgeforderten waren die Eltern Madeleines samt Tochter.

Die letztere und ich hatten eben vom Ende der Saison gesprochen, vom nahen Scheiden, als die Tante herantrat mit der Kunde, daß uns ein baldiges Wiedersehen bevorstehe.

Da bereitete mir Madeleine wieder eine Überraschung – ein heller Freudenglanz überflog ihr Gesicht, leuchtete aus ihren Augen.

Dieses plötzliche Aufflammen war wirklich eigentümlich. Ich glaube, sie hat mehr „amitié“ für mich, als sich einbildete

Dein treuer Schüler.

Wenn die Eifersucht der Mumien es erlaubt, so schreibe mir doch einmal wieder und adressiere: Les Ormeaux, Département Meurthe et Moselle, près Cirey les fosses. Wie nahe der jetzt deutschen Grenze!

IV

Graf Edmund N. an Professor Erhard
Les Ormeaux, den 2. Juni 1875.

Teurer Freund, lieber Professor!

Gestern hatte die Tante den Besuch einer merkwürdigen Frau.

Ich will sie Irina nennen.

Vor Jahren in Wien lernte ich sie kennen. Sie war reizend und sehr gefeiert. Ihr Mann, ein widerwärtiger Gesell, ein Streber, hatte sie aus Ehrgeiz geheiratet; sie galt, als „Adoptivtochter“ eines hohen Würdenträgers, für einflußreich. Der Gatte ließ ihr volle Freiheit. Welchen Gebrauch sie in Petersburg davon gemacht, weiß ich nicht; in Wien bestand ihr Hauptvergnügen darin, die Herzen ihrer zahlreichen Anbeter an langsamem Feuer zu braten. Wie niemand verstand sie sich auf die Kunst, nichts zu versprechen und – alles hoffen zu lassen. An mir ging sie gerade so lange gleichgültig vorbei, als sie meine Gleichgültigkeit nicht bemerkte. Dann begann der Kampf. Meine Seele lag in Elsbeths Banne. Ich konnte mir jederzeit ihr Bild so deutlich heraufbeschwören, daß ich sie sah wie mit körperlichen Augen, – aber kennst Du den Mann, der einer hübschen Frau gegenüber, die sich ihm an den Kopf wirft, den Spröden spielt? – Ich hatte nur den Abhub der Liebe zu vergeben, Irina begnügte sich damit, sie triumphierte. Der Rausch war kurz, aber noch vor der völligen Ernüchterung trennten uns die Verhältnisse.

Zwei ihrer Briefe beantwortete ich, den dritten und vierten nicht mehr.

Und jetzt sehe ich sie wieder; etwas gealtert, aber noch immer verlockend, und, wie ich höre, noch immer sehr umworben. Eine gefährliche Frau; besonders für junge Leute, die die Kinderschuhe eben ausgetreten haben, oder für die alten, die eben im Begriffe sind, wieder hinein zu schlüpfen.

Bei Tische schenkte sie mir keine Aufmerksamkeit; als ich aber nachmittags in den Garten ging, um im Freien meine Zigarre zu rauchen (aus dem Hause der Tante ist der Tabak verbannt), kam sie mir nach, eine Zigarette dampfend. Wir wandelten eine Weile am Ufer des Teiches nebeneinander und führten ein unbedeutendes Gespräch. Plötzlich blieb sie stehen, sah mich fest an und sagte in ihrer nachlässigen und sanften Weise: „Unter anderm, warum haben Sie meine letzten Briefe nicht beantwortet?“

Ich war auf diese Frage gefaßt und erwiderte ohne Zögern: „Weil ich wußte, daß Sie mir einst danken würden für diese weise Zurückhaltung.“

„Wirklich? Mir ist das nicht ausgemacht.“

„Mir hingegen mit einer Gewißheit, so groß, daß sie auslangt für uns beide.“

Wir setzten unsre Wanderung wieder fort; die Luft war drückend schwül, hinter den Hügeln an der deutschen Grenze stiegen schwere Gewitterwolken auf.

Irina zog mit einem tiefen Atemzuge den Rauch ihrer Zigarette ein und ließ ihn, langsam genießend, wieder herausqualmen zwischen den leicht geöffneten Lippen. – „Wenn ich nicht irre, trug ich Ihnen an, mich scheiden und mich mit Ihnen trauen zu lassen in irgendeinem siebenbürgischen Gretna Green.“

„Etwas dergleichen … Denken Sie, wenn ich selbstsüchtig genug gewesen wäre, Sie beim Wort zu nehmen?“

„Nun?“

„Sie hätten auf alles verzichten müssen: Ihre Stellung in der Welt, Ihren Einfluß, die Liebe der Ihren, Ihr abwechslungsreiches Leben …“

„Und die Folge dieser Entbehrungen?“

„Daß Sie sich unglücklich gefühlt hätten.“

„Was weiter? Wer sagt Ihnen, daß Durst nach Glück mich veranlaßt hat, Ihnen den Vorschlag zu machen, der so wenig Anwert bei Ihnen fand? Es war Durst nach dem Gegenteil, nach Leid, nach Schmerz, mit einem Worte – nach Liebe.“

Ich muß sie sehr zweifelnd angesehen haben, denn sie beeilte sich, zu bekräftigen – „Liebe, ja, ja. Schade, daß ich sie nur zu empfinden und nicht einzuflößen verstand. Wir wären miteinander durchgegangen, und Sie hätten mich unglücklich gemacht, und das wäre wundervoll gewesen – unglücklich durch einen Menschen, den man liebt. Die Hand, die mich schlägt, ich küsse sie. Quäle, mißhandle mich, so viel es Dich freut, mit meiner Liebe wirst Du doch nicht fertig, diesen Reichtum erschöpfst Du nicht … Und den in sich zu fühlen, den göttlichen Lebensquell … was ist all das kleine Glück, das sich uns im Leben bietet, gegen ein solches Unglück?“

Sie verlangsamte ein wenig ihren noch sehr jugendlichen und hübschen Gang; ihre ganze Art und Weise blieb ruhig, ja gleichgültig, und dieser Gegensatz zwischen ihren Worten und ihrem Benehmen hatte einen eigentümlichen Reiz.

Wir nahmen Platz auf einer Gartenbank; der Himmel verfinsterte sich mehr und mehr, es herrschte ein malerisches Halbdunkel unter den Bäumen, das äußerst vorteilhaft war für Irinas farblosen, durchsichtigen Teint. Ihr feines Gesicht mit den großen grauen Augen, die zarte Gestalt im duftigen Spitzenkleide gewannen in der schmeichelnden Beleuchtung etwas Poetisches, Elfenhaftes.

 

„Das Glück,“ sagte ich, „mit dem Sie sich in Ermangelung des erwünschten Gegenteils begnügen mußten, hat doch auch sein Gutes, es hat Sie jung erhalten und schön.“

„Und leichtsinnig,“ setzte sie hinzu, in nur allzu überzeugtem Tone. „Wir Frauen haben einmal im Leben nichts als die Liebe, und wenn wir mit der unsern nicht an den Rechten gekommen sind, dann heißt es eben – tröste Dich, wie du kannst!.. Man sucht, man findet … das wohlbekannte Surrogat: Zerstreuung – ohne Liebe … Sie aber“ – der wehmütige Ausdruck, den ihre Züge angenommen hatten, verwandelte sich in einen übermütig schalkhaften – „Sie werden Liebe haben – ohne Zerstreuung.“

Ich verstand sie nicht gleich und brachte ein albernes „Wieso?“ vor, dessen ich mich zur Stunde noch schäme.

Der Donner grollte, einige Regentropfen fielen, sie achtete ihrer nicht, schalt mich einen Geheimniskrämer, den sie jedoch durchschaue, und gratulierte mir zu meiner bevorstehenden Heirat. Als echter Deutscher (ihr bin ich ein Deutscher) hätte ich klug und praktisch gewählt. – Das Erbfräulein ist hübsch, wohlerzogen, hat einen vortrefflichen Charakter. „Kann man mehr verlangen?“ fragte sie. „Sie treffen es gut – beinahe so gut wie – Ihre Braut. Und somit gebe ich Ihnen meinen Segen.“

Sie erhob sich rasch und streifte meine Stirn mit flüchtigem Kusse. Ich wollte sie an mich ziehen, doch entwand sie sich mir und sprach: „O nein … Aus, aus!.. Ob die Liebe gar nicht kommt, ob zur unrechten Zeit, ist eins und dasselbe … wir sind geschiedene Leute. – Wenn unsre Wege sich nicht mehr kreuzen sollten, Sie nur noch von mir hören, und nicht immer das Beste, dann gesellen Sie sich nicht zu denen, die einen Stein auf mich werfen. Sie haben kein Recht dazu,“ schloß sie sanft.

Ich war ergriffen und gerührt. Es ist nicht heiter, wenn jemand, mit dem wir glaubten, längst abgerechnet zu haben, vor uns hintritt und uns beweist, daß wir tief in seiner Schuld stehen.

Etwas dergleichen sagte ich auch, ohne damit einen besonderen Eindruck zu machen.

Die schwarzen Wolken am Himmel platzten und sandten einen Guß nieder wie aus hunderttausend Traufen. Irina, leicht aufatmend, bot dem strömenden Regen ihr unbedecktes Haupt und schlug ohne die geringste Eile den Heimweg ein.

Zur Albernheit verurteilt an diesem Nachmittag, wußte ich nichts andres zu sagen als: „Ihr schönes Kleid wird ganz verdorben.“

„Durch Ihre Schuld!“ erwiderte sie mit scherzender Anklage. „Warum mahnten Sie nicht früher zum Aufbruch … Jetzt haben Sie auch mein Kleid auf dem Gewissen.“

Triefend kamen wir nach Hause. Irina ging, sich umkleiden zu lassen, und betrat eine halbe Stunde später im Reiseanzug den Salon. Die Tante beschwor sie zu bleiben, wenigstens morgen noch, vergeblich, sie ließ sich nicht erbitten.

Wir begleiteten sie zur Bahn, im offenen Wagen. Das Gewitter hatte sich völlig verzogen, der Sommerabend war mild und hell, ein kräftiger Erdgeruch wallte aus den feuchten Feldern und Wiesen zu uns herauf. Ich saß Irina gegenüber; sie lächelte mir zu und machte sich lustig über die Melancholie, in die mich, wie sie behauptete, ihre Abreise versetzte.

Auf der Station warteten einige Bauern, der Zug war schon signalisiert; Irinas Leute hatten kaum Zeit, die Bagage aufzugeben und Billetts zu lösen, da brauste er heran.

Aus dem Fenster eines Coupés erster Klasse beugte sich ein junger Mensch weit heraus, ein langer, hübscher, blasser Bursche, mit keimendem Schnurr- und Backenbärtchen. Als er Irina erblickte, stieg eine dunkle Röte ihm in die Wangen, die aufrichtigste Seligkeit funkelte aus seinen unverwandt auf sie gerichteten Augen. Hastig winkte er den Schaffner herbei.

„Ach, mein Neffe Wladimir, welcher Zufall!“ sagte Irina mit förmlich herausfordernder Unbefangenheit und nahm Abschied. Ich führte sie zum Waggon, dessen Tür bereits offen stand. Der Jüngling hatte das Handgepäck, das der Kammerdiener hineinreichte, in Empfang genommen, stand da und hielt selbstvergessen die Reisetasche Irinas mit leidenschaftlicher Innigkeit an seine Brust gepreßt. Ich half der schönen Frau einsteigen. Der Duft frischer Blumen strömte uns aus dem Wagen entgegen; in den Netzen hingen, auf den Sitzen lagen die schönsten Teerosensträuße. – Ich hörte Irina noch sagen: „Quelle folie!“ Dann flog die Tür zu, die Lokomotive pfiff und pustete, die Räder setzten sich in Bewegung, ein letzter Gruß, ein Taschentuch, das man flattern sieht an einem Fenster und – alles vorüber.

Die Tante und ich fuhren nach Hause. Sie war außerordentlich aufgeräumt. Durch alle ihre Kosmetikes hindurch schimmerte der Glanz stiller Heiterkeit. In einem alten Renner, vor dessen Augen ein andres Pferd durchgeht, mögen sich ähnliche Erinnerungen regen, wie die ihren waren in diesem Augenblicke.

Ganz gegen ihre Gewohnheit, denn sie gehört zu den harmlosesten Geschöpfen, die ich kenne, bemerkte sie nach einer kleinen Pause, während der wir uns unsren Betrachtungen überlassen hatten:

„Früher waren es Cousins, jetzt sind es Neffen. Ich weiß nicht, ob das ein Fortschritt oder ein Rückschritt ist.“

Mais“, setzte sie seufzend hinzu, und ihre Stirn würde sich in nachdenkliche Falten gelegt haben, wenn die Crême de Lys à la Ninon eine solche Hautgymnastik erlaubt hätte – „mais je comprends ça!

Dein Edmund.