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Hotel Amerika

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Vierzehntes Kapitel

Die Kontrolluhren beginnen wieder zu knarren. Schichtwechsel.

Es gehen die Negerinnen, die Chinesinnen, die Spanierinnen in bunten, billigen Kleidern zurück in ihre Quartiere. Es gehen laut, schwerfällig Hausmänner, Fensterputzer, Handwerker; es kommen Heizer, Nachtwächter, Kellner. Es kommen Köche, es gehen Köche; es kommen Stubenmädchen, es gehen Stubenmädchen. Kommen, Gehen, Kommen, Gehen – es ist Schichtwechsel, die Kontrolluhren knarren. Vor dem Ausgang des Personals stauen sich die Massen, man hört Zurufe, Lachen, Grüße.

Die Portiers beobachten aufmerksam die Ausgänge. Keiner darf unbemerkt mit einem Paket hinaus. Zwischen den Kommenden und Gehenden erscheint heute zahlreicher als sonst Aufsichtspersonal. Man achtet darauf, dass keine Gespräche in Gang kommen, damit die Kommenden von den Gehenden keine Aufklärung über die Ereignisse des heutigen Tages erhalten.

Es stehen oder sitzen aber auch manche auf den Treppen wie auf dem Boden herum, die nicht fortgehen, die sich nur das Treiben bis zum Essen ansehen oder auf jemanden warten. Shirley ist da, blass und unruhig; die Ungewissheit quält sie immer stärker. Sie hatte erwartet, dass man ihr nach Arbeitsschluss eine Anweisung auf ihren restlichen Lohn geben und auf ihre weiteren Dienste verzichten würde; doch nichts von alledem. Anscheinend will die Direktion alles vermeiden, was die Stimmung des Personals erregen könnte. Shirley weiß jetzt nicht, was zu beginnen. Sie weiß nicht, wie sie mit ihrem Freund in Verbindung treten könnte. Auf telefonische Anrufe in seinem Zimmer bekommt sie keine Antwort. Sie kann auch nicht mehr auf die Gästekorridore; als sie wieder nach oben wollte, um sich persönlich zu erkundigen, wurde sie von Frau Magpag verjagt. »Du bist ja so fleißig, Shirley, man ist das von dir sonst nicht gewohnt, du willst sogar dann arbeiten, wenn keine Arbeit mehr für dich da ist.«

Ach, diese Frau Magpag! Ob sie wohl etwas ahnte? Jedenfalls: hinauf konnte sie nicht mehr. Wie sollte sie nun ihren Freund suchen, – heute, wo sie den ganzen Tag über so sicher war, von hier fort zu können?

Ein Versuch, in die Hotelhalle zu gehen und dort auf ihn zu warten, ist von vornherein zwecklos. Man würde sie erkennen und fortscheuchen. Für Angestellte war es nicht möglich, Gast zu spielen.

Der neue Küchenjunge Fritz hält sich auch beim Ausgang auf und blickt immer wieder zu ihr herüber. Shirley bemerkt das wohl; aber jetzt, wo sie selbst große Sorgen hat, hat sie keine Lust, sich mit ihm zu unterhalten. Fritz kauert auf dem Boden; er sieht sehr müde, fahl und abgespannt aus. Man merkt es ihm an, dass ihn die Arbeit mitgenommen hat.

Er wartet auf seinen Freund, den Nachtwächter.

Als Heinrich Klüter durch das Tor kommt und den Freund erblickt, strahlt er förmlich.

Sie begrüßen sich, als hätten sie sich seit langer Zeit nicht gesehen.

Heinrich Klüter hat Fritz Sandwichs mitgebracht. Fritz springt auf und massiert seine Glieder. »Mensch, man merkt es, wenn man arbeitet, ich bin ganz krumm geworden, soviel musste ich hin und her springen. Aber es war ein toller Tag, es fehlte nicht viel, und wir hätten einen richtigen Streik bekommen. Aber welleicht kommt es noch einmal zum Klappen; gäbe es nur noch mehr so Tüchtige wie dieses Mädel hier.« Fritz steht jetzt bei Shirley. »Das ist Shirley O'Brien.« Und zu Shirley:

»Habe ich deinen Namen richtig behalten?«

»Du hast meinen Namen richtig behalten, aber ich mag es nicht, wenn man sich dumme Scherze mit mir erlaubt.«

»Scherze? Heinrich, du hättest das Mädel hören müssen, wie es dem Direktor seine Meinung gesagt hat. Feige ist sie nicht, das ist sicher. Hat man dich nicht entlassen?«

»Nein, man hat mich nicht entlassen.«

»Siehst du, man hat doch Angst vor uns.«

»Vielleicht bin ich eine so tüchtige Arbeitskraft.«

»Wolltest du nicht heute reich werden, als Gast wiederkommen?«

»Ja, das will ich noch immer; du kannst mich ruhig auslachen, ich kümmere mich nicht darum.«

Heinrich Klüter will alles Nähere erfahren. Aber es ist heute nicht so einfach, etwas zu berichten. Leute, die sonst unter dem Personal nicht zu sehen sind, versuchen sich der Gruppe anzuschließen. Heinrich Klüter kennt sie alle. Sobald die der großen Masse der Angestellten unbekannten Gesichter auftauchen, versucht er, das Gespräch in andere Bahnen zu lenken.

Fritz will jedoch immer wieder von den Erlebnissen des heutigen Tages erzählen.

»Du hättest bloß sehen sollen, wie alles durcheinander ging in der Küche, nur weil das Hilfspersonal einige Minuten fehlte. Da merkt man erst, dass wir doch nicht so überflüssiges Füllsel sind. Ohne uns geht es doch nicht, und wenn wir auch die niedrigste Arbeit verrichten.«

»Das kann ich mir denken, dass es ohne dich nicht geht.« Heinrich Klüter sieht liebevoll, wenn auch etwas spöttisch, auf seinen Freund.

»Ja, ohne uns alle geht auch nichts, glaube mir, wir können das nicht oft genug eingehämmert bekommen. Wir müssen es selbst mit eigenen Augen sehen, dann merken wir erst, dass wir eine Macht sind, und nichts auf der Welt ist wichtiger, als dass wir das wissen. Wir sind mächtig. Hab' ich nicht recht, Shirley O'Brien?«

»Nein, wir sind nicht so mächtig; ganz im Gegenteil, mit den Leuten, die kein Geld haben, kann man tun, was man will, die müssen alles ausbaden. Nur wenn man Geld hat, kann einem nichts Böses geschehen, sonst ist man ein Sklave.«

»Da hör' einer an, wie die Kleine spricht! Ich möchte nur wissen, von wo sie all die Weisheit her hat.«

»Das geht dich nichts an.«

»Und wie du auf die Idee gekommen bist, reich werden zu wollen, das möchte ich auch wissen.«

»Sei nur nicht gar so neugierig, von mir kannst du nicht mehr erfahren als das, was ich selbst sagen will.«

»Willst du nicht mit mir Spazierengehen, wir könnten draußen besser miteinander sprechen als hier, wo es immer wieder Leute gibt, die Gesprächen zuhören möchten, die nicht für ihre Ohren bestimmt sind.« Shirley überlegt, was sie tun könnte. Ihr wird es wirklich immer ungemütlicher; es scheint, dass man sie beobachtet. Aber sie kann zu keinem vernünftigen Gedanken kommen. Was soll nur aus ihr werden? Heute früh war sie so fest von ihrem Glück überzeugt – und jetzt? Nein, auch jetzt will sie hoffen; es wird noch alles gut werden, man muss nur wollen.

»Nun, willst du nicht kommen? Ich hätte gern noch mit dir gesprochen.«

. Fritz steht dicht neben ihr, deren Augen unruhig hin und her wandern.

Plötzlich aber werden sie scharf und wach. Shirley hat in einen der Personalaufzüge verschiedene Kellner einsteigen sehen.

Dabei entdeckt sie etwas so Überraschendes, dass sie nun hineilt, um noch einen Blick in den Aufzug zu tun. Sie kann es kaum glauben, und doch stimmt es, sie hat sich nicht getäuscht. Der eine Kellner ist ihr Freund. Auf seinen Frack ist eine Nummer geheftet, und unter dem Kragen läuft eine schmale silberne Borte.

Sie hat sich vor kurzem noch beunruhigt, weil sie nicht in die Abteilungen der Gäste gelangen konnte, und nun war er hier bei dem Personal, er gehörte zum Personal …! Warum hat er sie belogen, warum hat er ihr nicht die Wahrheit gesagt? Aber er war doch nicht nur Angestellter, er war auch Gast. Sie hat ihn ja oft selbst in seinem Zimmer gesehen. Wie konnte er nun plötzlich Kellner sein? Es gab sicher vieles, wovon er ihr nie erzählt hatte. Aber jetzt, da er einmal Kellner war, konnte er nicht wieder Gast werden; obgleich es überall Türen gibt, die die Reviere des Personals und die der Gäste verbinden, ist es doch nicht möglich, sich in einen Gast zu verwandeln, wenn man als Angestellter gearbeitet hat.

Sie möchte ihn wenigstens schnell noch sprechen, will endlich Gewissheit haben. Aber der Aufzug steigt hoch, entschwindet ihren Augen.

Ja, Herr Fish steigt empor zu dem Ballsaal. Er wird betreut von dem ›schönen Alex«, der sich überraschenderweise in jeder Beziehung, sogar in der finanziellen Frage, zuvorkommend zeigt. Er hat sich bereiterklärt, Herrn Fish auf seine Arbeitsstätte zu begleiten und ihn in die Geheimnisse seines neuen Berufes einzuweihen. Herr Fish nimmt diese Freundlichkeit mit einigem Misstrauen entgegen. Es gelingt ihm jedoch nicht, der beharrlichen Hilfsbereitschaft des ›schönen Alex‹ zu entgehen.

»Nun, Shirley O'Brien, willst du nicht mit mir ins Freie?« Fritz ist beharrlich.

»Nein, ich will nicht ins Freie, ich will hier warten, ich muss etwas Bestimmtes erfahren.«

Fünfzehntes Kapitel

Der untere Ballsaal, an dessen Ausgestaltung erste Garten -und Innendekorationskünstler beteiligt waren und in dem das Hochzeitsmahl stattfinden sollte, hatte sich in einen fantastischen, tropischen Urwald verwandelt. Aus Westindien und Surinam waren Blumen, Sträucher und Bäume samt Wurzeln in besonderen, zu diesem Zweck mit Wärmeanlagen versehenen Waggons nach New York transportiert. Man hatte noch mehr getan. Exotische Schmetterlings- und Falterpuppen, die in der Heimat der tropischen Pflanzen sich in diese einzunisten pflegten, wurden gleichfalls mitgeliefert, nicht ohne dass man die Zeit ihres Ausschlüpfens genau berechnet hatte. Alle sollten sich am Hochzeitstage Marjories entpuppen. Das war nicht wenig kostspielig; manche Falter hatten einen Marktwert von Hunderten von Dollar, aber sie sollten einen besonderen Schlager der Hochzeit bilden.

Diese kostspielige Ausgestaltung des Hochzeitsfestes betrachteten aber weder Herr Strong, der mit Vorliebe über einfache Lebensgestaltung Leitartikel schreiben ließ, noch die sparsame Frau Strong als einen Luxus. Es war eine, wenn auch nicht billige, so doch großartige Reklame und als solche geheiligt. Über eine so wichtige Hochzeit brachten alle Zeitungen lange Berichte, und es war klug, den Reportern genügend Stoff zu liefern und die Fantasie des Publikums zu befriedigen. H. W. Strong kennt doch den Rummel. Der Ballsaal bietet jetzt tatsächlich einen außerordentlichen Anblick. Die Pflanzen sind mit viel Geschick geordnet, die Farben zueinander abgestimmt, die Schmetterlinge und Falter haben sich auch zu der vertraglich festgesetzten Zeit entpuppt und umschweben die Blumen wie lebende Edelsteine.

 

Die Beleuchtungskörper sind unsichtbar angebracht und sollen zu gegebener Zeit die Farbenpracht der Blumen erhöhen. Die Tische stehen unter blühenden Bäumen. Orchideen von unerhörter Üppigkeit und den mannigfaltigsten Formen und Farben gehören noch zu den zartesten Blumen, denn man hatte die farbigsten und leuchtendsten bevorzugt. Man huldigte damit dem allgemeinen Geschmack. Die Kleinbürger kauften künstliche Blumen in den Fünf-und Zehncentgeschäften, nicht so sehr, weil sie billiger waren als die echten, sondern weil sie buntere Farben hatten. Nun bühen im Baalsaal die Jasinum ingiaum, durchsichtige, lila Blüten, die einen betäubenden Vanilleduft ausatmen. Grüngesprenkelte, veilchenfarbene Falter umgaukeln sie. Die granatfarbene Granata arbor wird von gleichfarbigen Schmetterlingen mit smaragdfarbenen Kreisen belagert. Falter mit blauen Leibern und durchsichtigen, goldfarbenen Flügeln umgeben die Rosen von den karybischen Inseln mit ihren reichen, dichten Blütenblättern in den Farben von vergilbtem Elfenbein und von stumpfem Rosa, das man auf alten Altardecken findet. Auch Schmetterlinge, deren einer Flügel giftgrün ist, während der andere auf tabakfarbenem Grund rote, blaue und gelbe Linien aufweist, umschwirren sie.

Auf die Bataten mit langen, feuerfarbenen und violetten Blättern lassen sich Schmetterlinge mit irisierenden braunen Flügeln und leuchtendem Rumpf nieder. Bergseefarbene Moschusblumen, Malius punicas, deren üppige Blüten tiefrot leuchten, als wären sie aus Rubin, vermengen sich mit den purpurfarbenen Ballias und den Maribonas, deren Blatter wie Flammen züngeln. Sie werden umschwebt von der leuchtend blauen Morpho laertes und der mächtigen, vielfarbigen Thysamia strix aus Surinam. Diese tropische Wildheit hat etwas Erschreckendes, das nicht zu dem kühlen Marmorsaal passt, noch weniger zu den erwarteten Gästen. Nur die Leuchtreklame, die schillernd in den Raum bricht, hat in ihrer Überschwänglichkeit eine Verwandtschaft mit ihr.

Vorerst sind es nur die Kellner, die das ungewohnte Schauspiel betrachten. Es sind sechzig Männer, die mit der gleichen Sorgfalt wie die Schmetterlinge und Pflanzen für diesen feierlichen Anlass ausgesucht wurden. Sie haben alle glänzende Figuren, regelmäßige Gesichtszüge, einen reinen Teint. Sie sehen alle aus, wie man sich englische Lords vorstellt, oder wie Filmliebhaber, natürlich nicht wie im Leben, sondern so wie sie auf der Leinwand erscheinen. Sie tragen ihre Fracks mit außerordentlicher Eleganz, und nur die kleine Metallmarke mit ihrer Nummer verrät die untergeordnete Rolle, die sie hier zu spielen gezwungen sind. An diesem Abend müssen sie Franzosen markieren, um die Vornehmheit des Festes zu erhöhen. Unter ihnen befinden sich Vertreter fast aller weißen Nationen der Welt; neben einigen wenigen echten Franzosen gibt es Schweden und Griechen, Deutsche, Spanier und Angehörige der verschiedenen Balkanstaaten. Wenn sie bedienen, müssen sie alle französisch sprechen. Nun, jedenfalls hört sich ein gebrochenes Französisch, dessen Gebrochenheit die Gäste nicht erkennen, besser an als das Einwandererenglisch, das ihre aristokratische Erscheinung Lügen strafen würde.

Auch Herr Fish befindet sich unter den Kellnern. Er muss bekennen, dass das, was ihm der ›schöne Alex‹ über das Äußere der Kellner erzählt hatte, nicht übertrieben war. Herr Fish ist mit sich selbst zufrieden. Er findet, dass der geliehene Frack seine Figur bestens zur Geltung bringt, und dass seine Erscheinung sich glücklich dem Gesamtbild einfügt. Sogar der ›schöne Alex‹ gibt das in schmeichelhaften Worten zu.

Allerdings beunruhigt er sonst in jeder Beziehung Herrn Fish. Er weicht ganz einfach nicht von seiner Seite, obgleich man annehmen sollte, er würde vorziehen, sich hier im Saal vor seinen Vorgesetzten nicht ohne Nummer zu zeigen. Der ›schöne Alex‹ scheint hingegen keine Angst mehr zu haben, obgleich er heute früh so eindringlich die Gefahren schildern konnte, denen er sich aussetze, wenn er Herrn Fish als Kellner hereinschmuggeln würde.

Sollte auch der ›schöne Alex‹ wie die beiden ›einstigen Kriegskameraden‹ auf dem Dachgarten in Herrn Strongs Sold stehen? Oder bildete er sich nur selbst ganz überflüssigerweise Gefahren ein? Herr Fish ist selbst nicht mehr ganz sicher, ob er Verfolger oder Verfolgter ist. Ja, der ›schöne Alex‹ zeigt sich in überraschenderweise entgegenkommend. Er empfiehlt Herrn Fish wohlwollend verschiedenen Kollegen, gibt ihm Erläuterungen und klärt ihn über alle technischen Finessen auf, die ein vollkommener Kellner zu beherrschen hat.

Herr Fish greift während dieser freundschaftlichen Ratschläge wiederholt nach seinem Briefpaket. Es ist aber da, genau an der Stelle, wo er es verbarg. Jetzt aber gibt es ungeheuer viel zu tun. Herr Fish hat keine Zeit mehr, seinem Verdacht nachzuhängen. Die Tische werden gedeckt. Silber und Kristallgläser herbeigeschafft. Die Kellner müssen riesige Schüsseln herbeischleppen mit den verschiedensten Süßigkeiten, exotischen Nussarten, Oliven und Salaten.

Die Kapitäne, die zwischen den Kellnern und den Maîtres d'hotel die Verbindung herstellen, sind heute zahlreicher als sonst vertreten. Sie haben ein scharfes Auge auf die Kellner, kommen mit immer neuen Befehlen und Anordnungen. Es ist ein Laufen und Hetzen, ein Wettrennen in die Küche und an die Büfetts, noch bevor die eigentliche Arbeit begonnen hat.

Die Maîtres d'hotel verfolgen vom Hintergrund aus die Arbeit. Man ist heute auf allerlei unangenehme Überraschungen gefasst. Man weiß, wenn das Personal zu mäkeln anfängt, sucht es unbedingt irgendwelche eingebildete Unzulänglichkeiten ausfindig zu machen. Deswegen achtet man darauf, dass die Kellner keine Gelegenheit finden, sich allzu viel miteinander zu unterhalten.

Die Kapitäne klatschen in die Hände und treiben die Kellner zur Eile an.

»Sprecht nicht so viel, Jungens, macht fix, der Spaß beginnt gleich. Ihr müsst euch beeilen.« Die Kellner betrachteten kritisch den Saal. »Das wird ein ganz großes Affentheater, das uns wenig einbringen wird, passt auf.«

»Ich möchte meinem Jungen den blauen Falter dort nach Hause mitbringen; man ahnt ja nicht, was für schöne Biester es auf der Welt gibt.«

»Warte nur ab. Bis die mit der Fresserei fertig sind, wirst du todmüde sein, und es wird dir die Lust vergehen, nach Schmetterlingen zu laufen.«

»Habt ihr eine Ahnung! Als ob man hier die Schmetterlinge fangen dürfte! Die wird man extra sammeln; kein einziger darf verloren gehen. Das sind ja ganz teure Nummern, auf die passt man auf.«

Einer der Maîtres d'hotel nähert sich den Sprechenden und überblickt prüfend die Tische. »Aber auch auf uns.«

»Die möchten am liebsten jedes Wort, das wir sprechen, mit dem Mikrofon aufnehmen.«

»Sie haben Angst vor uns.«

»Man kann manchmal Lust bekommen, den ganzen Kram hinzuwerfen und der Gesellschaft mal tüchtig die Meinung zu sagen. Ich spüre schon meine Beine, und dabei hat das Fest noch nicht einmal angefangen.«

»In der Küche sind die Köche ganz wild – und an wem lassen sie ihre schlechte Laune aus? An uns.« Einige Kellner unterhalten sich über den Tafelschmuck und über die Geschenke, die die Maîtres d'hotel unter die Gedecke der Gäste legen.

»Ich verstehe nicht, warum man nicht auch uns mit einer brillantenen Krawattennadel überrascht. Warum die reichen Leute immer nur denen was schenken, die ohnehin schon mehr als genug haben?«

»Ich möchte die kleinen goldenen Löffel mit nach Hause nehmen, die sind ganz niedlich; meine Frau könnte mit ihnen gut unsere Kanarienvögel füttern.«

»Sprich nicht so laut, du Dummkopf, du kannst noch in die Klauen von Detektiven geraten.«

»Mein Lieber, wenn du hier was klauen kannst, dann verdienst du eine Medaille.«

Jetzt ruft ein Glockenzeichen die Kellner zum Essen. Die Kapitäne achten darauf, dass die Kellner auch wirklich essen, denn sie sollen nicht in Versuchung kommen, wenn sie das Hochzeitsmahl servieren. Die Mahlzeit der Kellner hat auch bei dieser besonderen Gelegenheit nichts Festliches. Sie bekommen das Essen zweiten Grades, stehen also nicht auf der niedrigsten Stufe; sie werden von den jüngsten Speiseträgern bedient. Die Kapitäne, die gewöhnlich in einem anderen Raum essen, denn sie gehören zum dritten Grad, erscheinen dieses Mal vollzählig im Speiseraum der Kellner. Man hat so Erfahrungen. Die Kellner pflegen beim Essen immer mächtig zu schimpfen, und man verspricht ihnen ständig für das nächste Mal Abhilfe. Heute aber befürchtet man ernstere Unzuträglichkeiten. Die Nachrichten über gewisse Geschehnisse im Hotel erreichen in Windeseile jeden einzelnen; Versuche, die verschiedenen Schichten zu isolieren, blieben in dieser Hinsicht stets erfolglos.

Es war auch leicht festzustellen, dass die Revolte im Speisesaal der untersten Stufe beim Personal Gefallen erregt hatte. Alle schienen auf eine Gelegenheit zu warten, den Mund selbst vollzunehmen.

Der Maître d'hotel, in dessen Händen die Gesamtorganisation des Festes liegt, hält sich in der Nähe der Tür auf, von der er einen guten Blick auf die Kellner hat. Er wünscht, das Ganze wäre schon vorbei; er weiß aus Erfahrung, wie oft bei wichtigen Gelegenheiten alles schiefgeht. Die Kellner, die sich jetzt über ihre Teller beugen, haben nicht die geringste Ähnlichkeit mehr mit englischen Lords. Schon die Art, wie sie die Suppe beäugen, die Löffel hineintauchen, verrät den Kapitänen und Maîtres d'hotel, in wie streitsüchtiger Laune sie sind.

Tatsächlich beginnt schon beim ersten Löffel die Hetze.

Es ist ein großer, starker Norweger, der das Signal gibt. Er führt bei jeder Gelegenheit das große Wort und verdankt es nur seiner großen Geschicklichkeit, dass er doch immer wieder eingestellt wird.

»He, pflegt man euch auch zu Hause heißes Wasser zum Löffeln zu geben?«

»Und als Gewürz einen Schuss Spülwasser.«

»Man füttert uns wunderbar, aber nur unsere Nase: wir dürfen das Beste riechen.«

»Na, und was in den Magen kommt, ist ja nicht so wichtig.« Sie rufen den Speiseträgern zu:

»Räumt die Teller weg, Kinder, schade, wenn das Spülwasser hier kalt wird, vielleicht brauchen es die Tellerwäscher.« Die Kapitäne beginnen einzugreifen. »Jungens, ihr sucht ja nichts weiter wie Streit; ihr könnt euch die Töpfe in der Küche selbst ansehen, ich wette, nirgends bekommt ihr solche Fleischstücke in der Suppe wie hier.«

»Eure ›Fleischstücke‹, die ihr uns gebt, die kennt man, davon habt ihr mindestens schon dreimal Suppe gekocht.«

»Ja, die Nährkraft müssen die Gäste bekommen.«

»Fleischstücke, die für Gäste geeignet sind, kommen überhaupt nicht in unsere Küche. Wir bekommen die ausgekochten von Grad drei und vier.«

Der eine Kapitän versucht die Ehre der Angestelltenküchen zu retten.

»So ausgekocht wie du, mein Lieber, sind wir noch lange nicht.«

»Ihr seid noch ausgekochter als eure ausgekochten Renommierfleischstücke in unserer Suppe.«

Die Stimmung wird beim Fleischgang nicht freundlicher. »Sind wir denn Hunde, zum Teufel auch«, ruft ein Spanier wütend, »dass man uns Knochen vorwirft?« Er hat heute kaum gegessen; seine Garderobe verschlang eine Unmenge Geld.

»Meine Frau ist drüben«, sagt ein Schwede, »und ich kann sie nicht herüberkommen lassen, damit sie mir was Anständiges kocht.«

»Eine dreckige Welt, ich habe die Nase voll«, schimpft ein Deutscher. »Ich war früher Kellner in billigen Restaurants, seitdem kann ich in den Buden nicht mehr essen. Wenn du dort den Küchenbetrieb gesehen hast, vergeht dir für immer jeder Appetit.«

»Die Automaten, die wenigstens rein sind, hängen mir zum Halse heraus, ich muss mir eine Frau anschaffen«, jammert ein anderer.

»Du Unglückseliger, friss lieber Sandwichs dein ganzes Leben lang. Hast du eine Ahnung, wie dir die Frauen in den Ohren liegen, wenn du mal ein paar Tage ohne Arbeit bist?«

»Und die Kinder durchfüttern, glaubt ihr, das ist eine leichte Aufgabe?«

»Man hat schon seine Last«, seufzt einer der wenigen echten Franzosen, »aber das schwerste ist für unsereinen, eine kranke Frau durchzubringen.«

Die Kapitäne blicken auf die Uhr und rufen: »Jungens, die Zeit vergeht, redet nicht so viel und esst.«

»Essen? Setzt uns doch was Anständiges vor!«

»Iß doch die deutschen Bratkartoffeln«, ruft einer höhnisch, »die sind aus den Kartoffeln zubereitet, die die Scheuerfrauen heute mittag ausgespuckt haben.«

»Hört jetzt auf«, ein Kapitän ist vorgesprungen, »ihr wollt nur herummäkeln. Man könnte euch das Hochzeitsessen servieren, und ihr kämt doch mit euren dummen Redensarten; ihr wollt euch doch nur einander den Appetit verderben.«

 

»›Appetit verderben‹ ist gut, es kann einem schon übel werden, wenn man nur die Speisen auf unserem Tisch sieht.« Der Maître d'hotel beeilt sich, den Kapitän, der dazwischenschreien will, zu beruhigen.

»Sie werden nur rabiater, wenn man sie belehren oder besänftigen will, lass sie reden.«

Er fühlt ein stechendes Ziehen in den Schläfen. Die Uhrzeiger rücken weiter, die Gäste müssen bald eintreffen – und die Kellner sitzen da und quasseln! Die Löwenbändiger ahnen sicher nicht, welch beneidenswerten Beruf sie ausüben.

»Lasst sie nur reden, es hat keinen Zweck, sie zur Vernunft bringen zu wollen, das Schimpfen beruhigt sie. Wenn sie gegen alles losgegangen sind und sich selbst genug bemitleidet haben, gehen sie wieder an die Arbeit.« Aber die Kellner machen immer noch keine Miene aufzustehen. Ihr Wortführer, der große Norweger, gibt sogar eine Art Kriegserklärung ab.

»Solange wir nicht etwas Anständiges im Magen haben, arbeiten wir nicht.«

Der Maître d'hotel wünscht sie alle zum Teufel, gleichzeitig aber erfüllt ihn Höllenangst bei dem Gedanken, sie könnten einfach gehen und ihn im Stich lassen. Und bald kommen die Hochzeitsgäste; er könnte unmöglich inzwischen Ersatz finden. Mit ungelernten Kräften wäre ihm heute nicht geholfen, und die paar Kapitäne könnten nicht viel ausrichten.

Man muss die Leute beruhigen.

In humoristisch unterwürfiger Weise nähert er sich den Kellnern, indem er selbst einen Kellner kopiert. »Nun, Jungens, wünscht ihr die mit Trüffeln gefüllten Puten oder geröstete Hummern? Sollen wir euch vielleicht das Hochzeitsessen servieren?«

»Warum nicht? Wir haben auch keinen anderen Magen als die Hochzeitsgäste.«

»Aber einen anderen Geldbeutel, das gebt ihr wohl zu? Wirklich Jungens, was ihr tut, ist unvernünftig, nur ihr selbst werdet Verluste zu tragen haben, wenn ihr den guten Verdienst verliert.«

»Ach, ach, die Trinkgelder kennen wir. Je feiner die Gesellschaft, um so magerer der Verdienst.«

»Je mehr wir laufen und rennen müssen, um so weniger hält man es für nötig, dafür zu sorgen, dass wir auch bei Kräften bleiben.«

»Wenn du keine Kraft mehr hast, wirst du zum alten Eisen geworfen; es gibt jeden Tag Neue, die statt deiner arbeiten können«, ruft ein Spanier.

»Nun gut, ich werde dafür sorgen, dass ihr ein Extraessen aus der Direktionsküche bekommt, aber ihr müsst daran denken, dass wir nicht mehr viel Zeit zu verlieren haben.«

»Direktionsessen heute – und morgen geht es weiter wie alle Tage.«

»Wir können, wenn wir heute auch arbeiten, morgen auf die Straße gesetzt werden. Wer garantiert dafür, dass man uns weiterarbeiten lässt?«

»Ich.«

»Und morgen erklärt man, dass der Maître d'hotel nichts zu sagen hat.«

»Wir wollen in die Kellnergewerkschaft eintreten, dann haben wir wenigstens einige Sicherheit.« Es ist der Norweger, der spricht.

»Es sollen nur gewerkschaftlich organisierte Kellner angestellt werden.«

»Ihr seid wahnsinnig, mit diesen Sachen fünf Minuten vor einem Hochzeitsfest zu kommen, wir verhandeln morgen.«

»Wir verhandeln heute, wo man uns braucht, oder wir gehen alle.«

Herr Fish, der sich gleichfalls im Essraum aufhält, ist unzufrieden und ungeduldig.

Nichts ist ihm gleichgültiger als das Essen hier; er hat bedeutend wichtigere Sorgen. Diese Leute sind schrecklich, sie denken tatsächlich nur an ihren Magen und sehen nicht weiter als von einer Mahlzeit zur anderen.

Es wäre ihm ganz und gar nicht erwünscht, wenn die Feier auf Schwierigkeiten stieße, die gehörten nicht zu seinem Plan. Herr Fish war im Augenblick für keine Improvisationen. Er wollte Herrn Strong überraschen und verblüffen, ihm zeigen, dass er sich nicht einschüchtern ließe und ihm gefährlich werden konnte. Aber eine Überraschung von anderer Seite stört Herrn Fishs Pläne. Er versucht auf eigene Faust die Kellner zu beschwichtigen. Diesen beginnt es jetzt aufzufallen, dass er ein Neuer ist. Wozu versucht er, sich in alles hineinzumischen; ist er ein Lockspitzel?

Herr Fish ist allein. Der ›schöne Alex‹ zeigt sich nicht im Esssaal, er sitzt im Warteraum der Kellner. Er will Herrn Fish, wenn nötig, seine weitere Unterstützung für den Abend nicht versagen.

Die Kellner machen immer noch keine Anstalten, in den Saal hinüberzugehen; es fallen ihnen im Gegenteil immer neue Wünsche ein. Sie fordern nicht nur besseres Essen, die Möglichkeit sich zu organisieren, sondern auch noch eine besondere Zulage.

Ja, es gibt sogar einige, die Anstalten machen, in den Ballsaal hinüberzugehen. Im Gehirn des Maître d'hotel spukt ein furchtbarer Gedanke. Wie, wenn es den Kellnern einfiele, den wunderbaren Feengarten zu zerstören, wenn sie sich an den Blumen und Schmetterlingen vergriffen? Wenn sie das Gold, das Silber und die Kristalle durcheinander würfen? Wenn sie sich an den aufgestellten Speisen gütlich täten, wenn sie sein wunderbares Werk zerstörten?

Er muss sie beruhigen, muss ihnen Versprechungen machen. Er spürt den Schweiß unaufhaltsam aus allen Poren hervorbrechen und hat das Gefühl, als versagten alle seine Glieder den Gehorsam.

Und die Uhr! Der Zeiger der Uhr rückt unaufhaltsam vorwärts.

Er hält eine Rede an die Kellner, seine Stimme schmeichelt, seine Stimme beschwört, und er macht Versprechungen, jede Versprechung, die man nur von ihm verlangt.