Planet der Magie

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Planet der Magie
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Table of Contents

Titelseite

Prolog

Bundara

Gefangene der Iyllas

Jäger und Opfer

Die Stadt der Karaquz

Der Ratsherr

Der Auftrag der Karaquz

Der Konvoi

Ausgeraubt!

Duckum

Mirilli

Die Steine der Macht

Entführt!

Der Kontinent Quara

Alonhort

Das magische Gebirge

Das versteckte Tal

Gefahr für Bergdorf

Macay in Duckum

Garads Menschen

Die Buroggs

Unter Duckum

Die Graumänner

Der Plan der Königin

Flucht aus Duckum

Das Versteck des Belloners

Zelindas Geheimnis

Die Menschen und die Karaquz

Die große Schlacht

Der letzte Belloner

Der Herrscher im Norden

Die Entscheidung

Planet der Magie

Macays Reisen – Viertes Buch

von M. E Rehor

Imprint

„Planet der Magie“

von M. E. Rehor

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright 2013 - M. E. Rehor, Berlin

Titelbild: Vectorig / istockphoto.com

ISBN 978-3-8442-7633-6

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Romane von M. E. Rehor

Aus der Fantasyreihe „Macays Reisen“:

Der Nebelkontinent

Die Brückeninseln

Wüsten und Städte

Weitere Titel:

Das 7. Buch der Magie (Fantasy)

Der Brief der Königin (hist. Jugendkrimi)

Freiheit und Liebe (historischer Kriminalroman)

Gerrit aus Neukölln (Kriminalroman)

Vollständige Übersicht unter:

http://tinyurl.com/merehor

Die Personen und Begebenheiten in diesem Buch sind der Phantasie des Autors entsprungen. Ähnlichkeiten mit realen Personen oder Begebenheiten sind rein zufällig.

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Prolog

Commodore Eegenhard spürte einen Anflug von schlechtem Gewissen, als die drei Abenteurer die Zentrale der Trägereinheit verließen. Für einen Moment sah er in ihnen nicht nur Werkzeuge, die er zur Erreichung seines Ziels einsetzte, sondern Menschen: einen jungen Mann mit wachen Augen und neugierigem Gesichtsausdruck, aber ungebildet. Einen Katzenmenschen, undurchschaubar wie die Tiere, deren Erbgut er in sich trug, in allen Bewegungen elegant, lässig, kraftvoll. Und einen Echsenmenschen, mehr als zwei Meter groß, der auf stämmigen kurzen Beinen hinter den beiden anderen her stapfte. Ihre Namen lauteten Macay, Rall und Zzorg. Sie stammten von einer fernen, unbedeutenden Kolonialwelt.

Eegenhard hatte sie in der letzten halben Stunde über den Einsatz informiert, an dem sie teilnehmen sollten. Er hatte sie belogen. Ebenso wie den Kommandanten des Forschungsraumschiffs, mit dem diese drei Wesen zu ihrem Ziel reisen würden.

„Ihr erforscht eine Welt, die noch nie ein Mensch betreten hat“, hatte er behauptet. „Eine Welt, auf der Magie funktioniert - eine Seltenheit im Universum. Das Raumschiff, das euch hinbringt, wird auf diesem Planeten landen, sich eingraben und mehrere Jahre als Forschungsstation dienen. So lange, bis ihr alles wisst, was es zu lernen gibt, und zurückkehren wollt.“

Er hatte nicht erwähnt, dass bereits vier Raumschiffe verlorengegangen waren bei dem Versuch, auf Bundara zu landen.

Aber was dort zu finden war, rechtfertigte jeden Einsatz. Deshalb riskierte er nun ein fünftes Schiff, wieder mit einer Besatzung von mehr als zweihundert Menschen. Allerdings hatte er befohlen, die drei Abenteurer schon aus dem Orbit mit einem Beiboot auf der Oberfläche abzusetzen. Sie sollten einen günstigen Landeplatz suchen, hatte er gesagt. In Wahrheit hoffte er, dass sie auf diese Weise überlebten, falls auch dieses Schiff verlorenging.

Die Trägereinheit, die Eegenhard befehligte, hatte die Größe eines Mondes. Ihre Funktion war es, Dutzende von Forschungsraumschiffen in abgelegene Gebiete der Galaxis zu transportieren und dort auszusetzen. Die vergleichsweise kurzen Entfernungen zwischen einigen Hundert Sonnensystemen konnten diese Raumschiffe dann mit den eigenen Antrieben überwinden.

Es ging darum, bewohnbare Planeten zu entdecken und ehemalige Kolonialwelten wieder mit der Heimat der Menschheit in Kontakt zu bringen. Das eigentliche Ziel des Forschungsprogramms war jedoch anspruchsvoller: Es galt, mehr über das Universum und das Leben herauszufinden, als Physiker, Astronomen und Biologen bisher entdeckt hatten.

Ein erfolgversprechender Weg zu diesem Ziel war es, eine selten vorkommende Verschmelzung von Geist und Materie zu erforschen: Magie!

Wer herausfand, warum es auf manchen Planeten so etwas wie Magie gab und wie sie funktionierte, hatte womöglich den Schlüssel zu allem in der Hand, was erstrebenswert war: Macht, Allwissenheit, Unsterblichkeit.

Was bedeutete dagegen schon der Verlust von ein paar Hundert Menschenleben?

Ungerührt beobachtete Commodore Eegenhard, wie das riesige Forschungsraumschiff den Schacht in der Trägereinheit verließ und hinausglitt in die Schwärze des Alls.

Bundara

Die fremde Sonne stand strahlend im Zenit. Weiße Wolken trieben über den Himmel, doch sie beeinträchtigten kaum die Sicht. Macay saß mit seinen Freunden Rall und Zzorg am Waldrand im Schatten einiger Bäume. Er starrte nach oben, wo sich ein silberner Fleck gegen das Blau abzeichnete.

Heller werdend beschrieb der Fleck einen Bogen. Ein gleißender Lichtstrahl schoss nach unten. Langsam sank das Forschungsraumschiff der Oberfläche Bundaras entgegen. Seine Form wurde erkennbar: Es war ein Zylinder aus Metall.

Das Raumschiff blieb senkrecht in der Luft stehen, immer noch sehr weit oben. Das Licht, das aus seinem unteren Ende kam, veränderte die Farbe, wurde erst schmerzhaft hell und verblasste dann zu einem unscheinbaren Wabern.

Macay sah hinunter in das Tal, das sich vom Waldrand aus nach Norden erstreckte. Dort stand das Beiboot, mit dem er auf diesen Planeten gekommen war. Eine linsenförmige Maschine mit zwei Männern und einer Frau als Besatzung. Gemeinsam mit Macay und seinen beiden Freunden hatten diese Raumfahrer einen Landeplatz für das Forschungsschiff ausfindig gemacht. Nun lotsten sie den gewaltigen Flugkörper vom Beiboot aus an die richtige Stelle. Es war ein sumpfiges Gelände, das sie ausgewählt hatten, drei Wegstunden von dem Wald entfernt. So viel Sicherheitsabstand war nötig, um nicht in Gefahr zu geraten, wenn das Schiff sich seinen Landeschacht schuf. Mit dieser Arbeit begann es nun.

Der veränderte Lichtstrahl aus den Triebwerken brannte ein riesiges Loch in den Boden. Es würde fünfundvierzig Meter durchmessen und vier Mal so tief sein - groß genug, um den Zylinder aufzunehmen. Dies gehörte zum normalen Verfahren, wenn Menschen ein solches Forschungsschiff für längere Zeit auf einer bewohnten Welt stationierten. In unbewohntem Gebiet grub es sich ein. Die Wände des Schachtes bestanden dann aus geschmolzenem Gestein und boten optimalen Schutz. An der Oberfläche war von dem Raumschiff nur ein kreisförmiger Bereich zu sehen, der sich leicht tarnen ließ.

Macay zuckte zusammen, als er hinter sich ein ungewohntes Geräusch hörte. Doch er drehte sich nicht sofort um. Alle Geräusche auf dieser Welt waren neu für ihn. Das Zwitschern der Vögel klang anders, als er es von seiner Heimatwelt kannte. Ebenso das Rauschen der Blätter in den Bäumen, das Rascheln im Gras, sogar das Summen der Insekten. Der schwache Wind brachte seltsame Gerüche mit sich, süßlich und betäubend.

 

Als das zischende Fiepen erneut erklang, wandte sich Macay um. Einen Moment lang suchte sein Blick zwischen den Bäumen nach einer möglichen Ursache. Dann entdeckte er sie und sprang auf. Gleichzeitig stieß er einen warnenden Ruf aus, der seine Freunde alarmierte.

Er sah einen hageren, alten Mann, der drei Dutzend Schritte entfernt von ihm stand und winkte. Anschließend steckte der Mann zwei Finger in den Mund und pfiff. Aber das schien nicht sein größtes Talent zu sein, denn mehr als das zischende Fiepen, das Macay gehört hatte, brachte er nicht zustande.

„Wo kommt der denn her? Commodore Eegenhard hat uns doch versichert, dass noch nie Menschen hier gelandet sind.“ Macay tastete nach der stabförmigen Waffe, die er aus dem Beiboot mitgebracht hatte. „Ich rede mit ihm. Haltet mir den Rücken frei.“

Langsam ging er auf den Mann zu, der immer hektischer winkte und sich dabei ängstlich umsah. Macay blieb stehen, um noch einmal die Umgebung und das Wäldchen genau zu mustern. Er konnte keine Gefahr erkennen.

„Geht in Deckung“, sagte der Mann leise, als Macay nahe genug war. „Gleich wird euer schönes Raumschiff explodieren. Warum versucht ihr Idioten schon wieder, mit so einem Riesenteil auf Bundara zu landen? Noch dazu hier im Norden!“

„Besteht Gefahr für das Schiff?“, fragte Macay. Er sprach ebenso leise, wie der Mann, von dem er nur noch eine Armlänge entfernt war. Nun sah er, dass dessen Körper nicht nur hager, sondern ausgemergelt war, wie bei jemandem, der lange hungern musste. Die Kleidung bestand aus einer Art Leinenzeug, schmutzig und an mehreren Stellen notdürftig geflickt.

„Gefahr?“, sagte der Mann und kicherte unvermittelt. „Und ob! Es sind schon vier von den Dingern verlorengegangen. Man mag hier Menschen nicht besonders. Vielleicht sind es die Buroggs, die dahinterstecken. Denen traue ich alles zu ...“

Der Mann brach ab und hielt den Finger an den Mund. Für einen Moment horchte er in den Wald hinein. „Nein, nichts“, sagte er dann. „Glück gehabt. Hol die beiden merkwürdigen Typen her, die dort auf dich warten. Und zwar schnell, wenn dir etwas an ihnen liegt.“

Mit den merkwürdigen Typen meinte der Alte die Begleiter von Macay. Rall war ein Mischwesen aus Katze und Mensch, Zzorg aus Echse und Mensch. Beide hatten die Statur von Menschen und gingen aufrecht, doch ihre Köpfe verrieten schon von Ferne, dass sie etwas Besonderes waren. In Ralls Katzengesicht glänzten große, scharfe Augen und seine spitzen Ohren waren ständig in Bewegung. Zzorg war deutlich größer und kräftiger als Rall und zeigte gerne die vielen Zähne in seiner Echsenschnauze.

„Nein! Leise!“, sagte der Mann hastig.

Macay hatte Luft geholt, um seinen Freunden zuzurufen, dass keine Gefahr drohe. Nun winkte er sie nur zu sich.

„Erklären Sie mir jetzt mal in Ruhe, was los ist“, forderte er dann.

„Was los ist? Bisher ist erst ein einziges menschliches Forschungsraumschiff sicher auf dieser Welt gelandet. Man hat versucht, die Besatzung umzubringen, aber die meisten konnten fliehen. Ich auch, sonst wäre ich nicht hier.“ Der Mann grinste selbstgefällig. „Zwanzig Jahre ist das her. Drei weitere Versuche, hier zu landen, sind gescheitert. Hat man euch das nicht erzählt, bevor man euch losgeschickt hat?“

„Von verlorenen oder vernichteten Raumschiffen wissen wir nichts.“

„Also hat euch der Commodore auf gut Glück hergeschickt. Sieht ihm ähnlich! Egal, wir müssen hier weg.“

Macay wandte sich an Rall, der inzwischen neben ihm stand: „Du bist der schnellste von uns. Renn zum Beiboot. Sie sollen per Funk das Schiff warnen. Die Landung muss abgebrochen werden, bis wir wissen, ob wirklich Gefahr droht.“

Der alte Mann packte Rall am Arm und hielt ihn zurück. „Zu spät. Seht ihr es nicht?“

Durch das Blätterdach der Bäume war der Blick auf das landende Forschungsraumschiff versperrt. Doch aus der Richtung, in der es sein musste, drang hellrotes Licht herüber.

„Weg hier! Wie oft muss ich es noch sagen? Dort hinten ist ein Bach in einer tiefen Senke. Da sind wir sicher, wenn die Druckwelle kommt.“ Der Alte wandte sich um und hastete hinkend in den Wald hinein.

Widerwillig folgten ihm die drei.

Macay glaubte nicht so recht an eine Gefahr. Das Sumpfgebiet, in dem das Raumschiff in diesem Moment seinen Schacht ausbrannte, war unbewohnt. Sie hatten es vom Beiboot aus erkundet. Auch in der Umgebung waren keine Spuren intelligenter Bewohner dieser Welt zu entdecken gewesen.

Nach einigen Dutzend Schritten erreichten sie den Bach. Das schnell fließende Wasser hatte sich eine Senke von drei Meter Tiefe in den Waldboden gegraben. Dort hinunter kletterte der alte Mann und legte sich am Ufer flach auf den Boden.

„Macht es mir nach!“, sagte er, bevor er seine Hände schützend über den Hinterkopf legte.

Das Leuchten drang nun so intensiv durch das Blätterdach, dass es schmerzte. Rall mit seinen Katzenaugen war davon besonders betroffen; Tränen rannen über sein fellbedecktes Gesicht.

Ein fernes Dröhnen brachte die Bäume und den Boden zum Vibrieren. Das nahm Macay als Zeichen, es sicherheitshalber dem alten Mann gleichzutun.

„Was geschieht mit dem Raumschiff?“, fragte er.

„Seine Triebwerke und Reaktoren gehen gleich hoch“, antwortete der Alte. Seine Stimme klang dumpf und undeutlich. „Vermutlich wird die ganze Gegend verseucht. Wir müssen hier verschwinden, sobald das Schlimmste überstanden ist, kapiert?“

Die Erde unter den Liegenden rumpelte und schien sich in Wellen aufzuwölben. Lautes Donnern dröhnte über den Wald hinweg.

Obwohl er die Augen geschlossen hatte und das Gesicht dem Boden zuwandte, sah Macay einen so hellen Blitz, dass er fürchtete, zu erblinden. Für einen Moment lastete ungeheurer Druck auf ihm. Unfähig, sich zu bewegen, spürte er, wie etwas auf ihn fiel. Vielleicht war einer der kleinen Bäume umgestürzt, die an dem Hang hinunter zum Bachbett wuchsen.

Macay wusste hinterher nicht zu sagen, wie lange es dauerte, bis er sich wieder regen konnte. Es kam ihm vor wie Stunden. Alles tat ihm weh. Aber die ersten vorsichtigen Bewegungen bewiesen, dass er sich nichts gebrochen hatte. Das Dröhnen in seinen Ohren ließ nach. Nur sehen konnte er nichts außer hellen Flecken zwischen dunklen Schatten.

Er versuchte, sich aufzurichten. Nun erst bemerkte er das Gewicht, das auf ihm lastete. Er griff mit den Händen danach und spürte Blätter und Holz. Es war tatsächlich ein Baum auf ihn gefallen. Er wälzte sich herum und tastete nach dem Stamm. Der war kaum drei Finger dick und ließ sich nach ein paar Versuchen beiseite drücken.

Als Macay es fast geschafft hatte, riss ihm ein heftiger Ruck den Stamm aus den Händen. Gleich darauf fühlte er sich gepackt und hochgezogen. Ein Zischen drang durch das Dröhnen in seine Ohren: „Alles in Ordnung?“ Es war Zzorg. Dessen widerstandsfähiger Körper hatte die Belastung besser verkraftet.

Macay nickte. Er schwankte und wäre hingefallen, wenn ihn Zzorg nicht gestützt hätte.

„Ich bringe dich zum Bach“, zischte Zzorg.

Nachdem sich Macay an das Ufer gekniet und mehrere Male mit den Händen das kalte Wasser über den Kopf geschöpft hatte, fühlte er sich besser. Auch seine Sehkraft kehrte langsam zurück.

Er stand auf und blickte sich um. Die Senke des Bachbettes war angefüllt von einem Chaos aus umgestürzten Bäumen und herabgerissenen Ästen. Macay hatte Glück gehabt, dass nur ein dünner Stamm auf ihn gefallen war. Er sah nach oben. Das Blätterdach des Waldes war stark gelichtet. Weit entfernt stand eine schwarze Wolke am Himmel - dort, wo vorhin das Raumschiff gewesen war.

Der alte Mann hatte Recht gehabt.

Macay sah sich nach ihm um. Der Alte lag unter einem kleinen Hügel aus abgebrochenen Ästen und Bäumen und rührte sich nicht. Sein Kopf war zu sehen und ein Fuß ragte heraus, alles andere war durch Blätter und Schmutz verdeckt.

Zzorg war bei Rall und versuchte, dem Katzenmenschen zu helfen. Der war immer noch bewusstlos.

„Wir müssen Rall und den Mann zu Bewusstsein bringen“, sagte Macay, „und dann nach dem Beiboot sehen. Hoffentlich haben die drei Menschen dort überlebt.“

„Rall kommt gerade zu sich. Kümmere du dich um den alten Mann.“

Macay machte sich daran, die größeren Äste wegzuziehen, die den Körper des Mannes bedeckten. Doch es gelang ihm nicht so recht. Schließlich kam ihm Zzorg zu Hilfe.

„Lebt er noch?“, fragte Zzorg.

„Er reagiert nicht, wenn ich ihn anspreche.“

Gemeinsam wuchteten sie einen Baum beiseite, der zwar nicht direkt auf dem Körper des Mannes lag, aber mit seinen Ästen auf ihn gestürzt war.

Plötzlich hob der Alte den Kopf und stieß einen gurgelnden Schrei aus. Dann sackte der Kopf wieder zu Boden. Erschrocken hielt Macay inne. Er glaubte, durch das Wegstemmen des Baumes hätte er dem Mann unabsichtlich weitere Verletzungen zugefügt.

Doch dann entdeckte er zwischen dem Laub einen buntgefiederten Schaft. Jemand hatte den Mann mit einem Pfeil in den Rücken getroffen!

Macay wollte sich umdrehen, um sich den Angreifern zu stellen. Da spürte er einen stechenden Schmerz in der Schulter. Ein Schlag traf ihn von hinten auf den Kopf. Ohnmächtig brach er zusammen.

Gefangene der Iyllas

Macay lag in einer Hütte und starrte hoch zum Dach. Es bestand aus einem Holzgerüst, auf dem getrocknetes Gras oder Schilf lag. Lange schien es ihm, als würde die ganze Welt nur aus diesem Anblick bestehen. Irgendwann schob sich ein Gesicht dazwischen. Das Gesicht eines Katzers.

„Rall“, krächzte Macay. Er versuchte, sich aufzurichten, doch Rall hielt ihn zurück.

„Du bist verletzt, bleib liegen.“

Das Gesicht verschwand. Die Zeit schien stillzustehen. Macay wusste nicht, ob er zwischendurch einschlief oder immer mit offenen Augen dalag. Ein Singsang kam ihm zu Bewusstsein. Wie lange hörte er diese Melodie schon? Rall setzte solche monotonen, wohltuenden Gesänge als Heilmittel ein, wenn er seine Kräuter nicht zur Verfügung hatte.

Erst jetzt fiel Macay auf, dass er keine Schmerzen spürte. Seinen Körper nahm er nur als eine weiche, warme Masse wahr. Er schlief wieder ein.

Ein Schrei weckte ihn. Er fuhr hoch. Seine Reflexe, die sich während vieler Abenteuer herausgebildet hatten, ließen ihn seitlich von seinem Platz wegrollen. Er wollte nach der bereitliegenden Waffe greifen.

Aber es war keine Waffe da und statt auf einer Decke an einem Lagerfeuer lag er auf einer niedrigen Bettstatt in einer Hütte. Er wäre auf den Boden gefallen, hätte ihn nicht im letzten Moment ein starker Arm aufgefangen.

„Streng dich nicht an“, sagte Zzorg. „Du bist noch nicht völlig genesen.“

Wieder erklang ein Schrei, ganz in der Nähe. Die Stimme war hoch und kreischend, wie von einer alten Frau, die auf einem Markt einem dreisten Dieb hinterher keift, der ein paar Äpfel geklaut hat. Aber das war eine Erinnerung aus Macays Kindheit, an den Markt in seiner Heimatstadt Mersellen. Er brachte da etwas durcheinander, das fiel ihm jetzt auf. Er ließ sich zurücksinken.

„Rall ist draußen bei den Iyllas“, sagte Zzorg. „Er versucht, ihnen verständlich zu machen, dass wir Heilkräuter benötigen. Diese Schreie haben nichts mit uns zu tun. Rall sagt, sie seien Teil einer Feier, die sie ausrichten, weil sie dich besiegt haben.“

„Mich?“ Macay dachte einen Moment nach. Es fiel ihm schwer. „Wieso nur mich? Ihr seid doch auch hier.“

„Die Iyllas interessieren sich nicht für Rall und mich. Sie halten uns für Angehörige einer ihnen unbekannten Spezies aus einem anderen Teil dieser Welt. Aber sie hassen Leute wie dich: normale Menschen. Deshalb haben sie im Wäldchen den alten Mann getötet und sind über dich hergefallen. Rall und mich lassen sie in Ruhe. Wir hatten Mühe, zu verhindern, dass sie dich töten.“

„Danke.“

Es wurde für einen Moment heller in der Hütte und Rall erschien in Macays Blickfeld.

„Ich kann ihnen nicht verständlich machen, was ich benötige“, sagte er. „Sie scheinen eine gesunde Rasse zu sein, diese Iyllas. Sie kennen offenbar den Zustand der Krankheit nicht. Entweder man ist gesund oder man ist tot. Aber wahrscheinlich ist das ein Irrtum von mir. Ich versuche, ihre Sprache zu lernen, aber es wird noch dauern, bis ich mich mit ihnen unterhalten kann.“

 

„Kannst du sie fragen, warum sie etwas gegen mich haben?“, bat Macay.

„Ich habe versucht, mit Hilfe von Gesten eine Erklärung aus ihnen herauszubekommen. Es ist mir nicht gelungen. Aber solange du in dieser Hütte bleibst, stehst du unter unserem Schutz. Wenn du sie verlässt, töten dich die Iyllas.“

„Wo ist meine Stabwaffe?“, fragte Macay.

„Zerstört“, sagte Zzorg. „Die Iyllas haben sie noch an dem Bach, an dem sie uns überfallen haben, auf einen Stein gelegt. Dann haben sie mit großen Steinen so lange darauf geschlagen, bis die Waffe anfing zu glühen.“

Erneut öffnete sich die Tür im Hintergrund. Macay sah für einen Moment eine gebeugte, kleine Gestalt. Sie kam mit schwankenden Schritten zu ihm, stellte etwas ab und verschwand wieder aus seinem Sichtfeld. Die Tür schloss sich.

„Wasser und etwas zu essen“, sagte Rall. „Immerhin, das haben sie verstanden.“

Er half Macay auf, hielt ihm einen Krug mit Wasser an die Lippen und fütterte ihn anschließend mit einem Löffel. Das Essen bestand aus einem zähen Brei, der mit festen Fruchtstücken versetzt war.

„Schmeckt wie Teig“, sagte Macay, als er satt war.

„Soweit ich herausfinden konnte, essen die Iyllas kein Fleisch“, sagte Rall. „Sie kochen ihre Nahrung auch nicht. Es sind primitive, aber intelligente Wesen, die Waffen nur zu ihrer Selbstverteidigung benutzen.“

„Sie können gut damit umgehen“, sagte Macay. „Womit haben sie mich verletzt?“

„Mit einem Giftpfeil. Genauer gesagt, mit einem Pfeil, der vorher mit dem Unrat eines kleinen Tieres bestrichen wurde. Dieses Tier überträgt alle möglichen Krankheiten, die sogar tödlich sein können.“

„Ich habe überlebt. Dank deiner Hilfe, Rall.“

„Mir standen nur die Gesänge der Heiler zur Verfügung“, wehrte der Katzer ab. „Vermutlich lebst du noch, weil wir von einer anderen Welt stammen. Wir sind nicht so anfällig für die Krankheiten, die es hier gibt.“

„Was ist mit dem alten Mann im Wald geschehen?“

„Die Iyllas haben nur nachgesehen, ob er wirklich tot ist. Sie haben seine Leiche liegenlassen. Die wilden Tiere werden sich darum kümmern.“

Macay schüttelte sich. „Das ist kein schöner Gedanke, dass sie es mit uns genauso machen wollten.“

„Mit dir“, schränkte Zzorg ein.

„Stimmt, du sagtest ja, sie haben nur etwas gegen meinesgleichen.“ Macay dachte nach und sagte dann: „Das Raumschiff ist zerstört. Was ist mit dem Beiboot und den drei Menschen darin?“

„Wenn die Auswirkungen der Explosion sie nicht umgebracht haben, dann die Iyllas“, sagte Zzorg. „Ich glaube nicht, dass das Beiboot noch funktioniert, falls es das ist, was dir durch den Kopf geht.“

Rall bestätigte das: „Wir haben auf dem Weg hierher die Zerstörungen gesehen. Der alte Mann hat uns das Leben gerettet, als er uns in die Senke mit dem Bach brachte.“

„Aber wie konnten sich die Iyllas mitten in diesem Chaos an uns anschleichen und uns angreifen?“

„Sie sind zäh und ihre Körper sind gut gepanzert. Ich vermute, sie haben den alten Mann verfolgt und sich deshalb bereits in der Senke aufgehalten, als das Schiff explodiert ist.“

„Der Alte lebte also nicht in dieser Gegend.“

„Keinesfalls. Die Iyllas hätten das nicht geduldet. Ich nehme an, er hat erfahren, dass hier ein Beiboot umherfliegt. Er konnte sich denken, dass so ein Beiboot zu einem Raumfahrzeug gehört. Wahrscheinlich hat er gehofft, er kann uns rechtzeitig warnen.“

Die Erschöpfung ließ Macays Augenlider schwer werden. Er schlief ein. Als er einige Stunden später erwachte, fühlte er sich frisch und gesund.

„Wie lange liege ich schon hier?“, fragte er.

„Zwei Wochen“, antwortete Rall. „Erst seit ein paar Tagen bist du immer wieder zu dir gekommen, wenn das Fieber nachließ. Aber jetzt scheinst du alles überstanden zu haben und bist nur noch geschwächt.“

„Wie kommen wir von hier weg?“

Zzorg lachte. „Erst einmal sollten wir uns überlegen, wohin wir gehen wollen. Wir müssen die Iyllas fragen, wo wir Hilfe finden können. Das ist schwierig, da wir ihre Sprache kaum verstehen. Außerdem müssen wir den Iyllas klar machen, dass du keine Gefahr für sie bist.“

„Ich werde versuchen, ihnen unsere Wünsche verständlich zu machen“, sagte Rall. „Es gibt so eine Art Dorfvorstand, der aus einer alten Iylla-Frau und zwei jungen Begleitern besteht. Wenn es mir gelingt, sie hier hereinzubringen, ist schon viel gewonnen.“

„Tue das bitte“, sagte Macay. „Was die Frage betrifft, wohin wir gehen: Der alte Mann sagte doch, ein Raumschiff sei gelandet und die meisten Besatzungsmitglieder hätten überlebt. Also haben wir ein Ziel auf dieser Welt. Wir müssen diese Menschen finden.“

„Zunächst gilt es herauszufinden, wo dieses Raumschiff gelandet ist. Wenn es wie vorgesehen in einen Schacht versenkt wurde, ist es schwer zu entdecken.“

„Es kann nicht weit entfernt sein. Der alte Mann wird nicht um die halbe Welt gewandert sein, seit er hier gelandet ist.“

„Warum nicht?“, fragte Zzorg. „Seitdem sind zwei Jahrzehnte vergangen. Wer weiß, welche Möglichkeiten zu reisen es hier auf Bundara gibt.“

„Die Iyllas sind primitiv. Also werden sie nicht über schnelle Fortbewegungsmittel verfügen.“

„Vergiss nicht, wir haben vom Orbit aus beim Anflug auf diese Welt mehrere große Städte entdeckt. Vermutlich lebt auf Bundara eine weitere intelligente Rasse.“

„Egal. Wir müssen nach dem gelandeten Raumschiff suchen.“

Rall stand auf und sagte: „Ich hole den Dorfvorstand.“

Macay schlief wieder ein, während er auf Ralls Rückkehr wartete. Als er erwachte, blickte er in ein seltsames Gesicht. Dominierend darin waren kleine Augen, die in dunklen Vertiefungen lagen und so im ersten Moment riesig wirkten. Darunter befanden sich eine schwarze Knubbelnase und ein waagerechter Mund mit ledernen Lippenwülsten von dunklem Gelb. Das Gesicht war von graubraunem, kurzem Fell bedeckt. Es wirkte menschlich und fremdartig zugleich. Macay erschrak weniger über die Seltsamkeit des Gesichts, als über den Ausdruck von blankem Hass, den er in den Augen des Wesens zu lesen glaubte.

Im nächsten Moment ruckte das Gesicht aus seinem Blickfeld.

Mit Zzorgs Unterstützung setzte sich Macay in seinem Bett auf. Er betrachtete die drei Besucher, die neben Rall standen. Es waren Wesen von der Größe von Kindern, jedoch viel breiter und dicker als Menschen. Dabei war es nicht der Bauch, der sich deutlich wölbte, sondern der Rücken. Vom Halsansatz bis hinunter zu den kurzen O-Beinen bildete dieser Rücken einen weit geschwungenen Bogen. Da eines der Wesen seitlich zu ihm stand, konnte Macay sehen, dass dieser Buckel von breiten, quer verlaufenden Bändern überzogen war. Sie gingen schuppig ineinander über. Ähnliche Bänder, aber heller, liefen über den Bauch. Die Wesen trugen keinerlei Kleidung außer einem Gürtel, an dem verschiedene Werkzeuge und Leinensäckchen hingen.

„Dies ist die Dorfvorsteherin der Iyllas“, sagte Rall. Er zeigte auf das Wesen, dessen Gesicht Macay von Nahe hatte sehen können. „Sie wird begleitet von zwei Beratern.“

„Guten Tag“, sagte Macay. „Ich danke euch dafür, dass ich in dieser Hütte meine Krankheit auskurieren darf.“ Es schien ihm sinnvoll, so etwas zu sagen, obwohl sie ihn nicht verstanden. Aber vielleicht konnten sie seine guten Absichten fühlen.

Die Dorfvorsteherin gab ein fiependes, schnüffelndes Geräusch von sich und trat einen Schritt weiter von Macays Bett weg. Ihre Begleiter taten es ihr nach. Mit ihren kurzen Armen gestikulierend deutete die Dorfvorsteherin immer wieder auf Macay, Rall und Zzorg, wobei sie das seltsame Geräusch wiederholte.

„Wir sehen unterschiedlich aus, stammen aber von derselben Welt und sind Freunde“, sagte Rall langsam und versuchte, das durch Gesten darzustellen. Anschließend gab er auch einige fiepende Töne von sich.

Nicht nur Macay sah ihn erstaunt an, auch die Iyllas waren überrascht. Hektisch antworteten alle drei zugleich mit einem wahren Konzert hoher Töne.

Rall winkte ab. Das verstand er noch nicht. Er versuchte es erneut mit einigen wenigen Lauten. Die Dorfvorsteherin antwortete mit kurzen Tönen, zwischen denen sie einen deutlichen Abstand ließ.

Ungeduldig lauschte Macay diesem Versuch Ralls, die Sprache der seltsamen Wesen zu erlernen. Es dauerte lange, bis es zu einer Verständigung kam.

Schließlich wandte sich Rall an ihn: „Es ist schwierig, aber ich konnte ihnen klar machen, dass wir aus weiter Ferne kommen und den alten Mann im Wald nicht kannten. Die Iyllas machen uns übrigens nicht für die Explosion des Raumschiffs verantwortlich. Sie halten das für eine Schikane einer anderen Rasse, die hoch im Norden dieser Welt lebt.“

„Frag sie, ob hier früher schon einmal ein Raumschiff gelandeten ist.“

Rall schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht, dass ich ihnen das verständlich machen kann. Wichtig ist jetzt vor allem, dir Bewegungsfreiheit zu verschaffen. Wenn sie dich nicht mit den anderen, von ihnen gehassten Menschen gleichsetzen, ist schon viel gewonnen.“

„Warum hassen sie uns?“

„Ich weiß es nicht. Der alte Mann war der zweite Mensch, den sie im Laufe der letzten Jahre getötet haben. Es kann sein, dass sie die Morde aus Notwehr begangen haben, auch wenn ich nicht verstehe, warum.“

Die Iyllas sprachen nun noch einmal miteinander. Dieses Gespräch artete in eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen der Dorfvorsteherin und den beiden Jüngeren aus. Dabei wurden ihre Stimmen immer lauter und kreischender. Das war das Geräusch, das Macay vor einiger Zeit aus seinem Schlaf geweckt hatte.

Der Streit dauerte lange. Macay folgerte daraus, dass die Dorfvorsteherin keine eigentliche Macht ausübte, sondern auf die Zustimmung ihrer Begleiter angewiesen war.

Rall versuchte, sich mit Gesten und fiependen Tönen Gehör zu verschaffen. Vergebens. So blieb den drei Menschen nur, das Ergebnis der Diskussion abzuwarten. Doch die Iyllas enttäuschten sie. Immer noch kreischend öffneten sie die Tür und verließen die Hütte. Rall folgte ihnen.

„Das ganze Dorf scheint gespalten zu sein in der Meinung darüber, was mit dir geschehen soll, Macay“, berichtete Rall, als er zurückkam. „Hoffen wir, dass die Gemäßigten sich durchsetzen.“