Kreativität und Innovation (E-Book)

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Aus der Reihe: 4K kompakt #2
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2.1 Der neue Mensch

Die Idee des neuen Menschen kann bis in die Antike zurückverfolgt werden. Bereits damals wurden in utopischen Reiseberichten Menschen beschrieben, die sich durch besondere körperliche Eigenschaften von anderen abheben, beispielsweise durch größere Köpfe oder Körper, längere Zungen oder ein höheres Lebensalter. In der Religion waren Vorstellungen eines neuen Menschen meist verknüpft mit der Aufforderung zur Umkehr oder Besserung. Der neue Mensch sollte moralischer, vernünftiger, gesamthaft gottähnlicher handeln (vgl. Maahs 2019 S. 227f.). Die Vergöttlichung des Menschen findet sich aber auch in der Philosophie, wie beispielsweise in der Forderung des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche nach einem sogenannten «Übermenschen» in «Also sprach Zarathustra» (vgl. Busch 2003 zitiert in Maahs 2019, S. 229). Auch die marxistische Philosophie forderte einen neuen Menschen, wobei dieser nicht nach Übermenschlichem streben, sondern selbstbewusst und ohne religiöse Bevormundung seine eigene Menschlichkeit schätzen sollte. Im 20. Jahrhundert verkam die Idee des neuen Menschen zur Obsession und zeigte in den Ideologien der großen totalitären Systeme ihren menschenverachtenden und rassistischen Gehalt. Mit Drill, Gewalt und Propaganda sollte in den Diktaturen ein Mensch geschaffen werden, der in ein bestimmtes Weltbild passt. Persönlichkeit und Individualität gingen verloren. Wer dem Bild nicht entsprechen konnte oder wollte, wurde verfolgt, Millionen von Menschen starben (vgl. ebd., S. 229ff.).

Durch den technischen Fortschritt lassen sich die menschlichen Fähigkeiten nicht mehr nur durch menschliche Eigenschaften optimieren, sondern vermehrt auch durch künstliche Hilfsmittel. Die zeitgenössische utopische Literatur bezieht den aktuellen Entwicklungsstand der Forschung mit ein und antizipiert die technische Innovation der Zukunft. Dabei wird der technische Fortschritt bezüglich seiner Vor- und Nachteile reflektiert. Thematisiert werden zum Beispiel Szenarien einer außer Kontrolle geratenden Technik. Als Antwort darauf werden etwa Rechte für die Entwicklung künstlicher Intelligenz, mögliche Reaktionsformen für den Fall des Ausfalls zentraler Technik sowie ethische Grundsätze zur Vertretbarkeit der Genmanipulation ausgearbeitet. Die Utopie des Fortschritts schlägt hier rasch in eine Dystopie um, die aber auch die Stärke in sich trägt, auf die Gefahren technologischer Phänomene hinzuweisen. Damit wird ein literarisches Narrativ geschaffen, das nicht ein unausweichliches Katastrophenszenarium verkündet, sondern eine Perspektive für mögliche positive Entwicklungsvarianten offenlegt. Die diesen Erzählungen zugrunde liegende Haltung gegenüber den jüngsten technologischen Fortschritten ist somit meist ambivalent. Auf der einen Seite will man die neuen Technologien nutzen, auf der anderen Seite nicht komplett von ihnen abhängig werden (vgl. ebd., S. 229–232). Das Internet stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Die körperliche Präsenz und die realen Fähigkeiten des neuen Menschen werden weniger wichtig, da dieser vermehrt im Cyberspace agiert. Gleichzeitig entstehen dadurch neue Angriffsmöglichkeiten, was die Entwendung und Manipulation von Daten betrifft. Die weltweite Vernetzung kann von Friedensaktivisten und -aktivistinnen bis zu Terrorgruppierungen gleichermaßen genutzt werden. Soweit die Darstellung in literarischen Werken. Es gibt aber auch Menschen, die nicht länger auf entlegene Auswege in der Literatur setzen, sondern ihre Utopien hier und jetzt umsetzen wollen (vgl. ebd., S. 232ff.).

2.2 Gelebte Utopie

Die nachfolgend beispielhaft erläuterten Utopien sind Ergebnisse menschlicher Kreativität, die von der Suche nach einem besseren Leben für die Menschen einer bestimmten Gruppe getrieben werden (vgl. Maahs 2019, S. 235).

Zunächst kann auf existierende Kommunen, Kibbuze und Ökodörfer verwiesen werden, deren Bewohnerinnen und Bewohner anders leben, arbeiten und wirtschaften als der Mainstream und die damit tatsächlich eine gesellschaftliche Alternative darstellen. Diese Lebensgemeinschaften bleiben in der Regel wenig beachtet von der Allgemeinheit und streben umgekehrt auch keine gesamtgesellschaftlichen Veränderungen und Utopien an. Politische Organisationen wie Occupy und Attac hingegen treten bewusst an die Öffentlichkeit, bezwecken eine gesamtwirtschaftliche Utopie und kreieren mit ihren Protestcamps Alternativorte inmitten der Gesellschaft (vgl. ebd., S. 236). Ein weiteres eindrückliches Beispiel ist die Bewegung Operation Libero.

Operation Libero formierte sich am 14. Februar 2015, fünf Tage nach Annahme der Masseneinwanderungsinitiative[2], um sicherzustellen, «dass die Zivilgesellschaft nie wieder eine derartige Abstimmung verschlafen würde» (Grassegger 2016). Mitte Oktober 2015 schien der Moment gekommen, um aktiv zu werden. Die Abstimmung zur Durchsetzungsinitiative stand bevor. Mit der Durchsetzungsinitiative sollte ein langer Katalog von direkt anwendbaren, detaillierten Bestimmungen zur Ausschaffung von straffällig gewordenen Ausländerinnen und Ausländern in die Bundesverfassung aufgenommen werden. Die ersten Umfragewerte vom 10. November 2015 stellten für die junge Gruppierung eine desaströse Ausgangslage dar: 66 Prozent Zustimmung für die Durchsetzungsinitiative, drei Prozent der Befragten waren sich noch unsicher, der kleine Rest war klar dagegen. Von den Wirtschaftsverbänden war keine große Unterstützung zu spüren, die NGOs hatten weder Geld noch Personal. Einzig Amnesty International versprach, 10000 Franken beizusteuern. Operation Libero startete ihre Kampagne im Netz und gründete drei Facebook-Gruppen. Die permanente Vernetzung machte Operation Libero wendiger als ihre Gegenspieler, die sich konventioneller koordinierten. Die Kommunikation lief über Facebook, Twitter sowie die Website des NGO-Gegner-Komitees. Fallbeispiele für die Konsequenzen des neuen Verfassungsartikels wurden ausgearbeitet und Memes mit Antworten auf Behauptungen der Befürworterinnen und Befürworter der Initiative produziert. Rund um die Uhr wurde das Netz durchforstet und Angreifbares aufgespürt. Als ein Politiker – ein Befürworter der Initiative – auf einem Lokalsender eingestand, dass er nicht genau wisse, was in der Initiative stehe, wurde daraus ein 20-Sekunden-Spot, der viral ging. Mitte Dezember organisierte Operation Libero einen Vortrag mit einer Völkerrechtlerin, wenig später unterzeichnete ein Großteil der Ständeräte und Ständerätinnen eine Erklärung gegen die Initiative. Mit der Zeit gingen immer mehr Spenden ein. Mitte Januar verkündeten 120 Schweizer Rechtsprofessorinnen und Rechtsprofessoren ihren Widerstand gegen die Initiative. Dafür beriefen sie sich auf die von Operation Libero genannten Gründe (vgl. ebd.). Nach weiteren Aktionen wurde am 28. Februar 2016 die Durchsetzungsinitiative abgelehnt. Eine fünfköpfige Gruppe junger Leute hatte dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet. Einem zunächst utopisch scheinenden Vorhaben wurde zum Erfolg verholfen.

2.3 Potenziale utopischen Denkens

Die kreative und konstruktive Umsetzung einer Utopie bedingt – wie am Beispiel der Operation Libero gesehen werden kann – ein entsprechendes Verständnis dieses Begriffs. Negative Konnotationen, die mit diesem Begriff verbunden sind, beruhen auf dem Verständnis, dass es sich bei etwas Utopischem um etwas Realitätsfernes handelt. Utopien wohnt aber die Chance auf positive Veränderungen inne. Sie zeigen auf, in welche Richtung der Status quo überwunden und weiterentwickelt werden kann. Um nicht zu einem reinen Sehnsuchtsort zu geraten, sollten wirksame Utopien deshalb in der Gesellschaft entwickelt, diskutiert und umgesetzt und nicht top-down verordnet werden.

Es stellt sich dabei die Frage, wie utopisches Denken für Gestaltungsprozesse und Alternativideen genutzt werden kann. Die menschliche Erfahrung und Kreativität stellen dafür das Fundament dar, auf das aufgebaut werden kann. Eine weitere Voraussetzung ist ein positives Verständnis des Begriffs «Utopie». So besteht die Möglichkeit, dass utopische Denkmodelle die Kraft entwickeln, Menschen zu vereinen, Perspektiven zu generieren und Hoffnung zu vermitteln, um die Gesellschaft neu zu strukturieren und kreative Lösungen für aktuelle Missstände zu finden (vgl. Maahs 2019, S. 335f.).

Der anschließende Rück- und Ausblick großer industrieller Revolutionen zeigt auf, dass Utopien im positiven Sinne eng mit dem technischen Fortschritt verbunden sind und dafür auch künftig eine treibende Rolle spielen werden.

3 Die industriellen Revolutionen

In diesem Kapitel wird in einem Überblick dargelegt, wie Gesellschaft und Wirtschaft es im Verlauf der Geschichte verstanden haben, große Revolutionen anzustoßen, und in welche Richtung die Entwicklung weitergehen könnte. Mokyr (1998) nennt sieben Faktoren als Ursachen der industriellen Revolution: Geografie, technologische Kreativität, soziale Institutionen, Politik, Nachfrage versus Angebot, internationaler Handel und Wissenschaftskultur.

3.1 Industrie 1.0 bis 4.0


Abbildung 3: Die vier industriellen Revolutionen (Quelle: Döring & Wimmer 2020)

Als Startpunkt für die erste industrielle Revolution kann die Inbetriebnahme des ersten mechanischen Webstuhls 1784 bezeichnet werden. Wesentlich für diese Entwicklung war die zentral verfügbare mechanische Wasserkraft, welche die manuelle Arbeit ersetzte. 1870 begann die erste Fließbandproduktion und damit die zweite industrielle Revolution. Ausschlaggebend für diese Entwicklung waren dezentral installierte Elektromotoren und Stromnetze. Der Beginn der dritten industriellen Revolution war die 1969 entwickelte erste speicherprogrammierbare Steuerung (SPS). Damit wurden Produktionsprozesse automatisiert. Nach den großen Rechenmaschinen waren nun der Personal Computer und später das Laptop in Büro und Haushalt unentbehrlich. Ihre kontinuierliche Weiterentwicklung war die Voraussetzung für den Entwicklungsprozess der Digitalisierung. 2007 kam das erste Smartphone mit Touchscreen auf den Markt – die vierte industrielle Revolution (Industrie 4.0) war angebrochen. Der Begriff «Industrie 4.0» wurde gemeinsam von Politik und Wirtschaft geprägt und 2011 anlässlich der Hannover-Messe kommuniziert. Die dezentrale Datenverarbeitung in Kombination mit leistungsfähigen Datennetzwerken waren die Treiber. Als Begrenzung stellen sich allerdings der Zugang, die Übermittlungskapazitäten und die Speicherkapazitäten der großen Datenmengen heraus (vgl. Döring & Wimmer 2020).

 

3.2 Industrie 5.0/6.0

Aus dem Muster von Innovation und technischem Fortschritt lässt sich eine Prognose für die Industrie 5.0 und gar 6.0 ableiten. Der Beginn der fünften industriellen Revolution wurde möglicherweise 2016 von AlphaGo eingeleitet. AlphaGo ist ein selbstlernender Algorithmus mit zentraler künstlicher Intelligenz (KI). Ihm gelang es, den Weltmeister des Brettspiels Go 4:1 zu schlagen. Der 2017 erschienenen, verbesserten Version AlphaGoZero gelang es, AlphaGo 100:1 zu schlagen. Treibend ist also ein zentral eingesetzter Algorithmus mit KI. Limitierend wirken sich aktuell lediglich die begrenzten Programmierkapazitäten für KI-Algorithmen sowie künstliche neuronale Netze (KNN) aus. Gemäß dem genannten Muster könnte der kommerzialisierte Einsatz von dezentraler künstlicher Intelligenz für digitale Produkte und Dienstleistungen mithilfe von Datenvernetzung eine mögliche treibende Kraft für die sechste industrielle Revolution sein (vgl. FHNW o.J.).

3.3 Kreativität als Inspiration der fünften industriellen Revolution

Die ETH Zürich hat am Weltwirtschaftsforum 2020 in Davos in einer interaktiven Ausstellung veranschaulicht, wie wichtig Kreativität für wissenschaftliche Erkenntnisse und technologische Innovationen ist. Die Ausstellung widmete sich den Schnittstellen zwischen Kunst und Wissenschaft, die beide von menschlicher Kreativität angetrieben werden. Dabei wurde aufgezeigt, wie Mensch und Maschine künftig interagieren könnten. Dazu drei Beispiele.

Wir alle wissen, wie sich Wellen in Form von konzentrischen Kreisen ausbreiten, nachdem ein Stein ins Wasser geworfen wurde. Die Wellen eines zweiten Steines, der kurz nach dem ersten ins Wasser geworfen wird, erzeugt ebenfalls Wellen, die das erste Muster überlagern. Wellen sind auch zentrale Elemente der Quantenmechanik. Forschende, die sich damit befassen, können Wellen so manipulieren, dass eine bestimmte Interferenz (Überlagerung) und dadurch ein bestimmtes Resultat entsteht. Im «Teich der Möglichkeiten» konnten Besucherinnen und Besucher der interaktiven Ausstellung erfahren, wie Quanteninterferenz und Qubits wirken (vgl. Lucien 2020). Ein Qubit (Quantenbit) bezeichnet ein System, das sich durch die Überlagerung von zwei Zuständen auszeichnet. Werden mehrere Qubits zu Gruppen verschränkt, entstehen sehr leistungsfähige Systeme zur Informationsverarbeitung (vgl. Vogel 2017, S. 19).


Abbildung 4: Pond of Possibilities, Wellenspiel mit Füßen und Quantenphysik (Quelle: RETHINKING Creativity, Kuratorin Simone Bucher van Ligten, Foto ETH / Andreas Eggenberger)

Der sogenannte Puppet Master liefert eine Grundlage für die fünfte industrielle Revolution, indem er aufzeigt, wie Roboter und Menschen, die bei ihren alltäglichen Aufgaben Unterstützung benötigen, kreativ und produktiv interagieren können. Der Puppet Master nutzt numerische Simulationsmodelle, damit er zum Beispiel Kugeln in Bechern platzieren und Marionetten bewegen kann. Dabei ist er in der Lage zu lernen, ähnlich wie Kinder in solchen Spielen ihre motorischen Fähigkeiten und Problemlösungskompetenzen trainieren. Der Roboter Puppet Master ebnet auf diese Weise den Weg für zukünftige Robotergenerationen, die mit ihrer Geschicklichkeit Menschen zur Seite stehen werden.

Mit dem PuppetPhone verschwimmen die Grenzen zwischen physischem Gerät und Virtualität. Mittels einer innovativem Interaktionsmetapher reagiert eine virtuelle Marionette in Echtzeit auf die Bewegungen eines Smartphones. Sie kann zum Beispiel einen virtuellen Schneemann bauen, der seinerseits zum Leben erweckt wird und als Teil einer imaginären Geschichte fungiert (vgl. Lucien 2020).


Abbildung 5: Schneemann bauen mit Puppet Phone (Quelle: RETHINKING Creativity, Kuratorin Simone Bucher van Ligten, Foto: ETH Zürich / Game Technology Center)

3.4 Kritik am Revolutionsmodell

An der in Kapitel 3.1 und 3.2 geschilderten Vier- beziehungsweise Fünfteilung der Vergangenheit wird auch Kritik geäußert. In ihrem Aufsatz zeigen Hessler und Thorade (2019) anhand verschiedener Punkte auf, dass die Einteilung des technologischen Fortschritts in vier beziehungsweise fünf industrielle Revolutionen eine gängige Vereinfachung darstellt.

Erstens suggeriert das Modell der industriellen Revolutionen einen stufenweisen linearen Fortschritt hin zum Besseren. Die alte Stufe wird von der neuen Stufe abgelöst. Es existieren keine Brüche, Diskontinuitäten, Pluritemporalitäten (Existenz unterschiedlicher Zeitwahrnehmungen und -deutungen). Die historische Forschung hingegen hat ein derartiges Fortschrittsdenken längst dekonstruiert.

Die Idee der Ablösung der vorhergehenden Stufe durch die nachfolgende entspricht nicht der Geschichte der Industrialisierung, in der ein altes Produktionssystem nicht schnell und vollständig durch ein neues ersetzt wird. Die numerische Zählung ist ein geschickter Schachzug, um den Stellenwert der Industrie neu zu betonen und in aktualisierter, digitalisierter Form neu aufleben zu lassen.

Zweitens haben die vier Revolutionen, wie sie in besagtem Modell identifiziert werden, ihren Ursprung in Europa und den USA. Damit wird die Geschichte der industriellen Revolution aus globaler Perspektive außen vorgelassen.

Drittens wird die historische Entwicklung nach diesem Modell jeweils von Technologien ausgelöst: der mechanische Webstuhl, das Fließband, der Roboter, die Digitalisierung. Damit werden komplexe Transformationsprozesse auf technische Erfindungen reduziert, während gesellschaftliche, politische, kulturelle und ökonomische Faktoren unbeachtet bleiben. Mit der Bezeichnung «Revolution» werden Brüche angedeutet, die von der Geschichtswissenschaft mehrfach reflektiert und kritisiert wurden (vgl. ebd., S. 156f.).

Aus den genannten Gründen bevorzugt die aktuelle Forschung Phasenmodelle, die sich bei der Einteilung der Vergangenheit als flexibler herausstellen, indem sie beispielsweise Überlappungen zulassen. Die Einteilung in die bisherigen vier industriellen Revolutionen erzeugt zu stark vereinfachende, technikdeterministische Bilder der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Hessler und Thorade plädieren deshalb für die Schärfung von Fragestellungen, neue Perspektiven auf aktuelle Problemlagen und eine sorgfältige historische Einordnung (vgl. ebd., S. 166–170). Jenseits der ökonomischen und technischen Erneuerungen gibt es demnach viele weitere Neuerungen. So sind etwa soziale Innovationen wie Genossenschaften, Sharing Economy, Mehrgenerationenwohnformen oder Open-Source-Bewegungen in ihrer Bedeutung für die Gesellschaft beträchtlich.

4 Kreativitätsmodelle für innovative Prozesse im Unternehmen

Lernende in der beruflichen Bildung sind in Unternehmen eingebunden, die sich kompetitiv in einem spezifischen Markt und einem bestimmten wirtschaftlichen Umfeld bewegen. Dadurch, dass Lernende der dualen Bildung schon früh in wirtschaftliche Prozesse eingebunden sind, erleben sie täglich, wie sich Unternehmen dynamisch am Markt verhalten, sich entwickeln, verändern oder neu ausrichten. Mit dieser unternehmerischen Erfahrung ausgestattet, unterscheiden sich Lernende der beruflichen Bildung grundlegend von Gymnasiastinnen und Gymnasiasten, die in der Regel erst über ein Studium den Eintritt in die Arbeitswelt finden.

Auch wenn dies nicht immer explizit ausformuliert oder registriert wird, liegen selbst den kleinsten Innovationen in den Unternehmen kreative Prozesse zugrunde. Es braucht also Kreativität, um sich schnell und gezielt an neue Gegebenheiten anzupassen.

Kreativität ist ein facettenreicher Begriff und mit unterschiedlichen Inhalten belegt. Wirft man einen Blick auf die betriebswirtschaftlichen Aus- und Weiterbildungen auf Tertiärstufe A, sind die Begriffe «Entrepreneurship», «Kreativität» und «Innovation» fester Bestandteil von Lehrgängen. In der beruflichen Bildung (Grund- und Weiterbildung) ist die Förderung von Entrepreneurship, Kreativität und Innovation hingegen nicht primär. Vielmehr steht hier die berufliche wie gesellschaftliche Handlungskompetenz im Vordergrund. Dies im Hinblick auf die Berufsbildung 2030 zu ändern, ist derzeit das Ziel vieler Bildungsverantwortlichen (Barabasch et al. 2020; Müller et al. 2021; Sauli et al. 2021). In einer 2018 publizierten Studie des SBFI zu den «Transversalen Kompetenzen» (Scharnhorst & Kaiser 2018) werden verschiedene Schlüsselkompetenzen für das 21. Jahrhundert genannt, die unter anderem auch die Förderung von Kreativität und Innovation betreffen, welche sich die Schweizer Wirtschaft schon seit geraumer Zeit auf die Fahne geschrieben hat. Die Schweiz belegt 2020 gemäß Untersuchungen von «Switzerland Global Enterprise» den dritten Platz im internationalen Vergleich (www.s-ge.com). Dies mit dem Ziel, den Werkplatz Schweiz in der internationalen Arbeitswelt 4.0 noch wettbewerbsfähiger zu machen und die digitale Transformation ökonomisch erfolgreich zu meistern.

Es geht also, um es verkürzt zu sagen, um die Zukunftsfähigkeit des Werkplatzes Schweiz. Diese Zukunftsfähigkeit lässt sich nur durch kontinuierliche Erneuerungsprozesse in den großen wie kleinen Unternehmen gewährleisten. Dieser Prozess hat sich durch die Corona-Krise zusätzlich beschleunigt. Es ist also höchste Zeit, dass sich die berufliche Bildung dem wirtschaftlichen Transformationsprozess innovativ und kreativ anpasst. Es gilt, die Berufslernenden aus der aktuellen, häufig zweckmäßig verstandenen Handlungskompetenz (ich lerne gleichsam nur das, was ich unmittelbar für die Ausübung meines Berufes brauche) herauszuführen und kreativeres Denken und innovativeres Handeln zu fördern. Diese (neue) Ausrichtung wird Folgen für die didaktisch-(wirtschafts-)pädagogischen Konzepte der beruflichen Bildung haben.

Doch was verstehen die Unternehmen unter Kreativität und wie lässt sich dieser Begriff erklären? Um diese Frage beantworten zu können, lohnt es sich, einen kurzen Blick in die Kreativitätsforschung zu werfen.

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