Hofräte, Einflüsterer, Spin-Doktoren

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Doch gleichzeitig nimmt nun angesichts spektakulärer Einzelfälle auch die öffentliche Kritik an der Folter im Strafverfahren zu. Sogar die medizinische Fakultät erstattet ein Gutachten über deren schädliche Auswirkungen. Maria Theresia schränkt daraufhin ihre Anwendung ein, allerdings ohne sie aus dem Gesetz zu streichen. 1773 erteilt die Kaiserin an mehrere Behörden den Auftrag, Gutachten zu erstellen, und beruft Sonnenfels in ein Koordinierungsgremium. Als er sich dort gegen die Befürworter nicht durchsetzt, geht er mit einem Votum Separatum gegen die Folter an die Öffentlichkeit. Dieses Druckwerk führt wieder zu einem Verfahren gegen ihn.

Der kaiserliche Mitregent Joseph II. hat mittlerweile bei seiner Mutter erreicht, dass die Entscheidung über eine Reform des Strafrechts vollständig in seine Hände gelegt wird. Das und eine breite Unterstützung der Öffentlichkeit ermöglichen es Sonnenfels nun, sich in diesem Verfahren wieder direkt an die Kaiserin zu wenden.

Anleitung zur korrekten Folter in der Constitutio Criminalis Theresiana, der „peinlichen Gerichtsordnung“ Maria Theresias

„Die Kaiserin bestimmt einen Tag zur Audienz. Als Sonnenfels in den Audienzsaal getreten ist, lässt sich die Kaiserin auf einen Sessel nieder und Sonnenfels beginnt – nach damaliger Hofsitte auf einem Knie ruhend – den Vortrag. Die Kaiserin nimmt wahr, daß ihm diese Stellung beschwerlich ist und sagt zu ihm: ‚Knie er sich näher zu mir und lege er seine Schriften auf meinen Schooß.‘ Sonnenfels kommt diesem Auftrage nach und hält mit seiner bekannten Rednergabe einen glänzenden Vortrag für Abschaffung der Tortur. Am Schlusse dieses Vortrages treten der tief ergriffenen Kaiserin Thränen in die Augen, und in diesem Augenblick vergisst Sonnenfels die Hofsitte, erhebt sich von den Knien und spricht mit Begeisterung: ‚Wenn Europa diese Thränen in den Augen der größten Monarchin unserer Zeit gesehen hätte, so würde es keinen Augenblick zweifeln, daß die Tortur in Oesterreich sogleich abgeschafft wird.‘ Die Kaiserin trocknet die Thränen, legt ihre Hand auf des Redners Schulter und sagt zu ihm: ‚Laß Er’s gut sein, die Tortur wird abgeschafft.‘“ Am 2. Jänner 1776 wird öffentlich kundgemacht, dass in den österreichischen Staaten die Tortur aufgehoben ist.

Das Ende der Folter im Habsburgerreich wird dem Aufklärer von da an als persönliches Verdienst zugeschrieben. Wieweit auch andere Personen entscheidenden Einfluss ausübten, lässt sich aus heutiger Sicht schwer sagen. Doch ist unbestreitbar, dass er hier mutig, nachhaltig und erfolgreich als Berater wirkte und diese historische Entscheidung maßgeblich mitgestaltete.

Es wäre aber nicht Sonnenfels, wenn er sich mit diesem Erfolg zufriedengäbe. Er bleibt provokant und wird auch weiterhin öffentlich als Religionsspötter und Verführer der Jugend kritisiert, was auch in den Folgejahren immer wieder zu offiziellen Untersuchungen führt. Diese bewirken allerdings das Gegenteil: Maria Theresia ernennt ihn 1779 zum Wirklichen Hofrat bei der böhmischen und österreichischen Hofkanzlei sowie zum Beisitzer der Studien- und Zensurkommission.

Als die Monarchin im Jahr darauf stirbt, ist Sonnenfels an ihrem Totenbett anwesend und gibt Zeugnis, wie präzise sie ihrem Sohn Joseph II. die Geschäfte im Detail übergeben hat – „über jedes Reich, jede Provinz im Einzelnen (…) den Zusammenhang, das Verhältnis, über die Schwäche und Stärke jedes Theiles (…)“. Der Tod der Kaiserin ist indes für ihn ein schwerer Schlag. Mit dem neuen Herrscher verbindet ihn kein persönliches Naheverhältnis und in der Vergangenheit gab es mehrmals Konflikte. So bemüht sich der Herr Professor wieder um ein Amt nahe beim Kaiser. Da Joseph II. bei der Integration der Zensurbehörde in die Studienkommission erneut Expertise benötigt, wird Sonnenfels ein zweites Mal Zensor. Er koordiniert, beeinflusst Personalbesetzungen und gibt wohl auch Voten über Bücher ab – zehn Jahre lang.

Noch eine weitere Aufgabe übernimmt der Professor: Im Auftrag des Kaisers unterzieht er ab 1781 alle neuen Gesetze einer sprachlichen Revision und ist damit als einer der Schöpfer der österreichischen Gesetzes- und Amtssprache zu sehen. Sein Projekt einer Sammlung von politischen Gesetzen („politischer Kodex“), das nach seinem Tod 1818 endgültig scheitert, ist mehr als eine Kompilation. Es umschreibt damit eine durch Regierungsleitlinien verfassungsmäßig begrenzte Monarchie – ein Vorgriff auf konstitutionelle Prinzipien des nächsten Jahrhunderts.

Die„Polizey“-Gesetzgebung beschäftigt ihn intensiv und über lange Zeit – und „Polizey“ ist damals ein weit umfassenderer Begriff als die heutige Sicherheitsverwaltung. Sie meint alle inneren Angelegenheiten einschließlich der Bildung und der öffentlichen Wohlfahrt. Er sammelt und studiert die Gesetze und Informationen über Einrichtungen fremder Staaten mit dem Ziel, „die wirklichen und scheinbaren Gegensätze in denselben aufzusuchen und mit Beseitigung des Unhaltbaren oder durch die veränderten Zeitverhältnisse überflüssig Gewordenen, ein den Anforderungen der Gegenwart entsprechendes Elaborat zu bringen“.

Auch bei der Strafrechtsreform wird der Reformer noch einmal von Joseph II. als Konsulent herangezogen. Die Kommission zur Einschränkung der Todesstrafe wird von seinem Schüler Georg von Keeß geleitet. Dieser unterbreitet dem Kaiser 1783 einen gemeinsam mit Sonnenfels erstellten Strafgesetzentwurf, der sich eng an dessen Lehrbuch anlehnt. 1787 tritt schließlich das Gesetz in Kraft, mit dem auch die Todesstrafe im regulären Strafrecht abgeschafft wird. Sonnenfels’ Vorschläge beschränken sich übrigens nicht nur auf Leibesstrafen, sondern berühren auch weitere Details: So tritt er dagegen auf, gefallenen Mädchen auch noch die Kirchenbuße aufzuerlegen; vielmehr soll man ihnen die geheime Entbindung erleichtern.

Joseph von Sonnenfels ist ein Netzwerker von hohem Talent. Es liegt also nahe, sich auch in Kreisen zu engagieren, in denen sich seit dem Amtsantritt Josephs II. viele fortschrittliche Geister organisieren: bei den Freimaurern. Immer mehr Beamte sind in den Logen in Wien versammelt. In der Eliteloge „Zur wahren Eintracht“ sind es 62 von 176 Mitgliedern, und ihr Meister Ignaz von Born ist selber Hofrat der Hofkammer. Auch bei den „Drei Adlern“ und beim „Palmenbaum“ ist ein Fünftel Beamte. Insgesamt sind es rund 200 Personen in einflussreichen Positionen, und es hat natürlich Auswirkungen, wenn sie alle gezielt und im Gleichklang nachhaltig auf das Dutzend Minister einwirken, bei denen sie dienen.

So wird Sonnenfels, der schon 1776 einen ersten Kontakt zur Leipziger Loge geknüpft hat, 1782 Mitglied der „Wahren Eintracht“ und zählt danach mit seinen Freunden Ignaz von Born, Aloys Blumauer und Joseph Freiherr von Retzer zu den Führern der Freimaurer in Wien. Er wird Stellvertreter Borns und organisiert ein intensives Wissenschaftsund Vortragsprogramm, über das auch in einem eigenen Journal berichtet wird. 1784 gründet er eine Landesloge für das gesamte Habsburgerreich, deren Chef übrigens Fürst Dietrichstein wird, der Gönner seiner frühen Jahre. Er selbst wird Meister der Distriktloge „Zur wohltätigen Eintracht“. Born und Sonnenfels führen überdies noch eine Organisation innerhalb der Organisation, nämlich den geheimen Orden der Illuminaten, in dem auch Hofkanzler Leopold von Kolowrat Mitglied ist. So kann Sonnenfels ein persönliches Verhältnis zum Hofkanzler aufbauen, der bei seinen Verwaltungsprojekten sein Vorgesetzter ist.

Dieses Netzwerk von Influencern und Lobbyisten wird allerdings Ende 1785 durch das Freimaurerpatent stark beschnitten. Damit ist die Organisation für Sonnenfels kein Thema mehr und er tritt aus. Jahre später werden unter Kaiser Franz I. 1797 alle Logen verboten und ab 1801 müssen die Beamten jährlich schwören, keiner Geheimgesellschaft anzugehören. Es wird bis ins 20. Jahrhundert, bis nach dem Zweiten Weltkrieg dauern, dass diese Vereinigung wieder maßgeblichen und organisierten Einfluss in der österreichischen Verwaltung, insbesondere im Kultur- und Gesundheitsbereich, erlangt.

In der Regierungszeit Josephs ist der Einfluss von Sonnenfels schwächer als in der Zeit Maria Theresias. Das hat nicht nur persönliche Gründe, der Habsburger misstraut grundsätzlich Beamten, selbst den reformfreudigsten unter ihnen. Er setzt kontrollierende Hofkommissäre ein und drängt in „Hirtenbriefen“ immer wieder auf eine raschere Umsetzung seiner Entscheidungen. „Auf die mechanisch-knechtische Art ist es unmöglich, mit Nutzen die Geschäfte zu betreiben.“ Er kann sich also nicht auf die Beamtenschaft in ihrer Gesamtheit verlassen und deren Rat und Unterstützung suchen. Joseph II. hört nur auf wenige Gleichgesinnte in den Verwaltungsspitzen, und auch diese wählt der Kaiser sorgfältig und ausschließlich für ganz bestimmte Projekte aus. Im Licht dieser Bedingungen steht auch Sonnenfels’ Wirkungsrahmen ständig zur Disposition.

Als im Jahr 1790 Leopold II. die Kaiserkrone übernimmt, ist Sonnenfels ein vielgeachteter Mann, auf dessen Wort man im Allgemeinen Wert legt. Als er Leopold aber anbietet, ihn direkt, regelmäßig und persönlich in einer Art privater Vorlesungen zu beraten, lehnt dieser dankend ab. Man nimmt zwar seine Dienste in Anspruch, persönlicher Vertrauter des Kaisers aber ist er nicht mehr. Leopold notiert über ihn: „(…) ein Mann von großem Talent, sehr fähig und ein großer Arbeiter, aber voll Anmaßung und Eitelkeit, lobt sich immer selbst, äußerst fanatisch, macht alle Sachen mit dem größten Aufsehen und Publizität, spricht zuviel und rühmt sich zuviel, übernimmt viele Verpflichtungen, die er dann nicht erfüllen kann.“

Dennoch nimmt der Kaiser 1791 Sonnenfels’ Gesuch um Befreiung vom universitären Lehramt an und spielt ihn damit wieder für Legistikaufgaben frei. Er bleibt zwar Mitglied der Fakultät, wird aber Vizepräsident der Hofkommission in Gesetzessachen und der Kommission für die Sammlung politischer Gesetze. Zusätzlich erhält er den Auftrag, eine neue „Polizeyverfassung“ für Wien auszuarbeiten.

 

1791 legt er den Text eines modernen Gesetzes zur Bekämpfung des Wuchers vor. Er schlägt vor, Zinsen nicht zu verbieten, sondern so zu regeln, dass es der Wirtschaft nützt, aber Existenzvernichtungen hintanhält. Das Thema beschäftigt ihn schon lange. Bereits gegenüber Maria Theresia hat er das Zinsennehmen verteidigt. Als damals ein Priester, der das Vertrauen der Kaiserin besaß, meinte, es „steht in der Heiligen Schrift geschrieben: Du sollst keine Wucherzinsen nehmen“, entgegnete Sonnenfels scharfzüngig: „Hochwürden, jeder von uns ist ein Wucherer. Sie selbst sind der ärgste Wucherer, für 4000 Gulden verkaufen Sie Ihrer Majestät Ihre frommen Dienste; ich kenne einen würdigen Caplan, der für den zwanzigsten Theil Ihres Einkommens dieselben Dienste leisten würde.“

Sonnenfels spürt, dass unter Leopold sein Stern verblasst, und kämpft dagegen nach Kräften an. Als sein gegen seinen Willen vom Kaiser eingesetzter Nachfolger an der Universität bei den Ämtern Akteneinsicht erhalten will, hintertreibt er das; als dieser eine Zeitschrift gründet, gründet er eine andere dagegen; einen kritischen biografischen Artikel versucht er zu verhindern; ein kaiserliches Dekret zugunsten des Nachfolgers schreibt er gar um. Doch all das nützt letztlich nichts – er bleibt in die zweite Reihe abgedrängt.

Bis zu einem gewissen Teil hat er sich das selbst zuzuschreiben, man spöttelt darüber, dass er viel spricht und sich nur zu gern reden hört. „Ein Bittsteller steht eine Stunde vor ihm – er redet kein Wort. Sonnenfels allein spricht ununterbrochen. Er entlässt den Menschen. ‚Mit dem jungen Manne‘, erzählt er, ‚habe ich mich trefflich unterhalten‘.“ Ein anderer Kritiker bedient gängige Vorurteile: „Sonnenfels hatte Vieles, was dem zehnmal getauften Juden durch ganze Eimer von Taufwasser nicht wegzuwaschen ist: So war er Egoist, von maßlosem Eigendünkel erfüllt, eifersüchtig und unduldsam gegen andere Talente, insbesondere wenn er besorgte, dass sie ihn verdunkeln, in seinem Einflusse beschränken oder gar verdrängen könnten; er war ehrgeizig und strebte im Übermaß nach Ehren und Würden.“

Aber Sonnenfels gibt nicht auf. Er organisiert aus dem Hintergrund eine wahre Schriften- und Vorträgeschlacht an der Universität und reorganisiert sein Wiener Netzwerk. Als Leopold 1792 unerwartet früh verstirbt, ist er wieder da: 1794 und 1796 wählt ihn die Universität zu ihrem Rektor magnificus. Gleichzeitig jedoch muss er ohne einen seiner stärksten Verbündeten der vergangenen 30 Jahre auskommen: Kanzler Kaunitz ist 1792 zurückgetreten und zwei Jahre später verstorben.

In den Jahren nach 1796 wird Sonnenfels nochmals in eine Vielzahl legistischer Projekte einbezogen. Seine Tätigkeiten reichen von der abermaligen Überarbeitung des Strafgesetzbuches, der Redaktion des späteren Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches bis zum Abfassen juristischer Gutachten und Kommentare. Die Erstellung eines Codex für die gesamte Staatsverwaltung, den er 1808 beginnt, kann er allerdings nicht mehr abschließen.

Das Ansehen und öffentliche Ehrungen bleiben dem betagten Professor erhalten. Er pflegt seine sozialen Beziehungen, so hat er etwa engen Kontakt zu Ludwig van Beethoven, der ihm 1802 seine Klaviersonate in D-Dur widmet. Für seine besonderen Verdienste erhält er 1804 das Kleinkreuz des St. Stephans-Ordens, Wien verleiht ihm 1806 das Bürgerrecht. 1810 wird Sonnenfels zum Präsidenten der k. k. Akademie der bildenden Künste ernannt. Kanzler Klemens Fürst Metternich, auf den diese Bestellung zurückgeht, lobt dabei Sonnenfels überschwänglich, aber nicht ohne spöttischen Unterton, als „würdigen Greis“. Tatsächlich wirkt der mittlerweile Achtzigjährige noch immer aktiv im Management der Akademie, organisiert sie um, macht Personalpolitik und gründet neue Institute.

Politisch hat er jedoch nichts mehr zu sagen. Er ist, obgleich noch immer geistig und publizistisch aktiv, wegen seiner Gebrechlichkeit an die Stube gefesselt, die er nur noch verlässt, um Feierlichkeiten in der Akademie beizuwohnen. Er wird immer verbitterter, und da er sonst kaum eine Gelegenheit hat, seinem Groll Luft zu machen, nutzt er die Anlässe in der Akademie, um sich seinen Pensionsschock und seine Enttäuschungen von der Seele zu reden. Er beurteilt scharfzüngig Tagesereignisse und ist verzweifelt darüber, dass im öffentlichen und politischen Leben Widerstand gegen falsche Regierungsentscheidungen nutzlos und unmöglich geworden ist.

Sonnenfels stirbt im Alter von 85 Jahren am 25. April 1817 in seinem Haus in der Wollzeile. Er wird im Stephansdom feierlich eingesegnet und auf dem Friedhof St. Marx beerdigt. Sein Grab aber erleidet dasselbe Schicksal wie jenes Mozarts: 1843 stellt der Registraturdirektor der vereinigten Hofkanzlei fest, dass dessen genaue Lage leider vergessen ist.

In seinem Testament schreibt Sonnenfels: „Ich besitze kein Vermögen, das ist bekannt; ich habe mich während meiner vieljährigen arbeitsamen Laufbahn nur bestrebt, meine Pflicht zu erfüllen, nicht Vermögen zu sammeln. Meine Gattin brachte mir dreitausend Gulden zur Mitgift, deren Empfang ich hiermit noch einmal bestätige; ich versprach selbe mit sechstausend Gulden zu widerlegen (…). Ich ersuche (sie), an das Armen-Institut fünfzig Gulden abzuführen. Ihrem wohlthätigen Herzen überlasse ich, mein Dienstvolk nach Verhältnis ihrer Dienstjahre und der dem Hause bezeugten Ergebenheit zu belohnen. Und nun, theuere Gefährtin meines Lebens, empfange die Versicherung, daß meine innigste Verehrung und Dankbarkeit für die Glückseligkeit von acht und vierzig Jahren mich hinaus über das Grab beglücken wird.“Der Erlös der Habseligkeiten des Hofrats beträgt letztlich nur 3.000 Gulden, daher belässt Kaiser Franz der Witwe die gesamte Besoldung als Pension.

Der Hofrat und Professor Joseph von Sonnenfels war Teil eines besonderen Beratungssystems. Maria Theresia und Joseph II., beide Vertreter des aufgeklärten Absolutismus, nahmen eine ganze Reihe solcher Ratgeber in Anspruch: Bartenstein, Zinzendorf, Kaunitz, Haugwitz, Daun, Laudon, van Swieten, Martini, Zeiller, Pergen, Keeß sind hier zu nennen, und die Liste ist keineswegs vollständig.

Das war keine individuelle Marotte dieser Herrscherpersönlichkeiten, sondern vielmehr der zunehmenden Komplexität des Gemeinwesens geschuldet, das effiziente Strukturen und professionelles Verwaltungspersonal erforderte. Die obersten Amtsträger mussten erfolgreich sein, die ererbte Gnade Gottes reichte nicht mehr aus, dauerhaft die Herrschaft einer Person oder Dynastie zu sichern. Um die Rolle des erfolgreichen Regenten erfüllen zu können, musste er sich gute Berater suchen, um alles zu wissen und alles zu können. Die Verwaltung sollte im Interesse der Effizienz und Nachhaltigkeit an Regeln gebunden werden, was eine präzise Formulierung rechtsstaatlicher Instrumente erforderte. Es sollten die Macht des Adels geschwächt und klugen Bürgerlichen Aufstiegsmöglichkeiten eröffnet werden. Bei der Rekrutierung der besten Leute waren die Habsburger nicht engstirnig und bewiesen eine gute Hand: Nicht wenige waren protestantischer oder jüdischer Herkunft, und es war daher mutig, ihnen in einem grundkatholischen Land Macht und Einfluss zuzuerkennen. Viele kamen aus dem „Ausland“, was ein aktives Bekenntnis zu einer modernen Integrationspolitik erforderte.

Die Beratung erfolgte von außen, also in beruflichen Stellungen jenseits des noch kleinen Ministerialapparats. Sie geschah in hohem Maß mithilfe von Briefen, Schriften, Büchern und öffentlichen Reden selbstbewusster Intellektueller. Nicht zufällig bezeichnet sich Sonnenfels selbst in erster Linie als „Schriftsteller“, als „Lehrer“. Und sie erfolgte im persönlichen Gespräch mit dem Monarchen, in einer Audienz. Dieser direkte Kontakt war den Regenten wichtig, sie wollten den Rat nicht durch „Kabinettschefs“ oder Mitarbeiter verzerren oder filtern lassen.

In diesem Kontext konnte jemand wie Sonnenfels wirksam sein, obwohl er „nur“ externer Experte war. Er hat Recht gelehrt, wissenschaftliche Grundlagenarbeit geleistet und nur fallweise auch die praktische Durchführung in die Hand genommen. Die Sprache war sein wichtigstes Werkzeug – brillante Vorträge, provokante Vorlesungen, machtvolle Prosa, feine Satire, polternde Moralsätze. Mut, Selbstsicherheit, mitunter Sturheit und glühende Überzeugungen halfen ihm, diese Mittel wirksam zu entfalten. Konsequent hat er seine Linien verfolgt, Ziele angesteuert und Einfluss ausgeübt. Er war streitbar und konfliktfreudig, hat Schimpf und Schmach öffentlich über sich ergehen lassen, aber auch mit schneidender und verletzender Feder zurückgeschlagen. Eine Beharrlichkeit ohnegleichen zeichnete ihn aus, wenn er gewissermaßen tropfenweise seine Neuerungen einbrachte und erklärte. Den Glauben an die Freiheit, an angeborene Menschenrechte, an Rationalität und Vernunft, an die Besserungsfähigkeit von Menschen, Staaten und der Verwaltung hat er nie aufgegeben.

3.
Schillernder Stratege
FRIEDRICH VON GENTZ

Berater von Klemens Wenzel Fürst von Metternich und Franz I. 1800–1830


Das ausgehende 18. Jahrhundert bringt eine lebhafte internationale – damals europaweite – Beschäftigung mit Staat, Herrschaft und Verwaltung. Aufklärerische Gedanken haben Konjunktur, auch außerhalb des revolutionären Frankreichs, es wird viel gelesen, geschrieben und diskutiert. Diese Debatten bewirken auch Veränderungen in den Verwaltungen und bringen es mit sich, dass die scharfen Geister und erfolgreichen Schreiber auch Zugang zu Funktionen in den Staatskanzleien finden. Der staatenüberschreitende Charakter dieser Entwicklung ermöglicht es Menschen, ihre Nationalität zu wechseln und Karrieren bei „fremden“ Regierungen zu machen. Reformorientierte Herrschende können so gutes Personal auch außerhalb der Landesgrenzen rekrutieren.

Ein Beispiel für alle drei Entwicklungen – das Engagement von Theoretikern in praktischen Staatsgeschäften, den Aufstieg aus dem Bürgertum in die regierende Klasse und den Wechsel des Vaterlandes – ist Friedrich von Gentz, der engste Mitarbeiter des einflussreichsten österreichischen Staatsmanns jener Zeit, Klemens Wenzel von Metternich.

Gentz wird am 2. Mai 1764 in Breslau geboren. Sein Vater ist hoher Münzbeamter, seine Mutter kommt aus einer hugenottischen Beamtenfamilie. Daher wächst der Knabe zweisprachig auf und verwendet zeit seines Lebens Deutsch wie Französisch als Muttersprachen. Er besucht das Gymnasium in Breslau und in Berlin und inskribiert danach an der Universität Königsberg. Dort lernt er Immanuel Kant kennen, ist von ihm fasziniert und gehört bald zum engsten Kreis seiner Schüler.

Aber langes Studieren liegt dem klugen und extrovertierten Burschen wohl nicht. Nach zwei Jahren hängt er sein Studium der Rechtswissenschaften unvollendet an den Nagel, lässt seine Liebschaften zurück und wird 1785 preußischer Hofbeamter in Berlin. In den Folgejahren macht er als Sekretär in diversen Ministerien allerdings nur mäßig Karriere und bringt es mit 30 mit Mühe gerade einmal zum „Kriegs- und Domänenrat“ mit zwölfhundert Talern Gehalt. Den obersten Vorgesetzten bis hin zum König wird er aber als Protokollführer und kluger Formulierer von Dossiers diverser Kommissionen bekannt. Für den brillanten Text zur Aufhebung des Tabakmonopols, die man ihm anvertraut hat, wird er sogar öffentlich gefeiert. Und so ist sein Einfluss im preußischen Staat bald größer, als es seinem Rang zukommt.

Friedrich von Gentz (1764–1832)

Er hat allerdings andere Interessen als das Amt. Privat ist er kein Kostverächter. Er frequentiert die Berliner literarischen Salons der romantischen Schriftstellerin Henriette Herz, wo er unter anderem die Brüder Humboldt kennenlernt; Wilhelm wird ihm ein enger Freund fürs Leben – und er berichtet uns von frühen Geliebten und aufgelösten Verlobungen. Später kommt Gentz in den Salon der emanzipierten Rahel Varnhagen, bei der Friedrich Schlegel, Heinrich Heine und Georg Wilhelm Friedrich Hegel verkehren. Das begeistert ihn weit mehr als das Büro. Er beginnt expeditiv zu schreiben und macht sich mit Zeitungsartikeln bald einen Namen.

 

Die Staatskanzlei am Ballhausplatz zur Zeit des Wiener Kongresses

In seinen ersten Schriften begrüßt er 1790 die Französische Revolution glühend. In seiner Abhandlung „Über den Ursprung und die obersten Prinzipien des Rechts“ lobt er die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte durch die französische Nationalversammlung. Doch wird seine Haltung zur Entwicklung in Frankreich – insbesondere unter dem Einfluss der Lektüre des Staatsphilosophen Edmund Burke – schon im Jahr darauf schrittweise distanzierter. Er beginnt die Idee einer auf Rationalität und Kontinuität basierenden Reformpolitik zu schätzen, die einer Revolution vorbeugen soll, solide Liberalität wird ihm wichtiger als schwärmerischer Aufbruch.

Gentz gründet 1791 mit dem Gelehrten Gottlob Nathanael Fischer in Berlin die „Deutsche Monatsschrift“ und publiziert darin 15 Jahre lang eine Fülle von Aufsätzen und Rezensionen, fertigt Übersetzungen an und veröffentlicht Monografien über politische Fragen. Allmählich wächst sein Ruf als sprühender politischer Journalist und Analyst weit über seine Heimat hinaus, als einer von wenigen deutschen Autoren wird er auch in England und Frankreich wahrgenommen. Als der Publizist 1793 mit der kommentierten Herausgabe von Edmund Burkes „Reflections on the Revolution in France“ seine nunmehr kritische Haltung gegenüber den Ereignissen in Frankreich zu Papier bringt, landet er einen ungeheuren Erfolg. Er verdient nun mit seinen Publikationen Geld und heiratet eine Beamtentochter – ohne aber sein Bohemien- und Literatenleben aufzugeben. Nächtelange Diskussionen, feuchtfröhliche Feste, Glücksspiel, Besuche zweifelhafter Etablissements und Liaisons mit Schauspielerinnen belasten aber Familienleben und Geldbörse des fesselnden Journalisten und streitbaren Konversationsstars.

Er wandelt sich nun mehr und mehr zu einem Konservativen, dessen Staatstheorie auf naturrechtlichen Überlegungen basiert. Einen frühen Artikel über Pressefreiheit hätte er später am liebsten ungeschrieben gemacht. Jetzt lehnt er Revolution, Gleichheit, Volkssouveränität und Grundrechte ab und bekennt sich zum System der Monarchie. Derartiges findet natürlich Zustimmung bei seinen Vorgesetzten im Amt, die ihm schon länger große Freiheit für seine Studien und Publikationen lassen. Ab 1795 legt er in Leipzig die „Neue Deutsche Monatsschrift“ auf, der aber schon kurz darauf der Konkurs droht. Doch schafft er einen Umschwung mit einem „Sendschreiben“ an den jungen Preußenkönig Friedrich Wilhelm III., in dem er ihm gleichzeitig huldigt und Ratschläge gibt. Der Brief findet in der Öffentlichkeit rasante Verbreitung und zeugt vor allem von der ungeheuren Präpotenz des kleinen Staatsbeamten Gentz. Er bettelt sogar um ein erbliches Lehensgut, bleibt jedoch damit erfolglos; erst 1799 erhält er für sein neu gegründetes „Historisches Journal“ namhafte staatliche finanzielle Unterstützung.

In einer Diskussion über Kants Schrift „Zum ewigen Frieden“ entwickelt er die Idee eines freien Bundes der Völker und einer Friedensverfassung von gleich starken Vertragspartnern. Dieser Gedanke beschäftigt ihn lebenslang und wird viele Jahre später prägend für den Geist des Wiener Kongresses werden. Er setzt sich auch intensiv mit den Ursachen und den typischen Phasen einer Revolution auseinander. Vor allem aber findet die Politik Napoleon Bonapartes sein Interesse. Dessen Kriegsmanie lässt aus dem ursprünglichen Pazifisten einen streitbaren Schreiber für den politischen und militärischen Kampf um die Wiederherstellung der (früheren) politischen Ordnung und des von Frankreich zerstörten Gleichgewichts der Mächte werden.

Doch mit dieser radikal antifranzösischen Ausrichtung, die sogar zum Krieg aufruft, verlässt Gentz die Regierungslinie Preußens, das zu dieser Zeit einen Ausgleich mit Napoleon sucht, weil es für eine militärische Auseinandersetzung zu schwach ist. Dass er sich auch noch positiv über Englands Frankreichpolitik äußert und die Unfähigkeit der preußischen Regierung sowie des anti-napoleonischen Militärbündnisses kritisiert, bewirkt ein Übriges. Als sein Protektor, Karl Georg Graf Hoym, als Minister abdanken muss, schlittert Gentz 1802 erneut in eine finanzielle Notlage. Das drohende Ausscheiden aus dem Staatsdienst macht den Publizisten nicht zuletzt für seine englischen Verleger uninteressant. Gentz ist gezwungen, möglichst rasch ein adäquates Amt zu finden.

Versuche, definitiv in Weimar oder in England angestellt zu werden, gehen schief. Aber in Dresden lernt er den österreichischen Botschafter Klemens Wenzel von Metternich kennen und kann die Österreicher auf seine journalistischen Fähigkeiten aufmerksam machen. Deren Gesandter in Berlin, Johann Philipp Graf Stadion, schlägt die Aufnahme des belesenen, wortgewandten und prominenten politischen Schriftstellers in österreichische Dienste vor. Im September 1802 holt Außenminister Johann Ludwig Graf Cobenzl den Achtunddreißigjährigen nach Wien.

Der etwas steife Kaiser Franz ist zwar von der „geschnauften, geschwollenen Rederei“ des Neuen bei dessen erster Audienz nicht angetan, dennoch genehmigt er die Personalie im zweiten Anlauf. Friedrich Gentz wird aufgrund seiner internationalen Reputation als „Schriftsteller“ zum Kaiserlichen Rat ernannt. Verbunden damit sind 4.000 Gulden Salär, nicht aber ein konkretes Amt oder eine Einstufung in die Hierarchie. Vorerst stellt man ihn bloß an, um Artikel zu schreiben und allenfalls auch in internationalen Fragen zu beraten. Minister Cobenzl zumindest ist davon überzeugt, einen guten Fang gemacht zu haben: „Gentz ist die beste Feder Deutschlands. Wenn er inmitten von Berlin antirevolutionär und antipreußisch sein konnte, wie wird er erst sein, wenn wir ihn besolden.“

Klemens Wenzel Fürst von Metternich (1773–1859)

Der nunmehrige Regierungsexperte reist sofort über Dresden, wo er abermals Metternich und dessen Maitresse Katharina Bagration, trifft, nach Berlin, erwirkt seine endgültige Entlassung aus dem Dienst Preußens und reist weiter nach England. Preußens Minister kommentiert zynisch, man sei nun mit Österreich quitt: „Wir haben ihnen Schlesien genommen, wir geben ihnen Gentz dafür.“ In England hingegen wird der Kaiserliche Rat von der Presse bejubelt und hat sogar eine Audienz beim Königspaar. Er sichert sich wieder eine Besoldung und kehrt mit geheimen Dokumenten nach Wien zurück, entschlossen, weiterhin beherzt gegen Napoleon, für England und für eine neue europäische Politik auf Grundlage einer „Balance of Power“ zu schreiben.

Österreich und sein Kaiser Franz zeigen sich dankbar für die strategische Propaganda des neuen Stars der Diplomatie. Regierungsoffiziell wird seine Feder jedoch nicht benötigt, man ist in jenen Tagen eher auf Entspannung mit Frankreich aus. Gentz muss sich also darauf beschränken, viel zu lesen und mit England zu korrespondieren. Schlecht geht es ihm nicht, denn er schreibt an seine Freundin Pauline Wiesel nach Berlin: „Geld habe ich hier genug und Freuden aller Art.“ Als er spürt, dass Kanzler Cobenzl Schwächen zeigt, beteiligt er sich an einer Intrige gegen ihn, was ihn fast den Ratsposten kostet. Fortan hält er sich immer mehr an den aufsteigenden Stern Metternich und versucht gleichzeitig Erzherzog Johann, den Exponenten des Fortschritts am Hof, von sich zu überzeugen.

Schweden verleiht ihm 1804 die Ritterklasse des schwedischen Nordsternordens – allerdings ist das bloß ein Ehrentitel und kein „echtes“ Adelsprädikat, worunter er zeit seines Lebens erkennbar leidet. Aber immerhin kann er sich fortan „Chevalier de Gentz“ nennen, was er auch mit großer Betonung und gerne tut.

Furios schreibt er wieder gegen Napoleon, als sich dieser zum Kaiser krönt, und bewirkt damit sogar bei Cobenzl eine Annäherung Österreichs an England und Preußen, um eine antifranzösische Koalition zu bilden. Im September 1805 zieht das kaiserliche Heer, unterstützt von England und Russland, erneut gegen die Franzosen, was Gentz mit Cobenzl vollends wieder versöhnt. Der Kaiserliche Rat wird das Zentrum einer besonders radikalen anti-napoleonischen Agitation, die er 1806 in den „Fragmenten aus der neuesten Geschichte des politischen Gleichgewichts in Europa“ ausbreitet.