Pflanzenalchemie - Ein praktisches Handbuch - eBook

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4Vgl. E. J. Holmyard: Alchemy, S. 26, und M. Berthelot: Collection des Anciens Alchimistes Grecs.

5In seinem 1530 verfassten Buch »Paragranum« nannte Paracelsus vier Säulen, auf denen die Medizin beruhen sollte: »Den Grund, auf den ich baue und aus dem meine Schriften hervorgehen, setze ich auf vier Säulen, nämlich die Philosophie, die Astrologie, die Alchemie und die Tugend.« Unter Philosophie verstand er die Liebe zur Schöpfung, die Kenntnis von den Signaturen und den unsichtbaren, geistigen Kräften, die das Leben und die besonderen Eigenschaften bewirken. Diese Urkraft ist nach hermetischer Vorstellung die göttliche Trinität, die als unsichtbare Quintessenz die »vier Mütter des Lebens«, die Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft, beseelt. Die Astrologie beschreibt die Wirkung dieser unsichtbaren Kräfte in der sichtbaren Welt durch das Wirken der Planetenintelligenzien. Hierdurch ergeben sich die Korrespondenzen zwischen Kosmos, Natur und Mensch. Die Alchemie verbindet diese zwei Säulen, indem man durch spagyrische Verfahren das Geistartige in den Substanzen heilend zur Wirkung bringen kann. Doch Paracelsus nannte noch eine Säule der Medizin, dies ist die »Virtus« oder die Tugend des Heilers, ohne die alles andere auf Sand gebaut wäre. (Anm. d. Hrsg.)

6Felix Mann: Acupuncture. The Ancient Chinese Art of Healing and How its Works Scientifically, New York 1962.

7Ṛg Veda 1, 164.39.

8Vgl. Ch. G. Thakkur: Ayurveda. Die indische Heil- und Lebenskunst, Freiburg 1977, S. 224ff.

9Bibliothèque de l’Arsenal, Paris, Ms. 974.

10F. Hoyle: Frontiers of Astronomy, London 1970, S. 304.

11M. Capek: The Philosophical Impact of Contemporary Physics, Princeton 1961, S. 319.

12F. Capra: The Tao of Physics, London 1978, S. 318.

13Lateinisch transmutatio, »Verwandlung«. Paracelsus bezeichnete den Stoffwechsel als »innere Alchemie«. (Anm. d. Hrsg.)

14Inzwischen hat sich diese Prognose erfüllt. Ayurvedische Medizin wird an mehreren indischen Universitäten gelehrt. Die Gujarat Ayurved University widmet ihr gesamtes Lehrprogramm ausschließlich diesem Fach. Daneben bestehen viele eigene ayurvedische Colleges und Institute.

15Spagyrische Arzneimittellehre, Staufen Pharma, Göppingen 1953, S. 112.

16Paavo Airola: How to Get Well, Phoenix, Arizona 1974, S. 140.

17Um die Kieselsäure zu lösen, muss man Schachtelhalm mindestens 20 Minuten kochen. (Anm. d. Hrsg.)

18Louis Kervran: Biological Transmutations, Brooklyn, N. Y. 1972, S. 46.

19Leider wurde Staufen-Pharma Ende 2015 aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen. Erfreulich ist, dass die Herstellung der spagyrischen Heilmittel nach Zimpel und wohl auch einiger Spezialitäten von Müller Göppingen von anderen Firmen weitergeführt wird. Die anderen Präparate, vor allem homöopathische Einzelmittel und Nosoden, kann man weitgehend über die österreichische Firma Spagyra beziehen. Firmen die in der Tradition von Zimpel arbeiten sind z. B. Aurora Pharma (Schweiz), Phylak (Deutschland), Spagyra (Österreich), Spagyros (Schweiz) oder Spagyrik-Pharma (Österreich). (Anm. d. Hrsg.)

20Einer seiner Schüler, Josef Lüthi (1935–2004), gründete die Schweizer Firma Aurora Pharma, die bis heute Produkte nach den Vorstellungen von Frater Albertus herstellt. (Anm. d. Hrsg.)

21Manfred Junius war einer der Firmengründer. Die Firma existiert noch heute und stellt die Originalrezepturen nach Junius her. Siehe www.australerba.com.au. (Anm. d. Hrsg.)

22Alles Existierende hat also seinen Ursprung in der göttlichen Trinität, während die spezifischen Formen und Eigenschaften durch die Elemente und Gestirne vermittelt werden. (Anm. d. Hrsg.)

23Alles kann auf seinen geistigen Ursprung zurückgeführt werden. Prima Materia bezeichnet die »dunkle« Urmaterie, aus dem das eigentlich Stoffliche entstanden ist. »Ultima Materia« ist ein Synonym für den Stein der Weisen. (Anm. d. Hrsg.)

24Die Beziehung zwischen Alchemie und Musik ist sehr eng. Viele Meister der Alchemie waren zugleich Musiker. Al Razi z. B. ist zugleich Autor einer Enzyklopädie der Musik, wenigstens wird ihm diese zugeschrieben. Die klassische indische Musik ist geradezu eine musikalische Alchemie, die auf Verwandlung des Bewusstseins des Hörers zielt. (»Ein Raga ist das, was den Geist färbt«, sagt ein immer wieder zitierter Spruch.) Der ganze Aufbau eines Ragas im Konzert vollzieht sich nach dem Grundsatz »Solve et coagula«. Der Raum der Oktave, in welcher der Raga verankert ist, wird in zwei Teile gespalten, Sthayi und Antara genannt. Diese werden in der Introduktion (Ālāpa) einzeln entwickelt. Der nachfolgende Sanchari (Herumwandern) fügt die durch das Solve gespaltenen und einzeln ausgearbeiteten Teile dann zusammen. Der Alapa ist weitgehend analytisch, einzelne Bestandteile werden nacheinander vorgeführt, um sie später wieder in das Ganze einzufügen. Die auf die Introduktion folgende Komposition (Bandish oder Gat) bringt das ganze Material dann in eine feste Form und kann mit der alchemischen Figierung verglichen werden. In ihrer Struktur vollzieht sich noch einmal kurz das »Solve«, um dann erneut zu einer Verschmelzung zu führen, die schließlich in einer lebhaften, sich daraus entwickelnden improvisorischen Ausschmückung gipfelt.

Die philosophischen Grundlagen der Alchemie

Die drei philosophischen Prinzipien, die vier Elemente und die Quintessenz

Die gesamte Manifestation der Materie wird nach alchemistischer Auffassung aufrechterhalten durch das Zusammenwirken von drei »philosophischen Prinzipien«, die auch als die »drei Essentialen« oder die »drei Substanzen« bezeichnet werden.25 Der verschieden große Anteil der drei Substanzen in den unzähligen Darstellungsformen der Materie ist für deren Vielfalt verantwortlich. Die verschiedenen materiell vorhandenen Dinge werden daher manchmal auch als »Mixta« (Gemische) bezeichnet. Ein Metall zum Beispiel ist ein »Mixtum«, ebenso eine Pflanze. Auf diese Weise liegen jedem chemischen (nicht alchemischen) Element bestimmte Proportionsverhältnisse der drei Substanzen bzw. »philosophischen Prinzipien« oder »Essentialen« zugrunde.

Die drei philosophischen Prinzipien bilden eine Einheit in der Dreiheit, obgleich sie voneinander verschieden sind.

In der alchemistischen Terminologie werden diese Prinzipien bezeichnet als Sulphur oder Schwefel; Mercurius, Merkur oder Quecksilber; und Sal oder Salz. Diese Bezeichnungen sind nicht zu verwechseln mit deren üblicher Bedeutung in der Sprache der Chemie. Der alchemische Sulphur ist nicht das chemische Element Schwefel (S), ebenso darf das alchemische Quecksilber (Merkur) nicht als das Metall Quecksilber (Hg) angesehen werden. Es handelt sich überhaupt nicht um ein Metall, denn die Metalle sind selbst aus den drei philosophischen Prinzipien zusammengesetzt. Wenn Alchemisten von Schwefel und Quecksilber in den Metallen sprechen, so bedeutet das also nicht etwa, dass Metalle als Quecksilbersulfate angesehen werden.

In der alchemischen Terminologie bedeutet:

Merkur (Quecksilber): das Lebensprinzip bzw. die Lebenskraft, der Geist (im Sinne von »Lebensgeist«), Lebenswasser, ferner das Flüchtige, das Ätherische. In der indischen Überlieferung wird Merkur auch als Prāṇa bezeichnet. Merkur ist anonym und nicht bewusst. Er stellt das weibliche oder passive Prinzip dar.

Sulphur (Schwefel): die Seele, das Bewusstsein, als Atman oder Atma in der indischen Überlieferung bezeichnet, und zwar im Sinne von Jīvātman, das heißt individueller Seele (auch als zentraler Punkt des Bewusstseins bezeichnet), wie manchmal auch im Sinne des universellen Sulphurs, das heißt der »Weltseele« (Paramātman). Sulphur ist stets bewusst und nie anonym. In der indischen Sāṁkhya-Philosophie wird das Wort Prāṇa auch im Sinne von Seele gebraucht, aber das ist eine Besonderheit dieses philosophischen Systems. Weiterhin ist Sulphur das Feurige, Leuchtende, Brennende, das männliche oder aktive Prinzip.

Sal (Salz): das Feste, der Körper, die Materie im eigentlichen Sinne.

Aus dem eben Gesagten ist erkennbar, dass man die Bezeichnungen »Geist« und »Seele« hier in einem anderen Sinne gebraucht als zum Beispiel in der anthroposophischen Formulierung, wo der Geist das Bewusstsein bildet und die Seele als zwischen Geist und Körper lebend und vermittelnd betrachtet wird. Es handelt sich hier um einen Unterschied des Sprachgebrauchs und nicht unbedingt um ein weltanschauliches Problem. Die Bezeichnung »Lebensgeist« ist vielen in westlichen okkulten Überlieferungen geschulten Lesern durchaus ein vertrauter Begriff.

Der Geist (Merkur) im alchemistischen Sinne ist weiblich, anschmiegsam und formbar, kann aber auch korrosiv wirken. Arabische Kosmologen gebrauchen den Ausdruck Rûh (hebräisch: Ruah), was auch die Bewegung der Luft oder den lebendigen Atem (Sanskrit: Prāṇa) bedeutet. Das Wort ist verwandt mit dem arabischen Wort Rîḥ (Wind). Lebewesen atmen die Lebenskraft mit der Luft ein, damit sie die subtileren Körper bzw. Organe ernähren kann, daher die als Prāṇayāma bekannten indischen Atemtechniken.

Nach dem arabischen Philosophen und Arzt Averroes ist die Vitalkraft als eine Substanz im interstellaren Raum anwesend. Durch Atemprozesse kann sie assimiliert werden, um dann im Herzen in Leben verwandelt zu werden. Dies erinnert an die Vorstellung des Äthers im Weltenraum, in der indischen Überlieferung als Ākāśa (Raum oder Äther) bezeichnet.

Nach der chinesischen Auffassung wird Lebenskraft in viele weitere einzelne Lebenskräfte differenziert, die als verschiedene Formen von Chi bezeichnet werden. Diese wandeln sich ständig um, verbinden sich neu, streben zueinander und wieder auseinander und durchströmen in verschiedenen Formen die Organismen. Chi ist elastisch, formbar, anpassungsfähig. Durch das Atmen mischt sich nach chinesischer Auffassung die kosmische Energie mit den Energien, die der Lunge von der Milz her zugeführt werden. Diese zusammengesetzte Energie strömt dann in dem als »Lunge 1«26 bekannten Punkt (Chungfu) in das Meridiansystem ein.

 

Im Körper ist das Merkur-Prinzip besonders stark im Blut und im Samen wie auch im Atem und im Herzen wirksam. In der indischen Alchemie wird der Merkur auch als der Same des Gottes Shiva bezeichnet. Shiva, Gott als Schöpfer, Verwandler und Zerstörer, damit wieder Neues geschaffen werden kann, ist der Herr der Alchemie und Verursacher aller Transmutationen.

Der Sulphur, der Schwefel oder die Seele, ist das männliche Prinzip. Wird der Merkur auch gelegentlich als Mond, das Mondhafte oder Diana bezeichnet, so ist der Schwefel die Sonne, das Sonnenhafte, Apollo, die Urpotenz, das formgebende Prinzip, das Aktive, das Prinzip des »unsichtbaren Feuers« und auch der Liebe.

Betrachten wir nun einen Stich aus dem »Viridarium Chymicum«:


Der alchemistische Kosmos mit seinen Elementen, Planeten und Prozessen. (»Viridarium Chymicum«, Ausgabe Frankfurt 1624)

Das auf der Spitze stehende Dreieck stellt die drei philosophischen Prinzipien dar.

Rechts oben sehen wir die Inschrift »Spiritus«. Hier ist das Flüchtige (der die Schwingen öffnende Vogel). Wir erkennen auch den Mond, das weibliche Prinzip. Diese Ecke stellt den Merkur dar. Links oben erkennen wir die Inschrift »Anima«; wir sehen ebenfalls die Sonne, das männliche Prinzip, und einen Salamander, Symbol des Feurigen. Diese Ecke stellt den Sulphur dar. Sulphur und Merkur zusammen bilden das Gesetz der Polarität. In der unteren Spitze des Dreiecks sehen wir einen Würfel, das Symbol der Materie27, der von Sternen umgeben ist. Die Sterne sind die gigantischen Laboratorien, in denen die Materie ausgearbeitet wird. Der Würfel bedeutet alles Körperliche und Materielle schlechthin. Da die Materie auf dem Zusammenwirken polarisierter Kräfte beruht, ist sie neutral. Diese untere Ecke des Dreiecks stellt das Sal (Salz) dar.

In der rechten Hand des Alten auf der Sulphur-Seite sehen wir eine Fackel, die Feuer, Licht und Wärme symbolisiert. In der Linken hält der Alte eine Fischblase, Symbol des Schwebenden, Flüchtigen wie auch des Luftigen und des Luftdrucks. (Es handelt sich nicht etwa um eine Geldbörse, wie manchmal behauptet wird.) Der rechte Fuß des Alten steht auf der festen Erde, der linke im Wasser.28 Auf der Sulphur-Seite sehen wir einen König mit einer Sonnenaura, der auf einem Löwen sitzt, Tierkreiszeichen der Sonne, und weiter unten sehen einen feuerspeienden Drachen. Auf der Merkurseite sehen wir Diana mit der auf ihrem Kopf ruhenden Mondsichel und dem Jagdbogen, die Göttin reitet auf einem Seeungeheuer.

Das Salz unten in der Mitte entsteht aus dem Zusammenwirken der beiden Prinzipien Schwefel und Quecksilber.29 Alle Dinge und Wesen im Universum enthalten die drei philosophischen Prinzipien, sie sind die drei notwendigen »Substanzen«, die die materielle Verdichtung überhaupt erst möglich machen.

In modernerer Sicht können wir das Salz auch als Massenteilchen bezeichnen, Merkur oder Quecksilber entspricht der Wellenbewegung, während Sulphur oder Schwefel das Lichtquantum darstellt. Eine ebenfalls akzeptable Analogie würde die Entsprechung von Proton (Sulphur), Elektron (Merkur) und Neutron (Salz) darstellen. Alexander von Bernus bezeichnet in seinem Werk »Alchymie und Heilkunst« die negative Elektrizität, die als chemischer Körper atomistisch gegliedert ist, als den »Urstoff«.30

In seinem berühmten Buch der hieroglyphischen Figuren31 bezeichnet Nicolas Flamel die Beziehung zwischen Sulphur und Merkur folgendermaßen: »… diese sind zwei Schlangen, die um den Caduceus oder Merkurstab befestigt sind, durch welchen Merkur seine große Kraft bezieht und sich nach Wunsch verwandelt …«

Das Symbol des Schlangenstabes erscheint in vielen Überlieferungen, zum Beispiel als der Stab des Moses, als Äskulapstab, als die Wirbelsäule, umwunden von den beiden Kraftstromkanälen Iḍā und Piṇgalā in Yogadarstellungen oder als Skulptur oder malerische Darstellung in der indischen Kunst.

Die Nāḍīs (von der Wurzel nad, Bewegung) sind subtile Kanäle, durch welche die Lebensenergien strömen. Die gröberen Kanäle sind Nerven, Venen und Arterien, die auch der westlichen Medizin bekannt sind. Die subtileren Gefäße, durch welche die Prāṇa-Energie fließt, wie die Meridiane der chinesischen Medizin, haben dagegen bisher keine genaue Entsprechung in der modernen Medizin. Die in der Abbildung rechts oben dargestellten Nāḍīs mit den Kraftzentren (Chakras) im zentralen Kanal werden als die wichtigsten Nāḍīs betrachtet; sie werden als Iḍā, Piṅgalā und Śuṣuṁnā bezeichnet. Hier eine Übersicht dieser Hauptnāḍīs:

Die drei wichtigsten Yoga-Nāḍīs: der Energiekörper des Menschen im Ayurveda.



Der Merkurstab oder Caduceus nach einer Zeichnung von Hans Holbein dem Jüngeren. Das Bild diente dem Verleger der Werke des Paracelsus, Johann Froben (1460–1527), auch als Vorlage für sein Druckerzeichen. Die beiden Schlangen überkreuzen sich viermal (vier Elemente) und bilden dabei drei Bereiche (Trinität); an fünfter Stelle, im oberen Bereich, befindet sich die Taube (Quintessenz) zwischen den Schlangenköpfen. Die Schlangen verkörpern einerseits das duale Grundprinzip (Sonne und Mond), welches das Dritte hervorbringt, aber auch die Idee, dass alles Gift und Arznei zugleich ist, je nach Dosis und Aggregatszustand.


Iḍā = rechtes GehirnŚuṣuṁnā = linkes GehirnPiṅgalā
WesenMondenhaft «Verkörperung des Nektars»FeuerhaftSonnenhaft
TemperaturKühlendErhitzend
FarbeBlassFeurig rotFeurig rot
GeschlechtWeißlich (Sakti-Rupa)Männlich (Rudra-Rupa)
LaufVom rechten Hoden zur linken NasenöffnungIm Innersten der WirbelsäuleVom linken Hoden zur rechten Nasenöffnung
Zugeordneter FlussMondenhaft «Verkörperung des Nektars»Mondenhaft «Verkörperung des Nektars»Mondenhaft «Verkörperung des Nektars»

Der Śuṣuṁnā-Kanal vereinigt in sich das Mondenhafte, das Sonnenhafte und das Feurige. Innerhalb des Śuṣuṁnā-Kanals befindet sich die leuchtende Vajrā-Nāḍī (auch Vajriṇī-Nāḍī genannt), und innerhalb von dieser läuft die blassfarbene Citrā oder Citriṇī-Nāḍī, ein mondenhafter Kanal, dessen Inneres auch Brahma-Nāḍī genannt wird.

Auf einer Rajasthani Miniaturmalerei des 18. Jahrhunderts sehen wir auf einem Altar das Lingam, das Zeugungsorgan des Gottes Shiva; zu beiden Seiten befinden sich die Schlangen, welche die Nāḍīs Iḍā und Piṅgalā symbolisieren. Die größere, vielköpfige Schlange kann als die Kundalinī (wörtlich »die Zusammengerollte«, das heißt die Schlangenkraft) erkannt werden, die nach ihrer Erweckung in der Wirbelsäule aufsteigt und nacheinander die Chakras (siehe Abbildung Seite 45 oben) erweckt. Wenn sie das höchste Chakra erreicht, entfaltet der Yogi zugleich die höchste Bewusstseinsstufe. Der Altar symbolisiert die Yoni, das weibliche Geschlechtsorgan. Der Dreizack mit dem Wimpel ist ein weiteres Symbol Shivas. Wir erkennen auch noch eine Glocke und verschiedene Pflanzen, darunter rechts unten die Tulsi-Pflanze (Ocimum sanctum), eine Basilikumart, die in Indien besonders hoch geschätzt wird. Den Rahmen der Darstellungen bilden Quadrate von vier alchemischen Farben: Schwarz, Weiß, Rot und Gold, die Stadien des Großen Werkes entsprechen (Nigredo, Albedo, Rubedo und Projektion).

Zusammenfassend können wir sagen, dass wir im Universum überall drei Formen der Manifestation zugleich beobachten:

1. Die winzigen Bausteine der Atome, welche die Materie bilden, das Prinzip Sal.

2. Das Lebensprinzip, Prāṇa, das sich in einer Unzahl von Formen zu verwirklichen sucht, von den einfachsten Molekülen bis zu den kompliziertesten Strukturen; wir erkennen darin das Merkur Prinzip.

3. Das Bewusstsein, die Intelligenz, das alles Lebendige leitet und formt; das ist die Seele, Jīvātman oder Átman, das Prinzip Schwefel.

In der Alchemie werden für die Trinität folgende Symbole benutzt:


Mercurius als Hirsch und Sulphur als Einhorn begegnen sich im Wald (Salz). (Aus »De lapide philosophoric«, Lamsprinck 1625)


Heiliges Basilikum oder Tulsi (Ocimum sanctum) wird zur Anregung der Kundalini-Energie getrunken und geräuchert. (Foto Olaf Rippe)

Die drei philosophischen Prinzipien sind unseren Sinnen zugänglich in Form von Materie, die sich in den Zustandsformen fest, flüssig, gasförmig, strahlend oder ätherisch zeigt. Diese Erscheinungsformen werden als die vier Elemente betrachtet und als Erde, Wasser, Luft und Feuer bezeichnet, mit den Eigenschaften kalt, feucht, trocken und heiß.


Aufgrund ihrer Doppeleigenschaften können sich die Elemente teilen und miteinander mischen. Zwei Elemente haben jeweils eine Eigenschaft gemeinsam, und jedes Element enthält in sich auch etwas von den übrigen drei. Feuer aus dem Wasserelement wäre zum Beispiel die Darstellung von Knallgas durch Trennung von Wasserstoff und Sauerstoff mithilfe der Elektrizität.

Die Elemente der Alchemie sind demnach keine Grundstoffe im Sinne der Chemie, sondern offenbaren sich als Zustandsformen der Materie. Sie werden durch folgende Symbole dargestellt:


Zusammen bilden sie das Symbol ✡, auch als Salomos Siegel oder Davidstern bekannt.32

Das Element Feuer ist charakterisiert durch Aussendung von Licht und/oder Wärme, das Element Wasser ist der flüssige Zustand, das Element Luft ist gasförmig und flüchtig, und das Element Erde ist die konkrete, feste Beschaffenheit der Materie.

In der praktischen Laboralchemie werden je nach Art der jeweiligen Arbeit verschiedene Substanzen als die Elemente bezeichnet. Im »Opus Vini«, dem Werk mit dem Wein, zum Beispiel gilt der Alkohol als die Luft (da er flüchtig ist), das nach dessen Abdestillation verbleibende Phlegma als das Wasser, der nach der folgenden Abdestillation des Phlegmas verbleibende feste Rückstand ist die Erde, und die leuchtende Farbe des Weines, die durch besondere Handgriffe ausgezogen wird, ist das Feuer. Es kommt bei der Trennung der Elemente, die nie ganz vollständig vollzogen werden kann, stets darauf an zu erkennen, welche Substanzen als die Elemente angesehen werden. Die entsprechenden alchemistischen Texte machen das jeweils deutlich.

Wir können noch weiter über die Bedeutung der Elemente reflektieren.

 

Das Feuer bedeutet: Wärme, Ausdehnung, das Aktive, weiterhin das Schöpferische, das Reine, das Subtile, das Edle, das Tugendhafte, das Männliche, die Potenz, die Kraft, der Wille, die Großzügigkeit, der Altruismus, die Intuition.

Die Luft, welche dichter ist als das Feuer, aus dem sie präzipitiert, ist Vermittlerin zwischen dem Feuer und dem Wasser. Sie ist auch »Trägerin des Samens« und bedeutet im weiteren Sinne Weisheit, Klarheit, Sauberkeit, Intellekt, Vernunft, die Fähigkeit der Mitteilung und die Ausdehnung der Wesen.

Das Wasser ist das Ergebnis der Koagulation des Feuers und der Luft. Der Dampf verdichtet sich und wird zu Wasser. Das Wasser ist magnetisch und wird als Universalmenstruum bezeichnet, auch als »Mutter der Dinge«. Es ist entweder verdichtete Luft oder flüssige Erde; sein Charakter ist kalt und zusammenziehend. Es bedeutet im weiteren Sinne das Passive, das Absorbierende, das Durchdringende, das Leben, die Gefühle, die Liebe zur Natur und zur großen Familie. Es wirkt vermittelnd zwischen der Luft und der Erde.

Die Erde ist fest und trägt in besonders deutlicher Weise die anderen drei Elemente in sich. Wir finden darin das koagulierte Feuer, das koagulierte Wasser, die Luft und den verdichteten Dampf. Sie ist die »Mutter der Metalle«, der Mineralien, der Pflanzen und Tiere, daher wird sie auch als die »Große Schatzhalterin« bezeichnet. Sie ist die Mutter aller materiellen Dinge, die durch die Evolution das ewige Leben erreichen sollen, und durch die Unvollkommenheit der Dinge bringt sie die Erkenntnis dessen, was zur Vollendung noch fehlt.

Der Alchemist Johannes Isaac Hollandus33 unterscheidet zwischen den beiden offenbaren Elementen Wasser und Erde und den beiden influierenden Elementen Luft und Feuer. Die Letzteren verbergen sich in den Erstgenannten, die Luft im Wasser und das Feuer in der Erde. Wasser und Erde sind fixe Elemente, beide werden durch auf der Spitze stehende (absteigende) Dreiecke dargestellt; Feuer und Luft sind flüchtig, sie werden durch nach oben weisende Dreiecke dargestellt. Auf dem auf Seite 43 besprochenen Stich sehen wir unten die fixen Elemente und oben die flüchtigen. Die übrigen Einzelheiten des Bildes beziehen sich weniger auf die Alchemie im Pflanzenreich, die auch als das »Kleine Werk« bezeichnet wird, als eher auf das »Große Werk«, die Arbeit mit Metallen und Mineralien, mit dem wir uns hier nicht beschäftigen wollen.

Der berühmte Bamberger Reiter aus dem 13. Jahrhundert ist eine Allegorie auf die vier Elemente und die Quintessenz: Der unbehauene Stein stellt das Element Erde und das Mineralreich dar, der Grüne Mann verkörpert das Wasser und die Pflanzenwelt, das Pferd steht für das Element Luft und die Tierwelt, der Reiter symbolisiert das Feuer und den Menschen. Die Quintessenz bildet als Kirche die Krone über dem Haupt des Menschen.

Rechts die beseelte Natur als Grüner Mann am Sockel des Bamberger Reiters. (Fotos Olaf Rippe)

Die Quintessenz ist als fünftes Wesen innerhalb der vier Elemente allgegenwärtig, ist jedoch keines der vier Elemente. Die Quinta Essentia wird als die ganze Schöpfung durchdringend angesehen. In gewissem Sinne kann sie mit dem Äther oder dem Raum (Ākāśa) der indischen Überlieferung verglichen werden. »Sie macht alles, und ohne sie kann nichts gemacht werden«, sagt Raimundus Lullus34. Sie ist die alles verbindende Kraft, der Grund, ohne welchen die Elemente tote Materie wären. Sie ist der geistige Kern aller Dinge und nach Paracelsus der Extrakt der Elemente, ihr unverderbliches ewiges Substratum. Als solches ist sie zugleich Ursprung und Ziel aller Evolution. Die Quinta Essentia ist die zusammenhaltende Kraft aller lebenden Wesen und aller existierenden Dinge. Sie wird auch bezeichnet als Mutter, Himmlisches Wasser, Universalgeist, Mercurius, Erdmutter, Mutter der Wässer, Nie versagende Quelle, Ozean, Coelum, Substantia Coelestis, Spiritus Coelestis, Radix Substantialis, Seminarium Mundi, Himmlisches Menstruum, Clavis Philosophorum.

Das Freilegen der Quinta Essentia bzw. dessen, was jeweils als ihr Hauptträger angesehen wird, ist für viele spagyrische Aufbereitungen charakteristisch. Auf diese Weise werden manche Magisterien auch als »Die Quintessenz aus dem Wein« oder »Die Quintessenz aus dem Honig« bezeichnet.

In der Labor-Alchemie werden oft verschiedene Substanzen als Quinta Essentia bezeichnet, und ein oft gehörter Lehrsatz besagt, dass sie keines der vier Elemente ist, sondern sich als eins der drei philosophischen Prinzipien herausstellt. Insofern wird die Bezeichnung Quinta Essentia auch für bestimmte Substanzen wie zum Beispiel Weingeist oder auch für die später zu besprechenden Pflanzensteine gebraucht.

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal das Gesamtschema.

1. Ein Göttliches Prinzip, das sich als Vereinigung der Prima Materia (ursprüngliche Materie) und der Prima Energia (ursprüngliche Energie) offenbart. Die beiden Prinzipien stellen eine Wirklichkeit dar und bilden die Grundlage der Schöpfung. (Siehe das Bildnis Shivas, Seite 58.) Dieser erste Teil des Schemas wird in der Alchemie auch gelegentlich einfach als Prima Materia bezeichnet.

2. Die Polarität oder Zweiheit: die Prinzipien Sulphur und Merkur als Gegensätze. Weiterhin auch der Gegensatz zwischen dem Fixen und dem Flüchtigen, das »Solve« und das »Coagula«, Sonne und Mond, Yang und Yin usw. (Siehe auch Abbildung Seite 53, Hermes Trismegistos mit den beiden Prinzipien und dem Feuer. »Die Sonne ist sein Vater, der Mond seine Mutter … « sagt die Smaragdtafel.)


Jesus als Quintessenz inmitten der vier Elemente. (»De proprietatibus rerum«, 15. Jahrhundert)

Die Smaragdtafel des Hermes Trismegistos

Die »Tabula Smaragdina« (Smaragdtafel) ist nach alchemistischer Auffassung das Testament des Hermes Trismegistos. Er soll als Eingeweihter im alten Ägypten gelebt haben. Ob dies stimmt oder es sich um einen Titel, ähnlich wie Merlin oder Weleda, oder um eine symbolische Figur handelt, ist in der Alchemie nebensächlich – wesentlich ist der zeitlose Inhalt des Textes. Die Schriften sollen angeblich in der Cheopspyramide gefunden worden sein. Der Text gilt als eines der grundlegenden hermetischen Glaubensbekenntnisse. (Anm. d. Hrsg.)

Der Text lautet in der Übersetzung:

»Wahr ist und ohne Lüge gewiss und zuhöchst wahrhaftig, dass das Untere ist gleich dem Oberen, und das, was oben ist, ist gleich dem Unteren, zu vollbringen die Wunder eines einzigen [oder einigen] Dinges. Und so wie alle Dinge aus diesem entstanden sind durch das schöpferische Sein dieses Einen, so werden auch alle Dinge aus diesem einen Wesen nach Anordnung der Natur geboren.

Sein Vater ist die Sonne, der Mond seine Mutter, und der Wind trägt es in seinem Leibe aus. Die Erde nährt es. Dies ist die Kraft der ganzen Welt. Ohne Grenze ist seine Kraft, wenn sie sich der Erde zuwendet.

Trenne die Erde vom Feuer, das Feine vom Groben, sanft und voll Sorgfalt. Von der Erde steigt es zum Himmel empor und steigt wieder herab zur Erde, um die Kraft des Oberen und des Unteren in sich aufzunehmen. So wirst du den Ruhm der ganzen Welt erlangen, alle Dunkelheit wird von dir weichen.

Hier ist die Kraft der Kräfte, die alles Feine überwindet und in alles Grobe eindringt: So wurde die Welt erschaffen, davon kommen die wunderbaren Angleichungen, deren Wesen hier mitgeteilt ist.

Darum nennt man mich den dreimal großen [oder größten] Hermes, der ich die drei Teile der Weltphilosophie besitze. Es hat sich erfüllt, was ich über der Sonne Wirken gesagt habe.«

3. Die Triade oder Dreiheit: die drei philosophischen Prinzipien, das bedeutet die Dualität Sulphur und Merkur, zu dem das Prinzip Sal kommt.

4. Die Quadruplizität oder Vierheit: die Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde.

5. Die Quintuplizität oder Fünfheit: die vier Erscheinungsformen der Natur (Elemente) mit der Quinta Essentia.

In der hermetischen Philosophie wird die Natur als die Gesamtheit aller Wesen des Universums angesehen. Die Gesamtheit wird durch das Göttliche Prinzip belebt.

Hermetisches ABC35

§ 1

Die ächte Weisheit ist der Umfang aller reinen Wahrheiten, zur Erkenntnis Gottes, außer und in seinen Geschöpfen, von Ewigkeit, durch die von Ihm bestimmte Zeiten, bis in Ewigkeit.

§ 2

Alle sichtbaren und unsichtbaren, unzähligen, mannigfaltigen, geistigen und körperlichen, in Wesen, Mischung, Arten, Größe, Kräften, Eigenschaften, Bestimmung, Wirkung und Dauer so unterschiedenen Geschöpfe, mit allen Welten, leben, weben und schweben in ihrem unermesslichen und unbegreiflichen Ursprung, in dem unerforschlichen Geisteswesen, das wir Gott im höchsten Verstande nennen.

§ 3

Gott trägt alle seine Geschöpfe mit allen Welten in sich. Er umhüllt und erfüllt sie alle: Himmel, Sterne, Sonne, Planeten, die allgemeine Luft, alle Dunstkreise, unsere Meere, Wasser, Erde, ja alle einzelnen vernünftigen und unvernünftigen, lebendigen, beweglichen, wachsenden und ruhenden oder leblos scheinenden geistigen und körperlichen Geschöpfe.

§ 4

Gott hat alle seine Geschöpfe wunderbar, uns unbegreiflich, aus seinem eigenen Wesen stufenweise in sich erzeuget, das ist erschaffen. Er ist ihrer aller Ursprung (§ 2); aus Ihm haben sie alle ihr Wesen und sind geschaffen.

§ 5

Wie Er Himmel, Welten, Erde, ja was darin und darauf ist, umhüllt und erfüllt (§ 3), so erhält Er alle seine sowohl geistigen als materiellen Geschöpfe durch seinen beständigen Einfluss, durch seine stete Gegenwart; ja, so trägt Er sie alle in sich, in seinem allmächtigen, unbegränzten und übervollkommenen Geisteswesen (§ 2, 3). Er nähret sie väterlich und mütterlich, ein jedes nach seiner Bestimmung.

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