Die Gentlemen-Gangster

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39

Wolfgang Nolte war nach der Frühschicht bei seinem Arbeitgeber, einem Security-Geldtransport-Unternehmen, wenig begeistert, wieder mit der Kriminalpolizei konfrontiert zu werden. Wie oft sollte er denn noch schildern, was sich an jenem Märzvormittag vor einem Jahr ereignet hatte? Dass er in Begleitung seines damaligen Kollegen beim ersten Botengang zur Landeszentralbank nicht das Geringste von dem Überfall mitbekommen habe und erst nach der Rückkehr vom zweiten Transport mit einem Gangster konfrontiert worden sei? Natürlich waren die Ermittler hellhörig geworden, als er ihnen gesagt hatte, er sei ausgebildeter Polizist, aber nicht in die Beamtenlaufbahn übernommen worden. Immerhin hatte sich einer der Gangster als Polizist verkleidet gehabt. Da lag es natürlich nahe, alle, die mit Polizeiuniformen zu tun hatten, genauer unter die Lupe zu nehmen. Aber wieso kam jetzt wieder ein Kriminalist, dazu noch in seine Wohnung in Schwäbisch Gmünd? Natürlich war auch seine Adresse verdächtig, schließlich hatte man das Fluchtauto gar nicht weit weg in diesem Innenstadtparkhaus gefunden. Waren die Kriminalisten so einfältig zu glauben, er hätte als Täter dieses Fahrzeug gerade mal vier Querstraßen von seiner Wohnung entfernt stehen lassen? Hartmut Zeller war persönlich gekommen und im vierten Obergeschoss eines innerstädtischen Wohnblocks in ein spärlich eingerichtetes Wohnzimmer geführt worden. »Ich hab Ihnen am Telefon gesagt, dass wir alle Akten noch einmal gründlich durchgehen«, versuchte der Soko-Leiter die Atmosphäre zu entkrampfen.

Nolte, der hemdsärmelig und in verwaschenen Jeans vor ihm saß, nickte mit versteinertem Gesicht. »Und was ist jetzt neu?«, fragte er mit einer Mischung aus Arroganz und Unsicherheit.

»Leider nichts. Wir versuchen immer noch, über das persönliche Umfeld aller Beteiligten, also auch von Herrn Seifritz, an etwas Verdächtiges heranzukommen.«

Nolte wollte etwas sagen, aber Zeller ließ ihn nicht zu Wort kommen, weil er einen Einwand befürchtete und ihm deshalb vorsorglich den Wind aus den Segeln nahm: »Das hat nichts mit der jeweiligen Person zu tun. Also auch nicht direkt mit Ihnen.« Er sah sein Gegenüber nachdrücklich an. »Sie haben selbst die Ausbildung zum Polizeibeamten durchlaufen, bei der Bereitschaftspolizei in Göppingen. Dann hat man Sie aber mit 27 nicht verbeamtet. Das muss ein Schock für Sie gewesen sein«, stellte er fest.

»Das kann man so sagen, klar. Man durchläuft die Ausbildung, malocht da rum und kriegt dann gesagt, dass man wegen einer Arthrose im Knie abhauen kann.« Es klang verbittert.

»Hatten Sie für diesen Fall keine Versicherung abgeschlossen?«

»Wissen Sie denn, was die kostet? Und wissen Sie, was man in der Ausbildung und anschließend als Wachtmeister verdient? Ich hab doch nicht damit gerechnet, dass ich plötzlich nicht für den Polizeidienst tauge.«

Zeller nickte verständnisvoll. Er kannte einige ähnlich tragische Fälle: wenn junge Leute zwar den ärztlichen Aufnahmecheck für die Ausbildung bestanden hatten, dann aber mit 27, wenn die medizinische Untersuchung zur Übernahme in die Beamtenlaufbahn auf Lebenszeit erfolgte, ein gesundheitliches Defizit aufwiesen, das der Heilfürsorge – eine Art staatliche Krankenversicherung für die Beamten – langfristig allzu risikoreich erschien. Sogar eine Allergie konnte dafür ausreichen.

»Sie haben aber gleich einen Job gefunden?«, bohrte Zeller weiter.

»Einen Job, ja, aber was ist das im Vergleich zum Beamtenstatus?«, erwiderte Nolte frustriert. »Einen Ex-und-Hop-Job hab ich gefunden. Nichts Sicheres. Befristeter Vertrag, keine Aufstiegsmöglichkeit. Soll das eine Entschädigung dafür sein, dass ich mich jahrelang vergeblich in die Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei reingekniet habe?«

Zeller konnte die Enttäuschung und Bitternis des Mannes verstehen und hakte nach: »Haben Sie eine Familie zu versorgen?«

»Gott sei Dank nicht.«

»Freundin?«

»Ja, hab ich«, sagte Nolte, um sogleich misstrauisch zu werden: »Was hat das mit all dem zu tun?«

»Nur so am Rande. Es hätte doch sein können, dass Sie mit einer etwaigen Freundin über Ihren Job und die Abläufe beim Geldtransport gesprochen haben.«

»Sie dürfen mir glauben, dass ich darüber mit niemandem rede.«

»Das glaube ich Ihnen«, beruhigte Zeller, blieb aber beharrlich: »Und wer ist Ihre derzeitige Freundin?«

»Tut das etwas zur Sache?«

»Nein, überhaupt nicht. Darf ich trotzdem fragen, wer die Glückliche ist?«

»Natürlich dürfen Sie das. Das ist doch kein Geheimnis.«

»Und wer ist es?«, fragte Zeller.

»Ich geh mal davon aus, dass Sie’s schon wissen«, witterte Nolte den Grund der Frage. »Es ist Frau Offenbach. Heidi Offenbach. Sie hat bis vor Kurzem bei der Sparkasse gearbeitet. Das ist es doch, was Sie hören wollen, oder?«

Zeller zuckte mit den Schultern. »Hören will ich nicht das, was ich gern hören möchte, sondern nur die Wahrheit. Sie werden verstehen, dass ich mich auch noch mit Frau Offenbach unterhalten möchte.«

»Wie? Was soll denn das jetzt?«, entgegnete Nolte empört. »Was hat Heidi damit zu tun? Wir wollen demnächst heiraten. Wir erwarten Nachwuchs.«

Zeller nickte nachdenklich. »Noch eine Verständnisfrage, Herr Nolte. Die drängt sich in Ihrem Falle leider auf. Sie waren Polizeibeamter und hatten eine Uniform …«

»Das hab ich Ihrem Kollegen doch bereits vor einem Jahr gesagt. Was ist jetzt daran unklar?«

»Sie haben gesagt, dass Sie Ihre Uniform verschenkt haben. Ans Naturtheater Heidenheim für den Kleiderfundus«, gab sich Zeller informiert und ergänzte: »Wenn ich Ihnen aber nun sage, dass wir uns dort erkundigt haben und niemand etwas davon weiß, dass ein Herr Nolte seine Polizeiuniform gespendet hat?«

Noltes Gesichtszüge versteinerten sich. »Sie wollen andeuten, dass ich lüge? Die waren dort begeistert, so eine Uniform zu kriegen. Da gibt’s keine Quittung oder so was. Da bringt man was hin und fertig. Außerdem ist das schon über zwei Jahre her.« Er hatte Mühe, seine Aufregung zu verbergen.

»Kein Grund zur Panik, Herr Nolte«, versuchte ihn Zeller zu beruhigen. »Alles wird gut.« Er sah seinem Gegenüber fest in die Augen.

40

Blaubart hatte auch Tage nach dem abendlichen Albtraum in seinem Büro das Geschehen nicht verarbeitet. Natürlich war da jemand gewesen, aber glücklicherweise hatte niemand versucht, die Tür von der Garage in sein Büro zu öffnen. Nach bangen Minuten des ängstlichen Wartens war nichts mehr zu hören und auch nichts zu sehen gewesen. Und als schließlich ein Auto mit quietschenden Reifen davongefahren war, hatte er sich wieder getraut, das Licht anzuknipsen.

Die Innentür hinaus in den Garagen- und Werkstatttrakt war tatsächlich geschlossen gewesen. Zum wiederholten Male lief das bedrohliche Szenario vor seinem geistigen Auge ab. Wie schon so oft in den vergangenen Tagen. Denn er hatte niemanden, mit dem er darüber reden konnte.

Ihn überkam noch einmal das Gefühl, wie es ihn übermannt hatte, als er wie gelähmt die Waffe in der Hand hielt. Wie er damit zu der Tür gegangen war. Dann die große Erleichterung, als sie tatsächlich verriegelt gewesen war.

Er schloss die Augen und lehnte sich in seinen Bürostuhl zurück, durchlebte wieder die Szene, als er die Waffe vor sich in den angrenzenden Raum gehalten und die taghellen Leuchtstoffröhren hatte aufflammen lassen: vor ihm die kostbaren US-Oldtimer-Fahrzeuge, chromblitzend im grellen Licht. Alles schien unberührt zu sein, das Rolltor geschlossen, eine Außentür auch. Hatte er sich getäuscht? Diese Frage plagte ihn nun seit Tagen. War alles nur Einbildung gewesen, weil ihm Kirstin von dem energischen Auftreten des Amerikaners berichtet hatte?

Die Erinnerungen an den Abend liefen weiter wie in einem Film, den er nicht stoppen konnte: Er war zurück ins Büro gegangen, hatte sämtliche Halogenstrahler draußen im Hof eingeschaltet, die er nun endlich über einen Bewegungsmelder steuern lassen wollte, und hatte die im Freien stehenden Fahrzeuge überblickt: Chevrolet, Mercedes, BMW, Ford, Porsche, Jaguar. Allesamt längst zu begehrten Oldtimern geworden. Doch etwas war anders gewesen: Auf der roten Motorhaube des Chevrolets hatte sich das Scheinwerferlicht auf seltsame Weise gebrochen.

Wieder befiel ihn jetzt der unbändige Zorn, der über ihn hereingebrochen war, als er die große Delle und den abgesplitterten Lack gesehen hatte.

Er würde den Teufelskerl finden, der mit einem schweren Gegenstand auf das Blech eingeschlagen hatte. Dazu brauchte er keine Polizei. Außerdem würde dies nur zu Ermittlungen führen, die er vermeiden wollte. Es kursierten schon viel zu viele Gerüchte über ihn. Meist steckte nur der pure Neid dahinter. Weil er mit seinem Geschäft erfolgreich war. Und er sich in allen gesellschaftlichen Kreisen bewegte.

Hinter dem, was jetzt geschehen war, steckte zweifellos dieser Lukas, dieser unangenehme Amerikaner, hämmerte es durch seinen Kopf. Immer und immer wieder. Vermutlich wollte ihn der Kerl mürbe machen. Aber Geschäft war Geschäft.

Er musste hart bleiben und deshalb sein Gelände nun endlich mit den modernsten Überwachungsanlagen sichern lassen.

Er versuchte, das traumatische Erlebnis abzuschütteln, und gab an der Wählscheibe seines Telefons eine sechsstellige Nummer ein. Während der Rufton an sein Ohr drang, nahm er sich vor, mit der geplanten Installation von Überwachungseinrichtungen auch gleich den altmodischen Wählscheibenapparat durch ein modernes Tastentelefon ersetzen zu lassen.

»Ja?«, holte ihn eine hauchende Frauenstimme aus diesen Gedanken zurück.

»Hi«, gab er sich locker, »ich bin’s. Bist du heute Abend auch wieder dran?«

 

»Och«, machte sie keck. »Das solltest du wissen. Heute ist mein freier Abend.« Ein Lachen war zu hören. »Heut zieh ich mich nur für dich aus.«

Er war ob solcher Direktheit jedes Mal wieder aufs Neue perplex.

»Machen wir wieder Fotos in der Garage?«, fragte sie, bevor er etwas antworten konnte. »Dann zieh ich mir was Aufregendes an – zum Ausziehen.«

41

August Häberle freute sich, endlich mal wieder draußen in der Provinz ermitteln zu dürfen. In Bopfingen, am Fuße des Ipfs im äußersten Osten Baden-Württembergs geboren, war er auf Empfehlung seines damaligen Boxtrainers statt zur Bundeswehr zur Bereitschaftspolizei gegangen, bei der er wenig später die Begeisterung für die Arbeit der Kriminalpolizei entdeckt hatte, obwohl er viel lieber Seemann geworden wäre. Die Gelassenheit und Ruhe für die raue See hätte er bestimmt mitgebracht. Längst hatte er auch gelernt, dem Volk aufs Maul zu schauen. Und er wusste, wie zurückhaltend gerade die Menschen auf dem Land waren, »wenn der Herr Kommissar etwas wissen will«, pflegte er oft im Kollegenkreis zu sagen. Viele Menschen scheuten sich, »so richtig etwas zu Protokoll zu geben.«

Dass er gutem Essen nicht abhold zu sein schien, war ihm durchaus anzusehen. Gerade dies machte ihn zum Gemütsmenschen, der Vertrauen und Optimismus ausstrahlte. Nur unterschätzen durfte man ihn nicht, wenn er so dasaß, die kräftigen Arme verschränkt: Er war aktiver Judoka.

Helmut Reinicke, der Installationsmeister, musterte den Kriminalisten von oben bis unten. Er saß ihm in einem der Büros bei der Polizeidirektion Göppingen gegenüber und umklammerte die Lehne des Stuhls. Rein äußerlich, so dachte Reinicke, würde er’s mit Häberle locker aufnehmen können. Beide waren sie von kräftiger Gestalt. Doch Häberle riss ihn aus solchen Gedanken: »Ich hab gelesen, was Sie vor einem Jahr meinem Kollegen Biegert gesagt haben. Leider sind wir keinen Schritt weitergekommen. Deshalb fragen wir noch einmal alle, die im Umfeld der Bank zu tun hatten, ob ihnen inzwischen nicht doch etwas eingefallen ist, was im Nachhinein verdächtig erschienen sein könnte.«

»Verdächtig?«, echote Reinicke und wippte mit den Beinen. »Das ist jetzt über ein Jahr her.«

»Manchmal kommt man erst später drauf, dass da irgendetwas war: irgendjemand, der sich für das, was Sie während Ihres Auftrags in der Bank gesehen haben, besonders interessiert hat. Ich könnte mir auch vorstellen, dass Sie nach dem Überfall im Freundeskreis gesagt haben, schon mal im Tresorraum gewesen zu sein.«

»Hinterher«, wiederholte Reinicke verständnislos. »Ein Täter wird sich ja nicht hinterher bei mir informieren.«

»Das nicht. Aber vielleicht hat man drüber diskutiert, und irgendjemand hat etwas gesagt, aus dem man schließen könnte, dass er vielleicht mehr weiß, als er wissen sollte.«

»Ne, tut mir leid. Mehr als das, was ich damals Ihrem Kollegen gesagt habe, weiß auch ich nicht. Und dass es inzwischen 1000 Gerüchte in der Stadt gibt, werden Sie ja mitbekommen haben. Plötzlich wird alles, was passiert, mit dieser Sache in Verbindung gebracht. Das muss für die Betroffenen ziemlich schlimm sein.«

»Ist es auch«, bekräftigte Häberle. »Da werden inzwischen Menschen, die ein schreckliches Schicksal erlitten haben, gerüchteweise verdächtigt, mit den Sparkassenräubern unter einer Decke zu stecken.«

Reinicke verschränkte die Arme, als wolle er auf Distanz gehen. »Wenn Sie das so sehen, dann werde ich doch auch verdächtigt – oder sehe ich das falsch?«

»Was die objektive Seite anbelangt, sehen Sie das falsch«, beruhigte Häberle. »Aber was die Leute schwätzen, ist natürlich subjektiv. Fast scheint es so, dass jeder, der mal im Bankgebäude gearbeitet hat oder den Herrn Seifritz kennt, als potenzieller Täter infrage kommen könnte. Bis dahin, dass man an den Angaben der Opfer selbst zweifelt.« Häberle sah auf die Unterlagen, die er von den Kollegen aus Göppingen erhalten hatte. »Wir haben uns berichten lassen, Sie seien eine Zeit lang mit einer Angestellten der Kreissparkasse liiert gewesen.«

Reinicke umklammerte wieder die Armlehne des Stuhls. »Ja – und? Das war kein Geheimnis. Was wollen Sie mir damit sagen?«

»Gar nichts. Ist nur eine Frage. Reine Routine. Wir interessieren uns leider immer noch, wer welchen Kontakt zur Sparkasse hatte. Ich geh mal davon aus, dass es Ihnen und der Dame nichts ausmacht, wenn Sie mir sagen, um wen es sich handelt.«

»Wieso sollte mir das etwas ausmachen? Und wenn Sie so fragen, wissen Sie’s vermutlich eh schon. Ihr Informant wird doch den Namen genannt haben, oder?«

Reinicke runzelte die Stirn. »Tutto con calma, Herr Häberle. Alles mit der Ruhe.«

»Tutto – was?«, stutzte Häberle.

»Tutto con calma«, wiederholte Reinicke. »Immer mit der Ruhe. Habe ich bei meinen Urlauben an der Adria gelernt.«

Häberle nahm es nickend zur Kenntnis, ließ sich aber nicht ablenken:»Sie wollten mir den Namen der Dame sagen«, beharrte Häberle.

»Offenbach, Heidi«, brummte Reinicke missmutig. »Sie arbeitet aber inzwischen nicht mehr bei der Sparkasse. Und zwischen uns ist nichts mehr. Wir haben uns damals kennengelernt, als ich in der Tiefgarage den Rohrbruch behoben habe. Das haben wohl einige in der Sparkasse mitgekriegt.« Er machte eine abweisende Handbewegung. »Aber das ist ja schon über ein Jahr her.«

42

Kirstin war wirklich verrückt. Schon wie sie aus ihrem Mercedes-Cabrio stieg, im kurzen Kleid, tief ausgeschnitten, und auf Blaubarts Büro zu stöckelte, ließ erkennen, dass sie mit ihren weiblichen Reizen nicht geizte. Natürlich war sie es gewohnt, diese in Nachtklubs zur Schau zu stellen. Außerdem genoss sie die lüsternen Blicke der Männer. Sie fand es anregend und prickelnd, sich nackt zu präsentieren. Schon gar in einer Kleinstadt, in der es nur diesen einen Nachtklub gab, von einigen halblegalen Rotlichtkneipen vielleicht abgesehen. Kirstin wusste natürlich, dass sich im Luna zahlungskräftige Kundschaft aufhielt, obwohl es um kaum mehr ging als Striptease und die körperliche Nähe an der Sektbar.

Blaubart kam ihr an diesem lauen Abend entgegen, umarmte und küsste sie und machte ihr Komplimente. »Du hättest es als Model auf die Titelseiten der Männermagazine geschafft.«

»Oder auf Autozeitungen«, ergänzte sie lächelnd und streichelte seine strohblonden Haare« »Du magst doch scharfe Kurven und elegante Formen.«

Blaubart schluckte. »Ich hab ein paar tolle neue Kisten da«, presste er hervor und hatte Mühe, sich auf ihre Fotowünsche zu konzentrieren.

»Und ich hab ein paar Klamotten dabei«, erwiderte sie. »Falls du nicht nur Haut und Blech magst.«

Er lächelte und führte sie in die Garage, wo seine kostbaren Gefährte blitzblank standen. Sie stöckelte mit schwingendem Kleidchen hinterher, während er auf einen historischen US-Ford deutete, der ein typischer Straßenkreuzer war: »Immer wenn ich diese Kotflügel sehe, muss ich an deine Schenkel denken.«

»Lustmolch«, warf sie ihm neckisch vor. »Sag mal, hast du den alten Chevi auch noch? Den roten?«

Blaubart wurde aus seinem Hochgefühl gerissen, zögerte und sah Kirstin irritiert ins Gesicht. »Den Chevrolet? Der steht draußen. Hättest du sehen müssen.«

»Hätt ich?«, fragte sie zurück. »Ist mir nicht aufgefallen. Aber was hältst du davon, wenn ich mich in dem auf den Rücksitz lege. So ganz mit nix auf dem Ledersitz.«

Blaubart wusste für einen Moment nicht, wie er diese Frage deuten sollte. Wollte sie es tatsächlich nur fürs Fotografieren tun – oder erwartete sie dann mehr von ihm? Hier in der Garage? Dazu noch in diesem demolierten Chevrolet?

43

Häberle spürte, wie belastend das Verbrechen auch nach über einem Jahr für die Beteiligten war. Vor allem die Gerüchte, die ihnen ständig zu Ohren kamen, machten ihrer Psyche zu schaffen. Deshalb war Berthold Rilke nicht gerade erfreut gewesen, als Häberle um einen Termin bei ihm gebeten hatte. Rilke, wie immer korrekt gekleidet und um untadeliges Auftreten bemüht, führte den Kommissar aus Stuttgart in ein Besprechungszimmer der Kreissparkasse, wo sie ungestört miteinander reden konnten. »Haben Sie denn eine heiße Spur?«, staunte der Kassierer, nachdem sie sich an einen Tisch gesetzt hatten.

»Leider nein. Deshalb klopfen wir noch einmal alle möglichen Verbindungen ab«, seufzte Häberle in sich hinein. »Vielleicht sind ja den Betroffenen – also auch Ihnen – im Laufe der Zeit Dinge eingefallen, die Ihnen im Nachhinein merkwürdig erscheinen.«

»Welche sollten das sein?«, wurde Rilke verunsichert. »Als ich vor über einem Jahr meine Aussage gemacht habe, war alles noch frisch. Jetzt plagt mich die Sache nur noch im Schlaf. Ich wache schweißgebadet auf und muss mir dann immer einreden, dass alles vorbei ist.«

Häberle nickte verständnisvoll. »Sie sind ja frühzeitig mit den Tätern zusammengetroffen, im Büro von Herrn Seifritz«, konstatierte er ruhig. »Wie würden Sie jetzt, mit dem Abstand von eineinhalb Jahren, die Situation zwischen ihm und den Tätern beschreiben?«

Auf Rilkes Stirn zeichneten sich Sorgenfalten ab. »Nicht anders wie vor eineinhalb Jahren. Die Täter sind sehr freundlich mit ihm umgegangen. Kein Geschrei oder so etwas. Das wird mein Kollege Lackner ebenso gesagt haben.« Er räusperte sich. »Wissen Sie, es gibt so viele Gerüchte, die das alles in Zweifel ziehen und irgendwelche Vermutungen in die Welt setzen. Aber glauben Sie mir: Herr Seifritz leidet noch immer sehr unter dem Verbrechen. Mag er es auch als Banker irgendwie weggesteckt haben. Aber privat geht das nicht so einfach.«

»Und Sie? Haben Sie den Eindruck, dass man auch Ihnen in der Öffentlichkeit zutraut, in die Sache verstrickt zu sein?«

»Ja natürlich«, wurde der sachliche Rilke unerwartet emotional. »Man kriegt das natürlich nicht direkt gesagt, aber meine Frau schnappt das eine oder andere Gespräch in der Stadt auf, in dem es dann heißt: ›Na ja, die Sache stinkt doch‹, oder ›Die Geschichte kann so überhaupt nicht stimmen.‹«

»Noch eine Verständnisfrage, Herr Rilke: Kennen Sie die Geldboten persönlich?«

»Nein. Nur vom Gesicht her.«

»Inwieweit sind die in die internen Abläufe hier im Hause eingeweiht?«

»Gar nicht. Sie kommen angefahren, stellen den Wagen in der Tiefgarage in der Sicherheitsschleuse ab, benutzen den Lift ins dritte Untergeschoss und holen den Scheck ab oder bringen das georderte Geld.«

Häberle hatte sich die Räumlichkeiten schon vor einem Jahr zeigen lassen. »Wurden Sie jemals von einem der Geldboten zu den Abläufen befragt?«

»Nicht, dass ich wüsste.«

»Nun hat ja Ihr Kollege Lackner sozusagen geistesgegenwärtig den Tätern sogenanntes Fanggeld untergeschoben, also Scheine, deren Nummern registriert sind. Das hat aber wohl erst funktioniert, nachdem ein Kassierer von oben kam, um zum Geschäftsbeginn Geld zu holen.«

»Ja. Das war, wenn Sie wollen, ein Glücksfall. So konnte mein Kollege, während ich die schriftlichen Formalitäten abwickelte, ein paar Geldbündel austauschen. Er hat dem Kollegen 30.000 aus der Transporttasche gegeben und sie mit Geld aus dem Tresor wieder aufgefüllt. Mit diesem sogenannten Fanggeld, das für solche Fälle gedacht ist.«

»Und warum haben Sie beim Einsortieren des Geldes nicht gleich von vorneherein solche Scheine in die Tasche der Täter gesteckt?«, wollte Häberle wissen und löste bei Rilke erneut eine finstre Miene aus.

»Was soll jetzt diese Frage?« Rilkes ruhige Stimme verlor ihren sachlichen Klang. »Wollen Sie mir jetzt einen Vorwurf machen? Wenn das mit dem nummerierten Geld etwas genützt hätte, wären die Hunderter längst irgendwo aufgetaucht.«

Häberle überlegte kurz. »Natürlich können die Täter das Geld jetzt erst mal irgendwo bunkern, vielleicht einen Teil davon ins Ausland schaffen, zum Beispiel in die Schweiz, und dort auf einem Schließfach liegen lassen.«

»Ja natürlich. Wenn sie clever sind, werden sie’s auch so machen. Und vielleicht erst holen, wenn der Raub verjährt ist.«

»Nun ja«, hob Häberle abwägend die Arme. »So einfach ist das nicht. Je nachdem, wie es juristisch bewertet wird: räuberischer Menschenraub mit Geiselnahme. Das ist ein ziemlich großes Ding. Da kann die Verjährung erst nach Jahrzehnten greifen.«

Rilke rang sich ein Lächeln ab: »Gut angelegt können die 2,7 Millionen ganz schön Zinsen bringen.«

»Vorausgesetzt«, gab Häberle zu bedenken, »die Täter können so lange auf ihr Geld warten und die Zinsentwicklung bleibt günstig. Da bedarf es doch einiger Geduld, die solche Herrschaften meist nicht haben.«