Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung

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3. Organisationsherrschaft

12

Dritte und letzte Form der Willensherrschaft ist nach der Lehre Roxins die Tatherrschaft kraft der Beherrschung eines organisatorischen Machtapparates – kurz Organisationsherrschaft genannt.[11]

Organisationsherrschaft sei letztlich eine Sonderform des Täters hinter dem volldeliktisch handelnden Täter. Grundgedanke der Organisationsherrschaft ist, dass es neben der Nötigungsherrschaft und der Irrtumsherrschaft eine weitere Fallgruppe gibt, in der der Hintermann – ohne zu zwingen oder zu täuschen – einen derartigen Einfluss auf den unmittelbar Ausführenden ausübt, dass dieser Einfluss die Qualität von Tatherrschaft hat und damit täterschaftsbegründend ist.[12] Zu denken sei hierbei an die Beherrschung eines rechtsgelösten Machtapparates, der so hierarchisch organisiert sei, dass die Befehlshaber dieses Machtapparates allein aufgrund ihrer übergeordneten Stellung in dieser Organisation Straftaten verursachen könnten. Diese Straftaten würden dadurch begangen, dass ein entsprechender Befehl gegeben werde und sich die Machthaber – auch ohne Zwang oder Täuschung – sicher sein könnten, dass ihr Befehl von irgendeinem der Befehlsunterworfenen ausgeführt werde. Tatherrschaftsbegründend sei bei diesen Straftaten letztlich die sogenannte „Fungibilität“, also die Auswechselbarkeit des Tatausführenden. Dieser sei schlicht ein auswechselbares und jederzeit ersetzbares Instrument, wohingegen die wahre Tatbeherrschung beim Hintermann liege.[13] Insgesamt lässt sich also festhalten, dass Roxin das Vorliegen von Organisationsherrschaft ursprünglich von den folgenden Voraussetzungen abhängig gemacht hat: Zunächst müsse ein organisatorischer Machtapparat vorliegen, der sich durch eine hierarchische Gliederung kennzeichne. Dieser Machtapparat müsse insgesamt rechtsgelöst sein. Im Rahmen dieses rechtsgelösten Machtapparates konstituiere sich die Tatherrschaft des Hintermannes dann durch die jederzeitige Austauschbarkeit, also die Fungibilität des unmittelbar Handelnden, die dem Hintermann den Taterfolg garantiere.[14]

Für die vorliegende Untersuchung ist von Bedeutung, dass das Kriterium der Organisationsherrschaft zwischenzeitlich durch den BGH aufgenommen und zum Gegenstand seiner Rechtsprechung im Rahmen von rechtsgelösten Machtapparaten gemacht wurde.[15] Darüber hinaus findet sich wiederholt die Formulierung[16], der BGH habe den Gedanken der Organisationsherrschaft mittlerweile auf die Rechtsprechung zur mittelbaren Täterschaft von verantwortlichen Hintermännern im Rahmen von Wirtschaftsunternehmen ausgedehnt. Hierin bestehe für ihn eine verlockende Möglichkeit in kompliziert gelagerten Fällen täterschaftliche Verantwortung herzuleiten.[17] Dies wirft für die vorliegende Untersuchung die Frage auf, inwieweit sich eine derartige Rechtsprechung auch für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Rahmen der Steuerhinterziehung fruchtbar machen lässt.

Anmerkungen

[1]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 45 ff.

[2]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 45 ff.

[3]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 47 ff.

[4]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 62.

[5]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 232.

[6]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 63 ff.

[7]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 76 ff.

[8]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 91 ff.

[9]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 95.

[10]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 94 ff.

[11]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 105 ff.

[12]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 244 f.

[13]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 107; LK-Roxin (2003), § 25 Rn. 128; in diese Richtung auch ders. Täterschaft und Tatherrschaft, S. 243 f.

[14]

Neuerdings nennt Roxin als weiteres Kriterium die „organisationsspezifische Tatbereitschaft“, siehe Roxin FS Schroeder, S. 387 (397 f.).

[15]

Siehe etwa BGH v. 26.7.1994, 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218 (236 f.).

[16]

Siehe nur Heinrich FS Krey, S. 147 (152) mit zahlreichen Nachweisen.

[17]

Rotsch NStZ 2005, 13 (18).

Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin › B. Beschreibung der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens bei Herrschaftsdelikten › III. Funktionelle Tatherrschaft bei Mittäterschaft

III. Funktionelle Tatherrschaft bei Mittäterschaft

13

Die spezifische Variante der Tatherrschaft im Bereich der Mittäterschaft (§ 25 Abs. 2 StGB) sei schließlich die funktionelle Tatherrschaft.[1] Die Herrschaft über die Tat soll sich bei der Mittäterschaft aus der Funktion des Täters bei der Tatausführung ergeben. Mittäterschaft sei Tatbestandsverwirklichung durch anteilige beziehungsweise arbeitsteilige Ausführung der Tat. Tatherrschaft werde hierbei dadurch vermittelt, dass der Ausführende eine Aufgabe übernehme, die für die Realisierung des gemeinsamen Tatplans wesentlich sei. Korrektiv sei hierbei, ob dem Ausführenden durch diesen Tatbeitrag die Beherrschung des Gesamtgeschehens ermöglicht werde, auch wenn er nicht sämtliche wesentlichen Tatbeiträge eigenhändig vorgenommen habe.[2] Eine solche Beherrschung sei dann denkbar, wenn der Beteiligte durch die Verweigerung seines Tatbeitrages dazu in der Lage sei, den gesamten Deliktsplan scheitern zu lassen. Eine derartige Hinderungsmacht verleihe Tatherrschaft über die gesamte Tat.[3] Mittäterschaft sei dementsprechend von zwei Voraussetzungen abhängig: dem Vorliegen eines gemeinsamen Tatplans und der gemeinsamen Tatausführung. Die gemeinsame Tatausführung setze wiederum voraus, dass ein wesentlicher Tatbeitrag im Ausführungsstadium der Tat erbracht werde.[4]

Anmerkungen

[1]

Siehe dazu Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 188 ff.; ders. Täterschaft und Tatherrschaft, S. 275 ff.; LK-Roxin (2003), § 25 Rn. 154.

[2]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 188; LK-Roxin (2003), § 25 Rn. 154; Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 278 f.

[3]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 188.

[4]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 189; LK-Roxin (2003), § 25 Rn. 173 ff.

C. Von der Tatherrschaftslehre nicht erfasste Deliktsgruppen

14

Roxin wendet die Tatherrschaftslehre nur auf die von ihm sogenannten Herrschaftsdelikte an. Daneben gebe es jedoch mit den Pflichtdelikten und den eigenhändigen Delikten zwei Deliktsgruppen, für die das Tatherrschaftskriterium keine taugliche Grundlage zur Bestimmung von Täterschaft biete.[1] Die Unanwendbarkeit des Tatherrschaftsgedankens folge sowohl bei den Pflichtdelikten als auch bei den eigenhändigen Delikten aus ihrer Tatbestandsstruktur und sei keine Eigenart des Tatherrschaftsgedankens.[2] Der Gesetzgeber habe zwei Möglichkeiten, ein deliktstypisches Verhalten in einer dem nullum-crimen-Grundsatz entsprechenden Weise tatbestandlich erfassen zu können.[3] Die eine Möglichkeit bestehe darin, das sozial unerträgliche Verhalten im Tatbestand der Strafvorschrift möglichst genau zu definieren. Für diese „Handlungsdelikte“ sei das Kriterium der Tatherrschaft das geeignete Abgrenzungsmerkmal zur Ermittlung von Täterschaft.[4] Die zweite Möglichkeit bestehe demgegenüber darin, im Tatbestand an eine – diesen erst konstituierende – Pflicht anzuknüpfen, deren Verletzung das strafwürdige Verhalten ausmache. Eine so geprägte Tatbestandsstruktur bringe zwangsläufig auch eine Eingrenzung des persönlichen Anwendungsbereichs dieser Strafvorschriften mit sich. Zentralgestalt dieser Pflichtdelikte könne nur der Adressat der entsprechenden Verpflichtung sein. Bei der Tatbestandsverwirklichung komme es danach nicht auf die Tatherrschaft, sondern nur darauf an, ob die vom Tatbestand konstituierte Pflicht durch ihren Träger verletzt worden sei.[5]

 

Entsprechend verhalte es sich bei eigenhändigen Delikten. Eigenhändige Delikte seien Delikte, die weder vom Tatherrschaftsgedanken noch vom Pflichtdeliktsgedanken zu erfassen seien und daher eine eigenständige Deliktsgruppe bildeten.[6] Diese Delikte könnten nur in unmittelbarer Täterschaft begangen werden. Mittelbare- und Mittäterschaft seien insoweit nicht denkbar.[7] Welche Delikte im Einzelnen als eigenhändige Delikte eingestuft werden können, ist umstritten.[8] Klar sei jedoch, dass die Tatherrschaftslehre im Rahmen der eigenhändigen Delikte keine Anwendung finden könne, weil diese eben allein durch den unmittelbar Ausführenden und gerade nicht durch einen Hintermann oder mit Hilfe eines Komplizen kraft Willens- oder funktioneller Tatherrschaft begangen werden könnten.[9]

Anmerkungen

[1]

Siehe dazu ausdrücklich Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 27 (Fn. 23).

[2]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 353; in diesem Sinne auch ders. Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 267 f.

[3]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 267.

[4]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 267.

[5]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 268.

[6]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 399.

[7]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 288.

[8]

Siehe zum Streitstand Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 288 ff.

[9]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 399 f.

D. Fazit zu den Kernthesen der Tatherrschaftslehre im Sinne Roxins

15

Zusammengefasst lauten die Kernthesen der Tatherrschaftslehre von Roxin damit:

Die zentrale Gestalt der Tatbestandsverwirklichung und damit Täter ist derjenige, der das tatbestandsmäßige Geschehen bis zum Erfolg beherrscht. Teilnehmer dagegen nehmen zwar auch Einfluss auf das Geschehen, haben aber keine beherrschende oder mitgestaltende Stellung. Unmittelbaren-, mittelbaren- und Mittätern kommt dabei jeweils eine spezifische Art der Tatherrschaft zu. Anhand eines beschreibenden Verfahrens ist zu ermitteln, ob der unmittelbare Täter Handlungsherrschaft, der mittelbare Täter Willensherrschaft und der Mittäter funktionelle Tatherrschaft im Rahmen der Deliktsverwirklichung gehabt hat. Dabei muss aber beachtet werden, dass der Tatherrschaftsgedanke nur im Bereich von Herrschaftsdelikten nicht dagegen im Bereich von Pflichtdelikten und eigenhändigen Delikten anwendbar ist.

Teil 3 Neueste Kritik an der Tatherrschaftslehre

Inhaltsverzeichnis

A. Kritik an dem Kriterium der Handlungsherrschaft als Tatherrschaftsmerkmal des unmittelbaren Täters

B. Willensherrschaft als Tatherrschaftsmerkmal des mittelbaren Täters

C. Die funktionelle Tatherrschaft als Tatherrschaftsmerkmal des Mittäters

D. Zwischenfazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre

E. Fehlende normative Begründung des Tatherrschaftsbegriffs

F. Kritik an der Herleitung von Mittäterschaft im Rahmen der Tatherrschaftslehre

G. Verlust des objektiven Tatbezuges der Tatherrschaftslehre

H. Zwischenfazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre

J. Zirkelschluss der Tatherrschaftslehre

K. Zwischenfazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre

L. Fazit zur neuesten Kritik an der Tatherrschaftslehre

16

Trotz ihrer weitgehenden Etablierung in der Wissenschaft ist es der Tatherrschaftslehre zu keinem Zeitpunkt gelungen, Kritik vollständig zu überwinden. Unter den Kritikern der Tatherrschaftslehre befanden sich auch stets solche, die nicht nur einzelne Aspekte dieser Lehre kritisierten, sondern der Tatherrschaftslehre insgesamt kritisch gegenüberstanden. Nur beispielhaft sei etwa auf Freund[1] hingewiesen: „Solange unklar bleibt, wie die zu beherrschende Tat genau beschaffen sein muss, um eine Verantwortlichkeit als Täter oder Teilnehmer dieser Tat zu begründen, ist der Herrschaftsbegriff ein „Zauberhut“, aus dem praktisch jedes beliebige Ergebnis herausgeholt werden kann. Ist dagegen geklärt, wie die Tat, wegen derer bestraft werden soll, näherhin beschaffen ist, entbehrt ein zusätzliches Herrschaftserfordernis speziell für die Tatbestände, die täterschaftliches Verhalten erfassen, der Berechtigung.

Nicht zu bestreiten ist gleichwohl, dass derart grundlegende Kritik an der Tatherrschaftslehre gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts eher vereinzelt geäußert wurde.[2] In jüngerer Zeit erschienen nun jedoch in vermehrtem Maße Abhandlungen, die der Tatherrschaftslehre bereits in ihren Grundthesen widersprechen und auf der Basis einer kritischen Analyse die Lehre von der Tatherrschaft als Täterlehre insgesamt ablehnen.[3] Für die vorliegende Untersuchung wirft dies die Frage nach dem Einfluss dieser Kritik auf die Anwendung der Tatherrschaftslehre im Rahmen der Steuerhinterziehung auf. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden diejenigen Einwände gegen die Tatherrschaftslehre herausgearbeitet werden, die sich unter Umständen auf das Steuerstrafrecht übertragen lassen und dort möglicherweise einer Anwendung der Tatherrschaftslehre auf die Steuerhinterziehung im Wege stehen könnten.

Anmerkungen

[1]

Freund Strafrecht Allgemeiner Teil (1998), § 10 Rn. 47.

[2]

Eine umfassende Übersicht mit Kritik an und Gegenentwürfen zu seiner Lehre findet sich bei Roxin selbst, Täterschaft und Tatherrschaft, S. 659 ff.

[3]

Zu nennen sind hier insbesondere die Arbeiten von Marlie Unrecht und Beteiligung (2009), Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen (2008) und Rotsch „Einheitstäterschaft“ statt Tatherrschaft (2009).

A. Kritik an dem Kriterium der Handlungsherrschaft als Tatherrschaftsmerkmal des unmittelbaren Täters

17

Zunächst wird kritisiert, das Kriterium der Handlungsherrschaft sei ungeeignet, um unmittelbare Täterschaft hinreichend sicher bestimmen zu können. Die Handlungsherrschaft ist der Grundtypus der Tatherrschaftslehre.[1] Wer eine Tatbestandshandlung eigenhändig vornimmt, soll nach Auffassung Roxins unmittelbarer Täter kraft Handlungsherrschaft sein.[2] Die Richtigkeit dieser Grundthese ist in einfach gelagerten Fällen scheinbar evident. Wer einem anderen einen Faustschlag versetzt, ist Täter einer Körperverletzung, und wer eine Steuererklärung wissentlich falsch ausfüllt und diese beim Finanzamt einreicht, ist Täter einer Steuerhinterziehung.[3] Jenseits dieser einfach gelagerten Fälle ist die Zuordnung hingegen schwieriger und es ergeben sich nachhaltige Abgrenzungsschwierigkeiten. Wer hat beispielsweise Handlungsherrschaft, wenn A den B anschießt, diesen dadurch in der Nähe der Hauptschlagader lebensgefährlich verletzt und Arzt C bei dem Versuch, B das Leben zu retten, die Hauptschlagader vollständig durchtrennt und so letztlich den Tod des B verursacht?[4] Dies ist der Ansatzpunkt der Kritik an dem Kriterium der Handlungsherrschaft, an deren Ende das Ergebnis steht, das Kriterium der Handlungsherrschaft sei aufgrund seiner Unbestimmtheit gänzlich ungeeignet, die Täterschaft des unmittelbaren Täters zu bestimmen.[5] Anknüpfungspunkt dieser These ist der Begriff der Tatbestandshandlung.[6] Bei einer Vielzahl von Straftatbeständen sei es aufgrund ihrer Tatbestandsstruktur nicht möglich, abstrakt eine konkrete Handlung zu definieren, die zwingend zu einer täterschaftlichen Verantwortung führe. Vielmehr bestehe bei derartigen Delikten das tatbestandliche Verhalten allein in der – irgendwie gearteten – Verursachung des tatbestandlichen Erfolges. Solche Tatbestände müssten deshalb als reine Verursachungsdelikte charakterisiert werden.[7] Bei Verursachungsdelikten – genannt werden beispielhaft etwa die Körperverletzung und der Totschlag[8]– seien verschiedenste Verhaltensweisen denkbar, die sich abstrakt dazu eigneten, den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Es komme im Rahmen solcher Delikte daher lediglich auf die Verursachung des tatbestandlichen Erfolges, nicht dagegen auf die Art und Weise der Herbeiführung dieses Erfolges an.[9] Dieser Umstand stehe einer Anwendung des Kriteriums der Handlungsherrschaft als der eigenhändigen Vornahme der Tatbestandshandlung zwingend im Wege. Dies verdeutliche sich, wenn man sich vergegenwärtige, dass die Äquivalenztheorie von der Gleichwertigkeit aller Bedingungen ausgehe.[10] Auf der Basis der Äquivalenztheorie verursachten Teilnehmer den Erfolg im gleichen Maße wie Täter, denn es gelte die Lehre von der Gleichwertigkeit aller Bedingungen. Wenn somit im Rahmen eines Verursachungsdeliktes nicht geklärt sei, worin genau die Tatbestandshandlung bestehe, die ein Beteiligter eigenhändig ausgeführt haben müsse, um unmittelbarer Täter zu sein, sei die These, Täter kraft Handlungsherrschaft sei derjenige, der die Tatbestandshandlung eigenhändig vorgenommen habe, ein untaugliches Kriterium zur Bestimmung von Täterschaft, weil eben nicht klar sei, welcher der verschiedenen denkbaren Verursachungsbeiträge die Tatbestandshandlung im Sinne der Handlungsherrschaft sei.[11] Aufgrund dieses Befundes wird vertreten, die Definition von Handlungsherrschaft bedürfe der Konkretisierung, um klar festlegen zu können, welches Verhalten[12] die Tatbestandshandlung im Sinne der Handlungsherrschaft sei und deshalb zu einer täterschaftlichen Verantwortung führe.[13] Am Ende der diesbezüglichen Untersuchung steht jedoch die Erkenntnis, dass keine irgendwie geartete Konkretisierung in Betracht komme, die eine sichere Abgrenzung von Täter- und Teilnehmerverhalten ermögliche, was zu einer generellen Untauglichkeit des Kriteriums der Handlungsherrschaft führe.[14]

 

Für die vorliegende Untersuchung wirft dieser Einwand gegen die Tatherrschaftslehre die Frage nach der Tauglichkeit der Roxinschen Definition von Handlungsherrschaft als der eigenhändigen Vornahme der Tatbestandshandlung für die Herleitung von unmittelbarer Täterschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auf. Hierbei bedarf es insbesondere einer Klärung der Frage, ob es sich bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO um ein Verursachungsdelikt im oben verdeutlichten Sinne handelt, oder ob sich für die Steuerhinterziehung eine konkrete Handlungsbeschreibung definieren lässt, die bereits auf objektiver Tatbestandsebene eine Unterscheidung von unmittelbarer Täterschaft und Teilnahme zulässt. Sollte dies nicht möglich sein und müsste die Steuerhinterziehung deshalb als Verursachungsdelikt eingeordnet werden, würde sich die von Roxin vertretene Definition von Handlungsherrschaft tatsächlich nicht dazu eignen, unmittelbare Täterschaft für § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dogmatisch herzuleiten. In diesem Fall wäre es für die Anwendbarkeit der Tatherrschaftslehre auf die Steuerhinterziehung in der Tat notwendig, nach Konkretisierungsmöglichkeiten für die Definition von Handlungsherrschaft zu suchen und – sollten sich derartige Konkretisierungsmöglichkeiten nicht finden lassen – das Kriterium der Handlungsherrschaft als für die Herleitung von unmittelbarer Täterschaft untauglich einzustufen.

Anmerkungen

[1]

Siehe dazu oben Rn. 8.

[2]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 127.

[3]

Für die Steuerhinterziehung Ransiek Kohlmann Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 107.

[4]

Siehe zu einem vergleichbaren Fall SK-Hoyer § 25 Rn. 33.

[5]

Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 98.

[6]

Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 56.

[7]

Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 56 ff.

[8]

Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 57.

[9]

Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 56.

[10]

Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 56 f.

[11]

Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 57 ff.

[12]

Marlie diskutiert in diesem Zusammenhang zwei verschiedene Konkretisierungsmöglichkeiten. Zum einen sei zu erwägen, die Tatbestandshandlung im Sinne der Handlungsherrschaft als eigenkörperlich unmittelbare Vornahme der Tatbestandshandlung zu konkretisieren und zum anderen sei zu erwägen, die Tatbestandshandlung als Vornahme der letzten kausalen Handlung zu konkretisieren, siehe Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 61 ff.

[13]

Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 59.

[14]

Marlie Unrecht und Beteiligung, S. 60 ff.