Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung

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Anmerkungen

[1]

S. www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/deutsche-bank-fitschen-wird-trotz-ermittlungen-nicht-zuruecktreten-a-872598.html (letzter Aufruf: 3.1.2014).

[2]

Siehe etwa Joecks F/G/J Steuerstrafrecht § 369 Rn. 73; Klein/Jäger AO, § 370 Rn. 212; MünchKommStGB/Schmitz/Wulf § 370 AO, Rn. 381; Kummer W/J HB des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 20. Kap. Rn. 22; Ransiek Kohlmann Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 98 f.; Hadamitzky/Senge E/K Strafrechtliche Nebengesetze, § 370 AO Rn. 80, Sieja DStR 2012, 991 (992).

[3]

Siehe etwa BGH v. 9.4.2013, 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 (1179); v. 7.11.2006, 5 StR 164/06, NStZ-RR 2007, 345; v. 30.6.2005, 5 StR 12/05, NStZ 2006, 44 f. (45); v. 30.10.2003, 5 StR 274/03, NStZ-RR 2004, 56 f. (56); v. 15.1.1991, 5 StR 492/90, BGHSt. 37, 289 (291).

[4]

RGH v. 19.2.1940, III D 69/40, RGHSt 74, 84 ff.; siehe dazu auch Johannsen Die Entwicklung der Teilnahmelehre in der Rechtsprechung, S. 76 ff.

[5]

Siehe dazu Ransiek Kohlmann Steuerstrafrecht, § 370 AO Rn. 107.2.

[6]

Siehe etwa BGH v. 9.4.2013, 1 StR 586/12, DStR 2013, 1177 (1179); v. 7.11.2006, 5 StR 164/06, NStZ-RR 2007, 345; v. 30.6.2005, 5 StR 12/05, NStZ 2006, 44 f. (45); v. 30.10.2003, 5 StR 274/03, NStZ-RR 2004, 56 f. (56); v. 15.1.1991, 5 StR 492/90, BGHSt. 37, 289 (291).

[7]

Siehe nur Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 22.

[8]

Rotsch NStZ 2005, 13 (16 f.).

B. Das Tatherrschaftskriterium nach Roxin als Ausgangspunkt der Überlegungen

2

Mit den vorstehenden Ausführungen ist der Rahmen für die vorliegende Arbeit abgesteckt. Es geht mithin um eine Analyse des Kriteriums der Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung. Hieraus leitet sich zwangsläufig die Folgefrage ab, wie genau „die Tatherrschaft“ zu definieren ist. Aus dem Kriterium der Tatherrschaft haben sich eine Reihe von Theorien und Meinungen herausgebildet, die zwar sämtlich die Herrschaft über das Geschehen als gemeinsame Basis für die dogmatische Herleitung von Täterschaft, sowie die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme haben, sich in ihrer genauen Ausgestaltung jedoch – zum Teil erheblich – voneinander unterscheiden. Nur beispielhaft[1] erwähnt seien hier etwa die Theorie von der „funktional-sozialen“ Tatherrschaft[2], sowie die Theorie der „objektiven“ Tatherrschaft[3]. Nach der funktional-sozialen Tatherrschaft kommt es für die Bestimmung von Täterschaft stets auf eine wertende Betrachtung des Geschehens an. Unabhängig von einem bestimmten real-körperlichen Verhalten gehe es stets um die Frage, wem der tatbestandsmäßige Erfolg als sein Werk zuzurechnen sei. Dies gelte gleichermaßen für unmittelbare-, mittelbare- und Mittäterschaft.[4] Anders bei der Theorie von der objektiven Tatherrschaft. Diese Theorie tritt umfassend von einem subjektiv geprägten Täterbegriff ab und verlagert sich stattdessen vollständig ins Objektive. Täter und damit Tatherr könne nur eine Person sein, die selbst – durch eigenes Verhalten – einen Teil des objektiven Tatbestands der jeweils in Rede stehenden Strafnorm verwirklicht habe.[5] Dies habe insbesondere Auswirkungen auf die Mittäterschaft. Jeder Mittäter müsse dort durch eigenes Verhalten einen Teil des objektiven Tatbestands verwirklichen, um Tatherrschaft zu haben und deshalb Mittäter zu sein.[6] Allein diese kurzen Schilderungen verdeutlichen den weiten Rahmen, in dem sich das Kriterium der Tatherrschaft heute bewegt.

Vor dem Hintergrund, dass der Frage nach Tatherrschaft bei der Steuerhinterziehung – soweit ersichtlich – bislang noch keine umfassende Untersuchung gewidmet wurde, erscheint es sinnvoll, mit der Tatherrschaftslehre im von Roxin verstandenen Sinne nur eine der verschiedenen denkbaren Varianten dieser Täterlehre in den Fokus zu nehmen.[7] Hintergrund ist, dass Roxin zwar nicht als Begründer, dagegen jedoch durchaus als derjenige bezeichnet werden kann, der die Tatherrschaftslehre als Erster umfassend ausgearbeitet sowie strukturiert hat und dessen Verständnis von Tatherrschaft damit heute als Basis der Tatherrschaftslehre bezeichnet werden kann.[8]

Hierzu sollen zunächst noch einmal kurz die wesentlichen Grundideen der Tatherrschaftslehre im von Roxin verstandenen Sinne ins Bewusstsein gerufen werden. Sodann schließt sich als weitere Vorarbeit eine Auswertung der in jüngster Zeit vermehrt laut gewordenen Grundsatzkritik an der Tatherrschaftslehre an. Ziel ist es, auf diese Weise ein Fundament zu schaffen, auf dessen Grundlage anschließend eine Untersuchung von Tatherrschaft im Rahmen der Steuerhinterziehung erfolgen kann, die sich zum einen an den Grundlagen dieser Täterlehre orientieren und zum anderen mit der grundsätzlichen Kritik hieran auseinandersetzen kann.

Anmerkungen

[1]

Eine umfassende Darstellung verschiedener Varianten der Tatherrschaftslehre findet sich bei Schild Tatherrschaftslehren, insbesondere S. 33 ff.

[2]

Otto Grundkurs Strafrecht, § 21 Rn. 7 f; 26; siehe dazu auch Schild Tatherrschaftslehren, S. 63 f.

[3]

Luzón Peña/Díaz y García Conlledo FS Roxin, S. 575 ff; siehe dazu auch Schild Taherrschaftslehren, S. 74 ff.

[4]

Otto Grundkurs Strafrecht, § 21 Rn. 52 ff., 68 ff., 93 ff.

[5]

Luzón Peña/Díaz y García Conlledo FS Roxin, S. 575 (589 f.)

[6]

Luzón Peña/Díaz y García Conlledo FS Roxin, S. 575 (595 f.)

[7]

Soweit im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung vereinzelt auf weitere Tatherrschaftstheorien abgestellt wird, so erfolgt dort jeweils ein gesonderter Hinweis.

[8]

Haas Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 8.

Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin

Inhaltsverzeichnis

A. Methodische Grundlagen

B. Beschreibung der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens bei Herrschaftsdelikten

C. Von der Tatherrschaftslehre nicht erfasste Deliktsgruppen

D. Fazit zu den Kernthesen der Tatherrschaftslehre im Sinne Roxins

3

Roxin hat seine Tatherrschaftslehre erstmals im Jahr 1963[1] umfassend ausgearbeitet. Seitdem hat er sie ständig fortentwickelt und zuletzt im Jahr 2006[2] umfassend auf einen neuen Stand gebracht. Die folgenden Ausführungen orientieren sich an diesem Stand seiner Lehre.

Anmerkungen

[1]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, 1. Auflage 1963.

[2]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, 8. Auflage 2006.

A. Methodische Grundlagen

Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin › A. Methodische Grundlagen › I. Täterbegriff als Synthese aus ontologischem und teleologischem Strafrechtsdenken

I. Täterbegriff als Synthese aus ontologischem und teleologischem Strafrechtsdenken

4

Der Tatherrschaftslehre Roxins liegt eine Synthese aus ontologischem und teleologischem Strafrechtsdenken zu Grunde.[1] Ontologie ist die „Lehre vom Sein“.[2] Sie gliedert sich in die grundsätzliche Frage danach, was das Sein ausmacht und in die Frage danach, was, beziehungsweise „welche allgemeinsten Arten von Seiendem“ als „Inventar unserer Welt“ existieren.[3] Es geht der Ontologie um die Erforschung vorgegebener Sachzusammenhänge.[4] Übertragen auf die Täterlehre bedeutet dies, dass ein ontologisches Täterverständnis versuchen muss, den Täterbegriff anhand rechtlich vorgegebener und im Bewusstsein des Menschen existierender Phänomene zu erklären.[5]

 

Roxin verbindet ein derartiges ontologisches Denken mit teleologischen Erwägungen. Teleologie bezeichnet bekanntlich die Lehre von den Zwecken oder Zielen. Im Bereich des menschlichen Handelns untersucht die Teleologie also den durch das menschliche Verhalten verfolgten Zweck.[6] Im rechtswissenschaftlichen Zusammenhang bedeutet das eine am Gesetzeszweck orientierte Denkweise.[7] Ein teleologisches Täterverständnis bestimmt Täterschaft daher anhand einer wertenden Betrachtung des Tatverhaltens.[8]

Einer derartigen Verbindung von ontologischem und teleologischem Denken bedarf es nach Auffassung Roxins deshalb, weil vorgegebene Bedeutungsinhalte und sinnstiftende Wertsetzungen einander stets gegenseitig beeinflussten. Dies führe zu einer fortwährenden Wechselwirkung.[9] Aufgrund dieser Wechselwirkung könne Täterschaft weder einseitig ontologisch noch einseitig teleologisch, sondern nur durch eine Verbindung beider Denkansätze bestimmt werden.[10]

Anmerkungen

[1]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 19 ff., 25.

[2]

Kuhlmann Enzyklopädie Philosophie, S. 1856; siehe zur Funktion der Ontologie in der Rechtswissenschaft Kaufmann Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 11 f.

[3]

Kuhlmann Enzyklopädie Philosophie, S. 1857.

[4]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 15.

[5]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 13 ff.

[6]

Hampe/Bschir Enzyklopädie Philosophie, S. 2721.

[7]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 13.

[8]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 7 ff.

[9]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 25.

[10]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 19 ff.

Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin › A. Methodische Grundlagen › II. Begriff der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens

II. Begriff der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens

5

Aus dieser Verbindung von ontologischem und teleologischem Denken leitet Roxin ein übergeordnetes Leitprinzip von Täterschaft ab. Danach sei der Täter die „Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens.“[1] Der Begriff der „Zentralgestalt“ soll dabei sowohl einer teleologischen als auch einer ontologischen Interpretation zugänglich sein. So könne der Gesetzgeber bei einer wertenden, also teleologischen Betrachtung seines Täterbegriffes nur so verstanden werden, dass er den Tatausführenden „als Mittelpunkt und Schlüsselfigur des Deliktsvorgangs“ verstanden wissen wolle. Bei einer auf vorrechtliche Sinnzusammenhänge abstellenden, also ontologischen Betrachtung beschreibe der Begriff der „Zentralgestalt“ dagegen eine plastische und im Gemeinbewusstsein lebende Vorstellung dessen, was einen Täter ausmache.[2] Es dürfe jedoch nicht verkannt werden, dass dieses Leitprinzip allein noch nichts darüber aussage, durch welche inhaltlichen Kriterien die Zentralgestalt, also der Täter im Einzelfall, zu bestimmen sei.[3] Es handele sich daher gerade nicht um eine Definition, sondern lediglich um eine plastische Umschreibung von Täterschaft, aus der erst abgeleitet werden müsse, was in der konkreten Situation den Täter ausmache.[4] Für diese Ableitung müsse der Tatherrschaftsgedanke herangezogen werden. Nur dieser liefere zutreffende Ergebnisse bei der Bestimmung von Täterschaft und sorge für eine adäquate Harmonisierung der Versuche, Täterschaft ausschließlich subjektiv oder ausschließlich objektiv bestimmen zu wollen.[5]

Unter Heranziehung des Tatherrschaftsgedankens sagt Roxin auf dieser Grundlage, „dass Zentralgestalt des Deliktsvorgangs ist, wer das zur Deliktsverwirklichung führende Geschehen beherrscht, während Teilnehmer auf das Geschehen zwar ebenfalls Einfluss nehmen, seine Ausführung aber nicht maßgeblich gestalten“.[6] Hierbei sei zu beachten, dass der Begriff der Tatherrschaft als „offener“ Begriff interpretiert werden müsse.[7]

Ein offener Täterbegriff habe den Vorteil, sich wechselnden Fallgestaltungen anpassen aber gleichzeitig auch generalisierende Beurteilungen zulassen zu können.[8] Abzulehnen sei es dagegen, Tatherrschaft als unbestimmten oder fixierten Begriff zu interpretieren. Ein unbestimmter Begriff gebe der richterlichen Würdigung zu wenige Vorgaben und billige ihr damit eine zu große Machtfülle zu.[9] Ein fixierter Begriff sei dagegen unter anderem deswegen abzulehnen, weil eine begriffliche Fixierung zwangsläufig eine Abstraktion notwendig mache, um alle denkbaren Einzelfälle erfassen zu können. Eine derartige Abstraktion würde aber automatisch zu Lasten einer – gleichwohl notwendigen – Realitätsnähe des Täterbegriffes gehen.[10] Demgegenüber könne ein offener Täterbegriff für sich in Anspruch nehmen, durch ein beschreibendes Verfahren zur Ermittlung von Täterschaft die vorgenannten Mängel zu vermeiden.

Schließlich gelte zusätzlich Folgendes: Bei Delikten, bei denen Täterschaft aus der Herrschaft über das tatbestandsmäßige Geschehen abgeleitet werden könne, müsse von sogenannten „Herrschaftsdelikten“ gesprochen werden. Neben Herrschaftsdelikten seien jedoch weitere Deliktstypen denkbar, bei denen sich die Täterschaft gerade nicht aus der Beherrschung des tatbestandsmäßigen Geschehens ergebe. Für diese Delikte sei der Gedanke der Tatherrschaft daher nicht heranzuziehen. Bei diesen Deliktstypen handele es sich um sogenannte Pflicht- und eigenhändige Delikte.[11]

Anmerkungen

[1]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 25.

[2]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 26.

[3]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 26.

[4]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 25.

[5]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 30.

[6]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 13.

[7]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 123 ff.

[8]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 123, 125.

[9]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 117.

[10]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 121.

[11]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 14 f.; siehe zur alternativen Täterbestimmung bei diesen Deliktstypen unten Rn. 14.

Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin › A. Methodische Grundlagen › III. Fazit zu den methodischen Grundlagen

III. Fazit zu den methodischen Grundlagen

6

Damit geht Roxin im Rahmen seiner Tatherrschaftslehre von den folgenden methodischen Grundlagen aus: Der Täter wird als Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens beschrieben. Zentralgestalt soll dabei in der Regel[1] derjenige sein, der Tatherrschaft hat. Der Täterbegriff ist dabei weder ein unbestimmter noch ein fixierter, sondern vielmehr ein „offener“ Begriff, der es ermöglicht, Tatherrschaft und damit letztlich Täterschaft anhand eines beschreibenden Verfahrens ebenso flexibel wie generalisierend zu bestimmen. Die Offenheit des Täterbegriffes soll dabei dazu dienen, einen Ausgleich zwischen der Erfassung verschiedenster Lebenssachverhalte einer- und dem Bedürfnis nach vorgefassten Kriterien anderseits, zu schaffen.[2]

Anmerkungen

[1]

Das gelte nicht für Pflichtdelikte und eigenhändige Delikte.

[2]

Roxin Täterschaft und Tatherrschaft, S. 123.

B. Beschreibung der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens bei Herrschaftsdelikten

7

Auf diesen methodischen Grundlagen entfaltet Roxin sein beschreibendes Verfahren zur Ermittlung von Täterschaft bei Herrschaftsdelikten. Entsprechend der heute in § 25 StGB normierten Dreiteilung unterscheidet er dabei drei verschiedene Täterschaftsformen: den unmittelbaren Täter (§ 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB), den mittelbaren Täter (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB) und den Mittäter (§ 25 Abs. 2 StGB). Allen drei Täterschaftsformen komme dabei eine spezifische Art der Tatherrschaft zu: der unmittelbare Täter zeichne sich durch Handlungsherrschaft, der mittelbare Täter durch Willensherrschaft und der Mittäter durch funktionelle Tatherrschaft aus.[1]

Anmerkungen

[1]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 28.

Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin › B. Beschreibung der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens bei Herrschaftsdelikten › I. Handlungsherrschaft bei unmittelbarer Täterschaft

I. Handlungsherrschaft bei unmittelbarer Täterschaft

8

Die Handlungsherrschaft ist nach Roxin das Tatherrschaftsmerkmal des unmittelbaren Täters (§ 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB). Als unmittelbaren Täter kraft Handlungsherrschaft bezeichnet Roxin denjenigen, „der – sei es allein, sei es unter Beteiligung mehrerer – den gesamten Tatbestand durch eigenkörperliche Aktivität (also i.d.R. mit eigener Hand) verwirklicht.“[1] Die eigenhändige Tatausführungsei die stärkste denkbare Form der Tatbeherrschung. Handlungsherrschaft werde hier durch die eigenhändige Vornahme der tatbestandsentsprechenden Handlung vermittelt.[2] In Abkehr vom „Badewannen“-[3] und vom „Stachynskijfall“[4] sei es deshalb ausgeschlossen, Täterschaft allein aus subjektiven Momenten herzuleiten und daher eine Person, die das tatbestandsmäßige Geschehen zwar selbst vorgenommen, aber kein eigenes Tatinteresse gehabt habe, nicht als Täterin einzustufen.[5] Diese Ausprägung der Zentralgestalt finde sich heute auch im Wortlaut des § 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB wieder, der denjenigen als Täter ansehe, der die Tat „selbst…begeht“.[6]

Anmerkungen

[1]

 

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 38.

[2]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 38.

[3]

RGH v. 19.2.1940, 3 D 69/40, RGHSt 74, 84 ff.

[4]

BGH v. 19.10.1962, 9 StE 4/62, BGHSt 18, 87 ff.

[5]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 39 f.

[6]

Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil, § 25 Rn. 38.

Teil 2 Grundzüge der Tatherrschaftslehre nach Roxin › B. Beschreibung der Zentralgestalt des handlungsmäßigen Geschehens bei Herrschaftsdelikten › II. Willensherrschaft bei mittelbarer Täterschaft

II. Willensherrschaft bei mittelbarer Täterschaft

9

In § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB stellt der Gesetzgeber klar, dass Täter auch eine Person sein kann, die den Taterfolg nicht eigenhändig, sondern durch einen anderen verursacht hat. Diese Form der Täterschaft wird bekanntlich als mittelbare Täterschaft bezeichnet. Spezifische Ausprägung von Tatherrschaft bei der mittelbaren Täterschaft ist nach Ansicht von Roxin die sogenannte Willensherrschaft.[1] Dem Hintermann soll dabei eine willensbeherrschende Machtposition über den unmittelbar Ausführenden zukommen. Der Wille des unmittelbar Ausführenden könne in diesem Zusammenhang auf drei unterschiedliche Arten beherrscht werden. Demgemäß unterteile sich die Willensherrschaft in Willensherrschaft kraft Nötigung (Nötigungsherrschaft), Willensherrschaft kraft Irrtums (Irrtumsherrschaft) und Willensherrschaft kraft der Beherrschung eines organisatorischen Machtapparates (Organisationsherrschaft).[2]

1. Nötigungsherrschaft

10

Grundlage der Nötigungsherrschaft sei das sogenannte Verantwortungsprinzip. In Fällen der Willensherrschaft kraft Nötigung übe der Hintermann auf den unmittelbar Tatausführenden einen derartigen Druck aus, dass dieser von seiner strafrechtlichen Verantwortung gemäß § 35 StGB befreit werde. Die Befreiung des unmittelbar Tatausführenden von strafrechtlicher Verantwortung habe dabei automatisch die Belastung des druckausübenden Hintermannes mit täterschaftlicher Verantwortung zur Folge – dies sei Ausfluss des „Verantwortungsprinzips“ und vermittele dem Hintermann Tatherrschaft.[3]

2. Irrtumsherrschaft

11

Strukturell von der Nötigungsherrschaft zu unterscheiden sei die sogenannte Willensherrschaft kraft Irrtums. Während bei der Nötigungsherrschaft die Verhaltenszurechnung über eine Entbindung von strafrechtlicher Verantwortung aufgrund ausgeübten Drucks geschehe, soll im Bereich der Willensherrschaft kraft Irrtums nicht Zwang sondern ein Mehr an Wissen der entscheidende Faktor für Verhaltenszurechnung und damit die Tatherrschaft sein.[4] Der Tatherr habe hier aufgrund seines Wissensvorsprungs die Möglichkeit einer „gestaltenden Überdetermination“, weil er durch sein Mehr an Wissen die Möglichkeit habe, den Tatverlauf nach seinem Willen zu gestalten.[5] Irrtumsherrschaft sei dabei in vier verschiedenen Varianten denkbar. Erstens könne Irrtumsherrschaft vorliegen, wenn der Hintermann den Tatausführenden in einen vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum versetze.[6] Zweitens könne Irrtumsherrschaft vorliegen, wenn der Hintermann sich einen Verbotsirrtum des unmittelbar Tatausführenden zunutze mache.[7] Drittens könne Irrtumsherrschaft vorliegen, wenn ein Hintermann den unmittelbar Tatausführenden derart täusche, dass dieser über die Voraussetzungen eines entschuldigenden Notstandes irre.[8] Schließlich hält Roxin Irrtumsherrschaft viertens ausnahmsweise dann für denkbar, wenn der unmittelbar Tatausführende zwar volldeliktisch handele, aber gleichwohl einer Willensbeeinflussung durch einen Hintermann ausgesetzt sei, „die sich zwar nicht auf die juristische Verantwortlichkeit des unmittelbar Handelnden, aber auch nicht nur auf dessen Motive, sondern auf die Tat als solche beziehen und sie zu einer anderen machen, die dem Hintermann zugerechnet werden kann.“[9] Denkbar seien in diesem Zusammenhang Täuschungen über die Unrechtshöhe, über qualifikationsbegründende Umstände oder die Identität des Opfers.[10]