Rhythm of Heartbeat

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Kapitel 2

Eigentlich ließ ich Jayden nicht gerne allein, egal ob er es selbst so wollte. Ich fühlte mich nicht wohl dabei. Heute war es etwas anderes.

Nachdem ich zum tausendsten Mal beim Kartenspiel verloren hatte, brachte es Jayden auch keinen wirklichen Spaß mehr, also gaben wir es auf. Ben bewegte sich nicht einmal von seinem neuem Freund weg, sodass Jayden nun unsere einzigen Gäste allein bedienen durfte.

Auf mein Buch, von dem ich mir anfangs soviel versprach, konnte ich mich weiterhin nicht wirklich konzentrieren. Entweder langweilte ich mich also oder stand im Weg rum. Bis Jayden die Nase voll von mir hatte.

»Du gehst jetzt nach Hause, mit zwei Leuten komm ich auch alleine klar«, sagte er leicht gereizt zu mir als ich mal wieder hinter der Theke versuchte ihm auszuweichen.

»Auf keinen Fall. Ich bleib hier und räum auf«, widersprach ich.

»Ach ja und was?« Er sah sich im Laden um.

Wir hatten ja alles schon am Nachmittag erledigt gehabt.

»Es ist noch genug zu tun.«

So leicht wollte ich nicht aufgeben, obgleich ich eh keine Chance hatte, mir fiel nichts ein was ich hätte noch tun können.

»Unsere einzigen beiden Gäste haben ja auch soviel Dreck gemacht«, sagte er ironisch.

»Dann mach ich halt Papierkram.«

»Niemals, du bringst mir doch nur alles durcheinander! Hau endlich ab.«

Er wusste schon von vornherein, dass er gewinnen würde, egal was ich sagte, er hatte nicht vor nachzugeben. Im Gegenteil, er legte noch einen nach.

»Wann warst du überhaupt das letzte Mal allein zuhause?

Hau dich in die Wanne, lauf nackt durch die Gegend, irgendetwas. Und genieße es doch mal, eine Stunde für dich zu haben.«

Also gab ich auf, drückte ihm einen Kuss auf die Wange, den er sich mit einem gespielt angewiderten Gesicht mit der Hand abwischte. Ich schnappte mir meine Schlüssel und sah noch mal auf Ben und den Unbekannten.

Wenigstens musste ich mir nicht länger mit ansehen, wie sie bis zum Ende dort saßen und mich mit der Frage quälen, worüber sie redeten.

Vor der Tür zog ich die warme Sommerluft ein, es roch ein wenig nach Regen. Ich beschloss einen Schritt schneller zugehen, um nicht in den Regen zu kommen, sollte meine Nase recht behalten. Da es Sommer war, hatte ich für solche Fälle keine Jacke mit, draußen war es selbst nachts angenehm warm. Der Regen wäre zwar nicht sonderlich kalt aber ich hatte auch keine Lust völlig durchnässt zuhause anzukommen.

In der Madison Street, der Hauptstraße von Lamia, waren die Laternen an, es war bereits dunkel.

In manchen Wohnungen brannte noch vereinzelt Licht. Die Straßen waren jedoch wie leer gefegt. Nur selten fuhr ein Auto an mir vorbei. Die letzten Leute, die auf dem Nachhauseweg waren, vermutlich von der Arbeit oder aus einem der anderen Lokale.

Ich hatte noch ein ganzes Stück vor mir, als die ersten kleinen Tropfen auf dem Boden vor mir sichtbar wurden.

Toll, ich war doch nicht schnell genug gewesen, um dem Regen zu entkommen. Um wenigstens halbwegs trocken zu bleiben, beschloss ich die Abkürzung neben der William Madison Highschool zu nehmen. Ihren Namen verdankte die Schule dem Gründer unserer Stadt.

Dort gab es keine Laternen, der Weg war jedoch mit Platten ausgelegt, an denen man sich gut orientieren konnte. Ich kannte ihn nur zu gut, so dass ich mich selbst blind dort zurechtfinden könnte. Bedrückt dachte ich daran, dass ich das nächste Jahr ohne Jayden in der Schule verbringen musste, da er ein Jahr älter als ich war und somit schon seinen Abschluss in der Tasche hatte.

Da ich nicht sonderlich viele Freunde dort hatte, verbrachte ich die Pausen meistens mit Jayden und seinen Freunden. Nie wurde es ihm lästig auf mich vor der Tür zum Pausenhof zu warten. Nicht einmal, als er eine seiner ersten Freundinnen hatte. Sarah Stanton, Cheerleaderin und blondes Miststück. Regelmäßig machte sie es sich zur Aufgabe, mir zu zeigen, wie weit ich ihrer Meinung nach, unter ihr stand. Missbilligend sah sie mich bei jedem Wort an das aus meinem Mund kam. Über ein halbes Jahr lang gab sie mir das Gefühl, als hätte ich keine Ahnung, von nichts.

Bis Jayden sich schließlich und zu meinem Glück wieder von ihr trennte. Wenn sie nicht mit mir auskam, so konnte sie auch nicht die Richtige für ihn sein, erklärte mir Jayden dutzende Male. Trotzdem hatte ich immer ein schlechtes Gewissen gehabt. Und das Gefühl, als würde ich ihm und seiner Zukunft im Wege stehen. Auch wenn er mir immer wieder das Gegenteil versicherte.

Er beschützte mich vor jedem der Böses wollte und war immer auf meiner Seite, selbst wenn ich unrecht hatte. Half mir bei den Aufgaben, die ich nicht verstand, und animierte mich dazu mich in verschiedenen Kursen anzumelden. Von denen es keiner geschafft hatte mich lang genug zu halten. Ob Kochen, Sport, Musik oder Theater, nirgendwo passte ich wirklich rein oder bewies ein besonderes Talent.

Ich hatte keine Ahnung, was ich mit meiner Zukunft anstellen sollte. Die meisten Dinge langweilten mich nach einiger Zeit. Nun sollte ich mein letztes Jahr allein hier entlang zur William Madison Highschool gehen. Auf beiden Seiten war der Weg mit mittelhohen Hecken umzäunt. Auf der einen Seite lag der neue Sportplatz der Schule, auf der anderen war nur freies Feld bis zu den ersten Häusern und der Straße, die man in der Ferne sehen konnte. Eine beliebte Stelle für die Stadtfeiern von Lamia, die ein paarmal im Jahr stattfanden.

Ich hörte Schritte hinter mir.

Die ersten großen Regentropfen prasselten auf mich nieder und färbten den Gehweg vor mir in einem dunkleren grau. Irgendjemand hinter mir versuchte offenbar auch schnell aus dem Regen zu kommen. Ich sah mich einmal kurz um aber es war zu dunkel um etwas zu erkennen und der ständig kräftiger werdende Regen war auch keine große Hilfe. Also lief ich den Weg weiter mit dem Blick auf dem Boden gerichtet.

Dabei versuchte ich, zu hören, ob die Schritte näher kamen. Unterdessen beschleunigte ich selbst etwas.

Das Wasser lief mir am Gesicht herunter trotz gesenktem Kopf. Immer wieder musste ich mir das kalte Nass aus den Augen wischen. Der Regen prasselte nun so laut auf den Boden, dass ich unmöglich sagen konnte, ob noch jemand hinter mir war oder nicht. Angestrengt versuchte ich trotzdem, zwischen dem Lärm etwas heraus zu filtern.

Keine Chance!

Plötzlich merkte ich wie jemand mich fest von hinten packte und zu Boden warf. Ich schlug heftig mit dem Kopf auf die Gehwegplatten. Der Schmerz durchzuckte meinen Körper, ich war mir sicher, dass er blutete. Kurze zeit war mir als würde ich mein Bewusstsein verlieren. Es kribbelte stark in meiner Zunge und es sauste nur so in meinen Ohren. Der Regen war für mich zu einem leisen Rauschen geworden. Doch von einer Sekunde auf die andere war ich wieder klar. Denn mir wurde wieder ins Gedächtnis gerufen, das ich nicht alleine war.

Sofort stellte sich mein Körper auf Flucht ein. Ich versuchte mich unter meinen Angreifer raus zu winden und krallte meine Hände in den harten Boden. Mit aller Kraft zog ich, aber bewegte mich nicht einen Millimeter.

Er schlug mir in die Seite, um mich zu stoppen. Ich hörte ein lautes Knacken, war jedoch, zu aufgebracht um noch etwas zu fühlen.

Ich schnappte nach Luft. Ich würde ersticken, mein Mund füllte sich mit einer warmen Flüssigkeit. Mit aller Kraft schlug ich nach dem Angreifer und brach mir dabei einen Finger. Den Kleinen vermutete ich. Es war als würde ich gegen eine Wand schlagen. Es kam nicht mal ein Zucken von meinem Gegner. Ich dachte es müsste ein Mann sein. Eine Frau würde niemals soviel Kraft haben. Nicht das es mich in diesem Moment sonderlich interessiert hat, wer es war der mich dort festhielt.

Er gab ein merkwürdiges Knurren von sich. Anscheint hatte er nicht damit gerechnet das ich mich so wehren würde. Er hob mich ein Stück hoch und ließ mich abermals hart auf den Boden schlagen.

Bei dem Versuch zu schreien bekam ich nur ein Husten zustande, der wieder drohte mich zu ersticken. In meiner Panik sah ich ihn auf mein Gesicht zu steuern, seins war für mich nicht mehr zu erkennen. Meine Sinne schwanden langsam. Aber ich wollte mich nicht so einfach ergeben!

Ich versuchte mich von ihm weg zu drehen und mein Gesicht auf dem Boden zu verbergen. Um dann erneut meine Flucht zu planen. Dabei spürte ich einen starken Schmerz in meiner rechten Schulter, der letzte der mich doch zur Aufgabe zwang. Vor meinen Augen sah ich nichts mehr. Druck baute sich in meine Ohren auf. Mein Körper fühlte sich trotz der Schmerzen merkwürdig taub an. Ich war nahe dran mein Bewusstsein zu verlieren. Schon wieder.

Dann ließ er von mir ab. Mein Gesicht drückte ich an den vom Regen nassen Boden, während Tränen über es liefen.

Ich rang nach Luft, meine Lunge brannte wie Feuer. Ich hatte keine Kraft mehr mich zu verteidigen, ich gab auf und wartete auf die nächste Welle der Schmerzen. Wohl oder übel musste ich sie über mich ergehen lassen und darauf hoffen, dass er mich am Leben ließ. Jedoch passierte nichts.

Nach einer Weile bekam ich wieder etwas von meinem anfänglichen Mut zurück und versuchte mich wieder auf den Rücken zu drehen. Alles schmerzte, ich hatte das Gefühl als würde mein Kopf jeden Augenblick platzen. Ganz langsam drehte ich mich um, die Rippe bohrte sich in meine Seite. Sie musste ebenfalls gebrochen sein.

Der Regen tropfte mir ins Gesicht. Eine Zeitlang machte er es unmöglich meine Augen zu öffnen, bei jedem Versuch lief mir das Wasser in die Augen.

Nun war ich doch komplett nass geworden. Ich musste hysterisch lachen, was zur Folge hatte, dass ich wieder heftig hustete. Endlich schaffte ich es, nach meinem Anfall meine Augen zu öffnen. Hektisch ging mein Blick hin und her. Doch nichts, sie fanden den Angreifer nicht. Keine Ahnung, warum er von mir abgelassen und verschwunden war, vielleicht dachte er ich wäre bereits tot. Ich wollte nicht auf ihn warten, um ihn danach zu fragen. Ich wollte nur noch eins, nach Hause.

 

Ich versuchte mich aufzurichten, beim ersten Anlauf wurde mir so schwindelig das ich sofort zurück fiel.

Der zweite Versuch war nicht von Schwindel begleitet, jedenfalls nicht das es mich umwarf, aber von so starken Schmerzen, das ich mich von allein wieder legte.

Ich schloss meine Augen und ließ den Regen wieder auf mich niederprasseln. Dann wagte ich den dritten Versuch.

Wenn ich es nur bis zur nächsten Straße schaffen würde, jemand würde mich finden und mir helfen.

Ich kam kaum voran, ein Dutzend Mal fiel ich hin und schlug mir die Knie auf. Mittlerweile weinte ich nicht mehr, ich heulte!

Beim Versuch mich festzuhalten landete ich in den Hecken. Jedes Mal schrie ich vor Schmerzen auf. Doch niemand konnte es hören, mein Hals war so wund, das nur ein Gegurgel zu hören war.

Ich verfluchte mich dafür, dass ich diesen Weg genommen hatte. Wäre ich bloß außen rum gegangen. Dann wäre ich halt nass geworden. Immer wieder sah ich mich um, aus Angst mein Angreifer würde wieder kommen. Und dann sah ich endlich die Peterson Road vor mir. Ich stolperte auf sie zu und sank auf dem Bürgersteig zusammen.

In keiner der beiden Richtungen war auch nur ein Mensch auf der Straße. Warum auch, wer sollte um diese Zeit noch unterwegs sein?

Die Verzweiflung überkam mich, wieder brach ich in Tränen aus. Obwohl man es eigentlich nicht so nennen konnte, ich hatte bereits so viele vergossen, dass keine mehr übrig waren, nur das Brennen meiner Augen sagte mir, dass ich weinte. Ich wollte nicht bei irgendeinem Fremden in diesem Zustand klingeln. Obwohl es absurd war. Ich brauchte schließlich Hilfe!

Zu unserem Haus war es nicht mehr weit. Nur noch eine Ecke trennte mich von der Pearl Street, in der wir lebten.

Ich raffte mich auf und machte mich auf den Weg, sitzen bleiben konnte ich hier schließlich auch nicht die ganze Nacht.

Mit letzter Kraft kam ich zuhause an, ich wusste nicht, woher ich sie nahm. Da überkam mich eine neue Panik. Im Vineta hatte ich meinen Schlüssel in die Hosentasche gesteckt. Wenn ich ihn nun dort im Gefecht verloren hatte? Ich griff in meine Tasche, er war noch da! Langsam zog ich ihn raus, ich zitterte so sehr das ich ewig brauchte, um die Tür zu öffnen. Fast hätte ich wieder geweint, als sie endlich aufsprang. Das Licht war aus. Jayden war also noch nicht zurück. Ich hatte sämtliches Zeitgefühl verloren. Keine Ahnung, wie lange ich unterwegs gewesen war, mir kam es sehr, sehr lang vor!

Ich schleppte mich die Treppen hoch, an meiner Zimmertür machte ich halt und entschied mich dann doch fürs Badezimmer. Obwohl ich mich so sehr nach meinem Bett sehnte. Gegen meine Gewohnheiten schloss ich die Tür hinter mir ab. Auf keinen Fall sollte Jayden mich so sehen!

Unter der Dusche dauerte es eine Weile, bis mein Körper wieder auf normaler Temperatur war und ich mich einigermaßen bewegen konnte. Dunkles Blut lief langsam in den Abfluss. Vor dem Spiegel begutachtete ich meinen Kopf, auf Berührungen reagierte er empfindlich. Wen wunderte es?

Aber kein Blut zu finden.

Mein schockiertes Gesicht ignorierte ich einfach. Aus dem Schrank unter dem Waschbecken holte ich mir Schmerztabletten und nahm gleich drei. Da ich eine Gehirnerschütterung vermutete, nahm ich gleich noch ein Mittel gegen Übelkeit. Ich putzte mir die Zähne und merkte zu meiner Erleichterung, dass mir im Mund und Gesicht nichts fehlte.

Wenigstens etwas.

Den Rest meines Körpers beschloss ich, mir heute nicht mehr anzusehen. Deshalb wollte ich mir direkt ein weites T-Shirt anziehen. Dabei fiel mir wieder ein, dass mein Arm und mein kleiner Finger geschmerzt hatten. Der Finger wies keinerlei Verletzungen auf, wahrscheinlich hatte ich mir den Bruch nur eingebildet durch den starken Schmerz.

Aber an meinm rechten Oberarm blutete es stark. Ich wischte ein paar Mal mit einem feuchten Tuch darüber aber das Blut kam so schnell nach, das ich lieber einen Verband drum band. Ich überlegte, einen Arzt anzurufen. Aber ich war so erschöpft. Ich konnte einfach nicht mehr.

Die ganzen Fragen, die sie stellen würden.

Sehr wahrscheinlich würde man die Polizei rufen. Stundenlang müsste ich dann noch verhört werden. Jayden würde durchdrehen vor Sorge. Ich entschied mich dazu, bis morgen zu warten.

Mit letzter Kraft fand ich in mein Bett. Keine Sekunde später war ich eingeschlafen.

Kapitel 3

Als ich morgens erwachte, wurde ich schmerzhaft an die letzte Nacht erinnert. So schlimme Kopfschmerzen hatte ich noch nie! Andererseits wurde mein Kopf auch noch nie auf den Boden geschlagen.

Meine Augen brannten wie Feuer als ich sie öffnete. Das Licht, das in mein Zimmer fiel, war viel zu hell. Ich legte eine Hand schützend über die Augen. Mein Körper war steif. Beim Strecken durchzuckten mich leichte Schmerzen. Ich hatte wohl mehr Kraft gebraucht meinen Angreifer abzuwehren als mir zur Verfügung stand. Niemals zuvor hatte ich so um etwas gekämpft wie um mein Leben. Das Aufstehen würde sich wohl oder übel nicht schmerzfrei gestalten lassen. Daher versuchte ich, mich so gut wie nur möglich zusammen zu reißen. Schmerzen durchzuckten meinen ganzen Körper, jeden einzelnen Muskel und müden Knochen.

Auf der Bettkante machte ich eine Pause. Langsam schob ich den Ärmel meines T-Shirts ein Stück hoch, sodass der Verband darunter zum Vorschein kam, mit dem ich notdürftig meine Wunde verbunden hatte. Es musste noch ziemlich geblutet haben, der Verband war mit Blut durchtränkt. Beim Abrollen überlegte ich mir, wenn es schlimm aussah, einen Arzt aufzusuchen. Sollte es nicht der Fall sein, würde ich nichts tun. Durch das schon getrocknete Blut sah ich kleine Einstichwunden. Um Genaueres zu sehen müsste ich erst alles abwaschen. Mich beruhigte schon einmal das es allem Anschein nach nicht mehr blutete.

Mir kam nichts in den Sinn, dass so eine Verletzung hervor bringen würde. Messer und andere Waffen schloss ich aus. Wahrscheinlicher war es, das ich mich an einem seiner Kleidungsstücke verletzt hatte. Vielleicht trug er Nieten an seiner Jacke? Ich schob meine Gedanken erst einmal beiseite. Wichtiger war es, zunächst an Schmerzmittel zu kommen. Mein Kopf stand knapp vor einer Explosion.

Beim Aufstehen wurde mir schwarz vor Augen. Ich suchte Halt an der Wand, der erwartete Schwindel blieb jedoch aus. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass Jayden noch schlafen musste. Demnach konnte ich ungesehen im Bad verschwinden. Zuerst durchsuchte ich den Schrank wieder nach Schmerzmittel und wurde schnell fündig. Ich nahm zwei auf einmal und schluckte sie direkt mit Wasser aus dem Hahn runter. Die gewünschte Wirkung würde jedoch erst nach einer halben Stunde einsetzen. Was mich anging, konnte ich es kaum erwarten diese Schmerzen los zu werden und hoffte, die Tabletten würden auch den restlichen Körper vom Schmerz befreien.

Die Wartezeit verbrachte ich unter der Dusche. Erst dort wurde mir das volle Ausmaß meiner Verletzungen bewusst. Ich war übersät von blauen, fast schwarzen Flecken. Fassungslos starrte ich an mir hinab. Am schlimmsten war meine rechte Seite betroffen. Über meinen Rippen fasste ich leicht an den größten blauen Fleck, der meinen Körper zierte. Dort wo mein Angreifer mich geschlagen hatte. Ich fuhr direkt zusammen und fand gerade noch so halt an der Duschwand.

Anstatt mich wie gewohnt in mein Handtuch zu wickeln, zog ich mich direkt an. Ich hatte genug gesehen!

Doch der Blick in den Spiegel sagte mir, dass das nicht so einfach werden sollte.

Unter meinen Augen hatte ich dunkle Ringe von letzter Nacht. Als hätte ich ewig nicht mehr geschlafen. Dazu kam noch, dass das Weiße meiner Augen feuerrot glühte. Wie sollte ich so unter Menschen gehen? Der Kerl hatte wirklich gute Arbeit geleistet.

Im Schrank fand ich Schminke, normalerweise benutze ich keine, außer an Feiertagen. Die Ringe ließen sich nicht so einfach überdecken. Es sah fast noch schlimmer aus als vorher. Ich ließ die Haare offen und hoffte es würde etwas davon ablenken. Die Tabletten steckte ich vorsichtshalber in meine Hosentasche. Mit Sicherheit würde der Kopf sich sehr bald wieder melden.

Unten war ich allein, Jayden schlief noch trotz meinem Lärm im Bad.

Kimba saß bereits an der Terrassentür und schaute mich ungeduldig an. Ich ließ sie raus in den Garten und die Tür offen. Sollte ruhig etwas warme Luft herein kommen, es war kühl hier drin.

In der Küche schnappte ich mir die Brotpackung und Mett, legte noch ein Brett und ein Messer oben drauf und setzte mich im Wohnzimmer vor den Fernseher. Es lief nichts, deswegen ließ ich einfach einen Sender laufen, um die Stille zu vertreiben, während ich mich über mein Frühstück hermachte. Ich hatte einen Bärenhunger!

Deshalb strich ich mir das Mett grob auf das Brot und biss direkt ab. Noch am ersten Biss kauend, schmierte ich mir schon ein Zweites, diesmal sorgfältiger.

Beim Strecken war ich schon spürbar schmerzfreier. Die Tabletten taten ihre Wirkung, endlich. Auch meinem Kopf ging es langsam besser. Er drückte zwar noch, aber schmerzte nicht mehr bei jeder Bewegung. Damit konnte ich leben.

Oben hörte ich erste Schritte, mir war nie bewusst gewesen, dass das Haus so hellhörig war. Ich hörte, wie die Dusche anging. Und bereits nach fünf Minuten wieder ausgestellt wurde. Jungs hatten es so viel einfacher.

Ich konnte hören, wie Jayden den Schrank durchsuchte und leise über den Flur schlich. Er ging wohl davon aus das ich noch schlief. An meiner Tür stoppte er und öffnete sie vorsichtig. Ich musste grinsen, als er die Tür jetzt wesentlich lauter wieder schloss, nachdem er wusste, dass ich schon wach war.

Bereits als er oben an der Treppe ankam, roch ich sein Parfum. Und noch einen Geruch, den ich nicht zuordnen konnte. Ich liebte normalerweise den Geruch seines Parfums. Es roch süßlich, für Jungs etwas ungewöhnlich, aber der Duft passte zu ihm. Jedoch konnte man es auch übertreiben. Der Geruch brannte mir schon fast in der Nase. Hatte er darin gebadet?

»Du bist ja schon wach.«

Ich sah über die Couchlehne zu Jayden.

»Ich konnte nicht mehr schlafen.«

Den Grund dafür musste er ja nicht zwingend wissen.

Seine Reaktion auf mein Erlebnis letzte Nacht konnte ich mir gut vorstellen. Wenn er noch dieselbe Kraft wie damals vor seiner Krankheit hätte, würde er mich an den Haaren zu einem Arzt und anschließend zur Polizei schleifen.

Zwar war er nicht mehr so stark, ich war mir aber sicher er könnte es trotzdem irgendwie schaffen. Deshalb drehte ich mich wieder in Richtung Fernseher und hoffte er würde es dabei belassen. Zum Glück tat er das auch.

Er ging in die Küche und durchsuchte die Schränke. Ich ahnte schon, was gleichkommen sollte.

»Wo ist denn das Brot?«

Es war so klar ...

Ich betrachtete die leere Tüte vor mir. Ich hatte wirklich das komplette Brot gegessen. Als das Mett zu Ende ging, hatte ich sogar das Brot einfach ohne was drauf gegessen. Dabei mochte ich gar kein Brot. Ich aß vielleicht einmal im Jahr eine Scheibe, auch nur im Notfall, wenn nichts anderes da war. Noch mehr machte mir zu schaffen, dass ich immer noch Hunger hatte. Ich hätte locker noch ein Ganzes essen können.

»Leer.«

Ich wusste, nicht was ich sonst hätte antworten sollen.

»Wie leer?«, kam es ungläubig aus der Küche zurück.

»Ja leer halt. Ich hatte Hunger.«

»Und dann isst du eine ganze Packung Brot?«

Ich konnte ihn verstehen. Ich konnte es selbst kaum glauben. Ich hatte nichts, womit ich mich verteidigen oder erklären könnte.

»Du magst doch gar kein Brot?«, stellte er fest. »Ich nehme mal an, das du dann nicht besonders Lust auf Mittag hast. Ich mach mir dann ne Pizza.«

Ich hörte ihn kurz vor sich hin lachen und dann am Kühlschrank rumwerkeln.

Ich sagte nichts, obwohl ich eigentlich tierisch Hunger hatte. Und langsam wurde mir echt kalt. Draußen konnte man kaum von Kälte sprechen, alles war so Knochentrocken, das der Rasen im Garten schon welk wirkte und die Bäume auch nicht mehr ganz grün. Man sah kaum ein Tier, alle Schienen in kühleren Umgebungen zu sein. Selbst im Schatten waren es weit über dreißig Grad.

Trotzdem stand ich auf und schloss die Tür. Auf der Couch wickelte ich meine Beine in die Decke, die sonst immer auf dem Sessel lag.

 

»Du siehst gar nicht gut aus, Jenna.«

Musste er denn immer so aufmerksam sein?

Jayden stellte seinen Teller auf den Tisch und nahm sich ein Stück Pizza. Allein beim Anblick lief mir das Wasser im Mund zusammen.

»Danke schön, du siehst auch nicht besser aus.«

»Im Ernst, wirst du krank? Du bist ganz blass.«, fragte er besorgt.

»Vielleicht eine kleine Erkältung. Nicht weiter schlimm.«

Jayden hob seine Hand und legte sie mir an die Stirn.

»Mein Gott, hast du im Kühlschrank geschlafen? Du bist ja eiskalt. Ich hol dir noch eine Decke.«

Bevor ich widersprechen konnte, war er schon aufgesprungen. Ich legte mir selbst eine Hand an den Kopf, mir fiel nichts auf. Fühlte sich ganz normal an.

Jayden kam mit einer Wolldecke zurück und legte sie um mich.

»Du bleibst auf jeden Fall heute zuhause. Ich schaff das im Laden auch ohne dich. Soll ich dir einen Arzt rufen?«

Einen Arzt rufen kam gar nicht infrage!

Wie sollte ich dem meine blauen Flecke erklären, geschweige denn warum ich nicht sofort einen Arzt gerufen habe?

»Es geht mir wirklich gut. Ich hab nur etwas Kopfschmerzen. Ich nehme ein paar Tabletten und dann bin ich wieder fit.«

Jayden sah mich prüfend an, ich hoffte ich flog nicht auf und er kaufte mir meine Erklärung ab.

»Okay, ich hol dir die Tabletten. Brauchst du sonst noch etwas?«

»Kann ich etwas von deiner Pizza?«, fragte ich kleinlaut.

Ich wusste, dass ich die Frage bereuen sollte, noch bevor ich sie aussprach. Aber ich kam fast um vor Hunger. Der Geruch von dem Teller vor mir machte es mir nicht gerade leichter. Jayden brach sofort in Gelächter aus. Es dröhnte schmerzhaft in meinen Ohren. Wirklich all meine Sinne schienen heute nicht in Ordnung zu sein.

Er nickte nur kurz und lachte den ganzen Weg bis nach oben ins Bad.

Ich stürzte mich auf die Pizza. Ihr Geschmack war noch viel besser als der Geruch vermuten ließ. Ewig hatte mir nichts mehr so gut geschmeckt. Mir war bewusst, dass es nur daran lag, dass ich so hungrig war.

Wieder stieg mir der Duft in die Nase, den ich vorhin nicht deuten konnte. Doch dieses Mal wusste ich, woher ich ihn kannte.

»Warst du gestern noch im Krankenhaus?«, rief ich ihm zu, als er wieder runter kam.

»Nein, wieso sollte ich? Ich bin direkt vom Laden nach Hause.«

Ich schwieg.

»Glaubst du, ich hab dir einen Virus als Geschenk mitgebracht?«

Er lächelte mich so liebevoll an, dass es mir fast das Herz zerriss. Es war unvorstellbar, dass es bald nicht mehr so sein sollte.

»Ich weiß auch nicht, war nur so ein Gedanke.«

Er gab mir zwei Tabletten in die Hand und ein Glas Wasser. Keine Ahnung, wo er die noch aufgetrieben hatte, da sich die letzte Packung aus dem Bad in meiner Hosentasche befand.

Ich glaubte Jayden, wenn er sagte, er war nicht dort. Wiederum war ich mir aber auch sicher, dass er nach Krankenhaus roch. Den Geruch würde ich unter Tausenden erkennen. In den meisten roch es nach Tod gemischt mit Reinigern. Ich weiß es klingt verrückt, aber für mich ist es so. Oft war ich früher mit zu Jaydens Untersuchungen gekommen. Zuerst war ich immer mit in die Behandlungszimmer gegangen. Mir wurde jedes Mal übel, aber ich ließ mir ihm zuliebe nichts anmerken. Wie sollte ich so was auch jemandem sagen, der selbst fast vor dem Tod stand?

Ich versuchte nur kurz zu atmen, möglichst nicht durch die Nase. Später erlaubte Jayden mir nicht mehr, mit in die Räume zu kommen. Er wollte nicht, dass ich ihn in diesem Zustand sah. Völlig abgemagert und nur noch aus Haut und Knochen bestehend.

Deshalb wartete ich, manchmal stundenlang, auf ihn im Wartezimmer. Es störte mich nicht, für ihn hätte ich noch ganz andere Dinge getan. So ziemlich alles, was er von mir wollte.

Aber der Geruch des Todes machte mich wahnsinnig. Mir drehte sich jedes Mal der Magen. Und ich war froh, wenn Jayden mich endlich erlöste. Nach und nach fing ich an, vor der Tür auf ihn zu warten. Doch auch dort roch ich es, jedes Mal wenn sich die große Schiebetür öffnete kam eine Welle zu mir rüber. Am Ende wartete ich am Auto auf Jayden.

Nur in seltenen Fällen, wenn er mich drum bat, holte ich ihn drinnen ab.

Eine Zeit lang musste er, in seiner schlimmsten Zeit, im Krankenhaus bleiben. Lehnte es aber strickt ab, das ich ihn besuchen kam. Ihm war es unangenehm, wenn er sich vor mir erbrach. Die meiste Zeit verbrachte er eh mit schlafen, sagte er mir jedenfalls. Dafür telefonierten wir täglich mehrmals.

Ich wusch seine ganze Kleidung direkt an dem Tag, als er entlassen wurde. Sie stanken so stark nach dem mir verhassten Geruch, dass sich mir der Magen drehte. Einmal hatte ich mich wirklich fast übergeben, als ich einen Berg Wäsche in die Maschine steckte.

Woher nun der Geruch an ihm kam, war mir schleierhaft.

»Wollen wir bald los, oder möchtest du doch hier bleiben?«

Ohne ein Wort stand ich auf und zog mir die Schuhe an. Außerdem zog ich mir eine leichte Jacke über. Mir wurde immer kälter. Ich sagte nichts, aus Angst Jayden würde mich doch zwingen zuhause zu bleiben.

Jayden ging vor mir raus vor die Tür, deswegen merkte ich nicht sofort, wie sich das Licht in meine Augen bohrte. Es brannte höllisch, Tränen sammelten sich in den Winkeln und rannen mir die Wange runter. Schnell wischte ich sie weg und hielt mir eine Hand schützend über die Augen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich an das Licht gewöhnten.

Gerade rechtzeitig, bevor Jayden sich zu mir umdrehte.

Den ganzen Weg lang bis zum Vineta schwiegen wir beide. Jeder von uns war in seine eigenen Gedanken vertieft. Die alten Häuser der Madison Street zogen unbemerkt an mir vorbei.

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