Formen der Verstörung

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Wetter

Ein paar Kinder erwähnen das Wetter.

Joseph A. stellt lakonisch und sachlich fest: »Die Temperatur geht ständig auf und ab.«

Cynthia, die sehr wohl um die Bedeutung von Genauigkeit und detaillierter Information Bescheid weiß (siehe unten), schreibt: »Heute ist es draußen sehr eißig [sic].«

Ein anderes Mädchen, Susan A., äußert sich poetischer über das Wetter, indem sie in dem ganzen Sample aus Briefen als einzige eine Metapher verwendet. Obwohl die Metapher abgegriffen ist, bessert sie sie unmittelbar darauf mit einer starken, realistischen Beschreibung auf. »Vor einer Woche hatten wir einen Sturm mit Schneeregen. Als es vorbei war, sah es aus wie in einem Märchenland, aber einige Bäume waren geknickt, andere gar abgebrochen.« Ihre im Grunde nüchterne und realistische Einstellung gegenüber ihrer Umwelt spiegelt sich in ihrer Schrift, die bis auf eine etwas zittrige Linienführung bei manchen größeren Buchstaben ziemlich gleichmäßig ist.

Essen / Nahrungsmittel

Abgesehen von einer zweimaligen Erwähnung des Essens im Hinblick auf Stephens Krankenhauserfahrungen gibt es nur zwei Verweise auf Nahrungsmittel, und zwar die auf Jonathans Geschenk, die Schachtel mit Bonbons – einmal durch Jonathan selbst (»Ich hoffe, dass dir meine Schachtel mit den Bonbons geschmeckt hat«), das zweite Mal durch die möglicherweise neidische Susan B.

Schule / Schularbeiten

Abgesehen von dem allenthalben geäußerten Wunsch, Stephen möge wieder in die Schule kommen, werden Schule und Schulübungen nicht von vielen Schülern erwähnt, möglicherweise weil sie, während sie schreiben, gerade in der Schule sitzen.

Diane ist die einzige, die ein Schulbuch erwähnt: »Wir lesen in Singing Wheels.« Aufgrund ihres außerordentlichen Interesses an diesem Text sowie der darauf folgenden Erwähnung der Victrola, die sie zu Weihnachten bekommen hat, was auf ein Interesse an Musik schließen lässt, und dazu ihrer ungleichmäßigen Handschrift (manche Buchstaben stehen schräg, andere aufrecht, manche sinken unter die Linierung etc.) darf angenommen werden, dass Diane eher intellektuelle und künstlerische Neigungen hat und »kreativ« ist. Gleichzeitig erscheint sie, in Anbetracht des Umstandes, dass sie ihre Geschwister in ihren Brief mit einschließt (siehe unten), sowie in Anbetracht ihrer Freundschaft zu Mary und deren Erwähnung des gemeinsamen Schifahrens, als kontaktfreudiger, geselliger Familienmensch und als sportlich aktiv.

Die oben erwähnte Freundin, Mary K., schließt ihren Brief nach der Beschreibung der gemeinsamen Schipartie: »Also dann wir fangen gleich mit Lesen an, und ich muss ›Goodby‹ sagen.« (Die Lehrerin hat, obwohl sie den Bindestrich zwischen good und by eingesetzt hat, nicht das fehlende Komma nach dem Also dann eingefügt.) Mary ist die einzige, die das Klassenzimmer in dem Augenblick, als die Kinder schreiben, heraufbeschwört, indem sie eine kurz bevorstehende Aktivität der Schüler erwähnt. Offensichtlich teilt sie mit Diane das Interesse oder die Freude am Lesen in der Klasse.

Ein drittes Mal wird die Schule – wenn auch in einem ganz allgemeinen Sinn – in der bereits zitierten, nichtssagenden Bemerkung von Maureen erwähnt: »Mir gefällt die Schule sehr.« Wie schon früher festgestellt, gefällt Maureen die Schule vielleicht nicht so sehr, wie sie vorgibt.

Ein viertes Mädchen, Lois, erwähnt ein anderes Lernfeld, eines, das sie vielleicht mehr interessiert als das Lesen. »Wir tun noch immer rechnen.« Dem schickt sie allerdings einschränkend voraus: »Wir arbeiten nicht furchtbar viel.« (Es sei darauf hingewiesen, dass zwei Schüler, trotz der offensichtlichen Sorgfalt, die die Lehrerin auf die Durchführung dieser Übung verwendet hat, feststellen, dass sie nicht viel / nicht furchtbar viel arbeiten. Das ist entweder wahr oder, eher noch, bloß in der Wahrnehmung dieser beiden Schüler so, die, sofern das der Fall ist, entweder intelligenter sein mögen oder früher fertig als manche von den anderen oder einfach weniger Interesse haben. Wie dem auch sei, die Lehrerin hat diese Bemerkungen so stehen lassen.)

Einkaufen mit den Eltern

Die Kinder fahren in die Stadt hinein, um einzukaufen; sie kaufen Winterkleidung und zwar in Begleitung ihrer Mütter.

Fred schreibt: »Meine Mutter und ich fahren in die Stadt, um eine Windjacke zu kaufen. Meine Schwester bekommt einen neuen Schianzug und einen Hut.« Das ist der ganze Inhalt des Briefes, abgesehen von der Schlussformel: »Also ich glaube, mehr habe ich nicht zu sagen.« (Wieder verabsäumte es die Lehrerin, das fehlende Komma nach dem Also einzufügen.)

Spielen im Schnee

Die Kinder sind im Allgemeinen ausführlicher, wenn es um ihr Spiel im Schnee geht, als sonst und führen manchmal Details über die Lokalität und anderes an.

Alex schreibt: »Wir hatten eine Menge Spaß drüben auf dem Hospital Hill. Wir fuhren über einen großen Buckel und flogen durch die Luft. Dieses Jahr stieg ich höher hinauf als sonst.« Seine Handschrift ist, vielleicht entsprechend seinem Sinn für Abenteuer, ungleichmäßig, seine Buchstaben stehen manchmal auf der Zeile, manchmal darüber oder darunter, die mit Tinte gezogene Schrift ist einmal dünn und elegant, dann wieder grob und unbeholfen.

Zwei Jungen schreiben über Raufereien. John W. schreibt: »Draußen gab es eine große Schneeballschlacht. Fast alle Gruppen machten mit.« Da jede Schneeballschlacht notwendigerweise draußen stattfindet, muss sein Gebrauch des draußen auf eine ganz bestimmte Topografie verweisen, wahrscheinlich das Schulgelände, vor allem deshalb, weil nur da fast alle Gruppen anwesend wären. Offenbar durfte man erwarten, dass Stephen genau wusste, aus wem sich alle Gruppen zusammensetzten.

Theodore schreibt: »Ich hatte eine Schneeballschlacht unten bei unserem Haus. Ich hab die gegnerischen Jungs geschlagen.«

Die Realistin Cynthia, die weniger kämpferisch ist als die Jungen, schreibt mit dicker, dunkler Tinte: »Ich bin einmal mit dem Schlitten gefahren und hatte Spaß dabei. Ich habe Schneemänner gebaut, aber sie sind umgefallen.« Die gleichbleibende Schrägstellung ihrer Buchstaben, ihre feinfühlige Verwendung paralleler Satzstrukturen und ihre Genauigkeit, die Häufigkeit und Ergebnisse ihrer Aktivitäten betreffend, lassen vermuten, dass sie eine gute Schülerin sein dürfte.

Mary K. ist eine von zweien, die ein anderes Kind beim Namen nennen. »Letzten Montag gingen Diane T. und ich Schi fahren. Es gibt auf dem Hügel eine kleine Schanze, und wir hatten große Probleme drüber zu springen.« Ihr ein wenig herrisches »Ich hoffe …, du wirst baldigst wieder in die Schule herein kommen« in Verbindung mit kleine Schanze und große Probleme mag zur Annahme verleiten, sie fordere ein ziemlich hohes Leistungsniveau, von sich ebenso wie von anderen, ein.

Janet fügt ein überraschendes Element hinzu: »Ich war Schlitten- und Schifahren, und meine Katzen kommen mit.« Bei diesem Brief mag es sich, unter all den anderen Briefen, um eines der seltenen Beispiele mit objektiv interessanter Information handeln. Vor ihrer Unterschrift findet sich der weniger interessante Zusatz: »Sie schlafen auch bei mir.«

Lois’ Bezugnahme auf den Schnee ist allgemeiner Natur und daher weniger interessant, aber sie ist die einzige, die Stephen auf freundliche Weise in die Aktivität miteinbezieht: »Schade, dass du nicht mit uns im Schnee sein kannst.«

Kino

Stephen wird auch in theodores Bericht über einen Kinobesuch miteinbezogen: »Vor ein paar Tagen habe ich mir im Kino Die Ledernacken und Stagecoach Kid angeschaut. Wäre schön, wenn du ihn siehst.«

John C. schreibt ebenfalls über einen Kinobesuch und nennt nicht nur die Filmtitel, sondern auch die Stadt, obwohl der Gebrauch des und unklar ist: »Ich fuhr nach P. (eine Stadt in der Nähe). Und ich ging einmal in P. ins Kino. Ich sah Das Brandmal.« Seine Schrift ist elegant, liegt aber beständig leicht unter der Linierung. Das mag auf den Wunsch nach größerer Stabilität schließen lassen, auf Angst vor dem Fantastischen oder, im Gegenteil, auf eine Persönlichkeit, die ungewöhnlich fest auf beiden Beinen steht. Seine Erwähnung des Films lässt allerdings die Vermutung zu, dass er sich vom Fantastischen angezogen fühlt, gleichzeitig aber negativ auf die diesem eigentümliche, beunruhigende Präsentation einer alternativen Realität reagiert, indem er versucht, umso stärker in seiner eigenen Realität Fuß zu fassen.

Es ist bemerkenswert, dass die Kinder, die in ihren Briefen nicht immer im Detail auf andere themen eingehen, sich große Mühe machen, die Titel der Filme, die sie gesehen haben, anzuführen.

Weihnachten / Weihnachtsgeschenke

Ein paar Kinder zählen ihre Weihnachtsgeschenke ohne weiteren Kommentar auf. Andere geben einen allgemeinen Kommentar ab, ohne einzeln aufzulisten, was sie bekommen haben.

Diane führt auch die Geschenke ihrer Geschwister an: »Zu Weihnachten bekam ich eine Victrola. Meine Schwester bekam einen Puppenwagen. Mein Bruder bekam einen Fußball.« Es ist unklar, ob es sich dabei um die einzigen Geschenke handelt oder bloß um die erwähnenswertesten.

John C. präsentiert andererseits eine offenbar vollständige Liste und legt dabei einen erfreulichen Sinn für Ordnung an den Tag, wenn er bei seiner Aufzählung von der größten zur kleinsten Anzahl fortschreitet: »Ich habe zu Weihnachten drei Cowboy-Bücher bekommen, zwei Spiele und ein Blitzlicht.«

 

Joan listet nicht einzeln auf, aber sie erwähnt einen Bruder und leitet ihren Satz über Weihnachtsgeschenke mit einer allgemeinen Feststellung ein: »Ich hatte schöne Weihnachten. Mein Bruder und ich haben sehr schöne Weihnachtsgeschenke.«

Jonathan ist einer von jenen dreien, die sich nach Stephens Weihnachtsgeschenken erkundigen: »Hast du zu Weihnachten viele Spielsachen bekommen?«

Janet ist weniger an der Quantität interessiert und bittet um genaue Angaben: »Was hast du zu Weihnachten bekommen?« Sie lässt darauf eine zweite Frage folgen, die sowohl die Qualität als auch die Quantität betreffen könnte: »War Santa gut zu dir?«

Kingsley ist der einzige, der – ob zu Recht oder nicht – annimmt, Stephen habe, da er im Krankenhaus ist, Weihnachten noch nicht gefeiert: »Was glaubst du, was du zu Weihnachten bekommst?« Möglicherweise in Korrespondenz zum zögerlich tastenden Charakter seiner Frage steigt das Wort glauben über die Linierung auf, um sich dann wieder an sie zu halten. Er lässt auf diese Frage eine allgemeine Feststellung seiner Zufriedenheit folgen: »Ich habe alles gekriegt, was ich mir gewünscht hab.« Ein paar Buchstaben sind viel größer als andere, z.B. das b in besser und das W in Weihnachten – beides Worte, die für diesen Jungen vielleicht eine besondere Bedeutung haben.

Conclusio: Das Alltagsleben der Kinder, ihr Bewusstsein von Raum und Zeit sowie ihr Charakter und ihre geistige Entwicklung

Wir können uns aus diesen Briefen getrost ein Bild vom Alltag der Kinder, ihrer Persönlichkeit und Stimmungslage machen, desgleichen von ihren Vorstellungen von Raum und Zeit, obwohl die Briefe aufgrund der Umstände, unter denen sie geschrieben wurden, vielleicht bis zu einem gewissen Grad ein falsches Bild der Sachlage zeichnen: Die Lehrerin mag die Wahl der passenden themen eingeschränkt haben und war zweifellos vorne im Klassenzimmer anwesend, wo sie die Übung kontrollieren konnte; die Kinder haben die Briefe nicht freiwillig geschrieben, sondern wurden dazu angehalten; außerdem war ihnen bewusst, dass ihnen fürs Schreiben nur eine begrenzte Zeit zur Verfügung stand und dass gleich das nächste Gegenstand an die Reihe käme. (»Also dann wir fangen gleich mit Lesen an«).

ALLTAGSLEBEN

Wenn wir dem größten Teil der Informationen, die in diesen Briefen enthalten sind, Glauben schenken, können wir bezüglich der Kinder zumindest das Folgende als gesichert ansehen: Ihr Besitz ist relativ klein – jedenfalls sind sie mit fünf eher bescheidenen Weihnachtsgeschenken zufrieden (siehe John C.), obwohl die Anzahl für sie offensichtlich von Interesse ist (siehe Jonathan). Sie verbringen Zeit mit ihren Familien und KlassenkollegInnen. Zu ihren Aktivitäten zählt, sich im Schnee zu vergnügen (sowohl Schlitten- als auch Schifahren), ins Kino zu gehen, in der Stadt einzukaufen und gelegentlich Ausflüge aus der Stadt hinaus zu machen. Manche haben Haustiere und pflegen enge Freundschaften, manche interessieren sich für ihre Schulaufgaben. Manche Jungen sind interessiert an Cowboys, Lesen, Fußball und Kino; manche Mädchen an Musik, Puppen und Krankenpflege. Sowohl Jungen als auch Mädchen spielen gerne im Freien.

ZEIT

Im Großen und Ganzen ist der Sinn der Kinder für Zeit und Raum gut entwickelt. Die Briefe insgesamt zeugen von einem klaren Sinn für das, was vergangen ist (z.B., was sie zu Weihnachten geschenkt bekamen), was in der Gegenwart passiert (»Dein Sitz ist leer«) und was in der Zukunft liegt (»Meine Schwester wird einen neuen Schianzug bekommen«). Ein paar Kinder antizipieren Stephens künftige Rückkehr. Nur Jonathan verspricht eine Fortsetzung der Kommunikation: »Ich schicke dir bald weitere Briefe.«

Die unmittelbar bevorstehende Zukunft zum Zeitpunkt des Briefeschreibens findet ausschließlich bei Mary K. Erwähnung (»Also dann wir fangen gleich mit Lesen an«).

ORT

Die Briefe zeigen auch, dass die Kinder eine klare und genaue Vorstellung von ihrer Position im Raum haben. Während sie in ihrem Klassenzimmer sitzen und schreiben, befinden sie sich realiter an einem Punkt über dem Stadtzentrum, ein Begriff, den sie nicht nur im umgangssprachlichen Sinn verwenden, sondern ganz konkret und korrekt für »Downtown«. Sie befinden sich jedenfalls näher am Zentrum der Stadt als das Krankenhaus, welches sie mit dort drüben lokalisieren. Ihre Position liegt auch tiefer als die Anhöhe der Stadt, auf der das Krankenhaus steht, auf welches sie sich mit dort oben beziehen. Dort oben kann auch bedeuten, dass sie sich des Umstands bewusst sind, dass das Krankenhaus etwas nördlich von der Stadt gelegen ist.

Ferner scheint der Hinweis dienlich, dass wir in der Phrase dort drüben eine seltene Übereinstimmung von tatsächlichem und psychologischem Raum vor uns haben, und zwar insofern, als der Gebrauch dieser Wendung durch die Kinder vielleicht anzeigt, dass sie sich strikt vom Krankenhaus und der mit ihm verbundenen Bedrohung durch Tod und Krankheit zu distanzieren versuchen.

Die unmittelbare räumliche Umgebung des Klassenzimmers wird von Joan und Susan B. angesprochen, die auf sie mit in unserer Reihe und Dein Sitz ist leer Bezug nehmen.

Des Weiteren beachte man, dass sich manche Kinder im Allgemeinen mehr mit der Welt draußen beschäftigen (»wir gingen Schi fahren«), wogegen andere mehr auf »Innenräume« fokussieren (das Klassenzimmer, Sitzreihe oder -platz; das Krankenhaus). Darüber hinaus wird das Krankenhaus, abgesehen von dem Distanz schaffenden dort drüben, möglicherweise aus Angst, generell mit der Richtungsangabe außen identifiziert (Billy T.s: »Wann bist du wieder draußen?«) – im Gegensatz zu der beruhigenden Identifikation von Schule und drin oder wieder herein kommen (Mary K.).

CHARAKTERE UND ENTWICKLUNGSSTAND

Die Lehrerin scheint, obgleich sie die äußere Form und den Inhalt der Briefe genau kontrolliert, den Schülern zugestanden zu haben, dass sie ihren eigenen inhaltlichen und stilistischen Wünschen nachkommen, vielleicht innerhalb bestimmter Grenzen. War das der Fall, so könnten uns die Wahl der themen und ihre Behandlung Aufschluss über die unterschiedlichen Charaktere und Temperamente geben.

Manche Kinder vermitteln den Eindruck eines hohen Grades von Eigenständigkeit, wenn sie sich selbst beschäftigen (Spiel im Freien), wogegen andere eine gewisse Abhängigkeit von »abgepackter«, »vorfabrizierter« Unterhaltung verraten (zwei Beispiele von Ausflügen ins Kino). Manche verraten eine größere Neigung zu Aktivitäten allgemeiner – ob körperlicher oder kultureller – Art (Spiel im Freien, Kino), während anderen mehr das Materielle am Herzen zu liegen scheint (Weihnachtsgeschenke, Einkaufstouren); und schließlich konzentriert sich eine Mehrzahl der Kinder auf fremdgesteuerte und interaktive Tätigkeiten der einen oder anderen Art (Spiel, Einkauf), während ein kleiner Prozentsatz mit bestimmten Gedanken oder der eigenen geistigen Verfassung beschäftigt ist (du bist weg, dein Platz ist leer, »Ich kann einfach nicht denken«).

Manche zeigen eine Neigung zu sozialer Interaktion mit der Welt außerhalb der Familie (»Diane T. und ich«), während andere mehr auf die Welt von Heim und Familie hin orientiert sind (einkaufen mit Mutter). Die Miteinbeziehung von Geschwistern in die Berichte über die Weihnachtsferien (»Meine Schwester bekam einen Puppenwagen. Mein Bruder bekam einen Fußball.«) mag auf innere Unsicherheit hinweisen und auf ein Bedürfnis, sich mit der Großgruppe Familie zu identifizieren.

Manche Kinder treten forsch auf (»Ich würde dir Beine machen und dich aus dem Bett jagen«) oder gebärden sich als abenteuerlustig (»Dieses Jahr stieg ich höher hinauf als sonst«), während sich andere mehr mit Abwesenheit und Mangel beschäftigen (»Ich kann einfach nicht denken«; und das wiederkehrende »Du fehlst mir« und »Du fehlst uns«). Manche schlagen einen traurigen Ton an (Carols einsam; Sallys: »Dein Sitz ist leer«) oder deuten ein Gefühl von Versagen und/oder Niederlage an (der umgefallene Schneemann, geknickte und abgebrochene Äste) oder von Eifersucht/Neid/Entzug (ein anderes Kind hat eine Schachtel mit Bonbons bekommen). Manche sind in ihrem Ton apodiktisch (die Verwendung des Imperativs durch die Mädchen) und manche liebevoll (Janets offensichtliche Liebe zu ihren Haustieren). Manche Kinder sind, was Schwierigkeiten und Einsamkeit angeht, empfindlicher als andere. Sämtlichen Kindern gelingt es aber, positive Gefühle gegenüber einem Klassenkameraden und seiner bedauernswerten Lage auszudrücken, zumindest wenn sie dazu angehalten werden.

Ein paar Kinder zeigen widersprüchliche Züge oder innere Konflikte, wie im Fall von Maureen oben dargelegt. Ein anderer Fall ist jener von Arlene: Obwohl sie außerordentlich praktisch veranlagt ist und es mit ihrer Berufswahl (Krankenschwester) ernst zu meinen scheint, verrät sie mit der extrem ausgefallenen Veränderung ihres eigenen Namens von der bodenständigeren Arlene zur hübscheren und fantasievolleren Arilene eine gewisse Tendenz zu unterdrücktem Romantisieren (und damit eine Neigung zu einem weniger praktischen Beruf).

Obwohl die in den Briefen vermittelte Stimmung überwiegend positiv und optimistisch ist, verrät die Wahl mancher Kinder hinsichtlich Thematik und Stil eine gewisse Furcht oder ein Unbehagen oder ein Wissen um dunklere Seiten ihres Daseins (Schneeballschlacht, Schwierigkeiten beim Sprung), und diese verallgemeinerte Furcht mag in allen Kindern bis zu einem gewissen Grade präsent sein (z.B.: die ängstliche Wiederholung von Ich hoffeIch hoffe …).

Obwohl ihre Welt in der Tat relativ sicher zu sein scheint – inklusive Schlittenfahrten, Weihnachtsgeschenken, Einkauf mit Mutter – so hat sie doch ihre dunklere Seite: geknickte und abgebrochene Äste, umgefallene Schneemänner, der leere Sitz und der halbfertige Strumpf, die Schachtel mit Bonbons, die an ein anderes Kind ging. Was haben sie empfunden, als sie auf dem Hospital Hill spielten – das Krankenhaus direkt über ihren Köpfen? Waren sie sich bewusst, dass Stephen ihnen vielleicht allein von da oben zuschaute? Waren sie sich vielleicht die ganze Zeit halb des Umstands bewusst, dass Stephens plötzlicher Unfall ebenso gut ihnen hätte widerfahren können? Man sollte sich vor Augen halten, dass die Kinder bereits gut mit einer auf verstörende Weise paradoxen und auf undefinierbare Weise bedrohlichen Umwelt vertraut waren: Das Vergnügen des Schlitten- und Schifahrens im Freien war nur in Sichtweite der grimmigen Front des Krankenhauses über ihnen möglich gewesen; die Leckereien nach der Schule waren nur auf dem Umweg über die unfreundliche Besitzerin eines Eckladens zu haben und würden am Rande des Abhangs, der steil zu dem träge dahinfließenden, aber gefährlichen Fluss abfiel, ausgewickelt werden. Verallgemeinernder könnte man sagen, dass diese Kinder, die zwischen der indirekten Bedrohung durch das Krankenhaus auf dem Hügel und der direkteren Bedrohung durch den Fluss tief unter ihnen gefangen waren, vielleicht in der Tat gewünscht haben, sie könnten sich, wie es oft genug geschah, in Begleitung ihrer Mutter dem Zugriffdieser beiden Drohungen entziehen – in Richtung Downtown und deren verführerischem Warenangebot oder gar aus der Stadt hinaus (durch einen Ausflug nach P.) oder in die Scheinwelt der Kinos, der Cowboy-Bücher und ihrer eigenen Fantasien (»Märchenland«).

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